RECORD: Krause, Ernst. 1885. Charles Darwin und sein Verhältnis zu Deutschland. Leipzig: E. Günther.

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Darwinistische Schriften.

Charles Darwin

und sein Verhältnis zu Deutschland

Dr. Ernst Krause.

Mit «dilrefohcij, Mäher angedruckten Briefen Darwins.

zwei Porträts,

LEIPZIG.

ERNST GÜNTHERS VERLAG.

» wehen,- kleinere HrlurM«. {mWirn lVcrk«.») n»II dem Bunde aul <h-»ilolgeu.

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Darwin im mittleren Lebensalter

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Darwins, letztes Bild.

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Gesammelte kleinere Schritte

von                                                     

Charles Darwin.

Ein Supplement zu seinen grôsseren Werken, I

uaiwi-mm biographischen Einleitung versehen             |

von                                                                        !

Dr. Ernst Krause.

Band I.

(Biographischer Teil.)

LEIPZIG.

ERNST GÜNTHEERS VERLA.. 1885.

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Charles Darwin

sein Verhältnis zu Deutschland

Dr. Ernst Krause.

Mit zahlreichen, bisher ungedruckten Briefen Darwins, zwii Porträts, Handschriftprobe u. a. w. in Lichtdr.ck.

x                                      LEIPZIG.

|                             ERNTT GÜNTHERS VERLAG

|                                                        1885.

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= Alle Reehte vorbehalten. =

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Vorwort.

Wenn das vorliegpnde Buch irgend ein Verdienst in sieb Lhliessen sollte, so muss dasselbe seinem Herrn Verleger zuge-Ichriehen werden, ohne dessen immer erneute Änspornungen es lient geschrieben worden wâre. Es hätte ziemlich in der nâm-Ichen.GestaltbaldnachDarwinsTode geschrieben werden können, fenn schon damels waren fast sâmtliche dazu benützten Materialien in meinen Hânden, aber da mir Herr Francis Darwin Ltgeteilt hatte, dass er selbst eine Biographie seines Vaters zu Jerôffentlichen gedâchte, so legte ich das gesammelte Material lieder bei Seite.

Inzwischen fasste der Herr Verleger den Plan, eine Sammlung ler in den Schriften gelehrter Geselischaften, in Zeitschriften und In andern Orten zerstreuten kleineren Aufsâtze und Abhandlungen larwnss herauszugeben undersuchte mich, sowohl die Redaktion lieser Sammlung zu ùbernehmen, ,1s dazu eine biographische Einleitung zu schreiben. Ich ging darauf um so bereitwilliger ein, aïs lie Biographie des Sohnes seit drei Jahren nicht erschienen und, lie es scheint, noch ]änger auf sich warten lassen wird. Im Verfolg der Arbeit ist aber die "biographische Einleitung" ein wenig fber das anfangs beabsichtigteMass hinausgewachsen, und es er-fchien deshalb zweckmâssig, sie auch aïs besondern Band für sich ierauszugeben, dem die Sammlung der "kleineren Schriften" un-littelbar folgen wird.

] In der Darstellung wurde das Hauptgewicht auf den Zusammen-tangder Werke Darwnss mit seinen âusseren Erlebnissen, auf die Lfnahrne seiner Werke in England nnd Deutschland und namentlich

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auf die Fortbildung seiner Idenn durch deutsche Naturforscher gelegt. Für die Schilderung des Einflusses von Lyell und Wallace auf die Ausgestaltung seiner Arbeiten habe ich neben den einschlägigen Werken dersëlben besonders die vor vier Jahren von Lyells Schwägerin veröffentlichte LebeNsbescbreibuNg desselben, die ihrem hauptsächlicheBinhalte nach aus den von Lyell geschrie-enen Briefen besteht, reichlich benutzt. Es erschien dies um so mehr angezeigt, wert jenes Werk seines ansehnlichen Umfangs wegen wohl kaum Aussicht hat, ins Deutsche übersetzt zu werden, und doch Lyelss Briefe an Hooker und Darwnn den besten Aufschlug über manche Eigentûmlichkeiten des Inhalts und der Erscheinungsweise der Darwinschen Werke geben.

Eine besondere Forderung fand das Pnternehmen durch die Herren Professoren Ernst Haeckll und William Preyer in Jena, welche nicht nur die Güte hatten, mir die an sie gerichteten Briefe Darwnns jm Original znùbersenden, sondern mich auch aasserdem durch Mitteilung wichtiger Schriftstûcke unterstûtzten. Ebenso hatte mir mein verstorbeneTFreund, Prof. Hermann Mûllev von Lippstadt, seinen gesamten Briefwechsel zur Durchsicht nnd etwaiger Verwendung ûbergeben - wovon ich schon in der 1884 Teröffentlichten Heinen Lebensschilderung desselben Gebrauoh gemacht habe, - und Dr. Fritz Müller in Itajaby (Brasilien) hatte die Gute, mir Abschriften einer grossen Anzahl an ihn gerichteter Briefe Darwnns, die er zu eineTVeröffentlicnunggeeignet hieit, zu ûbersenden. Allen Genannten statte ich hiermit meinen herz~ichsteh Dank fur die freundIicheGewâhrung meiner diesbezüglichen Bitte ab.

Von den bisher erschienenen kleinerenSchriften über Darwin ■ habe ich nur derjenigen von A. de Candolle einige kleine Notizen entnehmen kônnen, die andern, welche mil zu Gesioht gekommen sind, enthalten nur das allgemein Bekannte.

Berlin, den 28. Mârz 1885.

Der Verfasser.

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Inhalts-Verzeichnis.

I. Herkunft...........                                       ^

££?3ZL*™ ::::;::;:■■  g

IV. Die Bearbeitung der Reise-Ergebnisse.........     37

V. Die Entdeckugg der Zuchtwahl-Theorie.......             51

VI. Die erste Aufnahme des Werkes . . .....     1

VI.. Darwins altere botanssche Schriften ..'..].....   wi

VII.. Die Abrundung und Ergänzung der Zuchtwahl-Theorie . '. .'   117

IX. Darwms Beziehungen zu Deutschland X. Darwins letzte Lobensjahee und Arbeite, .L Persönliches..........

. . 147 . . 174

XII. Âmter, Würden und Ehrenbezeugungen . . .

Druckfehler.

Soito 74 Zeile 4 lidB ttberzeust

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^Unwissende*

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I. Herkunft.

Bei hervorragenden Menschnn drangt sich unwillkürlich die Frage nach der Abstammung in den Vordergrund, weil man noch über die Jugend derselbnn zuruckverfolgen môchte, wie sich so bedeutende Gaben vorbereitet oder im voraus angekündigt haben.

?' ™ 7J n,iS .! ?'age um so mehr berechti^als er sel^

von der Thatsache der Erblichkeit körperlicher und geistiger Eigen-

schaften fest überzeugt war, dieselbe durch unzählige Beispiel, zu stutzen suchte, und sich selbst ais Beieg heranzuziehen (in mir vorliegendnn Zeilen von seiner Hand) geneigt erschien. Es

hat dem Schreiber dieser Zeilen zur besonderen Genugtuung gereich,, dass er den grossen Forscher durch einen Essay über die naturphilosophischen Ansichten seines Grossvaters Erasmus Dawin veranlastt hat, noch in seinen letzten Lebensjahren eingehende Nachforschungen über seine Familie anzustellen und manchss niederzuschreiben was, aus seiner eigenen Erinnerung stammend sons wahrscheinlich in Vprgessenheit geraeen sein würde. Wir werden iu dem vorliegenden Eapitel diesen Aufzeichnungen Darwins seilweise wortiich folgen und soweit wir dies thun, seine Worte durch Anfùhrungszeichen hervorheben. Dicjenigen Leser, welche die Aufzeichnungen Dawwsns uber seinen Grossvater und seine Familie in ihrem ganzen Umfange kennen zu lernen wunscben müssen wir jedoch auf das Original*) verweisen, welches semes bedeutenden Umfangss wegen nur zum kleinseen Teile in dieserJDarstellung berùcksichtigt werden konnte.

*)E. Krause, Erasmus Darwnn und seineStellung in derGeachichte ^„«-Theorie. .Miteinem Le.ens- undCtar.kt.rbi.de von Char"

ipuruiitiißris Verlag.

^ Kr.ueo, Ob. B»„i,.                                                                   l

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Die Vorfabren Darwins lebten in Lincolnshire, und der âlteste, von welchem er eine Nachricht finden konnte, hiess William Darwin und besass eine kleine Besitzung in Cleatham, die erst im Jahre 1760 von seinen Nachkommen verkauft wurde. Ein daselbst befindliches Feldstûck heisst noch jetzt die Darwin-Stiftung (Hamm-Charity)) weil darauf, nach der Bestimmung einer Schwiegertochter jenes Ahnen, eine VerpflichtHng zur jährlichen Anschaffung von Kleidern fur vier alte verwitwete Frauen ruht. Der genannte William "war auch yeoman des Zeughauses in Greenwich unter Jakob I. und Rarl I; dieses Amt scheint fast eine Sinécure und jedenfalls mit nur geringem Einkommen verbunden gewesen zu sein. Er starh im Jahre 1644 und zwar, wie wir Grund haben zu glauben, an der Gicht, so dass es wahrscheinlich ist, dass sowohl Dr. Erasmus Darwn,, wie auch viele ander& Fami!ienglieder von diesem William oder einem seiner Vorfahren ibre starke Aniage zur Gicht geerbt haben; ein sehr früher Gichtanfall machte auch Erasmus sein ganzes Leben hindurch zu einem eifrigen Apostel der Mâssig~eit<

„Der zweite William Darwnn (geb. 1620) diente aïs Stabskapitän in Sir W.Pelhams Reitertruppe und kâmpfte fur den Kônig. Seine Besitzung wnrde von dem Parlamenee mit Beschlag belegt, doch erlangte er spater gegen Hrlegung einer schweren Geldbusse seine Begnadigung. In einer an Karl IL gerichteten Bittschrift spricht er von seiner fast vollstândigen Verarmung infolge seiner Anhänglichkeit an die Sache des Konigs, und es scheint, dass er Advokat geworden war. Wahrscheinlich fuhrte dieser Umstand zu seiner Verheiratung mit der Tochter des Sachwalters Erasmus Earle, und daher ruhrte der Taufname Erasmus", der seitdem immer in der Familie weiter gegeben worden ist, und den auch der Grossvater, sowie ein Oheim und Bruder Darwins fuhrten.

„Der âlteste Sohn aus dieser Ehe, William (geb. 1655) heiratete die Erbin Robert Waring* von Wilsford in der Grafschaft Nottingham. Dièse Dame erbte unter anderm den Stammsitz Elston, der seitdem immer in der Familie geblieben ist." Ihr Gatte, der dritte William Darwn,, hatte zwei Sohne, William und Robert, welcher letztereRechtsanwalt geworden und der Urgroßvater Darwins war. Wir erfahren nun, dass sich ebenso wieder gleichfalls von mùtteruicher Seite in die Familie gelangte Name

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Erasmus, auch dcrjenige Robert Warings in der Familie vererbte, denn er wurde auch dein Vater und einem Grossoheim Darwins beigeleg.. "Ieh vcrmute" (fahrt Darwin fort) „dass auch die C!eathamer und die Waringschen Besttzungen auf Wiliiam, der keinen besondenn Lebensberuf verfolgt zu Iniben schein,, das Gut EIston dagegen anf Robert vercrbten.- denn aIs der letzteee sich Yerheiratete, gab er seine Stellung auf und lebte von da ab nur in Eiston. In ElstonHHall befindet sich ein Bildnss von ihm, auf welchem er mit seiner grossen Perrücke und seinen Bäffchen wie ein wurdevoller Doktor der Gottesgelahrtheit aussieh.."

Dieser Urgrossvater Darwins scheint bereits eine entschiedene Neigung xu wissenschaftlichen Uneersuchungen entwickett zu haben, denn er wurde früh Mitglied des bekannten Spalding-Klubs, einer der alteren gelehrten Gesellschaftnn England., die vidle Bandenaturwissenschaftlicher und antiquarischer Memorren herausgggeben hat. In den „Philosophical. Transactions" von 1719 findet sich auch ein Bericht des ber&hmten Altertumsforschers Dr. Wilaiam Suukeley, in welchem derselbe sagt, dass er dnrch seinen Freund Robert Dawwin auf den Abdruck eines zu EIston gefundenen Gerippes aufmerksam gcmacht worden sei, welches man fur dasjenige eines vursûndfiutlicben Menschen hieit und dessen Gleichen man bis dahin i„ EDgiand noch nie gefunden. Auch seine Gattin, die TTrgrossmutter Darwin,, scheint eine sehr gelehrte Dame gewesen zu sein, worauf, wie letzterer launig sagt, eine Art Litanei hindeutet, die von ihrem Manne verfasst, seitdem in der Familie überliefert worden ist. Mie ]aute::

Fro.n M »„„„<„,, that doth M,e From a bo,, that dringt,,. «w, Prom a „,,/e that talketh Latin', 000,1 Lora de/ner nu.

Man kann daraus ferner sehliessen, dass schon der Urgrosvater Darwins dcn Mässigkeitsbestrebungen hold war, die sein jüngster Sohn Erasmus mit aller Kraft seiner ârztlichen Autorität unterstützt hat. "Roberss ältester Sohn, Robert Waring getauf,, erbte die Besitzung Elston und starb daselbtt unverheiratet in einem Alter von 92 Jahren." Derselbe hatte einerseits, ganz wie sein jungster Brudrr Erasmu,, eine starke Neigung zur Poesie, und ausserdem zur Botanik. Noch aïs ziemlich bejahrter Mann

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veröffenttichte er seine „Prinäpia ~o<anica", welche drei Auflagen erlebten und "viele merkwürdige Notizen uber Biologie, einen im vorigen Jahrhundert in England gânziich vernachlässigten Gegenstand" enthielten. Ein diitter Sohn, John, wurde Pfarrer in Elston, da die Familie die Pfarre zu vergeben hatte. Mit dem vierten Sohne, Erasmus, dem Grossvater Darwins, welcher der Familie zuerst in weitern Kreisen Ruhm verschaffte, müssen wir uns hier etwas ausfuhriicher besohâftigen, weil von seiner Eigenar,, die Natur zu betrachten, offenbar vieles auf seinen Enkel übergegangen ist. -Erasmus Darwn,, welcher am 12. Dezember 1731 in Elston Hall geboren wurde, entwickelte schon in früher Jugend Neigung zur Poesie und zu allerlei mechanischen und physikalischen Künsten. Zehn Jahre ait wurde er nach Chesterfield auf die Schule geschickt, woselbst er neun Jahre blieb und dann 1750 das St. Johns College in Cambridge bezog, um Medizin zu studieren. Er zeichnete sich aïs Student in der Mathematik aus, vernachlâssigte aber über seinen Fachstudien weder die Poesie, noch die Klassiker, und zeigte in einigen von seinem Enkel an der oben erwâhnten Stelle mitgeteilten Briefen aus jener Zeit eine heitere Gemutsperfassung, verbunden mit einer ernsten philosophischen Lebensanschauung. Nachdem er ein Semester lang nach Edinburg gpgangen war, um den berühmten Hunter zu horen, kehrte er 1755 nach Cambridge zuruck und erwarb den Grad eines Baccalaureus der Medizin, worauf er sich nach einem erneuerten Aufenthalt in Edinburg 1756 als Arzt in Lichfield niederliess, nachdem er einen kurzen und vergeblichen Versucb, in Nottingham Praxis zu erlangen, gemacbt batte. In Lichfield, einem geistig sehr regen Orte, gelang es ihm damit desto schneller, und er wurde bald ein berühmter Arzt, dessen Rat einzuholen man aus weiter Ferne herbeikam, der aber den Versuchen, ihn nach London zu ziehen, widerstand, obwohl ihm der Kônig sagen liess, dass er ihn zu seinem Leibarzt

eme Über leine Leistungen und Verdienste auf medizinischem Gebiete hat vor nicht langer Zeit ein englischer Arzt Dr. Dowonn ein sehr günstiges Urteil gefällt.*) Er legte seine Ansichten

»J Dowsoa, J, Erasmus Darwin, Philosopher, Poe< and Physician. Zondon 186t. -Vg.. auch das eiugangs erwähnte Werk über E. Darnin 81199.

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ûber den tierischnn und menschlichen Korper und seine Behandlung in krankhaften Zuständen in einem grösseren Werke dar, an welchem er seit 1771 arbeitete, und welches 1794-96 erschien-); wir kônnen daraus ersehen, dass er in mehr aïs einer Beziehung den Anton seiner Zeit voraus war nnd die Ansichten neuerer Arzte nber verschiedene Krankheiten vorausgenommen hat. Namentlich legte er einen grossen Wert auf die psychologische Behandlung der Kranken, und seine Darlegungen über die Behandlung von Geisteskrankheiten sind erst in neuerrr Zeit zur vollkommen Anerkennung gelang.. Man sagte ibm nach, dass er mit seinen Kranken Experimente anstelle, um seine Spekulationen über die Natur der Krankheit zu erhärten; aber obwohl er in Wahrheit ein spekulativer Arzt war und die Bedeutung des Experimentes voll er kannte, schâtzee er den Wert des MeLchenleix^s Xlt hoch um es ev. einer Théorie zu opfern. In der That wird er von andern Seiten aïs hôchst vorsichtig und fast zaghatt am Krankenbette geschürt, sobald es galt, die bisherige Behandlungsweise durch eine nue zu ersetzen. „Es mag Erstaunen erregen," sagt Dr. Dowson, "d« ein so kühner Theoreüker so misstrauisch gegen Neuerungen m der Prax,s sein konnte. Wir dûrfen annehmen, dass er das menschliche Leben fur ein zu heiliges Ding hielt, um der Behand-ung unterworfen zu werden, die seine eigenen Hypothesen forderten; wenn dies der Grund war, so macht ihm seine Zurùckhaltang Ehre, aber vielleicht trieb er seine Vorsicht zu weit, denn ohne Neuerung kann es keine Verbesserung geben, und ebenso ernsthafte Irr umer, wie aus Hypothesen, sind in der medizinischen *wu« aus falsch verstandenen Erfahrungen hervorgegangen. Dies

ÄÄ* Ä.™ es wil1'iedenMls batte - *«

Soviel wir aus seinen Schriften selbst ersehen kônnen, war er allem ein Vorkâmpfer jener modernnn Schule, welche die Verhütung von Krankheiten für ebenso wichtig hält, aïs

inHd!Ui:g' wemi.-sie au5eb™^» sind. Unausgesetzt predigte

er eir

Unausgesetzt predige

eine naturgemässe Lebensweise, indem er gesunde Er-

^7lkZrS07?-J** ^ ^ reinem TrißlWaSSer' Segnete Iile.dung, fortwahrende Lufterneuerung in den Wohnungen

■ia or th* Lows of O,

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und Entfernung der Friedhôfe von denselben, Leibesübuugen, Abhârtung und Reinhalten der Haut durch Baden und Schwimmen, sowie moglichste Enthaltung vom Genusse geistiger Getrânke zum Mitteipunkt seiner hygienischeu Vorschriften machte, In letztorer Beziehung hat er einen bedeutenden Einfluss auf seine Landsleute und Zeitgenossen geûbt, was damais in England nicht weniger wertvoll war, a]s es die gleichen Bestrebungen noch heute für alle Vôlker germanischer Abstammung sind. Ebenso gehôrte sein Herz allen Versuphen, das Loos der armen und leidenden Menschheit zu verbessern. Er kämpfte nicht nur für die Errichtung öffentlicher Erankenhäuser, sondern schleuderte auch wucbtige Ermahnungen gegen das Parlamen,, welches die Sklaverei in den englischen Kolonieen weiter duldete; in begeisterten Versen pries er John Howard, der seine Lebensaufgabe darin gefunden, das ehemals schreckliche Loos der armen Gefangenen zu mildern und jauchzte selbst - was ihm vou seinen Landsleuten sehr ûbel vermerkt wurde, - den ersten Anfângen der franzôsischen Révolution entgegen, von der er mit Sicherheit eine Verbesserung des Looses der Menschheit erwartete.

Obwohl Erasmus Darwin zu den berûhmtesten Ârxten seiner Zeit gezähit wurde, erwarb er sich bei seinen Zeitgenossen fast noch einen grösseren Ruf aïs Dichter. Em kleiner botanischer Garten, den er sich in der Nahe von Lichfield angelegt hatte, gab ihm Veranlassung, seine aus früher Jugend stammenden poetischen Neigungen einer hôhern Aufgabe zuzulenken, indem er in einem grôsseren Lehrgedichte zuerst das Pfaanzenlnben*) und dann in einem zweiten, erst nach seinem Tode im Drucke erschienenen Werke-), das gesamte Nauurlenen besang. Diese Lehrgedichte, denen sich in der gesamten poetischen Literatur aller Zeiten fast nur das Lehrgedicht des Lucrez .von der Natur der Dinge'" an die Seite stellen lâsst, fanden zuerst einen ausserordentlichen Beifall, so dass von dem "botanischen Garten" schnell mehrere Auflagen notig wurden, begegneten jedoch bald darauf einer ebenso ùbertriebenen Geringschätzung, infolge welcher der Dichterruhm

") T/ie Bo<anic Garden. Der zweite Teil, unter dem Titel The. Loues of the Plants, erschien zuerst, im Jahre 1788, dann, zugleich mit einer neuen Auflage desselben, der erste Teil: The Eco~omy oy Vegetation (London 1790.) **) The Temple of Nature or the Origin of Society. Londo7 i80S.

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Darwins ebenso schnell erblich, aïs er emporgeflammt war. Von einer satirsschnn Parodee auf sein Erstlingswerk „The loves of the Triangels", welche Canning, derHerausgebes des „AntiJakobiner" gegen Darwin, wegen seiner Parteinahee fur die französische Revolution, richtete, beginnt die Abnahme seines Dichterruhmes.

Mag man es nun auch für verfehtt erachten, ins einzelne gehende wissenschaftliche Schilderungen und sogar neue philosophische Ansichten in ein poetischss Gewand zu hüllen, so wird doch selbst heute niemand, der dièse Gedichee liest, dem Dichter eine kûhne Phantasie, die sich in farbenprächtigen Bildern ergeh,, ~nd eine wunderbar anschauUiche; Darstellung absprechen könnn.. Der Geschmack an dieser Mischung von Poesie und Wissenschaft erlosch indessen um so schneller, ais man wohl die formvollendete Sprache dieser Dichtungen, nber nicbt die Tragweite der Ideen z" sch&txen wusste. die in diesen Gedichten niedergelegt waren. Englische Krttiker charakterisierten spàter in geringschätzigem Sinne die malende Poesie a!s „Darwinismus."

So geschah es, dass mit der poetischnn Gattung auch der Jnhatt und die ûbrigen Schrifeen Darwins in Misskredtt und Vergessenhett gerieten, nnd bezeichnender Weise biieb es einem Anslander, nämlich dem Schreiber dieser Zeilen, vorbehalten, za xeigen, dass in diesen philosophischen Schrfften poetischrr und prosa,schrr Form doch ein bedeutender Gehatt verborgen ist, nämlich die erste, konsequent durchgeführte Darstellung der heuee dnrch die Verdienste des Enkels zu su grossem Ansehen gelangten Descendenztheorie. Bekanntlich ging die allgomeine Ansicht dahin, dass Jenn Lamarck (1744-1829) in verschiedenen, erst in unsenn Jahrhundert erschienenen Mchriften, namentlich in seiner Philosoph zoologique (1809) die Descendenztheorie wissenschaftlich begründtt habe; aber ich glaube in meinem oben angefûhrten Buche gezeigt zu haben, dass Erasmus Darwin schon zwanzig Jahee vorher das Problem in viel grösserer Allgemeinheit erfasst und nach viel mehr Seiten diskutiert hat, wenn er auch nicht die eindringenden zoologisehen Kenntnisse Lamarcks besas.. Man kann von Erasmus Darwin sagen, dass er die verschiedenen Discmlinen der Naturwissenschaften in ihrem damaligen Zustande vollkommen beherrschte. Er war in der Chemte ebenso bewandert, wie in der Mechanik und Physik; die Astronomee und

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des Lieschen Fundamentalwerkes beschäftigte. So iiess er fach seiner Zoononüa spâter eine Phytologia*) folgen, in welcher er die Wissenschaft vom Feld- und Gartenbau auf physiologischen Grundsâtzen zu begrûnden sucht. Dieser Vielseitigkeit seiner KenntDisse entsprach ein anregender Verkehr mit einer grossen Anzahl von berühmten Gelehrten seiner Zeit. Zu seinem Freundeskreise gehorten Watt und Boulton, die Bezwinger der Dampfkraft welcher Darwnn die grosse Rolle prophezeit! die sie elt viel spâter zu spielen begann; mit dem letztgenannten schloss er einst einen Kontrakt, in welchem er sich verpflichtete, eine Sprachmacchine zu bauen. Er korrespondierte mit Hutton, dem Vater der Geologie" sowie mit Roussea, Mit EdgevJorth, dem Schnfts eller und Vater der bekannten gleichnamigen Schrift-stellem, schloss er eine Freundschatt furs Leben, und diejenige mit Josiah Wedgewood, demErfinder des nach ihm benannten Steinzeugs, wurde später wiederholt durch Verschwâgerung der beiderseitigen Familien erneuert. Alle dièse Personen und zahlreiche andere fühlten sich ebensowohl durch seine überall hervorleuchtende Herzensgüte, .wie durch sein Wissen und seine gesellschaftlichen Talente angezogen. ObwohI er stotterte, wird behauptet, dass ihn nicht leicht jemand an Unterhaltung - und Dar-jWlungsgabe, sowie an Scblagfertigkeit des Witzess ûbertroffen

" "An dieser Stelle interessiert uns natürlich am meisten die auffallende Pbereinstimmung mit seinem Enkel, sowohl in der Vielseitigkeit der naturhistorischen Studien im allgemeinen, aïs - auch hinsichtlich der besonderen Liebhabereien und der durchdringenden Art, die Naturerscheinungen aufzufassen. Fast jedem einzelnen Werke des Enkels lâsst sich wenigstens ein Kapitel in den Werken des Grossvaters gegenùberstellen; die Râtsel der

brS'eder ^T"* T Schut^rb-^ ™d Zeichnungen bei Pflanzen und Tieren' der geschlechtlichen Zuchtwahl, der

*) Phy<ologia or the Philosophy of Agriculture <nd Gardening. London 1800.

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^insektenfressenden Pflanzen, alles dies finden wir bereiss in den 'Werken des Grossvaters diskutiert, und ebenso widmeee er der Zergliederung der Gemütsbewegungen und gesellschaftlichen Triebe, sowie der geistigen Entwicklung bei Sâuglingen seine Aufmerksamkeit. Wir behaleen uns vor, in einem folgenden Kapitel dieses Bucbes seine Ansicheen etwas ausführlicher darzulegen, und begnügen uns hier zu sagen, dass seine naturphilosophischen Ansichten bei seinen Zeitgenossen so wenig Beifall fanden, dass man , sie für puetische Träume eines begabten Dichters und tüchtigen ' Arztes ansah. Es ist ihm in dieser Beziehung ganz ahnlich wie LGothé ergangen, in dessen naturwissenschaftlichen Seherblicken ~die fachgelehrten Zeitgenossen ebenfalss nichts aïs die traurigen Folgen des Dilettantismus erblicken woltten. Was Göthe I anbetrifft, der seme Gedanken ûber die Verânderungen der Lebewesen nur aphoristisch ausserte, ist dies übrigens weniger zu ver-w wundern, aïs hinsichtlich Erasmus Darwi,s, der thatsächlich das I erste, konsequent durchdachte System der Descendenz-Theörie auf-I gestellt hat, und man kann zur Erklärung nur sagen, dass die Zeit für eine solche rein philosophische Auflassung der lebenden I Natur damals noch nicht gpkommen war. So erscheint uns Era*. | mus Darwin unter den Naturforschern, wie der Moses, der das Land seiner Sehnsucht von ferne sah, ohne es betreten zu konnen, wie ein Prophe,, der den wahren Zusammenhang ahnte, ohne ihn doch klar begrundnn zu können. Nachdem er wegen seiner für die Zeitgenoseen extravaganten Ideeu von ibnen und späteren Kritikern so munchcn unverdienten Spott erduldet hat, kônnen wir die vprschiedenen Irrtümer, die sich auch in seine Ideenwett einschlichen, um so eher hier auf sich beruhen l~ssen und es als eine gluckliche Fûgung des Schicksass anerkennen, dass es einem seiner Enkel beschieden gewesen, sein geistiges Erbe anzutreten und die Naturforscher in das Land der Erkenntnis zu führen.

Erasmus Dawwin war xweimat vermählt. Schon im ersten Jahee nach seiner Niederlassung zu Lichfield führte er im Dexember 1757 Mary Howard im Alter von 18-99 Jahren aïs Gattin heim. Sie wird uns aïs liebenswürdig und geistig bedeutedd geschiider., starb aber nach dreixehnjähriger, hôchst glùcklicher Ehe im Jahee 1770. Von den Sohuen, die sie ihm geboren, mussee Erasmss einige schon in ibrer frühen Jugend Yeriieren: den grössten

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Schmerz aber bereitete ihm der Tod seines âltesten Sohnes Charles, « der aïs vielversprechender junger Arzt ,tarb, nachdem erberiits , Proben eines ungewöhniichen Talents abgelegt und für eine ex- $_ perimentelle Arbeit über Schleim und Eiter die goldne Medaille § der Aesculapian Society erhalten hatte, Elf Jahre nach dem I Tode seiner ersten Frau (1781) hatte sioh E. Darwin mit der schô- * nen Wittwe des Oberst Chandos Poee in Radburn-Hall vermählt <_ und siedelte einige Jahre darauf nach Derby über, woselbst er auf seinem in der Nâhe belegenen Landhause Breadsall Priory am 18. April 1802 starb. Da auch sein zweiter Sohn, Erasm,s, welcher Rechtsanwalt geworden war, schon bei seinen Lebzeiten (1799) in einem Anfalle von Schwermut sein Leben geendet hatte, so überlebte ihn von seinen Kindern erster Ehe nur der dritte Sohn Robert Waring, derVater von Charess Darwin, welcher " sich ebenfalls dem ärztlichen Berufe gewidmet hatte. Wâhrend wir in Bezug auf die mancherlei Erlebnisse, Charakterzüge und -" Briefe, welche Charles Darwin ùber seinen Grossvater veröffentlichte, aufdas am Eingange erwâhnte Buch verweisenmussen, wollen wir dasjenige, was er über seinen Vater mitgeteilt hat, hier wort- '-lich wiedergeben:

„Mein Vater (geb. 1766)", sagt er*), "erbte nicht die Anlage ~ (des Grossvaters) fur Poesie und mechanische Fertigkeiten, noch _ besass er, wie ich glaube, einen besonders wissenscbaftiichen Sinn. -Er yeröffentlichte im 76. Bande der Philosophical Tramsactions eine Schrift über Gesichtsspektren, die Wheatstone eine bemerkenswerte Arbeit für jene Zeit nennt; ich glaube aber, das er dabei in umfassendem Maasse die Beihùlfe seines Vaters genoss.**) Er wurde 1788 zum Mitgliede der Royal ■ Society erwâhit. Ich kann nicht sagen, warum mir moines Vaters Beanlagung nicht recht geeignet für die Befôrderung der Wissenschaft erschien; denn er war sehr eingenommen für Theoretisieren und unbedingt der sohârfste " Beobachter, den ich jemals kennen gelernt habe. Seine Fâhigkeiten in dieser Richtung wurden jedoch gânziich von der medizinischen Praxis der Beobachtung menschlicher Charaktere in Be-

*) A. a. 0. S. 48-50.

**) Göthe hat auf diese Arbeit in seinen Werken (S. 404-406 des 89. Bandes der Ausgabe von 1840) besonders hingewiesen.

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schlag genommen. Er erkannte instinktiv Anlagen und Charakter eines Menschen und erriet sogar die Gedanken derer, mit welchen er in Beziehung kam, oft mit einer erstauniichen Scharfe.

"Diese Geschicklichkeit erklârt zum Teil seinen grossen Erfolg aïs Arzt, denn sie erwarb ihm das Vertrauen seiner Patienten, und mein Vaterpûlegte zu sagen, dass die Kunst, Vertrauen zu erwecken, in erster Linie den öffentlichen Erfolg des Arztes sichere.

„Erasmus brachte ihn nach Shrewsbury, noch ehe er 21 Jahre alt war, und nberliess ihm 20 £ mit den Worten: ,Lass mich wissen, wenn du mehr brauchst," ich werde es dir schicken.' Sein Oheim, der Ffarrer Ton Elston, sandte darauf ebenfalls 20 rf, und dies war die einzige pekuniâre Aushülfe, die er jemals empfing. Ich habe sagen horen, dass ihm seine Praxis im ersten Jahre gestattete, zwei Pferde und einen Diener zu halten. Erasmus erzâhite Herrn Edgeworth. dass sein Sohn Robert nach sechsmonatlichem Aufenthalt in Shrewsbury ,bereits zwischen vierzig und fünfzig Patienten batte.' Mit dem zweiten Jahre erhielt er eine ganz betrachtliche und später eine sehr bedeutende Praxis. Sein Erfolg war nm so merkwürdiger, aïs er eine zeitlang seinen Beruf verabscheute und erklärte, dass wenn er die sichere Aussicht hätte, 100 M auf einem andern Wege zu erwerben, er niemals ais Arzt praktiziert hätte.

„Er hatte ein aussergewôhniiches Gedâchtnis fur das Datum gewisser Ereignisse, so dass er den Tag der Geburt, der Verheiratung und des Todes der meisten Herren von Shropshire kannte. Anstatt dass diese Fâhigkeit ihn jedoch erfreut hätte, bereitete sie ihm nur Verdruss, denn er sagte mir, dass sein Gedâchtnis fur Daten ihm stets alle sorgenvollen Vorfälle zuruckrufe und soz. B. seinen Schmerz um alte verstorbene Freunde stets wach erhalte. Er batte einen lebhaften Geist und war ein grosser Redner. Von Natur war er sehr gefühlvoll, so dass alles, was ihn verdross oder schmerzte, ihm ausserordentlich nahe ging. Auch wurde er leicht aufgebracht. Eine seiner goldenen Regein war die, niemals ein Freund irgend jemandes zu werden, den er nicht durchaus achten gelernt, und soviel ich weiss, bat er auch stets danaoh gehandelt. Von ail seinen Charaktersciten war die hervorstechendste sein Mitgefühl, und ich glaube, dass das es war, was ihn zuweilen gegen seinen Beruf einnabm, da dieser ihm fortwährend Leiden vor

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Augen brachte. Sympathie fur die Freude anderer ist weit seltener ats die mit ihren Schmerzen, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass andern Freude zu bereiten, die grôsste Freude f&r meinen Vater war. Er starb am 13. November 1849. Ein kurzer Lebensabriss von ihm erschien in den Schriften der Royal Society» Wir haben diese Charakteristik wortiich wiedergegebén, weil sich, wie wir alsbald sehen werden, eine entscheidend gewordene Eigentümlichkeit in dem Charakter des grossen Naturforschess als Erbschaft von seinem Vater zu erklâren scheint. Seine Mutter war eine Tochter von Josiah Wedgewood, dem Begrûnder der grossartigen Thonwaren-Industrie zu Etmria (Staffordshire) und mit welchem, wie wir oben erfahren haben, schon sein Grossv&ter innig befreundet gewesen war.

IL Studïenjahre.

Charles Robett Darwnn ist am Sonntag den 12. Februar 1809 zu Shrewsbury geboren und kann somit zur Unterstützung der Volksmeinung-, dass Sonntagskinder hellsichtiger werden sollen, aïs in der Woche geborene Menschenkinder, aagef&hrt werden. Er empfing den ersten Unterricht in seiner Vaterstad,, wo er sieben Jahre lang (bis 1825) die von Dr. Butler, dem spätem Bischof von Lichfield, geleitete Schule besuchte. Aus seiner Jugpnd wissen wir nur, dass er nach seinem eigenen Bericht fruh ein difriger Sammler von allen moglichen Naturgegenstânden und ein leidenschaftlicher Jagdiiebhaber wurde. Viel in der freien Natur umherschweifend und vor keinen Strapazen zuruckschreckend, erfreute er sich damais einer ausgezeichneten Gesundheit und einer nicht gewohniichen Korperkraft. In der Absicht, hinsichtiich seines Lebensberufes in die Fusstapfen des Vaters zu treten, begab er sich im Alter von 16 Jahren nach Edinburg, welches damais in dem Rufe stand, die beste Schule fur Mediziner zu sein. Allein die naturwissenschuftiichen Vorlesungen, die er daselbst horte, diinkten ihm über die Massen trocken, und um ihm die ärztiiche Laufbahn vollig zn verleiden, gesellte sich dazu eine unuberwindtiche Abneigung

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Jgegen das Studium der Anatomie, für welches sonst in Edinbugg f gate Gelegenheit geboten war. Die Leichensektionen stiessen ihn 1 dermalen ab, dass er die anatomischen Vorlesungen nur zwei-bis 1 dreimal besuchee und schnell zu der Überzeugung kam, dass or fnoch weniger zum Arzte geboren sei, a]s sein Vate,, von dessen I fur einen Arzt ziemlich unbequemem Mitgefühl wir eben gehört 1 haben. Indessen setzte er das Sammeln von Naturgegenständen, I welches jedenfalls dazn beigetragen bat, seinen Blick zu schärfen, 1 fort und zog auch insofern einigen Yorteil von seinem Aufent-J halte in Edinburg, aïs ihm Robert Edmund Gratt - der spätere I Londoner Professor der Zoologie - welcher sich damass mit der Entwicklungsgeschichte der Mollusknn beschäftigte, in der Beobachtuug und Untersuchung von Seetiernn einige Anleitung gab. I Darwin machee damals, wie wir weiter nnten aus seinen eigenen 9 Mitteilungen erfahren werden, seine erste naturwissenschaftliche Entdeckung, die ihm sicherlich xu einem Sporn für weiteres Arbeiten geworden ist. f         Da or sich nunmehr entschedden batte, nicht Arzt werden zu

wollen, vertauschte er ein paar Jahee spâter (1828) die Universität Edinburg mit dem ChristCCollege zu Cambridee und zwar in der anfânglichnn Absich,, Theologie zu studieren. Glückiicherweise fand er daselbst einen Lehre,, der es verstan,, die in ihm schlummernde Neigung für das Studium der Natur zu wecken und ihn auf die rich-t tigen Wege zn hringen. Es war dies der Professor Henolo w, welcher gerade damais den Lehrstuhl der Mineralogee mit dem Lehrstuhl der Botanik vertauscht hatte. Darwin pflegee zu sagen, dass erst auf den gemeinschaftlichen Exkursionen mit diesem ausgezeichneten Lehrer seine Neigung zum Naturstudium wirklich begonnnn habe, denn vorher habe von allen Naturdingen seine wahre Liebe doch nur den Fûchsen und Rebhühnern gegolten. Auch der Lehrer scheint den Wert des Jünglings, der sich ihm mit aller Begeisterung der Jugend anschlos,, sogleich erkannt zu haben und bald bildete sich ein enges Freundschaftsband zwischen Lehrer und Schüler, welches erst mit dem Tode des ersteren gelöst werden konnte. Darwin hôrte niemass auf, seiner Dankbarkeit und Verehrung für Prof. Hen slow immer erneueen Ausdrukk zu geben, und wir wollen hier einen Brief Darwin,, welchen Rev. L. Jenyns in seinem „Memoir of the late Pro/. IJeMslow" mitgeteilt hat, wieder-

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geben*,, weil er ebensowohl zur Charakteristik Darwins selbst, wie des Mannes, der auf ihn den grössten Einfluss geübt, dien.. :

„Ich kam fruh im Jahre 1828", schreibt Darwin „nach Cambridge?' und wurde durch einige meiuer Gefährten im Insektensamme!n bald, mitProf. Henslow behannt, denn alle, die sich um irgend eineuZweig der Naturwissenschatt kummerten, wurdon von ihm in gleicher Weise aufgemuntert. Nichts konnte einfacher herzlicher und bescheideuer ,

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ich darnber nacbdcnkem wie unmittelbar wir uns in vollkommner Yer-^

Abwesenheit von allem Se!bstbewußtsein in ihm. Wir bemerkten sofort,; dass er niemals an sein eignes mannigfaltiges Wissen oder kiares Ver., stândnis dachte, sondern einzig an den Gegenstand in der Hand. Ein ' andrer Zanber,' welcher jede,, einnehmen musste, bestand darin, dass . sein Benehmen gegen eine vornehme Person genau das namliche, wie gegen den jungsten Studenten war: gegen alle dieselbe gewinnende Höflichkeit. Er konnte mit Interesse die geringste treifende Beobachtung in irgend einem Zweige der Natnrwissenschaft entgegennehme), und ein Fehlschluss, den man gemacht batte, mocbte nuch so absurd sein, er legte ihn so klar und freundlich dar, dass man ihn in keiner Weise entmutigt verliess, sondern sich blos vornahm, das nacbsten«! sorgfaltiger vorzugeben. Somit konnte kein Mann besser geeignet sein, das ganze Zutrauei der Anfanger zn gewinnen und sie in ibrom Streben ,

ZU ™End 'der'Jahre, in denen ich so viel mit Professor Hen, low in Vorbindung stand, sab ich niemals seine Gemütsstimmung auch nur in Erregung. Er nahm niemals eine schlecht geartete Ansicht ûber irgend jemandes Charakter an, obwohl er sehr weit davon entfernt war, gegen die Schwachen der andern blind zu sein. Es machte mir stet den Eindruck, dass sein Gemüt nicht wohl durch irgend eine armselige Regung v'on Neid, Eitelkeit oder Eifersucht berührt werden könnte. Bei aller dieser Gieicbmassigkeit der Stimmung und merk-wurdigem Wohiwollen war indessen keine Charakterschwäche vorhanden Ein Mensch musste blind gewesen sein, um nicht wahrzunehmen, da<s

*) Nach.der englischen Zeitschrift „Natur*' Nr. 655. (1882),

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T                                           - 15 -

§,mter diesem sanften Aussera ein kräftiger und eutscbiedener Wille stand. «Wenn ein Priuzip ins Spiel kam, würde keiue Macht der Erde ihu um

ieTne" iares Breite zum Wanken gebracht hahen......

1 „In seixemGeiste dienen mir, soweit ich urteilen kann genaues

IS» kleinen Bcobachtungen Schlüsse zu ziehen. Aber seine bewuud-liungswürdige Abhandlung uber die Geologie vou Anglesea zeigt seme

Jeä s saas res1r .ääss ä

!d n e, gewinnen seine moralischeu Eigenschaften, wie es in deu höcbsten ICharaktereu stets der Fall sein sollte, über sein geistiges Vermôgen fden Vorrang."

1 Dièses Urtell des Schülers ubcr seinen Lehrer zeigt uns, ohne Ides geringsten Kommentars zu bedürfen, einen wie grossen Ein-Ifluss das Beispiel des letzteren auf Denkweise und Gemüt des * ersteren gewonneH batte. Henslow unterstztete ihn nicht nur in seinen, mit Vorliebe der lehendigen Welt gewidmeten Studien, eondern er wies ihn auch mit Nachdruck auf die Betrachtung der Vergangenheit, auf dus Studium der Géologie hin, welches ihm mangels eiuer lebendigen Anregung in Edinbugg höchst langweilig erschienen war.

Wic es wuhl allen angehenden Naturforschern in solchem Alter geht, gcwannen damals in den Gedanken Darwins Träume von weiten Reisen uud Entdeckungen in der üppigen Natur der Tropen die Ob).rh.and; er !as dieWerke Humboldts und anderer reisen-| den Naiurforscher mit Begeisterung und suchte unter seinen Studien-Ä genosseu fur eine Gesellschaftsreise nach den kanarischen Inseln auf gemeinschaftliche Kosten Tcilnehmer zu werben. Es wâre wohl bei diesen Wünschun geblieben, wenn sich nicht, wie gerufen, damass eine passende Gelegenheit geboten hätte, eiue solche Reise in viel grôsserem Mussstabe anszuführen, aïs er irgend gehofft hatte.

Auf einer der gemeinschaftlichen Exkursionen (Herbtt 1831) teilte Henslow seinem Lieblingsschüler mit, dass Profesorr Pe-cock bei ihm angefragt habe, ob er einen jungen Naturforscher vorschlagen könne, welcher geeignet und bereit ware, den Kapitän Eizz Roy auf einer von der englischnn Regierung ausgerüsteten Expedition, welche in erster Linie geographischen Aufnahmen gewidmet sein sollte, zu begleiten. Dem im Jahee vorher von einer ahnlichen Expedition (1826-30) heimgekehrten Kapitän war die

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TJnentbehrlichkeit eines Naturforschers fur eine solche dabei k!ar geworden. Dreierlei Schwierigkeiten standen der von Darwin natülich mit Begeisterung aufgenommenen Idee im Wege. Der Vater gab seine Einwilligung nur mit Widerstreben, denn er befürchte,e, und wie die Zukunft gelehtt hat, auch mit gutem Grunde, dass die lange Seereise nicht dazu beitragen werde, seinen Sohn, der, wie wir gesehen haben, schon einmal seinen Lebensberuf gewechselt hatte, dem nouerwählten der Theologie anhanglicher zu machen. Zweitens waren die Bedingungen nicht allzugünstig, da der Biologe der aus Mathematikern, Astronomnn und Geographnn bestehenden Expedition hauptsâchHich nur auf Wuncch des Kapitans, der seine Kabine mit ihm teilen wollte, beigegeben werden sollte. Auch konnte der zweiundzwanzigjäbrige Bewerber ausser den Empfehlungen Henolows kaum besondeee Stützen fur seine Bewerbung aufführen. Da er indessen auf jedes Gehatt verzichtete und nur verlangte, dass die naturhistorischen Sammlungen, die er zusammnn bringen würde, ihm gehören sollten, so gelang es den Bemühungen des Kapitän Beaufort, von der Admiralität die EinwilliguDg zu erlangen. Was ihm aber mehr aïs alles andere Sorge machte, war der gänzliche Mangel an Vorbereitung für eine solche Forschungsreise. Über den Zustand seines Wissens vor der Reise hat Darwin in einein an den berühmten Physiologen W. Prever in Jena gerichteten Briefe einen so eingehenden und für seinen Charakter so bezeichnenden Bericht erstatt,t, dass wir nichss besseres thun können, aïs diesen Brief an dieser Stelle einzuschieben. Preyer, der damals bereits seit Jahren, mit Darwin in Briefwechsel stand, hatee ihm mehreee seiner physiologischen Arbeiten gesandt und ibn zugleich gebeten, doch über seinen Bildungsgagg alles niederzuschreiben, dessen er sich entsinnen könne. Darauf antwortete Darwin, in einem vom 17. Februrr 1870 datierten Briefe, dessen Eingang spâter mitzuteilen sein wird, folgendes:

"Ich habe wirkiich nichts von Interesee über mich selbst, aber da Sie es wünschen, will ich hinhritzeln, was mir irgend einfällt. Ich zog keinen Vorteil von den Vorlesungen zu Edinburg, denn sie waren un-

Seetieren, aber icb that dies einzig zn meinem Vergnügen. Ich g)aube,

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J» ich damais der erste war, der überhaupt das fruheste, bewegliche, ^ähntiche Stadium eines Bryoxofiu sah; ich zeigte es Grant, der es !| ~iner Sitzung der Wsrnerian - Natural - History - Society mitteittef

tin hochst enthusiastischer Kafersammier, aber wiederum nur zum Verzügen. Wcnn mir jemand den Kameu eiues Kafers uannte, so dachte Ih, ich wüsste alles, was man nur wUnscben könnte und ich glaube, das, ich damals nie auch nur die Mundteile eines Insekts betrachte Jbafae! Doch beim Samme)n arbeitete ich wie ein Sklave. Henstows Jimgang war eioe Wohlthat und von grossem Reize für mich und ich hatte grosse Vortiebe für seine botanischen Vorlesungen. Mein ganzes Rubeses Leben hindurch war ich ein rasender Sammler; Mineraiien, Mollusken, Pflanzen, Tierbälge, alle baben damals ihre Zeit gehabt. -Segen das Ende meines Cambridger Lebens uberredete mich Ilenstow, 'fct der Geologie anzufangen. Ich war stets geneigt, die Gewohnheiten M Vôget zu beobachten und Whites Natural Hütary of Selborne batte .Jamals viel Einfluss auf mein Sinnen. Aber unter allen Büchern waren A Humboldts Rei~en, die bei weitem den grössteu Einfiuss ubten. -.Ich las grosse Abschnitte immer und immer wieder. Ich batte naheza Jiue Reisegesellschaft zustande gebrach,, um nach den Canariscben Inseln zu gehen, ats mir das Anerbieten gemacht und freudig angekommen wurde, mich dor Expedition des \agk« anzuschliessen Ich tetmute jedoch, dass niemals jemand schiechfer vorbereitet atlfbrach, Als ich es war, denn ich war nichts als ein blosser Samm)er. Ich ver^ Aland nichts von Anatomie und hatte niemals ein systematisches Werk ftbor Zoologie ge)esen. - Ich batte niemals ein zusammengesetztes Jjl.kroskop angerühr. und mit der Geologie hatte ich erst vor ungefahr ||eehs Monaten begonnen. Aber ich nahm eine reichliche Anzahl von «Suchern mit und arbeitete am Bord des Schiffes so viel ich konnte, |und zeichnete alle Arten niederer Seetiere ab. Ich empfand damal jfuicl.terlich den Mange! an Ûbung und Kenntnis. Mein Unterricht ^education) begann in der That erst am Bord des Beagle. Meine Erinnerung sagt mir nichts, was strenggenommen a]s Unterricht bezeichnet zu werden verdiente, ausser einigen chemischen Experimenten, {welche ich a!s Schu)junge mit meinem Bruder anstellte. Ohne Zweifel (hatte mein umfaagreiches Sammeln iu jedem Zweig mein Beobachtung*

In einer andern, der nâmlichnn Bitte des Professor Prey er zu verdankenden Aufzeichnung, die mir von demselben eben-

Kraus6e Oh. Darw.n.                                                                          %

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falls freundiichst im Original mitgeteilt wurde, .bemerkt D.ariJ noch über-seine Jugendjahre: "Ich war ein eifriger Jagdiiebha|

und das machte mich sehr müssig (idle).....Ich arbeitete niemaj

frûher, bis ich mich dem „Beagk- anschloss, und dann arbeitete J von ganzem Herzen." Wir fürchten, dass es nicht viele berùh*| Golehrte geben wird, die in spâteren Jahren so offen und unH fangen von ihren lückenhaften Jugendstudeen erzählea wûr«M zumal wenn sie, wie es hier der Fall war, wissen, dass diese ft li teilungen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden sollen.               J

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III. Die ßeise um die Wel..              |

Am 27. Dezember 1831 trat Darwin jene nahezu fünfjahr, > Reise um die Welt an, welche seinen Geist für eine neue Ai fassung der lebenden Natur befruchtete. Die von dem Kapifc ' Robert Piz» Roy (f 1865), dem spâteren Gouverneur von NeuseeIa! N und Begründer der jetzt zu so weiter Anwendung gekomme* ~ Wetter-Telegraphie, geleitete Expedition hatte die Aufgabe, 4 Küsten von Patagonien, Feuerland, Chile, Peru und einigen Insek , des stillen Oceans zut genauen Feststellung neu aufzunehmen u» '~ ausserdem eine grosse Anzahl von Längenbestimmuneen rings o. die Erde auszuführen. Wenn Kapitän Fizz Eoy *ich streng ai f diese Aufgabe gehalten hätte, so'würde das Schiff, eine BrJ von 10 Kanonen, welche vorbedeutend den Namen des ,,SpurfmderJ| (Beagle) trug, und dem ein zweites, unter demselben CommandJ stehendes Schiff „Adventure- beigegeben war, nirgends lange ve,| weilt und dem an Bord befindiichen jungen Naturforscher kam? Gelegenheit gegeben haben, so erfolgreiche Forschungen anzustellend wie es ihm vergonnt war. Denn damais besass man noch mcht J jene Vorrichtungen, deren sich die neueren Expeditionen erfreue,;t um auch auf der Fahrt selbst Tiere aller Meerestiefen an Bord u \ bringen. Auch würde der ununterbrochene Aufenthalt auf dem Schiffe für Darwin auf die Dauer unerträglich geworden sein, den» er litt während der ganzen fünf Jahre an immer von neuem «*,„ tretenden Anfâllen von Seekrankheit, die seiner ehemals so kraf-

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ten Natur dauerndnn Schaden zugefügt haben. Einer seiner damaligen Reisegefährten, der Admiral J. Lott Stokes, bat über B Schwere jener Heimsuchungen in einem vom 25. April 1882

fitierten Briefe an die „Times" Nachricht gegeben, woraus wir

|s Folgende entnehmen:

j| „. . . Vielleicht uiemand", schreibt der Admiral, ,kann besser als ilh von seinen ersten und höchst folgenreichen Arbeiten Zeugnis ab-iLn, Wir arbeiteten mehrere Jahre zusammen an demselben Tische, jf derselben Binterkabine des Beagle, wâhrend seiner beruhmten Reise

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seinem Mikroskope und ich an den Karten. Es trat oft eiu _ Pouches Ende der geringeu Kraft ein, zur schweren Betrubnis #ines alten Freundes, weicher stark an der Seekrankhett litt. Nach gleicht einer Stunde Arbeit musste er mir plötzlich sagen: "Alter fuge, ich muas wieder die Horizontale nebmeH", welche die beste "nderungslage bei der SchiffsbeweguHg ist. Einige Zeit hindurch aus-

.wer die schlimmen NachwirkuRgen der Beagle-Reise verspürte."

Ohne Zweifel hat auch die mageee Schiffskost dazu beigetragen, v vorher su kräftige Konstitution des jungnn Reisendnn zu schä-|gen. Dazu kam, dass er die Zeiten, die er am Festlande zubringnn " »nnte, nicht dazu anwendete, sich von den Strapazen zu erholen, indem sie zu oftmals sehr anstrengenden und Entbehrungen aufwenden Expeditionen in das Innere, Gebirgsbesteigungen u. s. w. »nute.e. Diese verdoppelten Angriffe auf seine Gesundheit warfen flh dann auch schliesslich in Valparaiso auf ein fûnfwôchentliches K~ankenlager, und vielleicht ist seine Genesung ausser den An-stiengungen des Schiffsarztes Dr. Bynee hauptsächlich dem UmStande zu danken, dass er in Valparaiso einen Schulkameraden Richard Gorfiel, antra,, in dessen Hause er eine sehr freundliche Aufnahme gefunden hatte. Allein die Nachwehnn dieser Schädlichsten sind ihm wahrend seines ganzen späteren Lebens fahlbar ~ewesen und haben ihn zu einem zurückgezogenen Lebenswandel «tnötigt, dem wir es freilich vielleicht mit zu danken haben, wenn der mit angegriffenen Körperkräften heimgekehrte Naturforscher nachmals in der Einsamkeit seines Landaufenthalts grössere Werke vollbracht hat, aïs er es gekonnt haben würde, wenn er sich in aas Geräusch des Lebens hätte zieben lassen.

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Im übrigen war die Expedition eine in jeder Beziehung glückliche, und ihre Erfolge übertrafen viele mit weit grôsseren Mitteln ausgerüstete. Darw.ns Beziehungen zu seinem Kapitân und den übrigen Fahrtgenossen waren jederzpit die angenehmsten. Kapitân Fitz Roy brachte den Arbeiten und Wünschen seines Naturforschers die grossten Sympathien entgegen und ermôglicbte ihm ôfter > ans Land zu gehen, wie er auch seinen weiteren Binnenlands-Expeditionen alle thuntiche Forderung zu teil werden Hess Uber den specielleren Vertauf der Reise, seine Eindrücke und Erlebnisse, Forschungen und Sammlungen wâhrend derselben, hat Darwin einen so fesselnden und für jedermann anziehenden Bericht aus seinen Tagebüchern veröffentticht*), dass es hochst überflüssig sein würde, wenn wir hier einen Auszug daraus einschalten ; wollten. Nur der allgemeinen Orientierung wegen mag erwâhnt wer- ^ den, dass die Expedition am 29. Febr. 1832 die Ostküste Südamerikas " erreichte und langer aïs zwei Jahre, mit ihren Arbeiten beschäftigt, % an derselben verweilte, so dass dem jungen Naturforscher reich- "} liche Gelegenheit zu Expeditionen in das Innere von Brasilien, \ Uruguay, La Plata und Patagonien gegeben war. Im Frûhjahr . 1834 wurde dann die Magelhaens-Strasse passiert, die schon im ' Jahre vorher gemachte Bekanntschaft mit den Feuerlândern er- „ neuert und am 22. Juli Valparaiso erreicht. An der Westküste V Südamerikas nahmen die geographischen Arbeiten wieder ein voiles l Jahr in Anspruch, wâhrend dessen Darwin die Küsteninseln sowie '; verschiedene Teile Chiles besuchte und am 20. Febr. 1835 zu * Valdivia ein starkes Erdbeben erlebte. Im Juli desselben Jahres :

verschiedenen Südsee-Inseln, Neuseeland und landete am 12. Januar 1836 in Sidney, um dann nach Umkreisung der Erde nochmals die * Ostküste Brasiliens zu berühren und am 2. Oktober desselben Jahres die englische Küste wieder zu erreichen. Statt eines aus- . führlichen Reiseberichtes durfte es von Interesse sein, hier Aus-züge aus einer Reihe von Briefen zu finden, welche Darwin unter

*) Reise eines Naturforschers um die Wet,, übersetzt von J. V. Car us. Erster Band der deutschen Ausgabe von Darwins „Gesammelten Werken" Stuttgart, E. Schweizerische Buchhandlung:.

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ßr

deem frischen Eindrucke des Erlebten an Professor Hen slow gerichtet ha..*)

Rio de Janeiro, 18. Mai 1832.

Wir verliessen Plymouth am 27. Dezember 1831. _ In St. Jago (Cap-Verde-lnseln) blieben wir drei Wuchen. Die Geologie war in hervorragendem Grade intéressant und ich glaube ganz neu; darunter einige Thatsachen von im weiteu Massstabe autsteigenden Kasten, die

Herrn Lyell interessieren würden.......St. Jago ist morkwürdig

dürr und bringt nur wenig Pflauzen und Insekten hervor, so dass mein

Hammer mein gewOhniicher Begleiter war........An der Küste

| 8ammelte icb viele Seetiere, hauptsachlich Gasteropoden (darunter, wie I ich glaube, einige neue). Ich untersuchte ziemtich genau eine Caryo-1 phyllia, und wenn meiueAugen nicht behext waren, so baben frühere Beschreibungen nicbt die leiseste Âhniichkett mit dem Tiere. Ich fing mehrere Exemplare eines Octopus, welcher eine wunderbare Fahigkeit besass, seine Färbungen zu wecbseln; er kam darin jedem beliebten Chamäleon gleich, indem er sich augenscheinlich deu Verändeaungen

der Farbe des Bodens, über den er sich biubewegte, aupasste.....wir

segelten alsdann nach Bahia und hielten am Felseiland von St. Paul

an. Dasselbe ist eiue Serpentin-Formation.....Nachdem wir noch

bei den Abrothos-Insetn angelegt, trafeu wir am 4. April hier ein.....

Einige Tage nach unsrer Ankunft brach ich zu einer Expedition von

St—-Ä =h £LX^ ^-ffit

sammela: wenn es wahr ist, was mir iu London erzählt wurde, dass namiich in den Sammlungen aus den Tropen keine kleinen Insekten vorhanden siud, so bitte ich die Entomotogen auf der Wacht zu sein und Ibre Federn zur Beschreibu~g bereit zu balten. Ich habe ebenso Meine (wenn nicht noch kleinere) Hydroporen, Hygroten, Hydrogen, Pselaphiden, Staphilinen, Curculioniden, Bembidien u. s.w. u s.w. wie in England gefangen. Es ist äusserst intéressan,, den Unterschied der Gattangen und Arten, von denen die ich kenne, zu beohachten, jedoch

ist derselbe viel geringer, ats ich erwartet batte.......Ich bin

soeben von einem Spazie)gang zuruckgekommen und nenne ais ein Beispiel, wie wenig die Insekten bekannt siud, (die Gattutg) Noterua, welche nach Die, Class. nur aus drei europaischen Arten besteht. Ich

*) Prof.Henslow teilte die hier benutztea Auszugeam J6.Novemberl835 in der Sitzung der Philosophische,n Gesellschatt zu Cambridge mit und liess sie spater for private äütrib^n an die Mitg)ieder drucken. Da bereits die

I Mitteiluagen noch einige weitere Kurzungeu vorzunehmen.

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meinesteils fing mit einem einzigen Zuge moines Netzes fünf ver-

schiedene Arten......Zu Bahia hatten der Pegmatit und Gnei88 J

in ihren Schichten dieselbe Richtung, welche von Humboldt in Co. » lumbt -? dreizehnhundett Meilen ,entfernt - a!s vorherrschend be- § obachtet worden war.                                                                          f

Monte Video, 15. August 1832. f

Meine Pflanzensammlung von den Abrolhos-Inseln ist interessan,/, da sie, wie ich vermute, nahezu die gesamte blütentragende Vegetation ,

enthalt......Zu Rio brachte ich eine ungeheure Sammlung von . -

Arachniden zusammen; auch viele kleine K&fer in Pillenschäehtelchen, >

daSen, ist die ausserordentlichste Erscheinung dieser Art, die ich 2 jemals gesehen habe. In derselben Gattung (oder richtiger Familie) .?* besitzen einige der marinen Arten eine so wunderbare Organisation, dass ich kaum meinen Augen trauen kann. Jedermann hat von den verschiedenfarbigen Streifen des Seewassers in den Aquator-Gegenden , gehort. Einer, den ich untersuchte, rührte von der Gegenwart so kleiner Oscil.atorien her, dass auf jeden Quadratzoll Oberfläcbe deren

wenigstens bunderttausend vorhanden waren......Ich wurde eine

weit grossere Zahl von wirbellosen Tieren sammeln, wenn ich mir wenige'r Zeit fur jedes einzelne nahme: aber ich bin zu dem Schlusse gekommen, dass zwei in ihren ursprlnglichen Farben und Gestalten aufge" "ebnete Tiere den Naturforschenn iwertvoller sein werden, aïs sechs derselben, die bloss mit Ort und Datum bezeichnet sind . . .

t^fStSSKhSsSal^ÄÄl^

Monte Video, 24. November 1832.

Wir kamen hier am U. Oktober an, nachdem wir zum ersten-

mal an der Küste von Patagonien, nôrdfich vom Rio Negro gekreuzt  |

hatten.......Ich batte zur Ebre der Dame Natur gehofft, dass  |

nirgends ein Land wie dieses zu finden sei; in der traurigen Wirklich-   %

keit führte unsere Küstenfahrt hundertundvierzig Meilen lang an Sand-   „

hügeln vorûber. Ich wusste bis dahin nicht, was fur ein schrecklich    , hässliches Ding so ein Sandhügel ist: das beruhmte Land des Rio

Plata ist meiner Meinung nicht viel besser; ein ungeheurer Strom mit    i

brackigem Wasser, von einer unubersehbaren grünen Ebene eingefasst,   4

reicht hin, einem Naturforscher Seufzer zu entlocken......               ;

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I Recht glücklich bin ich mit fossilen Knochen gewesen; ich besitz fßruchstücke von wenigstens sechs verschiedenen Tieren; da viele der-Iselben aus ZShnen bestehen, so hoffe ich, dass sie, nbwol zertrümmert land abgerollt, zu bestimmen sein werden. Ich habe, soviel ich dazu imstandt war, ihrer Fundstätee in geologischer Beziehung alle Auf-Imerksamkeit gewidmet, aber ein Bericht darüber würde für einen Brief f zu lang sein. 1) Die sehr vollst&ndig erhaltenen Fuss- und Mittelfuss-fknocheK einer Cavia. 2) Der Oberkiefer und Kopf eines sehr grossen »Tieres mit vier viereckigen,hohien Backenzähnen und stark nach vorn Vorgewölbtem Kopf. Zuerst dachte ich, es gehôre entweder zu Mega-ilmj* oder Megatterium. Zur Bestatigung dessen fand ich in derselben iFormation eine grosse Flächo mit den poiygonalen Knochenplatten, § welche nach „neueren Beobachtungen" (was sind das für welche?) zum iMegatheman geboren sollen. Unmittetbar, aïs ich sie sah, dachte ich, Ida« sie einem riesenhaften Armadill angehoren müssten, von welcher 1 Gattung lebende Arten hier so haufig sind. 3) Der Unterkiefer eines IgioDsen Tieres, welches ich nach den Backenzähnen zu den Edentaten I !echnen mochte. 4) Grosse Backenzähne, welche in mancher Bexiehung 1 eiuer riesenhaften Nager-Art anzugehôren scheinen. 5) Auch einige 1 kleinere, derselben Ordnung zugehorige Zahne, u. s. w. u. s. w. - Sie 1 siad mit See-MuscheIn vermengt, die mir mit jetzt lebenden Arten I identisch zu sein scheinen. Doch haben im Lande, seitdem sie in ihren

Herrn Mac Leass Einbildung erfandeinso zusammengeflicktes Geschôpf

menials.....Ich habe einige intéressante Amphibien gefangen, einen

schönen Bipes, einen neuen Trigonocephaly, der in seinen Gewohnheiten

» Crotalus und Viperus aufs schönste verbindet, und zahlreiche (so weit moine Kenntnis geht) neue Saurier. Fur eine kleine Krëte hoffe ich, dass sie ebenfalls neu sein wird, damit wir sie die „teuflische" (dia-boMcus) taufen kônnen. Milton muss auf dies Individuum angespielt

haben, wo er „p!att wie eine Krôte" sagt.......Unter den pela-

gischen Crustaceen einige neue merkwürdige Gattungen, und unter den Zoophyten ebenfalls einige interessante Tiere. Was z. B. eine Flustra betrifft, so w&rde niemand an ihren hôchst anomalen Bau glauben, wenn ich das Exemplar nicht zu meiner Unterstützung hätte. Doch alles das kommt an Neuheit nicht einer Familie von pelagischen Tieren gleich, welche beim ersten Anblick wie kleine Medusen erscheinen, aber

I in Wirkiichkeit hochorganisiert sind. Ich habe sie wiederholt unter-

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Wir waren eino Woche in Buenos Ayres. Es ist eine schone grosse Stadt, aber welch ein Land! Alles ist Morast; man kann nirgends hingehen, nichts unternehmeu wegen des Morastes. In der Stadt erhielt ich manche Auskunft Nber die Ufer des Uruguay. Ich hôre vou Kalkstein mit Schaltieren und Schaltierschicheen nach alten Richtungen.

.....leb kaufte Bruchstücke von einigen ungeheuer grossen Knochen,

von denen man versicherte, dass sie einstigen Riesen angehört hatten!!

11. April 1833.

Wir sind im Begriff, vou den Falklandsinseln zum Rio Negro (oder Colorado) zu segeln. . . . Seit mehrereu Monaten sind wir in keinem civilisierten Hafen gewesen-, fast dièse ganze Zeit wurde im südlichsten Tei!e vou Feuerland zugebracht. Es ist eiue abscheuliche Gegend; Stürme folgen auf Stürme in so kurzen Zwischenraume), dass es schwer ist, irgend etwas zu thun. Wir lagen einundzwanzig Tage vor Kap Horn und konnten schlechterdings nicht nach Westen gelangen, so dass wir schliesslich in den Hafen einliefen und in Booten die Westseite der Binnenkauäle gewannen. Mit zwei Booten legten wir ungefahr dreihundert Meilen zurOck, und auf diese Weise bekam ich herrliche Gelegenheit, geologische Beobachtungen zu machen und viel von den Wilden zu sehen. Die Feuerländrr sind in einem elenderen Zustande von Barbare,, a!s ich je ein menschliches Wesen F zu finden erwartet habe. Sie gehen in diesem unfreundiichen Lande l vollstândig nackt, und ihre temporaren Hauser gleichen denen, welche j.

Kinder im Sommer aus Baumzweigen errichten...... Das Klima 6

ist in manchen Beziehungen eine seltsame Mischung von Strenge und *■■ Milde. Hinsichtlich des Tierreichs herrscht der erstere Charakter vor, f ich habe deshalb méinen Sammlungen nicht viel hinzofugen konnen, t Die Geologie dieses Teils von Feuerland war mir sehr intéressan.. £ Das Land ist ohne Versteinerungen und besteht aus einer gewôhn- 1* lichen Aufeinanderfolge von granitischen und Schieferfelsen; Versucbe, F die Beziehungen der Neignngswinkel, Schichten u. s. w. u. s. w. fest- £

zustellen, bildeten mein Hauptvergnügen..... Der südliche Oceau <

ist fast so unfruchtba,, wie das Land, welches er bespült. Die Crusta- U

ceen haben mir am meisten Arbeit verschafft..... Ich fand eine !

Zoea von der sonderbarsten Form, da ihr K&rper nur den sechsten Teil von der Lange der beiden Scheren besass. Nach ihrem Bau | und audern Gründen bin ich Uberzeugt, dass es ein junger Erickthus \ ist. Ich muss des Baues eines Dekapoden erwahnen, der sehr ungewohniich ist: Die Beine seines letzten Paares sind klein und rucken- i standig, aber anstatt in eine Klaue zu endigen, wie bei allen ubrigen, \ haben sie drei gekrümmte, borstenariige Anhängse;; diese sind fein ge- j sägt und mit Napfchen besetzt, einigermassen denen von Cephalopoden ! ähniich. Da das Tier pelagisch ist, so befähigt diese sehöne Einrieb- ! tung dasselbe, sich an leichten schwimmenden Gegenstanden fest- j

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; zuhalten. Ich habe auch etwas aber die Fortpflanzung der zweifelhaften Gruppe der Mooskorallen ausfindig gemacht..... Nachdem

wir Feuertaud verlassen, segelten wir nach den Falklands-Inseh,.....

Hier hatte ich das ganz besondere Glück unter den hochst primitiv aussehenden Felsen eine Scbicht von glimmerführendem Sandstein zu finden, der voll von Terebratula und ihren Untergattungen, sowie vou Entrechte war. Da dies eiue von Europa soweit en~fernte Ortlichkeit ist, so denke ich, dass die Vergleichung dieser Eindrucke mit denjenigen der ältesten fossilienführenden Schichten Europas vou hervorragendem Interesse sein wird. Natürlich sind es bloss Abgüsse und Abdrücke, aber viele derselben sind sehr \ollständig.

|                                                  Rio de la Plata, 18. Juli 1833.

I         Den grauten Teil des Winters bracbten wir an diesem Fluss in

I Meldonado zu..... Wir haben uns fast jeden Vogel aus der

I Nachbarschaft (von Meldouado), ungefahr achtzig im ganzen, und bei-iat Ärrir^

I Geologie muss sehr interessant sein. Es ist in der Nahe der Ver-

I  schiebt, weiche die Unebenbeiten im Innern derselben ausfüllt, und

I  wiederum über dieser, also bocb aus dem Wasser ragend, befindet,

|  sich eine Schicht mit so frischen Scba!tiereH, dass sie noch ibre Farbe

I  hatten und einen übeln Geruch verbreiten, weun sie verbrannt werdeu.

I  Patagonien muss sich offenbar erst kürzlich aus dem Wasser erhoben

?? JltlUvlI,

I

I                                                Monte-Video, 12. November 1833.

I          Ich verliess den Beagle am Rio Negro und durchkreuzte das

i giebt es mititariRcbe „JW\ mit deren Hülfe ich reiste. Wir lebten l viele Tage von Wildpret und Straussenfleisch und schliefen auf freien) f Felde. ... Es gereichte mir zur Befriedigung, die ZW de la Ven-■ tada zu besteigen, eine Kette von drei bis viertausend Fuss hohen ; Bergen, deren Vorhandensein kaum ausserhalb Rio Plata bekannt sein dürfte. Nachdem ich eine Woche in Buenos Ayres geblieben war,

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_ 26 -                                        I

brach ich nach Santa Fé auf Auf dem Wege war die Geologie inter- * essant. Icb fand zwei grosse Gruppen von ungeheuren Knochen, aber * so sehr weich, dass es unmogiich war, sie fortzuschaffcn. Nach dem * Brnchstûck eines Zahnes, denke ich, dass sie zu Mastodon gehörten. ? In dem Rio Carcarana fand ich einen Zahn, der aller meiner Ver- r mutungen spottet. Er sieht aus wie ein ungeheurer Nagerzahn. In i St. Fé fühlte ich mich unwohl, schiffte mich deshalb ein, und batte ? eine schône Fahrt von dreihundert Meilen den stattlichen Parana hinab. Aïs ich nach Buenos Ayres zurückkam, fand ich das Land auf den Kopf gestellt durch Umwälzungen, die mir viel Unbequemiich- ->■ keiten verursachten. Endlich konnte ich fortkommen und den Beagle J

Falklandsinseln, Marz 1834.          \

Ich bin in Unruhe über Ibre Bemerkung hinsichtiich der Reini- s gung der Knochen, da ich fürchte, die gedruckten Nummern mochteu t verloren gegangen sein. Die Ursache meiuer Sorge ist, dass sie teils f in Kies mit recenten Muscheln, teils in einer ganz andern' Schicht ge- f funden wurden. Mit diesen letzteren waren Knochen eines Agouti, i einer wie ich glaube Amerika ausschhiesslich angehorenden Tiergattung i (vermengt), und es würde wichtig sein zu beweisen, dass einige dieser f Gattung schon mit dem Megatherium zusammenlebten; solche und andere \ Punkte hângen ganzlich von der sorgfältigen Erhattung der Nummern \

ab...... Seitdem ich den Rio Plata verliess, hatte ich Gelegenheit,

die grosse südliche Patagonssche Formaiion zu untersuchen. Ich habe % eine grosse Menge Muscheln mitgenommen; nach dem wenigen, was f ich von der Sache verstehe. muss es eine tertiäre Bildung sein, denn f einige der Schaltiere und Mooskorallen leben noch jetzt in der See, I andere, wie ich glaube, nicht. Diese Schicht, welche haupts&chlich I durch eine grosse Auster cbarakterisiert wird, ist mit einer sehr merkwùrdigen Schicht von Porpbyr-Brocken, welche ich mehr a!s siebenhundert Meilen weit verfolgt habe, bedeckt. Aber die seltsamste Tatsache ist, dass die gesamte Ostkuste des südiichen Telles von Südamerika aus dem Ocean gehoben worden ist, innerhalb eines Zeitraumes, in welchem die Musehetn ihre biaue Farbe nicht verloren haben. Zu Port St. Julian fand ich einige behr vollständige Knochen eines sehr grossen Tieres, wie ich vermute, eines Mastodon: die Knochen einer hintern Extremität sind sehr vollständig und fest. Dies ist interessan,, da die Breite zwischen 49 und 50» betr&gt und die Gegend weit von den grossen Pampas entfernt ist, woselbst Knochen des engzahnigen Mastodon so haufig gefunden worden sind. Ich zweifle, nebenbei bemerkt, nicht, dass dieses Mastodon und das Megatherium auf den alten Ebenen Gefahrten waren. Überreste des Megatherium habe ich in einer Enffernugg von nahezu sechshundert Meilen auf einer Nordsüd-Linie gefunden......                                                                         |

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1                                        - 27 -

II                                                          Valparaiso, 24. Juli 1834.

[ Nachdem wir die Falklandsinseln verlassen hatten, setzten wir ludern Weg nach dem Rio Santa-Cruz fort, folgten dem Flusse auf-

I Untersuchung der Fossilien wird diesen Punkt moglicherweise feststellen I können), dass die Hauptbüdung irgendwo (um mit Herrn Lyell zu I sprechen) in die miocäne Periode gehôrt, nach dem zu urteilen, was fich von den lebenden Schaltieren Patagoniens sah. Diese Schien enthält eine énorme Menge von Lava, was ziemlich intéressant ist, da es

Line ungefâhre Annaherung an das Alter des vuikanischen Tols der I grossen Andenkette ergiebt. Lange vor diesem existierte sie a!s eine » Reihe von Schiefer- und Porphyr-Hügeln. Ich habe mir hinsichtlich

;<ler verschiedenen Perioden und Erhebungsformen in dieser Ebene eine m leidiiche Anzahl von Informationeu verschafft. Ich deuke, das wird 1 Herrn Lyell interessieren. Ich batte die Durchlesuug seines dritten I Bandes bis zu meiner Rückkebr verschoben; Sie könnfn sich denke™ | wie viel Vergnugen es mir verschaffte; einige' seiner Hoizschnttee kamen

[.mir so genau ins Spiel, dass ich mich bloss auf sie zu beziehen brauche,

[anstatt âhniicbe nochma)s zu zeichnen..... Das Thal von Santa

Cruz erscheint mir hochst merkwurdig; zuerst verwirrte es mich ganziich.

