RECORD: [Noll, F. C.] 1868. [Review of Variation]. Zoologische Garten 9, no. 10 (October): 351-352. 

REVISION HISTORY: Transcribed by Christine Chua and edited by John van Wyhe 11.2022. RN2


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Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustan de der Domestication." Von Charles Darwin. Aus dem Englischen übersetzt von I. V. Carus. 2 Bde. Stuttgart, Schweizerbart'sche Verlagshandlung 1868.

Nachdem der Verfasser mit seinem Buche über ,,die Entstehung der Arten" so grosses Aufsehen erregt und einen Kampf für und gegen hervorgeruf en hat, der noch lange andauern wird, durfte man mit Spannung dem Werke entgegen sehen, das, wie damals angedeutet, die aufgestellten Ideen im Weiteren ausführen und bestätigen sollte. Es liegt jetzt in zwei Bänden fertig vor uns, deren erster es sich zur Aufgabe macht, alle die wichtigern Abänderungen in Bau und Lebensweise uns vorzuführen, die im Laufe der Zeit an den der Zucht des Menschen unterworfenen Thier en und Pflanzen aufgetreten sind. Diese Geschöpfe sind durch den Menschen in die verschiedensten Lebensverhältnisse gebracht, mit Auswahl sind gewisse neuaufgetretene Formen von ihm weitergezüichtet und über sie liegen vielfach geschiehtliche Nachrichten vor, die über Abstammung und Variirung

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Aufschluss geben. Sie sind also die zum Nachweise der variabilität der Arten geeignetsten Objecte, wahrend die wildlebenden Species dazu meist unbenützbar sind.

Seiner schweren Aufgabe ist der Verfasser mit seiner bekannten Gewissenhaftigkeit nnd Genauigkeit, die sich überall zeigt, wo es sich um Auffassung von Thatsachen hand'elt, nachgekommen. Die umfangreiche vorhandene Literatur ist kritisch von ihm gesichtet, über die Abstammung der Arten von einer oder mehreren Species sind die am meisten treffenden Gründe angegeben und vor Allem werden die weiten Grenzen gezeigt, innerhalb deren ein Thier variiren kann. Am wichtigsten erscheinen dabei die Abänderungen des Skelets, welche wie die von Farbe, Grösse, Gewohnheiten etc. derart bedeutend sind, dass ein Forscher, der unsere Thiere nicht kennte und dem die Skelete etwa zweier weit auseinander gehender Taubenracen vorgelegt würden, dieselben mit der grossten Bestimmuzeit für zwei ganz verschiedene Arten erklaren müsste. Wir halten es für ein bedeutendes Verdienst des Buches, gerade die grossen Abärrderungen im Skelet zum rechten Verständniss gebracht zu haben, da immer noch viele Zoologen auf das Skelet den grössten. Werth zur Artbestimmung legen. Dass auch die Erzeugung von fruchtbaren oder unfruchtbaren Bastarden kein Kriterium für die Begrenzung der Species abgeben kann, dafür findet man ebenfalls mehrfache Belege in dem Buche. Wir werden uns erlanben, nnseren Lesern mit Nächstem als Probe das Resultat der Untersuchungen iiber eins unserer Hausthiere vorzulegen.

Während der erste Band so reiches Material für die exacte Wissenschaft bietet, beschäftigt sich der zweite resumirend und theoretisirend mit clen Resultaten, die nach Ansicht des Verfassers aus den mitgetheilten Thatsachen gezogen werden müssen. In inhaltsreichen Kapiteln, die zahlreiche neue Belege enthalten, wird der Einfluss nachgewiesen, den Vererbnng, Rückschlag (Atavismus), Kreuzung und andere Momente auf die Organismen ausüben. Vielleicht ist es uns möglich, auch von der Behandlung dieser wichtigen Gegenstände unseren Lesern einen Abschnitt vorzuführen. Das Werk schliesst mit einer Hypothese der Pangenesis, durch welche die Menge von Thatsachen, die für jetzt durch keine gemeinsame Ursache verbunden, zerstreut vorliegen, zusammengebracht werden soil, welche aber der Verfasser selbst eine provisorische nennt. Sie ahnelt im Ganzen der bekannten Buffon'schen E inschachtelnngstheorie und beruht auf einer rein willkürlichen Annahme von dem Leben der Zelle.

Sehen wir von ihr ab, so müssen wir dem Werke eine grosse Bedeutung zuschreiben. Wenn auch endgültige Beweise für das Entstehen einer neuen Art aus einer schon vorhandenen nicht geliefert werden konnten, so sehen wir dagegen in der That auch die Unveränderlichkeit der Species auf das Wesentlichste erschüttert. Der wichtigste Nutzen des Buches aber dürfte in der Anregung bestehen, die auf lange Zeit hinaus der Forschung auf diesen Gebieten gegeben ist.

N.

 


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Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)

File last updated 10 November, 2022