RECORD: Darwin, C. R. 1863. [German translation of portions of: Zoology (pt 2, pp. 10-12, pt 4, p. 151), Coral reefs, Journal of researches 2d ed., South America, Origin & Orchids]. In J. Schönemann, Charles Darwin, englischer Naturforscher. Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon 7: 699-718.
REVISION HISTORY: Text prepared and edited by John van Wyhe 10.2022. RN1
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These quotations from Darwin's works, apart from those from Journal of researches and Origin had not previously been translated into German. They appeared in Friedrich Arnold Brockhaus's Unsere Zeit. Jahrbuch zum Conversations-Lexikon (Our times: yearbook to the universal encyclopaedia) 1863, supplement to the Allgemeine Deutsche Real-encyklopädie für Die gebildeten Stände. Conversations-lexikon (General German encyclopaedia for the educated classes. Universal encyclopaedia), Leipzig 1851-55. Darwin's translated words are given here in bold.
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Charles Darwin,
englischer Naturforscher.
Charles Darwin, einer der ausgezeichnetsten Naturforscher unserer Zeit, ist am 12. Febr. 1809 zu Shrewsbury in England geboren. Sein Vater war Dr. Robert Darwin daselbst, und sein Großvater Erasmus Darwin, der als Arzt, Naturphilosoph und Verfasser von Lehrgedichten sich Ruf erworben hat. Der Vater seiner Mutter war Josiah Wedgwood, welcher durch seine Verbesserungen in der Fabrikation irdener Waaren und besonders durch die Art derselben, welcher er seinen Namen gegeben, bekannt geworden ist.
Charles Darwin erhielt seinen ersten Unterricht in einer öffentlichen Schule seines Geburtsorts, studirte dann zwei Jahre in Edinburgh und später in Cambridge, wo er im Jahre 1831, wie auf englischen Universitäten üblich, die akademische Würde eines Baccalaureus artium (B.A.) erwarb. Über die speciellen Studien, denen er während seiner Universitätsjahre obgelegen, ist wenig bekannt; aus seinen Werken erhellt aber, daß er in Cambridge ein eifriger Zuhörer des Professors der Naturgeschichte Henslow gewesen.
Darwin benuzte die erste Gelegenheit, seine erworbenen Kenntnisse zu Beobachtungen in großem Maßstabe anzuwenden, und zeigte, daß es ihm in dem jugendlichen Alter von 22 Jahren bereits gelungen war, in ungewöhnlichem Maße die mannichfaltigen Eigenschaften des Naturs forschers zu entwickeln. Im Jahre 1831 rüstete nämlich die englische Regierung die Brigg Beagle unter Kapitän Fizroy mit der Instruction aus, die begonnene Aufnahme der Küften von Südamerika zu vollenden, die Lage einiger Inseln im Stillen Ocean festzustellen und eine Reihe von Längenmessungen rings um die Erde auszuführen. Darwin erfuhr, daß der Kapitän einen wohlvorbereiteten Naturforscher an Bord zu nehmen wünschte, meldete sich und wurde angenommen und auf Verwendung des Hydrographen der Erpedition, Kapitän Beaufort, von den Lords der Admiralität bestätigt. Die Bestätigung der Wahl scheint in der That alles gewesen zu sein, was die Admiralität gewährte. Weder Ausrüstung, noch Gehalt, noch irgendein anderer Vortheil wurde dem Naturforscher zu Theil; aber der Kapitän Fizroy trat ihm einen Theil der Rationen ab, über die er für sich selbst zu verfügen hatte, und stellte ihn insofern ausgabenfrei.
Der Beagle ging, nachdem er zweimal durch südwestliche Stürme ans Land zurückgeworfen,
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am 27. Dec. 1831 in dem kleinen Hafen von Devonport unter Segel und kehrte nach Beendigung seiner Reise um die Erde am 2. Oct. 1836 nach England zurück.
Aus Darwin's Reisejournal ersehen wir, daß er während dieser Expedition allem, was Beachtung verdient, seine Aufmerksamkeit gewidmet hat; aber Naturgeschichte im weitesten Umfang des Wortes bildet den eigentlichen Gegenstand seiner Forschung. Von den ältesten Spuren organischer Bildungen bis zu den lebenden Geschöpfen aller Klassen untersucht er jede Einzelheit mit Sorgfalt und wissenschaftlicher Gründlichkeit. Mit der beharrlichen Ausdauer eines erfahrenen Jägers beobachtet er die Gewohnheiten lebender Thiere. Was seine Vorgänger ermittelt und aufgezeichnet haben, ist ihm bekannt; die Berichte der Landeseinwohner sind ihm willkommen; aber mit jeder Wahrnehmung erfahren wir in Kürze so genau, unter welchen Umständen sie gemacht ist, daß wir ihren Werth und ihre Zuverlässigkeit selbst zu beurtheilen in den Stand gesezt werden.
Seit seinen ersten Beobachtungen in Südamerika scheint Darwin namentlich die Unsicherheit der geltenden Classificationen der verschiedenen Thierarten beschäftigt zu haben. Sein Tagebuch hebt stets hervor, wo dasselbe Thier von verschiedenen Naturforschern verschiedenen Klassen zugeschrieben wird. Die Unzuverlässigkeit der geltenden Klassenmerkmale und die Schwierigkeit der Ermittelung zuverlässiger Eintheilungscharaktere ist nachher in seinem Hauptwerke "Origin of species" ausführlich erörtert worden.
Ehe wir in die Mittheilungen über die Darwin'schen Forschungen näher eintreten, wird es schon zur Vermeidung von Wiederholungen zweckmäßig sein, ein genaues Verzeichniß seiner Schriften aufzustellen. Diese Schriften sind:
1) "The zoology of the voyage of H. M. ship Beagle under the command of captain Fitz-Roy during the years 1832 to 1836. Published with the approval of the Lords Commissioners of H. M.'s Treasury. Edited and superintended by Ch. Darwin, naturalist to the expedition. Part I. Fossil mammalia by Rich. Owen, with geological introduction by Mr. Darwin. Part II. Mammalia described by G. R. Waterhouse, with (a geographical introduction and) a notice of their habits and ranges by Ch. Darwin. Part. III. Birds described by John Gould, with a notice of their habits and ranges by Mr. Ch. Darwin. Part. IV. Fish described by the Rev. Leon Jenyns. Part. V. Reptiles described by Th. Bell" (London, Smith, Elder u. Comp., 1840-43).
2) "Journal of researches into the natural history and geology of the countries visited during the voyage of H. M.'s ship Beagle round the world under the command of captain Fitz-Roy by Ch. Darwin." Dieses Werk ist in verschiedenen Ausgaben, unter andern als besonderer Theil der Neise des Kapitäns Fizroy (zweite Auflage, London, Murray, 1854) veröffentlicht worden.
3) "The structure and distribution of the Coral Reefs, being the first part of the geology of the voyage of the Beagle during the years 1832 to 1836" (London, Smith, Elder u. Comp., 1842).
4) "Geological observations on the Volcanic Islands visited during the voyage of H. M.'s ship Beagle, being the second part etc." (London, Smith, Elder u. Comp., 1844). 5) "Geological observations on South America, being the 3d part etc." (London, Smith, Elder u. Comp., 1846).
6) "A monograph on the subclass Cirripedia with figures of all the species" (London, gedruckt für die Royal Society).
7) "On the origin of species by means of natural selection or the preservation of the favoured races in the struggle for life" (London, Murray, 1859, und nachher oft neu aufgelegt).
8) "On the various contrivances, by which British and foreign orchids are fertilised by insects and on the good effects of intercrossing" (London, Murray 1862).
Das erstgenannte Werk: "The zoology of the voyage etc.", ist, wie dessen Specialtitel zeigen, nicht eigentlich von Darwin geschrieben, sondern enthält die von andern Gelehrten gemachten Beschreibungen der Naturalien, welche er auf seiner Reise um die Erde gesammelt hat. Jede besondere Klasse dieser Naturaliensammlung wurde zur Beschreibung einem Naturforscher überwiesen, welcher dieselbe zum Gegenstande seines Specialstudiums gemacht und sich darin ausgezeichnet hatte. Von Darwin selbst enthalten die einzelnen Abtheilungen nur Abhandlungen allgemeinen Inhalte und kürzere oder längere Auszüge aus den an Ort und Stelle niedergeschriebenen Bemerkungen über einzelne Thierklassen. Ein Blick auf die Specialtitel zeigt, daß
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das Werk keineswegs alle Klassen des Thierreichs umfaßt. An dieser Unvollständigkeit trägt aber keineswegs Darwin Schuld, sondern es scheint, daß das reiche England nicht genug zahlungsfähige Freunde der Naturgeschichte aufzuweisen hatte, um das Unternehmen vollständig auszuführen. Nach der Vorrede ist nämlich die Herausgabe des Buches nur dadurch möglich geworden, daß die Regierung 1000 Pf. St. zur Bestreitung der Kosten bewilligte. Dieser Zuschuß wäre wol nicht gefordert worden, wenn die Verleger des pecuniären Erfolgs sicher geesen wären.
Um die Literatur der Darwin'schen Schriften zu vervollständigen, wollen wir noch anführen, daß der sechste Band der "Geological transactions" zwei Abhandlungen von ihm enthält, nämlich über die wandernden Felsblöcke und über die vulkanischen Phänomene Südamerikas. Desgleichen hat Darwin zu dem halbamtlichen Leitfaden, der den wissenschaftlichen Bestrebungen englischer Flottenoffiziere und anderer Reisenden zur Nichtschnur dienen soll"), unter der Abtheilung "Geology" einen nicht unwichtigen Beitrag geliefert.
Wir versuchen zuvörderst aus den nicht ins Deutsche übertragenen Schriften Darwin's einige charakteristische Auszüge zu geben, zunächst Thierschilderungen aus der "Zoology of the voyage etc.", die entweder an und für sich wichtig sind, oder zu Darwin's Theorie über den Ursprung der organischen Welt eine besondere Beziehung haben.
"Die Vampyrsledermaus", sagt Darwin in seinen handschriftlichen Noten über diese Species**), "verursacht oft viele Ungelegenheit dadurch, daß sie die Pferde durch ihren Biß im Widerrift verwundet. Der Blutverlust ist nicht von so großem Nachtheil als die Entzündung, welche später durch den Druck des Sattels entsteht. Daß es blutsaugende Fledermäuse gibt, ist in legter Zeit in England ganz und gar in Abrede gestellt worden. Insofern betrachte ich es als ein Glück, selbst dabeigewesen zu sein, als eine solche Fledermaus auf dem Rücken eines Pferdes ergriffen wurde. Wir übernachteten einmal in der Nähe von Coquimbo in Chile im Freien. Mein Diener, der bemerkte, daß eins der Pferde sehr unruhig war, sah nach der Ursache, und da er etwas auf dem Rücken zu bemerken glaubte, legte er seine Hand rasch auf den Widerrift und ergriff so den Vampyr. Am Morgen war die gebissene Stelle daran zu erkennen, daß sie leicht angeschwollen und blutig aussah. Drei Tage später konnte das Pferd ohne nachtheilige Folgen wieder zum Reiten benugt werden. Vor der Einführung gezäbmter Hausthiere kann diese Vampyrfledermaus nur von dem Blute des Guanaco oder Vicugna gelebt haben, da diese außer dem Puma und dem Menschen die einzigen auf der Erde lebenden größern Säugethiere in dem nördlichen Theile Chiles waren. In der Mitte von Chile muß diese Species unbekannt oder doch sehr ungewöhnlich sein, weil Molina, der dort lebte, bemerkt («Compendio de la Historia del Regno del Chile», I, 303), daß keine blutsaugende Species in der Provinz gefunden wird. Der Beschreiber Waterhouse sezt hinzu: «Es ist interessant zu finden, daß der Bau dieses Thieres genau mit seinen beschriebenen Lebensgewohnheiten übereinstimmt. Unter andern ist der gänzliche Mangel eigentlicher Backzähne und die daraus folgende Unfähigkeit des Zermalmens höchft bemerkenswerth. Andererseits finden wir die Hunds- und Schneidezähne vollständig geeignet, durch den Biß in der beschriebenen Weise zu verwunden, während der geringe Umfang der Haut am Unterschenkel den Beinen Freiheit der Bewegung gibt, und die ungewöhnliche Größe des Daumens und der Klaue diese Fledermaus, wie mir scheint, in den Stand sezt, sich in den Körper des Pferdes festzuhauen.»"
Von den Lebensgewohnheiten des Canis Antarcticus auf den Falklandinseln (eines Thiers, das nach Farbe und Gestalt dem Fuchs sehr ähnlich sieht und vor den Menschen nicht flieht, sondern auf diesen zuläuft) liefert Darwin eine ausführliche Beschreibung, in der es schließlich heißt: "Die Anzahl dieser Thiere muß während der lezten 50 Jahre bedeutend vermindert worden sein; sie sind bereits ganz von dem Theile Oftfalklands verschwunden, der öftlich der San-Salvadorbai und des Berkeleysundes liegt, und es erscheint kaum zweifelhaft, daß, da diese Inseln jezt von Colonisten in Besiz genommen wurden, das Thier, ehe das Papier zerfällt, auf welchem es hier abgebildet ist, zu den Species gehören wird, die von der Oberfläche der Erde verschwunden sind."
