RECORD: Preyer, W. T. 1892. Reisebriefe von Charles Darwin. Das Ausland 65, nos. 13-14 (26 March; 2 April): 193-198; 215-217.

REVISION HISTORY: Page images from the Bayerische Staatsbibliothek. Transcribed and edited by John van Wyhe 8.2023. RN1

NOTE: Introduction by John van Wyhe:

William Thierry Preyer (1841-1897) was an English-born physiologist and psychologist who emigrated to Germany in 1857 to study chemistry in Heidelberg. In 1862 he wrote a dissertation on the great auk, one of the earliest scientific works based on the Origin of species published in German. He was Professor of Physiology at Jena 1869-1893. He also corresponded with Darwin. See his handwriting in this 1871 letter to Darwin in CUL-DAR87.49-51. In 1879 Preyer compiled a list of Darwinian papers in a Gratulationsheft number of Kosmos for Darwin's 70th birthday.

This is a translation of what is often considered Darwin's first scientific publication, a pamphlet of extracts from some of his letters from the Beagle voyage to Professor John Stevens Henslow. The letters were so interesting that Henslow had them read before the Cambridge Philosophical Society and then printed for private circulation in 1835. (F1)

In 1891 Preyer published: Briefe von Darwin. Mit Erinnerungen und Erlaeuterungen. Deutsche Rundschau 17, no. 9 (June): 356-390. (F6) In his pioneering 1977 bibliography of the writings of Darwin, R. B. Freeman must have known about the present translation, but he gave the details of the above 1891 Deutsche Rundschau as a translation of Letters to Henslow when that is in fact this publication of 1892 in Das Ausland. Part 1 (pp. 193-8) is in CUL-DAR134.15. Preyer says in the article below that he translated the letters from a copy of the pamphlet that Darwin gave him in 1869. The gift of this pamphlet is not recorded in the extant correspondence. In 1882 Ernst Krause borrowed the pamphlet and published abridged passages in German translation in F4042.


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Reisebriefe von Charles Darwin.

Herausgegeben von W. Preyer (Berlin).

Vorbemerkung.

Von den Briefen, welche der Begründer der neuen Entwickelungslehre während seiner Erdumsegelung 1) in den Jahren 1832 bis 1835 an seinen Freund und Lehrer Henslow schrieb, sind erst wenige veröffentlicht worden. Sie haben aber alle ein historisches und biographisches Interesse. Denn  man erfährt daraus, wie früh schon die Keime seiner  späteren grundlegenden Arbeiten in Darwin sich  regten. Daher haben die folgenden Auszüge, die  ersten wissenschaftlichen Aeusserungen des grossen Genius, mehr Wert, als es, nach ihrer Formlosigkeit zu urteilen, scheinen könnte.

Die Briefe wurden im Dezember 1835 in wenigen Exemplaren als Manuskript gedruckt zur privaten Verteilung an die Mitglieder einer wissenschaftlichen Gesellschaft in Cambridge, und zwar infolge des Interesses, welches einige der in ihnen enthaltenen geologischen Bemerkungen erregten. Diese waren in einer Sitzung der Gesellschaft am 16. November 1835 vorgetragen worden.

So berichtet Prof. Henslow und fügt hinzu:

»Die hier ausgesprochenen Ansichten dürfen nicht anders aufgefasst werden, denn als erste Gedanken, welche dem Reisenden sich bieten bezüglich dessen, was er sieht, ehe er Zeit gefunden, seine Notizen zusammenzufassen und seine Sammlungen mit der für wissenschaftliche Genauigkeit notwendigen Aufmerksamkeit zu untersuchen«.