?   Quarz und Feldspat darin enthaiten......Kurz nach unserer An^

:   kuuft hierselbst unternahm ich eine geotogische Exkursion, es war ein

\  höchst angenehmes Urnherschweifen am Fusse der Auden. Das ganze

%  Land erscheint aus Breccien und Schiefer, wie ich vermute, zusanfmen

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gesetzt, welche durch die Wirknng des Feuers durchweg umgewandelt und oftvöllig verändert sind; die so erzeugten Varietäten des Porpl.yn sind endlos, aber nirgendswo bin ich Ins dahin Felsen begegne welche im (feurigen) Flusse gewesen wären.                Die neue« vulkanische

scheinen mir weil mehr von den lebenden verschieden, als die der grossen patagoni-cheu Formaiion; es ware intéressante wenn auch in

alle niedrigen Teile von Chile, besitzt der TJmriss jeder Aussicht und die Form jedes Tbaies eiu hohes Interesse. „Hat die Wirkung des fliessenden Wassers oder die See diese Schlucht gebildet?" - war eine Frage, die oft in meinen Gedanken auftauchte und gewohntich dadurch beantwortet wurde, dass ich eine Schicht von recenten Schaltieren auf dem Boden der'selben fand. Ich habe keine genûgenden Beweise, aber ich mochte nicht glauben, dass mehr ats eiu kleiner Bruchteil der Anden in der. Tertiär-Periode gebildet worden ist.

Valparaiso, Marz J835. Wir liegen augenblickiich wegen einer Windstille vor Valparaiso

verlassen die amerikanische Küste im Beginn des Septembers und boffen

Engtand in demselben Monat des Jahres 1836 zu erreichen......

Sie werden einen Bericht von dem sehreckiichen Erdbebeu vom 80. Februar vernommeu haben. Ich wunsche, dass einige Geologen, welche die Erdbeben unsrer Zeiten für unbedeutend ha)ten, die Art sehen konnten, in welcher der feste Felsen zertrummert ist. In der Stadt giebt es kein bewohnbares Haus; die Ruinen erinnern mich an die Zeich-Ligen der im Osten verwüsteten Stâdie.' Wir waren zur Zeit in Val-divia und fühlten den Stoss sebr heftig. Die Empfindung glich der des Schlittschuhläufers über sehr dünnem Eise; d. h. es waren entschieden wellenförmige Bewegungen wahrnehmba.. Die gesamte Scenerie von Concepcion und Talcuana ist eins der interessantesten Schauspiele, welche wir, seit wir England verliessen, erblickt haben. Seit der Abfahrt von Valparaiso habe ich w&hrend dieser Kreuzucg

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I                                               - 29 -

I ausser in Geologie wenig gearbeitet. In den Jüngern tertiaren Schichten

habe ich vier Verwertu~gs-Zonnn untersucht, die mich im kteinen

I Massstabe an die herühmte Streeke auf der Insel Wight erinnerten.

Uli einerStelle waren schône Beispiele dreier verschiedener Erhebunga-

| formen. In zwei Fällen denke ich zcigen xu kônnen, dass die Neigung

einem System von parallelen Gängen zuzusehreiben ist, welche die

untere Olimmerschieferschicht durchbrechen. Die gesamte Kuste von

1 Chiloe bis zum sudtichen Vorsprung der Hatbinse) Tres-Montes ist von

Ider tetzteren Felsart gebiidet; sie wird von sehr zablreichen Gangen

| darchbrochen, deren mincratische Natur sich, wie ich denke, als sehr

| merkwUrdig ausweisen wird. Ich untersuchte eine grosse Granit-

j Querkette, welche offenbar durch den daruberliegenden Schiefer hin-

I durchgebrochen war. Auf der Hatbinsel von Tres-Montes ist ein alter

vutkanischer Focus gewesen, dereinem andern im nôrd)icheu Teile von

I Chiloe ontspricht. Ich war sehr erfreut, in Chiloe eine dicke Lage

von recenten Schalen von Austern u. s. w. zu finden, welche die ter-

I tiare Ebene bedeckton, auf wetcher grosse Waldbaume wuchsen. Nun-

f mehr kann ich beweisen, dass beide Seiten der Anden sich in dieser

t neueren Période zu beträchtticber Höhe erhoben haben. Die Muscheln

Ilagen hier dreihundeituidfüufzig Fuss über der See. In der Zoologie

I habe ich nur wenig gethan, ausgenommen eine grosse Sammlung von

kleinen Zweiflüglern und Hautflügtern ans Chiioe. An einem Tage fand

ich Re/aplm, Anaspis, Latriäius, Leiodes, Cercyon, Eknis und zwei schone

echte Carabi; ich hätte mir einbiiden können, in England zu sammeln.

Eine neue, hnbsche Gattung einer Nacktkiemer-Schnecke, die nicht

auf einer ebenen Fläche zu kriecben vermag, und eine Gattung aus

der Famiiie der Meereicheln, die kein eigenes Gehause besitzt uud in

kleinen Hôh)ungeu der Schate von Conchclepas lebt, sind sozusagen die

J beiden einzigen Nenigkeiten.

|                                                        Valparaiso, den 18. April 1835.

I          Ich bin soeben von Mendoza zuruckgekehrt, indem ich die Cor-

dilleren auf zwei Passen überschrttten habe. Dieser Abstecher bat wesentlich zu meiner Kenntni. der Geologie des Landes beigetragen.

I......Ich will eine sehr kurKe Skizze vom Bau dieser ungeheuren

| Berge geben. In dem Portillo-P&ss (einem der sûdlichsten) haben I Reisende die Cordilleren, als aus einer doppelten Reihe von fast I gleicher Höhe bestehend und aïs durch einen beträchtlichen Zwischen-f raum getrennt, beschrieben. Dies ist ganz richtig und der namtiche Bau erstreckt sieh nôrdtich bis Uspellata. Die geringe, hier nicht mehr als sechs bis siebentausend Fuss betragende Erbebung der Ostlinie, war die I Veranlassung, dass sie fast gânzlich übersehen worden ist. Um mit der f westlichen und Hauptkette, woselbst die Durchschnitte am besten zu [ sehen sind, zu beginnen, so haben wir eine ungeheure Masse eines | porphyrariigen Konglomerats, das auf Granit ruht, vor uns. Die letz-

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tere Felsart scheint den Kern der ganzen Masse zu bilden, und es ist r in den tieferen Seitenthäiern zu ersehen, wie sie in die uberliegendeal Schichten eindringt, sie emporhebt und in der ausserordentlich^ Weise übereinander^ wirft An den kahlen Seiten der Berge sietof man die komplizierten Gange und Keile verschiedenartig gefärbter'/ Felsen in jeder moglichen Form und Gestalt die namliehen Schichtea I durchsetzend, welche durch ihre Durchschnttee eine Aufeinanderfolge ; von GewaIt-Ausbruchen beweisen. Die Sehichtenblldung in all' diesen i Bergen ist hübsch dentlich und kann, dank derVerschiedenartigkeit B. der Farbung, aus grossen Entfernungen gesehen werden. Ich kann w keinen Teil der Welt vorstelleu, der eine ausserordentlichem Scenerie des Aufbruchs der Erdrinde darbiete,, a!s diese centralen Spitzen der

Anden......Die Schichten in deu hochsten Zacken sind fast &~

gemein unter einem Winkel von 70-80» geneigt. Ich kann Ihnen , nicht sagen, wie sehr ich durch einzelne dieser Aussichten eutzückt 3 war; es ist wert von England zu kommen, einzig um eine so intensive & Wonne zu empfinden. In einer Hohe von 10-12000 Fuss, ist eine Durchsichiigkeit der Luft, eine Tauschung über die Entfernungen und;, eine Art von Euhe vorhanden, welche die Empfindung in einer andern 2 Welt zu sein einflössen, und wenn sich alledem das so deutlich am-f gedrückte Gemälde der grossen Epochen der Gewa!t-Umwälzungen hin-* zufûgt, so. verursacht dies einen hochst seltsamenZusammenfluss von IdeenL

in unsrem Geiste......Es ist ein grosser Irrtum, anzunehmen, die J

Cordilleren hierselbst seien einzig aus einem Gestein gebildet, welches'i einst iu Strômen geflossen sei. In dieser Kette sah ich niemals ein;,' Stück, von dem ich annehmen kônnte, es sei so entstanden, obwohl;. der Weg in keiner grossen Entfernung vor den thätigen Yulkanen vor-;' rüberführte. Die Porphyre, Konglomerate, Sandstein, Quarzsandstein j und Kalkstein wechseln mit einander ab, gehen manchmal in einander 'A über und bedecken den Thonschiefer, falls er nicbt von Granit durch- * brochen ist. In den obern Teilen beginnt der Sandstein mit Gips abzu- ' wechsein, bis wir dièse Substanz zuletzt in verblüffender Dicke vor uns £ haben. Ich glaube thatsachiich, die Formaiion ist an einigen Stellet 1

(sie variiert sehr) ann&hernd zweitausend Fuss stark......Die obern i

Schichten, welche einige der hoheren Spitzen bilden, bestehen aus „ Lager von schneeweissem Gips und kompaktem roten Sandstein, in end- , loser Folge, von der Dicke eines Papiers bis zu der weniger Fusse mit -einander abweehselnd. Der Fels hat ein hochst seltsam gemaltes An- , sehen. An dem Pass der Puquenas, wo in dieser Schichtenbildang eu schwarzes Gestein (einem Thonschiefer âhniich, aber ohne starke Blatte-rung) und blasser Kalkstein den roten Sandstein ersetzt haben, fand ich zahlreiche Muschelabdruck.. Die Erhebung muss zwisehen zwölf und dreizehntausend Fuss betragen. Eine Muschel, die ich fur eine Gryplma hielt, ist am häufigsten. Ausserdem eine Ostrea, lurritdla, AmnLtes, kleine Bivalven, Terebratuh (?). Vielleicht wird ein guter Conchyliologe ,

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line Mutmassung darnber geben konnen, mit welcher grossen Abteilung des furopäischen Kontinents diese organischen Cberreste die meiste Cber-linstimmung verraten. Sie sind ausserst unvollstandig und sparsam, fmr die Grypbiten sind hochst vollkommen erhalten. Es war spat im fahre und die Gegend wegen der Schneesturme besonders gefahrvol..

linfällt und auf geschiefertem Sandstein u. s. w. ruht, der von einer lehr grossen Masse von Protogen (mit grossen Quarzkrystallen, rotem ieldspat und einem feinen Chlorit) emporgehoben, in Quarzfels ver-imndelt und mit Gangen durchsetzt ist. Jenes Konglomerat nun, Seiches darauf ruht und von dem Protogen unter einem Winkel von £50 abfällt, besteht aus der eigentümlichen Felsart der zuerst beschrie-lenen Kette, aus Bruchstuchen des schwarzen Feisens mit Muscheln, Iranern Sandstein u. s. w. u. s. w. Es ist hier offenbar, dass die Erhebnng (und wenigstens teilweise Bildung) der grossen Ostkette furchweg spater aïs die der westlichen erfolgt ist. Gegen Norden im ispellata-Pass haben wir ebenfalls eine Thatsache derselben Klasse. litte dies im Gedachtnis zu bebalten, es wird dazu beitragen, Ihnen das iachfolgende glaubhaft zu machen. Ich habe gesagt, die Uspellata-Kette fei geologisch, obwohl nur 6-7000 Fuss hoch, eine Fortsetzung der Irossen Ostkette. Sie bat ihren Granitkern, und besteht aus grossen fchichten verschiedenartiger krystallinischer Gesteine, welche, wie ich |icht zweifein kann, wässrige Laven sind, die mit Sandstein, Konglomeraten und weissen Alaunlagern (zersetztem Feldspat ahniicb) nnd Eanchen andern seltsamen Varietäten sedimentarer Schichten abwechseln. Biese Laven und Sandsteine wechseln sehr oft miteinander ab und |nd untereinander gleicbmassig gefügt. Wahrend zweier Tage sorgfältiger Untersuchung sagte ich mir wenigstens fNnfzigma!, wie genau Ibereinstimmend, nur etwas härter, diese Schichten mit denen der |bern Tertiarschiehten von Patagonien, Chiloe und Concepciou seien, |hne dass mir die Moglichkeit ihrer Identität je einfiel. Zuletzt war jaber dieser Schlussfolgerung nicht mehr zu widerstehen. I Muscheln konnte ich nicht erwarten, denn sie kommen in dieser

fcishcr, aber die Uberzeugung, dass ich mich im tertiaren Schichten-Igebiete befand, war zu dieser Zeit so stark in meiner Empfindung, jdass ich am dritten Tage mitten unter Laven und Gramthaufen eine

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anscheinend verlorene Jagd darauf anstellte. Glauben Sie wob), dass ich Erfolg batte? In einer Boschung von kompaktem grünem Sandstein ^ fand ich ein k)eines Gehölz von versteinerten Baumen in senkrechter " Stellung, oder vielmehr die Schichten waren unter 20-30° nach der'« «inen und die Baume unter 70" nach der andern Seite geneigt, da«"' ).el88t sie standen vor der Bedeckung genau senkrech.. Der Sandstein ; bestcht aus vieten horizontalen Schichten uud ist mit den concentrischeB ^ Linien der Rinde versehen. Elf sind völlig verkieselt und gleichen, dem dikotyiischen Holz, welches ich in Chiloe und Concepcion fand, 1 .lie andern dreissig oder vierzig erkannte ich als Bâume, einzig nac > der Analogie von Form und Stellung; sie bestehen aus schneeweißen Sau)eu (wie Loths Weib) von grob krystaliisiereem kohiensauren Ka)k Der starkste Stamm hat sieben Fuss. Sie sind aile eng beieinander, innerhalb eines Gebiets voH hundert Ellen und auf derselben Boden-fläche, nirgends sonstwo konnte ich welche finden. Es kann nicht bezweifelt werden dass die Lagen feinen Sandsteins ruhig zwische! ciner durch ihre Wurzefn aufrecht erhaltenen Baumgruppe abgeiagert . worden sind. Der Sandstein ruht auf Lava und wird von einer grossen, * ungefahr tausend Fuss dicken Schicht von schwarzer augitischer Lang bedeckt; uber dieser befinden sich wenigstens fünf abwechselnde Lagen t von dicken Schichten von Felsen und wassrigen Absatzbilduugen, bis zur Dicke von mehrereu tausend Fuss anwachsend. Ich bin f fôrm)ieh erschreckt vor der einzigen Sch)ussfo)gerung, welche ich aus dieser Tatsache ziehen kann, namiich dass dort eine Vertiefung der Erdoberfläche um diesen Betrag stattgefunden haben «nuss. Aber ab-gesehen von dieser Betrachtugg war es eine hôchst befriedigende Stütze} meiner Annahme vom tertiären Alter dieser ostiichen Kette (Ich ver- '* stehe unter tertiär, dass die Leitmuscheln der Periode eng verwandt^ und zum Teil identisch mit den in den untern Schichten von Patagonien v licgenden sind.) Ein-grosser Teil des Beweises muss beruhen bleiben * auf meinem ipse dixit einer mineratogischen Ahniichkett mit denjenipen l Schichten, deren Alter bekannt ist. Dieser Ansicht zufolge ist Grämt, ' welcher Bergspitzen von einer wahrscheintichen Höhe von 14000 Fus: t bildet, in der tertiären Epoche geflossen; Schichten jener Periode, d» ] durch seine Hitze verandert und mit Gangen durchsetzt worden sind, ^ stehen nunmehr unter hohen Neigungswinkeln und bilden rege)mfas.p oder kompilierte antiklinale Linien. Um diese Steigerung noch weiter m fuhren: diese nämlichen sedimentaren Schichten und Laven werden , von sehr zahlreichen, echt metallischen Adern von Eisen, Kupfer, Arsenik, Silber und Gold durchschnitten, und diese kônnen' bis zum darunterliegenden Granit verfolgt werden. Eine Goldmine wird dicht bei der Gruppe versteinerter Baume ausgebeutet. Wenn Sie meme Handstucke, Durchschnitte und Berichte sehen, werden Sie glauben, dass ziemlich starke Wahrscheinlichkeitsgrüude für die obigen Thatsachen vorhanden sind. Sie erscheinen von grosser Wichtigkei,, denn der

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Bau und die Grosse dieser Kette kann den Vergleich mit jeder beliebigen der Welt ertragen: und dass alles dies deiner so jungen Erd-

Mit Erstaunnn entnimmt man diesen, unter dem frischen Eindrucke der gewaltigen Gebirgsnatur geschriebenen Briefen, wie schnell der angehenee Naturforscher die Lücken seines Studiums ausgefüllt, wie er schon damals den umfassenden Blick für allgemeine Folgerungen, bei derselbnn Vorsicht im Schliessen, die seine spateren Arbeiten auszeichnet, bethätigte. Die Geologie, welche ihm noch vor wenigen Jahren so unendlich langweilig erschienen war, bildete jetzt mit einem Male seine Leidenschaft. Allerdings I war diese Wissenschaft damais mit neuem Lebensblute versehen E worden, denn Lyell hatte in seinen Principles of Geologie (London 1830-3)) der damass herrschenden Katastrophen-Theorie, nach welcher die Erdformationen durch grosse Revolutionen getrennt gewesen sein sollten, den Todesstoss versetzt und die schon früher durch Yon Hoff in Deutschland vertretene Ansicht zum Siege gebrach,, dass die Erdoberfläche sich in der Vergangenheit ebenso allmählich verândert hat, als heutzutage, und dass einzig die noch heute wirksamen Naturkräfte (existing cau~es) diese Verând-rungen bewirkt haben, welche uns nur dadurch oft aïs gewaltsame Pmwälzungen erscheinen, weil wir die langsame Thätigkeit uner-

reheniCher ZeiträUme " einen dnzigen AnWiCk ZUsamme^edrängt Diese langsam,, aber im unaufhörlichen Fortschreiten zu gewaltigen Beträgen steigende Wirkung sah Dawwin in dem langsamen Aufsteigen der Küsten Südamerikas, die er noch mit Muscheln bedeckt fand, wui^c mit den am Ufer lebenden identssch waren, und doren organische Bestandteile sich noch nicht einmal vôllig verwest zeigten, seitdem das Land um mehreee hundert Fuss gestiegen war. Auf der kleinen Insel San Lorenzo und an der gegenùberiiegenden Stelle der peruanischen Küste fand er sogar Beweise, dass diese Orte sich noch um 85 Fuss gehoben hatten, seit sie von civilisierten Indianern bewohnt waren. Auch über die,

Krau.o, CL. Darwin.                                                                              3

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Erhebung der Anden gewann er neue, überraschende Auischlûsse und konnte den Beweis antreten, dass sie keineswegs mit einer -allgemeinen Erdrevolution zusammengefallen und zwei grosse Erdformationen oder Schopfungsperioden, wie man sich früher ausdrückte, getrennt habe, sondern innerhalb der Tertiârzeit erfolgt sei, aïs die Oberfläche des südamerikanischen Bodens schon die Beschaffenheit zeigte, wie auf weiten Gebieten noch heute. Seit ihm unter der Führung Lyélis dièse grossen Gesichtspunkte hin-sichtiich der Erdgeschichte aufgegangen waren, traten die lebenden Bewohner derselben für einen Augenblick in den Hintergrund. Zwar versâumte er keine Gelegenheit, sie zu sammeln und zu untersuchen, er behielt namentlich die auch von Lyell eingehend berûcksichtigte Geographie der Pflanzen und Tiare im Auge, indem er Flora und Fauna abgeschlossener Gebiete so vollstândig wie môglich zu sammeln suchte; aber man iieht doch, dass sein Herz , vor allem an der grossen Frage hing: Wie hat die Erdoberfläche ihre heutige Beschaffenheit erlangt, wie ist die jetzige Verteilung von Festland und Wasser, Berg und Thal entstanden?

Deshalb interessierte ihn auch ganz besonders das Studium der Korallen, weil sich dieselben mehr an dem Bau der Erdrinde beteiligt haben, aïs irgend welche andern Tiere. Schon lange, bevor die Expedition nach der Südsee abging beschâftigte sich Darwin, zur Vorbereitung auf die seiner dort wartenden geo- , logischen Probleme, eifrig damit, die Organisation und Lebensweise ^ der Korallen-Tiere nach allen Richtungen zu studieren, und es -war dies namentlich wâhrend der Seefahrten seine Hauptbeschäfü- , gung. Allerdings gehôrte das Material, was ihm zunâchst zur Verfügung stand, meist nicht den riflbildenden Korallen, und vielfach . uberhaupt nioht den eigentlichen Korallen, sondern den sogenannten ■ Mooskorallen oder Bryozoen an, die man damais von den ersteren noch nicht hinlânglich unterschieden hatte. An diesen Tieren, die ja auch das erste Interesse des jungen Naturforschers in Edinburg wachgerufen hatten, machte er in jenen Zwischenzeiten, wo er in seiner Kabine gefangen sass, manche merkwürdige Beobachtungen. Er erkannte die durchgreifende Verschiedenheit ihrer Organisation von derjenigen echter Korallentiere, und beobachtete namentlicb auch die seltsamen Gesellschafter, welche viele Mooskorallen in Gestalt von vogeIschnabelähnlichen Greifzangen und Fühlern er-

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halten. Aïs die Expedition bei den Südsee-Inseln angekommnn

war, die der grossen Mehrzahl nach aus ringförmigen, nur wenig

über die Meeresoberfläche emporragenden Korallenriffen, sogenannten

Atollen bestehen, nahm ihn das Problem der Entstehung derselben

. wiederum vollkommen in Anspruch, und seine Beobachtungen

1 führten ihn, wie wir nachhrr sehen werden, zu einer Theorie über

I dieselbe, welche beinahe ein halbes Jahrhundert hinducch die

| Geister befriedigt hat, wenn auch in der Neuzett manche

" Stimmen aufgetaucht sind, welche die Tragweite dieser Theorie nach

verschiedenen Richtungnn bekâmpfen.

Aus den von Henslow mitgeteilten Auszugen von Briefen, die Darwin aus Südamerika an ihn gerichtet, könnte man den Schluss ziehen, dass der Reisende nicht diejenige Befriedigung in dem Besuche tropischrr Lândrr gefunden hätte, welche er sich versprochen und die Lektüre der Humboldtsenen Reisewerke ihm in Aussicht gestellt hatte. Allein man darf nicht vergessen, dass obige rYeröffentiichung nur Bruchstücke gab, in denen wahrscheinlich ■ manche Ergüsse des individuellen Gefühss weggelassen wurden, und ferner, dass es Darwin schon damass Yerschmähte, seinen Berichten irgend welchen rednerischen Schmuck zu verleihen. Man muss sogar eine gewisse Vernachlässigung des Stiles in diesen, wie in den meisten späteren Briefen Darwins zuzugestehen, und der Ûbersetzer befiudet sich fortwährend in der Verlegenheit, ein wenig nachhelfen zu mussen, um wenigstens lesbare Sätze zu stande zu bringen. Dass aber Darwin die Erhabenheit jener Eindrücke mit offenen Sinnen aufnahm, und wenn er sich die Mùhe nehmen wolite, auch ebensowohl wie andero imstanee war, ibnea Worte zu leihen, zeigen viele Stellen seines Reisewerkes. In dem Rùckblick desselben schildert er die TJnvergänglichkeit der Eindrûcke jener Bootsfahrten und Reisen durch unbesuchte Länder, wie sic ihm keinerlei Soenen der Civilisaiion hervorgerufen haben würden, und die oden Wüseen Patagoniens wie die unwirtlichen Gestade Feuerlanss erschienen seiner Erinnerung ebenso aïs Tempel der Natur, wie die unberührten Urwälder Brasiliens, wo in demselben Grade das Leben vorherrscht, wie dort Tod und Verfall. Die Beobachtung des Lebens wilder Tiere in der Natu,, so verschieden von dem in der Gefangenschaft oder gar von dem Eindruck ihrer prâparierten Kôrper in Sammlungen, erschien ihm in

s*

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so hohem Masse packend, dass er sich fragt, ob wohl das Entzücken an der Jagd und am freien Umherschweifen in der Natur ein Erbteil von unsren mehr in der Natur lebenden Ahnen sein môchte. Auf der niedersten Stufe sah er den Menschen an den feuerlândischen Gestaden, und der Gedanke kam ihm, ob auch unsre Vorfahren einst so aller hoheren Gabon der Vernunft und Kunstfertigkeit entblôsst gewesen sein môchten, wie diese armen Wilden. Alles Entzücken der Reiseeindrücke aus den Tropen fasst noch einmal jene Erinnerung an einen Spaziergang bei Bahia zu-sammen, aïs das Schiff aus der Südsee heimkehrend, zum zweiten-male einen kurzen Aufenthalt an der Kuste von Brasilien genommen hatte. Es heisst darin:

„Ging ich ruhig den schattigen Pfad entlang und bewunderte ich jede sich mir nach einander darbietende Aussicht, so wünschte ich wohl Worte zu finden, meine Ideen ausdrücken zu kônnen. Eigenschaftswort nach Eigenschaftswort wurde hervorgesucht und fûr zu schwach befunden, um denen, welche die tropischen Gegenden nicht besucht haben, das Gefùhl von Entzûcken mitteilen zu kônnen, welches der Geist hier empfindet. Ich habe schon gesagt, dass die Pfianzen in einem Gewachshaus keine richtige Idee von der Vegetation mitteilen kônnen, und doch muss ich darauf zurûckkommen. Das Land ist ein grosses, wildes, unordentlich gehaltenes, , üppiges Gewachshaus, was die Natur für sich errichtet hat, wovon aber der Mensch Besitz ergriffen und es mit freundlichen Hâusern ' und planvoll angelegteh Gârten bedeckt hat. Wie gross würde bei jedem Bewunderer der Natur die Sehnsucht sein, wenn es môglich wâre, die Scenerie eines andern Planeten zu erblicken, und doch kann man in Wahrheit sagen, dass für jedermann in Europa in der Entfernung von nur wenigen Graden die Wunder einer andern Welt geöffnet sind. Auf meinem letzten Spaziergang blieb irf, immer und immer wieder stehen, um diese ft**', ... anzu-starren und mir in meinem Geiste fur immer einen Eindruck fest-zuhalten, von dem ich wusste, dass er früher oder spâter einmal abblassen müsse. Die Form des Orangenbaums, der Kokospalme, der Palme, des Mango-Baumes, des Baumfarn, der Banane wird klar und deutlich gesondert bleiben; aber die tausend Schônheiten, welche alle diese zu einer vollkommenen Scene vereinigen, mûssen

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erbleichen. Und doch werden sie, wie ein in der Kindhett gehôrtes Mârchen, ein Gemälde voller zwar undeutlicher, aber ausserordentiich schoner Bilder zurücklassen.»*)

IV. Die Bearbeitung der Reise-Erge.nisse.

Am 2. Oktober 1836 betrat Dawwin zu Falmouhh den heimalichen Boden, welchen er seitdem nie wieder, nicht einmal für eine Meine Reise nach dem Festlande, verlassen hat. Nachdem er seine Angehörigen wiedergesehen und sich von den Strapazen der langen Fahrt einigermassen erholt hatte, begab er sich nach London, woselbst er drei Jahre zubrachte, um seine grossen, aufs glückiichste heimgebracheen Sammlungen von Mineralien, Versteinerungen, Tieren und Ptlanzen zu ordnen, die geeigneten Mitarbeiter für die wissenschaftiiche Bearbeitung zu finden uud seine Tagebücher für die Veröffentlichung vorzubereiten. Freilich machten sich die Nachwehen der Reise hinsichtlich seines Gesundheitszustandes bald bemerklich und die Arbeiten gingen keineswegs in der vom ihm gehoffteu Schneliigkeit vorwärts. Man kann sich leicht vorstellen, dass es eines seiner ersten Gemütsbedürfnisse war, sich mit Lyell, für dessen Reformation der Geologie er so gewichtige Stützen gefunden hatte, in nâhere Verbindugg zu setzen. Er sandte demselben eine kurze Darlegung seiner Beobachtungen hinsichtlich der langsamen Erhebung des sadamerikanischen Kontinenss und erhielt von demselben eine vom 26. Dezembrr 1836 datierte Einladun,, ihn zu besucien, um die ihnen gemeinsam am Herzen liegende Arbeit darüber zu besprechen und ihm mit Rat und That an die Hand zu gehen. Dieseiverste Brief Lyesls an Darwin,*), welcber einen bis zum Tode des grossen Geologen fortgesetzten Verkehr eröffnete, ist in mehrerer Beziehung so intéressant, dass er hier mit einigen Auslassungen folgen mag:

*) Reise u. s. w. S. 573. **; Vergl. Li/e, Utters and Journal» of Sir Charles Lyell edited by his sister in law Mrs. Lyell. Vol. 7. p. 474. Lundon 1881.

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- 38 _ „Mein lieber Herr!« schreibt Lye,l, "ich habe Ihre Abhandlung

Worte verändert werden müssten, andeuten, aber in einem Briefe

StÄeÄ^^

Die Idee der im Masstabe eines Zolls im Jahrhundett aufsteigend n

Pampas, wahrend die Westküste und Anden viele Fuss und ungleich-

war, der Ihnen diesen Rat gab, sonst würden sie alle gegen mich, als den Verkûnder antipatriotischer Prinzipien Larm erheben. Ich k&mpfte so lange ich konnte gegen das Unglück Prasident (der geologischen Gesellschaft) zu werden. Alles ist glimpflich abgegangen und es hat mir nicht mehr Zeit gekostet, als ich im voraus annahm; aber ich bin im Zweifel, ob die von gelehrten Kôrperschaften (durch die administrativen Geschäfte) vernichtete Zeit, durch irgend dn Gutes, welches sie thun, aufgewogen wird. Welcher Wahn, fur den Herschei vom Cap*) einen Herschei aïs Prâsidenten der Royal-Society - welchem Amt er knapp entschlüpfte, - einzutauschen und ich stimmte noch gar fur ihn! Ich hoffe Vergebung dafür zu findeu. Zum Schlüsse: Arbeiten Sie viele Jahre lang, wie ich es that, ausschiiesslich für sich

selbst und für die Wissenschaft und setzen Sie sich nicht vorzeitig

der Ehre und Last offizieller Würden aus. Dazu giebt es Leute, welch

in solchen Amtern vorteilhatt Verwendung finden kënnen, weil sie,

wennjicht in solcher Weise in Anspruch genommen, gar nichts thun

Niemals ist ein guter Rat besser befolgt worden, als der hier ausgesprochene vonDarwin. Zwar konnte er sich der Huldigung nicht entziehen, alsbald zum Ehren-Schriftführer der Londoner geologischen Gesellschaft erwählt zu werden, aber nachmals hat er kein Amt weiter angenommen, mit Ausnahme desjenigen eines Orts-Vorstandes in Down, welches er bis zu seinem Tode bekleidet hat. Die in Lyells Briefe erw&hnte kleineAbhandlung über die Erhebung des südamerikanischen Kontinents wurde im Januar 1837 der geologischen Gesellschaft vorgelegt**), der er bereits vorher verschiedene ,geologische Notizen", geschrieben wâhrend einer Aufnahme der Ost- und Westküsten Südamerikas in den Jahren 1832-1835***),

*) Der jüngeee Herschei war in den Jahren 1834-38 nach dem Cap der guten Hoffnung gegangen, um den süd)ichen Sternhimmel aufzunehmen

**) Proceedings. Geolog. Societ. II. p. 446-49.-***) Indern p. 210-2.2.

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1 mitgeteilt hatte, und diese beiden Arbeiten scheinen die ersten iim Drucke erscbienenen Arbeiten Darwins gewesen zu sein. m Zu einer andern kleinen Mitteilung an die geologische Ge-1 Seilschaft*) hatte ihn zu jener Zeit ein Besuch bei dem Bruder 1 seiner Mutter, Mr. Wedgewood in Maer-Hall (Staffordshire), die erste Veranlassung gegeben. Sein Oheim hatte ibn darauf aufmerksam gemacht, dass Kohlen, Kalksteine, Sand und andere Gegenstande, die man in dünner Schicht über ein Feld ausbreitet, nach einigen Jahren mehrere Zoll unter der Erdoberfläcbe gefunden t werden, und in gleichmâssiger Schicht immer tiefer sinken. Er S hatte auch sogleich die richtige Erklärung dafür gegeben, dass dies weniger dem atmosphârisohen Staube zu danken sei, der sich über die Oberflächenschicht sammelt, aïs den Regenwürmern, welche bestândig aus der Tiefe neue Erde emporschaffen, indem sie dieselbe durch ihren Korper gehen lassen und mit ihren wurmfôr-migen Exkrementen die Oberfläche überschütten. Da nun der von den Würmern unterhöhlte Boden in dem Masse, wie sie die tiefere Erde nach oben schaffen, nachsinken muss, so wird jede frühere Oberflächenschicbt auf einem von Erdwürmern bewohnten Boden allmâhtich tiefer sinken, die Erde an der Oberfläche aber, gedüngt von den Exkrementen der Würmer, bestândig erneuert werden. Schon damais gab Darwnn seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Bildung der fruchtbaren Ackerkrume wesentlich ein Werk der Erdwürmer sei. Da aber diese Ansicht von d'Arhhiac, Fish und andern lebhaft bekâmpft und verworfen wurde, so behielt er das Leben und Treiben jener kleinen, verschwindenden Potenz im Erdieben bestândig im Auge; die Regenwürmer wurden, wie er einst dem Schreiber dieser Zeilen launig schrieb, sein „Stecken-pferd" und nachdem er Grundbesitzer geworden war, stellte er Versuche an, die sich zum Teil über mehr aïs zehn Jahre er-

SÄT* - ta e"setas

*) Transactions of the Geolog. Soc. 2. Ser. Vol. V. i838 p. 505-509. Gesammelte Werke Bd. XII. 3. Abteil, p. 93-98.

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Jnzwischen fuhr Darwin fort, seine wichtigstenReisebeobach-tungen zunâchst in Form kleiner ,vorlâufiger Mitteilungen» den gelehrten Gesellschaften zu unterbreiten. So hatte er bereits 1837 der zoologischen Gesellschaft in London eine kleine Mitteilung*) ûber eine neue Art des amerikanischen Strausses vorgelegt, die in den südlichen Teilen Patagoniens lebt, und kleiner, kurzbeiniger und dunkler gefârbt ist, aïs der gewohniiche, in den nôrdiichen Distrikten hâufigere Nanda. Sein Vorhandensein war bereits früherea Reisenden, z.B. Dobrizhoffer, bekannt geworden, aber kein Orni-

Darwin brachte die wesentlichsten Teile eines Exemplars, welches ein Mitglied der Expedition geschossen, und welches dann ,aus -' Vergessiichkeit" aufgegessen worden war, mit nach England und danach hat Gould die neue Art beschrieben und zu Ehren des Reisenden Struthio (Rhea) Darwinii genannt.                                >

Die nâchsten Pubükationen betrafen lauter geologische Gegen- ' stânde und gehôren ebenfalls in die Kategorie vorlâufiger Mitteilungen, weshalb wir sie nur der Reihe nach summarisch aufführen. Ihre Titel lauten: Beschreibung der vorweltliche Sâugetiere em> haltenden Ablagerungen in der Umgebung des Platastroms**). - -~ber den Zusammenhang gewisser vulkanischer Erscheinungen in '* Südamerika, über die Bildung von Bergketten und die Wirkung ' kontinentaler Erhebungen.***) - über die Entstehung der salzhal- : tigen Ablagerungen Patagoniens. f) - Über gewisse Erhebungen ', und Senkungen des Bodens im Stillen und im Indischen Ocean, > nachgewiesen an den KoralIenbildungen. ff) - Bemerkungen ûber einen auf schwimmendem Eise in 16" südlicher Breite gesehenen . Feisbiock.fft) ) Pber die parallelen Erdwâlle des Glen Roy und andrer Teile von Lochhaber in Schottland, nebst einem Versuch,

Ceol Soc. V. (1840) p. 601-632. Wiederabgedruckt in den gesammelten Werken Bd. XII. 3. Abteill S. 12-53.

t) Journ. of the Geo!. Soc. IT. pt. 2. p. 127-128.

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;ihren marinen Ursprung nachzuweisen.*) - Man sieht, es war Cihm zunächst darum zu thun, die hauptsächlichsten Ergehnisee

seiner geologischen Beobachtungen ~urz in Sicherheit zu bringen, V während er die ausführliche Darlegugg und Begründung auf spätere

Zeiten verschob.

Einer der Hauptbeweggründe für dieses Verfahren war, dass

zunächst die offiziellen Berichee über die Leistungen der Expedition - fertig gestellt werden mussten, welche dann im Jahee 1839 unter . dem Titel „Narrative of the surveying voyages of the Adventure and

Magie- erschienen. Der dritte Teil dieses Werkes war von D arwnn

allein verfass,, und brachee den Inhatt seiner Eeisetagebücher in ..ausführlicherDarstellung.**) Im Jahre darauf (1840) konnte auch ■'«■mit der Herausgabe des grossen Werkes über die zoologischen Ergebnisse der Reise begonnen werden, für dessen Druck die Regie-' aung 1000 Pfund Steriing bewilligt hatte. .Dasselbe erschien unter ;;'4emTitel: „The Zoologie of the voyage of IL AI. S. Beagle under ^the command, of Capt. Fitz Roy during the years 183~ to 1856. yjubUshed with the approvll of the Lor~ Commissioners of H. M. ^Trgasury. Edted and superintended by Ch. Darwin, naturalist to "the expedüion« und wurde 1843 beende.. Die Bearbeitung der :<fflnf Abteilungen hatten fünf berühmee Zoologen übernommen, dämlich R. Ownn (fossile Säugetiere), G. R. Waterheuse ■gebende Sâugetiere), J. Goudd (Vögel), Th. Bell (Reptilien), :£L. JJnyns (Fische). Zu jeder dieser fünf Abtellungen hat Dawin eine Einleitung verfasst, und zwar zu der ersten eine geologische, zu den vier folgenden eine solche über Verbreitung und Lebensweise der betreffendnn Tiere. Wie man sieht, sind in diesem ;|mit Unterstützung der Regierung ferscbienennn offiziellen Werke Wiur die Wirbeltiere beschriebnn worden. Die weitere Ausbeuee war zu

'"'.       *) M*». Transact. 1839 P. 39-82.

) Da bei diesem Werke auf ein allgemeineres Interesse gerechnet

.werden konnte, so gab Darwin 1846 unter demTitel „Journa/ of ~esearcAes

.*,*, ike natural history ond geology of the eountries visited during the voyage of

-II M, S. Beagle found the vorld« eine neue verbesserte und zusammengezogene

Ausgabe bei Murray in London heraus, die seitdem in die meisten Kultur-

~prachen ubersetxt wurde, ins Deutsche sogar zweimal von Erust Dieffe--

bach (Braunschweig 1844) und von J. V. Çarus unter dem Titel „Reise

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gross, um sie in einem einzigen Werke niederzulegen. Die wirbel.| losen Tiere, unter denen die Insekten obenan stehen, wurde»! dann nach und nach in besonderen Abhandlungen von Newmannl Wakker, Waterhouse und White beschrieben. Die in Südi amerika und auf den Galapagos - Inseln gesammelten Pflanmj wurden von J. D. Hooke,, diejenigen der Keeling-Inseln voj Henslow und die Kryptogamen von Berkeley beschrieben, undg manches harrt wahrscheinlich heute noch der Publikation. Audi wenn wir von den weiteren Ergebnissen dieser Reise vorläufig garnl absehen, darf gesagt werden, dass wohl nur in wenigen Fällen eiD,f mit so geringen Mitteln ins Werk gesetzte naturwissenschaftlich«I Expedition eine so reiche, alle Gebiete der Naturforschung beg fruchtende Ausbeute an unmittelbar verwertbaren Ergebnissen gel

Nachdem der schaell zu Ansehen und Ruf gelangte jnnge! Reisende so die ihm obliegenden Publikationen vorbereitet und d.e| Bearbeitung der ohne Verlust mitgebrachten Schätze in die rechter! Hünde gelegt hatte, durfte er einen Augenblick an sich selbst denke»,! und erbat von seinem oben erwâhnten Oheim die Hand seiner Cousin«! Emma Wedgewood, einer Enkelin Josiah Wedgewoods, mit de, f er sich 1839 vermählte. Aus dieser Ebe entstammten, wie gierig hier erwâhnt werden mag, fünf Sohne und zwei Tôchter, die gierig der Mutter sâmtlich noch am Leben sind. In den ersten Jahre«! nach seiner Verheiratung sah sich D arwin, wegen der im Gange b J Südlichen wissenschaftlichen Publikationen, noch an London gefesselä aber bald fühlte er, dass seine schwankende Gesundheit ihm nie« gestattete, den gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ihm dug Leben in der Hauptstadt auferlegte, nachzukommen, und er zo« sich deshalb im Jahre 1842 nach Down zurück, einem sûdostlicf von London gelegenen Dorfe von 500 Einwohnern, in der Nâhe del Stâdtchen Beckenham und Bromley in Kent, und von diesem anf genehmen Landsitze, an dem er bis zu seinem Tode gewohnt haJ sind die meisten seiner spâteren Arbeiten datiert.                       i

Nach Begründung seiner Hâusiichkeit und Beendigung der,« offiziellen Arbeiten ging Darwin sofort daran, seine auf der Reis. gemachten geologischen Beobachtungen in ausführlichen Werke» \ darzustellen, und man darf es wohl aïs einen Gradmesser der Weît i schâtzung und des Herzensanteils, den er an den verschiedene*!

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i Beobachtungsreihen nahm, ansehen, wenn wir ihn zunâchst mit seinen letzten Beobachtungen aus der Südsee, mit dem Problem der Korallen-Inseln oderAtolee beschâftigt finden. Schonlange hatte die Frage, wie man sich die Entstehung dieser ringfôrmigen Inseln, welche eine Lagune, ein inneres Meer, von dem âussern abgrenzen, zu denken habe, die Geologen erregt, ohne dass eine befriedigende Lôsung gefunden worden wâre. Die ehemals gangbarste Meinung, welche noch die meiste Wahrscheinlichkett für sich zu haben schien, erklärte die Atolle der Sùdsee für die Bilder unterseeischer Vulkane, sofern die Korallenriffe auf den Rândern ihrer erloschenen Krater emporgebaut sein sollten. Diese Annahme aber konnte eine eingebende Kritik nicht bestehen, denn einmal hiess es ein Gewimmel von Kratern in der Südsee annehmen, welches schon ihrer Zahl nach unwahrschcinlich sein musste, und zweitens haben manche dieser Ringinseln einen Durchmesser von acht bis zehn, ja bis fünfzehn geographischen Meilen, wie er niemals bei einem irdischen Krater gefanden worden ist und sich nur etwa bei den Kraterebenen des Mondes findet.

Darwin war nun, von der jetzigen Lenensweiserer riflbilden-den Korallen ausgehend, zu einer wahrscheinlicheren Erklärung gelangt. Er sah, wie die im Bau begriffenen Korallenriffe sich stets nur in einer gewissen mâssigen Tiefe befinden und deshalb in der Regel die nicht allzu steil abfallenden Ufer von Insein und Festlandskusten in einer kleinen Entfernung umgürten, weil die riffbildenden Korallenpolypen in grôsseren Meerestiefen nicht leben kônnen. Es war daher auch ein unmôglicher Gedanke, dass sie jene Ringinsein von den untersten Fandamenten und allmâhlich emporgebaut haben konnten, wenn ihnen nicht ein anderer Umstand zu Hilfe gekommen wâre. Darwin, der in Amerika so viele Beobachtungen über das langsame Sinken und Emporsteigen der Meeresküston angestellt hatte, frug sich nun, was geschehen wûrde, wenn eine mit einem ringförmigen, bloss von den Flussmûndungen unterbrocbenen Saumriff von Korallen umgebene Insel langsam tiefer sinke: Die Korallentiere würden auf ihrem vorhandenen Riff langsam hôher bauen, um dem Lichte nâher zn bleiben; die sinkende Insel aber würde sich innerhalb des Riffs, da sie keinen Zuwachs erhält, verkleinern, so dass dann die noch emporragenden centralen Teile der Insel durch einen breiteren Meereskanal von ihrem

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__ 44 ~                                      :

ehemaligen Saumriffe getrennt erschienen, und letzteres in ein sogenanntesWall-oder Kanalriff verwandelt werden würde, wie «* deren viele giebt. Sânke der Meeresboden nun langsam immer weiter, ? so würden die Korallen ihr ringfôrmiges Riff immer durch Neubauten in der bisherigen Hôhe erhalten kônnen, die Insel aber würde j innerhalb des Ringes ganz versinken, so dass aiso ein ringformiges M Eorallenriff übrig bliebe, welches, wenn der Boden sich wieder einmal ein wenig hebt, oder derWasserspiegel langsam fâllt, aïs Atoll f aus der Mut emporsteigt. Die Atolle wären also die verbesserten Umrissbilder versunkener Inseln oder Untiefen.                            !

In seinem 1842 erschienenen Werke ùber den "Bau und die ^ Verbreitung der Korallenriffe" welches als erster Teil der „Geo- j logie der Reise des Beagle-) erschien, war diese Theorie mit einer J solchen Fülle von Beweisen und mit einer solchen Ûberzeugungs- ' kraft vorgetragen, dass sie sofort die Mehrzahl der Geologen It & sich gewann, denen es wie Schuppen von den Augen fiel, und von j denen einige, wie z.B. Alexander von Humboldt, zur lautenBe-1 wundemng hingerissen wurden. Hatte sich der Ruf Darwins sicht I bereits damals durch seine Reisewerke verbreitet, so würde dieses Buch * hingereicht haben, ihm einen hervorragenden Rang unter den Geo- ' logen aller Zeiten zu verschaffen. Im Laufe der Jahre sind in- . dessen mancherlei Einwürfe gegen die Theorie erhoben worden, I namentlich wegen ihrer Voraussetzung dauernder Senkungen nut S nachmaliger Erhebung. Gleich nach dem durch Krankheit verzôgerten ersten Erscheinen trat Maclar mit einigen Einwùrfen hervor, die Darwin sogleich (1843) widerlegte; spâter haben Dana , (1872), Karl Semprr (1860 und 1880), John Murray (1880) I und andere tols Einzelnheiten, teils die ganze Theorie angezweifeit § und sie durch andere Erklärungen zu ersetzen gesuoht. In der f neuen, von 1874 datierenden Ausgabe seines Werkes sind die âlteren ' Einwürfe besprochen und wie es scheint, siegreich widerlegt wor- i den. Eine neue, besonders von John Murray mit Klarheit erôrterte Theorie knüpft an die schon von Chamisso beobachtete und von Darwin vollgewürdigte Thatsache an, dass Korallen dort am besten gedeihen, wo sie am meisten der Nahrung herbeiführenden

*) Eseröffnet die geologischen Schriften Darwins in den"Gesammelten Werten" (Stuttgart) Bd. XI, l. Hälfte mit 231 Seiten und 3 Karten.

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Brandung ausgesetzt sind, d. h. auf der âussern Peripherie. Hier I wurden sie sich immer weiter ausdehnnn und im Gentrum ab-I sterben, so dass ein sich immer mehr erweiterndes, ringfôrmiges Rift i entstehen müsste.wenn die auflösendnn Kräfte des Meerwassess die inneren abgestorbenen Telle auflösen und zerstören könnten. Dass eine Bekleidung mit lebenden Tieren ein Riff oder eine Barre gegen die zerstôrenee Brandugg schütz,, der sie sonst nicht widerstehen würde, hat Darwin selbst in einer kleinen Abhandlung „über eine merkwûrdige Sandsteinbarre von Pernambuco an der Küste von Brasilien", die Oktober 184-1 im „Lond. and Edinb. Philosoph. Mo, gaz. Vol.XIXp.2S7" erschien und der neuen Ausgabe des in Rede stehenden Werkes angehängt ist, dargethan. Es scheint ubrigens nicht, dass die Darwinsche Theorie der Korallenbauten durch die neueren an Wahrscheinlichkeit ûbertroffen wird; wie aber auch die auf Grund erneuter Untersuchunnen zu basierende Entscheidung der Zukunft ausfallen möge, immer wird dem Darwinschen Werke der Rnhm eines wahren Musters der Analyse eines verwickelten geologischen Problems bleiben.

Aïs zweiten Band desselben grösseren Werkes gab Darwin im Jahre 1844 seine „Geologischen Beobachtrngen über die vukanischen Inseln", die erwährend der Beagle-Reise besucht hatte, nebst "kurzen Bemerkungen über die Geologie von Australien und dem Kap der guten Hoffnung" herau,, welches noch immer das haup-sâchlichste Quellenwekk über die Mehrzahl der darin behandelten Ortlichkeiten in geologischer Beziehung bildet. Ats Darwin dieses Buch schrieb, war die von Alex. von Humboldt und Leop. von Buch begründete Erhebungs-Theorie, obwohl von Lye,l, Scrope und andern Geologen bereits angegriffen, nocb immer in den Augen der meisten Geologen, und namentlich in denjenigen der iranzösischen Schule (Elie de Beaumont, Dufrönoy u. a.) in Geltung. Hiernach sollten die Vulkane und vulkanischen Gebirge Folgen direkter Hebungnn mittelst vulkanischer Kräfte sein, durch welche der Boden an den betreffendnn Stellen blasenförmig aufgetrieben worden sei und sich an der Spitze geöffnet habe. Fur eine solche Wirkung schienen die im weitern Umkreise manchrr Vulkane steil erhobenen Sedimentschichten zu sprechen, die aber in gleicher Weise in allen Gebirgen, auch solchen, wo sich niemass Vulkane gebildet haben, vorkommen. Lye,l, Scrope u. a. hatten

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die Kraterberge einfacher durch Übereinanderlagerung der feste«! und flüssigen Auswurfsstoffe der Vulkane rings um ihre Mündung«! erklârt, und diese Ansicht hat in neuerer Zeit vollig die Oberhanf erhalten. Darwin nâherte sich der neueren Auffassung, nahm ab* im ganzen eine vermittelnde Stellung ein, indem er nicht alle! Anteil der vulkanischon Krâfte an den Erhebungen leugnen wolltet Der Wert seiner einschlägigen Beobachtungen liegt nicht sowohl im theoretischen Teil, - obwohl manche seine Folgerungen, z. B,| dass die Vulkane in Gebieten liegen, welche im Aufsteigen begriffe»! sind, neuerdings zur Geltung kommen, - aïs in der Menge ge>| nauer Beobachtungen, die sicher zur Lôsung der betreffenden Fr~| gen das ihrige beigetragen haben, und unter denen auch die Unter- 4 suchungen über die nachmalige Abwitterung der Vulkane eine f neue Forsohungsreihe eröffneten.*)                                             f

Die dritte und letzte Abteilung dieses grôsseren, imAnschlussf an die Beagle-Keise herausgegebenen geologischen Werkes trägtf den Titel „Geologische Beobachnungen über Südamerika und erschien im September 1846. Sie enthâlt die Gesamtheit der in I Südamerika beobachteten geologischen Phânomene, wobei natürlich! jene Beobachtungen über die langsamen Erhebungen und Senkunger,, * sowie über die Erhebung der Andenkette, von denen wir manches aus seinen oben mitgeteilten Briefen erfahren haben, den wichtig.| sten Teil ausmachen. Von geradezu klassischer Bedeutung sind dar-j unter namentlich seine Studien über die metamorphosierenden Wir-1 kungen der empordringenden feuerflüssigen Gesteine, über Faltung, Bruch und Blâtterung der Schichten, mit welchen Phânomenen er sich schon in seiner oben erwahnten Arbeit über den Zusammenhang vulkanischer Erscheinungen vom Jahre 1838 beschâftigt batte. In der Bestimmung der Mineralien wurde er hierbei durch Prof. Miller, in derjenigen der Fossilien durch G. B. Sowebby, Edw. Forbss und A. d'Orbigny unterstützt. Darwin hat diese Arbeit bei der zweiten 1876 erschienenen Auflage derselben**) unYerândert ,, gelassen, obwohl, wie er sagte, einige wenige Punkte derselben in- lt folge der inzwischen gemachten grossen Fortschritte der Geologie 'fl veraltet sind. Mit ihr zusammen Hess er zwei in demselben Jahre erschienene kleinere Arbeiten über "die Geologie der Falklands- >

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Lein"*) und ,Beschreibung des feinen Staubes, welcher oft auf

fcte im atlantiseben Ocean fällt")**) neu abdrucken, nicht ohne

{darauf hinzuweisen, dass hierin ein eigentümlicher Beitrag zur

schichtenbildenden Thâtigkeit des Meeres durch mikroskopische

Wesen des Süsswassers, die der Wind herweht, geliefert wird

Zu einer andern Beobachtungsreihe, die auch in dem letzt-erwahnten Werke berücksichtigt ist, hatten ihn die Wirkungen der Eis-Lit veranlasst. Im Thal von Santa-Cruz, auf dem Gebiete von Chiloë, an den Küsten der Magellan-Strasse und in Feuerland selbst hatte er die Verteilung der Findlmgsblöcke studiert und aus denjenigen der ersteren Lokalitât den Schluss ziehen konnen, dass manche der ausgestorbenen Sâugetiere, ; B. die Gattung "—~^ * gelebt haben, nachdem der Eitransport dieser Blôcke stattgefunden hatte. Damais glaubte Darwin mit Lyeli, dass scbwimmende Eismassen den hauptsâchlichsten Anteil an der Verteilung der Blôcke gehabt haben mochten, aber er unterlässt nicht hinzuzufügen, dass die Formation oftmals ohne jede Spur von Seemuscheln sei.)*) | Aïs bald darauf Dr. Buckland eine Arbeit ùber Eiszeit-Spuren in Nord-Wales veröffentlicht batte, besuchte Darwin diese Lokalität, und suchte zu zeigen, dass neben den wahrscheinlich von schwimmenden Eismassen befrachteten Blôcken doch auch zweifellose Äsoherwirkungen, kenntlich an der buckelformigen Abrundung ! der Hugel, daselbst zu konstatieren seien-f) Er nâherte sich also bereits de neueren Auffassung, die noch eines beinahe vierzigjahrigen Kampfes bedurft hat, um sich geltend zu machen. Darwin .behielt ûbrigens die hier sich anschliessenden Fragen noch auf lange Zeit im Auge und veroffentlichte 1848 eine Abhandlung ûber

*) Gelesen am 25. März 1846 in der London. Geolog. Gesellsch. Abgedruckt in den Proceed. Vol. IL P. L 1846 p. 367-874 und Gesamm. Werke

^^aZ^ofthe Geol. Soc. of London, Vol. IL 1876 p. *, Gesammelte Werke XII. 2. Abt. S. 99-104.

***)Über die Verbrettung der erratischen Blöcke und über die gleichzeitigen nicht-g schichteten Ablagerungen in Südamerika. Transact, of the Geol. Soc. 2 Se,\ol. VI. P. 2. 18k ;, 415-431. Ges. Werke Bd. II. A Abt. S. 57-80. t) Ubor die von den alten Gletschern in Caernarvonshire hervorgebrachten Wirkuugea und die von schwimmendem Eise transportierten erratischen Blöcke. The London Edinb. and Dublin, Philo*. Magax. and Journ. of Science. Vol. XXI. 1842 p. 180-188. - Ges. Werke Bd. XII. 2 Abt. S. 81-92.

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die ,Wanderungen erratischer Blôcke von einem niedern zu einem bohem Niveau»*), und 1855 eine andere "über das Vermogen der Eisberge, in unterseeiscbe wellenformige Mäcben gradiinige, parallele Furchen zu ritzen»,-) wobei noch einer wenigstens auf Gletscher Bezug nehmenden Arbeit aus dem Jahre 1851: ,Analogie einiger vulhanischer Gesteine mit Gletschern rûcksichtiich der Struktur»***) gedacht werden mag. Im Jahre 1849 gab die englische AdmiraJitât unter der Redaktion von F. W. Herschel eine „Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Keisen"f) heraus, für welche Darwin den geologischen Teil verfasste. Im allgemeinen kann man sager, dass mit dem Jahre 1850 diejenige Epoche der Darwinschen Arbeiten, die man als die „GeoIogische Periode" bezeichnen kônnte, abschliesst. Zwar kehrte er, wie wir eben geseben haben, auch noch spâter gelegentlich zu geologischen Problemen zurück und veröffentlichte noch 1863 eine kleine Arbeit „über die Dicke der Pampas-Formaiion bei Buenos Ayres"^) aber im allgemeinen wandte er sich seit dem Ende der vierziger Jahre ganz den biologischen Problemen zu, in deren Behandlung er seine hôchsten Triumphe feiern sollte. Es braucht nicht besonders auf das Naturgeinässe jener Aufeinanderfolge der Studien verwiesen zu werden; sicherlich hat der Blick in die grossen Zeitrâume der Geologie und auf die accumulative Wirkung des Kleinen in längeren Zeitrâumen das Auge Darwins geschärft für die noch grösseren Probleme der allmâhlichen Verânderungen der lebenden Wesen, die seiner harrten.

An die geologischen Arbeiten scblossen sich der Zeit nach zunâcbst einige zoologische Untersuchungen, deren Anregung jedenfalls auch auf die Beagle-Reise zurückzuführen ist. Im Jahre 1844 hatte Darwnn eine kleine Arbeit über das Geschlecht der Pfeilwürmer (Sagitta), jener noch immer râtselhaften Wesen veröffentlicbt,)tt) die von einigen Naturforschem zu den Mollusken und

*) Journ. of the Geoi. Soc. London IL p. 267-274. **) Philo,. Mugaz. X. p. 96-98. ***) Edinb. Royal Soc. Proceed. IL p. ~7-18. ■ t) A Manual of scientific enquiry prepaeed for the use of officer< in H. M. navy and travellers in general. 3. Edi.. 1859. - ft) Journ. of the Geol. ~oc. SIX. p. 68-71.

ftt) Anna: o/ Nat. Hist. Vol. XIII. p. 1-6 mit 1 Taf.

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von andern sogar zu den Wirbeltieren gestellt worden waren und daran schloss sich alsbald die Beschreibung der auf der Reise beobachteten Plattwürme,, von denen er, wie wir oben erfahren haben, eine Anzahl in den Wâldern Brasiliens beobachtet hatte.*) Zwar waren schon früher einige dieser sonst nur im Wasser lebenden Strudelwurmer aïs Ausnahmen an feuchten Orten des Festlandes beobachtet worden, aber die schôngefârbten und zum Teil langgestreckten Arten der Tropenwâlder kamen den Zoologen doch sehr überraschend. Fritz Müller bat spâter die Darwinschen Beobachtungen ùber die Strudelwûrmer der brasilianischen Urwâlder

01 Gemach machte sich Darwnn an die Bearbeitung einer merkwûrdigen Tierklasse, die seit lange seine Aufmerksamkeit erregt hatte, diederEankenfüssler oderCirripedien. Es ist dies bekanntlich eine Sippschaft zurückgebildcter Krebse, die sich mit einer aus vielen Stücken bestehenden Schale bedecken und auf fremden Kôrpern festwachsen, nachdem sie die F&hler, Augen und andere Organe eingebüßt haben, weshalb sie Cuvier noch 1830 nach hergebrachter Weise zu den Mollusken gestellt hatte, obwohl Lamarck bereits im Jahre 1802 ihre Kruster-Natur erkannt und ihnen ihren jetzigen Namen gegeben batte. Im Jabre 1830 wies Vaughnn Thompson aus der Entwicklungsgeschichte dieser Tiere nach, dass Lamarcks Bück das Richtige getroffen, was Burmeister 1834 bestâtigte, worauf Darwin die gesamte Naturgeschichte dieser lehrreicben Gruppe in umfassender Weise untersuchte. Seine Publikstionen wurden 1851 mit einer „Monographie der fossilen Lepa-diden oder gestielten Cirripedien Englands»**) eröffnet, der noch im selben Jahre der erste Band seiner Monographie der (lebenden) bekannten Cirripedien *)*) mit Abbildungen aller Arten folgte. Natürlich war dieses Werk seit Jahren vorbereitet, und Darwin hatte sich die verschiedenen Arten aus den Meeren aller Weltteile zu verschaffen gewusst, ihre Systematik, Organisation, Entwicklungsgeschichte, Fort-pflanzung, Lebensweise, Verbreitung in der Jetztwelt und Vor-

*) Ann. of Nat. His.. Vol. XIV. p. 2U-251 mit 1 Taf. **) Gedruckt für die Londoner Palaontograpkiseke Gesellschaft 86 S. mit 5 Taf. in 4.

*") Gedruckt für die ~ay-Soc^ in Loudon XIL. und 400 Seiten mit

W ^...Ch.D.rwi,,                                                                       i

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zeit auf das Eingehendste untersucht und beschrieben Der zweite~ noch umfangreichere Band, welcher die ungestielten Bankenfüssler (Balaniden, Vermeiden u. s. w.) enthâlt,*) erschien 1884 und wurdo in demselben Jahre durch eine "Monographie der fossilen Balaniden und Vermeiden Englands«**) ergänzt. Noch in spâteren Jahren kehrte er zu dieser für die Entwicklungslehre hôchst lehrreichen Tierklasse wiederholt zurück, und veröffentlichte 1863 eina kleine Notiz "über den sogenannten Hôrsack der Cirripedien" ***) und 1873 eine solche "über die Mânnchen und komplementâren Männchen gewisser Cirripedien und über rudimentare Strukturen."!)

Die „koinplementâren Männchen" der Cirnpedien gehôren zu den interessantesten Entdeckungen Darwins auf zoologischem Gebiete und es mag daher eine gedrängte Darstellung dieser Entdeckung hier folgen. Schon Goodsir hatte 1843 beobachtet dass in den Schalen einer Meereichelart parasitische, sehr kleine Männchen vorhanden waren, obwohl die Rankenfüssler gleich den meisten festgewachsenen Tier-Arten meist Hermaphroditen smd. Bei den Lepadiden-Gattungen Ibla und Scalpellum fand Darwin ausser den kleinen Männchen, die in bestimmten Sâcken der Weibohen wohnen und teils mit Mundwerkzeugen versehene, lângerlebende, teils mund- und magenlose kurzlebige Formen sind, auch bei den hermaphrodiiischen Arten diese beiden Formen „komplementârer Mânnchen" vor, so dass hier ein ähniiches Verhâltnis obwaltet, wie bei manchen zusammengesetzten Blumen, wâhrend aus dem Tierreich keine analogen Fälle bekannt sind. Darwm fasste das Verhältnis (1854) aïs „eine seltsame Illustraiion mehr zu den bereits zahlreich bekannten Beispielen, wie allmâhlich die Natur von dem einen Zustande in den andern, in diesem Falle von Zweigeschlechtigkeit zu Eingeschlechtigkeit übergeht« auf.

Die Cirripeden-TJntersuchungen würden hingereicht haben, Darwnn in die vordere Keihe der Zoologen zu stellen, denn sie zeigten, dass er vollauf die Fâhigkeiten besass, auch aïs beschreibender" Zoolog und Systematiker, aïs Anatom und Embryo-

^Tuokt für die Ray-Society VII. und 681 Seiten mit 30 Tafeta. 4. **) Schriften der Londoner Palatograph. Gesellschaft, 44 Seiten mit

a**u) 'Natur. Hist. Review 1863 p. 115-116. +) Nature, Vol. VIII. p. 431 u. 505.

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loge bedeutendes zu leisten. Aber wir dürfen uns sicher Glück wünschen, dass er bei Zeiten diesen zeitraubenden Weg, die Wissenschaft durch Detailuntersuchungen zu fôrdern, aufgegeben hat, um sich voll und ganz den grösseren Problemen zuzuwenden, die seit lange seinen Geist beschäftigten, die aber nicht sowohl durch Einzelnarbeiten, aïs vielmehr durch eine Betrachtung der Gesamtheit der Formen von einem philosophischen Gesiohtspunkte aus, unter

Gesamtheit der lebenden Natur zurückwandte und der Frage nahe trat, wie dieser verblüffende Reichtum der Formen entstanden sein kônnte.

V. Die Entdeckung der Zuchtwahe-Theorie.

Aïs Darwnn Ende 1831 seine Reise um die Welt antrat, war unterden massgebenden Naturforschern die alte Linnesche Ansicht, dass die Arten der lebenden Wesen unverânderiiche seien, vorherrschend. Zwar hatten bereits in frùheren Jahrhunderten einzelne Naturkundige eine gegenteilige Ansicht ausgedrückt, und Buffon hatte bald für, bald gegen die Veranderlichkeit geschrieben, aber selbst die Anhunger der letzteren Ansicht hatten meist nur an eine Verânderlichkeit in bestimmten Grenzen gedacht, so dass sie z. B. annahmen, alle Arten ein und derselben Gattung, z. B. die verschiedenen Arten des Katzengeschlechts oder der Erdbeeren, konnten durch allmâhlicheVerânderungen aus demselbenGrundstamm hervorgegangen sein. Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts gewannen diese Ideen in dem Gedankenkreise dreier hervorragender Geister eine grôssere Tiefe und Tragweite. Wir denken anKant, Gôthe und Erasmus Darwn,, wollen aber hier, da wir die Vorgeschichte der Descendenztheorie an einem andern Orte aus-fahriicher behandeit haben,*) nur einen Augenblick bei der Gestalt

*) In dem mehrerwabnten Buche über Erasmus Darwin.

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verweilen, welche diese Ideen in dem Geiste des Grossvater Darwins gewonnenhattenu um zeigen, dass nichtLamarck, sondern diesem

Schon in seinem „botanischen Garten" (1788-90) warf er die Meinung hin, dass wahrscheinlich alle Erzeugnisse der Natur in einem bestandigen Fortscbritte zu grosserer Vollkommenheit begriffen seien, und er fand diese Vorstellung „der Wûrde des Schôpfers aller Dinge entsprechend." Da so viele fossilen Tiere, wie z.B. die Ammoniten, nicht mehr lebend gefunden werden, die meisten lebenden Tiere aber niemals im fossilen Zustande, so bestârkte ihn dies Verhalten in der Vermutung, dass die Tiere ihre Geritten im Laufe der Zeiten gewechselt haben mochten, nm „neue Arten zu werden « Eine Stütze dieser Hypothese fand er namentlich in den rudimentären Organnn der Pflanzen und Tiere. "Die antherenlosen Staubgefâsse der Pflanzen bieten," schrieb er in einer Anmerkung zu seinem erstveröfientlichten poëtischen Werke.*) ,eine merkwürdige Analogie zu einer Bildung der Zweiflügler unter .den Insekten, nâmiicb zweier kleiner gestielter Knopfchen, meist unter einer bogigen Schuppe, welche Rudimente der

Hinterflügel zu sein scheinen..... Andere Tiere haben andere

Merkmale eines in einem langen Zeitraume vorgegangenen Wech-sels an einigen Teilen ihrer Körper, durhh welchnn bewrktt wordnn sein mag, sie nnuen Wegen desNahrungserwerbs anzupassen.» In demselben Werke deutete er bereits die Dornen und Stacheln, die starken Gerüche und GiftstofFe mancher Pflanzen, aïs schützende Erwerbungen, um sie gegen die Gefrässig-keit von Sâugetieren und Insekten zu bewaffnen; er erklärte l Pechringe und die von denBlättern gebildeten Wasserbecken, mit denen die Weberkarde und manche tropische Gewâchse ihre Stengel umgeben, ais Schutzmittel, um die Blüten vor kriechenden Insekten zubewahren,jaererläutertenwennanchan einem falschen Beispiele, das m neuerer Zeit vielbesprochene Prinzip der Mimicry, indem er mutmasste, dass manche Orchideen das Ansehen von mit Insekten besetzten Blumon angenommen hâtten, um andere Insekten abzuhalten. Ebenso erlâuterte er den Nutzen der Schutzfarben

*) The Loves of the Plant,, 2. Edit. London

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bei Tieren und machte darauf aufmerksam, dass Fische und Vôgel gewohniich am Rücken dunkel und am Baucbe hell gefârbt seien, um sowohl den über ihnen befindlichen, aïs den unter ihnen lauernden Feinden zu entgehen, und dass sie die Farben der Umgebung und des Grundes, auf welchem sie sicb gewöhnlich bewegen, annehmen, um weniger leicht gesehen zu werden. Bis auf die Farben der Vogeleier wendete der scharfsichtige Beobachter die Hypothèse an, dass in den Farben der Tiere „Absicht" verborgen sei.

Alle diese Gedanken über die Veranderlichkett und Entwicklung der organischen Wesen erscheinen in ausgereifter Form im neununddreissigsten Abschnitt der Zoonomie, welcher von der Erzeugung handelt. Er leitet sie durch die Bemerkung ein, dass nach seiner Meinung die neuen Veranderungen der Eltern auf die Nachkommen übergehen, und knüpft dann an die Entwicklung des Schmetterlings aus der Raupe, des lungenatmenden Frosches aus der kiemenatmenden Kaulquappe und an die Erfolge der Züchtung an unsern Haustieren die Hypothèse, dass die Tiere an sich nach den verschiedensten Richtungen veränderlich seien und diese Yerânderungen vererbten, wie denn selbst Verstümmlungen und Missgebnrten bei Haustieren erblich seien. Die Vergleichung der verschiedenen Tierarten unter einander, die Âhniicbkeiten, die sich dabei ergeben, x. B. zwischen Schwimmfussen, Gchfûssen und Greiffüssen, zwischen Vorderbeinen der Vierfüssler und den Flugein der Vôgel, bestarkten ihn in der Ansicht, dass es sich in allen dioson Verschiedenheiten nur um Umbildungen aus einer gemeinsamen Grundform handele.

Aïs die drei hauptsâchiichsten Triebfedern dieser Umwandiungen erkannte er die drei Hauptbedûrfnisse der Tiere, den Hunger, der sie immerfort antreibt, neue Nahrungsquellen aufzusuchen, den Fortpf)anzungstrieb, der die Mânnchen veranlasst, mit ihren Nebenbublern ~m den Besitz der Weibchen zu kampfen, und das Bedürfnis der Sicherheit, welches ihnen die schon besprochenen Schutzfarben und Zeichnungen verliehen habe. Das Bedùrfnis, sich immerfort neue Nahrungsquellen zu eröffnen, habe einen hervorragenden Anteil an der Umbildung der verschiedenen Gliedmassen genommen. So sei die Nase des Schweines hart geworden, um den Erdbodnn beim Aufsuchen der Insekten und Wurzeln umzuwùhlen. Der Rüssel des Elefanten sei eine Verlângerung der

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Nase, um die Zweige zu seiner Nahrung niederzubeugen und um Wasser einzunehmen, ohne seine Kniee zu beugen. Raubtiere hâtten starkes Gebiss und Krallen erhalten, um ihre Opfer besser

zu ûberwâltigen. Beim Hornvieh sei die Zunge und der Gaumen   ~

rauh geworden, damit sie die oft scharfen Grâser und andere   ?

Nâhrpflanzen besser abstreifen konnten. So seien auch die Schnâbel   i

der Papageien und anderer Vogel krâftig geworden, um Nüsse und   a

âhniiche Hartfrüchte aufzubeissen, und diejenigen der Sumpfvôgel   *

hâtten sich verlângert, um besser die sumpfige Erde nach Nahrung   t

zu durohwûhlen u.s.w. "Alle derartige Einrichtungen«" fâhrt er   o

nach einer Aufzählung derselben wërtiich'fort, „scheinen meh-   s

rere Generatienen hindurch nach und nach infolge des    *

beständigen Bestrensns der Kreatur, dem Nahrungs-   --

bedürfnisse zu genügen, gebildet worden zu sein und    *

sich so auf die Nachkommenschaft mit beständiger Ver-    I

besserung derselben zu ihrer zweckmässigem Anwen-    : dung fortgepflanzt zu habnn."

Die KräftiguBg und vollendete Ausbildung eines Organs für    r.

einen besonderen Zweck leitete er schon, ganz wie spâter Lamarck,    -

von dem hâufigeren Gebrauch in dieser Richtung ab, und wies    *

zur Erlâuterung auf die Kôrperverânderungen hin, die sich bei    ,.

manchen Berufszweigen, wie z. B. der Schmiede, Weber, Seiltânzer    ,

u. s. w., durch einseitigen Gebrauch einzelner Glieder herausbilden.    *

Aber er ging schon über Lamarck hinaus, indem er bereits in dem    *

erst von seinem Enkel zur weiteren Anerkennung gebrachten Prin-    \

cip der geschlechtlichen Zuchtwahl ein Mittel erkannte, auch    j die im allgemeinen friedlichen Tiere mit Waffen zu versehen.

„Fur einen Teil der tierischen We)t? sagt er, „bestaud ein grosses     \

So siud die Geweihe des Hirsches am Susseren Ende scharf, um seinen Gegner damit zu verwuuden, dagegeu verzweigt, um die Stosse

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des Weibchens bestimmt, welches dann, wie die Damen der Bitterzeit,

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dem Panier des Siegers folgt. Die Voge!, welche ihren Jungen keine Nahrung zntragen, und nicht in Monogamie leben, sind mit Sporen zum Kampf um den ausscbliesslichen Besitz des Weibchens verseben, wie z.B. H&hne und Wachteln. Es ist gewiss, dass diese Waffen ihnen nicht zur Schutzwehr gegen andere Feinde voriiehen sind, da die Weibchen derselben Art ohne diese Bewaffnung sind. Die Endursache diesss Streites unter den Männhhen scheint zu sein, damtt das st&rkste und lebhTfteste Tier die Art fortpflanze, welche dadurch verbessert werdnn soUlte."

Wir haben hier nur einige Hauptstellen aus dem ,botanischen Garten" und der „Zoonomie" anführen konnen und müssen den wissbegierigen Leser für die weitere Ausführung seiner Gedanken auf unser oben citiertes Buch über Erasmss Darwin verweisen. Aber schon aus diesen wenigen Andeutungen geht hervor, dass derselbe seine Uberzeugung von der Richtigkeit der Descendenz-theorie auf denselben Grundlagen aufbaute, wie die heutige Wissenschaft. Den Beweis der Veränderlichkeit der Naturwesen sohopfte er aus der täglichen Erfahrung, und die Uberzeugung, dass die ganze Mannigfaltigkeit derselben aus dieser Verânderlichkeit abzuleiten sein möchte, lehreen ihm die Thatsaohen dreier Forschungszweige, der Versteinerungskunde, der vergleichenden Anatomee imd der Entwicklungsgeschichte, welche letzteee zeigt, dass kein Wesen von Anfang an als dasjenige erscheint, was es werden will, sondern häufig bedeutende Umwandlungen zu bpstehen hat, wie z. B. der Frosch (und manche Insekten) aus einem im Wasser lebenden Kiementier zum luftatmenden Lungentier wird. Man kann demnach Eicht umhin, zuzugestehen, dass E. Darwnn wenigstens zwanzig Jahrevor Lamarck die Anwendung desPrincips der fanktioneIlen Anpassung auf die Descendenz-Theorie gemacht bat, so dass dieser, obwohl er dieselben Ideen mit eingehenderen Kenntnissen ausführte, doch nur aïs ein Nachfolger Darwins, aïs ein ,Darwinian« der âlteren Schule", zu bezeichnen ist. Mit vollster Klarheit erlâuterte E. Darwnn ferner die Theorie der geschlechtiichen Zuchtwahl bis zu der Konsequenz, dass das stârkste Mânnchen vorzugsweise sich fortpflanzen werde, d. 1, in jenem Umfange, in welchem Wallace und manche andere Darwinian« dieselbe allein anerkenneu wollen, wahrend Ch. Darwnn bekanntlich dem Weibchen eine Bevorzugung nicht nur der krâftigsten, sondern auch der am

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schônsten geschmückten und ihre Bewerbung durch Gesang und Tanz am wirksamsten unterstützenden Mânnchen zuschreibt.