Von einem ähnlichen Thiere, dem Canis Magellanicus, auf einem sehr ausgedehnten Be-
*) "A manual of scientific enquiry prepared for the use of officers in H. M.'s navy and travellers in general. Edited by Sir J. W. Herschel" (zweite Auflage, London 1851).
**) Desmodus d'Orbignyi, wie Waterhouse diese Fledermaus zu benennen vorschlägt; dieselbe mißt mit ausgespannten Flügeln 12 Zoll 8 Linien, und ihr Aufenthaltsort ist Coquimbo in Chile.
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zirke an der südwestlichen Küste von Amerika, einschließlich des Feuerlandes, heimisch, berichtet Darwin: "Dieses Thier läuft auf die Menschen zu, die es sieht, bleibt dann in der Entfernung von wenigen Schritten stehen und betrachtet sie aufmerksam. Molina sagt uns, daß sie von dieser Gewohnheit ihren landüblichen Namen Culpen (von culpem, Tollheit) erhalten haben. Diese Thiere legen die Gewohnheit nicht ab, obgleich ihrer deshalb eine große Menge getödtet werden, und dasselbe wurde mir von verschiedenen Bewohnern Chiles bestätigt. Beide Species machen sich Löcher in die Erde wie der Fuchs. Der Magellanicus raubt viel Geflügel. Als ich eines Tages von einem Windhund begleitet durch das Thal des Copiapo ritt, traf ich auf einen dieser Füchse, und obgleich der Grund im Anfange eben war, so ließ derselbe doch seinen Verfolger bald weit hinter sich. Während er lief, bellte er so hundeartig, daß ich erst dann wußte, von welchem der beiden Thiere der Laut kam, als er sich beträchtlich von dem Windhunde entfernt hatte. Nachdem der Culpen die Berge erreicht, machte er plöglich kehrt und kam fast in einer parallelen Richtung, aber am Fuße eines steilen Abhangs zurück; dort sezte er sich ruhig nieder und schien mit großer Genugthuung auf den Hund zu spähen, der auf dem Berge über seinem Kopfe seine Spur verfolgte."
"Es gewährte mir verschiedenemal großes Interesse", sagt Darwin, "einen Tintenfisch zu beobachten. Obgleich diese Thiere in dem Wasser, das bei eintretender Ebbe in Vertiefungen zurückbleibt, keineswegs selten, so sind sie doch schwer zu fangen. Verwittelst ihrer langen Arme und Saugirerkzeuge können sie sich in sehr enge Spalten zurückziehen, aus denen man sie nicht ohne große Kraftanstrengung loszumachen vermag. Ein andermal schießen sie pfeilgeschwind von einer Seite des Wasserpfuhls zu der andern, und färben das Wasser dabei kastanienbraun mit einem flüssigen Pigment, das sie von sich geben. Auch entziehen sie ich der Entdeckung durch ein außerordentliches, chamäleonartiges Vermögen, ihre Farbe zu verändern. Sie scheinen die Farbe je nach dem Untergrunde zu wechseln, über dem sie sich bewegen. Im tiefen Wasser war die Farbe gewöhnlich bräunlichroth, aber am Lande oder im flachen Wasser ging diese dunkle Farbe in gelbliches Grün über. Sorgfältiger untersucht, war die Farbe grau mit zahlreichen Flecken eines hellen Gelb; das Grau wechselte in seiner Intensität, die gelben Flecken verschwanben und erschienen wieder. Diese Veränderungen gingen in solcher Art vor sich, daß Wolken, die in ihrer Färbung zwischen Hyacinthroth und Kastanienbraun abwechselten, fortwährend über den Körper wegzogen. Irgendein Theil des Körpers, der einer leichten galvanischen Erschütterung ausgesezt ward, wurde fast schwarz. Eine ähnliche Wirkung, aber von geringerer Intensität, wurde hervorgebracht, wo die Haut mit einer Nadel gefragt wurde. Diese Wolken oder Farbenübergänge sollen durch die abwechselnde Zusammenziehung und Ausdehnung kleiner Blasen hervorgebracht werden, die verschieden gefärbte Flüssigkeiten enthalten.... Der Tintenfisch entwickelte seine chamäleonartige Kraft sowol während er schwamm, als während er ruhig auf dem Grunde lag. Es machte mir viel Vergnügen, die verschiedenen Kunstgriffe zu beobachten, die eines dieser Thiere anwandte, um der Entdeckung zu entgehen, während es deutlich schien, daß ich es beobachtete. Eine Zeit lang blieb der Fisch bewegungslos; dann rückte er verstohlen 1-2 Zoll fort, wie eine Kaze hinter einer Maus, wobei er manchmal die Farbe veränderte. So ging er fort, bis er einen tiefern Theil seines kleinen Wasserbeckens erreicht hatte, wo er dann plößlich fortschoß und einen trüben Strich seiner Farbe hinter sich ließ, um das Loch zu verbergen, in das er geschlüpft war.... Während ich mit meinem Kopfe ungefähr 2 Fuß über dem felfigen Ufer nach Seethieren ausschaute, wurde ich verschiedenemal durch angesprigtes Wasser und ein begleitendes kragendes Geräusch begrüßt. Anfangs wußte ich nicht, was es war, aber nachher bemerkte ich, daß es der Tintenfisch war, der, obgleich in einem Loch verborgen, durch diesen Muthwillen seine Entdeckung herbeiführte. Daß er das Wasser zu sprizen vermag, ist nicht zweifelhaft ; er schien mir aber auch sein Ziel zu nehmen, und der Röhre, welche er an dem untern Theile seines Körpers hat, genau die rechte Richtung geben zu können. Die Thiere tragen sö schwer an ihren Köpfen, daß sie auf trockenem Boden nicht mit Leichtigkeit fortkriechen können. An einem, den ich in der Kajüte hatte, bemerkte ich, daß er im Dunkeln etwas leuchtete."
Sehr charakteristisch ist folgende, verschiedene Gegenstände umfassende Notiz Darwin's, datirt Bahia oder San-Salvador in Brasilien 29. Febr. 1832: "Den Tag auf eine höchst vergnügliche Weise verbracht. Vergnügen ist aber ein sehr schwacher Ausdruck, um das Gefühl eines Naturfreundes zu schildern, der zum ersten mal sich allein in einem Walde Brasiliens ers gangen. Die Zierlichkeit der Gräser, die Neuheit der parasitischen Pflanzen, die Schönheit der Blumen, das glänzende Grün des Baumschlags und mehr als alles die Uppigkeit der ganzen
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Vegetation erfüllte mich mit Bewunderung. In den schattigen Theilen des Waldes ist eine höchst paradore Mischung von Lauten und Stillschweigen. Der Lärm, den die Insekten machen, ift laut genug, um in einem Schiffe vernommen zu werden, das mehrere hundert Schritt vom Ufer entfernt vor Anker liegt; und doch scheint innerhalb des Waldes tiefes Schweigen zu herrschen. Wer gern Pflanzen und Thiere beobachtet, dem gibt ein Tag wie dieser ein größeres Vergnügen, als er je wieder zu fühlen erwarten darf. Nachdem ich einige Stunden umhergewandert, kehrte ich zu der Landungsstelle zurück. Ehe ich sie erreichte, ward ich aber von einem tropischen Gewitter überrascht. Ich versuchte, unter einem Baume Schuß zu finden, der so dick war, daß ein gewöhnlicher englischer Regen nie durchgedrungen wäre; aber hier floß in zwei Minuten ein kleiner Sturzbach den Stamm herab. Dieser Heftigkeit des Regens ist das frische Grün auf dem Boden der dicksten Wälder zuzuschreiben. Wenn die Regenschauer nicht flärker wären als die eines kältern Klimas, so würde der größte Theil des Wassers aufgesaugt oder verdunftet sein, bevor es den Boden erreicht. Ich will jezt nicht versuchen, den frischen herrlichen Anblick dieser schönen Bucht zu beschreiben, da wir auf unserer Rückreise hier ein zweites mal anlegten, was mir Gelegenheit geben wird, darüber zu sprechen.
"Längs der ganzen Küste von Brasilien, eine Strecke von wenigstens 2000 Meilen, und sicherlich weit ins Innere hinein, gehören alle vorkommenden Felsen zur Granitformation. Der Umstand, daß diese ungeheuere Fläche aus einem Material besteht, das nach der Meinung der meisten Geologen fryftallisirt ist, während es in einem zusammengedrückten Zustande erhigt ward, gibt zu mancherlei Betrachtungen Anlaß. Geschah dies unter dem Druck eines tiefen Meeres, oder lag früher eine Decke anderer Schichten darauf, die entfernt worden ist? Können wir glauben, daß irgendeine Kraft, wirksam während einer Zeit, die nicht unendlich weit hinter uns liegt, den Granit von so vielen tausend Quadratmeilen Fläche entblößt haben könnte?
"An einem Punkte außer der Stadt, wo ein kleiner Fluß in die See geht, machte ich eine Beobachtung, die mich an einen von Humboldt erörterten Gegenstand erinnerte. An den Wasserfällen der großen Flüsse Orinoco, Nil und Congo sind die syenitischen Felsen mit einer schwarzen Substanz bekleidet, die ihnen den Anschein gibt, als ob sie mit Reißblei polirt worden wären. Das Lager ist außerordentlich dünn und besteht nach einer von Berzelius gemachten analytischen Untersuchung aus den Dryden von Mangan und Eisen. Im Orinoco ist es an den Felsen sichtbar, die periodisch von dem Strom gewaschen werden, und blos an den Stellen, wo derselbe reißend ist, wie die Indier dies ausdrücken: «die Felsen sind schwarz, wo das Gewässer weiß ist.» Hier ist der Überzug tief braun, anstatt schwarz und scheint blos aus Eisentheilen zu bestehen. Kleine Proben geben keinen deutlichen Begriff von diesem braunen Gestein, das, von der Sonne beleuchtet, glänzend schimmert. Es geht hier nur so hoch, als die Wellen der Flut reichen, und da der Bach langsamt fortschleicht, so muß hier die Flut das Schleifen und Poliren verrichten, das in den großen Flüssen durch die Wasserfälle bewirkt, wird. Gleichmäßig entspricht das Fallen und Steigen der See den periodischen Abwaschungen, und so werden dieselben Wirkungen unter scheinbar verschiedenen, in der That aber höchft ähnlichen Umständen hervorgebracht. Die eigentliche Ursache dieser Bekleidung mit Metalloryden, die fest mit den Felsen verbunden sind, kennen wir nicht; ob ihre Dicke sich gleich bleibt oder nicht, ist nicht ermittelt.
"Eines Tages ergötzte ich mich an der Beobachtung des Diodon antennatus; ein Eremplar wurde in der Nähe des Üfers gefangen. Dieser Fisch mit seiner losen Haut besißt, wie bekannt, das Vermögen, sich fast zur Kugelform auszudehnen. Wenn er auf kurze Zeit aus dem Wasser genommen und dann wieder hineingethan wird, so nimmt er durch den Mund und vielleicht auch durch die Seitenöffnungen ein sehr großes Quantum Wasser und Luft ein. Dieser Proceß geht in zwiefacher Weise vor sich. Die Luft wird verschluckt und dann in die Höhlung des Leibes gedrängt, von wo ihre Nückkehr durch Zusammenziehung eines Muskels, der äußerlich sichtbar ist, verhindert wird. Das Wasser dagegen geht in einem gleichmäßigen Strom durch den Mund, der bewegungslos und weit offen gehalten wird; es scheint demnach durch Saugung eingezogen zu werden. Die Bauchhaut ist viel loser als die Rückenhaut; daher wird die untere Seite viel mehr ausgedehnt, und der Fisch schwimmt, wenn angefüllt, auf dem Rücken. Cuvier bezweifelt, ob der Diodon in dieser Lage schwimmen kann; aber er vermag dies nicht blos in gerader Linie, sondern kann auch nach jeder Seite umwenden. Dies geschieht einfach durch Bewegung der Bruftflosse, während der Schwanz ruhig liegt und nicht gebraucht wird. Da der Körper so sehr von Luft aufgeblasen ist, befinden sich die Seitenöffnungen außerhalb des Wassers, aber ein Strom, der durch den Mund eingefogen wird, fließt stetig aus denselben wieder heraus, Wenn der Fisch eine kurze Zeit in diesem ausgedehnten Zustand verblieben ist, so treibt
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er gewöhnlich Luft und Wasser mit großer Kraft aus dem Munde und den Seiten. Er kann ganz nach Willkür nur einen Theil des Wassers von sich geben; es scheint daher wahrscheinlich, daß die Flüssigkeit zum Theil dazu dient, seine specifische Schwere zu reguliren. Der Diodon besigt verschiedene Mittel der Vertheidigung. Er kann scharf beißen und das Wasser aus seinem Munde eine Strecke weit fortsprigen, wobei er ein sonderbares Geräusch durch Bewegung der Kinnbacken macht. Durch die Aufblähung des Körpers richten sich die Bläschen, mit denen die Haut dicht bedeckt ist, in scharfen Spigen empor. Aber am merkwürdigsten ist, daß er aus feiner Bauchhaut, wenn man ihn in die Hand nimmt, einen ausgezeichnet schönen karminrothen faserigen Stoff aussondert, der Elfenbein und Vapier aufs beste und dauerhafteste färbt; meine Farbeproben dauern bis auf diesen Tag. Über die Beschaffenheit und Bestimmung dieser Absonderung weiß ich gar nichts. Dr. Allan sagt mir, daß er oft einen Diodon lebendig und aufgeblasen in dem Magen eines Haifisches schwimmend gefunden habe, und daß der Diodon sich nicht blos durch die Magenwände, sondern auch durch die Seiten des Unthiers gefressen, das dadurch getödtet worden ist. Wer würde sich je eingebildet haben, daß ein kleiner weicher Fisch den großen grimmigen Haifisch tödten könnte?"
