RECORD: Darwin, C. R. 1886. Ererbte Instinkte. In Ernst Krause ed., Gesammelte kleinere Schriften von Charles Darwin. Ein Supplement zu seinen grosseren Werken. Leipzig: E. Günther, pp. 64-6.
REVISION HISTORY: Text prepared by by Christine Chua and edited by John van Wyhe 5.2022. RN1
NOTE: See record in the Freeman Bibliographical Database, enter its Identifier here. Translation of Darwin, C. R. 1873. Inherited instinct. Nature. 7 (13 February): 281.
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Ererbter Instinkt.*)
Der nachfolgende Brief erscheint mir so wertvoll, und die Angaben durch eine so hohe Autorität verbürgt, dass ich von Dr. Huggins die Erlaubnis erlangt habe, ihn zur Veröffentlichung einzusenden. Niemand, der Tiere, sei es im natürlichen oder ge zähmten Zustande, beobachtet hat, wird bezweifeln, dass viele ver schiedene Furchtbezeugungen, Geschmacksrichtungen u. S. W., welche in einer fernen Periode erworben sein mögen, nunmehr sicher vererbt werden. Dass dies bei eben gebornen Hühnchen
*) Nature Vol. VII. p . 281.
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und Truthühnern zutrifft, ist durch Herrn Spalding klar in seinem bewunderungswürdigen, kürzlich in "Macmillans Magazine"*)
veröffentlichten Artikel bewiesen worden . Es ist wahrscheinlich, dass die meisten ererbten oder instinktiven Gefühle ursprünglich durch die Gewohnheit und Erfahrung ihrer Nützlichkeit im langsamen Schritte erworben wurden, z. B. die Furcht vor dem Menschen, welche, wie ich vor vielen Jahren gezeigt habe**), sehr langsam von den Vögeln auf oceanischen Inseln angenommen wurde. Es ist indessen fast sicher, dass viele der wunderbarsten Instinkte durch die Erhaltung nützlicher Variationen zuvor existierender Instinkte, unabhängig von Gewohnheit, erworben worden sind. Andre Instinkte mögen in einem Individuum plötzlich entstanden und dann auf seine Nach kommen vererbt worden sein, und zwar unabhängig, sowohl von Auslese, als von Erfahrung der Nützlichkeit, obwohl in der Folge durch die Gewohnheit verstärkt. Die Tümmler- Taube ist ein Fall dieser Art, denn niemand würde daran gedacht haben, einer Taube zu lehren, sich kopfüber in der Luft in Sprüngen zu drehen, und ehe irgend ein Vogel eine Neigung in dieser Richtung zeigte, konnte keine Zuchtwahl stattfinden . In dem nachstehenden Falle sehen wir bei Hunden ein eigenartiges Gefühl von Antipathie, welches in einer sehr frühen Periode erworben sein muss, direkt durch drei Generationen sowohl, wie auch auf einige Seitenglieder derselben Familie vererbt. Unglücklicherweise ist es nicht bekannt, wie das Gefühl in dem Grossvater von Dr. Huggins' Hund zuerst entstand. Wirmüssen vermuten, dass es irgend einer schlechten Behandlung
zuzuschreiben ist, aber es kann auch ohne nachweisliche Ursache entstanden sein, wie bei gewissen Tieren in den zoologischen Gärten, welche, wie mir durch Herrn Bartlett versichert wird, gegen ihn und andre eine starke Gehässigkeit angenommen haben, ohne dazu provociert worden zu sein. Soweit es festgestellt werden konnte, äusserte der Urgrossvater von Dr. Huggins' Hund übrigens nicht das in dem folgenden Briefe beschriebene Antipathie Gefühl.
*) Februar 1877
**) Vergl. oben S. 16 und "Reise um die Welt." S. 457.
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Der mit diesen Worten eingeleitete Brief von Dr. Huggins lautet:
,,Ich möchte Ihnen einen merkwürdigen Fall von vererbter geistiger Eigentümlichkeit mitteilen: Ich besitze einen englischen Bullenbeisser, Namens Kepler, einen Sprössling des berühmten Türk von der Venus. Ich nahm den Hund, als er sechs Wochen alt war, aus dem Stalle, in welchem er geboren war, mit mir. Als ich ihn zum ersten Male aus führte, machte er beim ersten Fleischerladen, den er jemals gesehen, bestürzt kehrt. Ich fand bald, dass er eine heftige Antipathie gegen Fleischer und Fleischerläden hatte. Als er sechs Monate alt war, nahm ihn eine Dienerin, die einen Auftrag zu erledigen hatte, mit sich. Sie hatte in einer kurzen Entfernung vor dem Hause einen Fleischer laden zu passieren, aber der (an einer Leine geführte) Hund warf sich nieder und war weder durch Liebkosungen, noch durch Drohungen zu bewegen, an dem Laden vorüber zu gehen. Der Hund war zu schwer, um getragen zu werden, und da sich ein Auflauf um sie bildete, musste die Dienerin eine Meile weit mit ihm zurückkehren und dann ohne ihn gehen. Dies geschah vor ungefähr zwei Jahren. Die Antipathie besteht noch immer fort, aber der Hund geht jetzt näher an dem Fleischerladen vorbei, als er es früher gethan hätte. Vor ungefähr zwei Monaten entdeckte ich in einem kleinen Buche von Dean über Hunde, dass dieselbe seltsame Antipathie auch von seinem Vater, Türk, gezeigt wurde. Ich schrieb darauf an Herrn Nicholls, den frühern Besitzer Türks, um ihn zu bitten, mir einige nähere Mitteilungen über den Gegenstand zu machen. Er erwiederte: "Ich kann sagen, dass dieselbe Anti pathie bei King, dem Vater Türks, bei Türk, Punch (Türks Sohn von der Mag) und bei Paris (Türks Sohn von der Juno) vorhanden war. Paris äussert die grösste Antipathie, so dass er kaum in eine Strasse, in welcher sich ein Fleischerladen befindet, zu bringen sein dürfte und davon laufen würde, nachdem er ihn passiert. Wenn ein Fleischer karren an den Ort kam, wo die Hunde gehalten wurden, waren sie alle sogleich dabei, ihre Ketten zu zerreissen, obwohl sie jenen nicht sehen konnten. Ein Fleischermeister, der nicht seinen Arbeits Anzug trug, bat eines Abends den Besitzer von Paris, den Hund sehen zu dürfen. Er war kaum ins Haus getreten, als der (abgesperrte) Hund 80 stark erregt wurde, dass man ihn in eine Scheuer sperren musste und der Fleischer gezwungen war, davonzugehen, ohne ihn gesehen zu haben. Derselbe Hund sprang einst in Hastings auf einen Herrn los, der in das Hotel kam. Sein Eigentümer riss ihn zurück und entschuldigte sich, indem er sagte, dass er ihn früher niemals so gesehen, ausser wenn ein Fleischer in sein Haus käme. Der Herr sagte sogleich, dass dies sein Geschäft sei."
Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)
File last updated 25 September, 2022