In den letzten Jahren sind sogar Stimmen hervorgetreten, welche nicht nur die Theorie der geschleohtlichen Zuchtwahl auf den Umfang beschrânken wollten, den ihr Erasmus Darwin beigelegt, sondern die gesamte Descendenz-Theorie desselben für gesünder und besser begründet halten wollten, aïs die seines Enkels. Der Grossvater glaubte nâmiich, den organischen Wesen sei ein Vermogen eingeboren, ihren Kôrper und ihre Organe durch ihre eigenen, innerlichen Bestrebungen in bestimmten Richtungen umzubilden und sich neuem Lebensbedingungen bis zur hôchsten Zweckerfüllung direkt und absichtlich kôrperlich und geistig anzupassen. „Es scheint", sagt er, in seiner Phytologia*), "dem organischen Wesen von dem grossen Urheber aller Dinge eine Macht eingepflanzt zu sein, durch welche sie nicht allein an Grosse und Stârke bis zu ihrer Reife zunehmen, ihre Krankheitszufälle überwinden und zugefügte Verletzungen reparieren, sondern auch ein Vermogen, Waffen hervorzubringen, um sie vor heftigen Angriffen, die sie sonst tôten würden,. zu schùtzen u.s.w." Diejenigen, welche selbst heute noch in einer solchen Erkenntnis den letzten Schluss der Weisheit sehen môchten, übersehen jedoch, dass diese Ideen keinem Philosophen oder Naturforscher auf die Dauer haben genügen wollen, selbst nachdem Lamarck sie mit seiner eindringenden Kenntnis und Beredsamkeit unterstutzt batte. -

Sie genügte auch dem alteren Darwin keineswegs, denn wir sehen aus vielen Stellen seiner frûhesten Werke und seines letzten Lehrgedichtes, dass er noch nach einer hohern Erkenntnis der Natur rang und ganz nahe derjenigen Lôsung gewesen ist, die erst seinem Enkel voll zu begrûnden gelang. Schon als er den „botanischen Garten" schrieb, quâlte ihn die Frage, warum die Natur so grausam sei, und alle Wesen einander bekriegen müssten, warum in der Natur von dem Frieden, den einige Teleologen in derselben gefunden haben wollten, niemals die Rede sein kônne. Wohl niemand hat den ,Kampf ums Dasein", der durch seinen Enkel zu einem Schlagwort des Tages geworden ist, mit lebhafteren Farben geschildert, aïs Erasmus Darwnn in seinem "Tempel der

*) Pht„l»9ia, Sect. XIV. 3. 2.

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- 57 -Natur." Es sei erlaubt, zum Belege dieser Behauptung aus dem lTLdaLuführennGesanges je"eS LehrgedicMeS e™ lä"gere

Ja,' Flora selbst, die 'beitre', kanu' nicht siege», '

Ohn' wilden Streit, dem tausende erliegen.

Das Kraut, der Strauch, der Baum aufstrebend ringen

Nach Luft und Licht; sich unterdruckndd dringen

Sie himmeiwarts. Hinab die Wurzeln streben,"

Om feuchte Nahrung k&mpfend für ihr Leben

Ats Schmeichlerln umstrickt des Ephcus Ranke

Den Baum, den sie erstick,, die geile schlanke.

Vom Mancinello trâufeit giffger Thau

Und fällt versengend nieder auf die Au.

Hoch strcben Stengel auf, mit scbatt'gem Laub,

Streu'n Mehlthau auf das Feld und gift'gen Staub,

Und unersättlicher Insekten Horden

Die holde Blüte samt der Knospe morden.

Luft, Erd" und'Meer'-' falls 'tief zu schau'u es gilt -

Sind nur ein Grab, ein weites Blutgefild.

Der Hunger k~mpft, die Todespfoile fliegen

Im Schiachthaus Welt, wo alee sich bekriegen.

Gegenüber diesem grossen Schiachtfelde fand der Naturforscher nur den einen trôstenden Gedanken, die Hoffnung, dass aus dem allgemeinen Kampf ein besserer Zustand hervorgehe, sofern die ' Überproduktion der Wesen alle Lücken sofurt wieder ergânze, und frisches junges Leben an die Stelle des hinsinkenden Alters trete. Man sieht, wie nahe er der Theorie der natürlichen Auslese gewesen ist, denn wenn er nur noch den naheliegenden Schluss gewagt hätte, dass die weniger erstarkten und weniger zweckmâssig fur ihre besondere Lebensweise organisierten Wesen in dem allgemeinen Kampfe zuerst erliegen mussten, wâre er der Entde&ker des Naturgesetzes geworden, welches uns heute so viele Râtsel des Erdlebens verstândiicher macht.

Det bedeutendste Nachfolger von Erasmus Darwin war Jean Lamarck, der ebenfalls von der Botanik zur Zoologie ùbergegangeD, durch seine musterhaften Bearbeitungen der niederen Tiere grôsseren Ruf unter den Fachgenossen erwarb, aïs durch seine philosophischen Anwehten. In seiner Philosophie zoologique (1809) hatte er, wahr-

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schemlich von Darwin angeregt, seine Meinung ausgesprochen, dass 1 von den organischen Wesen die einfachsten zuerst entstanden seien, und dass aus den niederen die hoheren durch einen allmâhlichen, Ton Revolutionen ununterbrochenen Entwicklungsgang hervorgegangen« seien, bis zum Menschen, der ohne Zweifel von den hôchst entwickelten Affen abstamme. Die Wesen seien somit veränderlich, und was wir aïs Arten, Gattungen und Familien bezeugen seien nur willkùrliche Einteilungsversuche zu einer bequemeren Ûbersicht der Einzelwesen. Lâsst dieses Käsonnement Lamarcks an Konsequenz und Schârfe auch nichts zu wünschen übrig, soj mangelte doch eine genügende Erklärung für die Ursachen der Endung der niedLAu hôheren Forme. Lamarck glaub, alle VeränderuNgon der Lebewesen von ihrer Anpassung an toi verschiedenartigen Lebensbedingungen ableiten zu konnen, und an I dTschon vondem âlteren Darwin angewandte Princip der KJ tigung oder Schwâchung der Organe durch Gebrauch und Nichts I

=dunge; der Lieson hauptsachlich durch die funk

ziehung umfassenderen seines englischen Vorgânger., Eher vermochten sich die Ansichten eines andern franzôsischen Zoologen,! diejenigen Etennee Geoffrey Saint Hiaaires (ini-lS^l welcher der fortschreitenden Entwicklung des Erdballs und der Welt (monde ambiant) den Haupteinfluss an der Fortbildung: der Lebewesen zuschrieb, einigen Anhang zu verschaflen Er hat e diese Hypothèse zuerst im Jahre 1828 veröffentlicht, und da die Palaontologie damais bereits so weit vorgeschritten war, da« man das spâtere Auftreten der hôheren Lebewesen aus der Erd-geschichte beweisen konnte, so fanden seine Ansichten einigen Bei-foll, zumal man in diesem allgemeinen Entwicklungsgange der Welt, wenn nicht ein treibendes Princip, so doch wenigstens ein allge- |

meines Gesetz zu erkennen glaubte. Unglûcklicherweise verquickten , Ideen mit gewissen Ansichten, die i damalsdurch Mkckel, Oken und Pander erwecktenStudium rer

Unglûcklicherweise verquickten sich die ^^^^S Ideen mit gewissen Ansichten, die man etwas vorschnell aus dem

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tierischen Entwicklungsgeschichte gezogen hatte. Man glaubte damaJs aus den vorübergehenden Ähniichkeiten der Embryonen höherer Tiere mit niedern Tieren den Soblnas ziehen zu sollen, dass die hbhem Tiere in grader Linie aus den niedern Tieren hervorgegangen seien, und dass womöglich alle Lebewesen eine einzige grosse Reihe vom Infuser bis zum Menschen bilden sollten. Da es für tiefer sehende Zoologen deutiich genug ausgeprägt war, dass sich unter den Tieren bei vielsoitiger Übereinstimmung doch mannigfache, nicht aufeinandrr zurückführbare Typen hervorheben, so konnte diese eines gesunden Eernes durchaus nicht entbehrende Trâumeiei der „Naturphilosophen" unschwer aïs faJsch erwiesen werden, und die Anführer der Partei verloren die Schiacht infolge dieses unvorsichtigen Vorstosses einiger He:ssspomo, die sich auf unsichere Boden gewagt hatten. Im Februrr und Juti des Jahres 1830 war es im Schosse der Pariser Akademee zu wirkiichen Feldschlachten zwischen Cuvier, dem Verfechter der alten Ansicheen von der ^Veranderlichkeit der Art, und Geoffroy St. Hilaire, dem Vertreter der neuen Anschauung gekommnn und nochmals hatten die Anhingrr des Dogmas von der Unveränderlichkeit der Arten den Sieg gewonnen.

Den lezteren stand indessen eine Schwierigkeit entgegen, die nicht weggeleugntt werden konnte, das Auftreten immer neuer und hôherer Lebewesen in den aufeinanderfolgenden Erdperioden. Während die Naturphilosophie diese Reste einer aufsteigenden Reihenfolge des Lebens als Zeugnss fur die Richtigkeit ihrer Schlüsee anrufen konnte, musste von den Anhângern der Arten-Konstanz eine Reihe aufeinanderfolgender Neuschöpfungen zu ihrer Erklârung erfundnn werden, und um diese Neuschöpfungen zu motivieren, musstenErd-Katastrophen dienen, die am Abschlüsse jeder Schopfungsperiode alle Lebewesen vernichtet haben mussten. Durch die Erdrevolutionen sollte der Umstand erklärt werden, dass die Wesen jeder folgenden Période ziemlich bedeutenee Unterschiede von denjenigen der vorhcrgehenden darbieten. Übrigens konnte mit dieser geschraubten Deutungsweise nur schwer die unverknnbare Thatsache in Einklang gebracht werden, dass bei aller Verschiedenhett doch ein deutiichss Band die Lebensformen der folgenden Perioden mit denen der früheren verband, und die Kon-stanz'Dogmatiker sahen sich zu der kùnstlichen Erklärung gedrängt,

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dass der Schcpfer nach jeder Katastrophe immer wieder an diel vernichteten Lebensformen angeknüpft habe.

Wie dieser Katastrophenlehre und der von ihr aïs Er-i ganzung geforderten ,Möblirungstheorie" durch Lyell seitf dem Jahre 1830 ein Ende gemacht wurde, und wie sich Darwinf mit Begeisterung den Ansichten Lyells ûber die allmâhliche Veränderung des Bestehenden in der noch heute sichtbaren Weise an. geschlossen hatte, wurde schon oben erwähnt. Darwnn wurde der erste Forscher, welcher Lyell in seinem Kampfe gegen die plôtziich emporgeschossenen Gebirgsketten und âhniicher Unge. Innerlichkeiten ausgiebig unterstützte. Lyell hat aber nicht bloss das Verdienst, die Geologie reformiert zu haben, sondern er war auch einer der ersten, welcher Cuvier und Agassiz gegenüber die Kontinuität des Lebnss betont hatte. Die bestândigen Neuschöpfungen, deren diese Naturforscher bedurften, um das morsche Gebäude ihrer Theorieen zu stützen, wobei gleich so viele Exen, plare jeder Art auf einmal geschaffen werden mussten, um auch die entferntesten Gegenden zu besetzen, batte ihn zum Studium der Tierwanderungen der Vorzeit getrieben. In einem Briefe Lyels. an Haeckel, in welchem er sich für die, seinen diesbezüglichen Arbeiten in dem Kapitel "Lyell und Darwin" der „Schöpfungsgeschichte" widerfahrene .Berücksichtigung bedankt, schreibt er

dolle eargelegt hatte, ein beständiges Hingen um die Existenz vor- * handen gewesen sei, und dass in diesem Kampfe ums Leben einige

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ibre Zablen stets auf Kosten der andern vergrößerten, indem einige Fortschritte machten und andere vertilgt wurden. Aber wahrend ich dachte, dass so oft gewisse Tier- uud Pflanzenformel aus uns ganz ~erständtichen Gründen ver~chwandeu, andere ihre Stelle einnähmen, kraft eiuer Fotgewirkung, die über unser Begreifen wäre, blieb es Darwnn vorbehalten, die Beweise xu h&nfen, dass zwischen den hinzukommenden und den verschwindenden Arten keine Lucke vorhanden ist, dass sie das Werk der Entwicklung, nicht eiuer Schcpfung sind."

Aïs Darwin seine Reise antra,, waren diese Fragnn noch nicht dringend geworden. Es ist aber dennoch moglich, dass der Glaube an die Unveränderlichkeit der Arten schon vor Antrttt der Reise in ihm einen leisen Stoss erhalten hatte, denn sein Edinburger Lebrer und Freund Rob. Edm. Grant hatte bereits 1826 am Ende einer Abhandlung über den Sasswasserschwamm seine Ansicht ganz bestimmt dahin ausgesprochen, dass die Arten auseinander hervorgehen und durch fortgesetzte Verânderungen vervollkommnet werden. Es scheint aber nicht, dass Darwin dieser philosophischen Betrachtungsweise der Natur damass eine besondeee Aufmerksamkeit zugewendet hat, ebensowenig, wie die Werke seines Grossvaters und Lamarcks, falls er sie ûberhaupt gelesen hatte, einen besondern Eindrukk auf ihn gemacha haben dürften; was ihm an solchen Ideen etwa zugeflossen war, blieben vorläufig ruhende Keime, die erst durch umfassenderes Studium der Natur befrucht,t, und zu neuem Leben erweckt wurden.

Man mochee sogar glauben, dass er gegen diese Versuch,, die lebende Natur nach ahniichnn Grundsätzen zu behandeln, wie die Welt des Unorganischen, einigen Widerwillen empfand, denn sein Reisetagebuch enthält einzelne unverkennbar satirische Bemekungen gegen Lamar,k, nnd andrerseits zahlreiche Anklänge an den frommen Glauben Cuviers. Don Carlos, wie die Spanier Südamerikas den jungen Naturforscher mit Vorliebe nannten, war mit einem Worte allem vagen Theoretisieren abhold, und alles was er von den eigenen Forschungen hoffte, war, um seine eigenen Woree von damais zu brauchen: "etwas dazu beizutragen, um den grossen, der Jetztzeit und der Vergangenheit gemeinsamen Pann zu enthüllen, nach welchem die organischnn Wesen erschaffen worden sind.)*) Aber die treue und hingebungsvolle Arbei,, die er der

*)Reise um die Welt. Stuttgarter Auegabe 1875 p. 108.

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Untersuchung aller in Betracht kommenden Verhâltnisse widmete, j führte ihn) unwiderstehiich, wenn auch fast wider Willen, zu der Naturauffassung des Grossvaters zurück.

Wenn er, mit dem geologischen Hammer in der Hand, auf weiten Ausflügen in das Innere die Schichtenbildungen des süd-amerikanischen Kontinents untersuchte, - zum grenzenlosen St* nen der Einwohner, die in ihrer Bigotterie diese Bemühungen teils für närrisch, teils für gottlos hielten, "weil es zu wissen genüge, ! dass Gott die Berge so gemacht habe, wie sie dastehen," - so ! konnte er bald nicht umhin, bei der Vergleichung der eingeschlosse- ! nen Tierreste mit den jetzigen Tieren des Landes auf besondere und andere Gedanken zu kommen, aïs eben diese Bergbewohner, die mit vielen europaischen Golehrten früherer Zeit die Fossilien für „in diesem steinernen Zustande von der Natur geboren" ansahen. Aus einer verhâltnismâssig gar nicht sehr alten Schicht, dem Pam-passchlamm Patagoniens, hatte er die Reste einer Anzahl ausge-storben« Tiere ausgegraben, von denen zum Teil noch in Sûdamerika- aber nirgendswo sonst - Verwandte leben. Sind auch die in jetziger Zeit daselbst lebenden Gürtel- und Faultiere nur Zwerge gegen die von Darwin ausgegrabenen Eiesentiere der jüngsten Vorzeit aus derselben Klasse und diesen nicht mehr vollig gleich im Knochenbau, so sprang doch die enge Verwandtschaft unmittelbar ins Auge. "Diese wunderbare Verwandtschaft zwischen den lebenden und ausgestorbenen Tieren eines und desselben Eontinents», schrieb er damais in sein Tagebuch, „wird unzweifelhaft noch spâter mehr Licht auf das Erscheinen organischer Wesen auf unserer Erde, sowie auf ihr Verschwinden von derselben werfen, aïs irgend welche andere Klasse von Thatsachen.»

Was dieses Verdrângtwerden von Tieren und Pfianzen durch andere oder durch widrige klimatische Yerhâltnisse anbetrifft, so konnte er damais an Ort und Stelle die besten Erfahrungen darûber sammeln. Noch war frisch in aller Gedâchtnis die grosse Dürre der Jahre 1827-1833 mit ihren verhangnisvollen Folgen für das gesamte Tierleben. Man erzählte ihm, wie die dem Verhungern und Verdursten nahon Rinder zu Tausenden in die Morâste und in den Paranafluss gestûrzt und darin ertrunken seien,

*)A& O. 0. S.

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da sie vor Erschôpfung rucht imstande waren, die schlammigen Ufer wieder heraufzuklettern. Augenzeugen berichteten von dem Bei-einanderliegen Tausender von Kadavern in Salzsümpfen, und dass der ganze Paranalluss mit faulenden Tierleichen erfüllt, sein Bett mit Knochenresten gepflastert worden sei. Die Wiederkehr solcher und âhnlicher Naturereignisse erklärt nicht nur die massenhafte Aufschiohtung ausgestorbener Tiere im Schlamme einzelner Ortlich-keiten, sondern vielleicht auch das Eätsel, wie es môglich gewesen ist, dass Tiere, die, .vie z. B. die Pferde, noch in jüngster Vorzeit herdenweise über ganz Amerika dahinjagten, in ungünstigen Jahren vôllig aussterben konnten, so dass sie bei der Ankunft der Europâer

S"gleVh%abare Rindviehrasse, deren Unterlippe weit vorgeschoben ist und mit der Oberlippe nicht zusammenschliesst, dem Reisenden ein uachdenkliches und lebrreiches Beispiel, wie sich in solchen Katastrophen eine Abart infolge geringfügiger Korperverschiedenheit leichter erhalten kann, aïs eine andere, denn dièse sogenannte Niata-Rasse hâtte sich wâhrend der Zeit der Durre im Freien nicht erhalten konnen, da sie nicht so leicht, wie die andern Rinderrassen, Schösslinge von Baumen und Schilf mit den Lippen erfassen und abrupfen kann. Merkwûrdigerweise findet man die Reste eines ohne Nachkommenschaft ausgestorbenen Riesen-tieres mit Andeutungen einer âhniichen Lippenbildung, das Siva-

'■'SÄÄSÄ Ueferted, bedeutsame Veränderung, welche die Besiedlung Amerikas durch die Europâer im Naturleben seiner Lander hervorgebracht hat, dem Blicke des aufmerksamen Beobachters vorzûgliche Anschauungsbeispiele von den Vorgângen, durch welche Tiere und Pfianzen von andern, die nach irgend einer Richtung ,gunstiger organisiert sind, verdrângt und zum Aussterben gebracht werden. Die Herden der von den europâischen Ansiedlern mitgebrachten Pferde, Rinder und Sohafe haben nicht bloss das Guanaco, den Hirsch und Strauss von weiten Mächen vertrieben, sondern auch das amerikanische Schwein oder Peccari ist hier und da von dem verwilderten Schwein der alten Welt aus dem Felde geschiagen worden, und viele Striche wurden

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von verwilderten Katzen und Hunden bevôlker., Ebenso hat die spanische Artischocke oder Cardone in Chile und andern Lânderc auf beiden Seiten der Anden hunderte von Quadratmeilen, unter Verdrângugg der meisten einheimischen Pflanzen, in undurchdringliche Distelverhaue verwandelt.

Diesen Thatsachen schliesst sich eine andere Reihe von Er- f scheinungen an, denen Darwin, angeregt durch Lyells Be-1 trachtungen ùber die Kontinuität des Lebens, beständgg die f grösste Aufmerksamkeit widmete, nämlich diejenigen, welche die ^ Verbreitung voa Pflanzen und Tieren und ihre Wanderungen H betreffen. Da Darwin kurz nach einander die Lebewett der Länder | auf beiden Seiten der Anden eingehend untersuchte, so musste ihn die ausgesprochene Verschiedenhedt der Tier- und Palanzen-Arten zum Nachdenknn reizen.

"Mir fiel" schreibt er, „der scharf ausgesprochene Unterschied , zwischen der Vegetation der ostJicheH Thäler und der auf der Chilener

nicht eine von ihnen ist mit einer andern identisch. Wir müssen, hierbei alle jene Species aushehmen, welche bestândig oder gelegentlich ! hobe Berge besuchen; ebenso auch gewisse VogeJ, welche sich südlich , bis nach der Magellanstrasse verbreiten. Diese Thatsache steht in! vollkommner Cbereinstimmung mit der geologischen Geschichte der Anden; denn diese Berge haben schon sei der Zeit, wo diejlge Arten von Tieren erschienen sind, als eine grosse'Scheidewand da-gestanden; wenn wir daher nicht annehmen, dass ein und dieselbe Species an zwei verschiedenen Orten erschaffen worden ist, so dürfen wir keine grossere Ahniichkeit zwischen den organischen GeschSpfen auf den entgegengesetzten Seiten der Anden erwarten, aïs auf den gegenüberiiegendnn Küsten des Océans. In beiden Fällen mussen wir d ejenigen Arten ausser Betracht lassen, welche imstande gewesen sind, die Scheidewand zu überschreiten, mag dieselbe aus sotiden Felsen oder Meerwasser bestanden haben.«*)-In einer Anmerkung setzt er hinzu: Dies ist blos eme Erläuterung der wunderbaren, zuerst von Herrn Lyell ausgesprochenen Gesetze über die durch geologische Verânderungen

) Reise um die Weit S. 374 ff.

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beeinflusse geographische Verbreitung der Tiere. Das ganze Raisonne-ment grùndet sich natüriich auf die Aunahme der Uliveränderiichkeit der Arten; im audern Falle kônute mm die Verschiedenheit der Arten iu den beiden Gegenden ats eiue währeud des Verlaufs einer laugen Zeit eingetretene Erscheinuug ausehen."

Noch viel merkwürdigere Ergebnssee in dieser Richtung bot der Besuch der Schildkröten-(Gapapagos-)Inseln in den Monaten September und Oktober 1835. Diese Gruppe vulkanischer Inseln, die aus fünf grösseren und mehreren kleineren Eilandnn besteh,, besitzt nâmlich, obgleich sie gegen neunhuMdert Kilometer von Amerika entfernt liegt, eine Flora und Fauna, die sich im grosseu und ganzen an die amerikanische Flora und Fauna anschließen. Wurden dagegen die Tiere und Pflanzen im einzelnen betracht.t. so verrieten sie, unbeschadet ihres amerikanischen Grundcharakters, ein durchaus eigenartiges Gepräge: sie erschienen völlig aïs Ein-geborne dieser Inselwelt. Die Naturforscher der älteren Schule mussten sie aïs für diese abgelegene Inselgrupee besondess erschaffene, weil nirgends sonst vorkommende Wesen ansehen. Dabei war nun ausser jenen amerikanischen Beziehungen, die meist nur die Gattungnn oder die hôhern Gruppen betreffe,, zu denen diese Pfianzen und Tiere gehôren, noch ein weiterer Umstand auffallen.. Obwohl nämlich die einzelnen Inseln der Gruppe hôchstens fdnfzig bis sechzig Kilometer voneinander entfern,, und die meisten überdies durch kleinere Eilande wie durch Zwischenstationen mit einandrr verbunden sind, hat beinahe jede ihre eigene Art aus den dem gesamten Archipel gemeinsam zukommenden Pfianzen,, Vogel-und Eeptilgattungen. So giebt es beispielsweise daselbtt eine baumartige Komposite, die Scalesia, welche dort mit einigen Verwandten den bauptsächlichsten Waldbestand bildet und nur auf diesen Inseln vorkommt; aber jede der sechs bis acht Arten dieses Baumgeschlechts wâchst auf einer andern Inse,, nur ausnahmweise kommen zwei Arten auf derselben Insel vor. Ebenso haben sieben Inseln des Archipess jede ihre eigene, nirgends sonst in der weiten Welt vorkommenee Wolfsmilch-Art, wenn diese sieben Schwestern auch unter sich eine engere Verwandtschaft erkennnn lassen, und ähnlich verhält es sich mit den diesen Inseln eigenen Finken, Spottdrosseln und selbst mit den Schildkröten-Arten.

Hier drangee sich nun beinahe unabwessbar der Gedanke auf,

Kr.-.e.CitBarwiu.                                                                                       u

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dass diese Pflanxen und Tiere wohl meist vor lange znracktiegender Zeit in irgend einer Weise von der Westkuste Amerikas eingewandert sein mussten, um dann anf jeder einzelnen Insel nach den besonderen dort herrschenden Lebensbedingungen etwas ver- j schiedene Gestaltungen anzunehmen. Nâchst den Riesenschildkroten, die dieser Gruppe ihren Namen gaben, ist jedoch die eigentûmlichste und lehrreichste Bewohnerin derselben eine mehrere Fuss

nirgends vorkommende Tiergeschlecht ist nun in zwei verschiedenen Arten vorhanden, von denen sich die eine an die Ernâhrung von Landpflanzen, die andere - ein Unikum unter den Eidechsen l-an die Ernährung von Meeresalgen gewôhnt bat. Hierbei konnte nun in der That kaum ein Zweifel übrig bleiben, dass diese beiden Arten aus ein und derselben Grundform, und zwar vielleicht eben infolge der Gewôhnung an eine so verschiedene Lebens- und Er-nâhrnngsweise, entstanden sein müssten. Ein IMstand, der unsern Naturforscher noch besonders überraschte, war die offenbare Jugend dieser eigenartigen Lebewelt.

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Es kann kaum ein Zweifel bleiben, dass bei diesem Besuche der Galapagos-Inseln Darwins Vertrauen auf dasDogma von der tln-verânderlichkeit der Arten, welches gewiss damais bereits erschûttert war, den Todesstoss erhalten bat. Mag ihm die Erkenntnis unmittelbar oder, wie es wahrscheinlicher ist, bei weiterer Vergleichung derThatsachen allmâhlich gekommen sein, jedenfalls stand für ihn seit jener Zeit fest, dass die Ansichten der Onvierschen Schule von der TJnverânderlichkeit der Arten nicht haltbar seien. Es ist bezeichnend, dass im Jahre darauf (1836) ein berùhmter deutscher

*) Reise um die Welt S. 433-4.4.

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Natnrforscher, Leopold v. Buoh, durch die Betrachtung der Flora der Kanarischnn Inseln ebenfalss zu bestimmten Überzeugungen Ton der Veranderlichkeit der Arten gelangt war. Überhaupt dart gesagt werden, dass die Lehre von der TJnveränderliohkeit der Arten zu der Zeit, aïs Darwin zurùckgekehrt war, von den verschiedensten Seiten her angegriffen wurde. Karl Ernst Bär, der „Vater der Kntwicklungsgeschichte", hatte sich schon in einem 1834 gehaltenen Vortrage „über das allgemeinste Gesetz der Natur in aller Entwicklung" dahin ausgesprochen, dass nur eine ganz kindische Naturbetrachtung die organischen Arten aïs bleibende und unverânderliche Typen ansehen könne, und dass dieselben im Gegenteil nur vorùbprgehende Zeugnngsreihen seien, die sich durch Umblldugg ans gemeinsamnn Stammformen entwickett hahen. Von einem ganz andern Standpunkte, nämlich demjenigen der Biumenzucht, war der nachherige Dechant von Manchester, W. Herbert, zu der Überzeugung gelang,, "dass Pflanzen- und Tierarten nur eine höhere und beständigere Stufe von Varietäten seien" und er wiederholte diesen bereits 1822 von ihm ausgesprochenen Satz 1847 in seinem Werke ùber die Amaryllideen. Denselben Cedanken erörterte Rafinesque 1836 auf den ersten Seiten seiner „neuen F]ora von Nordamerika" und 1842 veröffentlichte der schweizerische Botaniker A. Murzizi zu Solothunn ein Werk, welches den Titel fnhr:: „Reflexion sin- Uespcce en hüloire. ~a<urelle-,w6lches aber, wie der Verfasser in der Vorrede bemerkt, vielmehr denTitel führen sollte: "Die Art existiert nicht", weil es die bisherige Ansicht von der Unveränderlichkeit der Art völlig ver-

Man sieht aus dem Vorstehenden, dass die Lehre von der Unveränderlichkeit der Arten damals so weit erschüttert war, dass die entgegengesetete Lehre reif wurde, an ihre Stelle gesetzt zu werden. Allein diese Uberzeugungen von der Verânderlichkeit der Arten blieben so hinge unfruchtbar, bis das Gesetz, nach welchein die Veranderungen sich erhalten, gefunden war. Daww,n, dermit gleichen Überzeugunnen von seiner Reise zarûckgekommen war, schrieb im Jahre 1839 eine kurze Skizze seiner Ansichten ùber die Artenbildung in der Natur nieder, die er jedoch nicht fur reif zur Veröffentlichung hielt und erst fünf Jahee spater (1844) dem ibm befreundeten Botaniker Josef D.Hoor er zur Durchsicht gab.

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Darwin entwickelt in dieserSkizze, welche wir im II. Teile dieses Buches als historisches Aktenstûck an erster Stelle mitteilen werden, die Theorie der natürlichen Zuchtwahl, auf welche ihn das Studium des 1798 anonym erschienenen ,Essay on the principles of population« des englischen National-Okonomen Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834) geführt hatte. In diesem für die Wissenschaft der National-Okonomie grundlegenden Werke wird der Satz in den Vordergrund gestellt, dass jede Bevôlkerung die Tendenz habe, sich rascher aïs die zu ihrer Erhaltung erforderlichen Nahrungsmittel zu vermehren, woraus ein "Kampf um die Existenz" entstehen muss, in welchem nur die fâhigeren Individuen siegreich hervorgehen kônnen. Indem Darwnn diesen Grundsatz von der staatenbildenden menschlichen Bevôlkerung auf die in der freien Natur lebenden Wesen übertrug, erkannte er darin das lângst von ihm gesuchte Princip, aus welchem ein Uberleben der für bestimmte âussere Umstânde zweckmassiger organisierten Abarten und ein Aussterben der weniger geeigneten hergeleitet werden konnte: die naüürliche Zuchtwahl, die, ganz analog wie die künsthche Zuchtwahl der Tierzùchter und Gârtner, auf die Hervorbringung neuer und in gewissen Richtungen vollkommnerer Arten hinwirken musste.

Nachdem die Tragweite dieses Princips allgemein bekannt geworden ist, bat man, wie Darwnn mitteilt*), nachgewiesen, dass bereits mehrere altère englische Naturforscher mit vieler Bestimmtheit denselben Weg gegangen waren. So hatte Dr. W. C. Wells, der durch seine Thautheorie und andere physikalische Arbeiten bekannter geworden ist, aïs durch die von ihm deutlich aufgestellte Zuchtwahltheorie, im Jahre 1813 der Royal Society eine Arbeit vorgelegt, in welcher er, anknüpfend an den Fall einer Kau der weissen Rasse, deren Haut zum Teil der eines Negers glich, deutlich das Princip der natürlichen Zuchtwahl anerkannte, wenn er es auch nur auf die Entstehung der Menschenrassen anwandte. Nachdem er angeführt, dass Neger und Mulatten Immunität gegen gewisse in den Tropengegenden herrschende Krankheiten besitzen, weist er zunâchst darauf hin, dass alle Tiere dazu neigen, in einem gewissen Grade abzuândern, und dass Landwirte ihre Haustierrassen durch Zuchtwahl passender Individuen verbessern. Was aber in diesem Falle durch Kunst geschehe, scheine mit gleicher Wirk-

*) In der Einleitung der „Entstehucg der Arten."

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samkeit, wenn auch langsam, bei der Bildung der Menschenrassen, die für die von ihnen bewohnten Gegendnn organisiert sind, durch die Natur zu geschehen; indem unter den zufälligen Varietäten, die im mittleren Afrika entstanden waren, einzelne mit schwarzer Haut dem Klima und den herrschenden Krankheiten besser widerstanden hätten, aïs die andern, wurden sie von der Natur gezûchtet, wâhrend jene ausstarben. Mit âhnlichrr Klarheit hat auch Patrick Matthew in seinem 1831 erschienenen Buche „Naval Timbre and Arboriculture« das Prinoip der natürlichen Zachtwahl entwickelt, und man kann venmuten, dass diese verschiedenen englischnn Autoren, welche dasPrincip der natürlichen Zuchtwahl gelegentlich angewendet haben, vielleicht sâmtiich durch Malthus oder durch Erasmus Darw,n, der den Kampf nms Dasein mit so lebhaften Farben geschildett hat, angerett wurden. Denn wenu man bedenk,, dass dasselbe Prinoip xnm vierten Male durch Wallace entdeckt wurde, so muss man wohl nach bestimmten Keimen dieser Idee in der älteren englischnn Litteratur fragen.

Aber alle diese Beispiele zeigen, ebenso wie diejenigen von Erasmus Darwin, Lamarck und dem alteren Geoffr,y, wie wenig Aussicht vereinzelte Ideen oder selbst unzureichend gestützte Theorien haben, die Menschheit zn ùberzeugen, bevor ihre Zeit gekommen ist. Auch Ch. Darwins Essay würde, wenn er ihn 1839 ver-offenthcht und dann nichss weiter zu seiner Unterstützung gethan hätte, vielleicht ebenso spurlos voruber gegangnn sein, wie diejenigen seiner Vorgänger. Wir werden daher nicht nâher darauf eingehen, dass in der Zwisehenzett noch viele andere Naturforscher, z~ 15. 0. d'Halyoy (1846,, F. linger (1852) und Graf Kays-r-hng (1853a vom palaontologischen Standpunkte, Viktor Garns (1853) von allgemein morphologischen Gesichtspunkten, Naudin (1852) und Lecoq (1854) als Botanikrr und Herbert Spnnrer (seit 1852) sowie Ludwig Büchner(1855) ans philosophischen Gründen die Abstammungslehre verteidigt haben.

Xur auf xwei Arbeiten mùssen wir etwas genauer eingehen weil sie zum Teil sicher dazu beigetragen haben, Darwin auf seinem Wege anzuspornen und zu crmutigen. Im» Jahee 1844 erschien im Vertagc der Gebruder William und Robert Chambers in Edin-burg ein anonymes Bach, wetches unter dem Titeh: „Vestiges »f the Hatural history of creation» und an derHand der immer vollkommnrr

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bekannt gewordenen palâontologischen Stufenfolge der Wesen die Abstammungslehre mit grosser Gescbrekhohkeit und glânzendem Stil verteidigte. Da der Verfasser von einem Schôpfer ausgeht, der den ersten Lebensformen das Vermogen eingeflôsst, sich unter seiner Nachüfe sprungweise zu vervollkommnen, so fand das Buch, welches von Karl Vogt auch ins Deutsche übersetzt wurde*), im politisch und religiôs konstitutionell gesinnten England reissenden Absatz und erlebte in aeun Jahren ebensoviel Aufiagen. Sofern die Gebruder Chambers durch das bekannte, von ihnen begrûndete Edinburger Journal, sowie durch viele andere Schriften ihr litterarisches Talent bekundet und Robett Chambers ausserdem mehrere geologische Schriften herausgegeben hatte, so vermutete man bald hinter ihm den Verfasser des Bûches, wie denn auch die neueste englische Ausgabe (1884) mit seinem Namen erschienen ist. Das Werk hat trotz erheblicher Mângel jedenfalls eine bedeutende Wirkung geübt und den Boden für das Auftreten Darwins vorbereitet Auf diesen selbst scheint es ebenfalls nicht ohne Wirkung geblieben zu sein, denn wahrscheinlich darf man es dem Erscheinen dieses Buches zuschreiben, dass Darwnn seinen Entwurf von 1839 im Jahre 1844 ins Reine schrieb und einigen Freunden

""'"Von viel höherem wissenschaftlichen Wert war eine kleine Abhandlung: „Über das Gesetz, welches die Entstehung neuer Arten reguliert hat-), die den berühmten Reisenden Alfred Rüsse1 Wallace (geb. 1823 zu Ush in Monmouthshire) zum Verfasser batte. Wallace war seit 1844 aïs Lehrer an der Eollegiatschule zu Leicester angestellt und wurde hier mit dem nachmaligen ausgezeichneten Reisenden und Naturforscher Henyy Walter Baess bekannt, dem er im Herbst 1847 den Vorschlag machte, zusammen nach dem Amazonenstrom zu reisen, „um dort Thatsachen fur die Losung des Problems über den Ursprung der Species" zu sammeln. Die Kosten würden sich durch den Verkauf von Sammlungen tropischer Pflanzen und Tiere decken lassen. Die Expedition kam zustande und war sehr ergiebig, aber leider wurde Wallace in jenen sumpfigen Gegenden so stark durch ein hartnäckiges Fieher

*) Natürliche Geschichte der Schöpfung. Hraunschweig 4849. % Auf). 1858. **) Annals and Magazine of Natural mtary 1855.

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heimgesucht, class er nach vier Jahren seinen Reisegefahrten verlassen rnuute, der noch sieben Jahre dort blieb und unter andern das Problem der sich gegenseitig nachahmenden Schmetteriinge (Mimicry) loste. Auf der Rûckreise hatte Walaace das Unglück, dass ein Schiffsbrand alle seine Sammlungen und Aufzeichnuagen zerstorte, wahrend er selbst sich in ein Boot retten konnte, welches zehn Tage auf der See umhertrieb, bevor ein Schiff die Schiffbruchigen aufnahm. Trotzdem machte er sich ungebrochenen Mutes zwei Jahre nach seiner Rûckkehr (Frühjahr 1854) von neuem auf und zwar nach Indien, woselbst er acht Jahre seines Lebens an

verfasst nnd von Sarawak auf Borneo datiert hat, geht namentlich von der geographischen Verteilung der Tiere und Pflanzen in beiden Hemisphâren ans und verweilt besonders bei der lehrreichon Thatsache, dass beide Weltteile naheverwandte Wesen aus den verschiedensten Abteilungen des Tier- und Pflauzenreichs besitzen, die einander hûben und druben vertreten, aber beinahe niemals identisch sind. In beiden Hemisphâren giebt es z. B. zahllose Orchideen- und Palmen-Arten, aber in den seltensten Fällen sind auch nur die Gattungen, viel weniger die Arten identisch. So sind die nahe verwandten Arten der Trogone oder Kuruku im Osten alle braunrückig, im Westen grunrûckig, und in ähnlicher Weise Antreten sich unter den Papageien Makao und Kakadu. Die Insekten bieten zahireiche Beispiele, von denen unter den Schmetterlingen die in Fârbung und Flugeischnitt hôcbst verschiedenen Danaiden des Ostens und die Helikoniden Sndamerikas, die trotzdem nah miteinander verwandt sind nnd in beiden Weltteilen von insektenfressenden Vogein gemieden werden, eines der auffallendsten Beispiele darstellen. Von Lyélis Bemerkungen über Tierwanderungen und von Darwnss Beobachtungen über die Lebeweit der Galapagos-Insein ausgehend, argumentiert er nun, das solche vikariierenden Formen von gemeinsamen Ahnen abstammen und durch die Verhaltnisse der verschiedenen Lânder verandert worden sein mochten, und er diskutiert schon damais sein spater mit Vorliebe behandeltes Problem der Tierwanderungen auf in geologischen Zeiten bestandenen, aber spâter verschwundenen Landbrùcken. Fnr die Vergleichung der beiden Naturforscher, die man so

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oft aïs Konknrrenten bei der wichtigsten naturwissenschaftlichen Entdeckung der Neuzeit dargestellt hat, ist es lehrreich zn sehen, wie sehr verschieden sie sich bei der Bearbeitung desselben Problems verhielten. Wallace ist unermüdlich im Erfinden neuer nnd meist scharfsinniger Kombinationen, um die Eigentûmlichkeiten der geographischen Verbreitung von Pflanzen und Tieren zu erklaren; vor seinemGeiste steigen aIteLandbrücken frùhererZeiten wieder aaf, um den Vierfüsslern den Übergang zu erleichtem und den Vögeln den Weg zu zeigen. Meeresengen verbinden jetzt getrennte Wasserbecken, um den schwimmenden Tieren die Verbreitung zu ermoglichen, knrz er operiert mit Land- und Seekarten, geologischem und anderem Detail, um den Gegenstand ins Klare zu setzen. Darwnn dagegen betrachtet die Gegenwart, er erwâgt die Moglichkeiten, sammelt Beispiele, um m zeigen, dass Wasservôgel und andere Tiere in Wirklichkeit Pflanzen- und Tierkeime verbreiten, er vermeidet alle Eonstruktionen und sucht die Natur selber zum Sprechen zu bringen. Wir finden ihn zu jener Zeit beschâftigt, Versuche anzustellen, wie lange Pflanzensamen der Einwirkung des Seewassers widerstehen, ohne ihre Keimkraft einzubüßen. *) Er findet zn seiner Verwunderung, dass von 87 Arten von Pflanzensamen <4 Arten noch keimten, nachdem sie 28 Tage im Meer-wasser gelegen, und dass einzelne sogar nach 137 Tagen noch keimten. Von dem Gedanken ausgehend, dass Hochwasser hauiig trockene Zweige mit daran hângenden Samenkapseln ins Meer gefnhrt haben werden, die dann durch Meeresströmungen an ferne Gestade gefûhrt werden konnten, führt er Versuche mit trocknen Samenkapsein aus und findet, dass sie viel langer schwimmen, und dass beispielsweise trockene Haseinûsse neunzig Tage lang im Seewasser schwammen und dann noch keimten. Wie wir aus dem zweiten Teile dieses Bûches ersehen werden, hat er diese Versuche und Beobachtnngen ùber die Verbreitungsmtttel der Tiere und Pflanzen bis in seine letzten Lebensjahre fortgesetzt.

, Zujener Zeit aïs Wallace, wie seine ebencrwâhnte Abhandlung zeigt, uber das treibende Moment der Artveranderungen noch ohne

*) Man sehe Darwins Abhand!ung uber die Wirhung des SeewasserB auf das Keimen von Pflanzensamen. Joum. „f the Linn. Society. LondoH 1857. Vol. 1. .Holan.) p. 180-140.

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jede Ahnung war, stand im Geiste Dawwsns die seinen Namnn tragende Theorie lângst in allen Umrissen vollständig ausgearbeitet da; allein er wollte über alle môgliehen Dinge erst noch Versuche austellen und Beobachtungen sammeln, ehe er damtt an die Offentlichkeit tra.. Um das Material herbeizuschaffen, hatee er sich damais bereits mit xahlreichen Forschenn in Verbindung! gesetzt und korrespondierte zu jener Zeit besondess mit verschiedenen Botanikern, da ihn sowohl die Verbreitung der Pflanzenarten, aïs das Verhâltnss der Blumen zu deu Insekten besondess zu interessieren begonnen hatte. Hookrr war seit Jahren in die Arbeiten Dawins über die Entstehung der Arten eingeweiht und gab seinem 1856 erschienenen „Introductory Essay <o the Flora antarctica" bereiss eine vollstândig darwinistische Einleitung, in welcher besondess die sehr verschiedene Auffassung des Artbegriffs dargelegt wurde. Lyell, der diese Einleitung auf seiner Uberfahtt nach Deutschland im Sommer 1856 gelesen, kanzelt den Verfaserr tûchtig ab, dass er eine so wichtige Abhandlung als Einleitung in ein gelehrtes Werk, was nur wenige lesen, verborgen habe. Der Brief ist vom 25. Juli 1856 aus Hamburg datier,, und fur die Geschichee der darwinschnn Theorie so lehrreich, dass ich ihn hier vollständig mitteilen mùchte.*)

„Mein liebcr Hooker!- schreibt Lyell: „Weuige Minuteu nachdem Sic mich am Sonutag verlassen batten, kam'ich zu den beiden Ëxemplareu Ihres Essays uud habe eines davon zwei Tage zu meinem Gesellschafter gehabt, wahrend einer ruhigeu Fahrt nach diesem Orte. Ich batte das Buch zuvor gelesen, aber nuu habe ich es verdaut, und deshaib treibt mich der Geist, Ihnen 'dafür zu danken. Hâtte ich ars Tet von Neu-Brauasehweig xurUckkehrte, einex „einleitenden Essay zur Geologie jener britischen Kotouieu veröffentlich,, so wurde ich uicht mehr tls ein halbes Dutzeud Exemplare verkauft haben. Abcr wuren Sie zu einem Buchhändier gcgaugen, der sein Geschäft verstand und der irgend erneu allgemeinen Titel vorgeschiageM und darauf bestanden hätte, wie „Über botaniscbe Ktassifikaiionen mit Retrachtungun über die Begreuzung der Arten im Pflauzenreich'-' (und dann mit kteiuem Druck: „mit besonderer Rücksicbtnnhmc auf die Flora von Neuseeland"- oder „als.Einleitung zu . . . .« u. s. w.), so wurdeu Sie davou zum Vorteil der Wissenschaft, zu Ihrem eigeneu uud unsrer aller Nutzen, die Zoologen mit embegnffen, eiue grosse Anzahl verkauft haben. Ich wollte, dass Sie cinés T~ges das Ganze fast worttich mit nusgcwahiten Stucke«

*) Life „f Lyell, Vol. IL pay

1, lt. ;,«</. 2/4.

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_ U -

£*£ ff irttSJSt: Ä?Ä SÄT«|

"^eÄ StTÄ ISA es „CM deu leisesten Unter-schiedhintSL der vou Ihnen aufgestellton Regeln verursachen, und in Ihrem Vorhaben mit propheiischrr Vorsicht die Möglichkeit vorausgesotzt werden, dass viele Ihrer Leser die Transmutations-Theone annehmen. Aber die Species-Vervielfältiger werden entzückt von einer Theorie sein, welche bis zu einer grosseu Aasdebnung dea Schluss heiligt, dass die Grenzeu der Arten nach der Natur der Dinge kuns -lich oder blosse menschliche Erfindungeu sind, was ihnen deshalb eine Art von Recht gieht, ihnen ihre eigenen wülkürhchen Grenzen beizulegen. So lange aïs sie furchteten, dass eine Species sich a!s ein besonderes und unabh&ngiges Schopfungswerk answeisen mttsso,mochten sie sich gehemmt fühlen, aber ist dieser Glaubenssatz einmal aufgegeben, so wird jedermann sein eigner iufallibler Papst. In Wahrheit ist es für Siei™ STSS.TiwÄfcb, welcher Glaube sich ais wahr ausweist, denn es verhält sich damit,'wie mit der noch bestrittenen astronomischen Frage, ob unsere Sonne und unser ganzes System auf seinem Wege gegen das Sternblld des Herkules begriffen sei. Weun dem so

diejcnigen, welche Arten machen,

mit denselben in Zusammenhang

Ken und sie alle von gteichmäßigem Werte machen müssen. Wenn sie nicht zugeben wollen, dass Ihre beiden Cedern eiue^Art sind^so

mussteu

sie die Autorität Linue. und anderer grossen Naturforsche.

verieugnen", welche die goldgelbe und die hellgelbe Schlüsselblume*) zu einer und derselben Art rechneten. Ich citiere dies aufs Geratewohl aber irgend eine derartige Inkonsequenz müsste dargelegt werden, „Td jene mußten als gänzlicl/aller philosophischen Kraft entbehrend

hiugestellt und ihre Synonyme niemals citiert werden Ich konnte aus der Conc' " ' ' -" "-"s--------- *».....«"" .h"hm Vp'"

c^Artr^n^iw^ud;; 'au^tem wurden, die "zur selben Zeit die

->-5?tä^^

*) Primrose und Cowslip (Primula officina~is und acavlis). Vergl. Cap. VI.

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Namen ihrer Vorgänger annahmen, welche eine viel grossere Reihe von Varietaten in einer Art derselben Gattung einbegriffen.

„Die Spekulationen über die einstigo Verbindung der jetzt durch den Océan getrennton antarktischen Landor sind sehr intéressan,, leb glaube Darwnn geht nicht genugeud auf eiue von Ibnen in den Vordergrund gestellte Folgerung cin, dass namlich das Land, von welchem gemeinsame Arten nach A und C wanderten, in dem jet~t vom Meere eilige-

ao            no            Co

nommeneu Raum B befindlich geweseu sein mag. Ich neige durchaus zu der Idee, dass die vorhandenen kontinentalen Gebiete zum grosses Teile vou post-eoeänem Datum sind, wie es bei Europa, Nord-Afrika und einem grossen Toi) des bestbekannten Asiens sicherlich der Fall ist. Aus Hhnltchen Gründen müssen Gebiete wie B die Komnensations-

^^Xl^ Anden nordwärts wandernde) Arten

s sää-st rat sss^s^ils^

Pauama lebenden Seemuscheln sind sehr verschieden, und es ist höchst wahrscheinlich, dass jener Isthmus iu der älter.» Ptiocanperiode hoher

U,,d Sr!urwchte'sehr,' dass Darw,n, wenn er beweist, dass die Arten Phantome sind, auch wird zugeben mussen, dass besondere Zerstreuungs-Mitteipuuktc ebenfa])s Phantome sind; und das wurde mir viel von

sacheu, wie Sic sic mir vou dor Lysimachia vulgaris in den australischen Alpen erzahlt.en, sobald wir die uubegrenzte Variabilitats-Spekulation annehmen, mit aller Schopfung aufraumen, und dafür der Individuen ein Vormogen setzen, ihnen unahnliche Nachkommen, oder eine zu verschiedenen Arteu stellbare Nachkommenschaft hervorzubringen. Denn wenn der Einfiuss der aussereu Ursachcn eiu so grosser wäre, sollte man denken, dass jene LysnnaCua oder Capsella öursa pas^s nach einer Wanderung uber die Erdkugel ihren Cbarakter nicht beibehatten könnten uud dass es der Lehre von den Veranderungen widersprechen wurde, dass die vou gemeiusamen Elteru abstammenden Individuen einer besonderen Species in der nordiicheM und südlichen Hemisphäre mit

£s«,^^^

„Wenn solche Resultate moglich waren, musste ich die Wiederkehr derselben Species in verschiedenen geologischei Perioden, uachdem sie ansgestorben oder fur eiu bis zwei Perioden abweseud waren, crwarten

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Bedenkt man nun, dass Lyell solche Einwürfe auch Dawwin direkt und zu oft wiederholten Malen im Gespräch gemacht haben wird, so begreift man das lange Zogern desselben, bevor er mit seiner Theoree an die Öffentiichkeit zu treten wagte. Dass dieselbe um jene Zeit in den allgemeinen Umrsssen vôllig fertig vorlag, geht am klarsten aus einemBriefe hervo,, welchen Darwin am 5. September 1857 an den ausgezeichneten nordamerikanischen Botaniker Asa Gray in Boston richtete, der mit ganzer Seele fur die An-schauungnn Lyel,s, Dawwins und Hookers eingetreten war. Der Brief war dazu bestimmt, ihm eine Skizze der Auffassung der lebenden Welt zu geben, wie sie sich seit seiner Reise bei Darwin ausgebildet hatte, und wir geben diese Skizze hier wieder, da sie, wie wir bald sehen werden, dazu diente, Dawwin die Priorität seiner Entdeckung gegen Wallace zu sichern. Sie lautet:

„1) Es ist wunderbar, was das Princip der durch den Menschen geübten Zuchtwahl, d. h. das Answâhleu von Individuen mit irgend einer wünschenswerteu Eigenschatt und das Paaren derselben und das Wiederauswählen bewirken kann. Selbst ZNchter siud über ihre eignen Resultate erstaunt gewesen. Sie können auf Unterschiede wirken, welche eiuem Laienauge unberechenbar erscheinen. Zuchtwahl ist in Europa erst seit dem letzten halbeu Jahrhundert methodisch betriehen worden; aber gelegentlich, und selbst iu geringem Grade methodisch, hat man sie schon iu den ältesteu Zeiten geubt. Es muss anch eine Art vou uubewnsster Zuchtwahl seit sehr lauger Zeit stattgefunden haben, namtich durch das Halteu einzelner Tiere (ohne Gedanken an ihre Nacbkommeu), welche allen Meuschenrassen je unter besonderen Verhältnissen am nutziichsten gewesen sind. Das ZerstOren von Varietäten, welche von ihrem Typus abweichen, wie es der Kunstgärtner vorHimmt, ist eiue Art von Zuchtwahl. Ich bin überzeugt, dass beabsichtigte oder zufällige Zuchtwahl das Hauptagens bei der Bildung unserer domesticierten Rasseu abgegeben hat, aber wie dem auch sein mag, ihre grosse Fahigkeit, sich zu modifiziereH, hat sich unbestrttten in spateren Zeiten gezeigt. Zuchtwahl wirkt nar durch die Häufung leichter oder grosserer Abweicbungeu, welche durch âussere Verhältnisse oder durch die blosse Thatsache, dass das Kiud nicht absolut seinem Vater gleicht, hervorgerufeu werden. Der Mensch passt mit Hilfe dieser Fähigkeit, Abweichungen zu haufen, lebende Wesen seinen Bedürfnissen au, - man kann sagen, er macht die Wolle des einen Schafes fur Teppiche, die eioes andern für Tuch geeigneter u. s. w.

2) Wenn man sich nun eiu Wesen vorstell,, welches nicht lediglich nach der aussern Eutferuung urteitte, sondern welches die ganze innere Organisation studieren könnte, welches nie iaunenhaft vorginge

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Md ein Objekt Millionen von Generationen gezuchtet hätte: wer mochte wohl sagen, was es nicht bewirken konnte? In der Natur kommt leichses Variieren gelegentlich in allen Teilen vor, und ich meine, man kann zeigen, dass veranderte Existenzbedingungnn die Hauptsachen davon sind, wenn das Kind nicht genau seinen Eltern gleicht; die Geologie zeigt uns nur, welche Veranderungen stattgefunden haben und noch stattninden. Es handelt sich da um fast unbcgrenzte Zeitraume; nur ein praktischer Geologe kann das vollkommen würdigen. Man deuke an die Eiszeit, wahrend deren ganzen Verlaufs wenigstens dieselben Muschelarten existiert haben; es müssen wahrend dieser Periode Millionen auf Millionen Generationen einander gefolgt sein.

3)  Ich glaube, man kann zeigen, dass eine solche unfehlbare Macht in der natürlichen Zuchtwlhl (der Titel meines Buches), welche ausschliesslich zum Vorteil eines jeden organischen Wesens auswählt, arbeitet. Der altère Decandolle, W. Herbtrt und Lyell haben vortrefflich den Kampf ums Dasein geschildert, aber auch sie haben die Sache nicht stark genug betont. Man denke daran, das ein jedes Wesen (selbst der Elefant) sicb in einem solchen Verhältnis vermehrt, dass in wenigen Jahren oder miudesteus in wenigen Jahrhunderten die Oberfläche der Erde die Nachkommenschaft eines einzigen Paares nicht fassen kënnte. Es ist mir schwer geworden, den Gedanken zu fassen, dass die Vermehrung der Individuenzahl einer jeden einzeinen Art wahrond eines Teiles ihres Lebens, oder wahrend des Lebens einer in kurzen Zeitraumon wiederkehrenden Géneration, so sehr behindert werden sollte. Nur einige wenige jener jährlich Geborenen kônnen ieben, um ihr Geschlecht fortzupflanzen. Eine wie unbedeutende Differenz muss oft bestimmen, wer überleben und wer untergehen soll!

4)  Nehmen wir jetzt den Fall an, dass ein Land einer Veranderung unteriiegt. Diese wird bewirken, dass einige seiner Bewohner leicht variieren -doch glaube ich nicht etwa, die meisten Wesen variierten nicht zn allen Zeiten hinreichend, dass die Zuchtwahl auf sie einwirkeu konnte! Einige seiner Bewohner werden aussterben, und die Überlebenden werden der gegenseitigen Einwirkung einer von der alten verschiedenen Sorte von Bewohnern ausgesetzt sein, was, wie ich glaube, für das Leben eines jeden Wesens wichtiger ist, aïs das Klima allein. Wenn ich die unendlich verschiedenen Wege betrachte, welche lebende Wesen betreten, um sich Nahrung zu verschaffen, indem sie_ mit anderen Organismen kampfen, um zu verschiedenen Zeiten ihres Lebens Gefahren zu entgehen, um ihre Eier und Samen zu verbreiten u. s. w. u. s. w., so kann ich es nicht in Zweifel ziehen, dass wahrend Millionen von Generationen Individuen einer Art mit irgend einer leichten Abweichung, welche fur irgend einen Teil ihrer Organisation vorteilhaft ist, gelegentlich geboren werden. Solche Individuen werden eine Chance haben, zu überleben und ihre neue und leicht abweichende Bildung zu vererben; und dioAbänderung mag leicht durch die accumalative

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Mass gebracht werden. Die so gebildete Varietat wird entweder"^ Mistel, kann auf diese Weife eine? Z^o™^!^ ^ *»

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diese Theorie aufstosscn. Viele davon können, wie icb ghube° h7 rtedigeud gelöst werden. Natura nm facü saäL \Litigt "SS% d« bedeutendsten. Die Langsamkeit der Veranderung uud die Val

le5rtrTTS renTOrff- si,,d' SC,,afft andre aus dem We^ Me andre Unvollkommenheit ™srer geologischen Berichte beseitigt noch

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deren Gewohnheiteu wir verstehen, begreifen. Wir wisseu es alsTurch

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Grösse eine

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™merM ebensovielen^tungen und Familieu a!s Arten gehoreu.

wird Wir seheu dies an den vielen verschiedenen Arten au^inem Ci :°".der frosse ff?' Quadratelle und an den Pflanzen ZU !^1—^™!™ Weinen^einförmigen Eiiand, welche fast

versch.edeien Arten uud Gattungen von Gräsern, a)s wenn er nur mit

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aller Macht dahin mit den Abkomm-n Varietäten oder

glaube, aus den vorstehendcn 'ii^^ä^ä^ZZ^Am^

Unterarten, oder in echte A^gesÄ^ ^i^«

fnüllnfi sine /Inn tmM<i+n^n«4„„ 'ni..i_. _*           -»

tagen einer jeden Art der Fall seinfnachdem sie sich T"-"A *"?*

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.........           n Ilatze11 wie nur moglich festzusetzen.

rd wenn sie einmal gebildet ist, ge-srhältmssen weniger gewachsenen Eitern diese Weise vernichten. Das ist 2" lassifikation und der Verwandtschaft^ Zeitend denn organische Wesen sche--

Jede noue Varietät oder Art wird, wenn sie einmal gebildet ist""£

™«»,.Bfc —,„.„......... Verhaltnisseu wenj L,.^^e

' diese Weise vernichte ~L,dff w!PlUn„g.derK1fsifikati0ü UDd der Verwandtschaften

ich glaube, der Ursprung der Klassifikation und der V,™„„s,,",' «'!

vom Hauptstamme aus, indem die blühenden

Zw«ge die weniger kraftigen zerstören, - es reprâsentieren die toten

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- 79 -nnd gg^.1,^en Zweige in grober Weise die aus~estorbenen Gattungen

UUd Eelidzze ist hôchst unvolikommea; aber auf einem so knappen Raume ^mMc^sic nicht bessei> «eben. Ihre Phantasie muss grosse

ZurZeit, als Darwin vorstehenee Mitteilungen an Asa Gray sandte, dachte er nicht im entferntesten daran, sein Werk über "natüriiche Zuchtwah"» demnächst herauszugeben. Er war vielmehr nach wie vor beschäftigt, Thatsachen zur Unterstützung seiner Ansichten zu sammeln. Er stellte damals die schon oben erwähn-\ ten Versuche uber die Dauer der Keimfähigkeit der dem Seewasser [■ ausgesetzten Pfianzen an und veröffentiichee mehrere Beobach-' hingen „über die Thätigkeit, weiche die Bienen bei der Befruchtung der Schmetterlingsblütler ausùben, und ûber die Kreuzung der Schminkbohnen im besoudern»*), und dies sind die ersten jener grossen Reihe von Beobachtungen, welche Darwin uber die Befrachtung derPflanzen durch Insekten angestellt bat. Aus diesen, die „botanische Periode" Darwins einleitenden Arbeiten, welche ihn gleich denen der „geologischen Periode" volle zehn Jahre lang beschâftigensollten, wurde er durch einen äussern Umstand herausgerissen und sehr wider seinen Willen genötigt, das nach seiner Ansicht zur Veröffentlichung noch lange nicht reife Werk schon jetzt in Angriff zu nehmen. Dieser Umstadd war der folgende.

Wallace, der sich damass auf den Molucken befand und, wie wir gesehen haben, durch Lyells Arbett und Darwsns Reisewerk zu mannigfachen Spekulationen über die Entwicklung und Verbreitung der Tier- und Pflanzenarten ùber den Erdball angeregt worden war, geriet plötziich auf denselben Gedankengang ùber den Einfluss des Daseinskampfes auf die Verânderung der Arten, wie An Darwin seit zwanzig Jahren gegangen war. Wie es es stlbst erzähit hat, war ihm das Licht plötzlich in den Phantasieen eines Keberunfalles nufgegangen, wobei indessen zu bemerken ist, dass er gleioh Dawwin das Werk von Malthus ùber den Einfluss der Konkurrenz auf das Menschenleben vorher gelesen. Indem er diese Ansichten auf die Tierwett ùbertrug, erschien auch ihm sogleich

*) Gardener* Chonic/e W,7 p. TJÖ, fö.i« ~,. H24. 844, und Annal» and Mayaz. of AW. IlUt. Sc: III. Vol. It (18JS) ,, 4M-M4.

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-SO-das Râtsei der fortschreitenden Verânderungen der Organismen gelost, und sobald der Anfall vorûber war, entwickelte er seine Ansichten (Februar 1858) in geordneter'Weise und sandte seinen von Ternate datierten Aufsatz mit der nâchsten Post an Darwin, mit dem er seit lângerer Zeit in Korrespondenz stand, mit der Bitte, die Arbeit, wenn er den Inhalt hinreichend neu und interessant fânde, Lyell zuzustellen.

Die betreffende Abhandlung von Wallace, welche den Titel trägt: „über die Tendenz der Varietâten, unbegrenzt von dem Originaltypus abzuweichen", entwickelt die Theorie der „naturlichen Zuchtwahl" (wenn er dièse Bezeichnung auch nicht gebraucht) mit der vollen, diesem Schriftsteller eigenen Kunst der Darstellung und zugleich mit solcher Klarheit und Cberzeugungskraft, dass sie noch heute a!s eine der besten Einführungen in die Zuchtwahl-theorie gelten darf. Obwohl Darwin schon vor neunzehn Jahren zu denselben Ansichten gekommen war, fand er sich von der glânzenden Darstellung seines Eorrespondeneen so geblendet, dass er be-schloss, ihm' den Vortritt zu lassen, und Lyell ersuchte, moglichst schnell die Zustimmung des weit entfernten Reisenden zur schleunigen Veröffentlichung der Arbeit zu erlangen. Den weitern Verlauf der Angelegenheit ergiebt ein Brief, welchen Lyell und Hooker nach dem Eintreffen der Zustimmung von Wallace am 30. Juni 1858 gemeihsam an den derzeitigen Sekretar der Linnéschen Gesellschaft in London, J. J. Benntt richteten:

und die Fortdauer von Varietäten und von specifischen Formen auf unsermPIaneten zu erklären, und mogen daher beide billigerweise das

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wir, dass die Interessen der Wissenschaft am besten gewahrt sind, wenn eine Auswahl derselben der Linnéischen Gesellschaft vorgeleg warde. Ihrem Datum nach geordnet sind es die folgenden:

1)  Auszüge ans einem Manuskript über den Artbegriff, von Herrn Darwin, welches im Jahre 1839 skizziert und im Jahrc 1844 kopiert wurde, zn welcher Zeit die Kopie von Dr. Hookrr gelesen, und ihr Inhalt später Sir Charlss LyeMl mitgeteilt worden ist. Der erste Teil ist „dem Variieren organischer Wesen im natüriichen, und im Zustande der Domestikation" gewidmet, und das zweite Kapitel jenes Teiles, aus welchem wir die genannten Auszüge der Gesellschaft vorzulegen beabsichtigen, ist überschrieben: „über das Variieren organischer Wesen im Naturzustande, über die Haturlicheu Mittel der Zuchtwahl, über das Vcrhältnis domesticierter Rassen zu echten

2)  Ein Abschnitt eines Privatbriefes von Herrn Darwin an Pro-

thu,, dass sie vom Jahre 1839-1857 unverandett geblieben sind. **)

Darwin, geschrieben und diesem mit dem ausgesprochenen Wunsche zugesandt, ibn Sir Charles Lyell mitxuteiien, wenn Herr Darwin ihn für neu uud interessant genug hielte. So sehr nun sch&tzte Herr Damn den Wert der darin niedergelegten Ansichten, dass er in einem Briefs an Sir Charles Lyell vorschlug, Herrn Wallaces Einwilligung einzuholen um den Essay sobatd aïs möglich veröffentlichen zu dürfen.

Äe™Lr^esivs, vz Äar:z\s

seit vielen Jahren Mitwisser waren, nicht der Veroffentlichung vorenthielte, wozu cr (zu Gunsten des Herrn Wallace) sehr geneigt war. Ats wir dieses Herrn Darwin vorstellten, gab er uns die Erlaubnis, jed-

) Vergl. Ahteilung II dieses Buches Nr. 1. **) Vergl. obnn S, 76-79, *«) Wiederabgedruckt in A. R. Wallac,, Beitràge zur Theorie der

na™!! z™uZlDeuf8Ch von A.B"Meye,' Erlangen,fos- a»-*0-

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weden Gebrauch, der „ns geeignet schiene von seiner Niederschrift u. s^w.

SlseS^X^SraS, SÄ äm^^da^ aleifseine und® seines Freundes relative Prioritäts - Ansprüche im Auge hätten, sondern auch die Interessen der Wissenschaft im atlge-meinen; denn wir halten es far wunschenswert, dass Ansichten welche auf einer so breit angelegten Schlussfolgerung aus Thatsachen beruhen und welche durch jahrelanges Nachdenken gereift sind sobald a!s môglich ein Zietpnnkt werden, von dem andere ausgehen können; und dass so lange die wissenschaftliche Welt auf das Erscheinen des vollstândigen Werkes von Herrn Darwin warten muss, einige der leitenden Resultate seiner Arbeiten sowohl, a!s auch derjenigen semes vortrefflichen Korrespondenten, m gteicher Zeit der Öffentlichkeit vor-

gele8Vrrhaeben die Ehre zu sein u. s. w.

Charles Lyell Joseph D. Hooker.

Die drei Schriftstücke erschienen sodann im Augustheft 1858 des „Journal of the proceedings of the Linnean Society in London", and da man solche wichtige Neuerungen von ihrer ersten Veröffentlichugg datiert, so muss das Jahr 1858 aïs das Geburtsjahr der Darwinschen Theorie bezeichntt werden, und nicht 1859, wie es gewohnlich geschieht. Die beiden Geburtshelfer derselben, aïs welche man Hooker und Lyell wohl mit Grund bezeichnen darf, ruheen nunmehr auch nicht, auf Darwin einzureden, dass er den ersten leichten Umrissen nun so bald aïs möglich eine eingehende Darstellung folgen lassen müsse. Umsontt wendete Dawin dagegen ein, dass die vorliegenden Thatsachen und Beobachtungsreihen nach allen Richtungen lückenhatt seien, und dass noch unendlich viel fehle, um ein erträgliches Lebrgebäude auf dem vorhandennn Materiale aufzubauen. Endlich Ende September 1859 war die vorläufige Ûbersicht seiner Theorie, welche Darwin unter demTitel „On the Origin o/ Species by means of natural selection or the preservation of favoured races in the 8truggle for hfe" veröffentlichte, im Drucke so weit vollende,, um noch vor der eigentlichen Ausgabe, die nach englischem Bachhändlerbrauch erst im November erfolgte, den Freunden ûbersantt zu werden. Unter dem 3. Oktober 1859 antwortete .Lyell:

„Mein iieber Darwin, ich habe soeben Ihren Band auegelesen, und recht froh bin ich, dass ich mit Hooker, was in meinen Kräften stand, getban habe, Sie zu ùberzengen, dass Sie ihn verentöffhchen

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I:

i

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«en ohne auf eine Zeit »warten, welche wahrscheiniich niemals gekommen ware wenn Sie auch bis zum hundortjährigen Alter vor-

hätten. Es ist ein glänzende, Beifpiel von L^JmZZTZ von so viele Seiten hindurch weitgestütztem Argument, die Zusammendrängung ungeheuer, vielleicht zu gross für die" Uneingeweihten ai eine wksame und gewaltige Grnndlegung, welche, sogar bevor Ihre ins Einzelne gehenden Beweise erscheinen, einige gelegentliche nützliche Exemplifikaiionen zu.ässt, wie , B. an Ihreii Tauben und Ra "ket ftisslern, von denen Sie einen so ausgezeichneten Gebrauch machen

„Ich meine, dass Sie, wenn, wie ich sicher erwarte, bald eine neue Auflage vertangt wird, hier und da einen vorliegenden Fall einfügen konnen um mit der uugebeuren Zahl von abstrakeen Satzen JZ wechseln und sie damit zu unterstützen. So weit es mich betrifft biu ich so wohl praparier,, Ihre Aufstellnngen ais bewiesene Sach anzunehmen, dass ich nicht glaube, die Pikes justificative* werden wenu Teröffentlicht, viel Unterschied darin machen, und ich habe »■-,-- *

lângst auf

SlWr/Sie di6Selbe begrund6n' in Ihren "Menden ^

das Klarste eingesehen, dass wenu irgend eine Concession gemacht ist, „,iM »„^#H,„ ,^„.. ^...^ ... ,.....enden Seiten

sst bat, dass

angenommen Etwas wie das Wort ,Schopfung';, "folgen"'müssen.^ ~" emgebUdetes

folgen wird.

ich £ erfand, dass der Fall desffiÄ se^s^

Es ist dies was mich zu so langem Zogern veran!asst bat, dass

■tat* «nnfa.,., rf... A~ *„„ A.„ „......_ _. , . .         ~ ^ sowie

wird, allé Konsequenzen" fur "ehr ganzunb^anntes und °^-™™*n

dass ich heute nicht Zeit genug habe, mir iurch eine SnS«gS von Kommentaren Befriedigung zu verschaffen und auszustechen J sehr ich entzückt bin aber: Oeeanisehe Iuseln -\TSSre O™ - Geographische Verbreitung, und wenn ich darauf eingehen iollte müsste ich die Uberschriften alter Ibrer Kapitel wiederhol?«.

Werkt smt""n herZ,iChen G1ÜCkÄhe7 - ^ "

Das von John Murray in London am 24. November ausgegebene Werk geht von der kûnstlichen Zuchtwahl aus, zeigt deren gewaltigen Einfluss und Mach,, und geht dann, immer die augenfälligsten und überzeugendsten Beispiele auswählen,, auf die Ab-

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ânderungen der Wesen im Naturzustande über. Im dritten und vierten Kapitel kommt der Kampf ums Dasein und seine zûchtende Macht im Naturhaushalte und damit, nachdem noch im fùnften Kapitel die bisher ableitbaren Gesetze der Abânderung aufgezâhit wurden, ist eigentlich die neue Theorie in ihren Grundzügen dargelegt. Der Verfasser geht nunmehr sogleich auf die Sohwiegigkeiten der Theorie" ùber, und dies ist eine chajakteristische Eigentümlichkeit seines Vorgehens, dass er diese Sçhwierigkeiten stets offen darlegte, auf die Gefahr hin, dass die Gegner ihre Waffen nus solchen Kapiteln nehmen könnten. Allerdings wurde das reichlich durch den Vorteil aufgewogen, die Wege, auf denen eine Beseitigung derselben moglich sein musste, anzudeuten und die Aufmerksamkeit der Fachgenossen darauf hinzulenken. Die folgenden Kapitel über Instinkte und Bastardbildung sind reich an solchen Fingerzeigen. Was alsdann Darwnn über die Unvoll-kommenheit der geologischen Pberlieferung und ùber die geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen in den folgenden Kapiteln sagt, uberwiegt an Gehalt und Überxeugungskraft alles, was vorher über die Begründung der Descendenztheorie auf geologischer Grundlage gesagt worden war, und hat auf die palâontologische Wissenschaft wahrhaft verjüngend gewirkt, wie denn viele der Hoffnungen Dawins auf künftige Ausfûllung der bestehenden Lücken im geologischen Bericht sich durch neuere Funde, z. B. hinsichtlich der Vôgel und âltesten Sâugetiere, in kurzer Zeit überraschend erfullt haben. Die folgenden Kapitel liefern die Grundiinien einer exakten Tier-und Pflanzengeographie vom descendenztheoretischen Standpunkte und das dreizehnte Kapitel bespricht das natürliche genealogische System der Lebewesen, die gegenseitigen Verwandtschaften, die Beweise derselben aus der vergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte, sowie die rudimentären Orgaue, worauf mit einer allgemeinen Rekapitulation der Schluss gemacht wird.

Niemand zweifelt heute mehr daran, dass dieses Buch eine der grôssten, reformatorischen Thaten ist, die jemals vollbracht wurden. Und doch muss man eingestehen, dass es keineswegs in einem glänzenden, vielmehr sogar in etwas ermudendemStile, geschrieben ist und im grossen und ganzen kaum etwas bringt, was nicht im einzelnen bereits vorher ausgesprochen worden wâre. Hinsichtlich des Hauptpunktes, der Theorie der natürlichen Zucht-

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wahl haben wir das bereits früher gesehen. Sogar manche der SoWagwmrte,wie2.B.flKampfum8Da8ein"(rfrM^«/w«BMte»icO, wurden viel früher von Decand,lle, Lyell und andern gebraucht. Es ist bezeichnend, das sich das Wore nicht in Darwins, wohl aber in Wallaces erster Veröffentlichung über die Zuchtwahltheorie jindet*) Es ist also nicht die absolute Neuheit der Darwinschnn Gedanken, sondern die Wucht und unwiderstehliche Ûberzeugungskraft für unterrichtete Lese,, die er ihnnn durhh richtige Verbindung, konsequente Anordngng nnd Zurückhaltung in der Schlussfolgerung zu gebnn wusste. Es war sichrr ein Vorteil für die Sache, idass er durhe die Verhältnisse dazu gedrängt wurde, einen vorläufigen Abriss seinrr Ideen xu gebe,, um ausreichende Stützen allmählich folgen zu lassen, denn so war der Eindruck nicht nur unmittelbarer, sondern er selbtt wurde dadurch in den Stand geset,t, wâhrend die erste Aufregung vorüberging, ruhig weiter zu beobachten, zahlreiche Mitarbeiter an dem grossen Werke zu gewinnen und das ausgiebigste Material zur Stütze desselben durch unermüdliche Korrespondenz und geduldises Sammnln von Thatsachen zusammenzubringen. Mit einer genauen Selbsterkenntnis und anerkennenswertem Gerechtigkeitssinn hat dies selbtt sein Mitbewerber um den Kuhm der Entdeckung, der geistvolle Wallace anerkannt:

*) Man hat an ~em Wo~te „K&mpf ums Dasein" getadelt, dass es ein gar zu aktives nnd doppelseitiges Vorgehen hezeichne, wâhrend doch sehr viele Lebewesen und namentlich die Mebrzahl der Pflanzen nicht aktiv beteiligt sind, auch weun sie ats Unterdrücker gelten, so dass von einem eigent)ichen Kampfe, Brust gegen Brus,, in den meisten Fällen nicht die Kode sein könne, soudern hochstens von einer Mitbeweubung. Dieser Einwurf trifft indessen hôchstens 'den deutschen Ansdruck, wenn er in einem gar zu w6rt)ichem Sinne gebraucht wird. Darwin schrieb dariber am 30. Marz 1869 an W. Preyen.... „Hinsichtlich des Ausdruckes struggle for existeMce habe ich stets einige Zweifel empfunden, war aber uicht imstande, eine bestimmte Linie zwischen den beiden darin einbegriffeneu Ideen zu ziehen. Ich vermute, dass der deutache Ausdruck „Kampf ums Dasein" nicht ganz dieselbe Jdee giebt. Die Worte ~truggle for existence drucken, wie ich glaube, genau dasselbe wie Konkurrenz aus. Es ist im Englischen korrekt, zu sagen, dass zwei Menschen struggle for existence, die etwa in einer Hungersnot denselben Nahrnngsmttteln nachjagen, und in gleicherweise wenn ein einzelner Mensch nach Nahrung jag;; oder hinwieder kann gesagt werden, dass ein Mensch, wenn er schiftbr~chig ist, ge~en die Wellen der See: struggles for existence."