Unter den wenigen Säugethieren der weiten Ebenen Patagoniens ist das Guanaco oder wilde Lama das merkwürdigste. Darwin nennt es den südamerikanischen Stellvertreter des Kameels im Orient und bemerkt dabei: "Es ist im Naturzustande ein zierliches Thier mit dünnem Halse und gutgebauten Füßen. Man findet es sehr häufig durch die gemäßigte Zone des Continents südlich hinunter bis in die Inseln in der Nähe vom Cap Hoorn. Das Thier lebt gewöhnlich in kleinen Heerden von 6 zu 30 Stück, aber an den Ufern des Santa-Cruz sahen wir eine wenigstens 500 starke Heerde. Gewöhnlich sind Guanacos außerordentlich scheu. Hr. M. sagte mir, daß er eines Tages eine Heerde durch ein Fernglas gesehen, die dadurch offenbar aufgescheucht ward und mit größter Schnelligkeit davonlief, obgleich der Späher selbst so weit von ihr entfernt war, daß er sie mit bloßem Auge nicht wahrnehmen konnte. Der Jäger erhält oft die erste Kunde von den Guanacos durch das eigenthümlich wiehernde, schrille Alarmgeräusch, das er aus weiter Ferne vernimmt. Wenn er dann scharf auslugt, erblickt er möglicherweise die ganze Heerde in einer Reihe stehend an dem Fuße eines entfernten Hügels. Nähert er sich, so wird das Alarmzeichen noch ein paar mal wiederholt und — dann geht es auf und davon in einem scheinbar langsamen, in Wirklichkeit aber geschwinden Galop einen bekannten oft betretenen Weg entlang zum nächsten Hügel. Wenn aber der Jäger durch Zufall plößlich auf ein oder mehrere vereinzelte dieser Thiere trifft, so stehen sie ganz still und schauen ihn an, gehen dann vielleicht einige Schritte und kehren sich um und schaueu ihn noch einmal an. Woher kommt dieser Unterschied? Halten sie den Menschen in der Entfernung für ihren Hauptfeind, den Buma? oder ist ihre Neugierde stärker als ihre Furcht? Neugierig sind sie in hohem Grade; denn wenn man am Boden liegt und auffallende Bewegungen macht, z. B. die Füße in die Höhe streckt und bewegt, so werden sie sich fast immer nähern, um genauer zu sehen. Diese Kriegslist wurde von unsern Jägern oft mit gutem Erfolg angewendet. Auf den Bergen des Feuerlandes habe ich mehrmals ein Guanaco, wenn ich ihm nahe kam, nicht blos wiehern und schreien, sondern in der seltsamsten Weise umberspringen sehen, offenbar um herauszufordern. Die Thiere sind leicht zu zähmen, und im nördlichen Patagonien habe ich sle dicht bei einem Hause gesehen, von dem sie nicht entliefen, obgleich keine Schranke sie zurückhielt. Unter diesen Umständen sind sie sehr kühn und greifen leicht einen Menschen dadurch an, daß sie ihn von hinten mit beiden Knien stoßen. Der Beweggrund zu diesen Angriffen soll eifersüchtige Beschüßung ihrer Weibchen sein. Das wilde Guanaco aber denkt an keine Vertheidigung; ein einzelner Hund kann eins dieser großen Thiere packen, bis der Jäger ihm zu Hülfe kommt. In vielen Gewohnheiten gleichen sie den Schafen in einer Heerde. Wenn sie z. B. Menschen von verschiedenen Seiten zu Pferde sich nähern sehen, so erschreckt und verwirrt sie das so sehr, daß sie nicht wissen, nach welcher Seite sie laufen sollen. Das erleichtert den Indianern die Jagd, denn hierdurch werden sie leicht auf einen Punkt zusammengetrieben und umzingelt.
"Die Guanacos sind gute Schwimmer; in Port-Valdes sahen wir sie öfter von einer Insel zur andern schwimmen. Byron sagt in seiner Reisebeschreibung, daß er sie Salzwasser trinken gesehen. Einige Offiziere unsers Schiffes sahen gleichfalls eine Heerde allem Anschein nach das mit Soole stark geschwängerte Wasser einer Saline in der Nähe des Cap Blanco trinken. In verschiedenen Theilen des Landes würden sie gar nicht trinken können, wenn sie Salzwasser verschmähten. Während des Tages wälzen sie sich oft im Staube. Die männlichen Thiere fechten miteinander. Eines Tages kamen ihrer zwei hart an mir vorbei, während sie unter ihrem
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schrillen Geschrei einander zu beißen versuchten; auch schossen wir mehrere, deren Häute tiefe Löcher hatten. Es scheint, daß mitunter Heerden auf Erforschungsreisen ausgehen. Zu Bahia Blanca, wo innerhalb 30 Meilen von der Küfte diese Thiere sehr selten waren, sah ich eines Tages Spuren von 30 oder 40 derfelben, die in gerader Richtung auf einen moraftigen Salzwasserpfuhl zu gegangen waren. Dann müssen sie bemerkt haben, daß sie sich dem Meere näherten, denn sie schwenkten mit cavalerieartiger Regelmäßigkeit, um in einer ebenso geraden Linie zurückzukehren, als sie gekommen waren. Die Guanacos haben eine sonderbare Gewohnheit, die mir ganz unerklärlich ist: sie entledigen sich nämlich ihrer Ercremente mehrere Tage hintereinander an derselben Stelle und auf denselben Haufen. Ich habe einen solchen Haufen gesehen, der 8 Fuß im Durchmesser hatte und eine große Masse enthielt. Diese Gewohnheit ist nach d'Orbigny allen Species der Gattung gemeinschaftlich; se kommt den Indianern Perus, die den Dung zu Feuerungsmaterial benugen, sehr zu statten, indem ihnen dadurch die Mühe des Sammelns erspart wird.
"Die Guanacos scheinen besonders beliebte Stellen zu haben, an denen sie sich zum Sterben niederlegen. An den Ufern des Santa-Cruz, auf bestimmten mit Buschwerk bestandenen Plägen, in der Nähe des Flufsses, sah ich den Boden ganz weiß mit Knochen bedeckt. An einer solchen Stelle zählte ich an 10—20 Köpfe. Ich untersuchte die Knochen aufs genaueste; sie sahen nicht angefressen oder zerbrochen aus, wie von einem Raubthier zusammengeschleppt, und wie ich wol vereinzelte Knochen zuvor gefunden hatte; die Thiere müssen in den meisten Fällen vor ihrem Tode unter und zwischen die Sträuche gekrochen sein. Hr. B. hat mir angezeigt, daß er auf einer frühern Reise dieselbe Beobachtung am Rio-Gallegos gemacht habe. Ich verstehe die Ursache ganz und gar nicht, will aber bemerken, daß am Santa-Cruz die verwundeten Guanacos stets nach dem Flusse zu gingen. In San-Jago auf den Capverdischen Inseln erinnere ich mich in einem Hohlwege eine Stelle gesehen zu haben, die mit Ziegenknochen bedeckt war. Wir erklärten damals alle, das sei der Begräbnißplag aller Ziegen der ganzen Insel. Ich erwähne dieser geringfügigen Umstände, weil sie in besondern Fällen vielleicht erklären können, wie es kommt, daß man Massen unbeschädigter Knochen in einer Höhle oder unter angehäuftem Aluvium zusammen findet, und ebenso, warum gewisse Thiere häufiger als andere in Ablagerungen gefunden werden."
Über den Puma oder den südamerikanischen Löwen gibt Darwin folgende Auskunft: "Dieses Thier wird in einem sehr ausgedehnten geographischen Bezirk gefunden, nämlich von den Wäldern um den Äquator durch die Wüsten Patagoniens südlich bis zu den feuchten und kalten Breiten des Feuerlandes (53-54°). Auch habe ich seine Fußtapfen auf der Cordillera von Central-Chile, 1000 Fuß hoch, gefunden. In La-Plata jagt der Puma hauptsächlich Nehe, Strauße, Bizcachas und andere kleinere Säugethiere; nur selten greift er Nindvich oder Pferde an. In noch seltenern Fällen, etwa wenn ein Weibchen Junge hat, ist das Thier dem Menschen gefährlich. In Chile aber tödtet der Puma, wahrscheinlich wegen der Seltenheit anderer Vierfüßler, viele Rinder und Pferde; auch hörte ich, daß zwei Männer und eine Frau durch das Thier umgekommen wären. Man behauptet, daß der Puma seine Beute stets in der Weise umbringt, daß er ihr auf die Schultern springt und dann mit einer seiner Tagen den Kopf zurückzieht, bis das Rückgrat bricht. In Patagonien habe ich Gerippe von Guanacos gesehen, deren Genick in dieser Weise gebrochen war. Wenn der Puma sich vollgefressen, bedeckt er den Rest mit vielen großen Sträuchern und legt sich nieder, um die Beute zu bewachen. Durch diese Gewohnheit wird er oft verrathen; denn die in der Luft kreisenden Condors kommen dann und wann herab, um am Schmause theilzunehmen, und steigen alle zusammen in die Höhe, wenn der Puma in seinem Ärger fie forttreibt. Der chilenische Guaco erkennt daran die Anwesenheit des Thiers, und dies wird weiter verkündet; Jäger und Hunde eilen zur Jagd. Sir F. Head erzählt, daß ein Gaucho in den Pampas auf den bloßen Anblick einiger in der Luft kreisender Condors ausrief: «Ein Löwe!» Ich selbst bin nie mit irgendjemand zusammengetroffen, der be hauptete, dies aus so schwachen Zeichen erkennen zu können. Man sagt, daß ein Puma, der durch Bewachung der Beute sich so einmal verrathen hat, diese Gewohnheit sofort aufgibt und weit fortwandert, sobald er sich hinlänglich genährt hat. Der Puma wird leicht getödtet. In offenem, ebeuem Lande werden ihm erst die Bolas um die Hinterfüße geworfen, dann wird er mit dem Lasso umschlungen und so lange auf dem Boden fortgeschleift, bis er leblos ist. J Tandeel (südlich vom Plata) sagte man mir, daß in den leßten drei Monaten 100 Pumas getödtet worden. In Chile werden sie gewöhnlich auf einen Baum oder Strauch getrieben und
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dann entweder geschossen oder mit den Hunden zu Tode geheßt. Die zu dieser Jagd benusten Hunde gehören einer besondern Rasse an und heißen Leoneros. Sie sind von schwachem Bau, wie langbeinige Dachshunde, haben aber einen angeborenen Instinct für diese Jagd. Der Buma soll sehr listig sein. Wenn er verfolgt wird, kehrt er oft auf seiner Spur zurück, macht von dort einen guten Sag und wartet dann ab, bis die Hunde vorbei sind. Das Thier ist schweigsam, gibt selbst verwundet keinen Laut von sich, sondern nur höchst selten während der Brunstzeit."
Noch manchen interessanten Zug könnten wir aus dem "Journal of researches etc." hervorheben, der den Naturforscher Darwin als Beobachter und Schilderer des Thierlebens charakterisiren würde; aber wir unterlassen dies, um jezt auch Darwin, den Menschen, zu zeichnen, indem wir seine Äußerungen über Sklaven und Sklaverei mittheilen. Der Reisende besteigt einen Granithügel in der Nähe von Rio-de-Janeiro und äußert bei dieser Gelegenheit: "Dieser Fleck Landes ist dadurch bekannt geworden, daß er für lange Zeit der Aufenthaltsort einiger entlaufener Sklaven gewesen. Durch Anbau einer kleinen Strecke Landes nahe dem Gipfel des einen Hügels hatten sie es möglich gemacht, sich das Leben zu erhalten. Endlich wurden sie ent deckt und durch einen abgesandten Trupp Soldaten alle ergriffen, mit Ausnahme einer alten Frau, die, um nicht wieder in Sklaverei geführt zu werden, sich durch einen Sturz von der fteilen Höhe des Berges den Tod gab. Wäre das die That einer Römerin gewesen, so würde es edle Freiheitsliebe heißen. Als die Handlung eines armen Negerweibes ist es brutale Halesstarrigkeit."
