RECORD: Richter, Hanns. 1882. Hanns Richter bei Darwin. Signale für die musikalische Welt [Leipzig] 4, no., 32 (May): 497-499.

REVISION HISTORY: Transcribed by Kees Rookmaaker and John van Wyhe, edited by John van Wyhe 5.2011. RN1

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This is an account of a visit by the pianist and conductor Hans Richter (1843-1916) with Darwin in 1881. The account was mentioned by Darwin's son Francis in Life and letters vol. 3, p. 223:

In this connection may be mentioned a visit (1881) from another distinguished German, Hans Richter. The occurrence is otherwise worthy of mention, inasmuch as it led to the publication, after my father's death, of Herr Richter's recollections of the visit. The sketch is simply and sympathetically written, and the author has succeeded in giving a true picture of my father as he lived at Down. It appeared in the Neue Tagblatt of Vienna, and was republished by Dr. O. Zacharias in his 'Charles R. Darwin,' Berlin, 1882.

See an English translation of this article here.


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Hanns Richter bei Darwin.

Das "N.W.Z." bringt in seiner Sonntagsnummer interessante Mittheilungen über einen Besuch des Wiener Hofcapellmeister Hanns Richter bei Darwin.

"Es war zu Pfingsten im vorigen Jahre", heißt es da, "mein Freund Hermann Francke, der Unternehmer meiner Concerte in London und der deutschen Oper im Drurylane-Theater, die ich heuer auch dirigire, sagte mir, Darwin wünsche mich kennen zu lernen und lade mich für den Feiertag auf den ganzen Tag zu sich. Francke hatte die Nichte Darwin's, eine geborene Wedgewood, geheirathet, und im Hause Darwin's wird viel Musik gemacht, die Frau Darwin's selbst ist äußerst musikalisch, geradezu classisch musikalisch gebildet. Welche Freude mir diese Einladung bereitete, brauche ich nicht zu sagen. Wir fuhren, Francke, dessen Frau und ich, zeitlichfrüh mit dem Schnellzuge nach Kent-Down, das wir in zwei Stunden erreichten. Dort wartete bereits ein Wagen auf uns, der uns durch eine anmuthige Gegend - der Boden ist wellig und das Grün üppig, englisch-üppich - nach der Besitzung Darwin's brachte. Es ist ein gewöhnliches, durch nichts Besonderes auffallendes englisches Landhaus, einstöckig, der übliche Vorgarten mit allerlei Gesträuchgruppen und schattigen Bäumen besetzt. Das Ackerthor im niederen Gitter wurde aufgemacht und wir fuhren am Hause vor. Man führte uns durch einen kurzen Gang direct in's Parlour, die Thür öffnete sich und ich stand vor Darwin, der neben dem Kamin, in dem noch ein kleines Feuer brannte, in einem Fauteuil saß und bei unserm Eintritte rasch aufstand, mir die Hand reichend und mich herz-