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„Ich habe mein Leben lang" schrieb derselbe 1870 in der Einleitung seiner mohrerwahnten „Beiträge zur Zuchtwahltheorie," die aufrichtigste Befriedigung darüber empfunden - und ich empfinde sie noch —, dass Herr Darwin lange vor mir an der Arbeit gewesen ist, und dass nicht mir der Versuch aberlassen blieb, "die Entstehung der Arten" zu schreiben. Ich habe seit langem meine eigenen Kräfte gemessen und weiss sehr wohl, dass sie für diese Aufgabe durchaus unzureichend sind. Weit fahigere Männer aïs ich werden zugestchcn, dass sie nicht jene unermüdliche Geduld besitzen, grosse Massen von Thatsachen der ^verschiedensten Art aufzuhaufen, und jenes wunderbare Geschick, sie anzuwenden, - nicht jene ausgebreiteten und genauen physiotogischen Kenntnisse, - nicht jenen Scharfsinn im Ausdenken, und jenes Geschiok im Austellen von Experimenten, -noch jenen bewunderungswürdigen, zu gleicher Zeit klaren und überzeugenden und kritischen Stil der Darstellung, - Eigenschatten, welche in ihrer harmoniacheu Vereinigung Herrn Darwin a!s denMnnn hinstellen, welcher vielleicht unter allen jetzt lebenden Menschen am besten geeignet ist für das grosse Werk, das er unternommen und vollführt bat."

TL Die erste Aufnahme des Werkes.

Wirhaben bereits erfahren, mit welcher Befriedigung Lyell das Buch, welches im November 1859 ausgegeben wurde, aufnahm, und Ähniiches lâsst sich von- einer grossen Reihe von hervorragenden Gelehrten Englands und des Auslandes sagen. Der ausgezeichnete Londoner Zoologe Thomas Henry Huxley batte schon vor dem Erscheinen desselben in einem Juni 1859 vor der kôniglichen Geselischaft in London gehaltenen Vortrage dargelegt, wie kläglioh sich die durch keine Tradition oder Offenbarung gestützte Hypothese der Neuschöpfungen nach geologischen Katastrophen der Darwinschen Theorie gegenüber ausnimmt, und im Dezember 1859 veröffentlichte Josef Hookrr seine „Tasmanische Mora«, in deren Einleitung er sich unumwunden zu Darwnss Ansichten über die Entstèhung der Arten bekannte. Diese Einleitung enthâlt, wie schon einige frühere Schriften Hookers, eine Menge Erlauterungen der Darwinschen Theorie von pflanzengeographischen und andern Standpunkten, so dass sie wichtige Ergânzungen des Hauptwerkes

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darstellen. Es braucht kaum erwâhnt zu werden, dass sich ausländische Naturforscher, die lângst âhniiche Wege gegangen waren, wie Büchner, Rolle, Schaaffhausen, Victor Cams u a. in Deutschland, Asa Gray in Nordamerika und viele andre, alsbald für die neue Auffassung der Natur erklärten.

Anders verhielten sich, wie erwartet werden konnte, die „konservativen" Naturforscher, die orthodoxen Geistiichnn und eine Anzahl oberflächlicher Zeitungsschreiber, die mit mehr oder weniger In~rimm ûber die ihnen unwillkommene Theorie herfielen. Es war ihnen kaum ein direkter Anlass dazu gegeben worden. Denn in ganz âhnlichrr Weise wie sein Grossvater, hatte Darwin seine theoretischen AMseinandereetzungen mit den Worten beschlossen: „Es

ist

wahrlich eine grossartige Ansich,, dass der Schöpfer den Keim alles Leben,, das uns umgieb,, nur wenigen, oder nur einer einzigen Form eingehaucht habe; und dass, wâhrend dieser Planet, den strengen Gesetzen der Schwerkraft folgend, sich im Kreise schwingt, aus so einfachem Anfang sich eine endlose Reihe immer schönerer und vollkommenerer Wesea entwickett hat und noch entwickelt." Es ist dieser Ausspruhh dem grossen Naturforscher von vielen seiner Anhângrr aïs eine grosse Inkonsequenz vorgeworfen worden, und ebenso hat man es ihm aïs Konnsvenz gegen die herrschenden Ansichten des bigotten Englanss angerechnet, dass er den Menschnn von seiner Betrachtung ausgeschlossen habe. Der letztere Vorwnrf ist aber durchaus unberechtigt, denn nirgends in dem Werke findet sich ein derartiger Vorbehatt dem Menschen gegenüber, wie ihn später Lyell und Waacece gemacht haben, vielmehr sind zahi-elhe Hindeutungen vorhanden, aus denen jeder aufmerksame Léser deutlich erkennen konnte, dass Darwin in keiner Weise gesonnen war, den Menschen von seinen Schlussfolgerungen auszu-schliessen. Am Schlüsse, bei der Aufzählung der dnrch die neue Anschauungsweise zu erhoffenden Fortschritte, heisst es vielmehr in der Originalausgabe ausdrücklich: "Es werde Licht pworfen werden auf den Ursprgng des Menschen und seme Geschichte"; aber Prof. H. G. Brnnn liess diese und andere ihm unbequeme Stellen bei seiner Ûbersetzung des Werkes ins Deutsche einfach weg, wodurch obiger Irrtum bei einzelnen Autoren entstanden ist. Auch gehörte eine eingehendere Behandlung dieser Frage wohl nicht in das allgemeine, die Grundzüge der neuen Auffassung darlegende

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Werk und musste einer besonderen spâteren Behandlung vorbehaltea bleiben. Auch aus rein taktischen Gründen mûssen wir anerkennen, dass, wenn Darwnn des Menschen Verhâltnis zu den Tieren nicht sogleich in den Mittelpunkt der Diskussion stellte, dies eine wohlangebrachte Zurückhaltung war, die seine Gegner freilich nicht hinderte, dieses Verhâltnis in den Vordergrund zu ziehen. Seine Ansicht über diesen Punkt war, wie sich hierdurch ergab, nicht einen Augenblick missverstanden worden, und der Streit drehte sich alsbald um die Frage nach dem Ursprunge des Menschen. Abgesehen von den kleinen Scharmùtzein der Zeitungen und Revuen, wurde die Frage sehr bald auch vor das Forum der Wissenschaft gezogen durch das Verhalten des ausgezeichneten Londoner Zoologen Richard Owen, desselben, der die von Darwin aus Sûdamerika mitgebrachten fossilen Sâugerreste bearbeitet batte. Man hâtte in ihm einen der eifrigsten Anhânger der Darwinschen Theorie erwarten sollen, denn er batte seit zehn Jahren eine ordnungsmâssige Aufeinanderfolge und ein Fortschreiten der Wesen in der Zeit betont und diese Grundsâtze noch 1858 vor der britischen Naturforscher-Versammiungmit dem Zusätze wiederholt, „dass dasWort Schöpfung nur einen unbekannten Prozess für den Zoologen bedeute". Ebenso hatte er über die Frage des Verhâltnisses vom Affen zum Menschen in einem Aufsatz "über die Charaktere, Einteilungs-Principien und Hauptgruppen der Sâugetiere" erklärt, dass fur ihn in geistiger, wie in korperlicher Beziehung nur gradweise Unterschiede zwischen Mensch und Aife vorhanden wâren*). AIs aber Darwins erste Publikation erschienen war, ânderte er seine Überzeugungen bestândig Er behauptete zuerst, dass er die Zuchtwahltheorie lange vor Dal win entdeckt habe, und aïs Darwin ihm darûber seine Freude zu

*) Owens Worte Jauten: „Da ich weder imstande bin, den Unterschied zwischen den physischen Erscheinungen eines Chimpanse und eines Buschmacns oder eines Azteken mit gesuuder Hirnbildung, für so wesentlicher Natur anzuerkennnn oder aufzufassen, dass ein Vergleich zwischen ihnen ausgeschlossen ware, noch für einen andern als blos gradweisen zu halten, so kann ich meine Augen jener alles durchdringenden Gieichheit des Baues nicht verschliessen; jeder Zahn, jeder Knochen ist streng homolog, und diese Gleichhett macht die Bestimmung des Unterschieds zwischen Homo und Pitkeeus zu einer schwierigen Aufgabe für den Auatomen"« (Journal of tU Procttämgt of the Linnean Society. Vol. IL 1857.)

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erkennen gab, wollte er falsch verstandnn worden sein. Er legte nunmehr mit einem Male auch einen besondenn Wert auf einige Teile des menschlichen Gehirn,, die bei den Affen nur andeutungsweise entwickelt sind und die nach seiner neuen Überzeugung einen strengen Unterschied zwischen Mensch und AfFen bedingen sollten. Er hatte dies schon in einer 1859 vor dem College zu Cambridge gehaltenen Vorlesung gethan und wiederholte dies vor der Versammlung der britischen Naturforscher, die im Jahee 1860 zu Oxford stattfand. Lyell schildett die zum Teil stùrmischen Vorgânge auf dieser Versammlung in einem vom 4. Juii 1860 datierten Briefe an Sir Charles Bunbury:

„.....Ich war nicht imstande, in der Sektion für Zoologie und

Botanik (deren Vorsitz Henslow führte) gegcnwärtig zu sein, in welcher erst Owen und Huxley einen Disput hatten und Jung-Lub-bock und Joseph Hooker bei der letzteren Gelegenheit ihre Anhänglicbkeit an die Theorie Darwins erklärten.

Owen und Huxeyy diskutierten über die Verschiedenhett des Menscbeu und der höhern Affen im Kuocben-und Gehirnbau, wobei Huxley sieben der von Owen in seiner zu Cambridge gehaltenen Vorlesung aufgestellten Satze aïs unrichtig und thatsächlich unwahr bekämpfte.

od, SÄueT bTltSn°A^trwi STÜS?, erwiderte (ich horte einige verschiedene Versioneu dieser lustigen Uuterhattung): "dass wenn ihm die Wahl eines Ahnen so gestellt würde, ob er lieber einen Affen mochte, oder jemand, <er, nachdem er eine' scholastische Erziehung erhalten habe, seine Logik dazu gebrauche, ein nnunterrichtet.es Publikum zu missleiten, und der die zur Unterstützung einer sehwierigen und ernsthaften phitosophischen Frage beigebrachten Thatsachen und Erörterungen nicht mit Gründen, sondern mit Witxen bchandele, so wurdo er nicht einen Augenblick zögern, dem Affen den Vorzug zu geben." Viele tadetten Huxley für diese unehr-erbietige Freimütigkeit; aber mehrere derjenigen, die ich davon sprechen horte uud unter ihnen Falconer, versicherten mich, der Vicekanzler Jeune (ein Liberaler) hätte erklärt, dass der Bischof nicht mehr abbekommeu habe, als er verdieut hätte. Dem Bischof ist in der Sektion sehr stark Beifall geklatscht worden, aber bevor es voruber war, wurde die überfüllte Sektion (zahireiche konnten keinen Eintrttt erlangen) vollstandig und besonders durch Hookrr zur andern Seite bekehrt.*)"

*) Life of Lyell II. p. SM.

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Es war eine erregte Zeit und die hohe Geistlichkeit beteiligte sich stark. Der Bischof von Oxford versicherte Lyell, dass Dar-wins Werk das unlogischste Buch sei, was jemals geschrieben worden wâre*), wâhrend umgekehrt Dechant Milmnn dieses Buch so gLrech nd, dass es allein schon hinreiche, za beweisen, "dass Lyell und sein Freund nicht von Kaulquappen abstammen könnten."**) Die Epoche der ruhigen Kritik brach in England erst viel spâter an, und wir werden auf die Angriffe von Mivart, des Herzogs von Argyll, Wallaces und andererspäter zurückzukommen haben. Huxley, der schlagfertigste und begabteste Vorkâmpfer der Darwinschen Theorie in England, welcher sich selbst einmal den Titel einer „Hilfsamme" derselben beilegte, nahm sich des hoflnungs-

gearbeitet Sein Streit mit Owen veranlasste ihn, .to. Mb. glänzender Vorlesungen ûber das Verhâltnis des Menschen zu den Lhstniedern Tieren zu verôffentlichen, welche die Verwandtschaft sowohl vom Standpunfe der vergleichenden Anämie, wi.»der Embryologie darlegten und sicherlich m ihrer hinreissenden Uber-zeug/ngsU viel dazu beigetragen haben, für Darwins weiteres

T-S.1; JÄ^Tr*- der Erregung, welchen das Erscheinen des Darwinschen Werte hervorrief, giebt auch die schnelle Mge der ersten englischen Ausgaben desselben, wobei

iäbaT äst wX-r« £ zz :s:

bereits zum 7. Januar 1860 eine zweite Auflage fertig gestellt wurde. Die dritte Ausgabe erschien im Mârz 1861, und seitdem

*) Life of Lyell iL p. S58.

*») m H. Huxlfy^eugnisBe fUr die SteHuDg deaMenschen inder Natur. ObcrBetzt von J. V. Cams. Brauncchweig 1863. Hier findet sich auch der heute in Huxiey'sehem Sinne entschiedene Strett mit Owen S. 128-134 ausführiich dargestellt.

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sind in Zwischenräumen von vier bis fünf Jahren zahlreiche neue Auflagen in englischer Sprache und in den meisten Kultursprachen mehrfach neu aufgelegee Übersetzungen erschienen.

Die erste deutsche Übersetzung wurde unter Mitwirkung Darwins im Jahee 1860 durch den ausgezeichneten Zoologen und Palâontologen Heinrich Georg Bronn in Heidelberg herausgegeben. Dies war insofern keine ganz glûckiiche Wahl, da dieser vorzügliche Gelehree einige Jahee vorher mehreee Werke verwandten Inhalts, nämlich die ,Morphologischen Studeen über die Gestaltungsgesetze der Naturkörper überhaupt und der organischen insbesondere" (Leipzig 1858) und die von der französischen Akademee gekrönte Preisschrift: „Untersuchungen ùber die Entwicklungsgesetze der organischen Welt während der Bildungszeit unserer Erdoberfläche" (Stuttgart 1858) berausgebeben hatte. Hr konnte ùberhaupt a!s der hervorragendste Repräsentant der noch jetzt unter den deutschnn Naturforschern der älteren Sohule herrcchenden Weltauflassung gelten, nach welcher die stufenweise Entwicklung der Naturwesen von niedern zu hohern Formen, für welche ihm seine Studien unzählige Belege ergeben hatten, durch ein ihnen immanentes „En-wickuungsgesetz", ähnlich dem, welches einen Tier- und Pflanzen-keim durch mancherlei Stufen zum vollendeten Wesen fuhr,, bedingt und geregelt werde. Bronn glaubee daher das Darwinsche AVerk, unbeschadet des bedeutenden Eindrucks, den es auf ihn hervorgebracht hatte, kritisieren zu sollen, und gab gleich der ersten Auflage einen Anhang mit auf den Weg, der gleichsam vor den Irrwegen desselben warnen sollte. Er verlangee in der That viel von einer eben in den ersten Umrissen hingeworfenen Theorie und frug beispielsweise:

ss.%£jsr Äsrrr £ r r s, ™=

Staubgefäß, die eiue eine geschtossene a.id die audere eiae weitgeöffnete Blüte V Wozu nUUt der eineu dies und der audern das Gegenteil? Warum bewirkeu die organischeu Bedingangen dies? Mit welcheu Mitteln faugen sie es an? uud wie mussen sie beschaffeu sein, um es zu können? Und wie kann die eine Art der audern dadurch Ubertegen werden? Wir gesteheu, keiuen Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen xu erkenneu......"

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Bronn hat seiner Zeit gewiss nicht erwartet,- dass der Darwinismus in seiner Fortentwicklung manche seiner Fragen, wie z. B. die nach den Ursachen verschiedener Blütenformen, thatsâchlich beantworten wûrde, aber was sollen wir von der grossen Menge erwarten, wenn selbst ein so kenntnisreicher Mann eine junge Theorie mit solch'einem Chaos von Fragen in Verwirrung za setzen sucht! Im Ubrigen that er nicht viel mehr, aïs Darwins eigene Einwûrfe mit einigen aufgesetzten Schlaglichtern zu wiederholen. In âhnlicher Weise wie Bron,, hatten auch andere deutsche Naturforscher wie z. B. E. von Bae,, Alexander Brau,, Nägeli u. a. nach einem Entwicklungsgesetz geforscht, welches die von ihnen aus der Entwicklungsgeschichte, Palâontologie und Geographie der Lebensformen gefolgerte Heranbildung immer vollkommnerer Formen regeln sollte, und wenn es Bronn genügt hatte, dieses Gesetz in einer Vervollkommnung durch Difterenzierung des Kôrperbaues zu finden, so suchten andere nach einer Art Plan in der Entwicklung, und vielefanden sich nun enttâuscht, dass Darwnn von einem Gesetz des unbedingten, planmâssig vorher angelegten Fortschrittes in den Lebewesen keine Beweise gefunden haben wolite. Bae,, den die ererbte Gesetzmâssigkeit der Entwicklung, welche "wie ein Baumeister" im lebendigen Keime sitzt und ihn zum sichern Ziel leitet, tâuschte, erfand spâter für seine Ideen den Ausdruck der Zielstrebigkeit, trotzdem er immer dabei blieb. dieEntwicklung müsse nach Naturgesetzen vor sieh gegangen sein, und der Begriff

zu entdeckendes "Entwicklungsgesetz» erklärt die anfânglich sehr laue Aufnahme bei den damaligen Häuptern der zoologischen und palâontologischen Forschung, und selbst bei solchen Personen, von denen man nach ihren bisherigen Schriften hâtte erwarten sollen, dass sie von Anfang an Darwin zujubeln würden. Von Personen, die ihre Wissenschaft nicht bloss aus der Natur, sondern zugleich aus Bibel und Tradition schopften, war natùrlich eine solche Zustimmung in keiner Weise zu erwarten. Das Haupt dieser Gruppe war der schweizerische, seit 1846 in Amerika lebende und daselbst imDezember 1873 verstorbene Naturforscher Louis Agassiz, der bis zu seinem Tode von den Orthodoxen aïs der bedeutendste Gegner Darwins', ja aïs der Retter des Glaubens gepriesen wurde.

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Es wird daher notig sein, auf seine Wirksamkeit etwas nâher ein-

Agasziz hing mit Zâhigkeit an der Katastrophen - Theorie Cuviers und indem er die Geschöpfe aïs unmittelbare Verkorperungen gôttlicher Gedanken hinstellte, meinte er, der Schöpfer sei gleichsam vom Leichteren zum Schwereren ùbergegangen, indem er die Erde nach jeder neuen Katastrophe mit immer vollkommneren Wesen besetzte. In seiner „Paläozoologie" (1845) und „Allgemeinnn Paläontoe"gie» (1851) hatte er die Thatsache, dass die âltesten fossilen Formen eine einfacheee Organisation besitzen, als die spâteren, vielleicht stârker beton,, aïs jemand vor ihm, und batte, dieForschungen E. von Baers mit Hilfe seiner Mitarbeiter Carl Yogt und Deorr auf die Paläontologie anwendend, nachgwiesen, dass die geologische Entwicklung der tierischnn Organssmen eine unverkennbare Parallele mit der heutigen embryologischen zeigt. Allein anstatt aus dieser Erkenntnis den logischen Schluss zu ziehen, dass also in gewissem Sinne die ausgestorbenen Wesen aïs Embryonnn heute lebendrr Formen angesehnn werden könnten, behauptete er bis an sein Lebensende: Darwin und alle diejenigen Forscher, die âhnliche Schlüsee gezogen haben, hätten sich zwar seiner Entdeckungen bemâchtigt, aber dieselben missverstanden und falsche Schlüsse daraus gezogen.

Im Jahee 1858, ungefähr zu derselben Zeit, aïs Darwin zuerst seine Ansichten uber die Herkuntt der lebendei Wesen veröffentlicht batte, betonee Agassis in seinem „Essay oM C/assification" wiederum, dass keine Art von der andern abstamme, sondern alle unabhängig von Gott erschaffen seien. Die palâontologische Aufeinanderfolge der niedern und hohern Wesen sei nichts anderes als die allmähliche Verwirklichung des göttlichnn Schôpfungsplanes, der von dem Niedern zum Höhern, vom Allgemeinen zum Besondenn fortgeschritten sei. Anfangs sei nur die Verkôrperung des allgemeinen Typus einer bestimmten Klasse erschafeen worden, dann durch weniger tiefgehenee Verânderungen des Grundplans die Vertreter der Familien und zuletz,, durch geringe Veränderung in untergeordneten Merkmalen, die Mannigfaltigkeit der Gattungen und Arten. Mit einem Worte, der Schöpfer verfuh,, wie ein immer feinere Unterschiede machendrr Systematiker, er war die Vergött-lichung eines beschreibenden Zoologen, die Gotthett eines Agassis,

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von der, ebenso wie für die Gôtzen des Indianers, Schillers Wort gilt: „In seinen Gottern malt sich der Mensch."

Agassiz schien dabei nicht zu merken, dass er eigentlich Blasphemieen niederschrieb, wenn er diese Personifikation nach

einem wahrhaft kindischen Eigensinn hielt er an diesen Behauptungen fest. Es verschlug ihm nichts, dass Pictet und andere Palâontologen inzwischen nachgewiesen hatten, dass die angebliche vôllige Verschiedenheit der Lebewesen jeder Periode von denen der frùheren unbegründet se', dass jede Periode vielmehr mindestens 33/s Prozent ihrer «er- und Pflanzengeschlechter und oft einen noch viel hôhem Prozentsatz mit der vorigen gemein habe: nach Agassiz wâren dann auch die gleichen Geschlechter mit den andern neu erschaffen worden! Ebenso wollte er nichts von den Wanderungen der Tiere und Anpassung an fremde Klimate durch leichte Körperverânderungen wissen. In einer Abhandlung über die geographische Verbreitung der Tiere, die er 1850 in Jamesons „Edinburgh phil. Vournal- veröffentlicht hatte, führte er aus, dass in den 10-00 verschiedenen Schopfangsperioden, die er annahm, nicht jedesmal nur ein Paar erschaffen worden sei, dessen Abkömmlinge sich dann über die gesamte Welt verbreiten konnten, sondern gleich die nôtige Anzahl an jedem Orte, wo sie sich befânden. Darum, und nicht weil sie nicht auswandern konnten, seien manche Tiere auf ganz bestimmte Gebiete beschrânkt, für ; die sie speciell erschaffen seien, wie z. B. die Faultiere fur Amerika und die Beuteltiere für Australien, und das gehe soweit, dass manche Müsse, die auf demselben Gebirge entspringen, wie z. B. ' Rhein und Rhone, jeder seine für ihn erschaffenen besonderen ; Fisch-Arten besitze. Wenn aber in der Vor- und Jetztwelt durch Meere oder unûbersteigliche Gebirgsketten getrennte Inseln und Kontinente identische Arten aufweisen, so müsse man annehmen, sie seien zugleich da und dort erschaffen worden oder, wie schon der heilige Augustin annahm, durch Engel auf diese getrennten

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denn weun er den Ursprung jeder Menschenrasse einem uuabhängige« Ausgangspankte oder Sehôpfungs-Akte zuschreibt, und damit nicht zufrieden, ganze Rationen' auf einmal, jedes Individuum aus ,Erde, Luft und Wasser,, wie Hooker es tibersetz,, erschafft, so treten mir die Mirakel wahrhaftig so zaldreich in den Weg, wie dem heiligen Antonius von Padua oder jenem spanischen Heiligen, dessen Namen ich vergass,so dass ich nicht umbin kann, zu denken,Lamarck müsse Recht haben, da die Verwerfung seines Systems zu solcher Zûgellosigkeit im Knotenknüpfen führt."

Im November desselben Jahres setzt er hinzu:

„Agassis haïf Darwin uud den Lamarckianern, indem er in seiuer Classification so weit ging und nicht zogerte, die Schôpferkratt aufzufordern, neue Arten aus nichts zu machen, sobald ihm nur die leichteste Schwierigkeit in den Weg kam, festzustellen, wie eine Varietât zu einem entfernteu Punkte des Erdballs gelangt sein konnte."*»

Auf diesem Wege wurde Agassiz in der That der erfolgreichste Vorkâmpfer Dawwsns unter den Ungläubigen, wie er das Haupt der „Gläubigen" blieb. Aber auch unter denjenigen Natuforschern von Ruf, die nicht nach dem Ruhmestitel eines „gläubigen Naturforschers" geizten, fand Darwin auf dem Kontinente, in den ersten Jahren nach dem Erscheinen seines Buche,, wenig Bekenner. In Deutschland gab es damals keinen berûhmten Natuforscher, welcher der Darwinschen Theorie alsbald zugestimmt hätte; die ersten Anhânger waren vielmehr hauptsächlich Personen, die nicht mehr als Forschrr thätig waren und welche die zunft-massige Gelehrsamkeit nur noch als Dilettanten und Litteraten ansehen würde, Populärschriftsteller wie Ludwig Büchrer (1860), Schidenen (1863,, Karl Vogt (1863), und Friedrich Rolee (1863). Der erste angehende Naturforscher, der sich in Deutschland mit Begeisterung auf Darwsns Seite stellte, war der damass achtun--zwanzigjährige Ernst Haeckel in seiner ,Monographie der Ra-dioaarien» (1862). Im folgenden Jahee wiederholte er sein Bekenntnis vor der Versammlung der ~deutschen Naturforscher und Ârzte in Stettin: (1863) und brachee damtt die Darwinsche Bewegung in Muss. Bisher handelte es sich gleichaam nur um Privatäusserungen ûber dieselbe, aber nunmehr war die Frage offen vor das Forum der deutschnn Wissenschaft getragen.

*) Lyell «. a. 0. IL .. 331 u. 341.

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. Znr selben Zeit trat einpaläontologischer Fund in denMittelpunkt des naturwissenschaftlichen Interess,s, der die Frage nach der Berechtigung der Darwinschen Theoree akut machte. Dawwin hatte schpn in der ersten Auflage seines Werkes daraufhingewiesen, dass zwischen den vierfüssigen Wirbeltieren und den Vogeln, die heute durch eine so weite Lücke von ibnen getrentt sind, dereintt Übergangsformen vorhandnn gewesen sein mussten, wenn sie auch bisher weder lebend, noch fossil gefunden seien. Kaum zweiJahre darauf (1861) fand man die erste Vogelfeder im lithographischen Jura-Schiefer von Solenhofen (Baiern) dnr im Jahee darauf zu Pappenheim in denselben Schichten die Reste eines Vogels mit hervorstehenden Kraleen an den Flügeln und einem langen, befiederten, eidechscnähnlichen Schwanz. Man empfand im antida--winistischen Lager sofort, dass hier eines der vermissten Übergang-glieder zwischen zwei heute weit getrennten Gruppen gefunden sei und sträubte sich mit allen Kräften dagegen, die wahre Natur und Bedeutung des Fundes anzuerkennen. Professor Bernhard von Cotta, der geistvolle Geologe, welcher sich bald darauf auf Darwins Seite stellte, erzähl, darüber in seiner "Geologee der Gegenwart«.

"Professor Andreas Wagner, der damaiigeKonservator des palä-ontologischen Muséums zu München, oia sehr rëspektabler Mann, der aber von seinen fixen, theoiogischen Ansichten beherrsch,, mit einem Ieidenschaftlichen, orthodoxen Drang jede Deutuug von naturwissenschaftiichen Thatsachen bekämpffe, welche mit der Naturauflassung des j&dischen Gësetzgebers nicht im Einklang war, gab die erste Beschreibung des neuen paläontologischen Fundes von Solenhofen. Er wollte in diesem Tiere, welches er Gryphosaurus (d. h. den Kätselsaurier) nannte, nur einen mit Federn bedeckten Saurier erkennen, nicht einmal eine sehr ausgesprochene Übergangsform zu denVögeln. Auch vergass er dabei nicht, gegon alle diejenigen zu eifern, welche die Entdeckung des Tieres zu Gunsten der Darwinschen Theorie ausbeuten wurden. A Oppe,, nach dessen Zeichnung Andreas Wagned der Münchener Akademie den ersten Bericht über diese wichtige Entdeckung machte, hielt dagegen das Tier sogleich für das, was es war; das altesto bekannte Urbild eines Voge!s der Jurazeit, dem aber ein langer Reptilienschwanz a!s rudimentäres Ërbteil von der Tierklasso, dem es ontstammte, geblieben, und dem damit der Stempel der Verwandtung in

der unverkehnbarsten Weise aufgëpragt war....... In dem immer

kleiner werdenden Heerlager der sehr ehrenwerten „frommen« Naturforscher war der Schrecken über die Entdeckung dieses höchst auf-

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Der unbequeme Finder, der Arzt und Petrefaktensanimler Hä-b.tlein in Pappenheim besass noch obendrein die Dreistigkeit, fur eineu solchen „Stein des Anstosses" einen betrâchtiichen Preis zu verlangen. Aber davon konnte natürlich keine Rede sein, auch noch Geld für den Besitz eines so unbequemen Zeugen fur die Wahrheit einer verhassten Lehre auszugeben; und das britische Muséum benützte die Apathie und Antipathie der deutschen Gelehrten und sandte seinen Direktor Waeerhouse in eigener Person an Ort und Stelle, um das kostbare Petrefakt für sechshundert Pfund Sterling zu erwerben. Wir dùrfen uns darüber um so weNiger wundern, als es dem zweiten Exemplar dieses seltenen Vogels, welches Häberlein 1877 fand, beinahe nicht besser ergangen wâre. Aïs dann aber die erste flüchtige Abbildung im „Intellectual Observer" (Dezember 1862) erschien, da Hess sich der Zorn der deutschen Antidarwinianer nicht langer halten. Prof. Giebel in Halle, einer ihrer Hauptanführe,, dessen Schriften aus jener Zeit mit hâmischen Bemerkungen und Seitenhieben gegen die neue Lehre gespickt sind, die er unter andern "ein Chaos vor Unglaublichkeiten und unbewiesenen Dummdreistigketten" nannte, erklârte die Steinplatte "aus zoologischen Gründen" für ein „widernaturliches Artefakt, einen Betrug.)*) Man habe einer der in diesen Schichten so hâufigen Flugeidechsen durch Naturseibstdruck die Federn angeâtzt! Aïs freilich wenige Monate darauf Owens Beschreibung in den ,Philosophical Transaciions" von 1863 erschien, mussten die Gegner einsehen, dass sie sich blamiert hatten, aber ihre Wut wurde dadurch nur um so grosser.

Es war der deutsche Botaniker K. F. Schimp,r, der es unter-

*) Giebels Zeitsehrift fhr die gesamten Naturwissenachafte,, Juui 1863,

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Krou.oh Oh, Daiwltt,          / .;/                      '                                   ?

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nahm, die deutsche Wissenschaft an Darwin zu rachen und auf die Rede Haeckess von 1863 die gebuhrende Antwort zu erteilen. Sie kam freilich erst zwei Jahre spâter, auf der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ârzte zu Hannover (1865), und bestand in einem bleiernen Spottbilde auf Darwin und einem Flugblatt in Poésie und Prosa, welches so masslos in seiner Kritik ist, dass es vor andern verdient, aïs lehrreiches Dokument jener Zeit hier wenigstens teilweise wiederabgedruckt zu werden. Darwnn batte damais einigen Angriffen gegenüber gezeigt, dass auch die bekannten PIatttisch», Schollen und Munder durchaus nichts gegen das Überleben des Zweckmäßigsten beweisen, da ihnen der Mangel einer Schwimmblase und die unverhâltnismässige Hohe ihres Korpers nicht erlaubt, gleich anderen Fischen aufrecht zn ruhen und zu schwimmen, weshalb sie sich angewohnt haben, immer auf der einen Breitseite zu liegen und zu schwimmen, wobei sie sich, wie thre starke Verbreitung beweist, sehr wohl befinden. Die Gewôhnung an diese ungewôhniiche Lage hat bewirkt, dass sich die anfângiich weichen Kopfknochen etwas verschoben haben, wâhrend das ursprünglich der Unterseite angehörige Auge sich nach oben neben das andere Auge gezogen hat, wo es dem meist platt auf dem Sande liegenden Tiere allein nützen konnte. Wâhrend uns die Entwicklung der Plattfische aïs eine besonders augenfällige Illustraiion der Darwinschen Lehre erscheint, sofern wir die Ausbildung der Einseitigkeit auch an dem jungen Tiere, dessen Augen anfangs wie bei andern Fischen stehen, verfolgen können, erschienen diese Fische gewissen kurzsichtigen Leuten, wie Schimper und Mivart, als eins der augenfalligstenBeweismtttel gegen Darwin*), und der erstere Hess aïs Symbolisierung der Einseitigkeit und Schiefheit der Darwinschen Theorie zur Verteilung an die in Hannover versammelten Naturforscher eine bleierne Medaille giessen, die, wie es scheint, - mir liegt bloss das Flugblatt vor, - auf der einen Seite Darwin den Schollen reitend, und auf der andern Arion-Schimper auf dem Delphin, das Saitenspiel rührend, zeigte. Das Spottlied, welches vermutlich bestimmt war, aïs Tafellied gesungen zu werden, lautete:

*) Vergl. „EutNtehung der Arten"« Cap. 7.

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Für Buttreiter.

Sey das Kldniss, bleigegossen, Das dem Künstter wohigelungen, Auch der Fisch mit Strahl „^Fiosseu Nachbarlich zuerst besungen.

Den Ariou mit der Leier, Über Bord geworfen eben, Auf dem Delphin um so freier Seht ihr musicierend lebeu!

Anders treibse eiu Mensch im Meere. Der nach Schiifbruch sich zu retten, Fasst den Balken in die Quere Angstvoll wie mit Ketf und Kletten!

Knieend auf der kleinen Scholle, Trieb die Maid von Neckarhauseu Vierundzwauzig Stunden, volle, Durch des Eisgangs Todesgrausen!

Ihn jedoch nun, seit ich warf ihn Ober Bord, seh ich in tiefsten Fluteu klar, den grossen Darwin, Reiten aller Fische schiefsten.

Reiten auf dem Pleuronektes, Auf dem Butt, dem Seitenschwimmer, Dessen platthin aufgedecktes Zuchtgeheimnis neckt ihn immer.

Hat der Fisch dabei des Bauches Ftossen an der Kehle vor den Ruderlein der Brust: des Brauches Sind noch andere froh geworden.

Einzig zu gezweitem Kleide, Hat er einerseits die Augen! Mag dergleichen Augenweide Recht zum Darwinsdienste taugen!

Das Flugblatt mit seinen witzig sein sollenden Verskünsteleien, welches wirhier erwähnen, weiles eben, aïs Antwort auf Haeckels Vorgehen, vor die N~turforscherversammlung gebracht wurde,

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schliesat mit dem „Urteil eines Denkers und xNaturforschers, der seit langer aïs vierundzwanzig Jahren ernstlich und allseitig sich mit der Frage der Schôpfung beschâftigt hat," und welches lautet:

„Die Zuchtlehre Darwins ist, wie ich gleich gefunden und bei wiederholtem anfmerksamem Leseu nur immer besser wahrnehmen musste, die kurzsichtigste, niedrigdummste und brutalste, die fmöglich^ und

™?^e£Z!£J^oS:^Z<* Z~S?f\Iuv bei J sich intéressant zu machen versucht hat."

Sehimper batte sich in dieser Sprache offenbar den KIopffechter Giebll oder den bestandigen Sekretâr der Akademie der Wissenachaften in Paris, P. Floatens, zumMuster genommen, der sich in seiner im Jahre vorher erschienenen „Examination du Uwe de M. Daru-in sur t'Origim des Espeses (Paris 1864)" ähnlich ausdrückte. Dieser namentlich durch seine in früheren Jabren an lebenden Tieren angesteilten Gehirnuntersuchûngen berühmt gewordene Forsche) behandelt darin Darwnn wie einen unglucklichen Kandidaten der Medizin. dessen Kenntnise im Examen nicht vollgültig befunden werden, und dem er - der Pbysiologe! - zuruft: „Ich habe Ihnen schon gesagt, dass Sie sich tâuschen, ein absoluter Unterschied trennt die Arten von den Varietâten" (wortiich so S.56), und dessen verworrene Ansichten ihm den Schmerzensschrei (S. 65) anspressen:

die Naturwissenschaff geschleudert die zum Gallimathias herabsinkt, so-llbten Peraonifikationen! 0 Klarheit, o Festigkeit der Gedanken, was

W" dL kurzen Âusserungen, welche teils durch die Person, von der sie ausgingen, teils durch den Ort, an welchem sie vorgebracht wurden, vor unzahligen andern gleicher Richtung hervorgehoben werden mussten, kônnen uns aïs Beispiel dienen von der Art, in welcher Darwins Bach selbst in Natarforscherkreisen des Kontinents

aufgenommen wurde. Dass der Empfang seitens der sich bedroht glaubenden Rechtglaubigkeit und Gefûhisduselei em noch weniger freundlicher war, braucht nicht besonders ausgeführt zu werden.

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VII. Darwins Älteee botanisch«' Schriften.

Was that nun der Urheber aller dieser Ärgernisse, wâhrend clraussen die Geister aufeinanderplatzten und Überzeugungen gegen einander ausspielten, von solcher unvereinbaren, durch Abgründe geschiedenen Schroffheit, wie sie nie vorher sich gegenflbergestan-den? Stùrzte er sich. als der Nâchste dazu. ais ein mit den unritterlichsten Waffen angegriffener, durch Schimpfwörter aller Art gereizter AnfUhrer in das offene Gewühl der Feldschlacht, wuchtige Hiebe nach allen Seiten austeilend? Nichts weniger aïs das. Er bat seine Freunde, die Gegaer schelten zu lassen, und wandte sich der friediichsten aller Beschäftigungen, dem Umgangp „derer, die nicht reden", den stillen Pflanzen zu, am auch sie zum Sprechen zu bringen und Zeugnis ablegen zu lassen fur das grosse Prinzip der EnLklung alS Lebens. Er bedurfte für die Abrundung seiner Theorie einer Reihe von Feststellungen über die Grenzen der Fruchtbarkeit, und da bei dem unzureichenden Material fur die Entscheidung der betreffenden Fragen neue Beobachtungen und Experimente notwendig waren, so wandte er sich dem Studium der Pfianzenbefruchtung Ja, weil bei den Pflanzen am leicbtesten Antwort auf diese Fragen zu erholen war.

Es waren zwei Fragen von prinzipieller Bedeutung, um die es sich in ersterLinie handelte: Wieweit wardipAnsich, der âlteren Naturforscher berechtigt, dass alle sogenannten "guten Artnn"1 wenn sie mit einander gekreuzt werden, entweder unfuuchtbar bleiben oderunfruchtbare Nachkommen (Bastard)) liefern? Bekanntlich hielt man dies Gesetz fur ein hinreichend durchgreifendes, nm in einem bestimmten Falle dadurch entscheiden zu können, ob es sich bloss um eine sogenannte Vareetät oder um eine von der nâchstâhniichen Art wirklich verschiedene Art handle. Dièse Unfruehtbarkeit entfernter stehender Formen untereinander war ja

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Diesem Gesetze der Unfruchtbarkeit fernerstehender Formen stand nun eine andere Erfahrung gegenüber, welche bewies, dass die Selbstbefruchtung der Zwitterblumen, also gleichsam zweier allzunah stehender, zu einer Person verschmolzenen Formen, in vielen Fällen ebenfalls ohne Erfolg bleibt oder schwâchliche Nachkommen liefert. Es war der deutsche Botaniker Conrad Sprnngel in Spandau (1750-1816) gewesen, welcher in seinem Buche: "das entdeckte Geheimnis der Natur im Baue und der Befruchtung der Blumen" (Berlin 1793) zuerst klar nachgewiesen hatte, dass die Zwitterblumen, zu denen die meisten der schoneren Blumen gehôren, sich nicht, wie man vorher angenommen hatte, regetmâssig durch ihrcn eigenen Blumenstaub befruchten; dass dieser in manchen Fâllen sogar ganz unwirksam bleibt, wenn er auf die eigene Narbe gebracht wird, und dass sich in vielen Zwitterblumen Staubfâden und Narben- zn verschiedenen Zeiten entwickeln, so dass sie nicht auf einander wirken konnen. Die Zwitterblumen sind also hiernach nicht viel anders gestellt, aïs solche Blumen, bei denen die Geschlechter, wie bei den hôheren Tieren, vollstândig getrennt sind und bei denen durchaus ein fremdes Agens, sei es nun Wind, Wasser oder Tiere, den Staub der männlichen Blüten zu den weiblichen bringen müssen. „Die Natur», folgerte Sprengel, "scheint es nicht haben zu wollen, dass irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub' befruchtet werden solle." Sprengel schloss daraus weiter, dass der Blumenschôpfer vielen Blumen ein schones Aussehen, prâchtige Farben und Zeichnungen, anziehende Dùfte und wohlschmeckende Nektar-Absonderungen verliehen habe, damit sie schon aus der Ferne Insekten herbeilocken môchten, die ihnen Blumenstaub von andern Stôcken ihrer Art mitbrâchten. Er studierte den Bau vieler Blumen von diesem Gesichtspunkte aus auf das Genaueste, erôrterte die besondern Einrichtungen der Blumen, um die Fremdbestâubung zu sichern, zeigte, dass die Zeichnungen der Blumen fast immer wie Wegweiser auf den Ort hindeuten, wo die Honigquelle fliesst, - weshalb er sie Saftmale nannte, - dass bei vielen Blumen besondere Einrichtungen vorhanden sind, um

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die besuchenden Insekten durch Auslösung besonderer Mechanismen mit dem Blumenstaube einzupudern, da» die Narbe stets so gelegen ist, du» die Insckten sic bei der Ausbeutung des Honigs ode) bei dem Abnagen der nahrhaften Staubbeate, berûhren müssen. dass endlich der Honig vieler Blumen in langen Spornen abgesondert oder durch Schuppen und Haargebilde so beschutzt wd. dass ihn nur bestimmte, mit langen Rùsseln versehene Insekten erreichen können, dass also gewisse Blumen und Insekten specie]) fur einander erschaffen seien.

Ze Entdeckungen waren von der Nachwelt xicmlich geringschätzig behandelt worden, namentlich hatte Treviranus und der altere Decandolle ihre Bedeutung in Abrede gestellt. Der erstere leugnete, dass die üngleichzeitigkeit der Gescblechter-En-wicklung (Sprengels Dichogamie) eine verbreitete Erscheinung se.. Td andere Botaniker bewiesen, dass viele Pflanzen, mit dem eigenen Staube befruchte,, gute Samen liefern, ja dass, wie man spâter pntdeckte die Blüten mancher Pflanzen sich gar nicht offnen. uftmden Blumenstaub zu empfangen, und doch gute Samen reifen. So kam es, dass Sprengeis Werk nach vereinzelten Diskussionen in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts so gut wie vLessen war und selbst in den ausführlichen Hand- und ThxSTder Botanik seit den dreissiger Jahren nur kurz oder gar nicht mehr erwâhnt wurde.

Indessen hatte ein englischer Botaniker, Andrew Knight, sich im Jahre1799 durch Versuche an verschiedenen Pflanzen, namentlich an Erbsen, überzeugt, dass man durch Anwendung fremden Blumenstaubes zahlreichere Samenkörner und kraftigere Nachkommen erzielt, als durch Seibstbefruchtung, und er stellte schon damals den Satz auf, dass sich keine Pflanze dauernd ohne Fremdbefruchtung erhalten kônne. Darwnn hatte, wie bereits oben erwâhnt, schon im Jahre 1858 Versuche in derselben Riohtung angestellt. Er bedeckte weissen Wiesenklee mit einem feinen Netze, welches der Luft und dem Lichte fast ungehinderten Zutritt gewährte, aber die Insekten vollstândig abschloss', und fand, dass 2L Klee nur den zehnten Teil soviel fruchtbaren Samens lieferte. nls anderer, zu dem die Insekten ungehinderten Zutritt batten. Denseiben Versuch wiederholte er sodann an der gemeinen Schmink-bohne(/Wo^w/S)und fend, dass so bedeckte Stocke ganz

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unfruchtbar blieben, falls man nicht die Thätigkeit der Bienen an diesen Blumen, welche er bei dieser Gelegenheit genau untersuchte,

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Knights bei und formulierte im vierten Kapitel der „Entstehung der Arten" diesen Satz dahin, "dass kein organisches Wesnn sich eine unbegrenzte Zahl von Generationen hinduhoh durch Selbstbefruchtung zu erhalnen vermag, sondern dass gelegencliche, wenn auch oft erst nach sehr langnn Zeiträumen erfolgende Kreuzung mit getrennten Ind--vidunn unerläsoliche Bednngung für dauernde For-erhaltgng ist." Diese fur die Theorie des Lebens wichtigen Betrachtungen hatten ihn zum Studium des Sprengelschen Werkes geführt. in welchem ihm eine Fulle der wunderbarsten Anpassungen der Pflanzenwelt an die Befruchtung durch Insekten entgegentrat und nicht wenige Beispiele erlautert werden, in denen Fârbung, Blütezeit, ja die ganze besondere Form der Blute dem einzigen Zwecke angepasst sind, eine bestimmte Kategorie von Insekten anzuziehen, die sicb im besondern dem Besuche und der (unbewussten) Fortpflanzung dieser Blütenform gewidmet hat.

Manche der naiven Anschauungen des ausgezeichneten Blumenforschers mussten seinem so weit in der Deutung der Natur fortgeschrittenen Leser ein Lâchein entlocken, so wenn der „Blumenschopfer" an einer bestimmten Einrichtung sein besonderes Gefallen findet und sie immer wieder anbringt, oder wenn seine Geschopfe seinen Winken nicht folgen und die mutwilligen Hummeln zum Beispiel die Nachtnelke plündern, deren Honig er doch offenbar für die Nachtfalter bestimmt habe; aber Darwnn verkannte darùber keinen Augenblick den grossen Wert dieser Beobachtungen, und sah in ihnen den ersten ernsteren Anlauf, die Blumenform ans ihrer Zweckerfüllung zu verstehen. Die Blumen erschienen nunmehr nicht mehr ohne Ursache oder bloss um den Menschen zu erfreuen, schôn und duftreich, sondern um Gâste anzulocken, denen sie ihre dauernde Erhaltung im Naturleben verdanhen, ohne so viel Blumenstaub verschwenden zu müssen, aïs der Wind verstreut,

*) Ch. Dar Will, O" the agency of bees iM (he fertilisation of Papilionaceous flower,. Annal. and Magaz. of Na.. Histor. 3. Ser. Vol. II. (1858) p. 461 ff.

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wenn er dasselbe leisten soll. Hier war also der Naturzfichtung eine Haadh&be geboten, um nicht bloss zweckmässige, sondern auch tür die tierischen Femsinne (Auge undNase) rezzvolle und anzeeheede d. h. schöne Erscheinungen zu rächten. Die Insekten erschienen nls die ältesten Blumenzüchter. Und da es fü' beide interessierte Teile, die Blumen wie die Insekten, am vorteilhaftesten soin musste, wenn die Insekten sich in die Biumenweit teilten, wenn jede Blumenform nur einer enger begrenzten Gruppe von Insekten in ihren Nahrungsquellen zugänglich blieb, weil nur dann Fehlbesuche moglichst vermiednn werden konnten, sn mussee die Naturzüchtung dahin wirken, Mannigfaltigkeit der Bhtmen-formen za erzeugen, um nur die nùtzlichnn Besuchrr zuznlassen, die unnützen aber auszuschliessen.

Dieser Gedankengang musste Darw,n, der im Jahee )881 die von Sprenlel missverstandene Befruchtungsart des Singrün (Vinco minor) richtiger erkannt hatte*), veranlassen, den Orchideen seine besondeee Aufmerksamkeit znzuwenden, von denen scbon Sprenlel an den einheimischen Arten nachgewiesen hatte, da* bei ihnen die verschiedenartigsten Insekten-Anpassungen vorkommen, wâhrend die ansländischen Orchideen, die Lieblinge der reichen Blumenzüchter, eine Mannigfaltigkeit der Formen enthalten, wie keine andere Pflanzenfamilie, so dass sie in den Zeiten der beschaulicheren und truumerischen Naturbetrachtung- manche Feder angeregt haben, um ùber die wunderlichen „Launei und Bizarrerienn derNator» zu schreiben. Darwin wandte deshalb seine Aufmerksamkeit nicht nur den besoheidennn Orchideen zu. die auf den Wiesen und Triften, sowie in Wäldern und Gebuschnn seines Wohnbezirkes wuohsen, sondern auch den anspruchsvollenen Erscheinungen, die er in seinem Gew&chshause ziehen oder nuf sein Ersuchnn aus den grossartigen Warmhäusern englischrr Gärtner und Liebhab'r fur sein Studium erhalten konnte.

Was er da fand, ùberstieg sicher seine ErwarLungen ausserordentlich, und mussee ihn mehr als alles, was er je gesehen, in der Überzeugung bestärken, dass der Naturzûchtung nichss unmôglicb ist; denn was sic hier aus einem einfachen Monokotylen-Typus, der im Urspuünge dem unserer Schwertlilien nahegestanden

*) The Garden,» C/.rwnvh Ifidl. V. t-V. 00!) h.j.1 <V',7.

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haben mag, geschaffen hat, grenzt geradezu an das Wunder. In der Tbat, wer die kleine Mûhe nicht scheut, das Buch über die Befruchngng der Orchddeen*) welches Darwnn im Beginne des Jahres 1862 veröffentlichte, aufmerksam durchzulesen, dem wird zuletzt diese Blumenweit wie ein Traum aus „Tausend uud eine Nacht" erscheinen, merkwürdiger a!s alles, was er bisher in naturhistorischen Werken gelesen hat. Da giebt es z. B. eine Gruppe sûdamerikanischer Erdorchideen, deren grünliche, buntgefieckte Blüten an den grossen, weitaufgesperrten Rachen eines wùtenden Reptils, z. B. einer GiftschlaHge mit spitzen Giftzahnen, erinnern, deren zahlreiche Arten man iH drei Gattungen von im einzelnen ziemlich verschiedener Blutenbildung trennte, welche Cata-setum, Monachanthus und Myanthus genannt wurden, von denen aber die Liebhaber erzahiten, dass sie sich mitunter in einander ver-wan d el ten, so dass ein bisheriges Catasetum bei der nâchsten Blutenperiode Myanthus-Blumen trage. Aïs dann Sir Richard Schom-burgk eines Tages Blüten aller drei Gattungen auf einrr Pflanze fand, bemerkte Lindley (1853), seinerzeit der beste Orchideenkenner, „daas derartige Fâlle alle unsere Ideen von der Bestândigkeit der Gattungen und Arten bis auf den Grund erschntterten.'-Das war nun freilich ein Irrtum, denn Darwnn zeigte, dass die sogenannten Ca~asetum-Arten die männlicben Stocke vou Orchideen seien, deren weibliche Stocke aïs Monachanthus-Arten beschrieben waren und die auch zuweilen, wie die meisten andern Orchideen, zwitterblùtig vorkommen'und dann ais Myanlhus-Arten beschrieben worden waren.

Musste nun bereits diese auffällige Verschicdenheit der drei nur zuweilen auf demselben Stocke erscheinenden Blütenformen. von denen man die Zwitterform a!s die nrsprüngliche hetrachten muss, denForscher anziehen, so war doch die von Darwnn unter-

., On the «*,„ eontr^, *, ,« HrUUk ,*, Jon*» OrcküU «r, fertilized by Inserts, London 1862. HierzH erschien noch im selben Jahre ein Nachtrag über Catasetum tridental um (Journ. of the Linn. Soc. Bot. Vol. VI. p. 151—157) wozu nach7Jahren Nachträge „Notes im the fertilis. of the Orchid, Annal. and Magas. of Natur. Hist." Ser. IV. Vol. IV p. HI—158,1869, kamen,

in den „Gesandelten Werken" Bd. IX Abteil. 2 n Grunde liegt.

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suchte hochgradige Reizbarkeit der männlichen Bifiten noch viel merkwürdiger. Denn hier schien die Amorsmythe, wie bei den Schnecken, verkôrpert zu sein, sofern die Pollinien gleich Pfeiken emporfliegei und sich herabfallend auf den Ruckeu der hesnchenden Insekten (grosser Hymenoptcren) festheften, sobald diese einen der in den Blüten herabhängenden Fühlfädnn berühren. Bei einer derselben Abteilung angehörigen Baum-Orchidee (Cartjanthes spe-ciosa) müssen die besuchenden Insekten gar ein von der Blumc bercitgehaltenes, unfreiwilliges Bad nehmen, um den Blumenstaub sicher auf die am Ausgange des Badekübels harrende Narbe zu bringen! Es versteht sich, dass die Wirksamkeit dieser Mechanismen bei den ausländischen Orchideen nicht direkt von Darwin beobachtet werden konnte, da ja die zugeh&rigen Insekten nicht mitgebracht worden waren. Aber in sehr vie}en Fällen sind bereits die Schlüsse über Art, Gestatt und Wirkungsweise der Besucher ausländischer Orchideen, welche Darwin aus dem besondern Bau derselben gezogen hatte, von reisendnn Naturforschern bestâtigt worden. So schloss Dawwin beispielsweise, dass die Bluten von Angroecum sesquipedah, die einen grossen, wie aus schneeweissem Wachs gebildeten, sechsstrahligen Stern darstellen, nur von einem Nachtschmetterling besucht und befruchtet werden könnten, dessen Rüssel die ungewôhnliche Lange von zehn bis elf Zoll besitzen müsse, weil nur ein solches Insekt den Nektar auf dem Boden des ebensolangen Spornes dieser Orchidee erreichnn könne. In der That bestätigte Forbes 1873, dass in der Heimat (Madagaskar) dieser schönen Orchidee so langrüsslige Schwarmrr vorhanden sind. Obwohl der Hauptgegner Sprengeis, der mehr aïs achtzigjährige L. C. Trevaranus (f 1864), nach dem Erscheinen des Darwinschnn Werkes nochmass Einwendungen erhob, fand doch der durchdringende Scharfsinn Darwsns in der Deutung der râtse-haftesten Blumenbildungen unter den Botankkern allerwärts die verdiente Anerkennung und brachee die Forschungen des mit Unrecht lange vergessenen dcutschnn Botankkers wieder ru Ehren, wobei natürlich die teleologische Auffassung desselben einer unbefangneren Deutung von gewalteger Tragweite weichen musste. Das noch immer eine reiche Ansbeuee versprechende, unübersehbare Arbeitsfeld, welches Darwin mit seinem Orchideenbuche eröffnet ha!, wird heute von unzähligen Bearbeitern angebaut, Denn auch hier

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colite die Erkenntnis, dass der Bau der Blumen aus dem Nùtziich-keits-Princip zu erklären sei, wie ein Jungbrunnen auf die betreffende Disciplin wirken. Allmâhlich wuchs die Zahl eifriger Jünger unter den Botanikern, die sich um den Meister scharten, betrâchtlich, und die meisten und hervorragendsten derselben: Asa Gray, Fritz und Hermann Mülle,, F. Delpino, F. Hildebrand u. a. verdienten ihre Sporen zunâchst an den Orchideen. Ein unendlicher Briefwechsei mit Botanikern, die nber die gesamte Erde zerstreut wohnen, erwuchs daraus far Darwin, aber er durfte auch seine Freude daran haben, namentlich nacbdem Hermann Mülerr das Beobachtungsgebiet dadurch erweitert hatte, dass er die Umwandlungen zu studieren begann, welche die Anpassung an die Ernährung durch Nektar und Pollen auf den Korperbau der Ineeknen hervorgebracht hat, so dass man von einer gegenseitigen Fortbildung durch immer engere Gewôhnung aneinander und von „Wechselbeziehungen zwischnn Blumnn und Insekten" sprechen konnte.*) Es wird einen Begriff von der Ausdehnung des hier eröffneten Arbeitsfeldes geben, wenn wir erwähnen, dass in den zwanzig Jahren seit dem Erscheinen des Darwinschen Orchideenbuches bis Mitte 1883 weit über siebenhundert grôssere und kleinere Abhandlungen und Bücher uber die Befruchtung der Pflanzen erschienen sind, deren Titel man in der englischen Ausgabe von H. Müleers Befruchtung der Pflanzen (London 1883) einzeln aufgezählt findet.

Aber so weit auch éinzelne seiner Schüler dem Meister in der Erweiterung des von ihm aufgeschlossenen Gebietes vorausgeeiit sind, in einem Punkte übertraf er sie alle, in dem Umfange nâmlich, in welchem er das Experiment zur SicheruNg der Grundlagen seiner neuen Blumentheorie herbeizog. Wir haben gesehen, dass er bereits 1858 begonnen hatte, denNutzen dflrKiewbeflrudi-

Abdruck gekommen Bind, berichtet.

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scheinungen, namentlich «lie Neigung mancher Pflanzen, Kreuz-befruchtung zu verhindern, machten ihn wieder zweifeihaft, und so setzte er diese Versuche duroh die sechziger Jahre hindurch fort, ja er begann gegen dus Jahr 1865 eine neue zehnjâhrige Versuchsreihe an circa tansend Pflanzen eigener Zucht, um durch strenge Vergleicht«* in vielen auteinanderfolgenden Generationen ach xu uberzeugen, ob die durch Kreuzbefruchtung erzielten Samen wirklich krâftigere Pflanzen liefern, aïs die durch Seibstbefruchtung erhaiteneN. Die betreffenden Samlinge beideriei Ursprungs derselben Art wnrdcn dabei nebeneinander gepflanzt, in ihrer Entwicktung, die unter gleichen Bedingungen stattfand, nacb allen RichtuDgen sorgsam verglichen und uber die Ergebnisse ein strenges Protokoll gefûhrt.

Es ist sicher nur wenigen Menschen gegeben, cin solches Mass vun Geduld und nie ermattender Sorgfalt an ein Problem zu setzen, das aller Wahrscheinlicbkpit nach bereits richtig beantwortet war. fur welches gewissermassen nur aoch der statistiscbe Beweis ausstand. Selbst die jabrelangen Kechnungen der Astronomen sind damit nicht zu. vergleichen, denn diese sollen eine neue Erkenntnis liefern, wahrendDarwins zehnjâhrige Versnchc nur bestimmt ware~, ihn darüber zu beruhigen, ob er sich in seiner 1858 gezogenen Schlussfolgerang nicht geirrt habe. Und als im Jahre 1876 dann das su viele Arbeit anschliessende Werk über die Wirkungen der Kreu-- und Selbstbefruchtung*) erschien, da war das Schiussergebnis im grossen und ganzen nur eine Bestâtigung des schon 1858gefolgerten Satzes: Kreuzbefruchtung ist im allgemeinen vorteilhaft und Selbstbefruchtung schädlich.

Es erschien mir zweckmässig, diese erst viel spâter zum Ab-schluss gebrachte Versuchsreihe vor einer andern in derselben Zeit begonnenen zn erwâhnen, in der es sich um den Nutznn der Kreuuung versehieden-gestaltette Zwitterblumen derselbnn Art handelt, wobei einerseits die frùhere Ansicht, dass sich Arten und Varietâten bei der Kreuzung verschieden verhalten, widerlegt wird und andrerseits einiges Licht auf die dunkle Frage der Bastardbildung geworfen wird. Es handelt sich hierbetum Blumen, wie sie bereits die Aufmerksamkeit Sprengeis erregt hatten, in denen

*; The effects of cross- and self-fertilisation in the veyetahle kingdom. London W7U. Gesammelte Werke Bd. X. (1877.) 459 Seiten.

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bei einigen Stôcken der Griffel langer, bei andern kûrzer ist aïs die Staubfâden, ja die kurz- und langgriftlige Form der Blumen zuweilen auf derselben Pflanze vorkommt. Darwin untersuchte diese Zweigestaltigkeit der Blumen zuerst an mehreren Primula- *), dann bei verschiedenen Linum-Avtm**) und fand, dass sie sich im wesentlichen ùbereinstimmend verhalten.

Wahrend sonst die Kreuzung der Blumen verschiedener Stocke vermehrte Fruchtbarkeit sichert, zeigte sich die Kreuzung zweier langgriflliger oder zweier kurzgriffliger Bluten untereinander so wenig erfolgreich, a!s wenn zwei verschiedene Arten mit einander gckreuzt werden; es wurden entweder gar keine oder kümmerliche, den Bastarden âhniiche, unfruchtbare Nachkommen erzielt und deshalb nennt Darwnn solche Kreuzungen ileggitime. Dagegen zeigten sich die beiden ungleichen Formen mit einander stets fruchtbar, gleichviel ob der Pollen der langgriffligen Form auf die Narbe der kurzgriftligen, oder umgekehrt gebracht wurde. In der Natur findet offenbar diese letztere legitiee Verbindung am häutigsten statt, denn da in den Blüten der einen Form die Narbe sich ziemlich in derselben Hôhe befindet, wie in denen der andern die Staubfâden, so werden die besuchenden Insekten mit demselben Korperteil, mit welchem sie in der langgriffligen Form beim Honigsuchen die Staubfäden streifen, in der kurzgriffiigen Form die Narbe berühren und umgekehrt. Auch Hessen sich einige Verschiedenheiten in Pollen- und Narbenbildung erkennen, die das obige Verhalten erklären, denn die langgrifflige Form erzeugt kleinere Pollenkôrner, deren Kraft gut ausreichen mag, um einen Schlauch durch das Gewebe des kurzen Griffels der andern Form zu treiben, wâhrend die kurzgriftlige Art grossere Pollenkörner bildet, deren Schläuche dem lângem Griffel gewachsen sind, aber bei der eigenen Form vielleicht an der sichtbaren Verschiedenhett der Narbenbildung ein Hindernis finden.

Noch kompliciertere Fâlle finden sich bei Pflanzen, deren Staub-gefässe in zwii Kreisen übereinander geordnet sin,, denn hier

*) On the tioo forms, or dimorphic condition in the specie« of Primula, and on the!r remaroable sexual relations. Journ. of the Linn. Soc, Bot. Vol. VI 1862, p. 77-96.

**) On the existenee of two forms, and on their reciprocal sexual relation in severll species of the yenus Linum. A. a. 0. Vol. VII (1861) p. 69-.,3.

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-Intal* zu der lang- und Irangriffligen Form zuweilen noch eine dritte, mittelgrifflige, z.B. bei unserem gemeinen roten Weiderich. Aïs Darwin diese Pfianze untersuchte*), fand er bei den sechs legitimen und den zwôlf illegitimen Kreuzungen, die zwischen diesen sechs Formen moglich sind, die obigeRegel bestâtigt, indem sich die Mchkommen illegitimer Kreuzangen unfrnchtbar erwiesen. Die Untersnchangen der dimorphen und trimorphen Pflanzen lieferten also auf der einen Seite nachdrückliche Bestutigungen des Knight-Darwinschen Satzes von der Notwendigkeit der Kreuzbefruchtung, indem diese Pflanzen sogar regelmâssigc Kreuzbefruchtung zwischën zwei entgegengesetzt gebauten Formen als unumgänglich verlangen, und hoben andrerseits die Grenzlinien zwischen Varietät und Art auf, indem sie die Entstehung bandähnlicher Formen aus der illegitimen Kreuzung von Individuen derselben Art erwiesen. 8k, Hessen somit ahnen, dass es eventuell nur einer geringeM Veränderung der geschlechtlichen Elemente bedûrfe, um eine Varietät mit der andern unfruchtbar zn machen nnd somit nach der alten Anschauung zwei Arten zu erzeugen.

Solche und âhniiche ans dcm Verhalten dimorpher und tri-morpher Pflanzen gezogenen Schlüsse legte Darwnn 1868 der Linne'Bohen Gesellschaft in einer besonderen Abhandiung**) vor und fügte alsbald eine besondere Erôrterung an Primel- und Konigskerzen-Bastarden*)) hinzn. In der letzteren suchte er zn zeigen, dass ein auf den englischen Grasplatzen zwischen der hochsteng-iigen tiefgelben Prtmula veri, und der blassen stengellosen Primula acauto vorkommende hochstenglige Zwischenform (0,HP der Engländer), die man mit der ähniichen Primula e/aho~ (Barl field-Oxlip der Engländer) verwecbselt(und daram alle vier Formen als durch Übergänge verbundene Varietâten einer und derselben Art angesehen) hatte, vielmehr ein von der letzteren Art durchaus verschiedener Bastard zwischen den ungleichgriffligen Formen

) 0» the s^al relations of ,1, three for», o/ Lytlrr^ Salicari«. A. a. 0 Vol. VIII. (1865) }>. 169-196.

**) On the character and hybrüllike nature of the offspring from the ille-

^~ " *«»*** «"«' »*■«*** *<** a. a. o. vol x.,, *98-

'«**) A.a.U. Vol. X. 11869) p. 437-454.

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„ 112 -der beiden ersten Arten ist und darum, mit sich selber gekreuzt,

UUrMJa"re 1877 verband Darwin alle die letztgenannten, inden Schriften der Linneischen Gesellschaft erschienenen Abhandlungon zu seinem Professor AsG Gyay gewidmeten Buche über die verschiedenen Blütnnformen bei Pflanzen der nämlichen Art*); doch sind in demselben ausser mannigfachen Zusätzen zu den früherea Abbandluugen mchiete Kapitel ganz neu. So namentlich das vorletzte, wciche, ûber polygame, diôcische und gynodiöcische Pflanzen handelt, and die Neigung vieler zwitterblütigen Pflanzen, bei denen Seibstbefruchtung muglich ist, in eingeschlechtliche über-zugehen, wo Kreuzbefruchtung notwendig wird, schildert, und das letzte, welches die Gewohnheit einzelner Pflanzen, ihre Blüten gar nicht zu öffnen, uud durch Seibstbefruchtnng allen Luxus in der Blüten-und Pollen-Produktion zu umgehen, diskutiert. Zu den im Vorhergehenden erwahnten Schriften über die Befruchtung der Pflanzen, deren jede einzelne eine grosse Summe von Beobachtungen, Experimenten, Korrespondenzen und Nachdenken einschliesst, kamen noch einige, spâter veröffentlichte, kleinere Notken über die Befruchtung von Lexchenaullia**) und der Fumariaceen.***)

Eine andere Reihe von biologischen Erscheinungen im Pflanzenreiche, die Anpassangen der Pflanzen an eine kletternde Lebensweise, hatten mitten innerhalb jener Studien über die Befruchtung die Aufmerksamkeit Darwins lângere Zeit gefesselt und wie überali wohin er seinen Blick richtete, haben seine Studien auch nach dieser Richtung ein überraschendes Licht auf viele bisher dunkle Fragen geworfen. Die Kletterpflanzen, welche schon vorher von mehreren deutschen Botanikern und namentiich gründlich > durch H. von Mohl untersucht worden waren, zerfallen in zwei oft mit einander verwechselte Hauptgruppen, in Schling- . pflanzen, welche sich um nicht zu dicke Stützen in Schlangenlinien emporwinden, und in Kletterpflanzen, die sich, ohne zn winden, mittelst Ranken, Luftwurzeln und anderer Hilfsmittel empor-

**) Fertilisation of Leschenanltia. „Garden. Chron.« 1811. y. 1166. ~J Fertilisation of the Wn„ „Nature" Voll IX. 1874. p. 460.

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heben, aber beide Methoden, die zuweilen auch vereint vorkommen, bringen der betreffenden Pflanze den Vorteil, sie in dichteren Be-stânden und gleichsam mit Benutzung ihrer Nachbarn aïs Leitern, auf schnellstemund wohlfeilstem Wege, nâmlich ohne dass sie einen starken, sich seibsttragenden Stamm zu bilden brauchen, zum Luft-und Lichtgenuss zu bringen. WenB man eine in einiger Entfernung von der Stange aus der Erde gekommene Bohnen- oder Hopfenranke betrachtet, so sieht es nachher aus, aïs habe sie mittelst eines geheimen Sinnes die Nâhe der Stütze geabnt und sich direkt zu derselben hingewandt, aber in Wahrheit hat sie eine Zeitlang nach derselben suchen müssen. Darwnn zeigte in seiner zuerst 1865 ver5ffentlichten Arbeit ùberdee Bewegungen und Lebnnsweise der kletternden Pfaanze)*) dass dl überhângenden jungen Triebe der windenden Pflanzen sich mit ihrer Spitze unaufhôrlich und mehr oder weniger schnell nach allen Himmelsrichtungen im Kreise herumwenden, und zwar je nach der Eigenart der Pflanze entweder dem Laufe der Sonne folgend, oder in entgegengesetzter Richtung, also gegen alle sonstigen Gewohnten der Pflanzen, vom Stande der Sonne wenig oder gar nicht beemflusst. B« einer zu den Asklepiadeen gehôrigen Schlingpflanze, Cecropia Garant, beschrieb die Spitze des Schôsslings eines auf dem Arbeitstische Darwins aufgestellten Exemplares, dem Sonnenlaufe entgegen fortruckend, in fùnf bis sechs Stunden einen Kre1S von über sechzehn Fuss im Umfange, und es war ein interessantes Schauspiel den langen Schoss zu beobachten, wie er, in der Stunde einen Raum von mehr aïs dreissig Zoll durchmessend Tag und Nacht sich darch diesen grossen Kreis schwang, vergehlich

Stoden kö?ne^egenstande ^^ "" ** CT ^ ***** ^^ ^ Die Zache dieses Winden* welches bei den meisten Pflanzen dauernd in derselben Richtung vor .sich geht, beruht auf einem fortwâhrenden, in der Périphérie des Schösslings berumgehenden einseitigen Stârkerwachstum der Zellen, welches den Stengeimmerfort nacb der andern Seite im Kreise herumbewegt, und es ist

*) Journal of thp Linnean Soc. Bot. Bd. IX. p. 1-118. Die

neue, sebi

vermehrte Auflage bildet die erste Hälfte des neunten Bandes der Stuttgarter Ausgabe von Darwins „Gesammelten Werken«, 160 Seiten mit 13 HotachSitt«, Krau.«, Oh. Darwin.                                                       g

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nicht schwerverständlich, dass er sich dabei, âhnlich, wie eine geschwungene Peitschenschnur, in Spirallinien um die Stûtze legt, aber schwerer verstândiich ist es schon, warum er dies. wiederum wie die Peitschenschnur, nur bei dûnnen Stùtzen thut, bei dickeren Stâmmen aber niederfâllt. Es ist dies wabrscheinticb eine ererbte AnpassungsEErscheinung, die darauf beruht, dass die meisten Schlingpfianzen im Winter absterben, und das Winden um einen dicken Stamm, bei der unYerhältnismässigen Verlângerung des Stengels, die bei demselben erfordert wird, doch niemals zum Ziele

^ eedem Falle kommen Pflanzen, die sich durch Luftwurzeln, wie der Epheu, oder durch Ranken, wie die Gurkengewâchse oder der wilde Wein, emporhelfen, mit weniger Materialverschwendung aus, wobei sie noch den Vorteil haben, sich ausschliessiich auf derjenigen Seite der Stûtze halten zu kônnen, auf der sie am liebsten wachsen, der Epheu auf der Schattenseite, die meisten andern &ewâchse auf der Lichtseite. AIs .den einfachsten Fall der Ranken-klettern betrachtet Darwnn den der Blattkletterer, von denen er namentlich an den Arten der Waldrebe (<fc»«*ö) interessante Versuche, angestellt hat. Bei ihnen sind die Blattstiele hakenformig ruckwârts gebogen und rollen sich, wenn sie mit ihrem Haken einen fremden Zweig erfasst haben, um ihn heran., worauf sie sieh holzartig verdicken, um die Verbindung unauflöslich zu machen. Die allmâhlicb erworbene Empfindlichkeit der sich festhaltenden Endblattstiele steigt dabei zu solchen Graden, dass sie haardûnne Grâser einfangen, und diejenigen der italienischen Waldrebe krûmmten sich bereits, wenn eine Fadenschleife von Vl. Gran &ewicht darûbergehangt wurde.

Auch die mit fadenfôrmigen Spitzen endigenden Ranken smd meist umgewandelte Blâtter, wie man namenthch an den ans zusammengesetzten Blâttern entstandenen Ranken sieht, die noch ein unteres Blattpaar tragen, wie gewisse Bignoniaceen, deren iu Ranken verwandelte obere Blâtter die Stütze krallenartig erfassen. Die Ranken bewegen sich suchend im Kreise wie der Stengel der Schlingpflanzen und sind mit den verschiedensten Arten von Em-pfindüchkeit begabt. Die meisten sind auf ihrer Innenseite empfindlich und rollen sich bei jeder Beruhrung sofort um den ergriffenen Zweig zusammen, wobei indessen einige wieder loslassen,

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^n sie gleichsam a«S Versehen, einen Zweig der eigenen Pflanze ergriffen haben Dièse Empfindiichkeit der Seite, nach der sich die Bänke an der Spitze krümmt, ist namentlich auch fur diejenigen KIetterpflanzen wichtig deren Rankenspitzen in viele Meine Haken endigen, mit denen sie die Stützen erfassen. Bei CobZ scandens sind zahireiche Doppelhakcn an dem Ende der Ranke vorhanden, mit denen jede Stütze, mit der die Ranke durch ihre eigene Bewegung oder den Wind in Beruhrung kommt, augenblicklich erfasst wird. Viele Ranken uud namentlich diejenigen mehrerer Bignoniaceen sind an ihren Spitzen, wie Darwnss V rsuche ergaben, stark lichtscheu und suchen daher in der Rinde de Baume oder an Wânden von Gebâuden nach Spalten und Lôchern, in denen sie sich verbergen kônnen. Drinnen schwellen die Spitzen an und sondern einen stark klebenden Eitt aus, mit welchem sie sich allen Unebenheiten anschmiegen und die Ranke sehr fest anheften. Der Fuss solcher Ranken scheint besonders der Befestigung in den Fasern der Moose und Flechten, welche die Baumrind^ decken, angepasst zu sein, denn die Anschwellungen desselben dringen leistenfôrmig zwischen die einzelnen Blâttchen und Fasern des Polsters ein, auch wenn man ihnen statt des Mooses Wolle oder Flachs darbietet. Auch der bekannte wilde Wein und manch Feigenarten haben lichtscheue Ranken nnd vermôgen sich durch polsterfôrmige Anschwellung derselben und Aussonderun- eines klebrigen Kittes selbst an Feien und Mauerwerk lestzuhefL D Ranken des wilden Weines verholzen nachher, und ihre Polster haften noch 10-55 Jahre lang am Mauerwerk.