Sodann verweilte Darwin einige Tage auf einer Fazenda unweit Rio, worüber er schreibt: "Eines Morgens ging ich eine Stunde vor Sonnenaufgang aus, um mich an der feierlichen Stille der Gegend zu erfreuen. Zulezt wurde aber das Stillschweigen durch den Morgengesang unterbrochen, den die sämmtlichen Neger auf der Höhe auftimmten. Damit beginnen sie ihre Arbeit jeden Morgen. Auf solchen Fazendas wie diese mögen die Sklaven, daran zweifle ich nicht, ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Am Sonnabend und Sonntag arbeiten sie für sich, und in diesem fruchtbaren Klima ist zweitägige Arbeit ausreichend, einen Mann nebst seiner Familie eine Woche lang zu unterhalten." Von einer andern Fazenda berichtet er dagegen: "Während ich auf diesem Gute verweilte, wäre ich beinahe Augenzeuge einer der abscheulichen Handlungen gewesen, die nur in einem sklavenhaltenden Lande begangen werden können. Der Besißer stand infolge eines Processes auf dem Punkt, alle Weiber und Kinder von den männlichen Sklaven zu entfernen, um sie allein in Rio durch öffentliche Auction zu verkaufen. Eigennuß und keineswegs Mitleid veranlaßten ihn seinen Entschluß zu ändern. Wirklich, glaube ich, fiel ihm nichts dabei ein, als er die Unmenschlichkeit begehen wollte, 30 Familien auseinander zu reißen, Gleichwol kann ich versichern, daß der Mann menschlichen Gefühls in höherm Grade fähig war als der große Haufe. Es zeigt dies, wie grenzenlos blind eigennügige, selbstsüchtige Lebensgewohnheiten machen können. Dabei fällt mir ein anderer an sich unbedeutender Vorgang ein, der aber zur Zeit auf mich einen lebhaftern Eindruck machte als die Wahrnehmung großer Graujamkeit. Ich wurde auf einer Fähre von einem Neger übergefahren, der ungewöhnlich stupid Um mich ihm verständlich zu machen, sprach ich laut und gesticulirte, wobei meine Hand in die Nähe seines Gesichts kam. Er muß geglaubt haben, daß ich zornig wäre und ihn etwa schlagen wollte; denn er ließ plöglich mit der Miene des Schreckens und halb geschlossenen Augen seine Hände sinken. Ich werde nie mein Gefühl von Überraschung und Beschämung vergessen, als ich solches Verhalten eines großen starken Mannes bei einem Schlage sah, der, wie er an: nahm, seinem Gesicht zugedacht war. Diesem Menschen war eine tiefere Entwürdigung anerzogen worden, als der niedrigsten Thierart natürlich ist.
"Am 19. Aug. (1836) verließen wir für immer die Ufer Brasiliens. Ich danke Gott dafür, daß ich nie ein Land wiedersehen werde, in dem Sklaverei herrscht. Bis auf diesen Tag ruft jedes entfernte Gekreisch mit peinlicher Lebhaftigkeit das Gefühl in mir wach, das mich ergriff, als ich, nahe bei einem Hause Pernambucos vorübergehend, ein höchst jammervolles Stöhnen hörte und nicht umhin konnte zu argwöhnen, daß eben ein armer Sklave gefoltert würde, während ich doch machtlos wie ein Kind war, irgendetwas dagegen zu thun. Mein Argwohn fiel auf Folterung, weil ich von einem andern Fall gehört hatte. Bei Rio-de-Janeiro wohnte ich einer alten Dame gegenüber, die sich Daumschrauben für die Finger ihrer Sklavinnen hielt. Ich habe in einem Hause gelebt, in welchem ein junger Mulatte an jedem Tage und zu jeder Stunde gedemüthigt, geschlagen und verfolgt wurde in einem Maß, das den Muth des
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niedrigsten Thiers gebrochen haben würde. Ich habe gesehen, wie ein kleiner sechs oder sieben Jahre alter Knabe zweimal mit der Pferdepeitsche über den Kopf geschlagen wurde, ehe ich einschreiten konnte, weil das Glas Wasser, das er mir gereicht, nicht ganz sauber war; ich habe den Vater des Kindes zittern gesehen, lediglich auf einen Blick aus dem Auge seines Herrn. Diese Grausamkeiten habe ich beobachtet in einer spanischen Colonie, wo doch die Sklaven viel besser behandelt werden sollen als von den Portugiesen, Engländern oder andern europäischen Völkern. Ich habe zu Rio-de-Janeiro einen kräftigen Neger zu furchtsam gesehen, einen Hieb abzuwehren, der, wie er meinte, seinem Gesicht zugedacht war. Ich bin zugegen gewesen, als ein gutherziger Mann im Begriff stand, Männer, Weiber und kleine Kinder einer großen Anzahl Familien, die lange zusammengelebt hatten, zu trennen. Viele andere empörende Abscheulichkeiten, von denen ich gehört, will ich nicht berühren; ich würde auch jene widerwärtigen Einzelheiten nicht berichtet haben, wäre ich nicht mit Leuten zusammengetroffen, die durch die den Negern angeborene Munterfeit so verblendet waren, von der Sklaverei als einem erträglichen Übel zu sprechen. Solche Personen haben nur die Häuser der höhern Klassen besucht, in welchen die Haussklaven wohl behandelt werden, nicht aber wie ich auch unter den niedrigen Klassen gelebt. Sie fragen wol den Sklaven über seine Lage aus, vergessen aber, daß derjenige Sklave sehr stumpfsinnig sein müßte, der nicht daran dächte, seine Antwort könne seinem Herrn zu Ohren kommen.
"Es wird geltend gemacht, daß das eigene Interesse den Herrn von übermäßiger Grausam keit zurückhalten werde. Als ob aus diesem Interesse für unsere Hausthiere Schuß und Vortheil flöfse, welche doch nicht so leicht die Wuth ihrer rohen Herren erregen können. Dies ist ein Argument, das der unsterbliche Humboldt schon vor langer Zeit als ganz unhaltbar nachgewiesen. Es wird oft versucht, das Übel der Sklaverei durch eine Vergleichung des Zustandes der Sklaven mit dem unserer Armen als erträglich darzustellen. Wenn das Elend unserer Armen nicht den Gesezen der Natur, sondern unsern Einrichtungen zuzuschreiben ist, so sind wir allerdings im großen Unrecht; aber, welche Beziehung dies auf Sklaverei hat, vermag ich nicht einzusehen. In gleicher Weise könnte die Benugung der Daumschraube in einem Lande dadurch vertheidigt werden, daß die Bewohner eines andern Landes an irgendeiner schrecklichen Krankheit leiden. Diejenigen, welche mit Zärtlichkeit auf den Sklavenhalter und mit einem kalten Herzen auf den Sklaven blicken, scheinen sich nie in die Lage des leßtern hineingedacht zu haben. Was für eine traurige Aussicht, ohne jede Hoffnung auf Wechsel! Bedenkt nur die euch immer bedrohende Möglichkeit, daß Weib und unerzogene Kinder, die selbst der Sklave sein eigen nennen will, von euch gerissen werden, um wie Lastthiere an den Meistbietenden zu fallen. Und solches wird gleichwol gethan und beschönigt von Menschen, welche sich dazu bekennen, ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst; die an Gott glauben und beten, daß sein Wille geschehe auf Erden! Es bringt einem das Blut zum Sieden, daran zu denken, daß wir Engländer und unsere amerikanischen Sprößlinge mit ihrem prahlerischen Freiheitsgeschrei von solcher Schuld beladen sind; aber es liegt ein Troft in der Erinnerung, daß wir wenigstens ein größeres Opfer gebracht haben als eine Nation je zuvor, um unsere Sünde abzubüßen."
Bald nach dem lezterwähnten Aufenthalt in Brasilien kehrte Darwin nach England zurück; er hatte mit dem Schiffe Beagle die Reise um die Erde eigentlich anderthalbmal gemacht, weil der Kapitän, um seine chronometrischen Messungen zu vervollständigen, nicht vom Cap der guten Hoffnung direct nach England zurückgekehrt, sondern zum zweiten mal nach Amerika gegangen war. Der Schluß seines Reisejournals enthält, neben einem Rückblick auf Erlebnisse und Eindrücke, praktische Rathschläge für die Naturforscher, die sich künftig mit ähnlichen Zwecken auf die Reise begeben wollen.
Die oben in dem Verzeichniß unter 3, 4 und 5 aufgeführten Schriften sind von Darwin selbst als der geologische Theil der Reisebeschreibung des Schiffs Beagle bezeichnet worden. Die erste dieser Schriften: "The structure and distribution of the Coral Reefs etc.", behandelt die Structur und das geographische Vorkommen der Korallenriffe, doch nicht die Naturgeschichte der Thiere, welchen diese Formationen ihren Ursprung verdanken. Darwin beschreibt nach eigenen Beobachtungen und nach den Werken anderer Reisender alle bedeutenden Riffe, besonders die des Stillen Ocean, und weist aus den Erscheinungen nach, wo in den legten geologischen Perioden bis in unsere Gegenwart hinein das Land, und wo das Meer die Oberhand gewinnt—wo das Land ansteigt oder versinkt. Dabei nimmt er die von frühern Reisenden gemachte Eintheilung der Korallenriffe 1) in Laguneninseln oder Atolls, 2) in Barrièren oder einschließende
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Riffe, 3) in Uferriffe an, und versteht unter den ersten ausgedehnte Ringe korallischer Felsen, in deren Mitte sich keine Inseln befinden, unter den zweiten ähnliche Ringe, welche Inseln einschließen, und unter der lezten Korallenriffe, welche auf dem Ufer einer Insel ruhen. In den ersten drei Kapiteln der genannten Schrift sind, mit sorgfältiger Benußung der Aufzeichnungen früherer Reisenden — unter denen die unser Chamisso häufig angeführt werden alle bekannten bedeutenden Riffe beschrieben. Das vierte Kapitel handelt von der Vertheilung und dem Wachsthum der Risse; das fünfte enthält Darwin's Theorie über Bildung, und das sechste über Bertheilung der Korallenriffe.
"Die Laguneninseln", heißt es in der Einleitung, "sind immer der Gegenstand ganz besonderer Aufmerksamkeit gewesen, und dies ist sehr natürlich, denn jedermann muß bei dem ersten Anblick dieser oft viele Meilen im Umkreise messenden Ninge von Korallenselsen von Erstaunen ergriffen werden. Auf einigen dieser Ringe erhebt sich hier und da ein grünes fruchtbares Inselchen mit blendend weißen Ufern, während an die Außenseite des Felsrings, der ein ruhiges Wasserbecken einschließt, die schäumenden Wellen des Oceans schlagen. Der Naturforscher wird dieses Erstaunen um so tiefer fühlen, wenn er die weichen, fast gallertartigen Körper der scheinbar unbedeutenden Thiere (welchen die Korallenriffe ihren Ursprung verdanken) untersucht hat, und wenn er weiß, daß das feste Riff nur an der Außenseite zunimmt, die doch Tag und Nacht von den Wogen des nie zur Ruhe kommenden Meeres gepeitscht wird. Wol mochte François Pyrard de Laval im Jahre 1605 ausrufen: «C'est une merveille de voir chacun de ces atoilans environné d'un grand banc de pierre tout autour, n'y ayant point d'artifice humaine!» Selten ist die ganze Oberfläche des ausgedehnten Ringes schon in Land verwandelt, gewöhnlich ist dies nur mit kleinen abgesonderten Stellen der Fläche der Fall." Darwin erklärt, daß er den von den Bewohnern des ostindischen Inselmeers entlehnten Namen Atoll dem der Laguneninseln vorgezogen hat, weil dieser leztere Name die falsche Vorstellung gibt, als ob schon die ganze Oberfläche des Ringes in Land verwandelt wäre. Nach seiner Ansicht wäre eine Eintheilung in zwei Klassen besser begründet. Man sieht nämlich klar, wo die Uferriffe sußen; auf welchem Grunde Atolls und Barrièren aufgeführt sind, muß erst ermittelt werden. Nach diesem Gesichtspunkt sollten die leztgenannten beiden Arten eine, und die Uferriffe die andere Klasse bilden.
"Verschiedene Theorien sind aufgestellt worden, um den Ursprung der Atolls, aber keine, um den der Barrièrenriffe zu erklären. Nach den begrenzten Tiefen, bis zu denen Risse bauende Polypen nur gedeihen, und nach andern wohl zu erwägenden Umständen sind wir gezwungen zu schließen, daß in beiden Riffen der Grund, auf dem die Koralle zuerst befestigt wurde, eingesunken ist, und daß während dieser Bewegung nach unten das Riff nach oben aufgebaut wurde. Dieser Schluß erklärt, wie gezeigt werden wird, auf eine vollständig befriedigende Art den Umriß und die Gestalt beider Arten Riffe. Die geographische Verbreitung der verschiedenen Arten der Korallenriffe und die Neigung ihrer Oberflächen gegen die Flächen frischer Erhebung stimmen mit dieser Theorie ihres Ursprungs vollständig überein."