Ausserdem ist zu bedenken, dass Darwin, der in dem jugendlichen Alter von noch nicht 23 Jahren die grosse Forschungsreise antrat, sich vorher nicht gehörig vorbereitet hatte, da er sich schnell entschliessen musste und, wie ich an anderer Stelle (»Biologische Zeitfragen«, Berlin, H. Paetel, 1889, S. 262 und »Deutsche Rundschau« LXVII, 1891, S. 389) berichtet habe, sich kurz vorher dem Studium der Theologie zugewendet hatte. Nach der Heimkehr war freilich davon nicht mehr die Rede. In jedem Briefe spricht er die Sprache des Naturforschers, und zwar die des Entdeckers.

Hinsichtlich der vorliegenden Auszüge muss ich zur Rechtfertigung ihrer fragmentarischen Form bemerken, dass sich an 43 verschiedenen Stellen durch lange Punktreihen angedeutete Lücken in dem mir von Darwin selbst im Jahre 1869 zugesendeten Privatexemplare finden. In der grossen Sammlung der 1887 von seinem Sohne Francis Darwin herausgegebenen Briefe ist nur der erste Brief (vom 18. Mai 1832) abgfedruckt, vom vierten (vom 11. April 1833) ein Teil und vom siebenten (vom März 1834) ein sehr kleiner Teil. Diese drei Stücke sind deshalb hier fortgeblieben. Uebrigens findet man dort nur wenige von den obigen Lücken ausgefüllt, obwohl es von mehr als bloss geschichtlichem und biographischem Wert wäre, gerade diese ersten Reisebriefe vollständig zu veröffentlichen.

Die vorliegenden Bruchstücke, von denen ein Teil in einer zu wenig verbreiteten kleinen Schrift über Charles Darwin und sein Verhältnis zu Deutschland von Ernst Krause (1885) bereits verwertet worden ist — ich hatte dem Verfasser mein Exemplar geliehen — machen den Wunsch rege, das Ganze kennen zu lernen. Denn der die wissenschaftliche Thätigkeit und den Lebenslauf bestimmende mächtige Eindruck, welchen die grossartige Natur der Anden auf Darwin gemacht hat, spiegelt sich in den Fragmenten nicht so deutlich ab, wie in anderen Aeusserungen. Und vom jungen Darwin ist viel weniger als vom alten bekannt.

* * *

1) »Ausland« vom 2. April 1870.

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I.

Montevideo, 15. August 1832.

Meine Pflanzensammlung von den Abrolhos ist interessant, da sie, wie ich vermute, fast die ganze blühende Vegetation enthält. Ich machte eine enorme Sammlung von Spinnen zu Rio. Auch eine grosse Anzahl von kleinen Käfern in Pillenschachteln; aber es ist für letztere nicht die beste Zeit im Jahre.

Unter den niederen Tieren hat nichts mich so sehr interessiert, wie der Fund von zwei Arten elegant gefärbter Planarien (?), welche den trockenen Wald bewohnen! Die falsche Verwandtschaft, welche sie mit Schnecken haben, ist das Ausserordentlichste der Art, was ich jemals gesehen habe. In derselben Gattung (oder richtiger Familie) besitzen einige marine Arten eine so wunderbare Organisation, dass ich kaum meinen Augen trauen kann.

Jedermann hat von den bunten Wasserstreifen in den Aequatorialgegenden gehört. Einer, welchen ich untersuchte, ist der Gegenwart von so kleinen Oscillatorien zuzuschreiben, dass auf jedem Quadratzoll Oberfläche wenigstens 100000 vorhanden gewesen sein müssen.

Ich könnte eine viel grössere Anzahl von Exemplaren wirbelloser Tiere sammeln, wenn ich auf jedes einzelne weniger Zeit verwendete. Aber ich bin zu dem Schlüsse gekommen, dass zwei Tiere mit der Notierung ihrer ursprünglichen Farbe und Gestalt für Naturforscher mehr Wert haben werden, als sechs, bei denen nur Datum und Ort angegeben ist.