Rankef 7^ ? ^ s^feJ^^^^S vieier Ranken nach der Anheftung ihrer Spitze, die man ebenfalls am wilden Wem, besonders schon aber an verschiedenen Gurkengewâchsen, z. B. derZaunrübe, studieren kann. Sie zieht dadurch nicht nur den Ast näher an die Stütze heran, sondern macht die Verbindung zu einer elastischen, was besonders wichtig im Sturm wird bei welchem unelastische Verbindungen sich viel schlechter bewâhren wurden. Besonders interessant ist dabei noch, die, wie Darwin gezeigt bat, aus einer mechanischen Notwendigkeit erfolgende Umsetzung der Schraubenspirale; es sind in derselben .

rtii?^^nach -—Seite -

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Da nun die Rankenträger unter Aufwendung von weniger Stamm-material emporkommen als die windenden Pflanzen, so schliesst Darwin dass Je eine höhere Stufe der kletternden Pflanzen darstellen und ehedem aus windenden Pflanzen hervorgegangen sind. In der That haben wir viele windende Pflanzen, die zugleich Ranken tragen, und da die Ranken sich in âhnlicher Weise suchend im Kreise bewegen, wie die Stammspitze der windenden Gewachse, so zeigen sie darin offenbar eine entschiedene Ubereinstimmung. Aber wahrscheinlich verloren viele windende Pflanzen, nachdem sie in den Ranken sparsamere Klettermittel erlangt hatten, die allein hinreichen, die Pflanze in die Höhe zu bringen, ohne dass sie einen langeren Stamm zu bilden braucht, das Vermôgen zu winden allmâhlicb ganz und gar, und so wurden aus den windenden Pflanzen Rankenkletterer. Wir konnen uns z.B. vorstelleu, dass die Erbsen und Wicken ehemals windende Gewâchse gewesen sind, so gut wie die Stangenbohnen, allein nachdem sie Ranken bekommen hatten, gaben sie das Winden auf, und wenn man die Menge des Buhnenstrohs mit dem Erbsenstroh vergleicht, wird man Ieicht den auf Seiten der Erbsen liegenden Vorteil erkennen. Natürlich konnte im Vorstehenden nur eine ganzoberflächiiche Übersicht der zahlreichen von Darwnn in dieser Richtung aufgestellten Beobachtungen und Versuche gegeben werden. Von wie hohem pbilosopbischem Interesse aber diese Studien über die Anpassungen der Pflanze an ein kletternde Lebensweise sind, mogen die Worte darthun, mit denen Darwnn seine Arbeit beschloss:

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kann wenn wir eine der vollkomraneren, rankentragenden Formen betrachten. Es stellt dieselbe zuerst ihre' Ranken in Bereitschaft zur

gar nicht, je nachdem das Verhalten fur sie am vorteilhaftesten sein mag Mehrere Tage lang rotieren die Ranken oder die Internodien,

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oder beide, vou selbst in starker Bewegung. Die Bänke st tost au irgend einen Gegenstand, rollt sich schnell um ihn herum und ergreift ihn fest. Im Verlaufe ciniger Stunden xieht sie sicb zu einer Scbraubeniinie zusammen, zieht dabci den St<ngel in die Höhe uud bildet eine ausgezeichnete Feder. Alle Bewegungen hôren nun auf. In Folge vou Wachstum werden die Gewebe bald wunderbar stark und danerbaft. Die Ranke bat. ihre Arbeit gethau und hat sie in wnnderbarer Weise gethan."

Wenn jemand ans der stattiichen Reihe botanischer Abhandlungen und Werke, die Darwin seit dem Erscheinen seines grundlegenden Werkes in schneller Folge erscheinen Hess, hätte schliefen wollen, dass er sich in dem in Rede stehenden Jahrzehnt nur mit den Pflanzen bescbâftigt habe, so wurde derselbe, obwohl die Gesamtbeit der gedachten Arbeiten durch die in ihr enthaltene Arbeitssumme seine Annahme vollstândig hâtte rechtfertigen kônnen, dennoch in einen starken Irrtum verfallen sein. Was Darwin vou seinen laufenden Arbeiten veröffentlichte, war stets nur dasjenige, wovon er glaubte, dass es einen vorlâufigen Abschluss erreicht habe, so dass eine Publikation am Platze wâre, am andere zur Prüfung, Mit- und Weiterforschung anzuregen. Inzwischen lief, wenn Darwin nicht dnrch Krankheit, wie 1865, lange nnfâhig war, die Arbeit des Thatsachen-Sammelns zur Unterstützung aller einzelnen in seinem Hâuptwerke ausgesprochenen Sätze und Vermutungen ohne allé Unterbrechung daneben fort. Unendliche Versuchs- und Beobachtungsreihen im Geflügelhofe und in den Ställen, im Felde und Garten wurden eröffnet, um die Erfolge der kûnstlichen Zuchtung xu studieren, die wissenschaftlichen Zeitschriften aller Kulturvôlker verfolgt und excerpiert und zahJlose Briefe an in der ganzen Welt lebende Forscher gerichtet, um von ihnen Auskunft ùber Verhâltnisse zu erlangen, die sie vermôge der Richtung ihrer Studien kenneu mussten, oder sie, wenn es altère Korrespondenten waren, zu Beobachtungen und Versuchen anzu-

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regen, die vielleicht nur sie in der Lage waren, mit Erfolg anstellen zu kônnen. Soviel ich sehen kann und Einblick in diese Verhâltnisse gewonnen habe, glaube ich, dass vielleicht kein andrer Naturforscher, selbst Humboldt nicht, soviel neue Beobachtungen durch direkte Anregung hervorgerufen hat, wie Darwin. Freilich wur das Arbeitsfeld der Biologie und des Studiums der Verhâltnisse der Lsbewesen zu einander bis dahin über die Maassen Yernachlässigt, und der so lange jungfrâuliche Boden trug nun desto reichere Frûcbte. Zu den sorgfâltigen Protokollen uber die eigenen Beobachtungen und Versuche kam daher noch die Registrierung der Excerpte und der eingeholten Gutachten und Berichte, und wenn man dann bedenkt, dass die Mehrzahl der Aufzeichnungen schliesslich nur aïs Material für statistische Bearbeitung diente und um allgemeinere Schlûsse, die Gesetzmâssigkeit der Vorgange betreffend, daraus zu ziehen, so wird man wohl Walaace Recht geben dürfen, wenn er sagt, dass vielleicht kein Menseh ausser Darwnn imstande gewesen wâre, eine allgemein ûberzeugende Begründung der Zuchtwahl-Theorie zu liefern und die erforderlichen Pièces justificatives zusammen zu bringen.

Eswar zunâchstdie Machtunider Umfang der künstlichen Züchtung, welche Darwnn einer genauerenj Prüfung unterwarf, als dies bisher geschehen war. Er studierte die Rassen der Pferde, Hunde, Rinder, Schweine, Tauben, Huhner, Garten-und Feldpflanzen nach den verschiedensten Richtungen auf das Genaueste und ùberzeugte sich, dass die Variabilitat bei den meisten Tieren und Pflanzen, die der Mensch in seinen Schutz nimmt und für seinen Nutzen pftegt, gradezu ohne Grenzen ist. Noch heute erscheinen unter den Augen des Züchters immer neue und neue Varietâten nacb den verschiedensten Ricbtungen, und ein geschickter Viehzüchter oder Gârtner, dessen Auge für geringe Unterschiede geschârft ist, kann durch hâufende Paarung, wenn er zureichendes Material zur Verfügung hat, beinahe jede gewùnschte Varietât in kürzester Zeit erzengen. Wâhrend aber die ungeheure Mannigfaltigkeit der Formen und Farben unserer Haustiere und Gartenpflanzen, von Ausstellungen her, allgemein hekannt ist, hegte man von Anfang an den Darwinschen Bebauptungen gegenùber Zweifel darüber, ob diese Unterschiede der Zuchtrassen jemals so tief gingen, wip die der natürlichen Arten; man meinte, es handele sich bloss

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um âusserte Abânderungen der Grosse, Stârke des Knochenbaus, Farbe und Form der Haare, Federn u. b. w., kurzum Dinge, die weder das Skelet (abgesehen von Grosse und Stârke der einzelnen Knochen) sehr verandern, noch physiologisch von besonderer Bedeutung seien. Aber wâhrend manche der von den Systematikern allgemein aïs Arten betrachteten freilebenden Tiere im Skelet nur schwer oder überhaupt nicht zu unterscheiden sind, ûberxeugte sich Darwin, dass die Züchtung Schâdel und Skelet oft sehr bedeutend modifiziert hat und dass nicht allein die Form der Knocben, sondern auch die Zahl der Wirbel und Rippen bei einzelnen Hausrassen bedeutend modifiziert worden sind. Auch ist die Einwirkung nicht auf das vollendete Tier beschrânkt geblieben. sondern die Eier der Hnhnerarten, die Raupen und Cocons der Seidenschmetterlinge, die Blütezeit und Reife der Früehte, ihre Widerstandsfâhigkeit gegen Krankheiten, Parasiten sind verândert worden. Da viele LandwirtH und Zûchter behauptet hatten, die in die menschliche Zucht genommenen Lebewesen seien nur deshalb su variabel,weil sie durch wiederholte Bastardierung ausmehreren verschiedenen naturlichen Arten hervorgegangen seien, so richtete Darwnn seine Aafmerksamkeit sowohl auf die Züchtung von Bastardrassen, als auch auf die Frage nach der Herkunft unserer vershhienenen Hausrassen. Er erkannte an, dass durch den Einfluss des Menschen die Unfrucbtbarkeit, welche verschiedene Arten im Freien mit einander zeigen, gemildert werde und dass die Erzielung truchtbarer Bastardrassen gelinge, aber die Ergebnisse seiner meisten Untersuchungen zeigten, dass viele unserer variabelsten Hausrnssen, wie z.B. die Tauben, nicht Hybriden, sondern Abkömmlinge einfacher Witdarten sind, auf die sie unter Umstanden mehr oder weniger auffallend xuruckscblagen. Die Schwierigkeit des Nachweises der Urform ist meist sehr gross, weil die Zûchtung seit so vielen Jahrtausenden bereits betrieben ist und die Urrassen zumTeil inzwischen ansgestorben sein môgon.. Darwin richtete seinen Blick namentlich auch auf die unbewusste Züchtung der Nauurvölker, deren bedeutende Wirkung besonders Rütimeyer und Oswald Heer nachgewiesen haben, indem sie zeigten, dass fast alle unsere Haustierrassen, sowie unsere der Samen wegen angebauten Kulturpflanzen seit der Pfahlbau-Periode an Grosse zugenommpn. während die wilden Tiere,

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Hirsche, Bâren, Rentiere u. s. w. seitdem eher an Grosse abgenommen haben. Dabei ist es nicht wahrscheinlich, dass die âltesten Ackerbauer und Tierhalter irgendwie planmässige Znchtungen vorgenommen hâtten; sie begünstigten eben gute Sorten, und ihre Züchtung steht dadurch der Naturzûchtung nâher, aïs die jede Paarung und Aufzucbt genau überwachende gewiegter Kenner.

Alle diesem Gebiete angehorigen Erfahrungen vereinigte Darwnn in seinem zuerst 1868 erschienenen zweibândigen Werke über "das Variienen der Tieee und Pfaanzen im Zustande der Domestikation-) und es kann einen Begriff von dem Thatsachenreichtum dieses Werkes geben, wenn ich erwâhne, dass das sehr gedrângte Register desselben in der dritten deutschen Ausgabe (1878) 70 Seiten umfasst! Mit diesem „Quellenwerke" gab Darwnn seiner Theorie in der That ein vortreffliches Fundament und gewann, was nicht zn unterschâtzen ist, damit die Aufmerksamkeit und Teilnahme der Praktiker. Zwar hat er viele der ersten Namen unter denselben nicht zu seinen Ansichten zu bekehren vermocht, aber da er zu den seltenen Naturen gehôrte, die durch Widerspruch nicht gereizt, sondern zu erneuter Prûfung und Vergleichung der eigenen, wie der fremden Meinung veranlasst werden, so dienten ihm auch die Schriften der Gegner, soweit sie gute Gründe und ihm neue Thatsachen beibrachten, zur Fôrderung, und er verdankte manches seiner lehrreichsten Beispiele den Gegnern. Vor allem liess er sich durch Ausnahmen von der Regel, wie sie uberall vorkommen, nicht abhalten, weiter nach allgemeinen Gesetzen zu forschen. So erkannte er vôllig an, dass manche Rassen, namentlich solche mit abnormen Merkmalen, wie z.B.Mehrzehigkeit, Horn- und Schwanzlosigkeit, plôtzlich erscheinen und dann ebenso bestândig werden kônnen, wie allmählich gezüchtete Rassen; aber er weigerte sich stets, sowohi dem deutschen Zoologen Kölliker, wie den Landwirten gegenûber anzuerkennen, dass die sprungweise Entwicklung in Natur-und Eunstzûchtung die Regel bilde und die grôssten Erfolge hervorbringe.

Mit solchen Gegnern freilieb, die mit dem deutschen Zoologen

~ *) The cariation of animals and plants under domesticationu London 1868. Die weite englische Ausgabe erschien 1875 uud die dritte deutsohe, welche den 3. u. 4. Baud der „Ges&mme)teu Werke" bitdet, umfasst 10S7 Druckseiten mit 48 Hoizschnitten.

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Andreas Wagner annahmen, dass der Schopfer die für den Nutzen und Gebrauch des Menschen bestimmten Arten im voraus mit einer hôhern Bildsamkeit begabt habe, aïs die wilden Arten sie besitzen, konnte Darwin niema.s zu eincm befriedigenden Einverstândnss gelangen. Abgesehen davon, dass eine solche Ansicht alle Studien an Haustieren und Kulturpflanzen wertlos gemacht haben würde, sofern ihre Natur andeeen Gesetzen folgen sollte, als diejenige der übrigen Tiere und Pflanzen, so machen derartige Folgerungen, môgen sie auch noch so eng begrentt werden, überhaupt alle Forschung überflüssig. Aber viele Landwirte und selbst einige Forsche,, die seinen frûheren Ansichten unbedingt zugestimmt hatten, meinten nicht weiter mit ihm gehen zu kônnen. falls er nicht zugeben wolle, dass das Pferd und der Hund, der Roggen und die Kartoffel, speciell für den Menschen erschaffen und mit jener Bildsamkeit begabl worden wâren, die sie in so hohem Grade nützlich für seine Existenz machen.

„.....Kann man mit irgend welcher grossereu Wahrschuinlichkeit behaupten,, fr&gt Darwnn am Schlusse seines Werkes, uachdem er das Beispiel eines menschticheu Baumeisters vorausgeschickt hatte, der aus «..pr&destinierten Werksttcken einen zweckm~ssigen Bau aufführtt "dass der Schöpfer der ZUchter wegen jede der unzähligen Abänderungen bei uusern domesticierten Tieren und Pfianzen specfeü angeordnet habe, wobei doch viele dieser Variationen für den Menschen von keinem Nutzen uud für die Geschöpfc selbst nicbt wohithätig, soudern weit haufiger schadiich sind? Ordnete er au, dass der KroJ und die Schwanxfedern der Tanben variiereu sollten, damit der Zuchter seinen groteskeu Krôpfer und seine Ptauentaube zachteu kônne? Liess er deu Bau und die geistigen Eigenschaften des Hundes variieren, damit eine Rassc gebildet werdeu kSnue von unbezähmbarer Wildbeit, mit Kinnladen, welche zur Befriedigung der rohen Jagdlust des Menschen einen Bullen festzuhatten vermogen? Wenn wir aber deu Grundsatx

in einem Falle aufgeben,.....so haben wir keinen Schatten von

Grund zu der Anuahme, dass AbanderuDgeM absichtlich und specie!! in ihrer Richtung be~timmt worden seien, welche, ihrer Natur nach gleich und das Resultat derselben allgemeinen Gesetze, die Grundlage dargeboten haben, auf welcher sich dnrch natürliche Zuchtwahl die Bildung der am vollkommensten angepaßten Tiere der Welt mit Eiu-schiuss des Menscben erhoben hat. So sehr wir es wunschen môgeu, so kônnen wir doch kaum Professor Asa Gray in seiner Ausicht folgen, dass die Abanderung gewissen xwohitätigeu Richtungen« entlang geführt wurde, wie ein Strom gewissen nütziichen und xweckmassigen Be-

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- 122 -.ta.r„„g,«een »tag.- W.„„ wir »„neh,»,,,, im, jede besondere

sets z ää t z^rsrttLTH.

Nar das Vertrauen auf eine gesetzmâssige Ordnung der Natur kann den Mut zu so weit aussehenden Untersuchungen verleihen, wie sie Darwin immer von neuem vornahm. Wâhrend die erste Hälfte seines Werkes h&uptsâchlich der VorfuhruBg koukreter Beispiele gewidmet ist, um die fast unbegrenzten Erfolge einer planvollen Züchtung nachzuweisen, wendet er sich in der zweiten und grôsseren Abteilung den Gesetzen zu, nach denen die Abweichungen entstenen und erhaenen werden. Ergiebt zu, dass die äussern Lebensverhâltnisse den Hauptanstoss zur Verânderung geben mögen, aber erinnert daran, dass das Vermogen im Individuum hege; weshalb verschiedene Arten bei gleicher Veranderung der Lebensweise durchaus nicht in gleicher Richtung variieren. Einen Gegenstand seiner besonderen Aufmerksamkeit bïldete dabei das Gesezz der Korrelation, nach welchem bestimmte Abânderungen in dem einen Organsystem hâufig mit denjenigen eines andern verbunden auftreten, z. B. die fast regelmassige Taubheit der weissen Katzen mit blauen Augen. Eine solche Korrelation mag es auch sein, durch welche bei verânderter Lebensweise zuerst die Organe der Fortpflanzung getroffen werden : und divergierende Formen im Freien untereinander um so sichrer ; unfruchtbar werden, je weiter sie sich in ihrer gesamten Lebens- , weise von einander entfernen. Darch seine Studien an den Primeln und andern dimorphen Pflanzen hatte Darwnn die Cbcrxeugung ! gewunnen, dass es weniger die Verschiedenheit der Gesamtorganisation, aïs der Geschlechts-Organe und Produkte ist, welche selbst nahe verwandte Arten - in den obigen Fâllen sogar die in ihrer Gesamtorganisation ûbereinstimmenden Individuen dereelben Art - unter einander unfruchtbar macht. In âhulicher Weise mogen dann die gleichmâssigen Einflüsse der Domestikation umgekehrt Hausrassen geneigter machen, sich fruchtbar zu vermischen.

Vor allem beschâftigte ihn, nâchst den Ursachen und dem Um-

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fange der Verânderlichkeit, das dunkle Problem der Vereubung, auf welcher alle fortschreitende Entwidmung beruh.. Denn durch sie werden nicht nur die regelmässigen Eigentümlichkeiten der Eltern auf die Nachkommnn ùbertragen, sondern auch neue nützliche und schädliche Erwerbungen, Abnormitäten, Krankheitskeime. ja in vicleM Fâllen willkürlichc Verstümmelungen. Hierbei waren mm von besonderer Wichiigkeit die Fälle von vebborgener (latenter) Vererbung, durch welche unter Überspringung mehrerer Generationen plötzlichd durch sogpnannten Rückschlag (Atavismus), Eigentümlichkeiten der Ahnen bci den Nachkommnn auftreten, ohne dass sie bei den Eltern sichtbar wuren. Ja, dieser Rûckschlag geht bei den Kulturpflanzen und Tieren oft so weit. dass er Andeutnngen ûber die Stammformen geben kann. Diese latente Vererbung ist insofern eine regelmässige Erscheinung, aïs Eigentümlichkeiten des einen Geschlechts, z. B. des männlichen. in der weiblichen Linie verborgen bewahtt werden, bis sie wieder Gelegenhett haben, in einem männlichen Nachkommnn zur Entwicklung zu kommen und umgekehrt,

Zur Erklärung aller diescr wunderbaren Vorgânge stellte nun Darwnn in seinem in Rede stehenden Werke eine Erklärung auf. die er mit seiner gewuhnlichen Vorsicht a!s eine „provisorische Hypothèse" bezeichnete, die sogenannte Pangenesis-Hypothese. Nach derselben sollen die Zellen, welche den Körper aufbauen. ausser ihrer bestandigen Vermehrugg und Verjungung, kleine Elemente oder Körnchnn abgeben, welche durch den ganzen Kôrper zerstreut werdeu und, mit gehöriger Nahrugg versorg,, durch Teiiung sich vervielfältigen und später zu Zellen sich entwickeln kônnen. denen gleich, von welchen sie ursprünglich herrühren. Diese „Keimchen" genannten Elemenee sollten von allen Teilen des Korpers gesammelt .werden, um die Sexualelemente xu bilden und durch ihre Entwicklung in der nâchsten Generation einem neuen Wesen das Dasein xu geben; sie seien aber gleichfalls fahig, in einem schlummernden Zustande auf spätere Generationen überliefert und dann erst entwickelt xu werden. Solche Keimchnn sollten aber aicht bloss von jeder Zelle oder Einheit wâhrend des erwachsenen Zustandes, sondern wahrend allerEntwicklungsstände des Organismus abgegeben werden.

Diese Hypothese, welche in âhnuichrr Gestatt bereits von

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Hippokrates und nachher von vielen Naturforschern aufgestellt worden ist, sollte vornâmlich die kôrperliche Vertretung aller Teile des Korpers und ihrer Zustande in den Zeugungsstoffen versinn-liohen, und Darwins Zuthat beruht vornehmlich darin, dass er nicht bloss das Produkt, sondern bereits alle einzelnen Teilchen organisiert sein lässt, sogar im Begriffe aufeinanderfolgender Entwicklungsstufen. Es ist nicht zu leugnen, dass diese Hypothese in sebr sinnfälliger Weise die Übertragung aller korperlichen und geistigen Zustände, sofern letztere von ersteren abhângig gedacht werden, erklârt, und wehn jemand einwerfen wollte, dass in des Fortpflanzungsprodukten auch Eeimchen nicht vorhandener Glieder enthalten sein müssten, da ja Verstümmelungen in der Regel nicht vererbt werden, und die Nachkommen oft Gliedmassen besitzen, die einem oder beiden Eltern fehlten, so konnte Darwnn auf schlummernde Keime derselben hinweisen, die aus früheren Zustânden (vor der Verstümmelung) vorhanden waren und bei nie-dern Tieren zu einer Reproduktion des verlorenen Teiles führen. Das Reaktionsvermôgen der niedern Tiere, welches schon Réaumrr von solchen schlummernden Keimen abgeleitet hatte, sah auch Darwnn aïs eine Hauptstütze seiner Hypothèse an.

Er sollte indessen wenig Freude an dieser Hypothese erleben, denn seine besten Freunde und wärmsten Verehrer verwarfen sie mit mehr oder weniger Entschiedenheit. Vor allem legte er Wert auf das Urteil Fritz Müleers und er schrieb ihm gleich nach dem Erscheinen des Buchesy dessen erster Abdruck schon nach wenigen Wochen vergriffen war, dass er mit Sehnsucht seiner Ansicht ûber die Pangenesis-Theorie entgegensâhe. Fritz Mülerr hielt mit seinen Bedenken nicht zurück und Darwnn antwortete ihm unter dem 3. Juni 1868:

„Ihr Brief vom 22. April hat mich sehr interessiert. Ich bin ent-Mich sind und icb empfinde es d. eine grosse Erleicht.™g, irgend

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Mntterform u. s. w. nachdenke. Es scheint mir oft fast gewiss, dass die Charaktere der Vorfahren einzig vermittelst materieller Atome, die von jeder Zelle beider Eltern herstammen und im Kinde sich entwickeln, ^hotographiert' werden."

Allein Fritz Müller vermochte es ebensowenig, wie Hae ekel, sich mit dieser Hypothese näher zu befreunden, und Darwin schrieb am 9. October desselben Jahres an Hermnnn Müller:

"Ich bin erfreut, dass Sie einige gnte Worte für die Pangenesis sagen, denn diese Hypothese hat wenig Freunde gefunden. Ibr Broder, der einer der besten Beurteiler von der Welt ist, schrieb sehr im Zweifel. Sie hat sicherlich meine Gedanken gekl&rt und mir den Zusammenhang gewisser zahlreicher Klassen von Thatsachen iu einer ùberraschenden und befriedigenden Weise gezeigt."

F. Delpino veröffentiichee 1869 eine Kriiik der Hypothese, in welcher er sie wegen ihrer zu materiellen Auffassung verwarf und auch Francss Galton, ein Vetter Darwins und Enkel von Erasmus Darwin aus dessen zweiter Ehe, der eine Reihe hochst werIvoller Untersuchungen gerade über das Prinzip der Vererbung angestellt hat, vermochee sich ihr nicht anzuschliessen. Hae eke1 veröffentlichte dann 1876 seine Perigenesis-Theorie, welche an Stelle der materiellen Vermittlung der aus allen Organnn stammenden Keimchen die Vererbung aïs eine Übertragung der „Pla-stidul-Bewegung" d. h. des Wesens der Lebenpprozesse der Eltern, unter dem Bilde einer modifiziereen und verzweigten Wellenbewegung erläuterte. Haeckels Hypothese ist m ihrer Allgemeinheit jedenfalls einwandfreier; sie erklärt ungezwungen, weshalb der junge Spross genau die Entwicklungswege der Eltern wiederholen und zu demselben letzten Ziele fûhren muss, und wie leicht er nach gewissen Richtungen auf âltem Stufen, die er ja stets durchlaufen mus,, stehen bleiben kann, um den Vorahnen âhnlichrr zu werden aïs den Ahnen u. s. w. Auch wird durch diese Anschauung, wie Schreiber dieser Zeilen anderswo eingehend dargelegt hat, die That-sache, dass Rückschlag besondess leicht bei Bastardierung eintritt, sehr ungezwungen erklärt; der junge Keim vermgg nicht bedden ihm von den ungleichen Eltern vererbeen divergierenden Entwicklungsrichtungen zu folgen und bleibt daher leicht auf einem älteren Stadium stehen, auf welchem sich die Wege der beiden Eltern uoch nicht geschiednn hatten.

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ïndessen hielt.Darwin an seiner Hypothese fest und es lägst    :

sicb nicht verkennen, dass die Pangenesis-Hypothese für manche    :

Erscheinungen eine sehr plausible Erklärung bietet, namentlich für    ., jene häufigen Fâlle von Missgeburten, bei denen Glieder verdoppelt

oder in falscher Stellung erscheinen, sowie für das Reproduktions-    ±

vermogen verlorener Glieder bei niederen Tieren. In dieser Eich-    ;-

tung hatee Fritz Mülerr, im Jahee 1880 eine höchst auffaUende    ;

Beobachtung an einer Garneele des Jtaaahy gemach.. Wenn die     .

Krebse verlorene Glieder neu ergänzen, so erscheinnn dieselben bei     :

dicsen nnd andern Arten nicht sogleich in der definitiven Form,     *

sondern zeigen erst eine Gestatt dieser Gliedmassen, wie sie bei    J

einigen verwandten Arten vorkommen und offenbar einer Ahnenform     ;

angehört haben, worauf sie erst nach mehreeen Häutungen die der    :

jetzt lebenden Art zukommenee Gestatt erlangen. Die betreffende     *

Beobachtung wurde im „Kosmos"*) veroffentlicht, aber da ich wusste,     *

wie sehr sie Darwin im Sinne seiner Pangenesis-Hypothese inte-     ;

essieren würde, sandte icb ihm schon vor der Veröffentlichung eine     1

Abschrift und er erwiederee darauf unter dem 28. November 1880:     ?

,....:. Ich weiss nicht, zu welcher Zeit ich so sehr erstaunt ge-     *

wesen bin, wie durch Ihren Bericht über die Krebsar,, welche ibre     ;

Beine durch diejeDigen einer Ahnenform ersetzt. Wenn ich den Fall     *

verstehe, muss es eine Art von lokalisiertem Kückschlag sein! Dies     *

scheint mir die Pangenesis-Hypothese zu unterstützen, welche in dieser     a

Welt kaum irgend welche Freunde besitzt. Ich kann begreifen, dass     ;

eine kleine Ansammlung von Molekülen (d. h. eins meiuer imaginären     *

Keimeben) in einem Organismus für eine fast beliebige Zeitdauer      ;

schlummernd bleibt; aber ich denke, es müsste für Haeokel schwierig     ;;

sein, jemand zu überzeugen, dass gewisse Moleküle aus denen der     :

Korper aufgebaut ist, begonnen haben, für zahllose Generationen in      ;

einer eigentümlichen Weise zu vibrieren, um, wenn die Getegenheit sich      :

bietet, ein ahnen&bnliches Glied zu bilden. Wenn ich mich recht      \

erinnere, so weicht auch der reproducierte Schwanz einer Eidechse von      : ihrem normalen Schwanze ab. Ich habe einen in leichtem Grade analogen Fall mitgeteilt, namlich denjenigen einer Henne, welche, aïs sie unfruchtbar geworden war, das männliche Gefieder einer Ahnen-Generation annahm und nicht dasjenige ihrer eigenen Génération.«

Bevor wir zu Darwins nachseem Werke übergehnn kônnen, mùssen wir einen Blick werfen auf einige Werke, die inzwischen erschienen waren und den Gesichtskreis der Menschen bedeutend

^BdTvii. l4« u. fgd.

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erweitert hatten. Seit deu ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts war vor, Seiten verschiedener Forsoher auf Grund systematischer und sorgfâltiger Untersuchungen behauptet worden, dass der Mensch seit einer viel lângeren Zeit auf der Erde erschienen sei, aïs die geschichtiichcn Daten zurùckreichen, dass er mit zahlreichen ausgestorbenen Tierformen zusammeDgelebt und sich mit so, primitiven Waffen und Werkzeugen aus Kieselstein nnd Rentier-honi beholfen habe, wie sic jetzt nur ncch gunziich wilde oder auf sehr niedern Stufen der Civilisation stehende Vôlker gebrauchen. Aber weder die Erforschungen franzosischer Hohien seitens Tournal (1826) und de Chrssto] (1829),-bei denen Menschenknochen mit denjenigen ausgestorbener Tiere vermengt und letztere mit Spuren der Bearbeitung gefunden worden waren - noch die sorgsamen Untersuchungen der belgischen Hôhlen durch Dr. Schmerling (seit 1829) fanden Beachtung; selbst ein so vorurteilsfreier Mann, wie Lyel, der Schmerling 1832 besucht batte, konnte damais nicht den Glauben an den prâhistorischen Menschen gewinnen. Bouchrr de Perthes, welcher seit 1840 die Diluvialbildungen des Sommethals bei Amiens nntersucht und darin zahlreiche Stein- und Knochenwerkzeuge gefunden hatte, welche offenbar von Menschenhand gebraucht und hergestellt waren, musste Jahrzehnte lang die Geringschätzung und den Spott der Gelehrten tragen, die seine in trefflichen Werken beschriebenen Funde belächelten. Endlich, nachdem auch in England ähniiche Funde gemacht worden waren, erklärte sich LyeHl auf der Versammlung der britischen Naturforscher zu Aberdeen (1853) für überzeugt, dass es einen vorhistorischen Menschen gegeben, nachdem inzwischen die Ernschlûsse der Muschelhaufen an den Ostseeküsten die Aufmerksamkeit Stennstrups und anderer dânischer Forscher (seit

auf dem Fusse, und der Fund des Neanderthalschâdels, an dem Schaaffhausen sofort (1857) eine unerhört niedere Bildung im Schâdeldach wie in den Augenbrauenbôgen nachwies, erregte lebhafte Opposition in den Kreisen der Strengglâubigen. Ein reicher. vielseitig gebildeter junger Kaufmann, John Lubbock (geb. 1834), der spätcr Darwins Gutsnachbar wurde, begann seit dem Jahre 1861 für diese Forschungen Propaganda zu machen, indem er

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lebendig geschriebene Artikel über die dânischen Muschelhaufen, die Scbweizer Pfahlbauten, die Höhlenmenschen und die Feuersteinwerkzeuge der Driftformation an' die Revuen -«rotte»), und endlich im Februar 186B veröffentlichte Lyell sein grosses Werk über das Alter der Menschen-), welches für diese Frage ebenso epochemachend wurde, wie seine Pringles für die Neugestaltung der Géologie. Er zeigte in diesem Werke unter Darlegung und Kritik aller einschlâgigen Funde, dass das Dasein des Menschen in Europa bis zur sogenannten Eiszeit, ja wabrscheinlich ùbei dieselbe hinaus zurûckreiche, und gab geistreiche, wenn auch nicht unangefochten gebliebene Berechnungen ûber die ungeheure Ausdehnung der seitdem verflossenen Zeit.

Das Buch erregte bekanntlich ein grosses Aufsehen und bereits vier Wochen nach dem Erscheinen musste Lyell eine neue Auflage vorbereiten. Es bekehrte alle vorurteilsfreien Leser zu der ~berzeugong von der Existenz des vorhistorischen Menschen und wurde daher von der Bechtglâubigkeit nicht weniger angefeindet ats Darwins Werke. Nur Darwin selbst konnte damit nicht recht zufrieden sein. Er hatte gehofft, dass Lyell darin die Zuchtwahl-Tbeorie voll anerkennen und mit seiner ausserordentlichen Autorität die Zweifler zu ihm herüberziehen, vor allem aber seinem schon damais geplanten Werke über dieAbstammung des Menschen die Wege ebnen wurde. Nichts vou alledem hatte sich erfüllt-Grade vor der letzteren Konsequenz machte Lyell halt, und da er fûhite, dass sie nicht zu umgehen war, wenn man die Zuchtwahltheorie annahm, so fing er an, sich „rûckwârts zu konzentrieren" und der Zuchtwahl-Theorie, welche er ja schon angenommen batte, eine spiritualistische und deistische Grundlage zu geben, welche Darwin nicbtbehagen konnte, sie uberhaupt in einer Weise hypothetisch zu behandeln, die mit seiner vor fünf Jahren entwickelten Begeisterung fur dieselbe ziemlich stark kontrastierte. Darwnn gab seiner Enttâuschung offenen Ausdruck, wie wir aus einigen Briefen ersehen, die Lyell nach dem ersten Eindruck des Buches in schneller Aufeinanderfolge an Hookrr und Darwin richtete.

*) Lubbkck hat diese Artikel nacher zu seinem bekannten Werke über die vorgeschicheliche Zett zusammengehst.

«) Geologica< evidences of the antiquity of man. London 1863. Deutsch von Ludwig Büchner. Leipzig 1864.

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. ffn. Ueber H™k?^ «chreibt Lyell am 9. Marx 1863: „Darwin hat mir eiue nutziiche Auswahl vor. Verbesserungen und Kritiken

sehr enttauscht, dass ich nicht wciter mit ihm gehe oder nicht mehr aussprecbe. Ich kann nur sagen, dass ich mich bis zur vollen Ausdehnung meiner gegenwartigen Überzeugungen und sogar uber mein Empfinden hinaus, hinsichtlich der unmittelbareu Abkunft des Monschen

ioteh?1i™rsK° iri,abe rd,ich finde,da-s idi nic,,t wcnige'

Ich empfinde dass Darwiu und Huxles sekundäre Ursachen zu sehr deihc.ren. ■ Sie meinen, weiter in dip Domäne des „Unerforsch-

riuzrsrhair11'ais sic es -*««* *« — -

„Asa Gray sagt. Lyells Lehre sei: .dass das Diug, was ist. das

opi »»« ™™»n «......,1 „„:.....:...,. «-.         .......,.s ,..

ge «eh. schiiesst, so sehe ich Tuäi," w"aru"m" Darwin" richte? ml»

Dmg se, was gewesen ist und sein wird/ Wenn nun das Ding, was )st in deinFae emes Yon gewohnlichen Eltern und mit gewôhnlicheu Bruderu derseiben Familie geborenen Génies cinen leichten Sprung in

Lubbock, weil er später geborcn ist, vergleichsweise wenig 'von alten

lind I»n»m»nflp.t™ M„a„ «„*„..„„i,«_ .._* ._.,.,.. ,,- mic]l d „ .

igen au

wie Halaam sie nennt,' glaubte............. ^ 38ehU0Uen E''ZCnge,SS'

s? Ä%tunwdeen rfrgßhen hat'we]chc fur mic,,~den Zauber

Montag Aben.. Bei meiner Zuruckknnft vom Mittagessen finde lt Sm£ . ICh 1Ulbe "iCl,t ZeU Zt"' E^1«««™*. d«*< »»-"Da die Ëiszeit-Kapitel wahrscheinlich nicht die am meisteu po-

sPe"benllschat,en '              mehl" '^^ '^ Ski Uml 1>arwnn dic-

Je,,Icnsehe"sic mit Darwin übereinstimmen und nicbt mitCrawfnrd

„Ich mâche mir kcine Sorge darunC was das Pnhlikum in Betreff der Ausdehnung, bis zu welcher ich mit Da.'win ~ehcn môchte, erwartet haben mag, abcr sicherlich wunsche ich nicht, mit mir selbst m W)dcrspruch ™ gprnten. Doch wenn ich allmahJich meine Meinung geandert habe, brnuphc ich nicht darauf zu bestchen, dass ander~

Krause, ('!,. I>a,wm.                                                                              ;)

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gradezu auf eiumal ubergeben. Wenn ich gewisse Kapitel der Prin-%ks wieder lese, biu ich stets in Gefabr, etwas in meinem Vertrauen auf die neue Doktrin crschüttert zu werden, sehe mich aber wieder dazu zurückgefuhr,, wenn ich -sotche Essays, wie die Darwi,s, Wa--

habe ganze Stôsse .«stimmender Briefe, aber wenige sind willig und imstande, jemandem durch solche Kommentare wie die Ihrigen und Darwins zu helfen."*)

Zwei Tage darauf schrieb Lyell an Darw:n:

„Ich sehe, dass die Saturday-ßevieuf mein Buch ,Lyesls Trilogie ubcr Alter des Menschen, Eis und Darwin' nennt.

„Was meiue vou Ihueu angenommene Autorität betrifft, ein Publikum, welches bis zu dieser Zeit mich aïs Advokaten der andern Seite betrachtet hat, (wie in den Principles) m leitenj so ûberschätzen Sie me nei linflui sehr. lu Timbs neuem ,Yeav BooA of Faets< für das SSr !863 werden Sie mein Porträt und eine Skizzc meiuer Laufbahn und wieferu ich der Kitter der Anti-Transmutation bin, sehen. Nachdem ich ein ganzes Kapitel hindurch zu Gunston der Abkunft des

tauscht sein. Wie die Sache liegt, werden sie am besten mit Craw-fud,, der noch immer widersteht, sagen: ,Sie haben den Fall mit solcher Massigung dargelegt, dass niemand sich beklageu kann.' Wenu er dagegen Huxeyy las, war er wieder m Waffem

„Mehr ais irgend welche Gedanken über Höflichkett und Katsam-keit bowahren mich indessen meiue Gefuhte davor, über die Abstammung des Menschen von den Tieren zu dogmatisieren, da sie, obgleich ich bereit bin, sie anzunehmen, meineu ehematigen Spekulationen über solehe Gegenstande viel von ihrem Reize nimmt.

„. . ........Ich kann nicht mit Huxley so weit geben

zu glauben, dass natürliche Auslese und Variation so viel vormochten, und nicht so weit wie Sie, wenn ich einige Stellen Ihres Buches für sich nehme.

*) iAf, o/ L:jdi Vol. ii,,,. l.

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l.-

„ich denke die alte »Schöpfung" ist nod, ebenso notwendig ats jemals, aber vielleicht „tan* do eine neue Gestalt an. wenn L.m.rcks Ideen verbessert durch die Ihrigen, angenommen werden.

„Was ich ängstticb bedacht bin xu erstrcben, besteht darin, positive Widersprüchc in verscbiedenen Teilen moines Buches, irfe* sie wahrscheinlich ans der Durchkreuzung der alten GedankeiUse und Geleise mit der neuen Laufbahn hervorgehen, ^^vermeiden '

Noch ein weiterer Brief Lyel,s, in welchem derselbe sich verteidigt, Dawwsns Theorie uicht genagend von Lamarcks unterschieden zu haben, verdient hier, wenigstess teilweise mitge-teilt xu werden:

tassen nnd ibWnicht d^tisch"^^? habe, dass sie sich ganxHch

welchc ich sowohI in Kerta., a!s in der Unterhaltung mit den Ha)b-' be ehrteu empfange, weil ich sie ihre eigenen Folgerungen habû ziehen

was sie glauben sollen, obg)eich sie in

schaftiichen Dingen es nicht lieben, zu ausführiich bcdeutet zu werden,

„Ich vvtinscbe, dass ich dasjcnign verdiente, was Sie uberdie freund-mir nicht eine beständigc Gelegeuheit gabc, unmittelbar aus ieder Min

*) Life of l,r„ ,1, ,,. :lll2£f.

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wappnete, wclchen seine Argumente zuerst auf meinen Verstand machten*) und der um so grôsser war, wei! Constant Pre vest, ein Mundel (Javiers, mir vor vierzig Jahren seine Überzeugung mitteilte dass Cuvier meinte, die Arten seien keine Wirklichkeiten, aber die Wissen-

fnnernd, zu welcher Zcit es geschrieben war, fuhite ich, dass ich ihm

""^Sogar'Ssichtlich des Menscheu schrittweiser Eroberung von mehr und mehr Ideen, und dann derSprache, und wie die Ideen sich langsam Jömebrteiund ferner seiuer Verfolgung der am näcbsten mit ihm ÄÄ ^d mit ihm in Konferenz tretenden Dicge - alles das ist wahrhaft darwinistisch.

„Die Einschiebung des VariatioKsvermogeus" fur die „Wü ens-thätiffkeit" „Musku arwirkung" u. s. w (und für die Pflanzen war die Wi lensthfttigkeit nicht einmal in Anspruch genommen) ist in manchen Besichten L blesser Namenswechsel.1 Man nenne eine neue Varietät eine ueue Schôpfung, so mag jemand von der ersteren wie von der letzteren

Schôpfungsgläubige nichts

CS ^„Üa'marcks Glaube an die langsamen Umwandlungen in der orgauischen und unorganischen Welt seit 1800 war sicherlich uber den Standpunkt seiner Zeit und hinsichtiich des Fortschrittes hatte er in der Hauptsache RechtO obgIeich Sie jeneLehre ungeheuer vorwärts ge-

"STÄÄ^ den ungeheuren Unterschied zwischen Ihnen und Lamarck, und was den „notwendigon Fortschritt« anbetrifft, scharf genug auseinandergesetzt? .          .

„Ich bin betrübt, dass Sie nach Malvern gehen müssen. Das Gute

*) Lyell hatte Lamarcks Werk 1827 gelesen, und schrieb daruber an den bekannten Paläontologen Gideon Hant,lt, dass ihn das Buch unterhatten habe, wie eine phantastische Novelle, dass er nichts von dem Odium theologicum auderer Leser empfunden, seine Forderung eines ungeheuren Alters der Erde anerkannt, und seine Logik, den Menschen vom Affen herzuleiten, als eine kühne aber notwendige Konsequenz gebilligt habe. „Aber" setzt der ehemaiige Jurist hinzu, "ich bekenne, dass ich ihn beinahe las, wie ich einem Advokaten auf der im unrecht befindfichen Seite zuhSre, um zu ]ernen, was aus der Sache in gnten Hânden gemacht werden kann" lAfe <>f Lyell Vol. 7, P. mS.

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an der Wasserknr ist die Enthattung voji der Arbeit; eine Reise in Jjih^emdee_ wNrde, wie ich überzeugt feto. ebenso wirksam und vor-

tC1 lien Se, mein langer Hricf wird Sie nicht m sehr austrengen; weun ich mich hinsetze, an Sie zn scbreihen, kann ich niemals ein Ende finden. Hooker, der nichts vou Ihnen gehort bat, ist in zuHebmeuder Angst und hofft, dass es nnr ist, wei) Sic mit mir korrespondieron und nicht wegen ernsthaften Cbelbefindens."*)

Wir sehen ans diesem Briefe, dass Dawwin damals, wie so hnufig nach seiner Welt-Reise, leidend war, und diese Zufälle kehreen trotz aller Unterbrechungen der Arbeit und Aufenthalte nm Strande und Gebirge immer wieder, 1865 so stark, dass er volle ueun Monate nicht imstanee wa!, ernstlich m arbeiten. Hr ~onnte in solchen Zeiten nur in kurzen Pausen schreiben, und selbst die Unte-haltung mit Bekannten strengee ihn dann so an, dass er sie alle halben Stunden unterbrechen musste, um sich wieder zu erholen. Dennoch arbeitete er unermüdlich, so gut es gehen wollte, und sammelte neben seinen botanischen Arbeiten, die damass erschienen, die Thatsachen fur das zuletzt besprochene Werk uud für die Wirkungen der geschlechtlichen Zuchtwah.. Seine Ansichten ubër Erwerbung des Schmuckss der Tiere und namentlich der Mannchen, durch den Gefallen, welchen die Weibchnn, an sehönen Farben und Gestalten fanden, sowie an den Siegen uber Nebenbuhl,r, die jene vermtttelst der Entwicklung ihrer natürlichen Starke, Geschicklichkeit und Waffen erringen, gewannen ebensowengg den vollen Beifall der Freunde, mit denen er sie besprach, wie seine Ansichten ûber den Ursprung des

In dieser Richtung ward namentlich das Verhalten seines alten Mitkâmpfers A. R. Waacece ein Hemmschuh für ihn. Man kanu leicht nachweisen, dass derselbe bis zum Jahee 1867 ein fast unbedingter Anhângrr der Darwinschen Ansicheen gewesen ist und bis dahin auch das Gesetz der geschlechtlichen Zuchtwahl gegen die Gegner Darwins verteidigt hat. Einer der kenntnisreichsten Gegner, der Herzog von Argyll, hatee damals (1867) unter dem Tite] „the reign of law" ein Bnch gegen die Darwinsche Théorie

Li/e hi l.i/elt II, p.

S{>4

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geschrieben, in welcher eine Menge wirksamer Grûnde namentlich Ls der Schônheit der Naturdinge hergeleitet werden. Darwin hatte die Schônheit der Blumen ans der Notwcndigkeit, Insekten anzulocken, erklärt und dabei ebenso wie in seinem grundiegenden Werke eine Menge abkûrzender Redewendungen gebraucht, welche einzeinen Gegnern, z. B. auch Kölliker in Deutschland, ein gewisses Recht gaben, ihn für einen schlimmem Teieologen anzusehen, a!s je eincr dagewesen wârp. Er hatte nâmtich in der Ûberzeugung, da» Hiemaud, der seine Werke lesen werde. dies missverstehen kônne, von der „Absicht" und dem „Zweck" vieler Naturein-ricbtungen gesprochen und im Bau verschiedener Orchideen the „sinnreichen, seltsamen und schônen Kunstgriffe" hervorgehoben, die angewandt werden, um die Insekten an den gehorigen Ort zu teiten und zu locken. Dies hielt ihm der Herzog vor, um dann seine Théorie, die Schönheit sei, ebenso wie die Formenmannigfaltigkeit, nach bestimmten Gesetzen und nur um ihrer selbst willen, erschaffen worden, namentlich an der Schönheit gewisser Vôgel zu demonstrieren, wie dies ja schon der Stoiker Chrysippus am Pfauenschwanz gethan batte. Der Herzog wies Darwin unter andern auf die Augen des Argusfasans hin, die schattiert sind, wie lose in einer Aushohiung liegende Kugeln, und Darwin hat diese Beispiele spâter ausführlich erlâutert. Zu den Kolbbsis übergehend, sagte der Herzog von Argyll:

Damais hielt Walaace dem Hentog von Argvll entgegen«), dass Darwnn die Schonheit der Tiere ja gar nicht durch die na-tùrliche Zuchtwahl erklären wolle, sondern durch seine Theorie

'"~^7iZf,rl,, ./„,.,„„/ ., *»„<«, <W,„- mr mil «Mem wieiier .»«c-.IradU in W all««. Brill-Hsu»rTtaoH. <tor «»«»eil.,, Zii-.litw.hl. 111«-nl« .011 ,\. li. Heyn, Iiihii»eii 1*70. i- »11-311.

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uen

der geschlechtlichen Zuchtwah,, die er erdacht und hewieu habe. Allein diese günstige Meinung hielt bel Walcece nicht vor, und sobald er sah, dass Darwin jene Theoree auch zur Erklärung gewisser Vorzüge des menschlichen Korperbaues anwenden wollte, iflr die er eine andere Erklärung erdachr hatte, trat er ihm in entschiedener Opposition entgegen. Es wird zurh bessern Verstandnss der eigentümlichen Komposition des nachsten Darwinschen Werhes beitragen, wcnn wir diesen Vorgängen hier einen kurxen Raum widmen.

Walcece hatte in der Anthropological Kernew (Mai 1864) einen sehr interessanten Artikel uber "die Wirkung der natürlichen Zuch-wah! auf den Menschen'- veröffentlicht, worin er ansführte, dass der Mensch, seitdem sich seine geistigen Gaben entwickelten, nutgehört habe, dem Gesetze der uatürlichen Zuchtwa!l zu gehorchen, weil er sich seitdem den aussern Umständen nicht mehr korperh,ch, sondern nur noch geistig anpasse; seit dieser Zeit habe nur noch das Gehirn an Umfang zugenommen, und deshalb sei es sehr wohi möglich, dass der Körper des Menschen in seiner jetzigen Gestalt bereits in der Tertiärzeit existiert habe, wahrend die anderu Saugetiere scit jener Zeit noch so bedeutende kôrpe-liche Umwandlungen durchxumachen hatten. Nachdem er die Veranderungnn geschildert, denen alle Naturwesen in Folge der natürlichcn Zuchtwahl unterliegen, lasst er die schonen, seitdem so oft wiederholten Worte folgen:

„End]ich jedoch trat ein Wesen in die Existenz, für welches jene subtile Kraft, welche wir Geist nennen, vou grösse'er Wichtigkett wurde. als sein Kôrperbau an sich. War sein Kôrper nackt und unbeachtet, so gab sie ihm Kleider, die ihn gegen die Unbitden der Jahreszeiten schûtxten. War er uufähig, mit dem Hirsch an Schnelligkeit und mit dem wilden Stier an Kraft zu wetteifern, so gab jenc ihm Waffen, mit welchen er beide fangen und besiegen konnte. War cr weniger, als die meisten andern Tiere imstande, von Krâutern und Früchten xu leben, welche die Natnr ohne Nachhilfe hergieb,, so lehrte ihn diese wunderbare Fähigkeit, die Natur zn seinem eigenen Vorteile zu beherrschen und zu lenkcn, so dass sie ihm Nahrung gab, wanu und wo es ihm beliebte. Von dem Augenblicke an, als die erste Tierhaut zur Hülle benutzt, als der erste robe Speer gefertigt wurde, um der Jagd zu dienen, als er zuerst Feuer anmachte, um seine Nahrung zu kochen, ais das erste Saatkorn gesaet oder cin Spross gepflanzt wurde — von diesem Augenblicke eutstand in der Natur eine grosse Rcvo-

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!?WMSS.sat5rÄsr!=ss=

SS-ÄtälEsSHSS

schritt des Geistes."*)

Die in diesen Worten so beredt ausgesprochene Erkenntnis, dass der Mensch eine Ausnahmestellung in der Natur einnimmt, dass er sich durch sein Denkvermögen den Wirkungen der natürlichen Zuchtwahl entziehen kann, hatten einen verhângnisvollen Einüuss auf Wallaces fernere Gedankenentwicklung. Derselbe war seit jeher einer spiritualistischen Deutung der Natur sehr geneigt und allmâhlich in das Lager der Spiritisten ûbergegangen. Wie er uns selbst in den neuen Auflagen seines Buches über ,die wissenschaMche Ansicht des Ûbernatürlichen" erzâhit hat, war er schon 1844, als er noch Lehrer in einer kleineren Landstadt war, auf den Mesmerismus aufmerksam geworden, hatte hypnotische Erscheinungen an seinen Schülern auftreten sehen, seit Sommer 1865 sich spiritistischen Zirkeln angeschlossen, in denen er manchen „Manifestationen" beiwohnte, und wurde bald darauf ein ausgesprochener Apostel und Anwalt dieser neuen Glaubens^htung.

Damit im Einklänge veröffentlichte er im April 1869 in der Quarterly Revieto einen. Artikel über ,Geologische Zeit und die Entstehung der Arten», an dessen Schlusse er seine Ansicht über die Ausnahmestellung des Menschen dahin erweiterte, dass er nicht nur, nachdem er sein geistiges Vermogen erlangt, der natürlichen Zuchtwahl entrûckt worden sei, sondern auch seine Menschwerdung nicht diesen blindwirkenden Krâften verdankt haben konne. Seine seltsame Beweisführung ist folgende: Die niedern Menschenrassen sind vielfach weniger intelligent und moralisch, als manche hôheren Tiere, dennoch besitzen sie ein grôsseres Gehirn, als diese und als sie es braucben. Die natürliche Zuchtwahl konnte sie nicht mit einem ûber ihre Bedürfnisse hinausgehenden Geistesorgan ausstatten; sie würde ihnen hochstens ein etwas über das Gehirn der

V^i.p,, Beitruge „/..w. S. 371-7*

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Menschenaffen binausgehendes Gehirn haben geben kônnen, - aber es sei nicht nur viel grösser, sondern gradezu zu gross fur sie. Die natürliche Zuchtwahl konnte sie ferner nicht ihres Haarkleides berauben, dessen Mangel den Wilden namentlich am Rùcken empfindlich wird, wo es bei den Tieren bekanntlich am stärksten ist, so dass sie genotigt wurden, den Rûcken anderweit zu bedecken und uberhaupt an Beschaffung von KIeidern zu denken. Sie konnee ihm nicht die Vollkommenhegt von Hand und Fuss verleihen, noch das modulationsfähige Stimmorgan, oder den selbst abstrakten Begriffen gewachsennn Geist, denn alle solche Vollkommenheiten konnten dem Wilden nichts nützen, sie waren im voraus und für die Zukunft angelegt! Ër grämt sich nicht darum, ob es auch wirklich gegründet sei, dass das überiegene Hirn vor aller Notwendigkeit, der leistungsfähige Kehlkopf vor dem Spraeh-uml Sangbedürfnis u. s. w. vorhanden gewesen, sondern schiiesst unbefangnn weiter:

„. . . dass eine überlegcne Intelligcnx dieEntwicklung des Menschcu nach einer bestimmten Richtung hiu und zu einem speziellen Zwecke geleitet hat, gradeso wie der Mensch die Entwicklung vieler Tier-und PflanzenformeM leitet. Die Gesetze der Evolution allein wurden vielleicht nie ein Getreidekora produciert haben, welches sich so wohl fur den Gebrauch des Menschen eignet, wie Weizeu und Mais, oder solche Fruchte, wie die keruloso Banane uud Brodfruch,, oder solche Tiere, wie die Guernsey-Milchkuh und das Loodoner Karrenpferd. Und doch gleichen diese so gcnau den ohue Nachhitfc hervorgegangenen Naturerzeugnissen, dass wir uns sehr wohl ein Wesen denke/könneu, welches die Gesetze der Entwicklung der organischen Formen durch vergangene Zeiten hindurch gemeistert bat, indem wir den Glauben an irgend eine neue Kraft durchaus xuruckwciseH, welche m ihrcr Entwicklung beigetragen, und die Thporio durchaus verwerfen, dass in diesen wenigen Fällen eine kontrollierende Iutelligenz die Thäügkett der Gesetze der Abänderuug, Vervielfältigung und des Ober)eben, zu ihren eigenen Zwecken geleitet habe. Wir wissen jedoch, dass dieses geschchen ist. und massen daher die Moglichkeit zugeben, class, wem. wir nicht die hochsten Intelligenzen im Universum sind,' eine hôhere Intelligenz deu Prozess dirigiert haben mag, durch w~chen die menschlicbe Rasse sich vermittetst subtiterer Agentien, als wir sie kennen, eutwiekelte." (A. a.-0. S. 412-413.)

Hatte sich Dawwin im Jahre vorher mit denjenigen Freunden auseinandrr setzen mûssen, welche Herd und Hund als eine Zûchtung des göttlichen Wesen zum Vorteil des Menschen hinstellten,

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so wurdc hier nun der Mensch selber zum Haustier Gottes. Wir wollen nur knrz darauf hinweisen, wie man sich die Inkonsequenz erklâren kann, die in diesem Vorgehen Wallaces Kegt Hâtte er freimatig erklârt, er sei zu der Überzeugung gekommen, dass die naturliche Zuchtwahl überhaupt nicht so wunderbare Organisationeu hervorbringen kônne, wie wir sie im Pflanzen- und Tierreich, den Menschen eingeschlossen, tâglich zu bewundern haben, und er kehre zur Schopfungstheorie zurück, so war dagegen nicht viel einzuweHden. Aber er mochte den Ruhm nicht missen, der Mitentdecker der Zuchtwahl-Theorie auch ferner zu bleiben, und konstruierte sich an Stelle des gTaduelleR kôrperlichen und geistigen Unterschiedes zwischen Tier und Mensch einen absoluten; er kehrte zu der Ansicht der Kirchenvâter zurück, nach denen der Mensch aleein von Gottes Hânden gebildet sei, wâhrend Pflanzen und Tiere von der Erde und dem Wasser auf blossen allgemeinen Befehl des Schôpfers hervorgebracht worden seien.

Es musste für Darwnn sehr scbmerziich sein, znsehen, dass diese Rückkehr zu einer leichten Modifikation der alten Schopfungs-theorie alsbald vie!seitigenAnklang fand. Der Herzog von Argyll schrieb in demselben Jahr (1869) ein Buch ûber den ,Ursprung des Menschen" (Primeval Man), in welchem er unter anderm behauptete, dass der menschliche Kôrperbau von der Bildung der Tiere in einer Richtung grosser physischer Hilfslosigkeit und Schwâchesbgewichen und einer Menge unvorteilhafter Abânderungen unterlegen sei, wie Nacktheit der Haut, Fehien eines mâchtigen Gebisses und wehrbafter Krallen, mangelnder Geschwindigkeit, Schwächung des Gemchsinns u. s. w., die man sicherlich nicht der natürlichen Zuchtwahl zuschreiben kônne. Auch Lyell fand die Wallaceschen Folgerungen in ihrem Hauptteile sehr annehmbar, wie ein am 5. Mai 1869 an Darwnn gericbteterBrief beweist, der eine Antwort auf einen Biief Darwins ûberobigenAufsatz darstellt:

srr.-iSA-Äi'i.'srri.'s.'U

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gesellsehafteu ein wilikommener Gast sei, aber er spielte niemals aut meiu Buch au, uud weuii mir uicht Fräuleiu Cuvier gesagt hätte,

„M, Mimme vOlllj, ,,.it Il.i.c, d.rlte ub™,," da» Wallaces

Ab», der „,,,„«„, ^„.„bt bew„„d,ra„gswMi,; i„. tch »cbrieb

äätss s^sr ssä-s ?ää\£ ^tstÄ* ,;■:*d£ srÄ sii

habe, doss die fortschreitende Entwicklung oder Evolution nicht voTl-standig durch natürlicho Auslese erklärt "werden katu wiche h uns vielmehr Gluck zu Wallaces Fotgernng, dass eiu höchster Wille und me Macht da s«n mssen die ihren thâtigen Eingriffen uicht entsagen, soudern die Kräfte uud Gesetze der Natur leiten mcgen. Dies schoint nur um so wahrschein)icher, wenn ich, uicht ohne Verwunderuug, betrachte, dass es uns gestattet ist, einer Moustrosität wie der Kr'opf-taube Ursprung xu geheu nnd sic durch eine wahrhaft uuendliche Zahl vou Generationen, sicherlich nicht xum Vorteil der so erschaffenen Varietat ™i™ *, ■<■■ ■.»..>,*„,.

oder Art, zu züchteu. .Gteichxeitig teilte ich Wallace mit, dass uach meiner

Meinung

seine die Hand, Summe, Schönhoit und Symmeüie,'Nacktheit d^Haul uud audero Eigenschaften des Menscheu betreffenden Argumente, sofern sie eine Vorbereitung fur seiue fcruere EHtwicklung voraussetzen, leicht S^oü^!! ^ÜJL daSS _eil! mit den Geisteskräften Shake»

.ore'nzo entare i.;geiKl eiuer'über die »Naturauslese«hiNausgehe^ mtSSttft

dass Michel Angelo, wenn er auch keine bessere Hand hatte als sie

Jn Erwtderuug dieser uud auderer analoger Kommentare

Stt2 £^k£rsJti=Ä .£*>=

tacb™,ta. Was die bl.« ZufaU.Mm, aubm, ,„ cheta, « »Tr

1 r'r; ^ ™,!rsclie","c"' *>«»*»i« *■*= «ines k^

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Bellten. Wenn der aufrechte Gang, die Freiheit der vorderen Gliedmassen fur Bewegungszwe,ke, der kräftige und gegenùberstelleare Daumen, die nackte Haut, und die grosee Symmetr-e der Kraft, die vo]kkommiieii Sprachoneane und seine geistigen Fähigkeiten. Zahlen-Rechnung, die Ideen der Symmetrie, Ge-

sarnmenvorkommeu in ihm allein aus der grossen Reihe der organl-nischen Wesen erklären? Vor Jahren sah ich einen Knaben und ein M&dchen vom Stamme der BuschmSnuer in London und das Mâdchen spielte sehr hûbsch auf dem Klavier. Der blinde Tom, der Nege-Idiot, batte ein musikalisches Ohr oder Gehirn, welches vielleicht dem irgend welches lebenden Menschen überlegeu war. Wenn Sic mir nicht ^igen können, wie diese radimentäre oder latente musikalische Fahigkeit bei den niedersten Rassen durch das Cberleben des Passendsten entwickelt worden sein and dem Individaum oder der Rasse, welche sie besitzt, Ursache gegeben haben kanu, im Daseinskampfe ,a gewinnen, so muss ich glauben, dass irgend eine andere Macht dièse Entwicklung veranachte, und so bei jeder andern, im wesentlichen menscldiche^ Eigenschaft. Es scheint mir, dass das Onus probandi denjenigen obtiegt, welche behaupten, dass der Mensch nach Körper uud Geist durch natür]iche Auslese ans einem Vierfüssler entwicke!t sein könne' . . . ."*)

Darwin nahm die Herausforderung auf und verôffentlichte nicht ganz zwei Jahee spâter,-im Februrr 1871, sein Werk über die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl«), dessën eigentümliche Composition hauptsächlich nus den vorangegangenen Controversen mit Wallace, Lyell und dem Herzog von Argyll zu erklären ist. Wenn man von dem Werke über die Erfolge der künstlichen Züchtung sagen darf, dass es nur die ausführlichere Begründung der bereits in dem Haupt. werke dargelegten Thatsachen der Variation und Vererbugg brachte, so enthält dieses Werk eine notwendige Ergänzung desselben.

~~^~Uf* .} ~yell Vol. II, y. 441-443.

**) 7/u: descent of mem and on selection in relation to *x (~ondon Ml 2 VoU.) Eine vüllig umgearbeitete Auflage, iu welcher der Verf,, wie er sich ausdrückte, von dem hochuotpeinlichen Ger,chte, vor dem das Buch gestande«, Vorteil gezogen hat, erschien 1874 uud darnahh ist die neue Ausgabe ... deu Gesammelten Werkeu (Bd. V. u. Vf. 878 Seiten mit 78 Holzschnitten) übersetz..

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Die xNaturausle.se, deren Diskussonn dort den ersten Plazz einnimmt, hat hauptsächlich die Erklärung der zweckmässigen Einrichtungen und Bildungnn der Wesen zum Gegenstande und erklärt zugleich das Fortschreiten zu hohoren Organisation,n, obwohl sie unter Umständen auch die Entartung und den Rùckschritt begûnstigen kann. Neben der Zweckmässitkeit des Baues der lebenden Wesen blieb aber auch die Schönheit zu erklären, und nachdem Darwin das Seinige dazu beigetragen und die Schönheit und den Dutt der BJumnn aus derNotwendigkeit hergeteitet hatte eineAnziehungskraft zu erlangen, um Besucher, welche die Befruchtung bewirken, selbst aus einiger Entfernung anzulocken, bedurfte es cinés andern Ideengangs, um die Schùnheit, welcho viele Tiere, sowohl in ihrem Aussern, als in ihren graziösen Bewegungen, wie in den Modulationen ihrer Stimme erlangt haben, aus natürlichen Ursachen zu erklären.

Darwin hatte auf die von ihm gefundene Erklärung bereits in seinem Hauptwerke hingedeut,t, aber der Gegenstand erforderte offenbar eine viel eingehendere Darstellung, als er dort finden konnte. Sein Grussvater hatte, wie oben (S. 54) erwahn,, das Prinzip einer gesohlechtlichen Zuchtwahl erörtert, in dem Sinne, dass das Mânnchen, welches durch starkeee Waffen und Geschicklichkeit alle seine Nebenbuhler besieg,, das Weibchnn als Siegespreis in Besitz nimm.. Durch diesen Prozess wurde aber nur die Starke und Bewaufnugg der Mânnchnn gesteigert werden kônnen, wenn man nicht aus später xu erörternden Gründen annehmnn will, dass Starke und Schönheit im nâchsten Connex stehen. Dawin zeigte nun, dass Tiere den neuen Schmukk zur Paarungszeit erhalten; er zeigte ferne,, dass ihn meist nur die Mânnchnn erlangen und sich dann zu formiichen Schaustellungen ihrer Schonheit vor den Weibchen rusten, zum Teil wunderliche Tânze ausführen und sehliesslich vor ihren Augen miteinander um den Press ringen. Es liegt ein einfacher Zusammenhang darin, dass das schönere Geschlecht zugleich das werbende ist, und dass sich die Schonheit des Fells oder Gefieders als ein späterer Erwerb dadurch verrät, dass sie dem iungen Tiere fehlt, welches fast immer der Mutter gleicht, die in don meisten Fällen und namentlich bei den Vugeln wahrscheinlich dadurch das unscheinbare Gewand der Ahnen bewahtt hat, weil sic wahrend der Brütung nnd Brutpflege sehr durch

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Raubtiere gefâhrdet wird und eines unauffälligen Aussehens zu ihrem Schutze bedarf. An den prachtvolleren Erscheinungen des Fasanen-und Pfauengeschlechts eatte Darwnn ûber dieSteigerung der Schönheit die bewuHderungswûrdigsten Studien gemacht und die Entstehuug der Augen auf dem Gefieder, sowie mancher entzûckenden Einzeinheit in einer Reihe von Pbergängen verfolgt.

Nâchst der Pangenesis-Theorie sind es seine Ansichten ûber die geschlechtiiche Zuchtwahl gewesen, die unter seinen Anhângern den meisten Widerspruch gofunden haben. An die Spite der Gegner stellte sich Wallace, ihm foigten die Italiener Mante-gazaa und Beccari und unter den deutschenDarwinisten besonders Wilhelm von Reichen au.*) Die Gegner erneuerten,, ohne direkt daran anzuknupfpn, einen alten Gedankengang Bacons von Verulam, weleher, die Ansichten des Aristoteles bekämpfend (der die schonen Farben der Vôgel und Schmetterlinge von dem Sonnenlicht, denen sie sich mehr ais Vierfûssler aussetzen, abgeleitet hatte), die schonen Farben lediglich aus den AbfalIstoffen des Kôrpers entstehen lässt, die bei den Vögein, vermoge der hohern Lebensenergie, sowohl reicblicber vorhanden wareH, als auch einer feineren „CoIatur" unterlägen. Auch Wallace, Mante-gazza und Reichenau schreiben das schonere Gefieder der Mânnchen bei den Vôgeln und die Auswûchse und Farben bei einigen andern Tieren, der durch Kampfe u. s. w. gesteigerten hëhem Lebensenergie, die sich besonders zur Paarungszett entwickelt, zu, und Wallace meint, diese schonere Fârbung der Mânnchen wâre die normale Farbe der betreffenden Art uud wurde beim Weibchen in Folge ihres Schutxbedùrfaisses unterdrûck.. Wie ich schon vor Jahren gezeigt habe, kehrt man mit dieser Auffassung zu jener Form der Théorie zurück, welcheE. Darwnn aufgestellt hat. Denn wenn nur die ûberschüssige Lebensenergie die Ursache aller jener prâchtigen Fsrbungen u. s. w. ausmachte, so mùssten ja alle jene geschiechtiichen Zierraten bei dem stârksten Tiere auch am lebhaftesten zu Tage treten; die Schonheit würde also vermôge der ihr Ton Natur verbûndeten Kraft siegen, so da» doch immer die geschlechtliche Zuchtwahl, wenn auch in diesem Falle die Waht des Männchens, das Entscheidende bliebe, da die weniger krâftigen undjaher weniger schonen Mânnchen nicht so leicht zur Fort-*) „Die Nester und Eier der Vflgel« (Darwin. Schr. IX), Leipzig 1880.

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Pflanzung gelangen würden. Aber wie oft mag es nicht auch im Tierreiche vorkommen, dass der weibliche Vogel im Geheimen den besiegten, aber in seinem Auge schöneren Liebbabrr dem starkeren Sieger vorzieh,, ahnhich wie einst Helena den feigen Parss ihrem tapfern Menelaos vorgezogen haben soll! Vor allem muss konstatiert werden, dass die Theorien von Wallace, Mantegazza und Bei-

chenuu durchaus kein eigentiichss Princip, welches die geschmackvolee Steigerung der Zierraten, die Verschönerung der Zeichnungen, die Gruppierung harmonischer Farben erklärte, an die Stelle

Aar fvaanlila^ViflirtiirtTi r/,,«l,±—„1.1 .....„j.___                            -,T.

der geschlechtlichen Zuchtwahl zu setzen wissen. Hierzu bedarf es notwendig des wählenden Augss eines Züchters, und das ton m diesem Fa ee nur der weibliche Vogel oder Schmetterling sein. Man muss sicH auch erinnern, dass an die Stelle des schôneu Gefieders oftmals ein schôner Gesang der Munnchen tritt, den man ehemals sogar im Mcnschnnleben durch kein besseres Mittel zu steigern wusste, als durch Wettgesänge und Preiszuteilungen von der Hand schôner Frauen. Wir kônnen daher den VergSoh, die Theorie der geschlechtliehen Zuchtwahl zu widerlegen, nur als einen bisher völlig gescheitnrten ansehen, und Darw,n hat sich mit Hecht an derselben nicht irre machen lassen, wie dies manchelei spätere Veröffentlichungen desselben, von denen wir einige in der zweiten Abtellung dieses Buches mitteilen, beweisen.

Darwnn hat seine Theorie der geschlechtlichen Zuchtwahl in sein Buch ûber die Abstammung des Menscnen eingeschlossen, weil manche Eigentümlichkeiten des letzteren, wie die von Wallace hervorgehobene Schönheit und Nacktheit der Haut und namentlich verschiedene Rassen-Merkmale sich am besten aus obiger Theorie erklären lassen. Nichtsdestoweniger war dies ine etwas unnatürliche Verbindung und Darwin wùrde viel vor-tei hater gehandett haben, wenn er die "Abstammung des Menschen" mit seinem im nachsten Jahee erschienenen Werke über „den Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren»*) verbundnn hätte, denn in beiden Werken werden eine Fülle von Tatsachen aneinandergereiht, welche beweisen, dass der Mensch sowohl in seinem Korperbau, wie in

*) Et^ion of the anation; in ,nan and annnals, London 1872. Die neue Auflage der dentscheu Ansgabe bildet den siebenten Band der „GesannnS en Werke" 884 Sciten mit 21 Holzschnitten und 7 Tafeln

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seinen Empiindungen mid im Ausdrucke derselben mit den Sâugetieren im allgemeinen und mit den hôheren derselben im besondern ûbereinstimm,, wie er in seiner Entwicklung durch die Zuständc derselben hindurchgeht und auf den ersten Bildungsstufen sogar Übereinstimmungen mit niedem Wirbeltieren zeigt, wie er endiich auch im erwachsenen Zustande gewisse kôrperliche Eigentûmlichkeiten der Tiere, als unnûtze Erbschaften (rudimentâre Organe) bewahrt, die sich nur durch die Abstammungs!ehre erklären lassen. Auch im Ausdrucke der Gemûtsbewegungen ist manches nur ans dem tierischen Ursprung zu verstehen, wie z. B. das Ent-blossen derEckzahne und das Grinsen, uud andrerseits zeigt Darwin, dass nicht nur die Grundeigenschaften des Geistes, das Empfindungsvermôgen, Gedächtnis, Bewusstsein und gewisse Instinkte für Mensch und Tier gemeinsam sind, sondern auch zahlreichp Triebe, wie die Neugierde, Nachahmungssuch,, Jungeniiebe, Schonheitssinn, Einbildungskraft und der Geselligkeitstrieb mit den von ihm hervorgerufenen moralischen Eigenschaften und Tugenden (Gehorsam gegen das Oberhaupt, Dankbarkeit, Gegenseitigkeit, Hûlfs-bereitschaft, Wohithâtigkeitssinn, Ûberwindung des Egoismus u. s. w.) Vor allem erinnertDarwin, dass man die Geisteskrâfte des Tiores nicht mit denen des civilisierten Menschen, sondern vielmehr mit denen der niedersten Rassen vergleichen müsse.

Dass Darwnn sein Buch über die Abstammung des Menschen zum Drucke gab, trotz aller Einwânde von Männern, wie Lyell und Wallace, die er beide für ausgezeichnete Autoritâten hielt, muss ihm entschieden als eine mutige That angerechnet werden. Denn er wusste ganz genau, dass er damit nicht nur bei seinen frommeinden Landsleuten einen neuen und grôsseren Anstoss, als durch sein grundlegendes Werk erregen würde, dass die inzwischen kaum einigermaßen zur Ruhe gekommenen Angriffe auf seine Person mit vermehrter Heftigkeit wieder losbrechen wûrden, sondern auch, dass er Gefahr lief, eine Scheidewand zwischen sich und einigen seiner besten Freunde aufzurichten. Seine Schüler Huxley und Haeokel hatten den Kampf gegen die Vorurteile, welche der Ausdehnung der Darwinschen Theorie auf den Menschen entgegenstanden, seit lange und mit einer solchen Energie nncl einem so bedeutenden Erfolge begonnen, dass er ihnen diesen Kampf um so ruhiger ûberlassen konnte, ais er ja in seinem Hauptwerke aus-

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drücklich die Ausdehnung seiner Theorie auf den Menschen ausgesprochen batte. Allein Darwin wollte das Odium dieses Kampfes

Wir wollen hier nicht nâher auf den Sturm eingehen, der nach dem Erscheinen dieses Werkes von neuem ùber Dawwin

losbrach. Nur der einen Hauptwirkung, dem völligen Abfall des

noch' dCT denJeDigen von ganz C nunmehr der Theorie der geschlechtlichen Zuchtwahl, die er'früher

Mitbegründers Wallace, der denjenigen von ganz Old-England 1". ?g,,seien n0dl einige Worte ^™t. Wallace glaubee

rr q o n Vi 1/■**-» Tri-1> «1, s,-^ rt___i_ i_. i -» -i.                 „ __

(S.^135) annehmbar gefunden hatte, OppositZon machen zu mùssen, '......... """'"                     " "               beaen " "

Biegsamkett der Stimme u. a. der geschlechtliche;erziahl zu-

weil Darwin viele jener von ihm hervorgehobenen Vorzûge

geschrieben batte. Wallaces Einwürfe, wie er sie z. H. in seinem

dessen so matt und hinfällig, dass man nicht an ihren Ernst, dem wuchtigen Material T)».™™ ,,a„,™v„„_ „i.„,..„. ,          !'.

ihm daher der Wurf nicht erspart werden, da,T^ nZ

W l,r? 6r df "Ha!bGn" aUfgeWOrfen hat' die sich ™» ■» S""_6 .k!ammCTten und Dawwin heruntersetzten. In der bio-

logischen Abtellung der britischnn Naturforscher -Versammlung zu

f"T^eVtThel 1876) brach er S0ZUSagen ^e Brücken mit der ernsthaften Forschugg ab und wandte sich ganz den Kler--

kalen zu, indem er den Einwur,, warum der Schönfer w™ „ doch einmal zu Gunsten des Menschen in den Ä der En"

wicklung eingegriffen, ihn nicht habe, als diese armen, seiner in geistiger Beziehung

semer eigenen

gleich vollkommener

eigenen früheren

geschaffen

,, . ,                                      !1'en Behauptung nach,

Wilden AT*iT fT^ n0Ch Unt6r dem Tiere Menden Wilden, - dadurch beseitigte, dass er sie für "

von der Vollkommenheit, zu der sie der

herabgesunken seien. Er machee sich

Hunderten von den Theologen

Rassen erklärte, die Schöpfer geführ,, wieder zum Vorkämpfer der seit

enl.

die

iheologen verfochtenen Theorie vom ge-3) oder vom Sûndenfall Adams, mit der

Erzengel (S. 129) oder vom Sûndenfall Adams fcaturforsehung nichts zu thun hat.

mit der

Mr Darwin wurde dieser Friedonschluss seiner frommen Landsleute mit der Kirche in mehr als einer Beziehung beschwer-

lich. Er musste es

i iirwiu,

anhoren, wie sich Wallace auf eben iener

"'«'. Ch. !,„.„,„.                                                                           1()

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Versammiung rühmen durfte, sogar den heftigsten Gegner Darwin* in England, den auf zoologischem Gebiete heimischen Jessen St. George Mivart, zum Darwinismus bekehrt zu haben, d. h.zum Darwinismus Wallacescher Observanz, in welchem die Gottheit des-MeDschen Abstammung vom Affen überwacht hat. Mivatt bat

Fälle hervorgehen, am sie hôhnisch Darwnn vorzulegen, der sieh dann, wenn der Fall an sich interess&nt war, zur genauesten Zergliederung herbeiliess, die meist mit einer völligen Auflösung ^Schwierigkeit endigte. In den neuen, seit 1870 erschienenen Ausgaben seiner Hauptwerke findet man viele solcher von Mmrt ausgespûrten Schwierigkeiten erortert, aber wie ^it der letzte von einer Bekehrung zum Darwinismus entfernt war, beweist, dass er die Darwinsche Lane in demselben Jahre, in welcher Wallace seine Bekehrung ankündigte, a puerile hypothesis nannte. Darwin bat im siebenten Kapitel seines Hauptwerkes die unehrliche Kriegfuhrung Mivarts, bei aller Höflichkeit, fur jeden, der zwischen den Zeilen zu lesen versteht, genügend gekennzeichnet aber es lâsst sich nicht leugnen, dass er dieser unaufhôrlichen Vexaturaen schliesslich müde wurde und, je mehr er sehen musste, wie selbst Manner vomRange eines Lyell ins Gegenlager übergingen, - das Schimpfen der Zeitungen stôrte ihn niemals, - sich allmâhlich immer mehr zurückzog und an die deutsche Forschung anschloss, die seine Fshne hlher als die englische hielt, - wobei nur wenige, wie Hooker, Bentham undHuxley, sowie einige jüngere Naturforscher ausgenommen werden müssen.