Im Fortgange seiner Darstellung führt nun Darwin den versprochenen Beweis, daß der Grund, auf dem die Atolls und Barrièrenriffe, diese Felsenwälle mitten im Weltmeer stehen, eingesunken ist, folgendermaßen: "Aus den Messungen, die Kapitän Figrov mit dem Senkblei bei den Keelinginseln angestellt hat, zieht er zuvörderft den Schluß, daß die Riff bauenden Polypen in einer größern Tiefe als 20-30 Faden (120-150 Fuß englisches Maß) unter der Oberfläche des Meeres nicht gedeihen. Ferner haben dieselben Untersuchungen, übereinstimmend mit den von frühern Reisenden angestellten, ergeben, daß die Wände aus dem Meeresgrunde außerordentlich steil und zwar bedeutend steiler ansteigen als die Seiten irgendeines Berges auf der Erde. Wo also jezt ein Atoll, d. i. ein ringförmiger Korallenwall, oder ein Barrièrenriff, ein geradliniger Korallenwall, sich befindet, muß ursprünglich ein Erdfundament in der Tiefe von 20-30 Faden existirt haben, auf das die untersten Polypen gebaut haben. Wie können solche steile Wälle, fern vom Festlande, mitten in den tiefsten Stellen des Indischen und Stillen Meeres entstanden sein und sich in Gruppen und Linien von vielen hundert Meilen gebildet haben? Ablagerung ist unmöglich, Erhebung durch unterirdische Kräfte höchst unwahrs scheinlich. Dazu müßten diese Kräfte in der enormen Ausdehnung gleichmäßig und doch in höchst unregelmäßigen Zwischenräumen gewirkt, und dann wiederum die dünnen Wände, die sie aus der Tiefe des Meeresgrundes in die Höhe getrieben, alle in derselben Höhe ausgeführt haben. Wenn aber der Grund weder durch Ablagerung noch Erhebung gebildet sein kann, so kann er nur durch Versinken entstanden sein. Diese Annahme allein löst alle Schwierigkeiten.
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Während ein Berg nach dem andern, eine Insel nach der andern langsam ins Wasser versank, gewannen die Korallen frischen Grund für ihren Anwuchs."
Die meisten Korallenriffe sind in der Nähe des Aquators. Die Bermudainseln, 32° 15' nördl. Br., sind der am weitesten vom Äquator entfernte Punkt, an dem solche Riffe gefunden werden, und außerdem sind diese die einzigen im Atlantischen Meer. Sonst sind Korallenriffe nur im Stillen und im Indischen Meer zu finden. Ehrenberg hat bekanntlich die des Rothen Meeres untersucht; seine Schrift über "Die Korallenthiere im Rothen Meer" wird von Darwin mehrfach angeführt. Nach der Karte, welche Darwin beifügt, sind Atolls und Barrièrenriffe im Stillen Meere von 15° nördl. bis 15° südl. Br. besonders häufig und nehmen südöstlich von Aften eine große Fläche ein.
Während Atolls und Barrièrenriffe eine Senkung des Bodens anzeigen, sieht Darwin in den Uferriffen einen Beweis der Erhebung der Inseln, auf denen sie sich befinden. Auf den Inseln und in den Riffen werden häufig Überreste von Seethieren neuerer Bildung gefunden. "So ist uns denn", schließt Darwin seine Untersuchungen über die Korallenriffe mit Bezugnahme auf die erwähnte Karte "in den beiden großen Typen, in den Atolls und den Barrièrenriffen einerseits und den Uferriffen andererseits ein großartiges Bild der Bewegungen dargelegt, denen die Erdkruste in später Zeit unterworfen war. Wir sehen weite Flächen sich erheben, während dann und wann durch die Spalten und Rißen, von denen sie durchschnitten werden, vulkanische Materie ausgeworfen wird. Wir sehen andere ausgedehnte Flächen langsam sinken ohne vulkanische Ausbrüche, und wir können gewiß sein, daß dieses Sinken unermeßlich gewesen sein muß, seiner Ausdehnung sowol als seiner Tiefe nach, um so über der breiten Fläche des Weltmeers jeden einzelnen der Berge zu begraben, über denen die Atolls sich wie Monumente erheben, die den Ort bezeichnen, wo die Berge geftanden haben. Wenn man in Betracht zieht, wie wirksam in Bezug auf Entblößung, folglich auf die Beschaffenheit und Dicke der sich anhäufenden Ablagerungen das Meer unter allen Umständen sein muß; ferner, einen wie großen Einfluß dieser Wechsel zwischen Land- und Meeresfläche auf das Klima der Erde, auf die Vertheilung organiz scher Wesen haben muß: so mag mir erlaubt sein zu hoffen, daß die Geologen die aus dem Studium der Korallenbildungen (das ursprünglich nur ihre eigenthümliche Formen zu erklären versuchen wollte) abgeleiteten Folgerungen ihrer Beachtung nicht unwürdig finden werden."
Die in dem Verzeichnisse unter 4 angeführte Schrift Darwin's: "Geological observations on the Volcanic Islands etc.", enthält die geologischen Beobachtungen auf den vulkanischen Inseln, welche das Schiff Beagle während der Reise besuchte. Diese Beobachtungen sind für den Geologen von Fach von großer Bedeutung. Doch enthalten wir uns, hier näher auf die Sache einzugehen, und wollen nur bemerken, daß Darwin des deutschen Geologen Leopold von Buch mehrfach rühmend gedenkt und dessen "Description des Isles Canaries" ein Muster geologischer Beschreibung nennt. Dagegen theilen wir einiges aus der mit 5 bezeichneten Schrift: "Geological observations on South America", mit, und zwar zunächst eine Stelle, wo Darwin seine Ansichten über die geologische Geschichte der Ostseite von Südamerika zusammenfaßt:
"Man gelangt zu dem Schlusse, daß die Küste an der Ostseite des (südamerikanischen) Continents auf eine Länge von wenigstens 1180 Meilen (englische Meilen, 69 einem Grad des Äquators), in La-Plata 100 Fuß und im südlichen Patagonien 400 Fuß hoch erhoben wor den ist innerhalb der Periode der jezt eristirenden Muscheln, aber nicht der jegtlebenden Säugethierarten; daß in La-Plata die Erhebung sehr langsam stattgefunden, in Patagonien die Bewegung ungleichmäßig und heftig gewesen sein kann, wahrscheinlicher aber langsam und ruhig vor sich gegangen ist; daß im Norden und im Süden die Bewegung durch Perioden vergleichsweiser Ruhe unterbrochen gewesen, während welcher das Meer sich tief in das Land einfraß, wie noch jezt fortwährend geschieht; daß die Perioden der Entblößung und Erhebung gleichzeitig waren, und daß beide Bewegungen gleichmäßig über ausgedehnte Küstenstriche stattfanden, wie an der gleichen Höhe der Ebenen sich zeigt; daß es wenigstens acht Perioden der Entblößung gegeben; daß die erhöhte Fläche im südlichsten Theile des Continents sich bis an die Cordillera und an der Meeresseite wahrscheinlich bis zu den Falklandinseln erstreckte, und daß nörblich in La-Plata die Breite unbekannt ist; endlich, daß von der Erhöhung, welche durch die emporgehobenen Muscheln bezeugt ist, das Land dort, wo jezt der Santa-Cruz fließt, durch eine Meeresstraße getheilt war, daß ferner weiter südlich noch andere jest geschlossene Straßen waren. Ich kann hinzufügen, daß bei Santa-Cruz, 50° südl. Br., die Ebenen wenigstens 1400 Fuß erhoben worden sind, seit der Zeit, wo gigantische nstücke 60-70 Meilen weit von ihrem älterlichen Gebirgsfelfen auf schwimmenden Eisbergen dorthin transportirt worden."
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Über die Erhebung der Westküste Südamerikas sagt Darwin: "Wenn wir schließlich die Ausdehnung des emporgehobenen Landstrichs auf beiden Seiten des Festlandes nach den gefundenen frischen organischen Überbleibseln miteinander vergleichen, so sind, wie nachgewiesen, am Atlantischen Ocean mit Unterbrechungen Muscheln gefunden worden vom Feuerlande an bis 1180 Meilen, und am Stillen Ocean bis 2075 Meilen gegen Norden. Auf eine Länge von 775 Meilen finden wir Muscheln in denselben Breiten auf beiden Seiten des Festlandes. Auch ohne diesen Umstand in Betracht zu ziehen, ist es wahrscheinlich, daß die ganze Breite des Continents im mittlern Patagonien in Masse erhoben worden; aber nach andern Gründen würde es gewagt sein, diese Folgerung auch auf La-Plata auszudehnen. Daraus, daß das Festland im südlichsten Theil Patagoniens eine geringe Breite hat, und nach den Muschelarten, die an der Magellanstraße und gleichmäßig weit hinauf im Flußthale des Santa-Cruz gefunden worden, ist es wahrscheinlich, daß der südlichste Theil der Westküste, den ich nicht besucht habe, innerhalb der Periode neuer (lebender?) Mollusken emporgehoben worden. Ist dies der Fall, so ist die am Stillen Ocean gelegene Uferstrecke stetig in neuerer Zeit und im geologischen Sinne gleichzeitig emporgehoben worden von Lima ab gegen Süden auf eine Strecke von 2480 Seemeilen - das ist ebenso weit wie vom Rothen Meere bis zum Nordcap von Skandinavien."
Noch mögen schließlich wenige Worte Darwin's über die Cordilleras folgen: "In Südamerika ist alles in großem Maßstabe vor sich gegangen, und alle geologischen Hergänge sind noch in thätiger Wirksamkeit. Wir wissen, wie gewaltsam in unsern gegenwärtigen Tagen die Erdbeben sind; wir haben gesehen, eine wie ausgedehnte Fläche jezt fortwährend emporsteigt; so sind auch die Ebenen der Tertiärbildung von enormer Ausdehnung. Eine fast gerade Linie kann von Tierra del Fuego 1600 Meilen und wahrscheinlich noch viel weiter nach Norden gezogen werden, ohne eine Erdbildung zu berühren, die älter wäre als die Ablagerungen Patagoniens; so gleichmäßig war die Erhebung der Lager, daß auf dieser langen Linie keine Lücke in der Lagenbildung, keine schroffe Verschiebung einer Lage an irgendeiner Stelle wahrgenommen werden konnte. Sehen wir auf die metamorphischen und plutonischen Felsen des Continents, so finden wir den Flächenraum, den sie einnehmen, gleichmäßig bedeutend, und die Ebenen ihrer Klüftung und Blätterung ftreichen über erstaunlich weite Räume in genau denselben Richtungen. Die Cordillera mit ihren Gipfeln, die dann und wann sich bis 20000 Fuß über dem Meeresspiegel erheben, erstreckt sich in einer ununterbrochenen Linie vom Feuerlande bis in die Nähe des nördlichen Polarkreises. Diese große Gebirgsmasse hatte sowol die heftigsten plößlichen Lagenverschiebungen als auch langsame, doch zugleich sehr bedeutende Erhebungen und Senkungen zu erleiden. Ich weiß nicht, ob der Anblick der weiten Gebirgsthäler mit den jezt bloßgelegten und durchschnittenen Bergeßmassen der einst im geschmolzenen Zustande hier emporgestiegenen Felsen, oder ob die Ansicht jener aus Kies und Ablagerungen, die von jenen Felsen kommen, bestehenden Ebenen mehr geeignet ist unser Erstaunen zu erregen über die Umseßung der Theile, die Abnußung, der diese Berge ausgesezt gewesen sind."
Was die im Verzeichnisse unter 6 genannte Schrift: "Monograph on the subclass Cirripedia etc.", betrifft, so ist sie als die gründlichste und vollständigste Beschreibung dieser Unterabtheilung der Crustaceen oder Krebse anerkannt. Die Schrift, wenn auch für den Naturforscher von großem Interesse, behandelt indeß eine Specialität, auf welche wir hier nicht weiter einzugehen haben.
Das bedeutendste von Darwin's Werken, dasjenige, dem er seinen jezt weitverbreiteten Ruhm verdankt, ist das unter 7 angeführte: "On the origin of species by means of natural selection or the preservation of the favoured races in the struggle for life."'*) Die erste Ausgabe dieses Werks erschien im Jahre 1859, und seitdem hat es schon mehrfache Auflagen erlebt.**) Wir erfahren aus der "Einleitung", daß das Buch, wie es bisjeßt gedruckt vorliegt, nur ein Auszug aus einem viel umfassendern Werke ist, das 1859 bereits beinahe vollendet war. Der
*) Die wörtliche Übersetzung des Titels würde lauten: "Über den Ursprung der Species vermittelst natürlicher Auswahl oder die Erhaltung begünstigter Rassen in dem Kampfe ums Leben." Indessen würde unsers Erachtens der Titel der Sache viel mehr entsprechen, wenn er etwa lautete: "Die Entstehung der Geschlechter durch Auswahl der Natur oder die Erhaltung begünstigter Arten u. s. w." Die "natürliche Auswahl" ist schon im Original undeutlich, noch mehr in der Übersetzung.
**) Nach der dritten englischen Auflage, außerdem mit neuern Zusätzen durch Darwin selbst versehen, erschien eine deutsche Bearbeitung des Werks von H. G. Bronn unter dem Titel: "Über die Entstehung der Arten im Thier und Pflanzenreich durch natürliche Züchtung, oder Erhaltung der vervollkommnes ten Rassen im Kampf ums Dasein" (zweite Auflage, Stuttgart 1863).