In dieser gegenwärtigen Minute liegen wir in der Mündung des Flusses vor Anker: und ein gar sonderbarer Anblick bietet sich dar. Alles steht in Flammen — der Himmel mit Blitzen — das Wasser mit leuchtenden Teilchen und — sogar die Masten sind mit einer blauen Flamme zugespitzt.

* * *

II.

Montevideo, 24. November 1832.

Wir kamen hier am 24. Oktober an, nach unserer ersten Kreuzung an der Küste Patagoniens, nördlich vom Rio Negro.

Ich hatte zu Gunsten der Frau Natur gehofft, dass kein solches Land, wie dieses letztere, existiere. In trübseliger Wirklichkeit strichen wir 240 Meilen die Küste entlang an Sandhügeln vorbei; ich wusste früher nie, wie abscheulich hässlich ein Sandhügel ist: das berühmte Land des Rio Plata ist m. E. nicht viel besser; ein enormer Brackwasserfluss von einer unbegrenzten grünen Ebene umgeben, ist genug, um jeden Naturforscher seufzen zu machen.

Doch habe ich es sehr glücklich mit fossilen Knochen getroffen. Ich habe Bruchstücke von wenigstens sechs verschiedenen Tieren. Ebenso viele davon sind Zähne, welche, trotzdem sie zerbrochen und gerollt worden sind, doch, so vertraue ich, bestimmt werden können. Ich habe die ganze Aufmerksamkeit, deren ich fähig bin, ihrer geologischen Fundstätte gewidmet, aber es ist natürlich eine zu lange Geschichte für einen Brief.

1. Die Fuss wurzelknochen und Mittelfussknochen, sehr vollkommen, einer Cavia. 2. Der Oberkiefer und Kopf irgend eines sehr grossen Tieres mit vier viereckigen hohlen Backzähnen und stark nach vorn ausgedehntem Schädel. Ich dachte anfangs, er gehöre entweder dem Megalonyx oder dem Megatherium an. Als Bestätigung fand ich in derselben Formation eine grosse Fläche der knöchernen polygonalen Platten, welche »neuere Beobachtungen« (welche sind es?) als dem Megatherium zugehörig dargethan haben. Sowie ich sie sah, dachte ich, sie müssten einem enormen Armadillo zugehören, von welcher Gattung lebende Arten hier so sehr zahlreich sind. 3. Der Unterkiefer irgend eines grossen Tieres, welches dem Backzahn zufolge, möchte ich annehmen, den Edentaten zugehört. 4. Grosse Backzähne, welche in mancher Beziehung irgend einer enormen Art eines Nagetieres zuzugehören scheinen. 5. Auch einige kleinere Zähne, welche in dieselbe Ordnung gehören u.s.w. u.s.w. Sie sind mit Seemuscheln vermengt, welche mit existierenden Arten mir identisch zu sein scheinen, aber seit sie in ihren Betten deponiert wurden, haben mehrere geologische Veränderungen in diesem Lande stattgefunden.

Es gibt hier ein armseliges Exemplar eines Vogels, welcher meinen unornithologischen Augen eine glückliche Mischung von Lerche, Taube und Schnepfe zu sein scheint. Herr MacLeay selbst hätte nie an ein solch zusammengefügtes Geschöpf gedacht.

Ich habe einige interessante Reptilien gesammelt, einen schönen Zweifüssler (Bipes), eine neue Lanzenschlange (Trigonocephalus), welche in ihren Gewohnheiten wundervoll die Klapperschlange mit der Viper verbindet, und eine Fülle von (so weit meine Kenntnis reicht) neuen Sauriern. In Betreff einer kleinen Kröte hoffe ich, dass sie neu sein möge, damit sie »diabolicus« getauft werden kann. Milton muss auf dieses selbe Geschöpf anspielen, wenn er sagt, »platt kauernd wie eine Kröte«.