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lich begrüßend. Wie der erste Eindruck gewesen? Unbeschreiblich. Ich habe so und so viel Photographien und Bilder von Darwin gesehen, so gut sie sind, Eines geben sie doch nicht wieder: die Schönheit des Auges, dieses germanisch-schönen Auges mit den unendlichen Wohlwollen darin, voll Güte und Milde. Ich war, aufrichtig gesagt, furchtbar ergriffen. Ich habe ihn dann nach und nach beobachtet und gesehen, daß ihn die Bilder alle zu finster im Gesichtsausdrucke darstellen, es ist ein feines Gesicht und der Kopf nicht übermäßig groß, wie man sich denkt. Dafür war er in der Statur größer, als man sich ihn vorstellt, und da er jünger gewesen, muß er sehr groß gewesen sein, weit über das gewöhnliche Maß. Die Stirne überaus mächtig, prachtvoll herausgearbeitet, Haar und Bart ganz weiß, der Bart nicht so lang und struppig, wie auf den Bildern, im Anzug der vollendete Gentleman. Die ganze Erscheinung ungemein ehrwürdig und dabei behaglich, als wäre es ein reicher Lord, der sich auf seinen Landsitz zurückgezogen, um seinen Passionen zu leben. - sah man aber dem Lord in's Auge, so wußte man gleich, was da herausstrahlte. Ich habe mich nicht satt sehen können und sollte mich daneben auch satt essen, denn das Frühstück stand schon bereit. An der rechten Wand des Parlours stand ein famoser Erard und davor ein Pult mit aufgeschlagenen Noten. Es war die Cello-Sonate in Adur von Beethoven. 'Wer spielt hier Cello?' frug ich. 'Cello spielt Niemand,' antwortete Darwin, 'aber Fagott, und zwar mein Sohn, der jetzt in Straßburg ist.' Frau Darwin, eine stattliche, kräftige, schöne Frau, hoch in den sechziger Jahren, eine ungemein feine Dame, ersuchte mich, etwas vorzuspielen, und gab selbst die Themen an, zuerst Mozart, dann Haydn, Beethoven und zuletzt Wagner. Ich spielte Stücke aus den 'Meistersingern', aus 'Tristan' und 'Lohengrin'. In den Garten gingen wir nach dem Diner. Darwin war während des Diners, das etwa anderthalb Stunden dauerte, ungemein liebenswürdig und heiter. Er lachte herzlich, wenn ich irgend eine luftige Geschichte erzählte, aber er kam auch auf ernste Dinge zu sprechen, und hob mit besonderer Betonung hervor, welch' tiefen Respect er vor Deutschland, dem deutschen Geiste und deutscher Arbeit hege. Er selbst konnte nicht Deutsch reden, doch las er deutsche wissenschaftliche Werke mit vollem Verständniß, wie mir Frau Darwin sagte. Nach Tisch wurde wieder Musik gemacht; im Speisezimmer steht nämlich auch ein präachtiger Flügel; nach dem schwarzen Kaffee gingen wir in den Garten, bis hinaus von Darwin geleitet, der sich dann in sein Arbeitszimmer zu einem Nachmittagsschläfchen zurückzog. Arbeitszimmer und Laboratorium sind zwei verschiedene Räumlichkeiten; das Laboratorium habe ich nicht gesehen. Das Arbeitszimmer liegt auf demselben Gange, durch welchen man in das Haus tritt, und zwar linker Hand, die Fenster nach dem Vorgarten. Es ist sehr einfach eingerichtet, vollgestellt mit Bücherschränken, Alles in nettester Ordnung. Mit außerordentlicher Freude zeigte mir Darwin das große prächtige Album, das er zu seinem siebenzigsten Geburtstage von etwa vierhundert deutschen Gelehrten, Professoren u. erhalten hatte. Er hab seiner Freude darüber wiederholt Ausdruck. Welche Bilder das Zimmer zieren? Ja, das ist merkwürdig; in diesem Zimmer wie draußen im Gange hängen lauter Bilder aus der Leidensgeschichte Christi, sowohl der ganze Kreuzweg als auch andere Scenen aus dem neuen Testamente, aber nur mit Bezug auf Christus, so die Bergpredigt, der Fischzug - ich glaube es sind Aquarelle. Büsten habe ich

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keine bemerkt. Während Darwin schlummerte, gingen wir im Garten spazieren. An das Speisezimmer stößt eine offene Veranda, von der aus man, ohne Stufen abwärts steigen zu müssen, direct in den Garten tritt. Vorerst ist ein großer Wiesenplan für das englische Ballspiel eingerichtet. Dann kommen Beete, überdeckt mit Thontöpfen, mit Glaskugeln und dergleichen, auch ein großes Glashaus. Ob darin die fleischfressenden Pflanzen gepflegt werden? Ich weiß nicht, ich sah eine Menge Blumen sonderbarster Arten, aber sonst bin ich in der Botanik schwach. Der Garten geht in einen Wildpark über, oder in einen 'Englischen Park', wie man zu sagen pflegt. Man klinkt eine Thüre im Geländer auf, deren Mechanismus uns vorher verrathen wurde, und wir standen mitten im Wald, nach dem Abhange zu üppige Wiesen, Alles in herrlichstem Grün und in erquickendster Frische. Als wir zurückgekehrt waren, trafen wir Darwin im Diningroom und ich spielte wieder auf dessen Ersuchen. Wieder gab es eine kräftige Kost zur Stärkung vor die Rückreise. Darwin klagte, daß er gezwungen sei, seine Arbeiten im Laboratorium zu unterbrechen, die Aerzte gäben ihm keine Ruhe, er müsse an's Meer, und er war ganz untröstlich darüber, daß er dort nicht werde arbeiten dürfen. Beim Abschiede versprach er, in diesem Jahre im Juni, wenn die 'Meistersinger' aufgeführt werden, eigens nach London zu kommen. Wer von uns hätte gedacht, als er, der Rüstige, heitere, dieses Versprechen gab, es würde ihm nicht mehr gegönnt sein! ... "


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Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)

File last updated 30 November, 2022