D. Red.
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Gegenstand ist ein so wichtiger und anziehender, daß er die menschliche Forschungskraft seit den ältesten Zeiten in Anspruch genommen hat. Die Frage nach dem Ursprunge der Welt ist dem denkenden Wesen natürlich und wird daher mit innerer Nothwendigkeit von den Denkern fast jeder Generation von neuem untersucht. Das Darwin'sche Buch stellt sich die Frage speciell: Wie sind die organischen Wesen der Erde entstanden, und welches ist die Geschichte derselben von den ersten bis auf die gegenwärtig lebenden? Die in dieser Weise eingeschränkte und bestimmte Frage hängt, wie man begreift, zunächst mit der allgemeinen über die Entstehung und Geschichte des Weltsystems auf das genaueste zusanımen. Sodann steht die Frage in unmittelbarer Beziehung zu der, welche der Natur der Sache nach das Interesse des denkenden Menschen vor allen andern in Anspruch nimmt, zu der Frage näm lich: Wie ist das Menschengeschlecht selbst entstanden?
Seit die Forschungen über die Beschaffenheit und Geschichte des Erdkörpers nach Zweck, Umfang, Hülfsmitteln systematisch geordnet, seit mit andern Worten die Wissenschaft der Geologie begründet worden, ist es anerkannt, daß die organische Natur immer mit der anorganischen in einem innerlichen, nothwendigen Zusammenhange gestanden hat. Daraus folgt, daß über den Ursprung und die Geschichte irgendeiner besondern Klasse organisirter Wesen keine gründliche Forschung angestellt werden kann, ohne die Untersuchung über die uns bekannte organische und anorganische Welt auszudehnen.
Darwin hat in seinem Werke das Ergebniß aller bisher gemachten geologischen Forschungen ihrem vollen Werthe nach berücksichtigt. Er ist nicht der erste, der den Ursprung und die Geschichte der organischen Welt zum Gegenstand einer besondern Untersuchung macht. Um von feiner eigenthümlichen Methode einen Begriff zu geben und seinem Verdienst gerecht zu werden, erscheint es daher nothwendig, zwei vor ihm geschriebene Werke anzuführen, deren Verfasser nahebei zu denselben Resultaten gelangt sind als er. Diese Werke sind des französischen Naturforschers Lamarck "Philosophie zoologique", wovon die erste Ausgabe (2 Bde.) schon im Jahre 1809 zu Paris erschien, und die englische Schrift "Vestiges of the natural history of creation" ("Spuren der Naturgeschichte der Schöpfung"), deren erste Ausgabe zu London im Jahre 1844 (die zehnte 1853) veröffentlicht wurde.*)
Lamarck untersucht im ersten Theile seines Werks die Frage, ob Species oder Klassen der organischen Wesen in der Natur eine reale Existenz haben. Er nimmt für den Begriff der Species die Definition an, daß sie bestehe aus jeder Gesammtheit ähnlicher Individuen, die durch andere ihnen gleiche Individuen hervorgebracht sind. ("On a appelé espèce toute collection d'individus semblables qui furent produits par d'autres individus pareils à eux", I, 54.) Soweit als diese Definition trägt erkennt er die reale Eristenz der Species an; er bestreitet aber die Behauptung einiger Naturforscher, daß jede Species bestimmte unveränderliche Charaktere habe, die seit ihrer Entstehung dieselben geblieben. Zum Beweise der Veränderlichkeit der Klassen führt er bekannte Beispiele aus dem Thier- und Pflanzenreiche an, daß solche Veränderungen im Laufe der Zeit flattgefunden. "Wo", fragter "findet man im Naturzustande unsere Weizenpflanze (triticum sativum), wo die Kohl- und Salatarten, die wir in den Gärten anbauen? Die Wissenschaft erkennt diese Pflanzen, deren es jezt eine große Menge gibt, als eigene Species oder Klassen, und doch will man die Unveränderlichkeit des Klassencharakters behaupten." Gleichmäßig macht er auf die Verschiedenheit unserer Haushühner und Tauben von den Ahnen aufmerksam, auf welche ihr Stammbaum zurückgeführt wird. Er führt ausdrücklich an, daß unter unserm Hausgeflügel Gäuse- und Entenarten sich am wenigsten verändert haben, weil hier mit der Lebensweise nicht zugleich das Klima geändert worden, in welchem die Vorältern dieser Klassen im Naturzustande lebten, macht aber darauf aufnersam, wie sehr gleichwol Körperbau und Lebensgewohnheiten dieser Arten unsers Hausgeflügels von denen der wilden Enten und Gänse abweichen. Wo findet man im Naturzustande", fragt er ferner "diese Menge der Hunderassen, die durch die Veränderung der Umstände, denen sie als Hausthiere ausgeseßt sind, ins Leben gerufen werden, während ihr gemeinschaftlicher Urahn ein Thier gewesen sein muß, das dem Wolfe sehr ähnlich, wenn nicht der Wolf selbst war?"
In der That übersieht Lamarck's Scharfsinn nur wenige der schlagendsten Beobachtungen,
*) Das englische Werk erschien anonym. Der Verfasser ist auch in keiner der zahlreichen späteru Ausgaben genannt worden. Man schrieb das Buch verschiedenen Männern zu, und jest gilt der verstorbene Robert Chambers als Verfasser, ein Mitglied der schottischen Familie dieses Namens, die um Buchhandel geschäftlich bekannt ist und sich um Volksbildung sehr große Verdienste erworben hat.
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welche von den Bertheidigern der Veränderlichkeit des Klassentypus noch heute als Beweise ihrer Ansicht angeführt werden. Aus den zusammengestellten Beobachtungen leitet er folgende Naturgeseze ab: 1) die Organe der lebendigen Wesen werden durch Übung gestärkt, vergrößert, durch Nichtgebrauch geschwächt, verkleinert, unbrauchbar gemacht, zulezt vernichtet. 2) Sowie ein Drgan durch besondere Übung oder Nichtgebrauch für längere Zeit gestaltet worden, wird es von seinem Besizer auf die Nachkommen durch Vererbung fortgepflanzt. Da nun äußere Umstände eine Thierart veranlassen können, bestimmte Organe besonders anzustrengen, den Gebrauch anderer zu unterlassen, so ift die Umbildung der Species von äußern Umständen abhängig. Während diese Umstände bei den Thieren mannichfacher Art sein können, nur aber, um allgemein zu wirken, eine Veränderung des Bedürfnisses einschließen müssen, gilt dasselbe Gesez für Pflanzen hauptsächlich in Bezug auf ihren Standort und ihre Ernährung. Die Sprache, sagt er richtig, hat diese Wahrheit längst in dem Sprichwort ausgedrückt: "Les habitudes forment une seconde nature" (die Gewohnheit wird zur andern Natur).
Nicht zufrieden mit diesen wichtigen Folgerungen aus seinen Beobachtungen geht Lamarck aber weiter und hebt (1,237) mit besonderer Genugthuung aus einem seiner frühern Werke den Satz wieder hervor: "Nicht die Organe, d. h. die Natur und Gestalt der Körpertheile eines Thieres, sind die Ursachen seiner Gewohnheiten und besondern Fähigkeiten, sondern, im Gegentheil, die Gewohnheiten und die Lebensweise und die Umstände, in denen sich seine Vorjahren befunden, haben mit der Zeit die Gestalt seines Körpers, die Anzahl und Beschaffenheit seiner Organe und endlich die Fähigkeiten des Thieres hervorgebracht und gebildet." Falls die Species hätten constant erhalten werden sollen, hätte ferner nie eine Vermischung verschiedener Species stattfinden müssen. Solche Mischungen haben aber stattgefunden, und obgleich die Erzeugnisse derselben in der Regel selbst unfruchtbar sind, so hat diese Regel doch viele Ausnahmen. Wenn die Verschiedenheit zweier Species nicht zu groß, so sind die aus ihrer Vermischung hervorgehenden Abkömmlinge fruchtbar; sie bilden eine von jeder der beiden älterlichen Species verschiedene Varietät und werden zulegt "ce que nous nommons des espèces", d. h. das, was wir Species nennen.
Nach einer systematischen Übersicht aller Gattungen, Geschlechter und Klassen des Thierreichs kommt Lamarck zu dem Schlusse, daß die niedrigsten am wenigsten entwickelten Geschlechter zuerst existirt und stufenweise die Geschlechter vollkommener Organisation und höherer Fähigkeiten erzeugt haben. Der Anfang aller organischen Bildungen sowol des Pflanzenreichs als des Thierreichs ist nach ihm durch gleichnamige oder geschlechtlose Zeugung (generatio aequivoca) gemacht worden. In jeder schleimigen Flüssigkeit, die von den Sonnenstrahlen erwärmt wird, entstehen zellige Gewebe, und diese "Zellen" sind die ersten "rohen Entwürfe" aller organischen Bildungen. Darüber, ob solche geschlechtlose Zeugungen noch gegenwärtig stattfinden, ist er ehrlich genug, seine Unwissenheit zu bekennen. In jedem Falle, sagt er, haben sie aber bei dem Anfange jedes der beiden organischen Naturreiche stattgefunden. Ob für das Pflanzen- und Thierreich verschiedene Arten der Zellengewebe, dieser Rohentwürfe (ébauches d'organisation), benugt wurden, oder dieselbe Art für beide Naturreiche gedient habe, läßt er unentschieden. Sodann führt er aus, daß bei fortschreitender Entwickelung der höhern Klassen aus den niedern zwei Ursachen wirksam gewesen, nämlich: 1) eine inwohnende Tendenz zur sortschreitenden Vervollkommnung der Organisation, 2) die Gewalt äußerer Umstände. Hätte die erste Ursache allein gewirkt, so würde im Laufe der Zeiten eine vollständige ununterbrochene Stufenleiter aller Formen von Geschöpfen, von den einfachsten bis zu den zusammengeseytesten und vollkommensten, entstanden sein. Aber die störende Einwirkung der zweiten Ursache verhinderte dies. Daher ist in der Wirklichkeit nur eine Annäherung zu dieser regelmäßig stufenweisen Reihenfolge vorhanden; die Entwickelung einiger Geschlechter ist nämlich durch ungünstige Umstände aufgehalten worden, während die Entwickelung anderer durch die Gunst der Umstände befördert wurde.
Da Lamarck der Erörterung fossiler Thier- und Pflanzenformen keinen besondern Abschnitt seines Werks widmet, so könnte man zweifelhaft sein, ob seine Betrachtung die untergegangenen Geschlechter einschließt, wenn dies nicht mit Nothwendigkeit aus einzelnen Stellen geschlossen werden müßte, und es nicht ohnehin gewiß wäre, daß ihm, dem Zeitgenossen Guvier's, dessen Forschungen über die organischen Überreste untergegangener Geschlechter bekannt gewesen. Fassen wir also, was er von der Stufenleiter und dem Ursprunge, besonders des Thierreichs sagt, mit Einschluß der untergegangenen Klassen auf, so läßt sich begreifen, wie ihn die Wahrnehmung der Einheit im Mannichfaltigen, einer gewissen Analogie des Baues aller Thierklassen nämlich, und einer noch größern Übereinstimmung in Gattungen und Gruppen von Gattungen zur An-
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nahme des gemeinschaftlichen Ursprungs und der allmählichen Entwickelung aus der einfachsten Urform veranlaßt hat. Da er aber mit Recht einen Typus der Gattungen und Klassen anerkennt, so hätte er auch erklären müssen, wie dieser typische Charakter des Besondern entstehen und sich von der ursprünglich einfachen identischen Form nach und nach abzweigen konnte. Die oben angeführten, von ihm angenommenen beiden Ursachen sind keineswegs geeignet, zu erklären, warum die Klassen beider organischer Naturreiche durch Ähnlichkeiten und Unterschiede in einer regelmäßigen Reihenfolge geordnet sind, aus der aber hier und da einige Glieder fehlen. Denn die erste angegebene Ursache, die Tendenz zur fortschreitenden Vervollkommnung der Organisation, ist lediglich ein anderer Ausdruck für die wahrgenommene stufenweise Anordnung. Die zweite Ursache aber "die störende Gewalt äußerer Umstände", enthält in ihrer unbestimmten Algemeinheit nichts als ein verdecktes Bekenntniß der Unwissenheit.
Im ganzen war Lamarck, dessen "Philosophie zoologique" zu den Werken gehört, die öfter ausgebeutet als anerkannt werden, durch zwei bedeutende Eigenschaften ausgezeichnet: durch eine gründliche Kenntniß des Thier- und Pflanzenreichs und durch großen Scharfsinn des Raisonnements. Seine Naturkenntniß scheint aber mehr aus Museen und Sammlungen abgeleitet als durch Beobachtung der lebendigen Exemplare in ihrer uneingeschränkten Freiheit erworben. zu sein. Sein Scharfsnn verleitete ihn häufig zur Aufstellung von Paradoren, zur unmittelbaren Behauptung des Entgegengeseßten von dem, was er als Irrthum erkannt hatte, zu einem Fehler, den er selbst an einer Stelle seines Werks (II, 67) als die Ursache des langsamen Fortschritts der Naturkenntniß bezeichnet. An andern Stellen läßt er seiner Einbildungskraft die Zügel schießen. So ist seine Hypothese von dem Übergange der Vierhänder in Zweihänder, der Verwandlung des Affen in den Menschen nämlich, zwar nicht ohne Wiz entwickelt, aber doch so wenig geeignet, die auf der Hand liegenden Schwierigkeiten und Einwürfe zu beseitigen, daß sie ohne Noth deren sogar neue schafft.