Unter den pelagischen Krebstieren einige neue und merkwürdige Gattungen. Unter den Zoophyten einige interessante Tiere. In betreff einer Rindenkoralle (Flustra) würde, wenn ich nicht das Exemplar hätte, um mich zu decken, niemand an seine höchst anomale Struktur glauben. Aber was Neuheit angeht, so ist alles dieses nichts im Vergleich zu einer Familie von pelagischen Tieren, welche auf den ersten Blick wie Medusen erscheinen, in Wirklichkeit aber hoch organisiert sind. Ich habe sie wiederholt untersucht, und nach ihrer Struktur würde es sicherlich unmöglich sein, sie in irgend einer existierenden Ordnung unterzubringen. Vielleicht ist Salpa das nächstverwandte Tier, obwohl die Durchsichtigkeit des Körpers fast das einzige Merkmal ist, welches sie gemeinsam haben.

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Wir sind eine Woche in Buenos-Ayres gewesen. Es ist eine schöne, grosse Stadt, aber welch ein Land! Alles ist Schmutz; man kann nirgends hingehen, man kann nichts thun wegen Schmutz. In der Stadt erhielt ich viel Information in betreff' der Ufer des Uruguay. Ich hörte von Kalksteinen mit Muscheln und Schichten von Muscheln nach jeder Richtung.

Ich kaufte Bruchstücke von einigen enormen Knochen, welche, wie man mich versicherte, den einstigen Riesen zugehörten!!

* * *

III.

Am 11. April 1833.

(An Bord auf der Fahrt von den Falklands-Inseln zum Rio Negro.)

Der südliche Ozean ist beinahe so unfruchtbar wie das Festland, welches er bespült. Krebstiere haben mir am meisten Arbeit gemacht.

Ich fand eine Zoëa (Krabbenlarve) von höchst merkwürdiger Gestalt, da ihr Körper nur 1/6 der Länge der zwei Scheren hatte. Ich bin überzeugt, wegen der Struktur und aus anderen Gründen, dass es ein junger Erichthus (Glaskrebs) ist. Ich muss noch eines Teiles des Baues eines Dekapoden erwähnen, er ist gar zu anomal: das letzte Beinpaar ist klein und dorsal, aber anstatt in einer Klaue zu endigen, wie alle anderen, hat es drei krumme, borstenförmige Anhängsel; diese sind fein gezähnelt und mit Saugnäpfen besetzt, ähnlich denen der Kephalopoden. Da das Tier pelagisch ist, so setzt es diese schöne Anordnung in den Stand, sich an leichten schwimmenden Gegenständen zu halten. Ich habe etwas in Betreff der Fortpflanzung jener zweifelhaften Gruppe der Corallinen (Mooskorallen) herausgefunden. —

Nachdem wir Feuerland verlassen hatten, segelten wir nach den Falklands-Inseln. Ich hatte hier das grosse Glück, unter den am primitivsten aussehenden Felsen eine Schicht von Glimmer führendem Sandstein zu finden. Sie ist überreich an Terebratula und ihren Untergattungen und Entrochiten (Rädersteinen von fossilen Liliensternen). Da dieser Ort so sehr weit entfernt von Europa ist, denke ich, wird die Vergleichung dieser Eindrücke mit denen der ältesten, Versteinerungen führenden Schichten Europas von hervorragendem Interesse sein. Natürlich sind es nur Modelle und Abgüsse; aber viele von ihnen sind sehr vollkommen.

* * *

IV.

Rio de la Plata, 18. Juli 1833.

Der grösste Teil des Winters ist in diesem Flusse zu Meldonado verbracht worden.

Wir haben fast jede Vogelart aus der Umgebung (Meldonado) erhalten, ungefähr 80 an Zahl und beinahe 20 Vierfüssler. In einigen Tagen gehen wir an den Rio Negro, um einige Uferstellen aufzunehmen.