*) Mivart, the. genesis of species, London 1870, 2. Aufl. 1871 - Man and

London 1"..........---------" - ^

London 1876.

apes, London 187.1 - Lemons of nature as manifested in mind and matter,

t         i . VOT/'

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IX. Darwins Beziehungen zu Deutschland.

Je mehr sich die alten

Bundesgenossen und Freunde in Eng-

land von ihm lossagten, um so me^hr mussten sich naturgemäss Darwins Blicke nach Deutschland wenden. wo, weniger von alten gesellschaftlichen Vorurteilen eingeengt und durch verrottete Zu-

ri^er^-rrt^ nsrnsz

freien Forschung auch über die tiefer einschneidenden Frage/rückhaltloser anschließen ~onute. Durch die Arbeiten von Johannes Mülle,, A. Kölliker, E. von Siebold, R. Leuckart Karl Gegenbaur und mancher andern Forscher batte daJ Studlm der niedern Tiere und ihrer Entwicklungsgeschichte in Deutschland seit den Tagen E. v. Baess emen solchenAufschwung gen.mmen

Uberblick erf . . - --■ —-en konnte, in semen Arbeiten zur vergleichenden Anatomie der hôhern und

^ÄTäCä

niedern Tiere mit der ihm eigenen Nüchternheit und Geistesklarheit die allseitigen Homologien und Übergänge im Körperbau der

^beZtfberefet *" ^ ^ ** ** ^^ te Saat Wie auf Bestellung kamen der neuen Lehre die Arbeiten von L. Rütimerer über "die Faunadrr Schweizer Pfahlbauten» (186D. in denen dieser ausgezeichnete Zoologe zeigte, dass unsere Hau^ tierrassen nicht mehr mit den im Seeboden niedergelegten Funden vollig übereinstimmen, vielmehr durch dieselben mit âlteren wilden Rassen in Verbindung gebracht werden. Aïs darauf 1863 des-

ün r feitrâge zur Kenntnis der fossilen Pferde"

schienen waren, konnte man sagen, dass die Darwinsche Theorie

famihe bestanden habe. Es ist wahr, dass Rütimeyer sich niemals unbedmgt zur Darwinscben Lehre bekannt ha", obwohl er

SMenSef' Vi™ ^ ^^ " selbst *e ^™S des Menschen von den Heren zuzugeben geneigt war; indessen, konnte

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er jenen Rest von spiritualistischer Anschauimg der Dinge, der auch A. Brau,, Bae,, Lyell, Wallace, die bedeutenden französischen Palâontologen Gaudry, Lemoine, Graf Saporta und so viele andere Naturforscher hinderte, die letzten Konsequenzen zu ziehen, nicht überwinden. Doch wurden auch Rütimeyers spâtere Arbeiten über die Geschichte der Rinder und Hirsche in demselben Masse Bestatigungen der Darwinschen Theorie, wenn ihn auch in der Berûcksichtigung der Anpassungsgesetze und in dem Nachweise, dass stets die „adaptiven" Arten die andern überlebt haben, der frühverstorbene russische Zoologe W. Kowalewsky vielleicht noch

übeiGan?ähnUch wie Rütimeyer verhielt sich dessen Landsmann Oswald Hee.. Als Lyell denselben 1857 in Zurich besuchte, fand er in ihm hinsichtllch der Pflanzenwelt und ihrer Entwicklung von den niedersten zu den hochsten Formen, in geologischen Zeiten, einen so eifrigen Progressionisten, dass Lyell seine Ansichten, die aile Pflanzen und Tiere zu einem grossen Stammbaum vereinigten, berückend fand, ohne dass er ihnen damais folgen mochte. Später, aïs Darwnn kam, ging es Oswald Heer ebenso, wie allen denen, die mit einem direkt zum Ziele führenden Enwickuungsgesetz gerechnet hatten: er konnte sich ihm nicht an-schliessen. Gleichwohl hat Darwin seine wie Rütimeyers Funde und Ansichten stets in hohen Ehren gehalten und letzteren lange Zeit als einen seiner unbedingten Anhânger betrachte..

Es ist erfreulich zu schen, dass auch in der Wertschätzung der deutschen Arbeiten, zu denen ich hier unbefangen auch die der deutschen Schweizer gerechnet habe, Lyell der Vorganger Darwins gewesen ist. Lyell war ein ausserordentlich warmer Verehrer der deutschen Naturforschung und durchreiste wiederholt Deutschland, wobei er nicht nur die Geologen, Palâontologen und Anthropologen besuchte, sondern die Bekanntsehaft aller Arten von Naturforschern zu machen suchte. In einem Briefe, den er am 29. August 1837 von Wesel am Niederrhein an Darwnn richte,e, kommt folgende Stelle vor, in welcher er seiner Vorliebe fur Deutschland lebendigen Ausdruck giebt:

und dort, wie zu Osnabrück und Munster, begegnete ich einer warmen

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und deutschen Aufnahme (Gennan reception) bei Mannern, von denen ich niemals gehôrt batte, welche aber meine Arbeit über Schweden und sonst einiges gelesen hatten. Unter Deutsch verstehe ich jene Art von offenem Ausdruck des wissenschaftlichen Enthusiasmus oder einer Gemütsregung, die ein wohlerzogener Englander zu unterdrücken strebt, wenigstens im aussern Ausdruck, aus Furcht für lächerlich gehalten zu werden, oder als wolle er mehr Gefühl affektieren, ais er besitzt, oder aus falscher Scham. Sollten Sie jemals an jener modischen Nonchalance erkranken, welche darûber errotet, etwas zu bewundem, oder wenigstens es zu bekennen, so rate ich Ihnen, in Deutschland unterzutauchen, und sie werden bald erfrischt und wieder zu einem richtigen Tone zurûckgefûhrt sein, sei es in Litteratur, Wissenschaft oder welchem andern von Ihnen verfoigten Streben."

In der Anknüpfung des persönlichen Verkehss konnte es ihm Darwnn freilich nicht gleich thun, einmal weil ihm seinGesundheitszustand das Reisen nicht erlaubte, dann auch, weil ihm die deutsche Sprache bis an sein Lebensende die grössten Schwierigkeiten bereitete. Aber von dem wissenschaftlichen Enthusiasmus Deutschlands sollte er bald Proben sehen, und wenige Jahee nach dem Erscheinen des Hauptwerkes begann er seine vorzügiichste Stütze und Aufmunterung bei deutschen Gelehrten zu suchen. Für die Ausbreitung seiner Lehre in Deutschland waren neben Haeckel sehr früh (seit 1862) Gustav Jäger und Karl Vogt thâtig, von physiologischer Seite kam ihm William Preyer, dessen Inaugural-Dissertation (1862) bereiss stark darwinistisch gefârbt war, und von psychologischer Seite Wilhelm Wuntt entgegen, der sich schon in seinen Vorlesungen über Menschen- und Tierseeee (1863) zustimmend âusserte. Freilich gehörte eine so unbefangene Stellunnahme, wie sie Lyell bald darauf (Ende 1864) von der deutschnn Kronprinzessin melden konnte, damass noch zu den seltensten Ausnahmen:

"Wir sind,, schrieb Lyell am 16. Januar 1865 aus Magdeburg an Darwin, „ungefahr drei Wochen in Berlin gewesen und ich hatte manches gute geologische Gesprach mit Ferdinand Rômer, Beyrich, von Konen, Gustav Rose, Ewald, Dr. Roth und Dove, den' Meteorologen, ferner mit Ehrenberg, Lepsius und Du Bois Reymond, und eine lebhafte Unterhaltung über Darwinismus mit der Kronprinzessin, die in der Gewohnheit, gute Bûcher zu lesen und darüber nachzudenken, eine würdige Tochter ihres Vaters ist. Sie war im hohen Grade «J fait hinsichtlich des „Ursprungs der Arten" und Huxleys „AItertnm des Menschen" u. s. w. N. s. w, sowie mit den Pfahlbauten-Museen, die sie

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_ 150 -kürzlich in der Schweiz gesehen. Sie sagte nach zweimaligem Dnrch-

!Tu Zne«rte ich, dass ich bei der Umarbeitung der P^oipks die von einander unabhSngige Erschaffung jeder Species aufgeben

K-SS« 33303?

Köllikers, der eine sprungweise Entwicklung der Orgamsmen ur wahrscheinlicher hielt, als eine allmâhliche, verhielt man sich damals in deutschen Gelehrtenkreisen abwartend; es wurde wemg ûber Jena hinaus bekam- dass Haeckll damais schon du> Theorie mit allen ibren Konsequenzen lehrte und unter andern auch bereits 1864 jenen später in der „Virchow-Holtzendorffschen Sammlung" erschienenen Tortrag „über die Abstammung und den Stammbaum desMenschengeschlechts" gehalten hatte. Dengrössten Einfluss auf

erhalten, Medizin studiert hatte und schliesslich 1852 nach Brasilien ausgewandert war, wo er erst einige Jahre als Farmer und d JL als Lehrer der Naturwissenschaften zu Desterro lebte. Fritz Müleer, wie Haeckel ein Schüler von Johannes Müller, hatte damais einige Studien über die Entwickiungsgeschichte der Krebse gemacht, und es war ihm, als gleichmâssig gegen die Lehren Darwins und Baess sprechend, aufgefallen, dass ; nicht alle Krebse und namentlich nicht manche hochstohende, me die Garneelen, ihre Entwicklung, wie die niedern Krebse, mit der von dem dânischen Naturforscher Friedrich Mülerr ent-deckten Nauplius-L^e beginnen, wie es doch der Fall sem mûsste, wenn die Krebse einen gemeinsamen Ursprung hâtten und die Entwicklung aus denselben Anfângen, vom Allgememen ms Be-

*. Life oy ~yell ~ol. II. p. S6

364.

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sondere fortschritte. Aber im Jahre 1862 entdeckte Fritz Mülerr auch bei einer Garneele der brasilianischen Küste die Naupliusform, so dass dadurch bewiesen wurde, dass auch die hochststehenden Erebse ihre Entwicklung mit demselben Anfangsstadium beginnen, wie die niedersten, und dass in allen den Fallen, wo das Jungo in bereits vollendeter Form aus dem Ei ausschlùpft, eine Abkürzung der naturgemäßen Entwicklung eingetreten sein tnusste. Indem Fritz Mülerr die Entwicklung seiner Seegarneele weiter verfolgte, sah er sie nach der Naupliusform durch eine Reihe anderer Formen hindurchgehen, die man früher, wie den Nauplius ebenfalls, wegen ihrer Âhnlichkeit mit ausgebildeten niederen Krebsformen als besondre fertige Tierarten betrachtet und

Lern eklatanten Beispiele den Satz erlâuterte, dass die Tiere in ihrer personlichen Entwicklung die Geschichte ihres Stammes zu

wieTa0rwnnnMwarnentzuckt von dem Buche, von welchem er 1868 eine englische Ausgabe veranstaltete, und von der Ubersendung desselben beginnt ein Briefwechsel, so reich an naturwissensehafV hohem IntereL, dass es schmerzlich zu bedauern wâre, wenn er für immer in den Archiven von Down begraben bleiben sollte. Es ist erquickend, in den ersten Briefen Darwins das personliche Interesse für den so weit in die Ferne verschlagenen deutschen Naturforscher vorwiegen zu sehen. Er bittet ihn um seine Photographie, "weil man°ein Bild von denen, für die man sich interessiert, in den Gedanken haben môchte;" er erkundigt sich nach den Umgebungen von Desterro, und als ihm F. Müller 1865 schrieb, er gedenke sieh an semen frùhem Wohnort im Urwalde zurückziehen, weil die Jesuiten am Lyceum von Desterro Eingang gefunden hâtten, bemerkt er: „Weloh' ein seltsames, aber für Linen Geschmack interessantes Leben werden Sie fùhren, wenn Sie sich auf Ihr Besitztum am Itajahy zurückziehen!" Am 23. Mai 1865 konnte Darwn,, der schon vorhervon Haeckels Parteinahme fur die gemeinsame Sache berichtet hatte, von neuem gute Nachrichten über die Fortschritte des Darwinismus in Deutschland melden:

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Schmidt und die andere von Karl Nageli. Ich denke Rütimeyer, fur den ich grosse Hochachtung empfinde, ist auch mit uns.«

In einem Ende 1866 geschriebenen Briefe ersucht er F. Müller, ihm eine Portion der prachtvoll scharlachroten Samen von Adenanthera paoonina, welche die Eingebomen in Indien und Amerika zu prâchtigen Halsbândern aufreihen, zu senden, damit seine Tochter auch so ein schônes Halsband wie die Naturkinder tragen kônne, und fügt dann hinzu:

„Ich habe Ihre Abhandlung über Martha*) erhalten; sie ist so

einen angenehmeren, herzlicheren und freimütigeren Mann gesehen. Er ist jetzt in Madeira, wohin er, hauptsachlich um über Medusen zu arbeiten, gegangen ist.....,

Der Briefwechsel zwischen Darwnn und Fr. Müller hat dann, wenn man die Pausen in Anschlag bringt, welche die Entfernung auferlegt, mit geringen Unterbrechungen bis zum Tode Darwins fortgedauert, denn ohne Aufhôren hatten die beiden Naturforseher sich Mitteilungen zu machen und einander zu neuen Untersuchungen anlegen. Wir werden spâter noch wiederholt Gelegenheit haben, auf diesen Briefwechsel mit F. Müleer, den Darwnn in seinen Briefen an mich mit Vorliebe den „Fûrsten der Beobachter" nannte, zurückzukommen; für jetzt müssen wir uns zu seinem Verhâltnis zu Ernst Haeckel wenden, welcher ohne Zweifel am meisten zur Ausbreitung seiner Lehre beigetragen bat.

Ernst Haeckel ist im Jahre 1834 in Potsdam geboren, hatte gleichfalls vorher Medizin studiert, aber die medizinische Praxis, die ihn ebensowenig anzog, wie Darwin und F. Müller, sogleich

*) Die Arbeit über Martha (Posogueria frayrans) eine Rubiacee, war 1866 in der Botanischnn Zeitung erschienen. Der besuchende Schwärme,, welcher mit seinem langen Rüssel allein den Honig in der iaugen, weiseen, starkduftenden Trichterblüte erreichen kann, wird bei seinem ersten Besuche mit einer Blumenstaub-Explosion ûberschütt,t, die zugleich den Zugang zum Honig verschliesst, der erst den nâchsten Tag erreicht werden kann.

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wieder aufgegeben und war 1859-60 an das Mittelmeer gegangen, um in die Pusstapfen Gegenbsurs zu treten und das Leben . der niedersten Tierformnn zu studieren. Er habilitierte sich 1861 in Jena, veröffentiichee 1862 sein grosses Werk ûber die Radio-larien, in welchem er sich mit Begeisterung für Darwin erklärte, wurde 1862 zum ausserordentlichen 1865 zum ordentlichen Professor ernannt und bat Jena za einer Pflanzschule der neuen Richtung erhoben, aus der bereits eine ganze Reihe bedeutender Forscher hervorgegangen ist. Er hatee inzwischen mehreee Arbeiten über die niedersten Lebewesen und über die Medusen veröffentlicht, von denen Darwin sicb besondess für seine Beobachtungen an einem Moner (Proiogenespnmordialis) interessierte, welches Haeckel an der Küste von Nizza (1864) beobachtet und Dawwin davon Mitteilung gemacht hatte. Haeckel bat spâter (1870) seine „Studien ûber Moneren und andre Protisten", welche die unterste Stufe des Lebens darstellen und fur die Abrundung jedes Systems der Lebewesen von grosser Wichiigkeit sind, im Zusammenhange dargestellt. In seinen spätem Monographien über Radiolarien, Kalkschwämme, Scheiben,, Röhren- und Rippen-Quallen bat Haeclel wiederhott seine glânzende Begabung für genaue entwicklungsgeschichtliche und systematische Bearbeitung der Lebewesen dargelegt. Seine Beobachtungen niederer Tierformnn haben noch das besondeee Verdiens,, dass sie nich,, wie es jetzt geschieh,, in an der Küsee belegenen, mit allen denkbaren Bequemlichkeiten und Hilfsapparaten ausgestattenen zoologischen Stationen gemacht wurden, wie sie den jüngeren Zoologen zur Verfügung stehen; im Gegenteil war HaecleI genötigt, weite Reisen nach Gibraltar, Madeira, Tenerfffa, Norwegen, Korsika, Sardinien, Syrien, Arabien, Agypten und Ceylon zu machen und dort ohne alle âussere Unterstützug sein Observatorium aufzuschlagen, für das er das Material meist selbst fangen musste.

Aber jene Monographien mit der in ihnen niedergelegten Arbeitskraft und Beobachtungsgabe sind es nicht allein, welche Haeckel alsbald in die vorderste Reihe der Zoologen brachten, sondern in noch hoherem Grade sein Sinn für Verallgemeinerung der Ergebnisse, für die Erkenntnis des Gesetzmässigen und fur philosophische Auffassgng der Natur im allgemeinen. Sein erstes bedeutendes Werk nach dieser Richtung war seine „Gen-relee Morpholegie der Organismen" (Beriin 1866), welches

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- IM

ein genealogisches sein kônne und sich daher alles Bestreben dahin richten müsse, die natürlichen Beziehungen der jetzt lebenden Formen sowohi untereinander als zu den ausgestorbenen Arten zu ergründen. Trotz aller in dieser Richtung bereits vorhandenen Anläufe gehörte eine gewisse Verwegenheit und ein Mut, der .eh nicht farchtet, im Interesse der Wissenschaft zu irren und widerlegt zu werden, dazu, die auf lûckenhaften Grundiagen erbauten Ansichten ûber den Zusammenhang der Lebewesen schon damais in sogenannten Stammbäumen darzulegen. Wir kommen darauf

^Nâchst der vor keinen Konsequenzen zurückschreckenden Kühnheit ist es noch eine andere Gabe Haeckels, die in diesem Werke bereits glânzend hervortrit:: seine klare Gruppierung der biologischen Erscheinungen, unter allgemeinen Gesetzen und seine meist hocM glückliche Terminolo.ie. Die Gesetze der Vererbung, der Anpassung und Entwicklung, werden in einer Übersichtlichkeit gegeben, die von Leuten, welche die Ordnung und scharfe Trennung in ihren Gedanken nicht lieben, als „Schematismus» verschrieen worden ist. Im zweiten Teile dieses Buches verhalf Haeckel zuerst dem Zusammenhang der Eutwicklungsgeschichte (Ontogenie) des Individuums mit der Entwicklungsgeschichte des Stammes (Phylo-genie) zu jener Anerkennung, die sich wie ein roter Faden durch aile neueren Untersuchungen zieht und ohne aile Frage als das wertvollste und erfolgreichste Leitmotiv der gesamten modernen Forschung bezeichnet werden muss. Es ist wahr, dassFritz Müller diesen Parallelismus oder vielmehr diese Wiederholung der Stammesgeschichte in der Entwicklungsgeschichte ganz klar bewiesen hatte; aber erst indem Haeckel diese Wiederholung mit dem gehôrigen Nachdruck alsdas „biogenetische Grundges"tz" d h. für das jenige Gesetz proklamierte, welches die Entwicklung aller Leb ns-formen beherrscht, kam es zur allgemeinen Anwendung Almlich verhâlt es sich mit vielen spâteren Verallgemeinerungen Haeckels, von denen als die wichtigsten seine Gasträa-Theone und das

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sich daranschliessende Gesetz von der Homogogie der Keimblätter schon hier erwâhnt werden mogen, obwohl er sie erst in seinem Werke über die Kalkcchwämme (1872) aufstellte. Er wies darin die ideelle Einhett der ersten Entwicklungsstufen aller höheren Tiere nach und zeigte, dass der kausaee Grund derselben nur in der gemeinsamnn Abstammung liegen könne. Auch diese 'Tatsachen waren in den Schriften der âlteren Embryologen, namenlich E. TOnBaers deutiich enthalten, aber erst indemHaeckel sie von neuem in der Entwicklung zahlreccher Tiere der verschiedensten Klassen studieree und die zahlreichnn Ausnahmnn als nachträgliche Veränderungen der Entwicklungsgeschichte erklärte, trat das Gesetzmässige in diesen Entwicklungsvorgängen in das volle Licht. Wie schon F. Müller deutilch nachgewiesen hatte, wird die in der individuellen Entwicklungsgeschichte erhaltene geschichliche Urkunde allmählich verwisch,, indem die Entwicklung einen immer girieren Weg vom Ei zum fertigen Tiere einschlägt. Indem Haeckel diese Thatsachen zum Gesetz der abgekürzten (oder gefälschten) Entwicklung (Cenogenesis) erhob, fügterr seiner enteren Verallgemeinerung das notwendige Korrelativ hinzu, um mogliche Missverständnisse zu verhüten. Seine damit gewonnene Abrundung der allgemeineren Entwicklungsgeschichte hat ihm viel Widerspruch und Anfeindugg zugezogen, aber der beste Beweis fur die Tragweite seiner Abstraktionen bleibt, dass selbst die Gegner heute nicht mehr ohne die von ihm aufgestellten Gesichtspunkre und Kunstausdrücke auskommnn kônnen. Diese Klarheit der Haeckelschen Folgerungen war es, die Darwin von Anfang an fesselten, so dass er ihm nach Emp'ang eines Probebogens der „Generellen Morphologie" am 18. August 1866 schrieb:

"Ich empfing vor wenigen Tagen eiuen Probebogen Ihres neuen Werkes und habe ihn mit grossem Interesse gelesen. Sie haufen auf mein Buch über die Entstehung der Arten das grossariigste Lob, welches es jemals empfangen hat, und ich bin dafür aufrichtig dankbar, aber ich fürchte, dass, wenn dieser Teil Ibres Werkes einmal kritisiert werden wird, Ihr Beurteiler sagen wird, dass Sie sich zu stark ausgedrückt haben. Ihr Auszug scheint mir wundervoll deutlich und gut, und ein kleiner Umstaud zeigt mir, wie klar Sie meine Ansichten verstehen, nämiich, dass Sie die Thatsache und Ursache der Divergenz des Charakters in den Vordergrund stellen, wie es keiner von allen

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.ehmenm bis lot vor «ig.»

ren!"d*SaraSs^SE^Zlär eWg« Jahren die Er-

welches nicht

vor einem ha!beu Jahre veröffentlicht werden wird

wird,

deshalb sehr viel Neugier empfinde

Ihre feraereu Kapitel, sobald sie

einige Kapitel^ diese und andre ™^JW*£*° «*;/u

t) kann, soga/wenn" es""so" klar, wie in Ihrem Buche geschrieben

" ~,...........» ■« M- -a« - Ihrem Bucie geschrieben ist..."

Nachdem er trotz alledem eine" grossem Teil des Werkes gelesen hatte, drückee er seine Anerkennung von neuem aus, ohne dabei zu verhehlen, was ihm an dem Buche Bedenknn erregt habe. DerBrief-ist so charakteristisch für die Offenheit im Verkehee der beiden Naturforscher und für die Herziichkeit der gegenseitigen Beziehungen, dass ich Haeckel besondess _dankbar bin fur seme Erlaubnis, gerade diesen Brief ungekürzt mittellen zu dürfen.

TJSSSSSSS^^^ haben Schon seit einig. Zeit beabsichtigte ich, Ihnen über Ihr grosses Werk zu schreiben, von

mzTwürd ich am : äfe'besondere"Klarheit, init welcher selbst die weniger wichtigen Prin-

mich fast wütend Tass ich au einm blo s zwei bis drei Seiten un-

SkYmmef le^on kann Das Ganze würde unendlich interessant und

Sri mich sein. Was mich am meisten uberrascht hat ist

cipien und die allgemeine Philosophie des Gegenstandes von Ihnen

-""........'--"SAT.            ......

ausgedacht und methodisch angeordnet worden sind. Ihre Kritik des Kampfes ums Dasein bietet eifi gutes Beispiel davon wie viel klarer Ihre Gedanken sind, als die meinigen. ^e gesamte Dite.on über

es ist aussichtslosmdas eine oder andre besonders hervorzuheben, denn das Ganze scheint mir ausgezeichnet. Es ist ebenso aussichtslos den Versuch zu machen, Ihnen für alle die Ehren zu danken, mit denen Sie mich immer von neuem ûberschütten. Ich hoffe, dass Sie mich

*) Haeckel hatte besonders hervorgehoben,

dass die morphologische

c

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nicht für unverschamt halten werden, wenn ich eine hritische Bemerkung mache: Einige Ihrer Bemerkuugen über verschiedene Autoren erscheinen mir zu.streng, obwohl ich kein gutes Urteil über diesen Gegenstand habe, da ich ein so kummerticher Schulknabe im Deutschlesen bin. Ich habe indessen von verschiedenen ausgezeichneten Autoritaten und Bewunderern [hres Werkes Klagen uber die Harte Ihrer Kritiken vernommen. Dies scheint mir recht unglûcklich, denn ich habe seit lange beobachte,, dass grosse Strenge die Leser verfûhr,, die Partei der angegriffenon Person zu ergreifen. Ich kann mich bestimmter Falle erinnern, in denen Hcrbigkeit direkt das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung hervorbrachte. Mit Sicherheit empfinde ich, dass unser guter Freund Huxley, obgleich er viel Einfluss besitzt, noch weit grOsseren haben würde, wenn er gemassigter gewesen und weniger häutig zu Angriffen übergegangen w&re. Da Sie sicherlich eine grosse Rolle in der Wissenschaft spielea werdeu, so erlauben Sie mir, als älterem Mann, Sic erustlich xu bitten, uber das nachzudenken, was ich zu sagen gewagt habe. Ich weiss, dass es leicht ist zu predigen und scheue mich nicht, zusagen, dass, wenn ich das Vermogen besasse, mit treffender Scharfe zu schreiben, ich meinen Triumph darin setzen würde, den armen Teufeln das Innere nach aussen zu kehren und ihre ganze Albernheit blosszustellen. Nichtsdestoweniger bin ich überzeugt, dass dies Vermogen nicht gut thut, sondern einzig Schmerz verursacht. Ich m&chte hinzufügen, dass es mir, da wir t&glich Manner von denselben Voraussetzungen zu entgegengesetzten Schlüssen kommen sehen, als eine zweifelhafte Vorsicht erscheint, zu positiv über irgend einen komplizierten Gegenstand zu sprechen, wie sehr sich auch ein Mensch von der Wahrhett seiner eigenen Schlüsse überzeugt fühlen mag. Und nun, konnen Sie nur meine Freimütigkett vergeben? Obgleich wir einander nur ein einziges mal begegnet sind, schreibe ich Ihnen, wie einem alten Freunde, denn das sind meine Empfindungen Ihnen

gegB!Snsicht]ich meines eigenen Buches über das Variieren im Zustande der Domestikation mâche ich langsame, aber stetige Fortschritte im Eorrigieren der Probebogen. Ich fürchte, dass es Sie nur wenig interessieren wird und Sie werden ûberrascht sein, wie schlecht ich einige der von Ihnen besprochenen Gegenstande angeordnet habe. Der hauptsachlichste Nutzen meines Bûches wird in der reichlichen Anhäufung von Thatsachen beruhen, durch welche gewisse Sâtze, wie ich glaube, festgestellt werden. Ich habe mich zu einer langen Hypothek ver-leiten lassen, aber ob dieselbe Sie oder irgend wen sonst interessieren wird, kann ich mir nicht einmai vorstellen. Ich hoffe, Sie werden mir binnen kurzem schreiben uud mitteilen, wie Sie sich befinden und was Sie jetzt thun. Betrachten Sie mich, mein lieber Haeckel, ganz aufrichtig als den Ihrigen.                                                        Ch. Darw.n.

Es soll hier durchaus nicht geleugntt werden, dass Haeckel

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mit seinem jugendlichen Enthusiasmus ein kühner und schneidiger Heerfuhrer im Kampfe gegen Geistestrâghett und Ge ehrtendünke war. Mancher bekam einen argen Hieb und hef dann heulend zum Altmeister Darwin, klagend, dieser ungestume Recke werde alles verderben und der jungen Theorie viel mehr Schaden als Nutzen bringen. Ob in diesem hitzigen Streite nicht auch manches geschehen ist, was besser unterblieben wâre? Haeckel, der mir L Erlaubnis gegeben, obigen Brief ungekürzt mitzuteilen, wird der letzte sein, das zu leugnen. Aber im allgemeinen darf man sagen, dass diejenigen, welche einen Hieb bekamen, ihn meist dreifach verdient hJttof, und dass ihm vielfach hâmische Bosheit und Gelehrtenneid in den Weg trat, die keine andere Behandlung fin en durften. Sollte derjenige beispielsweise, der Darwms Ruhm als den seinigen betrachtete, es ruhig hinnehmen, wenn ein sonst sehr verdienter Reisender und Sammler, der viele wertvolle Erinnerungen, Gerâte und Kunstwerke von Naturvôlkern zusammengebracht hat, dem aber Samlung und Ordnung in seinen eigenen Gedanken niemals nachgerühmt werden konnten, das wohidurchdachte System Darwins als den „wûsten Traum eines Nachmittagschläfchens» charakterisierte, oder wenn ein so berühmter und geistreicher Mann, wie Du Bois Reymond, über Haeckels Stammbaume, deren Zweck er sich offenbar niemals klar gemacht hatte, herfiel und ihren Wert mit demjenigen homerischer Helden Yerglich? .

Nachdem Haeckel in der „Generellen Morphologie" nachge-

IhenVerden dürfen, begann er die durch die Gesetze der Homologie und Entwicklungsgeschichte ermittelten oder noch zu ermittelnden Verwandtschaften der Glieder jeder Gruppe in der Form von Stammtafeln und Stammbäumen darzustellen, die dann auch in seiner 1868 erschienenen „NatùrIichen Schopfungsgeschichte" eine bedeutende Rolle spielten. Sehr viele Personen waren freilich in die Ziele der von Darwnn mit neuem Lebens-blute versehenen Naturforschung nicht genügend eingedrungen, um einzusehen, dass diese Tafeln stets nur den gegenwârtigen Zustand unsres Wissens und Vermutens über den Zusammenhang der

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Gruppe und ihrer wahrscheinlichen Entwicklung in der Vorzeit auf ùbersichtliche Weise darstellen woliten. Manche der hypothetischen Stammbäume Haeekels, wie z. B. diejenigen über die meisten Abteilungen der Côlenteraten, haben sich ûber seine eigenen Erwatungen hinaus bewâhr,, und die Beobachtung ist manchmal, wie z. B. bei den Rippenquallen, der Hypothese auf den Fuss gefolgt. Aïs Arbeitsprogramee haben sie sich heutzutage so unentbehrlic. erwiesen, dass sie von den meisten arbeitenden Zoologen gebraucht werden und ihr Wert jetz,, wie ich glaube, nirgends mehr in Frage gesteltt wird.

Über die „Schôpfungsgeschichte" schrieb Dawwin wieder einen Brief, der hier mitgeteilt zu werden verdien,, zu dessen Verstândnis aber vorher bemerkt werden muss, dass Haeckel ihm vorher von seinem in demselben Jahce geborenen Sohne Walthrr einige Mitteilungnn gemacht hatte, die von physiologischem Interesee sind. Derselbe entwickelte nämlich, und vielleicht in noch hoherem Grade als die meisten Sâuglinge (obwohl dergleichen von den meiseen Eltern ûbersehen wird), eine bedentenee Geschicklichkeit, mit der grossen Zehe an beiden Füssen zu greifen, so dass er z. B. einen Loffel auch mit dem Fusse ganz gesch,ckt hiel.. Unzählige Menschen haben das gesehen, und die Maier des Cinquecento haben die freie Beweglichkeit der grossen Zehe bei Kindern sogar manchmll auf ihren „heiligen Familien" dargestellt, aber niemand dachte darüber nach. Auf diese Mitteilung bezieht sich der Eingang des Darwinschen Briefes, der vom 19. Novembrr 1868 datiert ist.

„Mein lieberHaeckel!" schrieb Darwu,, "Ich muss Ihnen wiederam schreiben und zwar aus zwei Grunden. Erstens um Ihnen für Ihren Brief über Ihren Jungeu zu danken, der sowohl mich als meine Frau vôllig bezaubert bat. Ich bcglückwünsche Sic herzlich zu seiner Geburt. Wie ich mich ans mcinem eigenen Falle erinnere, war ich erstaunt, wie schnell die vätertichen Instinkte entwickelt werden, und in dem Ihrigen scheinen sie ungewohniich stark zu sein. Ich keune sehr wohl den Blick auf eines Babys „Hinterbeine,, aber ich mOchte glauben, dass Sie der erste Vater waren, welcher jemals über die Ahniichkeit nn ihrem Verhalten mit denen eines Affchens triumphierte. Was sagt denn Frau Haeckel zu solchen entsetzlichen Lehren?

"Ieh hoffe die grossen blauen Augen und die Principle.! der Vererbnng werden Ihr Kind gleich Ihnen zu einem Naturforschrr machen, aber nach meiner eigenen Ertahrung zu urteilen, werden Sie erstaunt sein, zu finden, wie die gesamte geistige Aniage unserer Kinder mit

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grossen Werkes, - wovon ich ietzten Sonntag durch Huxley erfubr, — zu beglückwünschen .... Ich habe einen guten Teil Ihres letzten Werkes gewesen, und der Sti! ist schön, klar und leicht für mich. Den ersten Teil habe ich noch nicht geiesen, sondern begann mit dem

Se Ihre Übersendung de! Buches sehr erfreut war. wird Ihnen ebenfalls für dicses Kapitel sehr dankbar sein (Vgl. S. 60). hre Kapitel über die Verwandtschaften und Genealogie des Tierreichs überraschen mich a)s bewunderungswürdig und voiler originaler Gedaukeu. Manchmal indessen erregt mir Ihre Kûhuheit Zittern, aber wie Huxley bemerkt, muss irgend eiuer kühn genug sein, um einen Anfang im Entwer,en von Stammbaumen zn machen.

„Obg!eich Sie vôllig die Unvollstândigkeit der geologischen ûber-lieferuug anerkennen, stimmt doch Huxley mit mir darin überein, zu denken,gdass Sie manchmal etwas kuhn sind, indem Sie zu sagen wagen in welchen Perioden die einzelnen Gruppen zuerst erschieneu seien Ich habe diesen Vorteil vor Ihnen voraus, dass ich mich erinnern kanu, wie wunderbar verschieden irgend eine in dieser Richtung vor zwanzig Jahren gemachte Aufstellung von der jetzigen sein würde, und ich erwarte, dass die n&chsten zwanzig Jahre einen ganz ebenso grossen Unterschied machen werden. Betrachten Sie die mouokotylischen Pflanzen, die soeben in der schwedischen Primordial-Formation ent.

deck,JcTSdeSrhodle, wie froh ich über die Aussicht der Übersetzung bin, denn ich glaube durchaus, dass dieses Werk und aile Ihre Werke einen grossen Einfluss auf den Fortschritt der Wissenschaft haben werden" Ha!ten Sie mich, mein lieber Haeckel, fur Ibren aufrichiigen Freund                                                               Charles Darwin.

Die Schöpfungsgeschichte, welche aus freien Vorträgen er* standen ist, welche Haeckel im Winter 1867-68 vor seinen Studenten in Jena gehalten hat, und dabei stenographieren liess, hatte einen seltenen Erfolg, denn in wenig ùber einem Jahrzehnt erschienen sieben starke deutsche Ausgaben und acht Übersetzungen in fremde Sprachen. Dies ist um so erstaunlicher, als man von Du Bois-Reymond erfahren hat, dass es selbst für Personen seines geistigen Niveaus angenehmrr ist, einen phantastischen Roman zu lesen, als ein Buch, welches die Spekulationen über Herkunft und Zeit des Auftretens der Lebewesen nach dem augen-

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bücklichen Zustande unsres Wissens zusammenfasst, und die Lücken, um ein Ganzes geben zu kônnen, seibstverständlich mit Spekulationen ausfüllen muss. Kein Werk hat auch nur entfernt soviel zur Verbreitung des Darwinismus beigetragen als dieses.

Man hat oft ausgesprochen, und wir sahen eben, dass Dawwin selbst dieser Annahme zuneigte, Haeckel sei zu dogmatisch; er stelle vieles als sicher hin, was Dawwin mit âusserster Vorsicht und mit tausend Wenn und Aber ausspreche. Es mag das, bis zu einem gewissen Grade richtig sein, aber man darf dabei den Unterschied der Leserkreise nicht vergessen. Darwin schrieb nur für Forsche,, und so einfach seine Kunstsprache ist, entbehren seine Werke doch der Mehrzahl nach aller und jeder litterarischen Wirkung. Selbst unzählige Gelehree scheinen es nicht über sich vermocht zu haben, auch nur sein Fundamentalwerk zu lesen, sonst würden sie nicht so blühendnn Unsinn darübrr geschrieben haben, dass Huxley mit so vielem Grunde sagen konnte, die meisten Gegenschriften seien das Papier nicht wert gewesen, was mit ihnen vergeudet wurde. Ich hege unter andern die Vermutung, dass Vrrchow trotz der vielen Reden, in denen er den Darwin,smss verdammt hat, niemass auch nur die "Entstehung der Arten" aufmerksam durchgelesen hat. Haeckel schrieb für ein grôsseres Publikum, und da ist es sehr schwer, den hypothetischen Charakter in jedem Augenblick zu wahren, wenn man ein Buch nicht um alle Lesbarkeit und Wirkung bringen will. Auch sehe ich nich,, dass Haeckel in seinen Werken grössere Irrtümer zu korrigieren hatte, als sie jeder naturwissenschaftliche Schriftsteller, der dem Laufe der Forschugg folgt, bei den neuen Auflagen seiner Werke auszumerzen hat.

Ganz entschieden muss ich aber der sehr weitverbreiteten Ansicht widersprechen, dass Haeckel gewagteee Hypothesen aufgestellt habe, als Dawwin. Die vor zwanzig Jahren ausgesprochene Ansicht, dass die Stachelhäuter vielleicht einem Wùrmerstocke entsprossen seien, ist wahrscheinlich die gewagteste Hypothese, die Haeckel jemals aufgestellt hat, aber haben wir seit der langen, inzwischen verflossenen Zeit eine bessere, die sie ùberflüssig mach,, erhalten? Und kann sich diese Hypothese an Kùhnheit mit denjenigen messen, welche Dawwin ùber dieAbstammung der hôhem Wirbeltiere von hermaphroditischen Ahnen, oder ùber den Ursprung.

Krauao.Ch. Darwin.                                                                           1)

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des auch im menschlichen Korper merklichen PaMlelismus ver-schiedner Vorgange mit dem Mondumiauf aufgestellt hat, sofern er denselben bis zu den noch im Meere lebenden Ahnen des Menschen zurückverfolgt, die stark von Ebbe und Flut beeinfluß wurden? Niemand kann solche Hypothesen mit Berechtigung tadeln, und Darwnn bat einmal sehr treffend bemerkt, dass falsche Hypothesen der Wissenschaft nicht entfernt so viel Schaden bringen, als falsche Beobachtungen und sachliche Missverständnisse, die fur Wahrheit genommen werden.

Hierbei muss ich noch einen besondern Umstand hervorheben. Haeckel wurde der ausserordentlichen Anerkennung Darwnns in Deutschland nicht allein dadurch fôrderlich, dass er seine Lehre mit Begeisterung ausbaute und verbreitete, sondern nochmehr dadurch, dass er all' den Hass und die Wut, welche diese Lehre in gewissen Lagern erregte, auf sich konzentrierte, indem er in seinem Vortrage über den "Ursprung des Menschengeschlechts», in der "Genexellen

wurdé es seitdem Mode, bei uns nur noch Haeckel zu schelten, Darwnn aber als jenes Ideal des weisen, besonnenen und vorsichtigen Forschertums zu preisen, von dem selbst die Gegner nur mit der grôssten Zurückhaltung zu sprechen wagten. Sicherlich war dieser Ruhmestitel sowohl verdient und begrûndet, wie selten einer, aber es ist nicht weniger wahr, dass er ihm in England nicht so fruh und unbestritten zu teil wurde, wie in Deutschland. Und dies war keineswegs deshalb der Fall, weil der Prophet im Vaterlande immer weniger gilt, sondern weil Haeckll die eigentlich dem Haupte Darwins geltenden Bannstrahlen auf das seinige herabzog und sich dem gewaltigen Ansturm wie ein neuer Arnold von Winkelried entgegenstemmte, um der "freien Forschung" eine Gasse zu öflhen. Was hat er alles dafür über sich ergehen lassen mûssen! Man hat ihn einen „Fâlscher" genannt, weil er in seinen schematischen Figuren im voraus ein notwendiges Organ des menschlichen Em-bryos angedeutet hatte, welches erst einige Wochen spâter wirklich so, wie er es gezeichnet hatte, beobachtet wurde, und weil er in einer Schrift denselben Hoizstock zweimal fur zwei verschiedene, aber vollig gleich aussehende Dinge gebraucht hatte! Was man ■ auch über Haeckels Rücksichtslosigkeiten im Kampfe für seine

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Überzeugungen 83gen mochte, zn solchen Mitteln, wie die Elite seiner Gegner, hat er sicherlich niemass gegriffen. Und der Um-fang, in welchem er damass - es ist ja eine vergangene Zeit, von der wir in Ruhe reden dürfen, - manche seiner Anhânger, die seitdem gleichfalss ruhiger geworden sein dürften, mit sich fort-riss, zeigt wohl am besten die Wahrheit jenes Dichterwortes:

Blüte edelsten Gemütes ist die Rücksicht; doch zu Zeiten Sind erfrischend wie Gewitter go)dne Rücksichtslosigkeiten!

Um nun nach dieser Abschweifung wieder auf den eigentiichnn Gegenstand des Buches zu kommen, so zeigte sich die wegebnenee Wirkung der Haeckecschen Heer,ührung alsbald darin, dass Dawin damals, als ihn in England der Zeitungspöbel ohne Erbarmen verfolgte und als selbst Männer, wie Wallece und Lye.l, ibn einsam seines Weges weiter zieben Hessen, an den Fortschritten seiner Lehre in Deutschland und an den Nachrichten, die er von dort empfing, seine beste Trostung und Ermutigung fand.

».....Ich bin entzückt zu horen", schreibt er am 31. März 1868 an

Prof. Prey ,r, der ihm eine Anzahl von Beobachtungen über die Vererbung von Verstümmlungen des menschlichen Korpers mitgeteilt hatte, „dass Sie die Lehre von der Veranderung der Arten aufrecht erhalten'und meine Ansichten verteidigen. Die Unterstützung, welche ich vou Deutsch-

Tage werf« Ich von Schriftstellern memes eige«™ tades bc.tjdi-

Nicht ganz zwei Jahee spate,, am 17. Februar 1870, schrieb er an Preyer, der inzwischen seine berühmten Untersuchungen über die Wirkung der Blausäure auf den tierischen Organismus veröffentlicht und Dawwin diese, sowie einige für ihn interessante vorläufige Mitteilungen über seine Untersuchungen an BlutkrystaUen mitgeteilt hatte, jenen Brief, dessen zweite Hälfte S. 16-17 wiedergegeben wurde und dessen Eingang laute::

„Ich biu Ihnen für Ihren ausserst freundlichen Brief und für Ihre mannigfachen Gescheuke sehr verbunden. Obwohl Ihre Ancrkennuug meiner Arbeit sicherlich zu hoch ist, ist sie doch sehr ermutigend für mich, besonders da ich gestern zwei gerade in England

11*

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verôffentlichte Flugschriften las, in denen jede Art von Schmähung auf mich gehäutt wird. Ich werde beispielsweise ein „atberner Trau-

mid., in, ich vor einigen J.bren v.^blich um Belebung über Um. ,

staunliche Zeit.                                                                              ^

Eine wie grosse Unterstützung und freudige Anregung Dar- | win von den deutschen Botanikern empfing, wurde schon oben erwâhnt; namentlich waren es die Arbeiten Hermann Müllers, die er, wie ich in dessen Lebensschilderung ausführlich gezeigt habe, mit dem grôssten Interesse und warmer personlicher Anteil- , nahme verfolgte. Es war ihm eines Tages, nachdem er sehon mehrere Briefe mit demselben gewechselt hatte, eine hôchst angenehme ! Überraschun,, zu erfahren, dass Hermann Mülerr ein Bruder Fritz Müllers soi. Auch die Ausdehnung des Entwicklungsprinzipes auf die Gesellsohaftswissensohaften, sofern ja der Mensch durch dasselbe zu einem Objekt der Naturforschung geworden war, nahm zuerst in Deutschland einen weiteren Aufschwung, den Darwin mit grossem Interesse verfolgte. Bereits 1864 behandelte Dr. Fröbel in seiner "Theorie der Politik" die Staatsformen vom dar-

;Är Ä"srr£ÄteÄ i

seine von derselben Grundlage ausgehende Schrift ûber landwirt- [ schaftliches Genossenschaftswesen zusandte, antwortete er ihm, es { sei ihm niemals eingefallen, dass seine Ideen auf so fernliegende, aber ' wichtige Gegenstände Anwendung finden konnten. Auf direkte An- , regung Havels verôffentlichte" dessen Vetter, der Sprachforscher D, J. Blekk in Kapstadt, seine Schrift ûber den "Ursprung der -Sprache" (Weimar 1868) und ein leider früh (1868) verstorbenet Freund, August Schleicher, eine Sendschrift, in der die Sprachen

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aIslebended dem Kampf ums Dasein ausgesetzte und darin neue Abarten bildende Individualitäten betrachtet werden. Ihnen foigt~ der geistreiche Lazarus Geigrr mit seinen freilich bisweilen ûber das Ziel hinausschiessenden Untersuchungen über den Ursprung der Sprache und der menschlichen Vernunft aus derselben Zeit (1868-72,, über die Auffindung des Feuers u. s. w., Gebiete, auf denen ihm spâter Geraand, Wait,, 0. Caspari, F. v. Hellwa,d Noire und so viele andre gefolgt sind, indem sie die gesamte Vôlker-und Eultur-Entwicklung, die religiôsen, moralischen und rechtswissenschaftlichen Anschauungen vom Gesichtspunkte des Werdenden und Gewordenen betrachteten und die Notwendigkeit bestimmter Vorstufen und Wege in der KulturEEntwicklung nachwiesen. Damit erhielt zugleich das Studium der heute lebenden und auf tiefen Stufen stehenden Naturvôlker, sowie der Mythologie, in welcher sich hâufig Anschauungen ûberlebter Kulturstufen in dichterischem Gewande erhalten haben, eine neue und hôhere Bedeutung, eine eindringendere und tiefere Wûrdigung, als sie je vorher empfangen hatten. Was auf diesen Gebieten Baehofen, Geraand, Waitz, Caspari, Pott und andere geleistet haben, war alles Folge der Befruchtung der Menschenwissenschaften durch die genetische Méthode, und eine Unzahl alter Mythen, Sitten und Gewohnheiten, Gebrâuche, Rechtsanschauungen u. s. w. erschien erst jetzt, mit den rudimentâren Organen der lebenden Wesen verglichen, in seiner wahren Bedeutung und Verstândiichkeit - als Uberlebsel.

Màn kann es wohl aïs einen guten Abschluss des ersten Jahrzehnts der Darwinschen Theorie in Deutschland betrachten, dass der geistreiche Physiker und Physiologe Hermann Helmholtz auf der Versammiung der deutschen Naturforscher in Innsbruck (1869) aussprach, wie es als eine segensvolle Folge der deutschen freenn Forschung anzusehen sei, dass wir so unbefangen die aus dem Darwinismus gezogenen Schlüsse auf den Menschen anwenden dürften, bis zu dem Grade, sagen zu dürfen, die tierischen und menschlichen Sinneswerkzeuge seien so volikommen, wie sie ihrer Entstehungsweise nach nur irgend sein konnten, weshalb man auch ihren Abstand von absoluter Volikommenheit, den der Physiker leicht nachzuweisen imstande sei, um so unbefangener zugeben kônne. Um diese Zeit war der Kampf ums Dasein in

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Deutschland das oberste Erklärungsprinzip, vor dem nicht einmal ächer te Moleküle in der Mutterlauge und die Sterne im Himmet

Vergleicht man mit diesem Enthusiasmu,, wie kühl die Gelehrten anderer Kulturvôlker, namentlich diejenigen Frank-reichs, im ersten Jahrzehnt ihres Auftretens der darwinschen Lehre gegenüberstanden, wie sich selbst heute nur wenige klangvollere Namen dieses Landes unter ihren unbedingten An-hângern und Fôrderern befinden, so begreift man, dass Darwnn anmer mehr mit der deutschen Forschung verwuchs und das deutsche Volk mit seinem ausgesprocheaen Erkenntnisdrsnge immer hôher schatzen .und lieben lernte. Deutsche Sprache und Musik wurden daher im Hause ebenso wie deutsche Wissenschaft gepflegt, die Sôhue nach deutschen Universitâten gesandt, und deutsch Gâste zu allen Zeiten in Downhouse mit besonderer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Nach Ausbruch des franz6sisoh-deutschen Krieges stellte sich Darwin natürlich wie die meisten seiner Landsleute, aber mit grôsserem HerzensanteU, auf die Seite Deutschlands und schrieb am 28. August 1870 an Fritz MHlier:

BesträJeTi1,; T** "T^ **% 11 ^ ™**Mlic^ Ä^nf^^

S^ÄJB^^„i^'Jf?j^. nicht über d<* 2?

Nation gegenüber

Ä5Ü ^°.h«LWiederTOrgflltung dieser ™hmre<^ kriegliebenden

Als nach dem Erscheinen seines Werkes uber die Abssammung des Menschen (Februar 1871) seine Gegner in England von neuem

schrieb er am 2. Augu^^af Fritzb Müller:

geschmaht worden, namentlich wegen des Kapitels über de moralSchen Fähigkeiten, und die meisten meiner Recensenten betrachten das Buchals ein jämmerliches Machwerk. Gott weiss, was seine Verdienste

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Naturforscher die geschlechtiicbe Zuchtwahl in einem grössern Massstabe annehmen werden, als sie jetzt xu thun geneigt xu seiu scheinen.«

Darwin durfte sich auch diesmal mit der so viel anständigeren Aufnahme seines Buches in Deutschland trosten. Allerdings waren ja, wie er selbst in der Vorrede mit seinem einzig dastehendnn Gerechtigkeitssinn sagt, die meiseen und wichtigsten seiner Schlüsse bereits von Haeckel gezogen worden; es blieb dem deutschen Leser mithin nur noch zu bewundern, bis in wie feine Beziehungen hinein Dawwin die korperliche und geistige Verwandtschaft des Menschen mit den Tieren verfolgt hatte. Dennoch scheint er damass der immer erneuten Schmähungen des Pôbess und der Vexaiionen seitens solcher Forscher, wie Mivarts, satt und müde gewesen zu sein, denn er fühlte sich den Sommer über sehr abgespantt und war monatelang nicht imstande, etwas zu thun. Nur das Interesee an der Fertigstellung seines Buches über den Ausdruck der Gemütsbewegungen, und ad dei ihrem Anschluss entgegengehenden Beobachtungen über den Nutzen der Kreuzbefruchtung hielten ihn damass aufrecht. Am 27. Dezember 1871 schrieb er an Haeckel die rührenden Worte:

„.....Ich zweifle. ob meine Krafte noch für viele schwierigen

Werke ausreichen werden. lch hoffe indessen nacbsten Sommer die Ergebnisse meiner lang fortgesetzten Experimenee über die wunderbaren, aus der Kreuzung entspringenden Vorteile zu verôffentlichen. lch werde forttahren za arbeiten, so lange wie ich kann, aber es bedeutet nicht viel, wenn ich authöre, da so viele gute, vollständig ebenso tuchtige und vielleicht noch tüchtigere Manner, als ich es bin, vorhanden sind, um unser Werk weiter zu führen, und unter diesen rangieren Sie als der erste......"

Selbst fur seine Gegnrr in Deutschland konnte Darwin eine gewisse Sympathie fassen, wenn er sie mit denen seiner Heimat verglich. Ich muss hier Albert Wggand ausnehmen, dessen dickleibiges und langatmiges Werk „Der Darwinismus und die Naturforschung Newtons und Cuviers" (Braunschweig 1874-75) anscheinend nicht einmal von seinen eigenen Gesinnungsgenossen gelesen worden ist und kaum die eingehende Widerlegung Gustav Jâgers („InSachen Darwin,, insbesondere contra Wigand." Stutgart 1874) verdient hat. Auf blosses Hin- und Hergerede Hess

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sieb Darwin, auch wenn es sich in akademische Form und philosophisches Gewand hüllte, niemals ein. Das mochten die Herren Huber, Teichmüller, Frohsehammer, von Hartmann u.s.w.   f unter sich abmachen. Aber wenn man ihm mit guten Gründen   f und Einwânden kam, war er unermûdlich, dieselben zu prûfen und zu diskutieren. Ich will hier nur H. von Nahhusius und Moritz   | Wagnrr als Beispiele anführen. Moritz Wagner, der bedeutende   f Forschungsreisen in Nordafrika, Asien und Amerika ausgefuhrt hatte, war insofern ein radikaIerGegnrr Darwins, als er die Ver-  I ânderungen, welche die ûber verschiedene Lânder und Gewâsser  I verstreuten Exemplare einer Art durch die ôrtlichen Einflüsse er-  f leiden, als das eigentliche artbüdende Moment betrachtet wissen  \ wollte und die Zuchtwahl-Theorie, die doch den Kern der Dar-  f winschen Theorie bildet, ganz zu eliminieren gedachte. In unzah-  | ligen Abhandlungen und Zeitungs-Ariikeln suchte Wagner seit  f 1868 seine Migrations- oder Separations-Theorie, bei der die râumiiche Trennung und Isolierung als das wichtigste Moment zur Befestigung der durch Anpassung an die neuen Lebensbedingungen verânderten Stammart betrachtet wird, an immer neuen   J Beispielen zu erôrtern. Er teilte unter andern Darwnn den Fall   I eines Spinners (Satumia Lima) mit, der von sehr verândertem   | Aussehen erschien, als das in Puppenform von Texas nach der   I Schweiz gebrachte Tier dort ausschlüpfte. Darwn,, der den bei   I Versetzung unter neue Lebensbedingungen eintretenden Variations-   ! Vorgang und die Wichtigkeit der Isolierung fur die Befestigung der   | Art von Anfang an genau ins Auge gefasst hatte, gab ihm trotz dessen zu, dass er diesen Einflüssen lange nicht die gebûhrende   I Wichtigkeit beigelegt haben moge und antwortete unter anderm:   |

ich wemg guten Beweismaterial für die direkte Wirkung der Umgebung   I

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1                                       - 169 _

1 finden. Nun ist ein reichliches Beweismateria! vorhanden, nnd Ihr die

i jrrehOÄenderFai-Teiner der bemerkenswertesten'von denen

1 Weder Darwnn selbst, noch irgend einer seiner deutschen I Anhänger haben einzusehen vermocht, in wiefern die Separations-itheorie imstande sein sollte, die Selektionstheorie zu verdrângen land zu ersetzen, wie dies Wagner in allem Ernste auch wohl 1 heute noch glaubt. Die ausgezeichnetsten Forscher auf dem Ge-f biete des Darwinismus, Oskar Schmidt, A. Wessmann, F. 1 Müll,r, G. Seidlitz, Haeckel u. a. haben sich vergeblich be-I müht, eine derartige Wichtigkeit darin zu entdecken. Denn die igrösste Stârke und der Hauptwert der Darwinschen Theorie beisteht in der Erkläruug der Zweckmäskigkeit in der gesamten I Organisaiion der Wesen und ihrer Harmonisierung bei eintretenden ^Veränderungen des Ortes oder Mittels; die Separations-Theorie fur sieh ist aber nicht einmal imstande, plausible Gründe für so . augenfällige Erscheinangen, wie die vorherrschend weisse Farbe der 1 Polartiere im Winter und der gelben Erdfarbe der Wüstentiere,

|g beizubiingen; aile die wunderbaren Fâlle von Schutz- und Trutzfärbung oder Zeichnung, Mimikry, Durchsichtigkett der Wassertiere u. s. w. u. s. w. bleiben unter der Brille der Separationstheorie ebenso unverstândiiche Râtsel, wie jeder Fortschrttt durch Arbeitsteilung, da ihr ja das Princip der Ausmerzung des Unzweckmässigen fehlt. Noch einmal wurde der Kampf akut, als nâmiich David I Friedrich Strauss 1872 in seinem Bûche: „Der alte und der neue | Glaube" für den Darwinismus Partei ergriff und ihn als die lang-^ ersehnte Botschaft begrüsste, mit welcher der alte Glaube und I sein „liebstes Kind", das Wunder, endlich überwunden werden I würden. Es wird gut sein, die Kernstelle, in welcher er die Be-1 deutung der Darwinschen Theorie für die Lâuterung des religiôsen Empfnndens der Menschheit zusammenfasst, hier wôrtiich wiederzugeben, weil sie die Wut erklärt, welche das Erscheinen des g Straussschen Werkes in den Kreisen der orthodoxen Geistïichkeit | und ihrer Anhânger von neuem wieder gegen den Darwinismus f entfesselte:

| ') Kosmoa, Band VII. S. 10.

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„Die Darwinsche Théorie." sagt Strauss, "ist ohne Zweifel uoch| hôchst unvollstäadig; sie lâsst nnendlich vieles unerklärt, und zwar nich? bloss Nebensachen, sondern rechte Haupt- und Kardmalpunkte; sie deutet g mehr auf künftig môgtiche Losungen hin, als dass sie diese selbst« schon giebt. Aber wie dem sei, es liegt etwas in ihr, das wahrheit^ und freiheitsdurstige Geister uuwiderstehiich au sich zieht. Sie gleichtf einer Hur erst abgesteckten Eisenbahn: welche Abgründe werden *f noch auszufüllen oder zu ûberbrUcken, welche Berge za durchgrabeaf sein, wie manches Jahr wird noch veriiiessen, ebe der Zug reiselustige| Menschen schnell und bequem dahinaus befôrdert: Aber man siehl doch die Richtung schon: dahin wird und muss es gehen, wo d.e! F&hniein lustig im Winde flattern. Ja lustig, uud zwar im Sinne de,| reinsten, erbabensten Geistesfreude. Wir Philoaopheu und kritischer Theotogen haben gut reden gehabt, wenn wir das Wnnder in Abgang

ersee«» ko»n.„, D.'r.i, hat <Hese N«„kraft, dieses Natur».,f,b»|

preisen.-              n

Der Ersatz des Schöpfungswunders durch den Prozess der allf mählichen Entwicklung und mit der Erklärung der organischen 1 Zweckmässigkeit, die Herabstürzung der Sphinx, die wie ein grau-f samer Alp seit Jahrtausenden auf der Brust der Philosophen ge-1 lastet hatte, das waren gewiss zwei fur das Fühlen und Dental der Menschheit, grosse, befreiende Thaten, aber eine noch grosseref und wahrhaft reformatorische Wirksamkeit lag in der Unterwuh-f lung des alten anthrococentriseben Standpunktes, nacll welchem der allein vernunftbegabte Mensch hoch uber der gesamten I Natur stand, er ihr aIsHerrscher bestellt, sie nur seinetwegen erj schaffen. Wie oft ist Darwnn der Kopernikus der organischen! Welt genannt worden, bis Du Boss-Reymond das Gleichnis inj seiner Rede "Darwin und Kopernikus" zum so und «melste» 1 male ausführte und nochmals damit, den Zorn der Ultramontanon § heraufbeschwor.                                                                         -|

Seit Jahrzehnten hatte man: ja den Anhângern der ,neuen J Weltanschauung» bereits die schrecklichen Folgen der ASentheone''". fûr Religion, Sitte und Moral entgegengehalten und den Unter-* gang der geselischaftiichen Ordnung daraus prophezeit, nun fanden.

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Lieh in Deutschland sogar Leute, die mit Strauss den Beginn feiner hôhern Religion, einer durchgeistigteren Ethik von der Er-Ikenntnis herleiteten, dass der Mensch nicht aus gottergleichem Izustande herabgesunken, nicht der durch den Sündenfall erniedrigte JAdam sei, sondern ein emporstrebendes Wesen, von dem zu hoffen Isei, dass es sich auch in bewusster Entfaltung seiner moralischen 1 Fähigkeiten noch viel hoher über das Tier erheben werde, welches ler bisher in dieser Beziehung, wie Darwnn ausgeführt hat, nach

I manchen Richtungen hin nur herzlich wenig nberragte. Gustav Jäger batte schon 1868 "die Darwinsche Theorie in ihrer Stellung m Moral und Religion" behandelt, zu einer wirklichen Grundlegung der Ethik auf dem neugewonnenen Boden suchten dann H. Rolph und besonders der steyrische Dichter und Abgeordnete B. von Canneri in seinen Werken, dessen erstes: "Darwinismus und Stt-lichkeit" 1871 erschien, vorzuschreiten. Aber die Kirche war lange nicht die schlimmste Gegnerin des Darwinismus in Deutschland, wir sahen sogar eine liberale Theologie der Forschung sich vollstândig beugen, die nicht mehr zu leugnenden IThatsachen anerkennen und hervorheben, dass sie das religiôse Gefühl in keiner Weise zu beeintrâchtigen imstande seien. Sie fand schliesslich die Abstammung vom Tiere anstândiger, als aus Schlamm, das Emporsteigen ehrwürdiger, als das Herabsinken, eine Entwicklung nach natürlichen Gesetzen dem hôchsten Ideal würdiger, als das plôtziiche Erschaffen aus dem Nichts, was immer ein wenig an Zauberei erinnert. Einen schlimmeren Hemmschuh bildeten iauch hier jene ait gewordenen Naturforscher, welche kraft einer lin ihren jüngern Jahren erworbenen Autoritât zu sagen lieben: %,La science c'est moil" oder: "Wir haben den Syllabus festzustellen!" fund nichts gelten lassen wollen, was nicht um ihr specielles Placet fund Fiat gebettelt hat. Solche Schein-Autoritâten hat es in allen iEpochen gegeben, und Karl Vogt (der früher mitunter bessere jSachen geschrieben hat, als seine Microeephalen-Theorie (1866), Idie dem Darwinismus zum grôssten Kreuz gereichte) hat sie in fseinem „Ocean und Mittelmeer»*) wundervoll abgemalt und gesagt, sie waren "eine wahre Plage und ein fressender Krebs für Idie Wissenschaft eines ganzen Landes". Solche Leute lassen sich

j *]

Frankfurt a. Main 1848. Band t. Seite U4 120.

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auf keine eingehende Widerlegung oder auf einen Disput ein,! denn dazu fehlen ihnen die nôtigen Vorkenntnisse, aber sie benütze» I alle die Gelegenheiten, welche ihnen die Prâsidentschatt wissen-! schaftlicher Vereine, der Besuch der unwissenschaftlichen Wan- I derversammlungen u. s. w. bietet, um den ihrer Obhut entschlüpften I Neuerern einige Bosheiten zu sagen, welche die Meute untergeord- i neter Skribenten, die sie zu ihrer Verfügung haben, dann weiter | bellt. Den bekannten franzosischen und amerikanischen Pâpsten, 1 de Quatrefages und Agassiz reihte sich darin unser ebenso! allwissender als unfehlbarer Virchow auf das Würdigste an.

Aber es ist ihm darin nicht besser ergangen, als Agassiz; e: j hat den Niedergang seiner Autoritât nur mit seiner kritiklosen 1 Opposition beschleunigt, und zwar nicht bloss auf Baturwissenschaft \ liebem, sondern auch auf medizinischem Gebiete, wo er von Neu» j| ungen ebensowenig etwas wissen wollte und der neuen Ansteckung» lehre Steine in den Weg warf, so lange es nur môglich war. Vong der schmerziicheh Resignation des alten Agassiz hat uns Tyndallf erzâhlt, der kurz vor seinem 1873 erfolgten Tode in einem Natur-forscherzirkel mit ihm zusammengetroffen war. -Es war ein herr-lieber Tag und man war in der heitersten Stimmung, welche der Blick auf die farbenprâchtige, mit den Gluttinten des amerikanische,, Ahorns leuchtende. Herbstlandschatt erhôhte, als das Gespräch auf den beispiellosen Erfolg der Darwinschen Theorie kam. Plot,; lich wandte sich Agassiz mit einer tiefen Bewegung um ni, sagte, der sinkenden Sonne nachschauend, mit melancholische* ' Ausdruck: "Ich gestehe, dass ich nicht erwartet hätte, diese Theorie!, von den besten Geistern unserer Zeit so aufgenommen zu 8ehen.-. wie sie es ist. Ihr Erfolg übersteigt alles, was ich mir je einzu-bilden imstande gewesen wâre".

Bei der besonderen Verehrung, die Darwnn for die deutsche ' Wissenschaft und das deutsche Universitâtswesen hegte, «»ft» ihm der Angriff, welchen Virchow auf der MûnchenerNaturforscher-Versammlung (1878) gegen die Freiheit der Lehre erhob, m hôchsten Grade beklagenswert. Ich habe zwei Briefe Darwin. ® Haeckll aus dem Anfang des Jahres 1879 vor mir liegen, in denen er sich mit einer ihm ganz fremden Herbigkeit über den Mut ausspricht, "dem er frûher eine besondere Verehrung gewidmet habe". So oft er auch sonst Haekkel gebeten batte, in seinen

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Streitschriften die mildesten Worte zu wâhlen, diesmal fand er dessen scharfe Erwiderung*), nachdem er sie genau durchgelesen, vôllig am Platze und erklärte: "Ich stimme mit allem überein, was darin steht». Persönliche Angriffe konnte er in jeder beliebigen Hôhe ertragen, aber dass ein Mann von solcher Autoritât sich hinstellen und die freiwitlige Unterdrùckung von Uberzeugungen ver-„ langen konnte, zu denen jemand durch die freie Forschung geführt I wird, das brachte ihn in Erregung, und er hoffte, „dass Virehow eines Tages selbst Scham über das, was er gethan, empfinden

werdTrotz der grossen Mühe, die das Lesen deutscher Bücher und das Verfolgen deutscher Zeitschriften Darwnn verursachte, wird man beim Durchblättern jedes seiner Werke veranlasst, sich zu wundern, bis zu welchem Grade er ûber den augenblicklichen Stand der deutschen Forschung hinsichtlich jeder Frage, die er in Angriff nahm, unterrichtet war. In dieser Beziehung gingen ihm aber ohne Zweifel mehrere seiner Kinder, denen die deutsche Sprache vôllig gelâufig ist, zur Hand. Darwnn begrusste es mit lebhafter Freude, als er im Jahre 1876 die Nachricht erhieit, dass in Deutschland eine neue Zeitschrift, der „Kosmos" begründet worden sei, welche sich gânzlich der Ausbildung seiner Lehre widmen wollte. Er gab bereitwillig seine Einwilligung, dass sein Name - "wenn er der Sache nûtzen kônne" - mit auf den Titel kam, obwohl er fürehtete, dass ein in seinem Gebiete so eng begrenztes Journal kaum würde bestehen konnen, wozu in England sicherlich keine Aussicht sei. Aïs Heraasgeber hatte ich das Glück, dadurch in nâhere Beziehungen zu dem grossen Manne zu kommen, manche Ratschläge zu erhalten und viele herzgewinnende Seiten seines seltenen Charakters nâher kennen zu lernen, wovon in einem spâteren Kapitel einiges zu erzâhlen sein wird. Nichts konnte ihn mehr freuen, als wenn er in jener Zeitschrift einmal herzhaft angegriffen wurde, „wobei immer etwas zu lernen wâre", und dann schrieb er mit besondrer Anerkennung. Auch davon soll spâter ein Beispiel gegeben werden und ebenso von den Huldigungen, die ihm aus deutschen Naturforscherkreisen dargebracht und mit lebhafter Freude aufgenommen wurden.

~~ *) Freie" Wissenschaft und freie Lehre. Stuttgart 1878.

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X. Darwins letzte Lebensjahre una Arbeiten.

Genau wie er es nach Beendigung seines Hauptwerkes gethaV so zog sich Darwin auch, nachdem er sein Buch über „die Abstammung des Menschen" und die dazu gehôrige Arbeit über de»., „Ausdruck der Gemütsbewegungen" veröffentlicht hatte und den4 selben einige kleinere Abhandlungen über den „Ursprung gewisser I, "■ ■takte"*) und über „rudimentare Bildungen"-) hatte folgen lasse«,, wieder auf die Beobachtung der Pflanzen zurück. Im Sommer 1860 * war ihm bei dem Besuche eines Heidemoors in Sussex aufgefalle, eine wie grosse Menge von Insekten der rundblättrige Sonnento' (Drosera rotundifolia) auf seinen oberseits mit zahlreichen Diusen- ; haaren oder Tentakeln versehenen Blâttern eingefangen hatte. Diese ^ Tentakeln endigen in braune Kôlbchen, welche klare Schlemvtropf- „' chen absondern, so dass diese Sumpfpflanze auch noch in der Mit-'; tagssonne wie bethaut erscheint. Von ihren Schleimtrôpfchen werden'" Insekten angelockt und festgehalten, und zwar nicht bloss gml" kleine, sondern, wie Darwnn und andre Beobachter festgestellt haben, selbst Schmetterlinge und Libellen.Darwnn wusste damals ; nicht, dass dieser Insektenfang schon die Aufmerksamkelt zahl- ; reicher Botaniker erregt und dass namentlich der deutsche Bo-', taniker Roth die Art und Weise des Einfangens schon ,.". achtzig Jahren ziemlich eingehend studiert hatte, wobei ihm aucb-1 aufgefallen war, dass die Drüsenhaare einigem— reizbar sind l! und sich auf das Beutetier zusammenneigen. Er wusste eben., % wenig, dass der Botaniker Ellss im vorigen Jahrhundert an eine, " zu derselben Pflanzenfamiuie gehorigen amerikanischen Sumpf-" gewâchs, der Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula), analoge Beobachtungen gemacht hatte, und dass Diderot diese Pflanze, deren vorderer Blattteil reizbar ist und sich plôtziich zusammen-klappt, wenn *ein Insekt sich darauf setzt, eine "beinah fleuch-fressende" genannt hatte, wâhrend Darwins GrossYater diese Em-

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Ipfindlichkeit der Droseraceenblätter nur fûr ein Mittel angesehen E hatte, sich der laubfressenden Insekten zu erwehren. I Darwnn interessierte sich fur diese Erscheinung, begann I genauereBeobachtungen anzustellen und überzeugte sich bald, dass 1 ss sich dabei um ein wirkliches Verdauen der Tierleichen durch f den ausgesonderten Saft handele, wobei das sieh krùmmende Blatt 1 eine Art Magenhöhle bildet. Er veranlasste nun seme botanischen I Freunde, namentlich Hooker und Asa Gray, analoge Beobach-Itungen über Pflanzen zu sammeln, die in besonders geformten I Blättern Schleim absondern und Insekten fangen und begann eine 1 systematische Versuchsreihe über die Verdauungsvorgänge bei den-1 jenigen Pflanzen, die er in seinem Garten oder Gewächshause belichten konnte. Vor allem frapperend waren natürlich diejenigen I Versuche, welche darthaten, dass die Verdauung der stickstoffhal-I tigen Kôrper innerhalb dieser blattformigen Magen in sehr vielen

Einzelnheiten mit der Verdauung im Tiermagen übereinstimmt. J Sobald ein Bissen, mag er nun in einem Insekt, einem feinen I Stückchen rohen Rindfleisches oder gekochten Eiweisses bestehen, 1 auf das Sonnenthaoblatt gelegt wird, so beugen sicb die Wimper-! kôlbchen von allen Seiten auf dasselbe, wobei sich das Blatt 'krümmt, und beginnen reichlich Flûssigkeit auszusondern, wie die Magendrüsen es thun, wenn ein Tier eine Mahlzeit zu sich | genommen. In beidenFällen ist diese Flüssigkeit stark sauer, was beim Sonnenthau um so auffälliger ist, als die aut den Drüsen stehenden Trôpfohen vorher nur fade schleimig oder doch nur sehr schwach sâuerlich schmecken. Darwin hat den berühmten Che-| Düker Frankland veranlasst, den Saft zu untersuchen, wobei neben der Sâure, die wahrscheinlich Propionsäure ist, die Gegen-1 wart eines dem Pepsin, dem verdauenden Principe des tierischen Magensaftes, ahniichen Kôrpers festgestellt wurde. Ohne in FM-1 nis überzugehen, wurden Fleisch- und Eiweissbissen nach Ablauf I weniger Tage bis zum vôlligen Verschwinden in dem Safte aufge-S löst; von den Insekten bleibt natürlich die hornartige Körperbedeckung stets unaufgelost zurück. Waren den Blâttern allzugrosse f Fleischstückohen gereicht worden, dann gingen sie nicht selten an | einer Indigestion zu Grunde.

|         Von diesen Untersuchungen Darwnns srhielt das grôssere

I Publikum zuerst durch einen Vortrag Kenntnis, den Dr. Buddon-

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Sanderson im Sommer 1874 vor derLondoner „Royal Institut^ einer Anstalt fur freie wissenschaftliche Vorträge Meli.*) Erhalte an den reizbaren Blâttern der Venus-Fliegenfalle âhniiche dj trischeStröme, wieuu Bois-Reymond an den gereizten tierischen* Muskeln nachgewiesen, und erwähnte dabei der weitem von Darwin entdeckten Analogieen zwischen Tier und Pflanze. Letzterer \ hatte inzwischen seine Versuche auf eine Reihe anderer, teils ebenfalls zu den Droseraceen, tells zu andern Familien gehörig^ Pflanzen ausgedehnt, um sich zu ûberzeugen, dass diese Ernährung,! weise im Pflanzenreiche nicht so ganz vereinzelt dasteht. Am merä-l würdigsten erwiesen sich in dieser Beziehung einige Pflanzen am! der Familie der Lentibularieen. Darunter sind die im quelligj Moorboden wachsenden Fettkuaut-(Pinguicula-)Arten besonder» dadurch ausgezeichnet, dass sie neben der Fleischkost auch eial wenig Gemüse nicht verschmâhen und die auf ihre breiten Blätter! gefallenen Kiefernadeln ebenso in den schleimabsondernden Bl*| rand einrollen und aussaugen wie die Insektenleichen. Bei deJ meist im Wasser wachsenden Helmkraut-(Z7iWc«torta.)Aita.l tragen die untergetauchten, haarformig zerschlitzten Blätter in deJ Blattwinkeln kleine Bläschen, die ganz wie gewisse Mausefalle*! mit Klappthüren versehen sind, um kleine, zarte Flohkrebse ur^ Wasserkâfer, ja selbst eben ausgeschlüpfte winzige Fische (ral neuerlich beobachtet wurde) hineinzulassen und gefangen zu halU

plnzrdtngnenverwesen         "* *"" Zersetzun^rodukten *j

mm deTuTunsern Gewâchshâusern ihrer absonderlichen ForJ men wegen gezogenen Kannenpflanzen, die zu mehreren ver| schiedenen Famüien gehoren, haben sich die Blâtter in eigentûml liche, oft sehr zierlich gestaltete Schlauche von Kannenform, zu^ Teil mit beweglichen Deckeln gewandelt, in denen die Pflanze *,? reichliche Flüssigkeit aussondert, deren Menge oft auf mehrere Lei ' steigt. Gewöhniich ist die Ausgussöffnung des Schlauches m^ purpurnen Zeichnungen verziert, die Insekten anlocken, welche dann durch einen Streifen schleimiger Absonderungen in das Innere der Kanne^gefûhrt werden, wo sie in der ausgesonderten Flüssigkeit

*) Dieser Vortrag ist abgedruckt in der Zeitschritt „Natur," vom 14

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ertrinken, und ihre stickstofthaltigen Bestandtelle aufgelôst und zum Nutzen der Pflanze verwendet werden. Die Untersuchung dieser PflaNzen hatte D. Hooker auf den Wunsch Darwiss übernommen und berichtete ùber die Ergebnisse derselben auf der Versammlung der englischen Naturforscher zu Belfast (Sommer

Î874I)arwnn veröffentlichte" sein Buch über die „insektenfressenden Pfaanzen»*), welches wiederum das grösste Aufsehen auch in weiteren Kreisen erregte, erst Ende 1875. Er hatte an dem rundblättrigen Sonnenthau eine Menge physiologischer Experimente angestellt, die eine Reihe sehr merkwürdiger Ergebnisse lieferten. Sie betrafen zunâchst das Unterscheidungsvermögen der Blattorgane fur stickstoffreiche, nahrhafte Substanz, im Gegensatze zu stickstofffreien Stoffen, sowie den Grad der Reizbarkeit. Brachte er ein Sandkorn oder irgend eine andere unlösIiche mineralische Substanz auf die kürzeren Wimpern der Blattfläche, so neigten sich die Kôlbchen der Nachbarfâden anfangs zwar auch gegen den fremden Kôrper, aber sie schienen jedesmal sehr schnell zu merken, wenn kein Nahrungsstoff vorhanden war, und kehrten bald wieder in ihre naturliche Lage zurück. Die Empfindlichkeit erwies sich hierbei so weitgehend, dass ein kaum sichtbares Abschnitzel eines Menschenhaares, welches auf den empfindlichsten Wagen des Physikers kaum einen Ausschlag hervorgerufen hätte, auf die mittleren Kôlbchen gelegt, dennoch die ganze Nachbarschaft veranlasste, ihre Kôpfe zusammenzustecken und das Ding gleichsam zu beschnüffeln. Noch merkwürdiger erschien die Empfindlichkeit für die Wahrnehmung aafgelöster stickstoffhaltiger Verbindungen. Reines, auf ein Blâttchen gespritztes Wasser, z. B. ein Regenschauer, spült zwar nach und nach die Schleimtrôpfchen von den Tentakeln, aber es veranlasst dieselben - trotz der Heftigkeit seines Âufschiags - zu keiner Bewegung; sie scheinen recht gut zu wissen, was Regen und Wind ist, denn sie kùmmern sich gar nicht darum. Nun versuchte es aber Darwnn mit Wasser, in welchem eine Spur stickstoffhaltiger Verbindungen (Ammoniaksalzen) aufgelöst war, um sofort die auffallendsten Wirkungen zu

""" "Tw,Wo«S Plants, London 1875. - Ûbersätet von J. V. Carus im 8. Bande der „Gesammelten Werke" 412 Seiten mit 30 Holzschnitten.