"Wenn eine Rasse der Vierhänder", heißt es 1, 349 "durch Nothwendigkeit veranlaßt, sich der Gewohnheit entschlüge, auf die Bäume zu klettern und deren Zweige mit den Füßen zu ergreifen, und wenn diese Rasse genöthigt wäre, aufrecht zu gehen, so würde sie sich in Zweihänder verwandeln. Ist diese vollkommenste Rasse der Vierhänder außerdem dahin gelangt, die andern Thierklassen zu beherrschen u. s. w." Im weitern Fortgange hat Lamarck die Erfindung der Sprache, von der er weitläufig spricht, die Bildung abstracter Begriffe und andere Schwierigkeiten, die er nicht erwähnt, keineswegs erklärt und beseitigt. In der Annahme, daß seine Affenart beiläufig nicht der Orang-Utang, sondern der Orang von Angola (Simia Troglodytes L.) - damit anfange, die übrigen Thiergeschlechter zu beherrschen, sezt seine Einbildungskraft muthwillig eine neue. Denn die Orangs können doch kaum zu dieser Herrschaft gelangen, bevor wenigstens einer von ihnen eine Vorstellung von der Zusammengehörigkeit seines Geschlechts, von den Merkmalen, durch die es sich von andern Thieren unterscheidet, gebildet hat, gar nicht zu erwähnen, daß dieser gescheidte Affe auch den Willen haben müßte, seinem Geschlechte die Herrschaft zu verschaffen, die Fähigkeit, seinen Mitaffen dies verständlich zu machen und sie zur Mitwirkung zu bestimmen.
Bezüglich des zweiten der oben erwähnten Werke, welche der Darwin'schen Untersuchung vorangingen, nämlich der "Vestiges of the natural history of creation", als deren Verfasser der verstorbene Robert Chambers gilt, können wir uns hier kürzer fassen. Das Buch des geistvollen Schotten würde noch besser sein, als es ist, wenn er nicht die Vorrede sowol als einen großen Theil des Tertes der Vertheidigung gegen den Vorwurf der Irreligiosität gewidmet hätte. Aus der bittern Weise, in welcher er später die Angriffe einiger Gegner zurückgewiesen, geht zur Genüge hervor, daß ihn dies gegen Anfeindungen der Religionsvertheidiger nicht geschüßt hat.
Das Werk gibt zuvörderft einen kurzen Überblick der Ergebnisse der geologischen Forschungen in einer Beschreibung der verschiedenen Erd- und Felsbildungen nach ihrem Alter und der Art ihres Ursprungs. Der Natur der Sache nach ist diese Beschreibung der Erdschichten durch Schilderung der Pflanzen- und Thierarten erläutert, welche zu ihnen gehören. Daraus zieht der Verfasser den Schluß, daß im großen und ganzen die organischen Reiche bei den einfachsten Bildungen angefangen haben und allmählich zu immer zusammengeseßtern und vollkommenern fortgegangen seien. Er untersucht darauf die Möglichkeit geschlechtloser Zeugung und bespricht besonders die um das Jahr 1840 in England angestellten Versuche eines Hrn. Grosse, der mit einer Voltaischen Batterie Untersuchungen über Kryftallisation anstellte und dabei unvermutheterweise eine Milbenart erzeugte, die nachher seinen Namen erhalten hat (Acarus Crossii). Ohne diese Thatsache für unzweifelhaft zu halten, nimmt der Verfasser gleichwol an, daß der
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Anfang der beiden organischen Reiche einfache "Zellenbildung" und geschlechtlose Zeugung gewesen sei. Ferner entwickelt er seine Ansicht, daß aus den einfachen Organismen nach und nach die vollkommenern aufsteigend entstanden und von erftern erzeugt worden seien. Sehr viel Raum ist auf den versuchten Nachweis verwendet, daß solcher Ursprung und solche Entwickelung der Weisheit des Schöpfers am angemessensten sei. Übrigens sind die bekannten Thatsachen der Embryologie, namentlich die, daß der Embryo der meisten Thierklassen den entwickelten Formen der nächst unter ihnen stehenden Klassen ähnlich ist, gut für die Entwickelungstheorie benußt. An einer Stelle deutet der Verfasser an, daß nach seiner Meinung der Mensch von einer größern als einer der jezt vorhandenen Affenarten abstamme. Und zum Beweis, daß auch ein Thier aus dem Geschlecht der Batrachier zu unsern frühern Ahnen gehört habe, wird auf die Ähnlichkeit des Froschfußes mit der menschlichen Hand aufmerksam gemacht, sowie auf den Umstand, daß außer dem Menschen der Frosch das einzige mit Waden an seinen Beinen begabte Thier ist.
Dies mag genügen, um die beiden Vorgänger Darwin's in Bezug auf ihre Entwickelungstheorie zu charakteriziren. Darwin führt in seinem Werke das Buch des Schotten kritisch an, während nach innern Gründen feststeht, daß ihm auch das Buch von Lamarck bekannt gewesen ist.
Darwin's Beobachtungsgabe ist sein und durch langjährige Übung geschärft. Alles, was er den überlieferten Berichten anderer Forscher entnimmt, hat für ihn die lebendige Anschaulichfeit und körperliche Deutlichkeit eigener Beobachtung. Diese Klarheit der Auffassung geht in die Darstellung über und kommt dem Leser seines Werks zugute. Was die Methode seiner Entwickelung und Beweisführung betrifft, so ist dieselbe von der seiner Vorgänger wesentlich verschieden. Die Eigenthümlichkeit der Darwin'schen Methode besteht darin, daß synthetisches und analytisches Urtheil abwechseln und sich einander das Gleichgewicht halten. In den mathematischen Wissenschaften mag das analytische Urtheil weit führen. Die Schlüsse beruhen auf gegebenen Voraussegungen und wollen nur unter der Annahme der Nichtigkeit dieser Voraussegungen gelten. Ob die Voraussetzungen in der wirklichen Welt zutreffen und vorhanden sind, darauf kommt es nicht an. Anders der Naturforscher! Seine Aufgabe ist Erkenntniß des Eristirenden. Die Realität der Dinge ist der Gegenstand und Inhalt seines Urtheils. Die Erkenntniß der Wirklichkeit ist aber wesentlich eine synthetische Function der Vernunft. Da jedoch synthetische Urtheile der Bestätigung durch analytische Prüfung bedürfen, so müssen naturwissenschaftliche Ermittelungen auf beiden Arten des Urtheils beruhen. Dieser Forderung ist in dem Darwin'schen Werk vollständiger und besser genügt als in den Schriften seiner Vorgänger, in welchen analytischer Scharfsinn vorherrscht.
Die Entwickelungstheorie Lamarck's und des Schotten gründet sich darauf, daß die einfachsten Organismen allmählich verändert und vervollkommnet worden sind durch Vermischung von Individuen verschiedener Klassen, durch zufällige Verschiedenheit der Abkömmlinge von ihren Erzeugern und endlich durch den vermehrten oder verminderten Gebrauch einzelner Organe, der, durch äußere Umstände veranlaßt, zulegt die Gestalt und das Wesen des Individuums verändert hat. Darwin, dem seine Beobachtungen die Überzeugung gegeben, daß die Eintheilung der ors ganischen Wesen in Arten, Geschlechter, Gruppen von Geschlechtern u. f. w. nicht etwas von menschlicher Systematik Gemachtes, sondern in der Wirklichkeit der Dinge begründet sei und reale EriAtenz habe, nimmt jene Entwickelungstheorie seiner Vorgänger auf. Da indeß die Entwickelung des Einfachen in die mannichfaltigsten Formen sich über die ganze organische Natur ausgebrei tet hat und von großer, für unsere Auffassung unendlicher Zeitdauer ist; da derselbe Proceß stetiger Veränderung im ausgedehntesten Raume und in unendlicher Zeitdauer sich fortsept: so findet sich Darwin zu dem Schlusse veranlaßt, daß die Natur, um den Hergang zu bewirken, sich überall desselben Mittels bedient habe, nach Einem Geseze verfahren sein müsse. Um dieses Gesez zu entdecken, wendet er sich zunächst zu denjenigen Veränderungen organischer Arten, die in kurzer Zeit vor sich gehen und daher der Beobachtung am zugänglichsten sind. Der Mensch verändert die Arten der Thiere und Pflanzen, die er um ihres Nußens oder ihrer Schönheit willen sich aneignet, nach seinen Zwecken. Es ist wahr, daß hier nicht die Verwandlung des Einfachen in die mannichfaltigsten und höchft zusammengesezten Formen von dem Beobachter wahrgenommen und verfolgt werden kann. Aber Veränderungen sind sicher bewirkt worden, und zwar in einer so großen Menge von Individuen gewisser Pflanzen und Thierarten, daß, wenn irgendwo, sicherlich hier das Geseß muß aufgefunden werden können, das die Veränderung der organischen Arten beherrscht.
Dieser Grundansicht gemäß zieht Darwin in seinem Werke "On the origin of spe-
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cies etc." zuvörderst die Veränderungen in Betracht, welche mit Thieren und Pflanzen unter der Hand des Menschen vorgegangen sind. Er ist der erste Naturforscher, welcher den reichen Schaß aufgesammelter Erfahrungen, der in den Schriften der Thier- und Pflanzenzüchter nie dergelegt ist, für die wissenschaftliche Untersuchung ausgebeutet hat. Kaum dürfte ein wichtiges Werk der deutschen, englischen und französischen Landwirthe und Gärtner seiner Aufmerksamkeit entgangen sein. Und was ihm diese gegeben, zahlt er doppelt zurück durch den Gebrauch, den er von dem Material macht, sowie durch den Beitrag, den er zu dessen Vermehrung liefert. Der Abschnitt über gegenseitige Beziehung der Entwickelung verschiedener Systeme (Correlation of growth), schon im allgemeinen für Beobachter der Natur höchft anziehend, wird insbesondere von jedem denkenden Züchter als werthvolle Belehrung anerkannt werden.
Ein anderer Abschnitt über "zweifelhafte Arten" (species) ist einerseits für die Darwin'sche Methode bezeichnend, andererseits wichtig für das Ergebniß der Untersuchung. Wir wollen versuchen, den Inhalt mit Hinzufügung dessen, was andere Stellen des Buchs über denselben Gegenstand enthalten, in Kürze wiederzugeben. Obgleich die Naturforscher im ganzen über die Begriffe "Art" und "Abart" der Thiere und Pflanzen einverstanden sind, so weichen sie doch in Beziehung auf die Bestimmung des Charakters vieler gegebener Thier- und Pflanzenklassen wesentlich voneinander ab. "Hr. H. Watson", sagt Darwin "hat mir 182 britische Pflanzen aufgezeichnet, die gemeinhin als Abarten (Varietäten) bezeichnet werden, aber alle von einzelnen Botanikern als Arten (species) aufgeführt worden sind." In der That ist für die Begriffe "Art" und "Abart" noch keine erschöpfende und allgemein anerkannte Definition gefunden. Nach Darwin's Darstellung erwachsen im Laufe der Zeiten, namentlich der geologischen Perioden und der während derselben vorgehenden Veränderungen, individuelle Verschiedenheiten zu Abarten und hinwiederum Abarten zu Arten. Da gleichzeitig andere Arten aussterben, so ist der Charakter und Begriff der lebendigen Art in der Natur zwar feststehend für eine und dieselbe gegebene Zeit, aber der Veränderung unterworfen in nacheinander folgenden Zeiträumen. Die Unbestimmtheit der Classification in den Werken der Naturforscher hat einen nothwendigen Zusammenhang mit der Veränderlichkeit des Klassencharakters in der Wirklichkeit. Die Classiftcation würde wesentlich verbessert, es würden für die Begriffe Art, Abart u. s. w. leicht erschöpfende Definitionen gefunden werden, wenn Abstammung zum Bestimmungsgrund der Classification gemacht würde.
Der hier berührte Abschnitt ist jedoch nur eine episodische Abschweisung. Der Hauptsache nach beginnt Darwin, nachdem er die Einflüsse der Menschen auf die Veränderung der ge: zähmten Thiere und angebauten Pflanzen in Betracht gezogen, in einem die "Veränderlichkeit im Naturzustande" überschriebenen Kapitel die gewonnenen Resultate auf seine Untersuchung anzuwenden. Die Natur producirt die Nahrungsmittel nicht reichlich genug für alle Individuen, welche durch ungehemmte Fortpflanzung entstehen würden. Daher ein Kampf um die Eristenz, in welchem diejenigen Sieger bleiben, welche mehr als die andern durch ihre Eigenschaften befähigt sind, sich die Nahrungsmittel anzueignen. Wenn, wie im Laufe ungezählter Jahrtausende öfter geschehen, trockenes Land allmählich in Meeresgrund verwandelt wird, oder Meeresgrund zu Tage steigt, selbst zu Bergesgipfeln erhoben wird, so bleiben, während diese Veränderungen vorgehen, diejenigen Pflanzen und Thiere Sieger in dem Kampfe um die Existenz, deren Eigenschaften und Organe sie am besten in den Stand sehen, den Theil der Veränderung, welchen sie erleben, zu ertragen. So ausgestattete organische Wesen sind dadurch vor den andern zum Bestehen und zur Fortpflanzung auserwählt. Dies ist der Vorzug ihrer Organisation, welchen Darwin mit dem für seine Darstellung technisch gewordenen Ausdruck der "natürlichen Auswahl" (natural selection) bezeichnet.