Die geologische Beschaffenheit muss sehr interessant sein. Es ist nahe der Vereinigung der Megatherium- und der patagonischen Felsen. Nach dem, was ich von letzteren in einer halben Stunde in der S. Josephs-Bucht sah, würden sie einer ausgedehnten Untersuchung wohl wert sein. Ueber der grossen Austernschicht befindet sich eine von Kies, welche Unebenheiten in ihrem Inneren ausfüllt; und über dieser ragt eine hoch aus dem Wasser hervor, welche aus so modernen Schaltieren besteht, dass sie ihre Farbe behalten haben und einen üblen Geruch verbreiten, wenn sie verbrannt werden. Patagonien muss sich offenbar erst spät aus dem Wasser erhoben haben.

* * *

V.

Montevideo, 12. November 1833.

Ich verliess den »Beagle« am Rio Negro und ging zu Lande nach Buenos-Ayres. Es geht jetzt ein blutiger Vernichtungskrieg gegen die Indianer vor sich, wodurch ich in den Stand gesetzt wurde, diesen Weg einzuschlagen. Aber im besten Falle ist er hinreichend gefährlich und wird bis jetzt von Reisenden sehr selten benutzt. Es ist die wildeste, ödeste Ebene, welche man sich vorstellen kann, ohne sesshafte Einwohner oder Viehherden. Es gibt militärische »Postas« in grossen Abständen, die mir das Reisen ermöglichten. Wir lebten viele Tage lang von Hirschen und Straussen und mussten auf offenem Felde schlafen.

Ich hatte die Genugthuung, die Tierra de la Ventana zu besteigen, eine Bergkette, zwischen 3- und 4000 Fuss hoch, deren blosse Existenz kaum jenseits des Rio Plata bekannt ist. Nach einer Woche Aufenthalt in Buenos-Ayres ging ich nach Santa Fé. Der Weg war in geologischer Hinsicht merkwürdig. Ich fand grosse Gruppen von immensen Knochen, aber sie waren so sehr weich, dass es unmöglich war, sie fortzunehmen. Ich denke, nach einem Bruchstück eines der Zähne zu urteilen, gehörten sie zum Mastodon. In dem Rio Carcarana erhielt ich einen Zahn, welcher sogar meine Vermutungen in Verlegenheit setzt. Er sieht aus wie ein enormer Nagezahn. In Santa Fé war ich nicht wohl, schiffte mich daher ein und hatte eine schöne Segelfahrt von 300 Meilen jenen fürstlichen Fluss, den Paraná, hinab. Als ich nach Buenos-Ayres zurückkehrte, fand ich das Land durch Revolutionen in grösster Unruhe, was mir viel Ungemach verursachte. Schliesslich konnte ich hinauskommen und gewann den »Beagle« wieder.

* * *

VI.

Ost-Falkland-Insel, März 1834.

Ich bin durch Ihren Ausdruck »alle die Knochen reinigen« in Besorgnis versetzt worden, da ich fürchte dass die gedruckten Ziffern verloren gehen. Der Grund, weshalb mir viel daran liegt, es möge nicht geschehen, ist der, dass ein Teil in einer Kiesschicht,

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mit recenten Muscheln, andere aber in einem sehr verschiedenen Lager gefunden wurden. Nun fanden sich unter diesen letzteren Knochen eines Aguti, einer, wie ich glaube, Amerika eigentümlichen Tiergattung, und es wäre wichtig, zu beweisen, dass irgend eine (Art) derselben Gattung mit dem Megatherium zusammen lebte; solche und viele andere Fragen erfordern durchaus, dass die Etiketten sorgfältig erhalten bleiben.

Ich sammelte alle Pflanzen, welche an der Küste von Patagonien in Blüte standen, zu Port Desire und S. Julian, auch in den östlicheren Teilen von Tierra del Fuego, wo das Klima und der landwirtschaftliche Charakter von Feuerland und Patagonien vereinigt sind.