X»....«,»,.Da,,i..                                                                           12

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erhalten. Wahrhaft lâcher!ich kleine Spuren von kohiensaure*,) saïpetersaurem oder phosphorsaurem Ammoniak veranlassten *.' bald die Umgebung des mit der Auflösung betupften Wimperr knopfs sich zu nâhern, um womôglich auch etwas abzubekommen Wurde das ganze Blatt in eine derartige schwache Auflösnng hin«. getaucht, so schlössen sieh dessen Fühlfäden alsbald krampfhaf,, w zn einer geballten vielfingerigen Faust.

Diese mit anderu Salzen, Sâuren, organischen und unorgan,i schen Stoffen bis ins Unendliche fortgesetzten Versuche, bei denen Darwin von mehreren seiner Söhne, namentlich von Francis unter-statzt wurde, liessen die ungemeine Aufsaugungsfâhigkeit der Kôlbchen und die Schnelligkeit, mit welcher sich der Reiz vec' denselben durch das Haar bis zum Blattgrunde und in diesem fc zu den nâchsten Wimpern fortpflanzt, deutlich erkennen. Die mi kroskopische Verfolgung der innern Vorgânge ergab zugleich, d»s' jede Aufnahme stickstoffhaltiger Substanzen alsbald siohtbar das Aussehen des Zellinhalts der Wimper und der BIattoberfläche a) . ihrem Fusse verânderte; die vorher klare, grûne oder rôtliche Zell- -

Ä^'2U einem truben ™--*'

Darwnn mochte sich aber nicht damit begnügen, nachgewiesen. zu haben, dass Pflanzen, welche im nahrungsarmen Moorgrunde oder r Sumpfe leben und mit ihren dûnnen Wurzeln nur spârliche SM- . stoffmengen erlangen konnen,Blätter erhalten haben, die sich aoT das edle Weidwerk legen und auf allerlei Weisen Insekten fange», ,. um den Kôrper mit Stickstoffnahrung zu krâftigen; denn wrr, finden das funfzehnte Kapitel des Werkes zu seinem grössta Teile der Untersuchnng gewidmet, wie jene so merkwûrdig zweckk-) mâssig für den Insektenfang geeigneten Einrichtungen der Blâtter : wohl auf dem natürlichen Wege der fortschreitenden Anpassung entstanden sein konnten? Da hat sieh nun Darwin eine in Por-tugal vorkommende und zu den Sonnenthau-Gewächsen gehôrige Pflanze, das Thaublatt (Drosophyllum) zu verschaffen ge-wusst und festgestellt, dass sie, gleich unserer Pechnelke und âhn-lichen Pflanzen, zahlreiche Insekten einfach als lebendige Leimrute einfângt. Die schmalen, lânglichen Blâtter derselben sind nâm-lich auf beiden Seiten mit zahireichen Drüsenhaaren bedeckt, die in reichlicher Menge sauren Schleim absondern, im übrigen aber

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nicht reizbar und unbeweglich sind. Dass es aber auch in diesem Falle auf Aussaugung des Fanges abgesehen ist, geht daraus hervor, dass der Schleim nach geschehenem Fang reichlicher fliesst und nach Auflösung der stickstoffhaItigen Bestandtelle zeitweise so schnell wieder eingesogen wird, dass das Blatt dann fur kurze Zeit vôllig trocken erscheint. Zwei andere, am Kap der guten Hoffnung und in Australien vorkommende Droseraceen (Roridula und By-W«) scheinen sich ganz âhnlich zu verhalten. Darwnn meint nun, dass, nachdem bei einzelnen Droseraceen ein Anfang gemacht war, die Ernâhrung der Pflanzen durch Insektenfang zu unterstützen, natûrliche Zùchtung leicht das Weitere bewirkt haben müsste. Die Reizbarkeit der Organe ist, wie wir schon oben (Seite 114) sahen, so verbreitet bei den Pflanzen, dass wir uns nicht wundern dûrfen, wenn sie schliesslich auch in den Dienst der Ernâhrung gestellt wurde. Da diejenigen Abarten, derenDrüsenfäden (Tentakeln) und Blatter Reizbarkeit erlangten, sich besser ernâhren mussten, so ist leicht einzusehen, wie sie durch Ausbildung dièses Vermogeas die stumpferen Genossen aus dem Felde schtagen konnten. Noch unter den echten Sonnenthau - Arten finden sich solche mit schmalen, beiderseits drüsentragenden Blâttern, wie sie Droxophyl-lum, Roridula und Byblü besitzen, bei den meisten aber ist nur noch die obere BIattfläche bis zum Rande mit Fangdrüsen

^Wâhrend aber bei all' den zahireichen, in der Blattform ausserordentlich weehselnden Sonnenthau-Arten die Drüsenhaare stets zugleich fangende, aussondernde und einsaugende Organe vorstellen, tritt bei einigen ihrer Verwandten eine weitere Arbeitsteilung ein. Bei der schon oben erwahnten Fleggenfalle (Dio-naea muscipula) aus Nordamerika sind die auf der vordem Blattfläche stehenden Wimpern gewôhnlich bis auf sechs (drei auf jéder Blatthâlfte) verringert, wahrend der Blattrand, den Augenwimpern âhniich, mit einer dichten Reihe ziemlich starker Borstën besetzt ist. Diese Wimpern fungieren hier aber nicht mehr als Schleim aussondernde und einsaugende Organe, sondern die ersteren nur als Tastorgane, welche die Schiiessung des Blattes bewirken, sobald ein Insekt sie berührt, die letzteren als Fangorgane, indem sie sich wie die Finger eines Betenden verschränken, wenn der vordere bewpgliche Blatttell sich iângst der Mittelrippe zusammen-

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geklappt hat. Als Verdaaungsflüssigkett aussondernde und » saugende Organe dienen hier völlig der Blattfläche eingesenkt« Drûsen. Eine âhniiche Reizbarkeit der Blâtter besitzt die Ald» vanda vesiculosa, eine bis nach Schlesien verbreitete Wasserpflanze der warmeren Lander aus derselben Pflanzenfamilie (Droseraceen) Jedenfalls haben wir hier eine lehrreiche Entwicklungsrahe von Pflanzen, die stickstoffhaltige Nâhrstoffe mittelst klebend« Stoffe fangen, zu solchen, deren Blâtter mit Reizbarkeit versehen sind und sich langsam zu kleinen Magenhôhlen umformen, und endlich solchen, deren Blatter, fast wie die Rachen eines Raubte» nach Beute schnappen. Mehrere BotaniKer des Festlandes, me C. Decandolle, Cramer, Duehartre, Duval-Jouve, Fahre, Göppert, E. Morren, Munk, Naudin, W. Pfeffer, Schenk bemängelten indessen die Darwinsche Schlussfolge, da nach ü™ Versuchen die Sonnenthau-Arten und mehrere ihrer Verwandten, wenn man durch Glaskâstea allen Insekten den Zutritt verwehrt,. rocht gat ohnoinsektenfang gedeihen. Francis Darwnb begann -deshalb im Juni 1877 eine ausgedehnte Versuchsreihe, bei weloherr ungefähr zweibundert Manzchen des rundbiättrigen Sonnenthaus, sâmtlich] unter dûnnen, jede Insekten - Annäherung verhindernden Gazeschleiern gezogen und teils zum Fasten verurteilt, teils in bestimmten Zwischenrâumen mit dûnnen Fleischschnitzelchen ge-fattert wurden. Es ergab sich, dass die gefûtterten Pflanzen nicht nur üppiger wuchsen, sondern drei bis viermal soviel Samen brach. tes, wie die fastenden, so dass der Nutzen ihrer Einrichtungen klar zu Tage tritt, und wahrscheinlich bei einer Fortsetzuag der Versuche durch mehrere Generationen noch auffallender geworden n sein wùrde.*)

Man darf nicht vergessen, dass zwischen die Publikationen der neueren Arbeiten Darwins immerfort neue Auflagen der âlteren Werke fielen und Fortsetzungen andrer Beobachtungsreihen Unter-brechungen verursachten, wâhrend andrerseits die schnelle Aufeinanderfolge verschiedener Werke in Darwins letzten Lebensjahren darauf beruht, dass er, auf ein langesLeben nicht rechnend, sich beeilte, wenigstens einzelne der zahlreichen, von langer Hand vorbereiteten Untersuchungen ihrem vorlâufigen Abschlusse entgegenzufuhreB

*) Vergi. „Ko8mos," Band II, Seite 565. (1877.)

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So nahm ihn gleich nach der Vollendung der „insektenfressenden Pflanzen,, die Niederschrift der Ergebnssse seiner langjährigen Versuche ûber den Nutzen der "Kreuzbefruchtung bei den Pflanzen« in Anspruch. Wir haben über dieses wichtige und wiederum eine grosse Arbeitssumme einschliessende Werk bereits oben (S. 109) im Zusammenhange mit den verwandten Arbeiten gesprochnn und wollen hier nur einige Zeilen aus dem Schlusse eines Briefes an Haeokel mitteilen, der vom 13. November 1875 datiert ist, und in welchem auch von der Fertigstellung dieses Buches die Rede ist:

I Ich habe wenig ûber mich selbat « sagen._ Meine

Gesundheit ist sicherlich besser als aie war, aber ich verliere noch immer, info)ge tag!ichen Übelbefindens, viele Zeit; doch ist alles vergessen, sobald ich bei der Arbeit bin. Ich bin jetzt damit beschäftigt, einen Bericht der zehnjahrigen Versuche Ube! das Wachstnm nnd die Fruchbarkeit vonPflanzen, die ~on gekreuzten und selbstbefruchteten Pflanzen

vou eteemtanLn0 PtoU'sLiniTder

jätt äst ar^r i^»

nen Individuum, welches aber lange dense!ben Bedingsngen ausgesetzt geweseu ist, auf den Nachkommen hat. Der Gegenstand leitet anf das wahre Princip des Lebens, welches Wecbse! in den Bedingungen beinahe zu fordern scheint.' Ich batte auch eine neue und revidierte Ausgabe meiner "Variation unter Domestikation" vorzubereiten

Sf Le£tnlmirSÄ䣣 «£« schwachten Denkorgan vermeideu....."

Damit hatee es nun keine Not, und kaum war das in Rede stehende Buch (November 1876) erschienen, so verôffentlichte er einen kleinen Artikel ûber "die geschlechtliche Zuchtwahl in Bezug auf die Affen",*) welchen die Leser im zweiten Teüe dieses Buches finden werden. Das Erscheinen eines Berichtes des französiachen Philosophnn H. A. Taine über die Entwicklung der Sprache und Ideenwett eines kleinen Mâdchens gab ihm wenige Monate spâter Veranlassung, ein Tagebuhh zu verôffentlichen, welches er vor siebenunddreissig Jahren über die Entwicklung eines

*) Nature Nr. 36~. (November 187S)

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seiner Kinder gefuhrt batte*) und welohes der Léser im zweiten ' Teile dieses Bûches ebenfalls wieder abgedruckt findet.

Darwins „biogTaphischeSkizze eines kleinen Kindes« hatte dea Erfolg, die Blicke vieler Personen auf ein bis dahin nahezu unbe-achtet gebliebenes, unzâhligen Menschen naheliegendes Forschung, gebiet zu lenken. Zwar waren in Deutschland bereits einige Untersuchungen in dieser Richtung angestellt worden. B. Sigssmund hatte schon 1851 seine Schrift ,Kind und Welt" und Prof. KuS8-maul 1859 sein „Seelenleben des neugebornen Menschen" ver-ôffentlicht, aber erst seit dem Erscheinen der Darwinschen Aufzeichnungen machte sich eine grôssere R~gsamkeit auf diesem Gebiete. bemerklich. Vor allem sind hier die schon vorher begonnenen Ar-; beiten dieser Richtung von W. Preyrr in Jena zu erwâhnen, von denen mehrere 1878 im „Kosmos" erschienon, worauf derselbe in seinem Bûche: ,Die Seele des Kindes" der Wissenschaft von dem Erwachen der Psyche (Psychogene^) eine ausgezeichnete Grundlage gab, auf welcher seitdem zahlreiche Forscher weiter gebaut haben. * Unter andern bat sich Frau Emilie Talbot in Boston, Sekretârin der Abteilung fur ErziehuBg bei der „Amerikani8chen Geselischaft' fSr Social-Wissenschaften" dieser Frage angenommen und Dar-win gebeten, ihr ein Verzeichnis solcher Fragen zu senden, die durch eine statistische Organisation beantwortet werden kônnten, oder sonst von besonderem Interesse nach dieser Richtung wâren. Darwnn gab ihr folgende Punkte an, deren Feststellung ihm von Wertterschien und in denen einige merkwùrdige Probleme ang,

:rrr.i,r äs. fsra s--ts

unerzogener Personen au,

*) Mind 1887. No. 7, pug. 285-294. **) Berlin 1882. % Aufl. 1884.-Vgl. auch Schult«, Prof. Dr. Knü, Sprache des Kindes. !881. Leipzig, Ernst Günthes« Verlag.

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geübt wird, so scheint es nicht unmôg!ich, dass irgend oine von der Erziehung übermittelte Wirkung nur in einem etwas fortgeschrittenen Alter entfaltet wird. Es wùrde wünschenswert sein, in einer ahnlichen Weise statistisch die Wahrheit der oft wiederholten Behauptung festzustellen, dass Kiuder vou Farbigeu zuerst ebeuso leicht lernen, wie Kinder vou Weisseu, aber uachher in, Fortschritt zuruckbleiben. Wenn bewiesen werden könnte, dass Erziehung nicht allein iu dem Individuum, sondern durch erbliche' Obertragung iu der Rasse wirksam ist, so würde dies eiue grosse Ermutigung fur alle Thâtigkett an diesem hochst wichtigen Gegenstande sein. Es ist wohibekann,, dass Kinder manchmal m emem sehr frühen Alter besoudre heftige Geschmacksrichtungen (tastes) darbieten, für welche keine Ursache angegehen werden kann, obwohl aie geiegeutlich durch Rückfall auf den Geschmack oder die Beschâftigung irgend eines Vortahren begründet werden; und es würde intéressant seiu zu erfabren, wie weit solche fruheu Geschmacksentwicklungen dauernd sind und die kUnftige Laufbahn des Individuums beeinflussen. In einigen Fällen schwinden solche Geschmacksrichtungen dahin, ohne auscheinend eine Nachwirkuug zurUckxutassen; aber es würde wünschenswert seiu zu wisseu, wie weit dies gewôhulich der Fall ist, da wir dann erfahren würden, ob es vou Wichtigkeit ist, die früheu GeschmacksrichtuBgeu unserer Kinder, soweit dies moglich ist zu leiten. Es mag wohltätiger seiu, dass ein Kind irgend einem Streben, sei es selbst von spielender Natur, foigen darf und so Beharrlicbkeit erwerbe, als dass es davon, weil es vou keinem xukUnftigeu Vorteil für dasselbe ist, abgelenkt wird. Ich will iu betreff sehr juuger Kinder einen andern kleinen Untersuchungs-Punkt erw&hnen, der sich môglicherweise in Bezug auf deu Ursprung der Sprache als wichtig erweisen mag, aber nur durch Personen, die ein genaues musikatisches Gehör besitzen, untersucht werden kann: Kinder dracken, sogar schon bevor sie artikulieren kônneu, manche ihrer Gefühle durch Stimmgerausche aus, die sie in verschiedenen Touarteu ausstossen. Sie macheu z. B. ein fragendes Gerausch uud andere von zustimmeudem oder widerstrebendem Charakter in verschiedenen Tonarten, und es würde, glaube ich, der Mühe wert sein, Gewissheit zu erlangen, ob es dabei unter verschiedenen Kindern irgend eiue Gleichförmigkett in der Ursache ihrer Stimmen bei verschiedenen Gemütszustandeu giebt."*)

Darwnn näherte sich nunmehr den Siebzigern und er hätte sich somit wohl Ruhe gönnen kônnen, aber er konnte durchaus nicht unthätig sein und gab 1877 eine neue, stark überarbeitete und um mehrere wertvolle Kapitel vermehrte Ausgabe seiner 1862

^Der hier mitgcteiite Bticf Darwins wurde auf einer Versammlung der Wltachaft in Saratoga vorgeiesen uhd in der eughschen Zeitachrift „Na*** Wm 88. Oktnbfr 1881 nbgedruckt.

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bis 1868 erschienen Arbeiten über, "die verschiedenen Blut**: formen bei Pflanzen dersélben Art" (Vergl. S. 112) heraus und batte auch bereits eine andere Beobachtungsreihe in Angriff ge-

""""jT"Jahre 1879 fand er sich zu einer kleineren Arbeit veranlasst, die ihn nach den anstrengenden Arbeiten der letzten Jahre wie eine Erholung dünken mochte. Der „Kosmos" hatte zu seinem 70. Geburtstage (12. Februar 1879) ein Gratulationshett *) veranstaltet, zu welchem A. Fitger, Preyer,Haeckel, GustavJäger, Fritz und Hermann Müller Beitrâge geliefert hatten, und welches mit einem Aufsatz beschlossen wurde, in welchem der Schreiber dieser Zeilen den Nachweis führte, dass bereits der Grossvater Darwins zwanzig Jahre vor Lamarck ein konsequentes System der Descen-denztheorie aufgestellt habe. Der darüber erfreute Jubilar schrieb bald darauf, zugleich im Namen seines Bruder Erasnms, dass sie, wenn ich nichts dagegen hätte, eine englische Ubersetzung des Essays veranstalten woliten, und dass er vielleicht eine biographische Einleitung dazu schreiben würde, wozu sich mancherlei Materialien in seinen Hânden befanden. Selbstverstandiich stimmte ich dieser Absicht mit grosster Freude zu und bemühte mich, den Aufsatz durch einige Zusâtze zu verbessern.

In letzter Instanz war es offenbar. Pietât gegen das Andenken des Grossvaters, welches den in so viel wichtigeren Arbeiten verstrickten Enkel veranlasste, die Familien-Archive noch einmal durchzusehen, seine eigene und der älteren Familienglieder Erinnerung zu befragen, um diesem Gemùtsbedurfnisse zu genügen. Eine dem Grossvater im Leben befreundet gewesene, heute völlig vergessene Schriftstellerin, Miss Anna Sewar,, batte nach seinem Tode Gelegenheit genommen, meiner ausführlichen Biographie den Charakter des Mannes, dessen Wirken so vielfach rein humanitâren Bestrebungen gewidmet gewesen und dessen hervortretender Charakterzug, nach der Ansicht aller übrigen Personen, die ihm nahe gestanden hatten, Herzensgüte gewesen, nach mehreren Sichtungen zu verdâchtigen und ihm verschiedene Schwâchen und Mängel anzudichten. Allerdings war sie gleich nach dem Erscheinen ihres Buches (1804) genôtigt worden, ihre Angaben als missverstândiich

*) „Konto.,» Band IV, pag. 827-424.

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und unbegrûndet zu widerrufen, aber ein solcher in einer Zeitschrift versteckter Widerruf verhallt, wâhrend ihr Buch mit den anbegründeten Anklagen in vielen Bibliotheken zu finden ist.

Es war nun ein herzgewinnender Zug, dass Darwnn die ihm durch meinen Essay gegebene Gelegenheit sogleich ergriff, um die vollige Grundiosigkeit jener Verleumdungen nachzuweisen. Er zeigte in seiner eingehenden Darstellung, dass es wahrscheinlich verschmahte Liebe gewesen ist, welche der Biographin so bittere Worte, deren Veröffentlichung sie spâter selbst bereuete, eingegeben hatte. Das Buch erschien Ende 1879*), und die in der englischen Ausgabe 127 Druckseiten umiassende Einleitung Darwins ûberraschte die Leser, welche bis dahin nur ernste und wissenschaftliche Werke aus dieser Feder gelesen hatten, durch den guten Humor und die eingehende Schilderung mancher Einzelheiten aus dem englischen Familienleben im vorigen Jahrhundert. Leider war bei der Herausgabe ein Versehen begangen worden, welches, obwohl âusserst geringfügig, doch Veranlassung zu gehâssigen Angriffen gegen Darwnn wurde. Er batte vergessen, in der Vorrede zu bemerken, dass mein Aufsatz vor der Übersetzung revidiert und mit einigen Zusâtzen verseben worden war. Zu diesen Zusâtzen gehorte auch das Schlusswort, welches lautet: „Erasmus Darwins System war eine in sich bedeutungsvolle Vorstufe des Erkenntnisweges, den uns sein Enkel eröffnet hat, aber es in unsern Tagen neu beleben zu wollen, - wie es ja in allem Ernste versucht worden ist, - das zeugt von einer Denkschwâche und einem geistigen Anachronismus, um den man niemanden beneiden kann." Diese Worte bezogen sich auf einen englischen Schriftsteller, Mr. Samuel Butler, der drei Monate nach dem ersten Erscheinen meines Aufsatzes ein Buch (Evolution Old and New, London 1879) veröffentlicht hatte, in welchem er unter andern schonen Dingen zu zeigen suchte, die Evolutions-Theorie des Grossvaters sei viel sinnreicher und der Wahrhett nâherkommend gewesenes die des Enkels.

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Als nun die englische Übersetzung meines Essays mit Darwins Einleitung erschienen war, erhob jener, in seinen Mitteln sich be-kannMu machen, nicht sehrwählerische; Schriftsteller in den ver~ scbiedensten englischen Journalen die Anklage, Darwnn habe denselben nur ûbersetzen lassen, um sein ebengenanntes, bel Beginn der Cbersetzung noch nicht einmal erschienenes Buch im vorausYu dis-

kreditieren und zu dieser Unthat habe er die Fälschung gefügt durch absichtliche Verschweigung meiner Révision die englieTut gabe fur die genaue Cbersetzungmeines Aufsatzes im ursprünglichen

durch absichtliche Verschweigung meiner Révision die englische Ausgabe fur die genaue Cbersetzungmeines Aufsatzes im ursprünglichen Zustande auszugeben. Vergebens erkannte Darwnn in einem Briefe

an den Klâger sein „schweres Versehen" an und versprach die Sache bei einer folgenden Ausgabe zu verbessern: Samuel Butler schleuderte unbarmherzig ein umfangreiches Buch (Unconscious ~e-mory, London f880) gegen den „Fâlscher". Die Sache war âusserst

komisch, denn hâtte hier eine Absichtlichkeit vorgelegen, so hätte dieselbe nur einem Menschen auf dieser Welt Nutzer! bringen kônnen nâmlich dem Ankläger, Herrn Samuel Butler, sofern sie

oiGS m 6Tken kn:e'd" Ery, sei genau **er vorlag,drei

oder vier Monate vor Butlers Buch geschrieben, und der Autor hâtte mit den „denkschwachen" LeuL am wenigsten auf iZ Butler anspielen kônnen. Eine Schrift, die von Karl dem Grossen handelt, kann doch nicht vor Christi Geburt geschrieben sein, und ein Fälscher, der einen vorchristlichen Codex abfasst, wird darin nicht emmal andeutungsweise von Karl dem Grossen sprechen.

Die Angelegenheit verdiente nur aus zwei Grûnden eine Erwähnung, einmal weil mancher Leser von der Sache gehort haben könnte~ ohne den klaren Zusammenhang durchschauen zu kônnen, und dann, weil sie deutlich zeigte, dass in England unter der Decke der âussern Hôflichkeit immer noch ein tiefer Hass gegen den Stôrer, des Quietismus glomm, denn mehrere der angesehensten Zeitungen und RevùenEnglands entblödeten sich damals nicht, von diesen ebenso frivolen als absurden Anklagen in einer Weise Notiz zu nehmen, dass daraus deutlich ibre wahre Gesinnung hervorleuchtete. Keinem der Herren Redakteure fiel es, bevor sie eine so hässliche Anklage aufnahmen.; ein, sich zu fragen, wieso denn Mr. Butler dazu komme, sich mit so schweren Vorwûrfen über einen einfachen Akt der Vergesslichkeit, der niemandem Schaden, ihm selbst aber augenscheinlichen Vorteil brachte, zu beklagen?

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......Ausser mehreren kleinen Notizen, dieDarwin zu jener Zeit ver-

^entliehte, z. B. "über die Fruchtbarkett von Bastarden zwischen der gemeinen und der chinesischen Gans" und ûber "die geschlechtlichen Fârbungen gewisser Schmetterlinge", beschâftigte ihn damals seit lângerer Zeit die Beobachtung gewisser Bewegungen der wachsenden Pflanze unter dem Einflusse der äussern Agentien. Fast scheint es, als ob eine lange, zurûckliegende Beobachtung von Eosa Müller, der geistig ausserordentlich geweckten, aber leider frûhverstorbenen ältestenTochter Fritz Müllers, den ersten Au-stosszudiesen Beobachtungen gegeben habe. F. Müller schrieb an Darwin, bald nachdem dieser seine Untersuchungen über windende Pflanzen abgeschlossen hatte, dass auch an den Stengeln nicht windender Pflanzen eigentùmliche Kreisbewegungen der Stengelspitze vorkâmen, und dass seine (damais elfjährige) Tochter solche Bewegungen an der gemeinen Leiupflanze wahrgenommen habe. Darwin antwortete ihm damais (9. Dezember 1865):

„Das ist eine merkwûrdige Beobachtung Ihrer Tochter, ûber die

Fritz Mülerr veröffentlichte seine Beobachtungen über die Stengelspitze des Flachses im fünften Bande der Jenaischen Zeitschrift fur Naturwissenschaften, aber Darwin behielt den Gegenstand im Auge und stellte eine grosse Reihe von zum Teil sehr subtilen Versuchen über die Bewegungen der Pflanzen an, bei denen er durch seine Sôhne Francis und Georg unterstitzt wurde. Mitteist eines sinnreichen grapbischen Verfahrens wurden die ermittelten Bewegungen auf Tafeln eingetragen, und durch die Beobachtung zahlreicher Pflanzen aus den verschiedensten Familien die Cberzeugung geschôpft, dass die meisten, wenn nicht alle noch im Wachstum begriffenen Pflanzenteile ununterbrochen âhnliche Kreisbewegungen (Circumnutaiionen) in bescbrânktem Massstabe ausfuhren, wie die Stengel der windenden Pflanzen es im weiteren Umkreise thun. Eine Pflanze ist aiso keineswegs das bewegungslos im Boden haftende Wesen, für welches wir es leicht zu halten geneigt sind, vielmehr sind alle âussersten Verzweigungen,

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Zweigspitzen, Blâtter und Wurzeispitzen in unaufhörüchen leisen    *

Bewegungen begriffen, ans denën Darwnn auf eine kreisëndë   *

Grundbewegung schliessenzu dürfen glaubte, ans der dieBewe-   *

gungen der windenden und rankenden Pflanzen, die heliofcopischen    !

Bewegungen, Schlafbewegungen der Blâtter u. s. w. als nützliche    l Abànderungen und Erweiterungen abgeleitet werden könnten.

Insbesondere interessierten ihn die Bewegungen der Wutzel-    7

spitze, die auf geneigten, berussten Glastafein geschlângelte Wachs-    E

tumsspuren zurückliess und von dieser Bewegung "den Vorteil    *

vorhalten würde, wenn sie gegen ein iri^tiTK^E    r

einen Stein im Boden der einen Reiz hervorrufen müsste, reifer    *

Korke weitha siger, teilweise mit Wasser gefüllter Maschen unter-    :

wârts angespiesst waren, durch Hollensteinätzangen oder durch     *

Memo angeklebte Papierstückchen, und jedesmal wandte sich die     ;

Spitze von der Reizstelle ab, so dass sie sich schliessiich, weil der     ^

^fortdauerte, spiralformig kernte. Wurde die Spitze" zwischen     l

hartem und weichem Papier eingezwângt, so zeigte sie eine Art     l

Unterscheidungsvermogen und wandte sich nach der Seite des     :

weicheren Papieres Es ist dies die von Wienner naoh ihrem Ent-     ^ decker sogenannte darwnnsche Bewegung.

wJSSÄSleicht'wie vorfceilhaft *-Feinfahligkeit der     !

ZZT T!lLll? T!' !? m sogleichvon einem auf ihrem    l

SSlVetl^des^tr d:er.Spi^ lie^d- w—

unters ütz. Kommt nâmiich diese/höher belegene Teü der

uZltZ T? haf\Kôrfr in Be^rung, so biegt er sich umgekehrt nach dem berührenden Gegenstande hin, und zwar ganz schroffund nicht in einem Bogen, wie die in Folge einseitiger Rei-

dass das Wurzelchen, sobald es die Kante eines auf seinem Wege hegenden Steines oder sonstigen mindernisses mit seiner Abwfci.

uiHem es um das Hmderms im Bogen herumwâchs^ aufkürzestem

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Wege wieder seine gerade Richtung zum Erdmittelpunkee erlangt, die man seit lange kennt und aïs „Geotropismus- bezeichnet hat.

Die Botrachtungen von Haberlatdt und andern deutschen Natucforschern vervollständigend, hatte Darwnn namentlich auch die Yorgânge beim Keimen verschiedener Samen zum Gegenatande seiner Beobachtungen gemacht. Er zeigte, wie der Keimung der meisten Dikotyledonen in einem steilen, rûckwârts gekrümmten Bogen (11) die Erde durchbohrt, weil er so am besten die an seiner Spitze befindliche Knospe schützt und sich dann erst gerade streckt, und wie sich am Keimling mancher hartschaiigen Samen, namentlich aus der Familie der Gurkengewâchse, dicht unter dom aus der Erde emporgewachsenen Samen ein Keil <mt-wickelt, der beim Geradestrecken des bis dahia gebogenen Keimlings die harten Samenachalen auseinander bricht, wie ein eigens dazu geschanenea Instrumen..

Von besonderem Interesse waren ferner die Beobachtungen Darwins ûber die sogenannten ,Schlafbewegungen» der Keim-und Laubblätter Yieler Pflanzen, namentlich aus den Familien mit zusammengesetzten Blättern. Er suchte zu zeigen, dass diese Bewegungen aus der Circumnutation aller letzten Verzweigungen der Pflanzen abzuleiten seien; aber wahrend dièse, wie wir oben (S. 113) erfahren haben, aus der ungleichen Ausdehnung der Zellen wachsender Teile hervorgehen, handelt es sich bei den periodisch wiederkehrenden Schlafbewegungen der Blâtter um die periodische Ansohwellung nicht völüg ausgewachsener Zellen, die in Meinen Polstèrn an der Basis der Blattstiele hegen. Zugleich stellte Darwnn den Nutzen der Schlafbewegungen der Blâtter fest, den

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er in der zeitweise« Vermindere der OberficW « BiÄs nnd der dadurch vermmderten Gefahr, in ki« Nähten -durch <lie

schein zu verdorren, fand. Versuche ergaben in der That, dass zwangsweise in ausgebreiteter Lage erhalteDe Blâtter in einer kühlen Nacht erfroren waren, wahrend daneben befindliche Blätter derselben Pflanze, die sichungehindert hatten zusammenlegen können den Frost ohne Schaden überstanden hatten. Darum ist es auch ganz gleich ob sich die Blâttchen nach oben oder unten zusammen-legen; die Individuen zweier nâchst verwandten ArteQ verfolgen deshalb hierin hän% den entgegeRgegetzten Weg.

sestltel BuT1û d «n BeiSPielen nDd Abbild^en ™-fr«*fl         \ ber1QOan BeweeW™rmögen der Pflan-

zen*) erschien Ende 1880, und überraschte seine Verehrer durch die Fülle der dann niedergelegten sorgfaltigën und zum Teil sehr

erhebheh unterstützn hatte. Allerdings erfahr dieaes Buch eitlen

ZaTS^^^^ aUJezeichneten ^enphysio-51LÜW'fS^ } Dr^^g^btenachveisen zn können, dass

Lichtbatte. ich bisj wie schon vor ihm Ciseelsky, beobaohtet zu haben, dass nur

Yorkommt, nicht die regelmässige Kreisbewegung zeige! ch alle TJnregelmässigkri+— JU~ j-- «^ - -eeinflüsse hervorbringet

-...........-.ndetsichWiesnr/g,

ich bis^jetzt absichtlich noch nicht erwähni habe. Darwnn glaubte,

welche Darwnn durch alle Vr.e^m^^ZZ^S

hit" r r weretrsse heLrbringen- - *2£SS

!ü f;^!L !.eni,w,eildet 8ifh Wiesnrg genee eineS Schluss, den

der oberirdischen wie der anterirdischenTriebE mit Empfindlichkett

gegen die richtenden Einflüsse der Schwerkraft, des Lichtes, der Feuchügkett^u s w. begabt sei, und dass deshalb enthauptete Wurzelchen beispielsweise, nicht wie gesonde WQrzeIchen, sich der

Feuchtigkeit u. s. w. begabt sei, und dass deshalb enthauptete ""'"*"" -——--.......-          en, sichder

« h Franci Iteu Werken"

**) Julius Wiesner, ..dasBeweminorsvprm«,

tische Studie über

er, dasBewegungsyennogen der Pflanzen", eine kri-

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Erde zukrûmmen konnten, wenn sie wagerecht gelegt wurden. Wiesnrr leitete diese Stôrungen einfach von dem gesamten Wachstum der Spitze ab und wollte auch die "Darwinsche Bewegung" (S. 188) nur von einem durch den einseitigen Druck ge, hemmten Wachstum ableiten. Er erkannte die Experimente Dawins als vollkommen richtig beobachtet an und bemângelte nur die Schlüsse; doch haben Wiesners Schlüsse ihrerseits wiederum Kritiken erfahren, so dass die Akten uber dieses jedenfalls eine reiche Fülle neuer Beobachtungen einschliessende Werk keinenfalls als bereits abgeschlossen zu betrachten sind.

Obwohl Darwnn sich nach znrûckgelegtem siebenzigsten Jahre im allgemeinen fast eines bessern Befindens erfreute, als in mittleren Lebensjahren, drângte es ibn, noch eine Reihe von langer Hand vorbereitote Beobachtungen in Sicherheit zu bringen, und so uberraschte er kaum ein Jahr später (November 1881) die Welt mit einem neuen Werke über ddie Bildugg der Ackererde durch die Thätigkeit der Regenwürmer nebtt Beobachtungen über ihre Gewohnheiten.-) Wir haben S. 39 gesehen, dass eine seiner ersten Veröffentlichungen demselben Gegenstande gegolten batte, aber da man seine Schlüsse ûber die Wichtigkeit dieser kleinen Mâchte im Erdleben bezweifelt hatte, so widmete er denselben mehr als ein Menschenalter hindnrch eine liebevolle Aufmerksamkeit, um über ihre Rolle in der Natur ins Klare zu kommen. Des Studiums ihrer Gewohnheiten und geistigen Fâhigkeiten halber wurden sie zu Hausgenossen gemacht, in BlumeRtopfen gezûchtet, und wenn alles rings umher still und dunkel war, vorsichtig mit Blendlaternen in ihrer Thâtigkeit beobachtet. Es zeigte sich, dass sie Licht empfinden, aber gegen matteres Licht und gegen strahlende Wârme nur wenig empfindlich sind. Geschrei, Musik, selbst schrille Pfeifentône stôrten sie gar nicht in ihren Arbeiten, wenn damit keine Erschütterung des Topfes verbunden war, so dass sie taub zu sein scheinen; im Geschmacke erschienen sie indessen wâhlerisch, indem sie manche Sorten

*) 7V formation »/ cegetable mould tAruugh the aciion 0/ worme with observations on their habits. London 1881 Deutsch von J. V. Car,s. Stuttgart 1882. 184 Seiten mit 15 Holzschnitten.

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m SS "mehrten1161 Mn,ng "*"**' "**"*■*■ mdeK  s

^ 1« TÜ lokaUsierter Tastsinn besonders enWckett  *

aein muss, zeigt ihre Behandlung der welken Blâtter, die aie im   l

warmen Herbst- und Frûhhngsnâchten in ihre Köcher hineinziehen,   ,

um sie dort zu verzehren. Sie brauchen den Mund dabei entweder   i

als Greifen, indem sie ihn in eine Ober- und Unterlippe teile,,   j

um die Blatter am Rande zu ergreifen, oder als Saugorgan, indem   l

sie dieselben mitten auf der Flâche ansaugen. In den meisten   "

Fâllen ziehen sie dieselben, wie Darwnn durch zablreiche Cache   1

festgestellt bat, mit dem schmaleren Ende voran in die Lôcher und   ?

müssen sich deshalb eine dunkle Vorstellung von der Gestalt der   s

Blâtter rerschaffian können, iei denen balddasSeheitelende, bald das   J Stielende schmâler ist. Die Fôhrennadeln, deren immer wenigstens

zwei zusammenhangen, wurden ausnahmslos an dem Scheidenende   s

erfasst, wahrscheinlich weü sie sich sonst leicht vor der öifhung   *

spreizen. Die Blâtter werden teils innen verzehrt, nachdem sie   ä

mit einer alkalischen Flûssigkeit benetzt worden 'sind, die ihre    !

Zersetzang beschieunigt, teils werden sie zum Ausf&ttern und Ver-   l

stopfen der Gânge gegen die Kälte verwendet, dooh werden zu    i

beiden Zwecken hâufig anch kleine Steinchen mit dem Rüssel her-    *

Fehlt es denWürmern an Blâttern zur Nahrung, so lassen sie    i Wki auch die mit organischen Stoffen getrânkte iL Erde durch    ! ihren Kôrper gehen, und dasselbe geschieht auch, wenn sie sich neue    \ Woher wûhlen, wobei die Erde, die ihren Leib passiert, mittelst    * kleiner im Muskelkropf befindlicher Steine feiner gemahlen und    " zugleich mit orgamschen Ausscheidungen getrânkt, in Form gewundener fadenfôrmiger Exkremente in kleinen Hâufchen ûber den    ' Gangmündungen angehâuft wird. Bei einigen am Mittelmeer und    T in warmeren Landern lebenden Erdwùrmern werden die Exkremente in Fprm von Tûrmchen, die mehrereZoll Höhe erreichen, über den OfFnungen emporgetrieben. Auf diese Weise sorgen die Erdwûrmer bestândig fûr die Emporschaffung neuer Erde aus der Tiefe an die Oberfläche, und Darwin hat durch Versuche und Re hnungen

gestellt, dass in vielen Teüen Englands jahriich auf jedem Acre

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Dicke von 0,2 Zoll ûber dieOberfläche gebreitet wird, so dass alle daselbst befindlichen Gegenstande allmâhlich bedeckt werden, auch Mûnzen, Waffen und andere verlorene Gegenstânde, die dadurch fur spatere Auffindung in den sichern Erdenschoss gebettet werde, Auch sonst haben sie den Archâologen Dienste geleistet, indem sie die schônen Fussboden mancher rômischen Ansiedlungen allmählich mit einer dicken Schicht Erde bedeckten, da ihnen die Fugen

ziehend. Sogar grosse Steine, seien es megalithische Monumente, oder umgestürzte Sâulen, wurden auf diesem Wege immer tiefer eingesenkt, und kein Bauwerk ist in dieser Beziehung sicher wenn seine Fundamente nicht wenigstens sechs bis siebe'n Fuss, unter die Uberfläche hinabgehen, denu so tief unterminieren die Wurmer den Boden und veranlassen sein allmâhliches Nachsinken.

7iPhPrrsien^flMenge°firgr.cher Stoffe in die Erde hinein-

ziehen, an der Oberflache befindhohe organische Reste, Knochen, Insekten eichen, Blâtter u. s. w. begraben und zugleich frische Mmeralstoffe aus der Tiefe emporschaffen, befôrdern sie die Fruchtbarkeit der Oberflächenschicht ausserordentiich und sind die eigentlichen Bildner der lockern Ackerkrume, wie dies Darwnn schon

eine fast gleiohfôrmige Oberflächenschicht des Sandes von einem

Locher halten den Boden für Wasser durchlässig und deren ^ organischen Stoifen getrânkte Wandungen bieten "spâter Pflanzen-wurzein die denkbar günstigste Gelegenheit zum Eindrinwn nnri Gedeihen.                                         k                   ^nngen und

Kf:ina!!Uon,!ft;adIDarWin bei dei' Beobacht«^ d« Erdwùrmer

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ganz besonders interessierte, war ihre geologische Wirksam-bei,, der, Anteil, den sie an der Veranderung der Erdoberflâche nehmen und seit Urzeiten genommen haben. Nach der Untersuchung ihrer Thâtigkeit im alten Gemâuer konnte es nicht mehr zweifelhaft sein, dass sie auch losen Felsboden angreifen (der vielleicht mit Hülfe der aus den verrotteten Blâttern gebildeten Humussâuren schneller zersetzt wird), ihn mit Hûlfe der Steinchen in ihren Krôpfen zermahlen und an die Brdoberfläche schaffen. Sie erhalten dadurch selbst auf mit Rasen bedeckten Mächen einen nicht unwesentlichen Teil der Oberfläche in bestândiger Bewegung und machen ihn in seinem fein zerteilten Zuetande, nach dem Trocknen, sowohl geeignet, den Winden zum Spiel zu dienen und weiter geweht, wie auch auf allen geneigten Flächen vom Regen herabgeschwemmt zu werden und die Sedimente der Flüsse in einer Weise zu vermehren, die in geologischen Zeitraumen zu beträchttichen Wirkungen steigen musste.

„Wenn wir ein weites, rasenbedecktes Gefilde betrachten," sagt

findungen des Menschen, aber lange bevor er existierte, wurde das

noch viele andere Tiere giebt, welche in der Geschichte der Welt eine so wichtige Rolle gespielt haben, wie diese niedrig organisierten

SKTaSSTb^Shaben; aber diese sind fast gtelich auf tro-

Diese Worte zeigen fast am Ende der Darwinschen Laufbahn nochmals, welchen grossen Einfluss Hensloss Geist, „dem nichts so viel Freude zu bereiten schien, als wenn er aus winzigen Beobachtungen Schlüsse ziehen konnte," auf seinen Lieblingsschüler gehabt bat. Das Buch war im Manuskript bereits im Frühjahr

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vollendet und der Druck im Sommer nahezu fertig obwohl es nach englischer Gewohnheit erst im November ausgegeben wurde, so dass Darwins Geist und Hânde wieder frei waren für neue Arbeit. Obwohl er das Herannahen des Alters empfand, konnte er nicht ohne Arbeit leben, und begann seine Notizen über mehrere noch unerledigte Beobachtungsreihen vorzunehmen. Drei Probleme beschâftigten ihn in diesen letzten Zeiten besonders, nâmiicb der Nutzen verschiedenartig ausgebildeter Staubgefâsse in derselben Blume, was schon vor zwanzig Jahren seine Aufmerksamkeit erregt hatte, die Bedeutung der Bewegungen bei den sogenannten Sinnpflanzon, und die eigentùmliche Wirkung, welche sehr verdünnte Auflôsungen von kohiensaurem Ammoniak auf die Wurzelzellen verschiedener Pflanzen ausüben, woruber er bereits in den „Insektenfressenden Pflanzen"*) berichtet hatte. Nur die letztere Beobach-tungs- und Versuchsreihe bat er zu Ende geführt; die Abhandlung wurde ca. vier Wochen vor seinem Tode, am 16. Mârz 1882, in d Lumichen Gesellschaft gelesen.

Über die Bedeutung der Staubgefâsse mit verschiedener Anderen- und Pollenbildung in derselben Blume bat Hermann Müllrr bald nach Darwins Tode die Beobachtungen seines Brudera F*tz und seine eigenen veröffentlicht, woraus hervorgeht, dass es sich augenscheinlich um eine Art Arbeitsteilung unter den Staub-gefässen handelt, sofern sich die auffallenderen und zuweilen blumenblattariig ausgebildeten Staubgefâsse den Insekten, welche den Pollen der anderen unscheinbaren Staubgefâsse verbreiten, zur Nahrung bieten.)*) Ein grosser Verlust für die Wissenschaft ist es jedenfalls, dass es Darwnn nicht mehr vergönnt gewesen ist, sein Buch über die „Sinnpflanzen" zuYeröffentiichen, über die er ganze Stôsse von Noten und Notizen gesammelt, und deren Ratsel er von einem hôchst unerwarteten, aber wahrscheinlich richtigen Standpunkte aus in Angriff genommen batte. Niemand batte darüber bisher ins Klare kommen kônnen, was den Sinnpflanzen ihre Empfindiichkeit gegen âussere Berührungen und das Zusammenschließen ihrer Blâtter nützen kônne, und selbst Wallace, mit seiner, wie Darwnn einmal sagte, „natùrlichen

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Gabe, schwierige Probleme aufzulösen", wusste hierüber nur die offenbar ungenügende Vermutung zu äussern, dass sie vielleicht durch das Zusammenschliessen ihrer Blätter im Augenblicke der Gefahr dem Verschlungenwerden entschlüpfen.*) Ein anderer Grübler, den ich hier nicht namhatt machen will, hatte die nicht viel wahrscheinlichere Ansicht ausgesprochen, dass die Sinnpflanzen vielleicht durch ihre hastigen Bewegungen die Tiere, welche sich ihnen nâhern, um sie abzuweiden, in Sohreoken setzen und verscheuchnn möchten. Alle diese Vermutungen hateen sicher auch das Nachdenknn Darwins bereiss gekreuzt, aber sie hatten seinen eigenen Einwendungen nicht standhalten können und er verfolgee eine andre, mehr verheissende Gedankenreihe, über die er in der letzten Zeit mit Fritz Müller verhandelte, da dieser Gelegenheit hatte, die Mimosen und andere Sinnpflanzen in der Natur za studieren. Da er mit dem ebengennnnten Naturforscher wie gewôhniich auch über seine zuletzt in Angriff genommennn Arbeiten eifrig verhandelte, so wird es alle seine Verehrer erfreùen, aus einigen an denselben gerichteten Briefen wenigstens einige Andeutungen über seine letzten Arbeiten zu erhalten. Am 20. Mârz 1881 schrieb er unter andern:

„. , . nunmehr, da ich mich sehr ait fühle, bedarf ich des Reizes irgend einer Neuigkeit, um. mich zur Arbeit zn veranlassen. Diesen Stimulus haben Sie mir im weiten Massstabe in Ihrer schätzenswerten Au-

B\tmenbegregdebenedeutung ^ verschiedenfarbiSen. Staubgefltaaa in vielen ™.gApriri88l: „Ich schrieb nach Kew, um Pflanzen mit verschiedengefärbten Antheren zu erhalten, aber ich erlangte nur sehr geriuge Auskunft, da Systematike,, welche getrocknete Pflanzen beschreiben, wenig auf solche Punkte achten.......Im Laufe des

nâchsteu Herbstes oder Winters denke ich meine Notizen über den Nutzen oder die Bedeutung des „Reifs" oder der wachsartigen Ausscheidung, welche manche Blâtter blaugrün macht (falls sie der Veröffentlichung wert erscheinen) zusammenzustellen. Ich glaube Ihnen schon mitgeteilt zu haben, dass mich meine Experimenee zu der Vermutung geführt haben, die Bewegung der Blätter von Mimosa, Desrr»-dmm und Cassia beim Erschüttern oder Bespritzen geschehe, um die Wassertropeen abzuschütteln. Wenn Sie einmal im schweren Regen gefangen sitzen, würde ich Ihnen höchlichst verbunden sein, wenn Sie

AM X St?" .T~ - - «.«"*

*) A. R. Waacace, Die Tropenwelt. Brauuschweig 1879, Seite 67.

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Sehr bald konnte Fritz Müller an verschiedenen in seinem Garten gezogenen Sinnpflanzen die gewünschten Beobachtungen machen, und auf seine Mitteilungen darùber antwortete Dawwin, der damass eine kleine Erholungsreise gemacht hatte, am 4. Juii 1881:

"Ihre Freundiichkett ist ohne Greven und ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr Ibr letzter Brief vom 31. Mai mich interessiert hat. Ich habe Stôsse von Noten über die Wirkungen des auf Blättern bleibenden Wassers und ihrer Bewegungen, um (wie ich annehme) die Tropfen abzuschütteln. Aber ich habe seit langer Zeit diese Notizen nicht durchgesehen und war dazu gelangt, zu denken, dass meine Bemerkung vielleicht nur auf Einbildung beruhe, aber ich batte mir vorgenommen, mit Experimenten anznfaugen, sobald ich in mein Heim zurückgekeht, sein würde. Nunmehr aber mit Ihrem unschäbzbnren Briefe über die Stellung verschiedener Pflanzen wâhrend des Regens (ich habe einen entsprechenden Fall von einer Acacia aus Süd-Afrika) werde ich den Antrieb haben, im Ernst zu arbeiten........

13. November 1881: . . . „Ich habe Ihnen wenig oder nichts über mich selbst zu erzahlen. Seit ein paar Monaten bin ich beschaftigt gewesen, die Wirkungen des kohlensaueen Ammoniaks auf Chlorophyll und auf die Wurzeln verschiedener Pflanzen zu beobachten; aber der Gegenstand ist zu schwierig für mich und ich kann die Bedeutung einiger Thatsachen, die ich beobachtet habe, nicht verstehen. Das blosse Niederschre,ben von neuen Thatsacheu ist aber eine langweilige Arbeit (dull work). -...."

Der nâchsee Brief Darwsns bezieht sich grösstenteils wieder auf den Schuzz der Blätter gegen Feuchtigkeit. Fritz Müller hatee ihm mehreee Beispiele niedrig wachsendrr Pflaneen mitgeteilt, deren Blätter auf der Unterseite mit einer Wachsschicht bedeckt sind, und dabei die Frage aufgeworfen, ob dies ein Schutzmittel gegen das Bespritzen mit Feuchtigke,t und Schlamm von unten her sein könne? Darwin antwortete aut die von Proben derartiger Blätter begleitete Mitteilung unter dem 19. Dezembrr 1881:

„.....Vielen Dank fur die Thatsachen betreffs der Wirkungen

von Regen und Schlamm in Bezug auf die Wachsausscheidung. Ich habe viele Fälle, bei denen die Unterseite besser als die Oberseite beschutzt war, so viel ich glaube, bei Strauchern und Baumeu beobachtet, so dass der Vorteil bei niedrigwachsenden Pflanzen wahrscheiniich nur ein zufälliger ist. Da ich diesen Brief entfernt von meinem Hause schreibe, so war ich uicht geneigt, mehr als ein BJatt der Passijlora zu probieren, und dies kam auf der Untersette ganz trocken und auf der

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f^UTJtT.^l^. Wa8ier- - ïch habe noch nicht

tand znsammenzustellei nde sein werde, viel i sache, welche ich beob eine Hälfte des Blatte latt vom Scheitel betr ist und die andere

— ™- und die andre Häl^L^trTnTkomntt Wasjie Bedeutung davon sein kann, vermag i^S^TZ

die Bläser clierLfKChtIh^D "? '"*—ten Artikel über

von iT SÄÄSSS *f si/l^het ^ * sehr merkwürdiser Fall inh ,*,*&„ „:„:__               . uv .

fangen, meine Notizenüber diese*Toegenltanll znsaLmeSusteHenT'

sein werdeT^L'darara

3, welche ich beobachtet

Hälfte des Blattes (ich

vom Scheitel betrachtet

lfi spdontin.r. j.„„„__n .                              . .

.....ssjrr............." ■

wenn das Blatt

nWlt OA .                 J -—* beschützt ist ______„

mcht, so dasW, wenn das^ Blatt ins Wasser getaucht wird,

Stetr'dS'bSlÄ8* kleineTh^Cwelche ich beobachtet dZll 7d a he}rn£oltum resupmatum eine Hälfte des Blattes (ich wirf? dtch wreCv,hten I6"!* wenn das Blatt vom Scheitel betrachtet 352. lo^ S!!aÄ*""*,.1W8^!,ltzt ist und die andere Hälfte

^h las in der ^letzten NachUhren sehr interessanten Artikel über sehr merkwürdiger Fall Ich ~T ~ ™ " SCneim ""' ^

einen megensta ein sehr intere

selben W^^iT^^J^**? ™ **-

pinen-Art zu erlangen, um si«

dessen meldet sich bei mir u

einen Gegenstand in der Harn

ein sehr interessantes Journa,

geschlechtliche Zucttwahl (in <L._

er alle meine Schlüsse umzustossen scheint

dessen meldet sich" bei mir" und" ef 2^!^- Das Alter in" ein «ehr mteressa^e!^urna,,unYfchsehe, da' istZ Artikel über

einen (W^V^ T *l ?rwirrt mich' zur Zeit mehr als r^St^^J^^-^ _ra>^,B^-Df«■ K« scheint mir

Der „Kosmos" folgte den Grundsätzen Darwins darin, dass er " a vertret—- - ■

S^den vef chten> ,und er ^8tZelBniviele Aufsätze von Moritz

auch die Gegner der von. ihn, vertreten 1^^ zu Worte SSS "ül™ sie toe *■**<"*« mit wissenschaftlichen

Wagner gebracht, die sich direkt gegen die Grundpfeiler der DarwinschenTheorie wandten. Dawwin hrtte dta lern wissen-

schaftiichnn Reformator selten beschiedene

Freude, den fast voU-

standzgen Sieg seiner Ansichten und eine üppige, aus seinen Keimen aufgeschsssene Ernte noch zu erleben. Er sah mit Genugtuung die nie getrâumee Ausdehnung, welche Haeckel, Fritz und

Genug-

TT«rmflm,M*ii xr            Tr . —' --------"-------—Fritz und

HermannMullernKerner, Haberlandt.Weismann, O.Schmidt

und 80 viele andere Fo™ter in Deutschland seiner Theorie gaben.

,25itz.,MüUer hatte bei.~ adu.-toriiftg.wau«

«* »k. !leiner früher von Darwin beo:

finden möchte. (Kosmos, Band X., Seite 212 ff.)

---

JSJV^Ä W° dl',e Srne Uater8Wg™ war, und hatte vermutet, finden ;7ch7e./Ro?er TZ T J**™« beobachteteD ^nenart statt!

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Auch in England zeigte sich unter den Forschern der Jüngern Schule, von denen viele ihre Studien in Deutschland gemacht hatten, ein gewaltiger Aufschwung fur das Studium der Biologie und Entwicklungsgeschichte, der Darwin mit grossen Hoffnungen erfüllte. An Huxeey, Hooke,, F. Galton, Lubbock schlossen sich als hoffnungsvolle jüngere Phalanx G. Romanes, Ray-Lankester, Francis Balfour, mehrere seiner eigenen Sôhne*) und viele andere an, deren Arbeiten ihn mit Freude und Hoffnung erfüllen durften, und druben ûber dem Ocean arbeiteten die Paläontologen Leidy, Cope und Marhh so erfolgreich in seinem Sinne, dass sie fast jeden Monat eine der alten Lücken der palaontologischen Reihenfolge schlossen. Die Vollendung des ,Handbuchs der vergleichenden Embryologie" von Francis Balfour, und die endliche Fertigstellung der Übersetzung von Hermann Müllers „Befruchtung der Pflanzen", zu der er noch am 6. Februar 1882 eine warmempfundene Vorrede schrieb, gehôrten zu den letzten Freuden Darwins in dieser Richtung. Er konnte glücklicherweise nicht ahnen, wie bald ihm gerade diese beiden Forscher, auf deren Arbeiten er mit besonderer Eoffnung blickte, im Tode folgen wnrden. Pber das Buch des ersteren schrieb er am 4. Januar 1882 an Fritz Müleer:

*) Von den Sôhnen Dawwsns hat Francis seinen Vater bei seinen letzten Arbeiten bestândgg unterstützt und auch selhstständig zahlreiche pflanzenphysiologisehe Arbetten, z. B. über die Thätigkeit und Bedeutung gewisser drüsenartiger Organe, - Uber tnsektenfressende Pflanzen, - über das Vermogen der Pflanzen, ihre Blätter senkrecht zum cinfallenden Lichte zu stellen,-uber die Theorie des Wachstums von PflanzeB-Abschnitten u. s. w. u. s. w. angestellt und veröffentlich.. - George H. Darwin, welcher Professor in Cambridge und Mitglied der Londoner Royal-Soeiety ist, hat sehr wichtige Untersuchungen über den Einfluss des Mondes auf Gestalt und Veranderung der Erde iu den geologischen Zeiten und über den Einfluss des Mondes auf die bestehendnn Gfavitationsverhältnisse an der Erdoberfläche u. s. w. augestell.. Auch Horace Darwin bat sich mit Problemen der mathematischen Physik und Mechanik beschäftigt und unter andern eine Beobachtungsreihe über die bestândigen Bewegungen der Erdoberfläche angestellt. William Dawwin hat die Untersuchung mehrerer der romischen Ruinen ausgefthr., deren Zustand in dem Regenwürmer-Buche beschrieben ist. Der fünfte Sohn, Bernard, ist Oftizier im Ingenieurcorps.

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sagen habe. Ihre Anerkennung des Balfourschen Buches hat miete ausserordentlich erfreut, denn obgleich ich eigentlich nicht darüber urteilen kann, schien es mir doch eines der wertvollsten Bücher unter denen, die seit, betrachtlicher Zeit veroffentlicht worden sind. Balfour ist ein ganz junger Mann, und wenn er seine Gesundheit behalt*,, wird er glänzende Arbeiten leisten. Er ist der jüngere Bruder eines Schotten, des immens reichen Parlaments-Mitgliedes A. Balfour und Neffe eines sehr bedeutenden Edelmann,, des Marquis von Salisbury. Er selbst besitzt ein schOnes Vermûgen, so dass er seine ganze Zeit der Biologie widmen kann. Er ist sehr bescheiden und sehr angenehm, besucht uns hier oft und wir lieben ihn sehr....."

Fritz Mülerr batte damals den interessanten Fall einer schönen, zu den Pontederiaceen gehörigen Wasserpflanze, der trimorphen Eichhomia crassipes beobachtet, die sich, obwohi nur in einem Exemplar der mittelgriffligen Form eingeführt, im Itajahy-Fluss bald dermassen verbreitete, dass sie, unter Verdrängung der vorhandenen Eichhomia-Arten, prachtvoll blûhende, schimmernde Wiesen lângs der Ufer bildete. Ihre Samen werden von den sicb niederbiegenden Fruchtkapseln in den Schlamm gesät, keimen aber, wie es scheint, nicht eher, als bis sie einmal trocken gewesen sind, was wahrscheinlich die Verbreitung der Samen durch Sump-vôgel erleichtert.**) Auf diese Darwin mitgeteilten Einzelheiten bezieht sich die Fortsetzung des obigen Briefes:

„Ibr Pontederiaceen-Fall ist sehr merkwürdig: Was für ein schSnes Beispiel von Verdrangung einer Art durch die andere (selbst unter dem anscheinenden Nachteil, dass bloss die mittelgriffligeForm eingef&hrt war) wurde das fur mich gewesen sein, ais ich den "Ursprung der Arten" schrieb........ Ich habe über die Wirkungen des Ammoniumkarbonass auf die Wurzein weiter gearbeite;; das Hauptergebnis war, dass hei gewissen Pflanzen die Wurzelzellen, obgleich sie in frischen, dünnen Schnitten dem Anschein nach durchaus nicht von einander verschieden sind, sich dennoch in der Natur ibres Inbalts bedeutend verschieden erweisen, wenn sie für einige Stunden in eine schwache Auflösnng von Ammonium-Karbonat getaucht werden«. (Am Rande des Briefes:) „Wie ich mich erinnere, riet ich Ihnen einst, ein "Journal eines Naturforschers in Brasilien« oder ein Werk unter einem der-

^Derzu so grossen Hoffnungen berechtigende junge Naturforscher verunglückee leider schon am 19. Juli deeselben Jahres bei dem Versuche, einen Gipfel der Montblanc-Kette zu ersteigen. Eine seineu Namen tragende Stiftung wirkt aber seinen Tod hinaus in seinem Sinne weiter.

") Vergl. Fritz Müleer im "Kosmos" Band X!I., Seite 297 (1883).

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artigen Titel zu scbreiben und in demselben eine Zusammenstellung Ihrer zahllosen und hochât interessanten Beobachtungen zu geben; ich wünschte, dass meine Anregung Frucht tragen mocbte,«

Es wâre in der That hochlichst zu wünschen, dass Fritz Müller diese letzten Worte, welche Dawwin an ihn gerichtet, beherzigen möchte, denn seine Beobachtungen sind derartig in deutschen, englischnn und portugiesischen Journalen zerstreut und vielfach sogar nur inBriefen niedergelegt worden, dass nur wenige Menschen eine Ahnung davon haben, wie unendlich viele und wichtige Beobachtungen dieser "deutsche Naturforscher der Brasilianischen Regierun"« auf den verschiedensten Gebieten der Natuwissenschatt zu Tage gefôrderthat. Darwin legte seine letzterwähnten Beobachtungen der Linne'schen Gesellschaft in London vor, woselbst sie am 16. Mârz 1882 geieson warden, und veröffentlichte dann noch in der Nummrr der „Nature" vom 6. April eine kleine Notiz ûber die Verbreitung von Süsswassermuscheln, und dies waren die beiden letzten Arbeiten, die wir seiner rastlosen Arbeitslust verdanken.

Schon seit mehreren Monaten hatten seine Kräfte damass sehr abgenommen, und er arbeiteee nur noch mit Anstrengung. Insbesondeee machee sich eine Schwâche des Herzens bemerkbar, so dass ihm die Arzte das Treppensteigen untersagen mussten, doch konnte er bis etwa vierzehn Tage vor seinem Tode noch in der Umgebung seiner Wohnugg umhergehen und selbst kleine Beobachtungen anstellen. Dann wurde ihm das Gehen schwere,, er musste einen Lehnsessel benützen und lag häufiger als sonst auf seinem Sopha ausgestreckt. Häufige Ohnmachts-Anfälle und ein ofter wiederkehrender, nicht heftige,, aber beângstigender Schmezz in derBrust Hessen Gefahr befürchten, indessen konnte er selbst noch am Tage vor seinem Tode seine botanischen Beobachtungen fortsetzen. In der Nacht zum 19. April erwachee er mit starken Brustschmerzen und verlor für einige Zeit das Bewusstsein, jedoch kehrte dies, nachdem der Arzt einige belebende Mittel angewendet, wieder, und er blieb, trotz der âussersten Schwâch,, die ihn befallen hatte, bei vollem Bewusstsein bis etwa eine Viertelstunde vor seinem Tode. Gegen vier Uhr nachmittags am Mittwoch, den 19. April 1882, hatte das Herz des grossen Forschers zu schiagen aufgehört. Seine Gattin, seine beiden Tôchter und sein Sohn Francis, der ihn seit Jahren in seinen Arbetten unterstützt hatte, befanden sich an seinem Sterbebette.

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XL Persönliches.

Am Schlusse unserer fast ausschliesslich den wissenschaftiichen Leistungen und ihrer Aufnahme seitens der Zeitgenossen gewidmeten Darstellung bleibt uns die Pflicht, einiges über Darwins Persönlichkeit, Charakter, Lebensweise, Hâusiichkeit und Gewohnheiten binzuzufügen. Seine hohe, breitschultrige Gestalt, die selbst in vorgerûckteren Jahren noch wenig gebeugt war, liess kaum ahnen, dass er eigentlich seit der Rückkehr von seiner grossen Reise ein kranker Mann gewesen, der nui durch eine hochst vorsichtige Lebensweise zu den Jahren gelangen konnte, die er zum Segen fûr die Wissenschaft erreicht hat. Seinem Antlitz gab die mâchtig vorspringende, breite Denkerstim, die im Alter von schneeweißem Haar umrahmt wurde, und der lange voile weisse Bart etwas von

welchem er die Entstehung der Arten schrieb, das andere nach der letzten Aufnahme-erscheint der Gesichtsausdruck, wegen der unter den starken Brauen im tiefen Schatten liegenden Augen, im allgemeinen etwas zu düster. Alle, die das Glück gehabt haben, ihn persôniich kennen zu lernen, waren, wenn sie bloss derartige Bilder geseben hatten, überrascht von dem ungemein wohiwollenden Ausdruck der freundlichen, fast in jugendlichem Feuer strahlenden hellblauen Augen, welche den Ernst der übrigen Züge mit einem Schimmer von Güte und Milde uberstrahiten, der den ihm fremd gegenübertretenden Personen sofort alle Befangenheit nahm. Die einfache Herzlichkeit seines Entgegenkommens und seine behagliche, oft launige Unterhaltung gewannen ibm alsbald alle Herzen, weshalb auch die Kinder aus der Ortschaft, denen er auf seinen Spaziergângen begegnete, ein grosses Zutrauen zu ihm hatten. Wenn er sprach, belebten sich die Züge ungemein, aber wenn er zuhörte, kehrte ein Zug des Leidens in das Antlitz zurûck, der in

er in

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seinen spatem Jahren die imponierende Ehrwürdigst seines Anblicks noch steigerte. Ein schônes Bild von J. Collier nnS «piZ spâteren Lebensjahren, nach welchem der belgische StecheVLeotold von^gT ^f^^ ..liefert hl wirdatÄe

von ihn, existierende Bildnis gerühmt. ~- Wohnhaus mit , '

Säumen und grùnen            .           ___

es S1ch in unserem Bilde darstellt, den Eindruck eine

D« Wohnhaus mit seinen mannigfachen Anbauten, von besetzen Hôtels dar,weild, Ha^frauIe m^Z &

schônen Bâumen und grùnen Rasenplätzen umgeben, macht, wie es sich in unserem Bilde darstellt, den Eindruck eines behaglichen engl schen Landhauses und bot nicht selten den Charatf

Senden"1 ZTtT^Z "Ä ^ "* ** ^^ einige btunden oder Tage in der Nahe des grossen Mannes zu

verbringen, nicht bloss von seinen wissenschaftlichen Freunden n

England, sondern auch von seinen Verebrern sus der^t

um die erwarteten Gâste von der nâcbsten Bahnstaiion abzXSn und wieder hinzubringen, denn Darwnn und seine Gattin waren unermüdlich in Einladungen, die Besuche zu wiederholen.

steht sich von selbst> dass auch das             img Erdgesch0SseVb6 -

findhehe Bibliothekszimmer, in welchem Darwnn zu arbeiten pflegte, einen grossen Reichtum deutscher Werke in seinen Bücberreihen enthielt. Aus dem Speisezimmer tritt man durch eine offene Veranda m den Garten, der allmâhlich in einen Wildpark und Wald

übergeht mt Wiesen, de sich einen sanften Abhang herunter-flehen. In dem Garten befindet sich ein gorâumiges Glashaus, in welchem Darwin unzähligeBeobachtungen gemacht hat. Alphonse De Candol,e, welcher Darwin 1879 besuchte, und ihn damais

wohier aussehend fand, als vierzigJahre vorher/war sehr erstaunt, dieses Glashaus bis auf eine einzige Weinrebe leer zu finden; es war, nach Beendigung der Arbeiten über die insektenfressenden Pflanzen und die Kreuzbefruchtung, Raum für neue Versuchs-Objekte geschaffen, und der berühmte Botaniker fand, dass nicht

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jeder Natoforscher Palâste mit grossartigen Laboratorien und allen „HiIfsmitteln der Neuzeit" nôtig hat, um unvergängliche Arbeitén

ZU l6HinLhtiich der grossen Einfachheit seiaer-Lebensweise wird erzâhlt, dass er sich des Morgens gegen sechs Uhr zu erheben pflegte, ein kaltes Bad nahm und einen Spaziergang in seinem Garten oder über die Felder machte, bevor er gegen acht Uhr sein frugales Frühstuck einnahm. Daun kameu zunâchst die Briefe an die Reihe, welche mit bewunderungswürdiger Pünktlichkett beantwortet wurden. Den übrigen Teü des Tages füllten seine Beobachtungen, Versuche und Niederschriften. Des Abends kam er ins Gesellschaftszimmer und nahm an der Unterhaltung teil oder las, um den Geist zu entlasten, belletristische Werke, worauf er sich sehr früh zurückzog. Nur hôchst selten verliess er das Haus, um an einer Gesellschaft teilzunebmen oder in London eine wissenschaftliche Versammlung zu besuchen, und nur auf entschiedenen Wunsch des Hausarztes konnte er sich entschliessen, in der schônen Jahreszeit für langere Zeit sein Landhaus zu verlassen und einen lângeren Aufenthalt an der Küste oder in den gebirgigen Teilen Englands zu nehmen.

Auch in geistiger Beziehung sah sich Darwnn zu einer sehr vorsichtigen Diât und Enthaltsamkeit genötigt, und sein körperliches Befinden zwang ihn zeitweise, mit fortwährenden Unterbrechungen, in ganz kleinen Absätzen, zu arbeiten. Nur die gewissenhafteste Ausnutzung aller guten Stunden konnte ihn trotz alledem in den Stand setzen, jene imposante Reihe von Werken zu schaffen, die, ganz abgesehen von den darin aufgestellten kühnen Hypothesen und weltbewegenden Ideen, bloss auf die darin niedergelegte Arbeit hin betrachtet, einem kerngesunden Forscher Ehre machen wûrden. Denn man braucht nur eines dieser Werke aufzuschlagen, um zu erkennen, dass zu ihrer Abfassung noch eine ganz andere Arbeit gehôrte, als die blosse, besonnene Niederschrift: eine wahre Unendlichkeit von Studien, Beobachtungen, Erkundigungen, Abwâg-

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Reiohtums, von der allé Schrifen Darwins Zeugnis ablegen, konnte nur durch eine dementsprechende Arbeitsmethode erreicht werden. Alle einen besondern Gegenstand betreffenden Beobachtungen, Notizen, Aufsâtze, Nachweisungen u. s. w. wurden auf besondere Blâtter geschrieben und mit den einschläglichen Korrespondenzen vereinigt, so dass das wachsende Material stets beisammen war.

Eine grosse Anzahl unserer wissenschaftlichen Arbeiter wurden, glaube ich, schon vor der ungeheuren, mit den Jahren immer zunehmenden Korrespondenz allein zurückschrecken, welche Darwin mit der erstaunlichsten Sorgfalt und Punktiichkett führte. Er besass, wie AlexandervonHmmboldt, jene Hôflichkeit desHerzens, keinen Brief, aus dem noch ein Funken von besserem Sinn hervorleuchtete und der nicht etwa bloss Schmahungen enthielt, unbeantwortet in den Papierkorb zu werfen und erteilte mit unersohôpflicher Geduld und Nachsicht selbst lâstigen Briefschreibern, die oft nur aus personlicher Eitelkeit an ihn schrieben, um nachher mit seinen Briefen zu prahlen und sie zu veröffentlichon, auf ihre - ach wie oft! - überflüssigen Anfragen Auskunft. Wir haben Beispiele, dass er auf briefliches Ansuchen selbst solehe Fragen beantwortet bat: „Ob die Menschheit nicht im Wege weiterer Anpassung durch die Zuchtwahl (!) Unsterblichkeit erringen könne?" "Wie weit sein Glaube an die Offenbarung gehe?" „Ob er nicht den genauen Zeitpunkt angeben wolle, wann die Descendenz-Theorie zuerst in seinem Geiste aufgetaucht sei?" -als ob solche seit langen Jahrzehnten aufgeworfene Fragen mit einem Male in einem Geiste, der das Für und Wider sorgfältig erwâgt, entschieden bejaht würden und ausreiften!

Welch ein Schauspiel für die Welt, die sich so gern in Nichts-thun und Wohlleben wiegt, diesen mit Gl&cksgutern reichlich gesegneten Forscher zu betrachten, der seinem kränklichen Korper gleichwohl keine Kühe gönnte, sondern seine Bürde auf sich nahm, Tag für Tag angestrengt arbeitete, Beobachtungon anstellte, Notizen niedersohrieb und einen unendiicben Briefwechsel unterhielt, nicht allein um selbst Auskunft zu erhalten, sondern anch Mitstrebende mit Material zu versehen und sie zu Beobachtungen in ihrer Sphäre anzuregen. Su zum Beispiel beförderte er, um einen Fall aus eigner Erfahrung anzuführen, im Sommer 1877 meine Widerlegung der in Deutschland durch Geigrr und Magnss ausge-

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bauten Theorie von der sogenannten dorischen "Entwicklung des Farbensinns" beim Menschen gleich nach ihrer Veröffentlichong im „Kosmos"*) an den intellektuellen Urheber derselben, den Minister Gladstone, mir dagegen sandte er, obwohl er meine Auflösung der Schwierigkeit fur durchaus zutreffend hiett, ciaige scheinbar dagegen sprechende Beobachtungen aus seiner eigenen Erfahrung, damit, so weit es an ihm lag, ja beide Telle, Freund und Gegner der Théorie, aus der Diskussion zum Vorteile der endlichen Ermittelung des Sachbestandes den môglichsteB Vorteil ziehen konnten. überhaupt war er stets bereit, fremde Forscher, die ihm auf gutem Wege zu sein schienen, unaufgefordert zu fôrdern, und mancher, der aus Furcht, ihn in seinen Arbeiten zu storen, sich niemals an ihn gewendet batte, wurde durch einen unerwarteten, aus der lebhaftesten Anteilnahme an fremde Arbeiten hervorgerufenen Brief Darwins gelegentJich ûberrascht.