Der Vorzug der "natürlichen Auswahl", welcher ganzen Klassen oder einzelnen, im Gegensag zu ihren Mitbewerbern glücklich ausgestatteten Individuen zu Theil wird, besteht also zuvõrderft darin, daß sie leben bleiben und sich fortpflanzen, während ihre Mitgeschöpfe aussterben. Da aber diese "natürliche Auswahl" den Bevorzugten nur infolge der eigenthümlichen Beschaffenheit ihrer Organe und der Fähigkeit, sich den vorhandenen oder eintretenden Umständen besser anzubequemen als die Mitbewerber, zu Theil wird, so folgt, daß sie auch die Eigenthümlichkeit ibrer Organisation fortpflanzen, und daß ihre Nachkommen, wenn diefelben Umstände fortdauern, dieselbe Eigenthümlichkeit weiter ausbilden und vervollkommnen werden, um so mehr, da dann sortdauernd durch "natürliche Auswahl" alle diejenigen ausgemerzt werden, welche die geforderte Eigenthümlichkeit nicht in hohem Maße besigen
Dies ist nach Darwin das große Gesez, welches die allmähliche Entwickelung der organisirten
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Wesen, die wunderbaren Verwandtschaften der gleichzeitig lebenden sowie die nicht weniger wunderbaren der lebenden mit den ausgestorbenen Arten erklärt. Gärtner und Thierzüchter wählen die Exemplare zur Fortpflanzung nach ihren Zwecken, und sie erreichen diese Zwecke in dem Maße, als ñe richtig zu wählen verfteben. In der Natur wirkt seit einer Zeit, die wir nicht ermessen können, über den ganzen Umfang der Erde beharrlich eine Kraft mit denselben Mitteln wie die der Gärtner und Thierzüchter.
Die "Auswahl" der Natur ist hart, unbeugsam, unfehlbar. Der Hungertod, der Zahn des Feindes und ihre Mittel zur Vertilgung der Geschlechter, die sie beseitigen will. Als treue Pilegerin weiß sie dagegen die Einzelwesen und Geschlechter zu erhalten und zu vervollkommnen, die fie auserwählt hat, und die es verstehen, sich ihren Einrichtungen anzubequemen.
Wenn wir von den Zwecken der Natur nicht sprechen können, so umgeben uns doch in ausgesprochenen lebendigen Charakteren ihre Erfolge. Eine ungezählte Menge von Versteinerungen, der Sand am Meer und der Sand im Meeresgrund bezeugen die durch diese Kraft allmählich bewirkten Veränderungen und Übergänge. Diese stetig umgestaltende, tödtende und belebende Naturkraft ist, wie schon bemerkt, Darwin's "natürliche Auswahl".
Mit Hülfe einer Tafel, die das Verständniß seiner Erörterungen sehr erleichtert, gibt er dann die Entwickelungsgeschichte der organischen Wesen in ihren wesentlichen Grundzügen. Er nimmt eine große Anzahl von Verioden, jede zu 10000 unserer Sonnenjahre, an, und zeigt, wie die Organismen durch "natürliche Auswahl" umgestaltet werden, wie Spielarten, Gattungen, Gruppen von Gattungen allmählich durch Vaarung von Individuen gleichmäßiger einfacher Organisation, später durch Kreuzung von Individuen verschiedener Spielarten oder Arten entstehen konnten, während mehrere früher bestehende Arten und Gattungen durch dieselbe "natürliche Auswahl" verworfen und vertilgt wurden. Er erklärt anschaulich, wie es durch denselben Entwickelungsproceß zu Wege gebracht wurde, 1) daß alle jezt lebende organische Wesen gleichsam eine Kette bilden, in welcher zu beiden Seiten jeder Art sich andere Arten von großer Ähnlichkeit befinden, die mit der Entfernung stufenweise abnimmt; 2) daß diese Kette gleichwol durch verschiedene Lücken, und zwar von ungleicher Weite, unterbrochen ist.
Darwin's Theorie über den Ursprung der Arten und sein Grundriß der Geschichte der organischen Welt ist in den ersten fünf Kapiteln des Werks "On the origin of species etc." eigentlich abgeschlossen. In den folgenden acht Kapiteln werden zum Theil die Hauptsäße erläutert, zum Theil Einwendungen bekämpft und widerlegt. Das 7. Kapitel über den Instinct, besonders über die eigenthümlichen Triebe der Bienen, der Ameisen, des Kukuks, des Straußes und anderer Thiere, muß durch die gleich lebendige Darstellung eigener und fremder Forschung namentlich für solche äußerst anziehend sein, die zu eigenen Beobachtungen wenig Gelegenheit oder zur Verfolgung der Untersuchung nicht hinlängliche Ausdauer haben. Ebenso haben zwei spätere Kapitel über Wanderungen der Pflanzen und Thiere und ihre geographische Vertheilung ein von dem Hauptinhalt des Werks unabhängiges, eigenes Interesse.
Unter den Einwänden gegen die Theorie wird von Darwin selbst besonders der hervorgehoben, daß, wenn dieselbe richtig wäre, die geologischen Überreste ausgestorbener Thier- und Pflanzengeschlechter eine vollständig und regelmäßig gegliederte Kette der Organismen enthalten und die Verbindung zwischen den Urformen und den jehtlebenden Arten nachweisen müßten. Diesem Einwand begegnet Darwin mit Darlegung der Gründe, warum die fossilen Urkundensammlungen über die erloschenen Geschlechter nie vollständig sein werden, und warum diese zur Zeit bei weitem noch nicht so vollzählig sind, als sie sein könnten.
Die Erscheinungen der Morphologie, namentlich die Ähnlichkeit im Bau derselben Gliedmaßen entfernter Thierklassen, wie verschieden auch der Gebrauch sei, welchen die Thiere von den Gliedern machen, ferner die homologische Wiederholung derselben Gliederung in einem und demselben Thier (in Beinen und Zehen, in den Kinnladen und Beinen der Krebse, die Homologie zwischen den Knochen des Schädels und den Wirbeln des Rückgrats der Wirbelthiere) werden von Darwin zur Unterstüßung der Entwickelungstheorie benußt. Demselben Zwec muß die Wahrnehmung dienen, daß zwischen den Embryonen einer Thierklasse eine viel größere Ähnlichkeit stattfindet als zwischen den geborenen und zumal den erwachsenen Thieren. Viele Thierklassen haben noch Spuren und verstümmelte Überreste von Organen, von denen sie nach ihrer ganzen Organisation nicht den geringsten Gebrauch machen könnten, während sich jene Organe bei näher oder ferner verwandten Klassen in vollständig ausgebildetem und nugbarem Zustande vorfinden und thatsächlich von diesen nicht blos benugt werden, sondern ihnen nach
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ihrer ganzen Organisation unentbehrlich sind. Diese Erscheinung kann kaum anders erklärt werden als durch die Annahme, daß die Thierklassen mit verkommenen und verfrüppelten Organen von andern abstammen, welche dieselben Organe in größerer Vollkommenheit be sessen haben.
Das 14. und Schlußkapitel des Werks enthält eine Recapitulation der ganzen Untersuchung und stellt deren Ergebniß feft, aus dem wir nur wenige charakteristische Worte anführen: "Ich bin der Ansicht", sagt Darwin bescheiden "daß die Thiere von höchstens vier oder fünf Urvätern und die Pflanzen von einer gleichen oder noch geringern Anzahl abstammen.... Analogie würde mich noch einen Schritt weiter führen, zu der Annahme nämlich, daß alle Thiere und Pflanzen von Einer Urform abstammen. Aber Analogie kann möglicherweise irre leiten. Gleichwol haben alle lebende Wesen vielerlei gemeinschaftlich........ Ich würde demnach aus der Analogie schließen, daß alle organische Wesen, die je auf dieser Erde gelebt haben, von Einer Urform abstammen, der zuerst das Leben eingehaucht wurde."
Deutsche Naturforscher haben längst darauf hingewiesen, daß die eigentliche Wissenschaft der Naturgeschichte noch nicht vorhanden ist, weil das, was in allen Sprachen unter diesem Namen bisjezt begriffen wird, keineswegs eine Geschichte, sondern nur eine übersichtliche Beschreibung der uns befannten organisirten Wesen oder vielmehr der uns bekannten und in drei große Abtheilungen getheilten Körper enthält. Mit Ansammlung des Materials zur Begründung einer Wissenschaft der Naturgeschichte haben die Geologen wenigstens einen guten Anfang gemacht. Darwin nun kann als Begründer einer wirklichen Wissenschaft der Naturgeschichte betrachtet werden, sein Buch über den "Ursprung der Arten" als das erste Werk dieser Wissenschaft. Ein wie großer oder geringer Theil seiner Resultate vor der künftigen Prüfung bestehen bleiben mag, seine Nachfolger werden nicht umhin können, von seiner gründ lichen Arbeit Kenntniß zu nehmen und, sei es durch Bestätigung oder Widerlegung, darauf weiter zu bauen. Auf lange Zeit hin werden die Nachfolger eine auf Gründen beruhende Erklärung darüber abzugeben haben, ob sie die Geschichte der organischen Welt, welche Darwin im Grundriß dargestellt, für richtig erachten oder nicht. Wenn unter diesen Nachfolgern sich Männer finden, die mit Darwin's Beobachtungsgabe seinen Wahrheitssinn, seine Strenge bis in die Einzelheiten der Untersuchung und die Wahl des bestimmtesten Ausdrucks verbinden, so wird, gelingt es auch nicht, alle Fragen und Zweifel zu lösen, für unsere Zeitepoche doch sicherlich über den Ursprung und die Geschichte der organischen Welt noch Vieles und Großes entdeckt und ermittelt werden können.
Bemerkt mag noch sein, daß das bedeutungsvolle Werk Darwin's über den "Ursprung der Arten" nur der Auszug aus einer viel umfangreichern Arbeit ist, zu welcher die Beobachtungen, die er auf seiner Reise um die Welt gemacht, ihm die erste Anregung gegeben. Von 1837-42 war er stetig damit beschäftigt, eine Sammlung aller Beobachtungen und Erfahrungen zu veranstalten, die auf den Gegenstand irgendeine Beziehung haben konnten. Im Jahre 1844 waren seine Vorarbeiten so weit gediehen, daß er die Schlußfolgerungen in zusammenhängender Skizze entwerfen kounte. Im Jahre 1859 war endlich sein umfassendes Werk beinahe vollendet. Doch seine wankende Gesundheit und der Umstand, daß Wallace, ein ihm befreundeter Naturforscher (welcher im malaiischen Inselmeer mit geologischen und naturgeschichtlichen Untersuchungen beschäftigt ist), auf sehr ähnliche Endresultate gekommen, bestimmten ihn, das große Werk vor der Hand ruhen zu lassen, dafür aber aus demselben den fürzern und unvollständigen Auszug zu veröffentlichen.
Das lezte, in dem Verzeichnisse unter 8 aufgeführte Werk Darwin's: "On the various contrivances etc.", handelt von den verschiedenen Einrichtungen, durch welche Orchideen in England und anderwärts durch Insekten befruchtet werden, sowie von den guten Wirkungen der Kreuzung beim Züchten. *) Auch diese Schrift, die wir hier nur noch kurz erwähnen wollen, theilt mit der vorigen den Vorzug großer Klarheit. Viele Orchideen werden durch Insekten mit dem Samen einer fremden männlichen Blüte befruchtet, obgleich neben der weiblichen eine männliche Blüte auf demselben Stamme vorhanden ist. Darwin sieht darin eine Vorkehrung der Natur, um neue Varietäten oder Spielarten hervorzubringen. "Je mehr ich die Natur
*) Dieses Werk Darwin's ist ebenfalls von Bronn in deutscher Bearbeitung unter dem Titel "Über die Einrichtungen zur Befruchtung britischer und ausländischer Orchideen durch Insekten und über die günstigen Er der Wechselbefruchtung" (Stuttgart 1862) veröffentlicht worden. D. Red.
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studire", schließt er, "desto mehr werde ich mit immer zunehmender Gewalt zu der Schlußfolgerung getrieben, daß die Vorkehrungen und schön angepaßten Einrichtungen zur Erhaltung oder natürlichen Auswahl der besondern Formen, die unter den complicirten und stetig wechselnden Bedingungen des Lebens für den Organismus nüßlich sind, in unvergleichlichem Grade die Zahl und Arten der Vorkehrungen und Einrichtungen übertreffen, welche die fruchtbarste Einbildungskraft des erfindungsreichsten Menschen in unbegrenzter Zeit ersinnen und an die Hand geben könnte." J. Schönemann.
Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)
File last updated 28 November, 2022