Der Boden Patagoniens ist sehr trocken, kieselig und leicht. In der östlichen Tierra ist er kieselig, torfig und feucht. Seit der Abfahrt von Rio Plata habe ich einige Gelegenheiten gehabt, die grosse, südliche, patagonische Formation zu untersuchen. Ich habe eine ganze Menge Muscheln. Nach dem wenigen, was ich von dem Gegenstände weiss, zu urteilen, muss sie tertiär sein, denn einige von den Muscheln (und Corallinen) leben jetzt im Meere, andere, glaube ich, nicht. Diese Schichtung, welche hauptsächlich durch eine grosse Auster charakterisiert wird, ist bedeckt mit einem sehr merkwürdigen Lager von Porphyrgeschieben, welche ich mehr als 700 Meilen weit verfolgt habe. Aber die merkwürdigste Thatsache ist die, dass die ganze Ostküste des südlichen Teils von Südamerika aus dem Meere sich erhoben hat, innerhalb eines Zeitraumes, während dessen die Miesmuscheln nicht ihre blaue Farbe verloren haben.

Zu St. Julian fand ich einige sehr vollständige Knochen eines grossen Tieres, ich vermute, eines Mastodon. Die Knochen einer hinteren Extremität sind sehr vollständig und fest. Dies ist interessant, da der Breitegrad zwischen 49° und 50° liegt und die Fundstätte von den grossen Pampas weit entfernt liegt, wo die Knochen des schmalzahnigen Mastodon so oft gefunden werden. Beiläufig hege ich keinen Zweifel, dass dieses Mastodon und das Megatherium auf den alten Ebenen Gefährten waren. Ueberbleibsel des Megatherium habe ich in einem Abstand von fast 600 Meilen von einander nordwärts und südwärts gefunden. In Tierra del Fuego interessierte es mich, eine Ammonitenart in dem Schiefer nahe bei Port Famine zu entdecken (die, glaube ich, auch Kapitän King fand); und an der Ostküste sind einige merkwürdige alluviale Ebenen, durch welche das Vorkommen gewisser Vierfüssler auf den Inseln durchaus verständlich gemacht werden kann. Es gibt einen Sandstein dort mit Eindrücken von Blättern, wie (von denen) der gemeinen Buche, auch jüngere Muscheln u.s.w., und an der Oberfläche des Tafellandes finden sich wie gewöhnlich Miesmuscheln mit ihrer blauen Farbe u.s.w.

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VII.

Valparaiso, 24. Juli 1834.

Nach der Abfahrt von den Falklands-Inseln begaben wir uns an den Rio Santa Cruz, folgten dem Flusse bis innerhalb 20 Meilen von den Kordilleren: unglücklicherweise nötigte Mangel an Lebensmitteln uns umzukehren. Dieser Ausflug war für mich höchst wichtig, da er einen Quer-Durchschnitt der grossen patagonischen Formation bot. Ich vermute (eine genaue Untersuchung der Fossilien kann möglicherweise die Frage entscheiden), dass die Hauptschicht irgendwo um die Miocänperiode herum liegt (um Herrn Lyells Ausdruck zu gebrauchen), nach dem, was ich von den gegenwärtigen Muscheln Patagoniens gesehen habe. Die Schicht enthält enorme Massen von Lava. Diese ist von einigem Interesse, da sie eine ungefähre Annäherung an das Alter des vulkanischen Teiles der grossen Andeskette gibt. Lange vorher existierte die letztere als eine Reihe von Schiefer- und Porphyrhügeln. Ich habe eine ziemliche Menge von Anzeichen gesammelt in betreff' der verschiedenen Zeiten und Formen der Erhebungen dieser Ebenen. Ich denke, dieselben werden Herrn Lyell nicht unwichtig sein. Ich hatte die Lesung seines dritten Bandes bis nach meiner Rückkehr aufgeschoben. Sie werden sich leicht vorstellen, wieviel Vergnügen sie mir gewährte. Einige von seinen Holzschnitten kamen so genau zur Verwirklichung, dass ich nur auf dieselben zu verweisen habe, anstatt ähnliche neue wiederum zu zeichnen.