Nâchst dieser nie ermattenden Lust an der Arbeit, wie wir sie nur bei den erwâhltesten Geistern antreffen, war jedenfalls die Ausdauer.mit welcher Darwin einmal inAngriff genommene Probleme verfolgte, eine der hervorragendsten EigentûmlichkeiteB seines Charakters. Sie hing zusammen mitjener andern ausserordentlichen Eigenschaftderwissenschaftlichen Vorsccht, die uns kaum in der Wirksamkeit eines andern, auf dem Gebiete der Hypothesen arbeitenden Forschers so vollentwickelt entgegengetreten ist, wie bei ihm. Dadurch vor allem hat er seine neuen Aufstellungen so siegreich und unûberwindlich gemacht, dass er sie meist lange Jahre im Geiste umhertrug, nach allen Eichtungen hin und her wendete, sich selbst im voraus alle die Einwûrfe machte, die ihm" andere machen konnten, und sie entweder entbrâftete oder selbst gebührend bervorhob. In unserem nervôsen Zeitalter, wo jeder B~obachter zu farchten scheint, ein anderer kônne ihm noch zuvorkommen, wo man fast in allen Fâchern besondere Journale für „vorlâufige Mitteilungen" begrundet hat, durch die man, frisch vom Backofen aus, schon das halbfertige Gebäck sofort in die Welt sendet, erschien diese Zurùckhaltung wahrhaft phänomenal; wir haben an mehr als einem Beispiel gesehen, dass er dieses Aufschieben der Verôffentlichung mitunter fast übertrieb und keine

*) Bd. I. (1877) S. 264-275.

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Unruhe zeigte, wenn der Verleger das fertig gedruckte Werk noch ein Vierteljahr liegen Hess, weil der Zeitpunkt der Veröffeni, lichung nicht günstig schien. Hatte er aber das Material woblûberlegt und trefflich durchdacht beisammen, so brachte er es in grosser Schnelligkeit zu Papier und merzte die von der Flûchtigkeit der Niederschrift herrührenden Stilmângel erst bei der Wiederdurchsicht oder in den Druckbogen aus. Selbst das jetzt in den Hânden von G.J. RomânesbefinducheManuskriptder "Entstehung der Artenist ebenso flüchtig wie seine Briefe hingeworfen.

Andererseits hielt er niemals die Akten für geschlossen, wenn sein Buch erschienen war, sondern beachtete alle Einwarfe und Kritiken, die ihm berechtigt erschienen, stellte unermùdlicb neue Beobachtungen an und sammelte Thatsachen, die geeignet waren, Licht auf die streitigen Punkte zu werfen. Wir haben dies oben namentlich hinsichtlich seiner Arbeiten ùber die Thâtigkeit der Regenwürmer bewundern konnen, und ebenso betraf seine letzte, der Öffentlichkeit übergebene Notiz eine Frage, welche er bereits in der ersten Ausgabe seiner "Entstehung der Arten" ganz in demselben Sinne behandeit hatte, nâmiich die weite Verbreitung der Sùsswasser-Mollusken durch Sumpfvogel und andere im seichten Wasser lebende Tiere. Neben seiner seltenen Beobachtungsgabe, seinem Scharfsinn und seiner Vorsicht hat diese Unermüdlichkeit im Sammeln von Thatsachen, im Vergleichen und Kombinieren derselben wobl das meiste zum soliden Aufbau seines grossen Werkes beigetragen.

Zur Annahme desselben, zur Entwaffnung seiner unzähligen Gegner halfen dann andere, ebenso bewunderungswürdige Eigenschaften seines Charakters, von denen wir zunâchst seine ausserordentliche Einfachheit, Offenheit und Bescheidenheit hervorheben müssen. Die ungemeine Einfachheit seiner Formen ist wohl allen aufgefallen, die schriftlich oder mündlich mit ihm verkehrt oder ihn auch nur aus seinen Schriften kennen gelernt haben. Diese naturliche, durchaus ungesuchte Einfachheit ging so weit, dass er in seiner Sprache, wie in seinen Briefen alle „Kunst" vermied, nnd jeder, der mit ihm langer korrespondiert hat, wird sich gewisser einfacher Wendungsn erinnern, die er unbekummert wegen ihrer Einfôrmigkeit immer wieder gebrauchte, weil er eben jeden über die allgemeineren Höfliohkeitswendungen hinausgehenden Schmuck

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seiner Worte verschmâhte. Ebenso wird man in seinen sâmtlichen Werken vergeblich nach dem Prank hoohtônender Redenaarten und schôn klingender Phrasen suchen.

Seine Bescheidenheit den eigenen Leistungen gegenüber ging so weit, dass 81e ubertrieben erscheinen wûrde, wenn sie nicht in vollster Harmonie mit seinen sonstigen Charaktereigentümlichkeiten stünde. So fest er seinen durch langes Nachdenken gewonnenen Cberzeugungen anhing, so hat er doch niemals einem andern gegenüber zugegeben, dass sein epochemachendes Werk eine außergewöhnliche Leistung sei. Seinen Korrespondenten gegenüber, die sich naturgemâss hâufig, zum Beispiel bei Erscheinen eines neuen Werkes, gedrungen fühlten, ihm ihre Bewunderung auszusprechen, konnte er nicht müde werden zu versichern, dass sie sein Werk weit ûberschâtzten. Die Redaktionen naturwissenschaftlicher Journale, welche seibstverstândiich sehr begierigwaren, gelegentlich von ihm einen kleinen Beitrag zu erhalten, bat er bei Mitteilung eines ihm der Veröffentlichung wert erscheinenden Einzelfalles stets, yorher zu prüfen, ob die Notiz auch wohl der Aufnahme würdig und nicht zu unbedeutend sei, wie ihm fast

*^A**^ hinsichtlich der eigenen Leistungen paarte sich bei Darwin die neidloseste Bewunderung derjenigen anderer Personen. So hat er sich mehrmals in seinen Schriften voil ^hochsten Anerkennung über den Scharfsinn seines speziellen Mitbewerbers Wallace und dessen hervorragende Befâhigung, Naturrätsel aufzulosen, ausgesprochen, und wir haben gesehen, dass er diesem sogar die Ehre der ersten Verôffentlichung der von ihm schon seit langen Jahren gemachten Erkenntnis von der Bedeutung der Naturauslese überlassen wollte. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Wallace gelegentlich die darwinschen Aufstellungen, z. B. in Betreff der geschlechtiichen Zuchtwahl, ziemlich scharf angriff und in gereiztem Tone kritisierte. Im besondern zollte er den Arbeiten deutscher Forscher die hôchste Anerkennung und da diese Bewunderung voll erwidert wurde, so hat ihn seit frühen Jahren ein sympathisches Band mit dem deutschen Geistesleben verbunden. Nichts hat Darwin hâufiger und schmerziicher beklagt, als dass es ihm so schwer wurde, deutsche Werke zu lesen, immer wieder schrieb er im Tone des aufrich-

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tigsten Bodauerns: „I am a fery poor German scholar" und arbeitete sich dennoch, „a< a snails pace", durch umfangreiche Werke hindurch, wenn sie ihn interessierten. Fur die wissenschaftlichen Leistungen Deutschlands war er stets des wârmsten Lobes voll. Wer erinnett sich hierbei nicht jener charakteristischen Worte ùber Haeckels Schopfungsgeschichte, die er in der Einleitung seines Buches über die „Abstammung des Menschen« schrieb: "Ware dieses Buch erschienen, ehe meine Arbeit niedergeschreeben war, würde ich sie wahrscheinlich nie zu Ende geführt haben; fast alle die Folgerungen, za denen ich gekommen bin, finde ich durch diesen Forschrr bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel reicher sind als meine." Aber es ist überflüssig, soicbe Fâlle besondess aufzuführen, denn man braucht nur Dawwsns Werke zu durchblättern, um seine freudige Anerkennung jedes fremden Verdienstes und seine Wertschätzung der deutschen naturwissenschaftlichen Literatur an zahllosen Orten ausgedrückt zu finden.

So angestrengt Darwin sein ganzes Leben lang gearbeitet hat, ohne von einem anderen Antrieb, als dem der Erkenntnisbegierde, dazu angestachelt xu werden, so verriet er doch stets eine ausgesprochene Neigung, die Arbeiten anderer Naturforscher für viel mühevoller und ausgedehnter zu halten, als die seinigen und letzteee zu ermahnen, ihre Kräfte zu schonen und Mass zu halten. So schrieb er am 20. Janurr 1873 an Haeekel, als ihm dieser sein mit vielen sorgsam ausgeführten Tafeln ausgesaatteses Werk ùber die „Kalkschwämme" gesandt hatee:

„Mein lieber Haecke~! Ich empfing vor u~gefähr xehn Tagen Ihr prachtvolles Werk und bin aufrichtig erstaunt über die Summe der Arbeit, die es Ihnen gekostet h~beu muss. Die schonen Illustrationen müssen, wie ich mir denke, alleiu Monate auf Monate harter Arbeit erfordert haben. Ich habe mit grossem Interesse die Teile, welche Sie_ angestrichen haben, wie auch einige andere durchgelesen. Alles was ich geleseu habc, ist nusserst reich au phi)osophischeu Diskussionen über viele Punkte. Ich wünsche Ihnen xu der Volleudung dieses grossen Unternehmens herzlich Glück und xweifte uicht, dass es bei denjenigen (ach! in diesem Lande auZah) wenigen)Naturforschern,

Krause, Ol.. Darwin.                                                                              14

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Sechs Jahre spâter, als Haekkel mit derBearbettung der auf der Challenger-Expedition gefangenen Radiolarien ein ungeheures Arbeitsmaterial übernommen batte, schrieb Darwin: „Ums Himmelswillen überbürden Sie Ihr Gehirn nicht, und denken Sie stets daran, was für ein zartes Organ es ist"

Neben dieser warmen Teilnahme und herzlichen Freude an den Erfolgen der Mitstrebenden, deren Arbeiten er, wo er nur irgend wusste und konnte, zu fôrdern suchte, stand seine ruhige, leidenschaftslose, oft von innigster Hochachtung getragene Wùrdigung des Gegners, und diese seltenste aller Charaktervollkommenheiten hat sicherlich mehr als irgend ein anderer Umstand dazu beigetragen, die heftige Opposition, welche sich gegen ihn erhob, zum Schweigen zu bringen. Wenige Mânner der Wissenschaft sind wohl in ihrem Leben so heftig, auch persônlich, angegriffen worden, wie Darwin, aber mit der Zeit hat er alle seine mit unsachlichen Gründen kâmpfenden Gegner entwaffnet. Seine hôchst nachahmenswerte Praxis bestand darin, Schmähschriften, die ihm als solche angekündigt waren, gar nicht zu öffnen, den Gründen mit That-sachen und logischen Argumenten kampfender Gegner desto aufmerksamer zuzuhoren, sie in seinen Werken mit grôsster Auszeichnung zu nennen und ihnen seine Gründe entgegen zu halten. Benahm sich aber jemand seinen Schriften gegenüber anmassend, so war er wohl imstande, ihn mit feiner Ironie ad absurdum zu fûhren, wie dies z. B. Wyville Thomson gegenûber geschah, als derselbe in dem grossen Werke ûber die Challenger - Expedition eine unberechtigte Kritik der Darwinschen Theorie vorbrachte.

„Ich bin betrübt, zu finden", schrieb Darwin am 5. November 1880 an den Herausgeber der ,AWe<, „dass Sir Wyville Thomson das Princip der Naturauslese, wie es durch Herrn Walaace und mich

SS£SffiS?£sä

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und auf den ,der aleein durch Naturauslese geleiteten Evolution' eingegangen. Kann Sir Wyville Thomson jemand nambaft machen, der gesagt hat, dass die Entwicklung der Arten nur von der natu. lichen Ausiese abhange? So weit es mich angeht, glaube ich, dass niemand so zahlreiche Beobachtungen ùber die Wirkungen des Gebrauchs und Niehtgebrauchs der Teile ans Licht gebracht bat, wie ich es in meinem Buche ùber das ,Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation' gethan habe; und diese Beobachtungen wurden fur diesen speciellen Gegenstand angestell.. Ich habe gleich-falls dort einen betrachtlichen Thatsachenbestant zusammengetragen, der die direkte Einwirkung ausserer Bedingungen zeigt, obwohl ohne Zweifel sait dem Erscheinen meiner Bûcher viel in dieser Richtung gelernt worden ist. Wenn Sir Wyville Thomson dem Hofe eines Zuchters einen Besuch machte und all sein Rindvieh oder seine Schafe absolut echt (true) d. h. nahezu gleichariig sahe, würde er ausrufen: ,Herr, ich sehe hier keine extrême Variation, noch vermag ich irgend eine Stütze für den Glauben zu finden, dass Sie in der Zucht Ihrer Tiere dem Princip der Auslese gefolgt sind/' Von dem was ich früher von Zùchtern sah, zweifle ich nicht daran, dass der so getadelte Mann

Diese ironische Kriiik ist aber eine Art Unikum, denn solchen Personen gegenüber, die sie verdienten, pflegte er meistens wie die von ihm erwâhnten Züchter zu verfahren. Aïs Butlers obenerwâhnter, masslos heftiger Angriff erschienen war, teilte er dem Schreiber dieser Zeilen mit, dass er das betreffenee Buch nicht lesen wolle, und als diese hôchst frivolen Angrfffe in den englischnn Zeitschriften mit einer Beharrlichkeit, die einer bessern Sache würdig gewesen wâre, fortgesetzt wurden, fuhr er fort, in den zahlreichen Briefen, die er über diese Angelegenheit an mich geschrieben hat, über den Mann zu scherzen; nicht ein einziges Mal brauchee er ein geringschätzendes Wort, und das Hôchste war, dass er ihn unskrupulös nannte und mir mitteilte, eine Dame, die ihn persönlich kenne, habe ihm gesag,, es sei wohl nur ein âusserster Grad von Eitelkeit bei ihm, er wolle sich eben um jeden Preis einen Namen machen1

Während er in dieser Weise seinen Gegnern die ihnen gebührende Achtung zollte, widmete er seinen wissenschaftlichen Freunden, trotz ihrer grossen Zahl, eine Hingebung, wie sie in âhn-

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lichen Verhâltnissen sicher nicht hâufig vorkommt. Ich denke keine Indiskretion zu begehen, wenn ich hier ein paar solcher Fâlle andeute, die sich auf deutsche Forscher beziehen und die nur dadurch zu meiner Kenntnis gekommen sind, weil dieselben mich zum Teil mitbetrafen. Ich habe unter andern ein paar Briefe Darwins im Originale gelesen, die er an einen auf Grund heftiger, (von ultramontaner Seite ins Leben gesetzter) Verleumdungen in seiner amtlichen Stellung gefâhrdeten Mitforscher in Deatsch-land richtete. Der eine derselben ist auf das erste, dunkle, zu ihm gedrungene Gerucht bin abgesandt und beschwôrt den vor dem ganzen Lande auf das heftigste Angegriffenen, ihm etwas Nâheres zu schreiben, sobald er nur einen Augenblick Zeit dazu finden konne, da er über das Vernommene in tiefster Besorgnis sei. Hierbei ist ein besonderer Umstand in der Unterschrift charakteristisch. Darwnn pflegte sonst seine Briefe an wissenschaftliche Freunde »yours very sincerely" oder „truly" oder ,fatthfully Charles Darwin" zu unterzeichnen, diesmal aber unterzeichnete er ausnahmsweise „your friend and admirer", als wollte er damit sagen, „sollte die Sache wirklich so schlimm ausfallen, wie sie aussieht, so wissen Sie, wo Ihnen ein aufrichtiger Freund lebt". Auf die berubigende Auskunft bin antwortet er sofort: „I write only to thank you much for relieving me /roM my anxiety."

Dass solcbe Âusserungen aber nicht blosse Phrasen waren, sondern dass er wirklich im gegebenen Falle sofort zur Hand war, nm seinen Freunden beizustehen, zeigt ein anderes Beispiel, welches zugleich eine Probe von seinem âussersten Zartsinn ablegt und deshalb mitgeteilt zu werden verdient. Gegen Ende des September 1880 war die deutsche Kolonie Blumenau in Brasilien, wie schon frûher einmal, von einer heftigen Überschwemmung des Itajahy heimgesucht worden, und auch der seit lângeren Jahren daselbst lebende Freund Darwins, Dr. Fritz Müleer, hatte nur mit knapiper Not sich und die Seinigen aus der plôtzlich hereinbrechendenFlut retten können. Da ich von der unglücklichen Katastrophe eine frühe Mitteilung erhielt und wusste, wie sehr Darwnn den Genannten schâtzte, so beeilte ich mich, ihn sogleich von der glûcklichen Errettung desselben und seiner Famille in Kenntnis zu setzen, damit er von den Nachrichten, die soeben durch allé Zeitungen

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gingen, nicht in unnütze Serge über das Schicksal seines Freundes versetzt werden sollte. Die Antwort auf diese Mitteilung war ein am Morgen des Empfangtages an Dr. Hermann Müller in Lippstadt gerichteter Brief, aus welchem ich das Folgende wortlich

,.....Mit derselben Post erhielt ich auch einen Brief von Dr.

Ernst*), welcher mir von der schrecklichen Gefabr bei einer Cberschwemmung erzahlt, aus der Ihr bewunderungswürdiger Bruder Fritz knapp sein Leben rettete. Ich freue mich, dass niemand aus seiner Familie verloren ging. Hat er viel von seinen Bucbern, Mikroskopen, Instrumenten und anderem Eigentum verloren? Sollte er in dieser Beziehung gelitten baben, so konute mir nichts grössere Freude bereiten, als die Erlaubuis, ihm funfzig oder hundert £ senden zu dürfen. Glauben Sie, dass er mir gestatten wurde, dies zn tlmn? Die Summe wùrde einzig im Interesse der Wisseuscha't gesandt werden, damit die Wissenschaft nicht unter seinem Eigeutumsverlust xu leiden bätte. Ich bitte, haben Sie die grosse Freundiichkeit, mir bald zu raten. Nichts würde mir schmerzlicher sein, als Ihrcn Bruder zu beleidigen, und nichts würde mich mehr befriedigen, als imstande zu sein, ihm nach

K S-JSZZ hJi?t" *- <**'l—- m"

Glücklicherweise war der Verlust des deutschnn Naturforschers an beweglichrr und unbeweglicher Habe nicht so bedeutend, um die in so zartfühlender Form angebotene Beihüffe in Anspruch zu nehmen, sonst würde Fritz Müller, die mehrfach wiederholte und dringende Bitte, ibm helfen zu dûrfen, sicheriich ohne Anstand gewâhrt haben. Aïs Dawwin erfuhr, dass Haeckel sich vergebiich bemüht hatte, für seine wissenschaftliche Reise nach Indien und Ceylon (1881-82) die Mittel der für solche Zweeke begründeten Humboldt-Stiftung zu erlangnn - die ihm schmachvoller Weise verweigert wurden! - bat Darwin „im Interesee der Wissenschaft" eine âhnliche betrâchtliche Summe zeichnen zu dùrfen, was freilich auch in diesem Falle nicht angenommnn wurde. Auch sonst hielt Darwin für humane und wissenschaftliche Zwecke stets offene Kasee und noch kurz vor seinem Tode stellee er der Verwaltung der konigl. botanischen Garten in Rew die Mittel

*) Hier Ut aiso uicht Dr. Ernst i„ Caracas, sondern der Schreiber dieser Zeiien gemeint, wie ein gleichzeitig in ,lers,lben Angelegenheit und in demselben Sinne ar» ihn gerichtetes Schreiben Darwsns erkenDeu lässt.

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zur Verfügung, um die auf sechs Jahre berechneten Vorarbeiten für eine neue Auflage von Steudsls Nomenclator botanicus vollenden zu kcnnen. Es handelt sich hier um ein Werk deutschen Meisses, dessen Unentbehrlichkeit Darwnn bei seinen botanischen Arbeiten oft erprobt hatte, welches aber, vor mehr als drei De-cennien zuletzt aufgelegt, den jetzigen Anforderungen nicht mehr entspricht.

Obwohl Darwnn namentlich in seinen jüngern Jahren in einer grôsseren Zurückgezogenheit lebte, als vielleicht irgend ein anderer berühmter Naturforscher, weshalb die nicht so ganz unberechtigte Redensart von dem „EinsiedIer zu Down" aufkam, so blieben ihm doch keineswegs die anderweiten Interessen der Menschheit fremd, und ebenso wie er die Gerichtsbarkeit auf seinem Dorfe ûbte, so schloss er sich gern allen gemeinnützigen Bestrebungen an. So war er unter andern Mitglied des Komitees für die Vereinfachung der englischen Rechtschreibung, die bekanntlich so im argen liegt, dass absolut keine Regeln dafür aufzustellen sind. De Candolle erzâhit uns, dass er 1881 bei seinem Besuche mit ihm daruber eine Unterhaltung gehabt und auf seine Andeutung, dass das Publikum gemâssigten Anderungen die beste Aufnahme bereiten wùrde, die lachende Antwort erhalten habe: "Was mich anbetrifft, so bin ich natürlicher Weiee (und das versteht sich von selbst) für die radikalsten Änderungen.)*)

Ebenso wandte er den Bestrebungen zum Schutze der Tierwelt seine wârmsten Sympathien zu. Darwnn war seit je ein grosser Tierfreund, und als in England Klagen laut wurden, dass die Physiologen sich bei ihren Versuchen an lebenden Tieren Quâlereien derselben zu schulden kommen Hessen, nahm er keinen Anstand, sich denjenigen anzuschliessen, die von der Regierung ein Gesetz zur Verhütung des Missbrauchs in diesen Dingen verlangten. Dieser Schritt wurde von den Anti-Vivisektionisten dahin ausgebeutet, dass sie Darwnn unter denjenigen Mânnern der Wissenschaft aufführten, welche den Versuch am lebenden Tiere überhaupt, und um so mehr, wenn er blutige Eingriffe verlangt, verdammen. Es ist wahr, dass Darwnn von einem Vivisektor, der einen Hund weiter zerlegte, obwohl ihm dieser dabei die Hand leckte, gesagt

*) A. a. 0. pag. 29.

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hat, „derselbe müsse ein Herz von Stein gehabt haben"" und jedenfalls verurteilte er das rücksichtslose Vorgehen in dieser Richtung von ganzem Herzen. Aber seine Auffassung war weit entfernt von derjenigen jener reakiionären Parteien, die unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit, der physiologischen und medizinischen Forschung die Hauptader unterbinden mochten, und als ihnProfessor Holmgren in Upsala brieflich ersuchte, durch ein offenes Wort den Missbrauhh seines Namens in dieser Richtung zu verhindern, antwortete er demselben unumwunden am 14. April 1880 das Folgende:

"Werter Herr! In Beantwortung Ihres frenndlichen Briefes vom 4. April bin ich nicht abgeneigt, meine Meinung hinsichtlieh des Rechts, mit welchem Versuche am lebenden Tier angestellt werden, zu &ussern. Ich gebrauche diesen letzteren Ausdruck, weil er korrekter und umfassender ist, als derjeuige der Vivisektion. Sie haben die Freiheit, jeden beliebigeu Gebrauch, welcher Ihnen geeignet dünken mag, von diesem Briefe zu macheu, aber wenu er veröffentlicht wird, würde ich wansehen, dass er vollstandig erschein.. Ich bin mein ganzes Leben hindurcb ein entschiedener Anwalt der Menschlichkeit den Tieren

und ich sah mich veranlasst, zu denken, dass es rätlich sein möchte, einen ParlameNts-BeschIuss über den Gegenstand zu haben. Ich nahm deshalb einen tbäügeu Auteit an dem Versuch, ein Gesetz durchgebracht zu erhalten, von der Art, dass es alle gerechte Ursache zur Klage beseitigt und den Physiologen Freiheit zur Verfolgung ihrer Untersuchung gegeben hätte, - eine Bill, sehr verschieden von dem Beschluss, welcher inzwischen durchgebracht wordeu ist. Es.ist gerecht hinzuzufügen, dass die Untersuchung des Gegenstandes durch eine kônigliche Kommission bewies, dass die gegen unsere englischen Physiologen erhobenen Anklagen faisch waren. Nach allem, was ich gehort habe, fürchte ich indessen, dass in einigen Teilen Europas den Leiden der Tiere wenig Rücksicht geschenkt wird, und wenn dies der Fall ist, würde ich froh sein wenu die Gesetzgebung gegeu Unmenschlichkeit in einem solchen Lande vorginge. Auf der andern Seite weiss ich, dass die Physiologie moglicherweise nicht vorwarts schreiten kann, ausgenommen mit Hülfe von Experimenten an lebenden Tieren, und ich empfinde die tiefste Cberzeugung, dass derjenige, welcher den Fortschritt der Physiologie verzogert, ein Verbrechen gegen die Menschheit begeht. Wer irgend sich des Standes dieser Wissenschaft vor einem halben Jahrhundert erinnert, wie ich es kann, muss zugeben, dass sie ungeheure Forschritte gemacht hat, und jetzt in einem immer zunehmenden Masse

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„Weicbe Verbesserungen in der medizinischen Praxis direkt der physiologischen Untersuchung zuzuschreiben sind, das ist eine Frage, welche in gehériger Weise einzig durch solche Physiologen und ärztliche Praktiker erortert werden kann, welche die Geschichte ibrer Grundbegriffe (subjects) studiert haben; aber so viel ich verstehen kann, sind die Wohlthaten bereits gross. Mag sich dies indessen verhalten, wie es will, niemand, der nicht groblich unwissend hinsichtiich dessen ist, was die Wissenschatt für das menschliche Geschlecht geleistet bat, kann irgend einen Zweifel an den unberechenbaren Wohlthaten, die von der Physiologie in Zukunft uicht allein für den Menschen, sondern auch für die niedriger stehenden Tiere ausgehen werden, aufrecht erhalten. Betrachten wir zum Beispiel die Ergebnisse Pastesrs in der Modifikation der Keime der bosartigsten Krankheiten, von denen, wenn es glückt, die Tiere an erster Stelle mehr Erleichterung, als der Mensch empfangen werden. Es mag daran erinnert werden, wie viele Leben und welch eine furchtbare Summe von Leiden durch die mittelst der Experimente Virchows und auderer an lebenden Tieren gewonnene Kenntnis parasiiischrr Würmer erspart worden sind. In der Zukunft wird jeder über die diesen Wohlthätern der Menschheit, wenigstens in England, bezeigte Undankbarkeit erstaunt sein. Was mich selbst anbetrifft, so erlauben Sie mir zu versichern, dass ich jeden, der die edle Wissenschaft der Physiologie befërder,, ebre und immer in Ehren halten werde. Werter Herr, treulich der Ihrige ^

Der Brief erschien unter andern in der „Times" vom 18. April 1881 und rief dort mehrere heftige Entgegnungen seitens der englischen Antivivisektionisten hervor, namentlich einen Brief von Miss Cobb,, deren Behauptungen Darwin in einem kurzen sachlichnn Schreiben vom 21. April an den Herausgeber der „Times" als falsch zurückwies. Mit einem gewissen Widerstreben gehe ich daran, hier eine Frage zu berühren, die man sonst mit Recht als das Heiligtum des Individuums betracht,t, die Frage nach den über die wissenschaftliche Forschung hinausgehenden religiösen Überzeugungen Darwins. Ich hâtte es gern vermieden, darübrr zu sprechen, aber nach reiflichster Ûberlegung habe ich gefunden, dass der vorliegenee Fall von demjenigen vieler andern Personnn im höchsten Grade verschiednn ist, und dass ein Mann wie Darwin nicht allein dem Andenken seiner Familie angehört, (wenn diese durch eine solche Besprechugg sich etwa verletzt fûhlen könnte), sondern der Wel,, der er sich als das Haupt und die Personifikation derjenigen wissenschaftlichen Richtung darstellt, welche gewisse hochst kurz-

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sichtige Leute für den Gegensazz alles religiösen Fühlens und Denkens ansehen. Es erscheint uns daher geradezu als Verpflichtung, uber diese Frage nicht stilischweigend hinwegzugehen, zumal Darwin seihst keinen Anstand genommen hat, sich darüber wiederhott und zu ganz fremden Menschen offen auszusprechen, und da sein Verhalten dem Glauben gegenübrr sicheriich seinem Andenken nur zur hochsten Ehre gereichen kann.

Darwin war kein vorwiegend philosophisch angelegter Denker von jener Art, die nur durch cin vollständig durchgeführtes Ideengebaude, durch cin abgeschlosseses System befriedigt werden, er neigte vielmehr der empirischen Schule Herbett Spencers zu, jener Philosophee des gesunden Menschenverstandes, die sich damit begnügt, nur die nachsten, wahrscheinlichsten und sozusagen unvermeidlichen Schlüsee aus den Thatsachen zu ziehen, ohne jemals weit ùber den Kapitalbestand der Erfahrung hinauszugehen und Anieiben im Reiche der Phantasie zu machen. Wir brauchnn hier nicht zu wiederholen, wie Gewaltiges er gerade durch diese Beschränkung auf das Nachstliegende geleistet hat, denn indem er die kleinen Veranderungen der Lebewesen konstatierte und die in ihnen gegebene Môglichkett einer immer vollständigeren Anpassugg an bestimmte Lebensbedingungen nachwies, ging er in der That nur aussertt wenig über das experimentell Beweisbaee hinau,, und er wùrde es niemass gewagt haben, daraus weitergehende Schlüsse auf die Entwicklung der Lebewesen aus niedern Formen zu ziehen, wenn ihm nicht die allgemeine Übereinstimmung der Thatsachen der Paläontologie, vergleichenden Anatomee und Entwicklungsgeschichte als genügendes empirisches, wenn auch nichi lückenloses Beweismaterial erschienen ware. Aber auch darin verfuhr er nicht konstruktiv, sondern beugee sich sozusagen der Wucht

Dabei blieb er sich indessen jeden Augenblick bewuss,,, dass wir die ersten, innern Ursachnn des Lebensprozesses und seines Ursprungs, wie seiner Veränderungsfähigkeit nicht kennen, und dass es zu den Seibsttäuschungen gehört, wenn wir uns. darüber mit philosophischen Konstruktionen hinweghelfen. Er billigee solche Versuche als Hypothesen, ohne die man in der Wissencchaft nicht vorwârts kommen kann, aber er gestand niemass zu, dass bezügiich der letzten Ursachnn eine befriedigende philosophische Erklärung

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gegeben sel. Darum blieb er sein Lebenlang dem Glauben an eine im Dunklen verborgene Urkraft oder Gottheit getreu, von der er mit Herbert Spencer vermutete, dass sie dem menschlichen Geiste vielleicht fur immer unbegreiflich und unerforschbar bleiben môchte, deren Dasein ihm aber nicht bloss ein Postulat des Gemûtes,. sondern auch des Verstandes war, sofern ihm namentlich der Ursprung des Lebens ohne eine solche Voraussetzung ein unlôsbares Eätsel zu sein schien. Bald naoh seinem Tode kam in vielen Zeitungen ein Brief zum Abdruck, in welchem er auf die an ihn gerichtete Frage, ob er ein Theist sei, Antwort giebt. In diesem Briefe, der alle Kennzeichen der Echtheit trâgt, obwohl ich nicht

Bezeichnung cines Agnostikers die richtige fur den Zustand meines

Diejenige Vorstellung von der Gottheit, welcher wir an mehreren Stellen seiner Schriften und namentlich in der oben (S. 87) citierten Stelle aus dem Schlusskapitel des „Ursprungs der Arten" begegnen, kommt derjenigen seines Grossvaters nahe und trâgt den Stempel einer Erbabenheit, die wir vergeblich in den verschiedenen geschichtiichen Religionssystemen suchen. Dieses Ideal ist eine Gottheit, die eine von Anbeginn so vollkommene Welt erschuf, dass dieselbe mit allen ihren Lebensformen sich nach den ihr von Anfang an einwohnenden Krâften und Gesetzen, und ohne jede spâtere Nachhülfe zu der bewunderungswürdigen Mannigfaltigkeit und den Vollkommenheiten, die sie darbietet und unter denen der Mensch die grôsste ist, entwickeln konnte. In dieser Weltanschauung giebt es, wie David Strauss ganz richtig hervorgehoben hat, keinen Platz für den in Permanenz erklärten Wunderglauben, der in allen Religionsschriften eme so breite und nirgends segensreiche Rolle spielt. Darum konnte Darwnn nie-

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mals ein Buchstabengläubiger und kein Christ in dem vulgaren Smne des Wortes sein. Aber in einem viel hôhern Sinne fand er

sidtrLdengef uteMen B,?trrn dieser Re^™—> *"**

Ideal der reinsten Menschhchke.t und hingehendsten Menschenliebe sicher von dem ihrigen nicht sehr verschieden war. Von Bekehrungseifer oder Abneigung gegen irgend welche aufrichtige religiose tWugung war in ihm nicht eine Spur vorhanden und daher erklärt sich leicht die einigen Besuchern aufgefallene Tatsache dass seine Wohnung reichlich mit religiosen Gemâlden, namentlich aus der Ladensgeschichte Christi, geschmückt war.

Wie schon aus dem vorhin mitgeteilten Briefe hervorgeht und aus der Sachlage folgt, war das über jene oben skizzierten Grundanschauungen hinausgehende Mass seiner positiven Überzeugungen auf dem Gebiete des Unerforschlichen gering. Dies hat er selbst in einem Briefe bekrâftigt, den Haeckel auf der Naturforscher-Versammlung in Eisenach zur Kenntnis weiterer Kreise gebracht hat. Derselbe ist vom 5. Juni 1879 datiert und an einen Studenten gerichtet, der, in seinem Buchstabenglauben irre geworden, ihn dringend und wiederholt gebeten hatte, zu sagen,

sr.r ^asrsj^ md—

iür sich selbst die Entscheidung zwischen widersprechenden unbestimmton Wahrscheinlichkeiten treffen. Ihr Wohlergehen wünschend u. s. w."

Einen guten Einblick in seine Auftassung der religiosen Verhâltnisse giebt ein Gespräch, welches Darwnn am 28.gSeptember 1881 mit Ludwig Büchner und E. B. Aveling hatte und von welchem der letztere in einer Nummer des "Naiional Refol-«** (Herbst 1882) einen Bericht gegeben hat. Buchner war zu dem am 26. und 27. September 1881 in London abgehaltenen Freidenker-Kongress naoh England gereist, und bei dieser Gelegenheit hatte sich sein Wunsch, Darwnn zu sehen, verwirklichen

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lassen. Nach dem Frühstücke hatten sich die genannten beiden Herren in Gesellschaft von Darwin und dessen Sohn Francis nach dem Studierzimmer begeben, um eine Cigarre zu rauchen.

"Hier", erzählt Dr. Aveling, „umringt von seinen Bùchern, Pflanzen und sonstigem wissenschaftlichen Handwerksgerät, brachte Darwin das Gespräch aufReligion. Ich glaube nicht hloss in meiùem, sondern auch in Professor Büchners Sinn zu sprechen, wenn ich sage, dass keiner von uns die Absicht batte, dieses heikle Thema zu berühren. Wir wussten, dass wir die Wahl des Gesprachstoffes keinen bessern Hânden überlassen konnten, als denen uusers Gastgebers, und diese Wahl ging nicht von uns, sondern von ihm aus. Kaum hatten wir es uns innerhalb der Wânde seines Heiligtums bequem gemacht, wahrend er selbst in môglichst ungezwungener Art in seinem grossen Sessel Platz geHommen hatte, als er zuerst die Frage an uns richtete: ,Warum nonnt Ihr Ench selbst Athoisten?' Und hier muss ich an eine Thatsache erinnern, welche denjenigen fremd erscheinen wird, die zwei Dinge vergessen. Das eine ist die weite Verbreitung des populären Missverstandnisses über die Bedeutung dieses Namens. Das andere ist, dass, soviel mir bekannt, Charles Darwin dem grossen hin- und herwogenden Kampf zwischen Religion und Wissenschaft wenig Aufmerksamkeit geschenkt ha.. Das Letztere zeigte sich sehr deutlich in mehreren wâhrend dieser merkwürdigen Unterrcdung gemachten Bemerkungen. Selbst er bielt die weitverbreitete Meinung fest, dass ein Atheist ein Gottesleugner sei und bewies damit die Richtigkeit meiner zweiten Behauptung.

„Sehr bescheidon wagté ich zu entgegnen, dass wir Atheisten seien, weil kein Beweis für die Gottheit vorliege; weil die Erfindung eines Namens keine Erklärung für Erscheinungen sei; weil die gesamte menschliche Erkenntnis nur eine natürliche Ordnung vorfinde und das Ûberuatürliche nur dort anrufe, wo ihr Unkenntnis oder Unwissenheit den Pfad versperre. Ich betonte, dass das griechische a nur eine ausschliessende, keine verneinende Bedeutung habe, dass wir, wahrend wir auf der einen Seite nicht so weit gingen, Gott zu verneinen, auf der anderen Seite ebenso sorgfältig vermieden, Gott zu bejahen; und dass wir, da Gott nicbt bewieseu sei, insofern ohne Gott seien und demgemass unsre ganze Hoffnung auf diese Welt richteten. Wahrend dieses Gesprachs zeigte mir der Ausdruck seines so offen auf uns gerichteten Auges, dass dieses offne Gestandnis eine neue Gedankenreihe in ihm erweckt batte. Er gab einen Punkt nach dem andern zu und sagte schliesslich: ,Ich stimme Ihrem Gedankengang zu, aber ich würde alsdann vorziehen, wenn das Wort Atheist durch das Wort Agnostiker ersetzt wùrde.'

Ich machte den Einwand, dass dieses nur eine Wortverstellung mit mehr respektablem Anschein sei, und dass man damit nur dem Cerberus der Geiellsch&ft ein Opfer bringen würde. Darauf lächette

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~r und sagte: ,Warum seid Ihr so angriffslustig (aggresive)? Wird irgend etwas dabei gewonnen, wenn Ihr die Masseffür diese neuen Ideen gewinnt? Dies ist alles sehr gut fur guterzogene, gebildete Menschen, aber sind die Massen reif dafür?'

"Wir hielten ihm nuu vor, ob nicht dieselben Fragen, welche er jetzt an uns richte, seinerzeit auch an ihn selbst gerichtet worden seien, als er zuerst sein unsterbliches Werk über den Ursprung der Arten verôffentlichte? Gar viele hatten damals gemeint, es "wäre besser gewesen, wenn diese revolutionaren Wahrheiten nur wenigen Urteiisf&higen mitgeteilt worden waren. Neue Ideen würden immer gef<rchtet und als gefähriich für die Öffentlichkeit angesehen. Aber er selbst hatte glücklicherweise diese Furcht nicht geteilt und die Massen reif für die Aufnahme seiner Ideen gefunden. Hâtte er geschwiegene so würde der grosse Fortschritt des menschlichen Denkens

2, £££.-12 rirkes CAn Ä

liebenswürdiger Offenhett antwortete er, dass er keine Zeit gehabt habe, darüber nachzudenken. Seine Zeit sei so durch wissenschaft-Uche Untersuchungen in Anspruch genommen gewesen, dass er keine Musse fur das Studium theologischer Fragen gehabt habe. Aber in weiteren Jahren habe er die Anspruche des Christentums geprüft. Auf die Frage, warum er dasselbe aufgegeben habe, gab er die*einfache und vollstandig genügende Antwort: ,Es wird nicht durch Beweise unterstütz Diejenigen, welche seine grosse Gewissenhaftigkeit in Bezng auf wissenschaftliche Beweise kennen und wissen, wie sorgfältig er immer die beiden Seiten einer Frage abwagt und die entgegengesetzten dtgenTsLn^ ""^ ^ gr0^e Bedeutung dieser Antwort zu wur-

lgen„AlSn erlaubten wir uns seine Aufmerksamkeit auf jene bekannte Stelle in seinem "Ursprung der Arten" zu richten, worin er be-

*) Wie nur scheineu will, liegt doch ein beträchtiichRr Unterschied wischen der Veröffentlichnng neuer Forschungsergebnisse und der Propaganda fur die uralten, in so vieleu philosophischen Systemen erörterten Zweifel an der Beweisbarkeit des göttlichen Daseins, die nur zu leicht in unwisseuschaftliche Négation ausarten und weder die Wissenschaft lordern, noch irgend jemand glücklich machen, wohl aber vielen Persouen die Ruhe des Gemüts ranben.                                                                  E. K.

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merkt, dass der Schôpfer einer einzigen oder einigen anf&nglichen Lebensformen das Leben eingeblasen habe, - eine Stelle, welche bekanntiich von so vielen Frommen, obgleich sie die Darwinsche Lehre in allen andern Punkten verwerfen mit seltsamer Inkonsequenz in ihrem Sinne verwertet wird: Sie wollen nichts von ihm wissen, so lange er von natùrlicher Zuchtwahl, Entwicklung, Ursprung des Menschen u. s. w. spricht, und verwerfen seine ganze Lehre, soweit sie auf Beobachtung beruht, während sie dieselbe nur in dem einen Punkte, wo sie nicht auf Beobachtung beruht, annebmen. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob er mit dieser ÄusseruNg nicht weit über die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis hinausgegangen sei und ob er nicht die streng logische Methode, welche er in allen andern Dingen anwende, in diesem Punkte verlassen habe? Er habe so vieles ohne die Hypothese einer abernatürlichen Dazwischenkunft crklärt, _ warum nicht auch dieses? Auf diese in bescheidenster Weise vorgebrachten Fragen wurde er still und nachdenkiich für eine kurze Zeit. Ein wenig spater jedoch gab er zu, dass eine enorme Kraftverschwendung stattfande in Bezug auf das Cbernatürliche im allgemeinen und die Gottidee im besondern. Der Mensch habe ja viel Zeit und Kraft zu seiner Disposition. So lange aber so viel zu thun sei für irdisches Gluck, fur die Menschheit, so lange die Natur noch so viele Geheimnisse in ihrem Schoss berge, selbst fur die in diesem Schosse lebenden Kinder, so lange musse alle Zeit, allés Geld, alle Kraft, welche fur andre Zweeke als natürliche verwendet würden, als verloren angesehen werden.

„Francis Darwin, welcher wahrend dieses Gespr&chs still am Fenster sass, warf nur eine Bemerkuag dazwischen, welche aber zeigte, wie aufmerksam er dem Faden der Unterhattung gefolgt war. Sic bezog sich anf die Unmoglichkeit, einen personlichen Gott zu beweisen and die bessere Verwendbarket, der in dem fruchtlosen Suchen nach Gott verlorenen Anstrengungen."

Man ersieht aus diesem lehrreichen Berichte, dass die Herren Freidenkrr den grossen Wahrheitssucher mit ihrer Kritik nicht geschont haben, wahrend er die Pflichten der Gastfreundschaft soweit trieb, dieselbe ohne Widersprach ûber sich ergehen zu lassen. Denn sonst hätte er ihnen wohl erwidern kônnen, dass der Glaube an die bisher unerwiesene Môglichkett einer Urzeugung oder an die Ewigkett des Lebens ihm vor der Hand nicht gesicherter oder besser erscheine, als der an die anfângliche Erschaffung des Lebens. Aber so fest Darwnn in seinen wissenschaftlichen Cberzeugungen war, auf dem Gebiete des Glaubens Hess er jedem seine Meinung und gestan,, wie wir oben (S. 218) gesehen haben, bereitwlliig zu, dass ûber diese Fragen seine Meinung schwankend gewesen sei. Dass ihm die Idee der Urzeugung

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-  fûr den Fall, dass ihre Möglichkeit bewiesen werden k&nnte,

-  in keiner Weise unsympathisch war, beweist ein Brief an Haeckel vom 2. Septembrr 1872, in welchem er mit Bezugnahme auf das damass erschienene Buch von Charlton Bastian „The beginnings of life«, London 187~ sagt:

„. . . . Unser englischer Dr. Basanan hat kürzlich ein Buch über sogenannte ,freiwillige Entstehung' veröffentlich,, welches mich recht sehr in Verwirrung gesetzt hat. Er hat die Beobachtungen ge-

BeTaec„tP;e r vershchiefnen *T{r^m>von denen «*& <&

Beobachter waren, über das m lebende Organismen verwandelte Pro-

toplasma aus den Zellen absterbender Pflanzen und Tiere gemacht «»*«. „«-, *. u„* —u _.,. ™... . mit abgekoch. . ,

aber ich glaut

worden sind. Er bat auch viele Experimenee mit abgekochtenTu" güssen in verschlossenen Flaschen angestell,, aber ich glaube erat

srsfts: Ä'a:».^"--aber

So bewâhrt sich auch bis in diese streitigen Gebiete hinein dass Darwnn die Wahrheit und nur die Wahrheit sucbte und £ âusserte zu Decandolle, dass ein Mann der Wissenschaft sich bis zum vorgeracktesten Alter fur die neuen Ideen interessieren und sie annehmen müsse, wenn er sie begründet fânde.*) Ais jener Wahrheitssucher, der die Erkenntnis der Wahrheit übe alles stellt und dem für sie kein Opfer zu schwer ist, hat er sich zu allen Zeiten bewährt, vor allem in der schweren Frage ûber die Abstammung des Menschen, über die er die goldenen Worte schrieb: „Wir habnn es aber hier nicht mit Hoffnunnen oder Befürchtungen zu thun, sondern nur mit der Wahrheit, ^oweH es^unserm Verstände gestattet is,, sie zu e^

l£Z2jftLu.*.S.m.

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XII. Amter, WurdeB und Ehrenbezeugungen.

Man wird lange suchen müssen, um in der Geschichte der neueren Naturforschung einen Mann von âhniichem Range zu finden, der so wenig nach âussern Ehren gestrebt bat, wie Darwin. Doch ist das Register der ihm erteilten Ehren nicht so uninteressant, wie bei Personen, welche an Dniversitâten und Akademien wirken, gelehrte Versammlungen besuchen, ùberall Reden halten und den Ehrenbezeugungen gleichsam nachjagen; denn Darwnn ist ihnen, wo er wusste und konnte, aus dem Wege gegangen; er hat sein Lebenlang den ihm von Lyell gegebenen Rat befolgt, keine Ehrenamter, Prâsidentschaften wissenschaftlicher Vereine und Versammlungen anzunehmen, und nicht durch lebendigen Vortrag und Verkehr waren die Schüler an ihn gekettet, die ihm spâter ihre Huldigungen entgegenbrachten. Die ersten grosseren Auszeichnungen von Akademien und gelehrten Gesellschaften wurden ihm sozusagen widerwillig erteilt, denn diese Körperschaften beugten sich seinem Geiste zum Tell nur, weil sie den spontanen Huldigungen der Überzahl gegenüber zuletzt durchaus nicht mehr anders konnten. In den spâteren Lebensjahren hâuften sich dièse Auszeichnungen, denn als seine Theorie durchgedrungen war, rissen sich die gelehrten Gesellschaften und Akademien um seine Mitgliedschaft, aber es ist nicht wahrscheinlich, dass er jemals vie! auf diese ,ausserordentlichen und ganz unverdienten" Ehrenbezeugungen, wie er sie in seinen Dankschreiben zu nennen pflegt, gegeben hat. Davon sind aber einige nicht aus gelehrten Lr^e, ltt ^                                      auszunehmen, die ihm herz-

Ich benütze diese Gelegenheit, um hier die früher vergessene Angabe nachzuholen, dassDarwin 1831, als er noch dem Christ's College in Cambridge angehorte, den ersten akademischen Grad erwarb; er wurde nach englischer Bezeichnungsweise B. A. (Bachelor of Arts), spâter (1837) nach seiner Rûckkehr von der Reise um die Welt M. A. (Magister of Arts), was ungefâhr unserm

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deutschen Doktor der Philosophee entspricht. Es wurde erwâhn,, dass er bald nach seiner Rückkehr zum Ehren-Sekretär der Londoner geologischen Gesellschaft erwählt wurde. Spater, nachdem seine Arbeiten über die Reise erschienen waren, folgten allmählich die Ernennungen zum Mitgliede der Londoner geologischen Gesellschaft (F. G. S. d. h. Fellow of Geological Society), der Linne-schen Gesellschaft in London (F. L. S.), der kôniglichen Geselschaft in LLndon (/. R. 8.) und Edinbugg (F. R. S. F.), sowie vieler auswârtiger Akademieen.

Im Jahee 1853 verlieh ihm die kôniguiche Gesellschaft in London die „KönigIiche Médaille", worauf nach langer Pauee -denn inzwischen war der "Ursprung der Arten" erschienen - die Copley-Medaille, welohe dieselbe hôchsee wissenschaftliche Kôrpe-schaft in England zu verteilen hat, 1864 folgte, und ebenso die Wollaston-Medaille von der Londonrr geologischnn Geselischaft. Über die Schwierigkeiten, denen die Zuerkennung der Copley-Medaille begegnete, hat Lye,l, der wohl der Urhebrr des Gedankens gewesen sein mag und auch die Festrede an dem Jahrestage der „kônigiichnn Geselischaft" hielt, folgendes berichtet:

„Mein lieber Darwin!" schrieb er am 4. November 1864, „ich war entzückt, gestern im Athenäum zu hôren, dass der Rat entschieden hat, dass Sie die Copley-Medaille erhalten sollen, denn als sie Ihnen letztes Jahr nicht zugesprochen wurde, empfand ich, dass ihr Wert um vieles verringert war, und sympathisierte in meinem Unwilleu nber den Mangel an Mut, der in dem Zogern lag, mit einem Freunde der lange dafür gebalten hat, dass diese Medaillen mehr Übles als Gutes thun, was ich indessen stets abgeneigt gewesen bin, zu gtanben.

„In dem jetzigen Augenblick ist es von mehr als gewôhnlicher Wichtigkeit, nicht von einem rein wissenschaftlichen Gesichtspunkte, denn Ihr Ansehen kann dadurch nicht im geringsten in den Gesinnungen derer gesteigert werden, deren Meinungen Ihnen wert sind, oder welche fähig sind, aus sich selbst über die Verdienste soich eines Buches wie der ,Ursprung" zu urteilen, sondern weil eine öffentlich durch eine alte privilegierte Instituiion verliehene Ehre auf die Aussenstehenden wirkt und jenen Bestand von moralischem Mut vermehren hilft, welcher noch so klein ist, obwohl er merklich in den paar letzten Jahren zugenommen hat. Huxley setzte mich in Alarm, indem er mir vor wenigen Tagen erz&hlte, dass eiuige der aitern Mitglieder des Rats furchtsam seien, etwas so Unorthodoxes wie den ,Ur-

Km»u«, Ch. Darwin.                                                                                 15

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Im Jahre 1867 wurde Darwin zum Ritter des preußisuhen Ordens pour le mmje ernann,, und im folgenden Jahre verlieh ihm die Umversitât Bonn bei Gelegenheit ihrer funfzigjâhrigen Stiftungsfeier den Ehrendoktor der Medizin und Chirurgie. Im Jahre 1870 war Darwin zufolge einer von ihm selbst für Professer W. Preyer gemacheenAufzeichnung Mitglied der Akademieen von London, Edinburg und Dublin, Berlin, Petersburg, Stockholm, Upsala, Philadelphia, der Leopoldina Carolina in Dresden und "ich glaube noch einiger anderer, aber sie fallen mir nicht ein." Die noch fehlenden Akademieen beeilten sich nunmehr nachzukommen und es mag als ein charakteristisches Merkmal dafür, wie langsam der Darwinismus in Frankreich Boden fand, erwâhnt werden, dass Darwin erst im Sommer 1878 zum korrespondierenden Mit-ghede der Panser Akademie ernannt wurde. Von vierzig Mitgliedern der zoologischen Abteüung, welche die Wahl beantragt hatte, erhielt er 26 Stimmen, und das war viel, denn bei einem nicht lange vorher gemachten Versuche, die Pariser Akademie dem grossen britischen Forscher gegenûber in die Reihe der andern Akademien zu bringen, hatte er nur fünf Stimmen erhalten!

Und wer weiss, ob diese Ernennung damais schon erfolgt

*äre, wenn Darwnn nicht im Jahre vorher (1877) der

Gegen-

stand zahlreicher Ovationen in Deutschland, Holland und England geworden wâre, die ihrem Charakter gemâss ein besondres Aufsehen erregen mussten. In der Regel ist es der siebenzigste Geburtstag, der von den Bewunderern eines beruhmten Forschers, der als Privatmann keine Amtsjubilâen begehen kann, benützt wird, ihm

gischen Sektion des westfälischen Provinzial-Vereins, Rechnungs-«UhouB.de*)) in Munster, Folge zu leisten und demselben

*) Life of Lyell Vol II. pa~. 383.

**) Vergleiche dessen Schrift: „Charles Darwin und seine deutschen Anhangrr im Jahee 1876." StrMsburg i./E. 1877.

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227 ihre Portrâts undBeiträge aar Herstellung eines prâchtigen

Albums

äsenden, welches Darwnn bereif Febru- 1877^reicM werden konnte. Der genannte Urheber der Idee, welcher in Deckll einen eifrig Verbûndeten fand, hat sich grosse Verdienste um die würdige Verkorperung derselben erworben und das in dunkelbiauem Sammt mit reichem ™dkuns vollem Gold-und Silberbeschlage gebundene Album machte der deutschen Kunstindustrie keine Schande.

Einen herrlichen Schmuce empfing dieses Album welches die

Portrâts von hundertundvierundfünMg, meist dem Gelehrtenstande

Verehrern un ' ' ---------"" «—^

r Zuhôrer e_..... ------------                              .

Dichter Arthur Figger in Bremen gestiftete Titelblatt und em

Hôhe desBogens liest man mit kunstvoll viertenBuchstaben Dem Reformator der Naturgeschichte Charles Darwin« Darunter auf einem Steinblock mit der Inschrift: „Herum cognoscere causas" sitzt

eine schône weibliche Gestalt als Personifikation der Forschung mit m aufgeschlagenen Bu ' "~ T'""~ -1"™ ^ *" ~""" Wissenschaft, ein auf htender Fackel. Zu L_-~;------------                   -

finstre weibliche Figuren mit Fledermausflügeln und gefesselt: die

einem aufgeschlagenen Buch auf den Knieen neben %&**«**

Personifikationen

der überwundenen Standpunkte von Mythes und

Dogma,de allein in düstern Farben grau und braun gemalt sind wägend die ùbrige Malerei in Go^ -d Jichtej *«*£ über ihnen erscheinen in goldenen Medaülons ^Porträt der grossen Vorgânger Kant und Gothe, unter der Mittelgestalt im Fundament des Bogens die unter den vielen Sprüngen kaum noch erkennbare Erschaffung Adams von Michel Angelo. Das Wtdmungsblatt an Charles Darwnn lautet:

15«

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Wie lag im kindlichen Enteticken Der Mensch im Arme der Natur! Sie liebend nah ans Herz zu drücken Füllt er mit Gôttern Berg und Flur: Die Dryas in des Haines Sausen Die Nymphe grüsst aus Born und Bach, Und ernstes Vaterwort im Brausen Des Donners der Kronide sprach.

Da ging in heilig grossen Schlägen

SÄrft^td^h und Segen

Um des Gesetzes dunkle Norm, Doch des Lebend'gen dunkle Fülle War eines Geistes klare Form.

Wie längst verscherzt! Wie längst verlorcn!

Das brüderliche Band zerriss.

Zum Frevler ward der Mensch, zum Thoren,

Verstossen aus dem Paradies.

Er, den zu seinem Ebenbilde

Ein Gott erschuf in ewger Huld,

Ein Sünder irrt er im Gefilde

Des Jammers und der Todesschuld.

Und rings eatgeistert starrt und biôde, Getroffen von des Dogmas Fluch Natur in schauervoller Ode, Ein Saitenspiel, das man zerschiug. Vom Messer der Systeme grimmig Zerfleischt und mumienhaft verdorrt, Die lebenglühend, tausendstimmig Emporgejauchzt als Ein Accord.

Da kamest Du - und im Getrennten Die Einheit fand Dein Forscherblick; Den tief entzweiten Elementen Gabst Du die Harmonie zurück. Du sahst im ewigen Verwandeln Der Dinge weitverknüpftes Netz. Und in dem ratseivollen Handeln Des Weltalls sahst Du das Gesetz.

Nicht mehr vom Paradies vertrieben Schweift nun des Menschen banger Lauf;

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Er geht im Hassen wie im Lieben In der Geschwister Reigen anf Und tobt mit ungehearem Wûten Endios ums Dasein Krieg auf Krieg: Die Schmerzen wird ein Gott vergüten, Denn sieh! - den Besten krOnt der Sieg.

Die Muse scheut vor Weihrauchsspenden, Vor breiten Lobgesanges Prunk;

Die Deinem Genius sich beugen, Erkenner Du der All-Natur!

„Mein Herr!" erwiderte Darwun dem Veranstalter der Ovation, „Ihr prachtvolles Album ist soeben angelangt, und ich kann uicht Worte finden, meine Gefühle tiefer Dankbarkeit für diese ausserordentliche Ehre auszudrücken. Ich hoffe, dass Sie die hundert vier und fünfzig Mânner der Wissenschaft, unter denen sich mehrere der am meisten verehrten Namen der Welt befinden, in Kenntnis setzen werden, wie dankbar ich für ihre Güte und edelmûtige Sympathie, mir ihre Photographien zu meinem Geburtstage gesendet zu haben, bin. Ertauben Sie mir, Ihnen ferner auf das wärmste für die beigeschlossenen Briefe und Gedichte, die mich alle so hoch beglücken, zu danken. Die Ehre, welche Sie auf mich geleitet haben, ist g&nzlich über meine Verdienste, denn ich weiss wohl, dass beinahe mein ganzes Werk auf Materialien basiert ist, die von vielen ausgezeichneten Beobachtern ge-

sammDLrninalle Zeit denkwnrdigo Zeugnis wird mich, so lange ich zu irgend einer Arbeit fahig bin, zu erneueten Anstrengungen reizen und bei meinem Tode wird es meinen Kindern ein hôchst kostbares

ErbeIchnhabe meine Gefühle ganz unangemessen ausgedruckt und werde

meinHerr

Ihr verbundener und dankbarer Diener Charles R. Darwin.

In der That hatte Darwin eine ausserordentliche Freude an diesem Album und zeigte es mit Stolz nocb nach Jahren seinen Besuchern. Allem Anscheine nach von dem Gedanken des Herrn Rade angeregt, sandten ihm seine hollàndischen Verehrer

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zu demselben Tage ein âhnliches Album und in dem Dankschreiben Darwnss an den Prâsidenten der zoologischen Gesellschaft der Niederlande, Professor A. v. Bemmelen, der sich an die Spitze dieser Ovation gestellt hatte, kommen die schônen Worte vor:

-.....Ich vermute, dass jeder Arbeiter auf wissenschaftlichem

SIAS« AM?, «h£

gekostet hat. Aber für die coch übrigen Jahre meines Lebens werde

und mich ihrer edeimütigen Sympathie erinnern.....»

Nun regte es sich auch in England. Am Sonnabend den 17. November 1877 wurde Darwnn von der Universitât Cambridge, an welcher er seine Studien gemacht, eingeladen, um in feierlicher Sitzung die Wùrde eines Doktors der Rechte (LL. D. d. h. Legum Doctor) zu empfangen. Obwobl er niemals viel auf die klassischen Studien gegeben hat, hôrte er doch die im klassischen Latein gehaltene Rede, mit der die Ceremonie eingeleitet wurde, geduldig an, musste sich aber versagen, dem darauffolgenden Festschmause beizuwohnen. Huxey,, der hierbei den Toast auf den neuen Doktor ausbrachte und ihn, einen Vorgânger ausgenommen, als den grôssten Naturforscher seit Aristoteses feierte, lobte dabei sarkastisch die Universitât, die mit ihrer hôchsten Ehre vorsichtig so lange gewartet habe, bis alle andern Auszeichnungen auf das Haupt Darwins gehâuft seien, damit ihr Doktorhut obenauf stûnde und nicht durch weitere Ruhmeskrânze bedeckt werden kônne. Ich glaube aber, die Oxforder Universitât war noch vorsichtiger gewesen, und natürlich kamen noch manche andere Ehrenbezeugungen nach.

Da die Cambridger Universitâtsich als die Geburtsstätte der Darwinschen Genius betrachten durfte, so versammelten sich im Christs-Collage daselbst wenige Tage nach jenem feierlichen Akte einige Verehrer, um über die geeigneten Mittel zu beraten, in Cambridge ein dauerndes Andenken an den grossen Schüler zu stiften. Man überliess es dem Ertrage der zu diesem Zwecke aufgelegten Liste, ob die Auszeichnung in einem Lehrstuhl fûr allgemeine Biologie, in einer Buste oder in einem Olgemälde bestehen solle, und entschied sich, nachdem die Sammlungen auf 400 £ gestiegen waren, für ein Portrât, mit dessen AusfuhrungW.M. Richmnnd beauftragt wurde.

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anstaltungen bekannt geworden. Nur der „Kosmos" erwies ihn, die, wie er in seinem Dankschreiben sagte, „noch nicht dagewesene Ehre", ein besonderes GraMationsheft mit Beitrâgeu von Arthur Fitger, W. Preyer, E. Haeck,l, Fritz und Hermann Müller G. Jäger und dem Herausgeber zu veranstalten. Icb denke, es wird dem Leser dieses Buches Freude machen, das schwungvolle Widmungsgedicht A. Figgers ebeufalls hier abgedruckt zu finden. Es lautet:

Fausts Schatten

SU

Charses Darwin

(12. Februar 1879.) „Geheimnisvoll am lichten Tag

Wen bat durchbebt wie mich das Wort, Das hoffnuugslose, da den Hort Der Weisheit und der Wissenschaft zu heben, Ich hingeopfert Glück uud Ruh und Leben! Vor meiner Seele glomm ein Dâmmerschein Geahnter Wahrheit, blass wie Nebelstreifen; Doch frommte nicht Krystall, noch Totenbein, Noch Bacherwust, das Traumbild zu ergreifen. In Herzensqualen, tief um Mitternach,, Bannt' ich herauf den Geist der Erde, Den Geist des ew'gen Stirb und Werde; Doch in den Staub sank ich vor seiner Macht. Geblendet von der unermessnen Fülle Der Kreatûren sturzt* ich hin; Je mehr ich sucht', je dichter ward die Hülle, Je mehr ich gab, je karger der Gewinn. So ist dem Wanderer, dem der Wustensand Betrnglich spiegelt das ersehnte Land:

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Die Knppel strahlt, die Zinne silberhell, Die Palme schwankt, ins Becken springt der Quell; Er schaut und schaut, bis sich sein Bti~k umnachte,, Bis einsam durstend er im Sand verschmachtet. Da hab' ich mir, da hub' ich Gott geflucht; Und hab' den Bund der Finsternss gesucht; Im frevelhaften Taumel des Genusses Hab' ich mein brennend Herz berauscht Und, schwelgend au dem Horn des Cberflusses, Für Geistesqual mir Sinnenlust ertauscht. 0 frage keiner, welches Leid ich litt, Wohin ich floh, trug ich die Sohnsucht. mit! Umsonst Gelag und Jagd und Spiei und Wein, Treu wie mein Schatten folgte mir die Pein; Umsonst der Schwanerxeugten Liebesarm, Treu wie mein Schatten folgte mir der Harm. Geendet hab' ich längst. Die Seele floss Hinab zur Wiese voll Asphodelos, Wo unbeseligt, aber schmerzensleer Ich brandon seh' des Erdenlebens Meer. Dort sah' ich ihn, der Ruh' der Sonn', und Flucht Der Erde gab, und ihn, der im Getriebe Der Welten, wie im Fall der reifen Frucht Die allanziehende erkann,, die Liebe, Und ihn, den Jud' und Christ verstiess, den Denker Der Gott Natur, und ihn, den Geisteslenker, Den Führer, der das Banner der Vernunft Zum Sieg getragon ob der dunklen Zunft. Ich sah den Dichter, der mit Feuerzungen Und Engelsstimmen mein Geschick besungen, Der wie einst ich gerungen glühend rang Uud rem'ren Geists den Höllengeist bezwang; Propheten all, des ewig Einen Lichts, Ziehn sie dahin verklärten Angesichts.

Nun schau ich Dich'! von allen, die ich sah, Erhabner Greis, o, fahl' ich Dir mich nah! Was ich geahnt, Dir ward es klar; Was ich getr&umt, Dir ward es währ, Du hast gleich mir des Erdgeists Licht gesehn¡ Ich brach zusammen, aber Du bliebst stehn, Und fest im Sturm der wecbselnden Erscheinung Sahst das Gesetz Du, sahst Du die Vereinung. 0 wârst Du, da des Lebena warmer Zug Die Brust mir hob, da heiss der Puis uoch achiug,

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— 23;i ~

0, wârst Du damais trosteud mit genaht, Nicht in Verzweiflung führte nach mein Pfad Dem Abgrund ^ nicht in das Garn des Bosen.

S^SreS^Ä„schra„ken

Des eignen Ichs Geheimnis8nimn,er^S^ Wälz' ab unmutigen Grubelns Last Hinaus ins Leben riehte die Ge£ken! Da ringt die Kreatur auf tausend Wegen Vollkommnerem, Vollkommcnstem entgegen, Da ringe mit! Ob dunklem Ziele zu, ' sonder Ziel _ ob ew'ge That s Los ist des Lebeudigen _ g Die Welt hat Raum auch für den

Ben .üb ,i»"Ork";r»,r™"sc"hSE' "'""""

)i>itvt c.Ir»1^ v««:-, n_____ i *         a                -^

M* «tab.» Greta; i„f «uer Bahn,

Nicht in Aonen untergehn.

»Mf™ die Spur von Deinen Erdentageu

Um dem Buche eine Probe von Darwsns Handschrift bei-lugen zu können. ist, weil kein anderer gleich kurzer, selbst-

geschnebener Brief zur Verfügung stand, das Dankschreiben, wel-m siehenzigsten ^—- - -an den Vertag wiedergegeben w _                  Worte man

bereiten könnte, der Wortlaut hier zur Vergleichung:

ches Dawwin an seinem siebenzigsten Geburtstage nach Emnfan, des Gratulationsheft, an den Erfasser d^BuTht S hat durch Lichtdruck wiedergegeben worden, und folgt deshalb da ;"tZ^!llg !iDZe^CT,WOTte ^-^m Leser Schwierigkeiten

tiear Sir!                                               **' ^ '"'"■

F,lJ T^ a^° thank y°" /W y°W ™MV «W letter, m

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neatly,              '        ' '        ""' * »**i ' «* « «»« *«« m.

With cordial thanks

Yours jaühjully

Chir~s Uarwm.

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I

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Schon bald nach seiner grossen Reise sind verschiedene vob Darwnn entdeckte Tiere und Pflanzen ihm zn Ehren getauft wor-den. Ausser dem schon früher (S. 40) erwâhnten patagonischen Strauss gehort hierher eine kleine chiteaische Krôte aus der Nachbarschaft der merkwürdigen Gruppe der Phrynisciden, welche Gay in seiner Fauna von Chile Rhino~errna Darunnii getauft hat. Es ist an Tier von sehr groteskem Aussehen und merlcwûrdigen Gewohnheiten, denn das Mânnchen, welches eine glockenhelle Stimme bent«, benutzt seinen ungemein ausgedehnten Schallsack um dann die junge Brut bis zur Reife auszutragen, wobei es selbst vollstândig verhungert und abmagert - Um denBegrunder der neuen Theorie über die Entstehung der Korallen-Inseln zu ehren, gab W Dy-bowski 1870 einer silurisohen Korallengattung aus der Familie der Rugosen den Namen Darmnia*), wâhrend Fritz Müller eine Gattung lebender Susswasserschwâmme - wenn mich mein Gedâchtnis nicht tâuscht - Darviinella getauft hat. In der Folge sind dann sebr zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, bei denen irgend eine für die Descendenz-Theorie lehrreiche Eigenschaft bemerkt wurde, zu Ehren Darwins benannt worden. Haeckel allein > hatwohl einem Dutzend verschiedener, von ihm zuerst beschriebener * Arten von Radiolarien, Kalkschwâmmen, Eorallen, Medusen und Wirbeltieren Darwins Namen beigelegt, unter denen LepusDarmnn, der bekannte fruchtbare Bastard von Hasen und Kaninchen, sowie ~onoocenia Darwinii, eine Koralle des roten Meeres mit sehr „unverfâlschter" Entwicklungsgeschichte, besonders hervorzubeben sind. Auch die letzten Lebensjahre Darwnss waren noch reich an EhrenbezeuguNgen mannigfaltiger Art. So ûberreichte ihm das konigliche Kollegium der Ârzte Londons im Mai 1879 die Baly-Medaille, und am 3. November 1880 erschien eine Deputation der Naturforscher-Gesellschaft von Yorkshire in seiner Wohnung, um ihm eine im August beschlossene Adresse zu uberreichen, in welcher ihm die Naturforscher der Grafschaft York ihre Bewunderung fur sein unermudiiches Weiterarbeiten auf dem Gebiete der Natur-

*) Ob die neuholländische Pflan zeugattung Darmnia aus der Gruppe der Chamaelauciaceen, einer Abteilung der Myrtaceen, zu Ehren des GrosB-vaters oder des Enkels benannt ist, hann icb augenblicklich nicht feststellen. Ich glaube aber, dass diese Ehre Dr. Eraseus Dawwin gegotteu bat.

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forschun,, trotzdem er so viel Grosses vollendet habe, aussprachen. Bald darauf traf eine vom 1. Cktober 1880 datieree Adresse des Otago-Instituts von NeuSSeeland ein, in welcher es sehr treffend

„Wir sind froh zu denken, du» Sie imstande gewesen sind, bei Lebzeiten die fast allgemeine Annahme der grossen Lebre, deren Aufstellung das Werk Ihres Lebens gewesen ist, zu sehen. Es ist schwerlieh ene Übertreibung, zu sagen, class jede wichtige botanische oder zoologische Entdeckung der letzten einundzwanxig Jahre, besonders in den

Abtei]ungcn der Embryologie und Paläo~toiogie, darauf" hiuans'ge)aufen

So gross die Ehrenbezeugungen waren, welche Darwin in semen letzten Lebensjahren auch von seinen Landsieuten erfuh,, und von denen im Vorstehenden nur die wichtigsten knrz angefühtt worden sind, wurden dieselben doch weit übertroffen von denen, die man ihm nach seinem Tode widmete. Es war, aïs ob England erst jetzt und mit einem Male, erst seit es ihn verloren, die ganze Grösse dieses Mannes erkannt habe, und selbst die hohe Geistiichkeit der englischnn Iürche die ihm frûher so schroff gegenübrr gestanden, beeüte sich, mm ihre Hocbachtung zu bezeugen. In den Unterschriften des Komitee,, welches sich bald nach seinem Hinscheiden bildete, um sein Andenken durch ein Standbild und einen Fond zur Ermutigugg biologischer Forschungen zu ehren, liest man nicht ohne einiges Erstaunen an der Spitze jener stolzen Namen der Aristokratie und Wissenschaft, der Herzôge von Argyl,, Devonshire und Northumberland, der Grafen von Derby, Ducie, Granvllle, des Marquis von Salisbuyy und des gelehrten England,, die Namen der Erzbischöfe von Canterbury und York, des Bischofs von Exeter, der Dekane von Westminster, Sankt-Paul und der Christuskirche! An den Tagen vor und nach dem Begräbnis wurde von den Kanzeln der Paulskirche und Westminster-Abtei Darwins Ruhm verkunde!I In solchem Masse hatten seine grossen Charaktervorzüge die Herzen versohn,, dass aller wissenschaftliche Streit, aller Zwiespatt der Meinungen an seinem offenen Grabe ruheten.

D arwnn gedachee in einem Erbbegräbnisse zu ruhen, welches er wenige Jahee vor seinem Tode zu Down fur seine Famiiie er-

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haut batte, aber da sich die allgemeine'Stimme in der Presse mit Nachdruck fur seine Beisetzung in der nationalen Rubmeshalle, der ebrwùrdigen Westminster-Abtei erhob, glaubte die Familie diesem mit seltener Einstimmigkeit ausgesprochenen Verlangen nicht widerstreben zu dürfen und gab ibre Einwilligung. Die Beisetzung fand am Mittag des 26. April 1882 unter grosser Feierlichkeit statt. Der Kôrper ruht in einem zinnernen Sarge, der von einem un-polierten Eichensarge mit einfacher Aufschrift auf einer Metallplatte umschlossen wird. Die Herzôge von Devonshire und Argyl,, der amerikanische Gesandte Lowel,, der Kanonikus Farrar, die Naturforscher Spottiswood, damals Prâsident der Royal-Society, Hooke,, Wallace, Huxlyy und Lubbock, meist Personen, die dem Verstorbenen im Leben nahe gestanden batten, trugen die Zipfel des Leichentuches. 1m Trauergefolge befanden sich, ausser der Familie u*d den Verwandten die Spitzen der Regierung und der Stadt London, die Botschafter Deutschiands, Frankreichs und Italiens, die Eoryphäen der Wissenschaft und Vertreter fast sâmtlicher gelebrten Geselischaften Englands. Die Beisetzung erfolgte neben der Gruft Herschels und in der Nähe der Grabstätte Newtons.

So war sein Begrâbnis ein Triumphzug, und aïs ein Trium-phator, ein Held des Geistes, der eine Welt von Vorurteilen ûberwunden bat, um dem Forschen und Fühlen der Menschheit einen neuen Aufschwung zu geben, aïs das erhabene Vorbild eines Mannes, der mit aller Kraft seines Geistes die Wahrheit gesucht bat, wird er in unserm Andenken und unsern Herzen immerdar

weiter leben!

W™F,A»,.*»P.l.»8o.d.»h.u..a.

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DOWN, BECKENHAM,KENT.

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^^OKPIBCTON. S.E B .

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Darwinistische Schriftei

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Xo. 1. Hneckel. Em*. Das Proti.tcreiH.. Eine populäre Übersieht

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Xo. 2. .Jaeavr. Prof; Dr. G.. Seuebciifestigkoit und Konfctitiiti.nis-1 ra ft u. ihro Beziehung zu» %pez. Gew. des Lebenden. 1878. M 8.-

No. ::. Kühne. Dr. II.. Di«' Be.lcuriu.fr se« AnpasHu ngsge.e *<* iüd die Heilkunde. WS.                                               M -'---

No. - duVre^T.Dr. Carl. Die [>aaneiewbewohn,r und dieN.M.buU.r-lupothese. 1880.                                                                 M :>._

Xo. !-. Beicheimu, W. von, Die Nester „ „d Eier der Vögel in ihn-n naturheben Begehungen betrachte«. 1880.                           IL A

No. 10. SeU««M,P^ Dr. Prite, Die Sprache de» Kiiidcs. Eine Anregung zur Edam-hung de* Gegenstandes. 1880,               31 1.-

No. 11. SeliuHzp. Prof. Dr. Fritz, Die Ornadgedanken de« Materialismus und die Kritik derselben. . 1881                        M 2.-

Xo. t~. Biieiiii.T. Prof.Dr. L.. Die Macht der Vererbung und ihrEin-iW auf den geistigen Fortschritt der Menschheit. 1882. M 2.-

No. )~. Fdfehl. (\ J., Die Beligion und der D&rwunismus, Eine

3o. i4. Pliilipp, h., (Ursprung«. Lebenserseheimtfgen der tierischen Organismen. 1S83. .                                                      M 8.-

No. lä. Schuit/c, Prof. Dr. Fritz, Die Grundgedanken des Spiritis-. mu* und dik Kritik derselben. im.                                 M 5.--

du Prel, Di. ('«u-l, Enhüekltuigsgescinchte des Weatalls/

■ Verbuch einer Philosophie der Astronomie. Dritte v«m. Auflage der,

thrift „Der Kampf ums Dasein am Himmel". 1882.

du Fre., Dr. Carl. Die Philosophie der Mkstik 188&.M 10.-

Romanes. (i. J., Dee i>ci^iSe Entwicklung im Tierreich. Netet einer Hachgetassn^r, Arbeit „über Instin"t" von Ob. Darwin.

Sohnltze, Prof. Dv.Fiil/. Philosophie der Natunrisst-nsi-haft.

Eine s.hil.KM.plii-ehe Einleitung in das Studium der Natur uod ihrer Wi^u.M-l.aitrn. > Rand..


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Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)

File last updated 25 September, 2022