Das Thal von Santa Cruz scheint mir ein sehr merkwürdiges zu sein; zuerst verwirrte es mich vollständig. Ich glaube gute Gründe beibringen zu können für die Annahme, dass es einst eine nördliche Meerenge, wie die von Magelhaens, gewesen ist.

In Tierra del Fuego untersuchte ich einige Corallinen: ich habe eine Thatsache beobachtet, welche mich ganz stutzig machte. Es ist die, dass in der Gattung Sertularia (Becherpolypen, in ihrem eingeschränktesten Sinne wie bei Lamouroux genommen) und bei zwei Arten, welche ohne komparative Ausdrücke ich als verschieden zu beschreiben sehr schwierig finden würde, die Polypen gänzlich und wesentlich in allen ihren wichtigsten und deutlichsten Teilen der Struktur von einander ab weichen. Ich habe bereits genug gesehen, um überzeugt zu sein, dass die gegenwärtigen Familien der Corallinen, wie sie von Lamarck, Cuvier u.s.w. aufgestellt wurden, höchst künstlich sind. Es scheint mir, dass sie sich in demselben Zustande befinden, in dem die Muscheln waren, als Linné sie dem Cuvier zur Neuordnung hinterliess.

Es ist höchst seltsam, ich kann nirgends in meinen Büchern eine einzige Beschreibung des Polypen irgend einer Koralle finden (ausgenommen

Lobularia [Alcyonium] von Savigny). Ich fand eine merkwürdige, kleine, steinige Cellaria (eine neue Gattung); jede Zelle ist mit einer langen, gezähnelten Borste versehen, welche verschiedener und

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schneller Bewegungen fähig ist. Diese Bewegung ist oft zuckend und kann durch Reizung hervorgerufen werden. Eine solche Thatsache steht, soviel ich sehen kann, ganz isoliert in der Geschichte der Zoophyten, abgesehen von der Flustra (Rindenkoralle) mit dem geierkopfförmigen Organ. Sie weist auf eine viel engere Verwandtschaft unter den Polypen hin, als Lamarck zuzugeben gewillt ist. Ich vergesse, ob ich erwähnte, etwas von der Fortpflanzungsweise in jener höchst rätselhaften Familie der Corallinen gesehen zu haben: ich bin ziemlich davon überzeugt, dass, wenn es nicht Pflanzen sind, es keine Zoophyten sind: der »Spross« einer Halimeda (Fächelkoralle) enthält verschiedene vereinigte Glieder, welche bereit sind, ihre Hülle zu sprengen und an irgend eine Grundlage sich zu heften. Ich glaube, dass bei den Zoophyten allgemein der Spross einen einzelnen Polypen liefert, welcher nachher oder zu gleicher Zeit mit seiner Zelle oder dem einzelnen Gliede wächst.

Der »Beagle« verliess die Magelhaensstrasse mitten im Winter und fand den Weg hinaus durch einen wilden, unbesuchten Kanal; wohl konnte Sir N. J. Nasborough die westliche Küste »South Desolation« nennen, »weil es ein Land ist, so öde anzuschauen«. Wir wurden nach Chiloe durch ein sehr schlechtes Wetter getrieben.

Ein Engländer gab mir drei Exemplare jenes sehr schönen lucanoiden Insekts, welches in den philosophischen Verhandlungen von Cambridge beschrieben ist, zwei Männchen und ein Weibchen.

Ich finde Chiloe aus Lava und recenten Ablagerungen zusammengesetzt. Die Laven sind merkwürdig, da sie überreich an Pechstein oder vielmehr daraus zusammengesetzt sind.

Wir sind hier vorgestern angekommen; die Aussicht auf die fernen Berge ist höchst erhaben und das Klima herrlich. Nach unserem langen Kreuzen in dem feuchten, trübseligen Klima des Südens eine klare, trockene Luft zu atmen, ehrlichen, warmen Sonnenschein zu fühlen und guten, frischen Rinderbraten zu essen, erscheint als das summum bonum des menschlichen Lebens. Das Aussehen der Gesteine gefällt mir nicht halb so gut, wie das Fleisch, sie enthalten zu viel von jenen etwas faden Ingredienzien: Glimmer, Quarz und Feldspat.

Bald nach unserer Ankunft hier unternahm ich einen geologischen Ausflug und machte einen sehr angenehmen Gang am Fusse der Anden. Das ganze Land scheint aus Breccien zusammengesetzt zu sein (und, wie ich vermute, Schiefern), welche durchweg modificiert und oft vollständig verändert worden sind durch die Wirkung des Feuers; die Varietäten des so erzeugten Porphyrs sind unübersehbar, aber noch nirgends bin ich Gesteinen begegnet, welche im Fluss gewesen wären. Gänge von Grünstein sind sehr zahlreich. Gegenwärtig ist die vulkanische Thätigkeit vollständig auf die rein centralen Teile der Kordilleren eingeschränkt (welche jetzt wegen des Schnees nicht erreicht werden können). Südlich vom Rio Maypo untersuchte ich die tertiären Ebenen, welche teilweise schon Herr Gay beschrieben hat. Die fossilen Muscheln scheinen mir viel mehr von den recenten sich zu unterscheiden, als in der grossen patagonischen Formation. Es wäre merkwürdig, wenn man nachweisen könnte, dass eine eocäne und miocäne Formation (recente sind überaus häufig) ebenso in Südamerika existiert, wie in Europa. Es hat mich sehr interessiert, eine Ueberfülle von recenten Muscheln in einer Höhe von 1300 Fuss zu finden; das Land ist in vielen Gegenden von Muscheln übersäet, aber diese stammen alle von der Küste, so dass ich vermute, die 1300 Fuss-Erhebung muss einer Reihe von kleinen Erhebungen wie der vom Jahre 1822 zugeschrieben werden.

Mit diesem sicheren Beweise für die recente Anwesenheit des Meeres über sämtlichen tiefer liegenden Teilen Chiles gewinnt der Umriss jeder Landschaft und die Form jedes Thaies ein hohes Interesse. Hat die Wirkung des fliessenden Wassers oder das Meer diese Schlucht gebildet? war eine Frage, welche oft in meinen Gedanken auftauchte und gewöhnlich dadurch beantwortet wurde, dass ich ein Lager von recenten Muscheln im Grunde fand. Ich habe nicht hinreichende Beweisgründe, aber ich glaube nicht, dass mehr als ein kleiner Bruchteil der Höhen der Anden innerhalb der Tertiärperiode gebildet worden ist.

* * *

VIII.

Valparaiso, März 1835.

Wir liegen jetzt in einer Windstille vor Valparaiso, und ich will die Gelegenheit ergreifen, einige Zeilen an Sie zu schreiben. Die Beendigung unserer Reise ist endlich beschlossen worden. Wir verlassen die Küste Amerikas zu Beginn des September und hoffen, England in demselben Monate des Jahres 1836 zu erreichen.

Sie werden einen Bericht von dem entsetzlichen Erdbeben vom 20. Februar erhalten haben. Ich wünschte, dass einige von den Geologen, welche die Erdbeben unserer Zeit für unbedeutend erachten, sehen könnten, in welcher Weise die festen Felsen zertrümmert worden sind. In der Stadt ist kein Haus bewohnbar. Die Ruinen erinnern mich an die Zeichnungen der verödeten Städte des Ostens. Wir waren zur Zeit in Valdivia und fühlten den Stoss sehr heftig. Man hatte das Gefühl wie beim Schlittschuhlaufen auf sehr dünner Eisdecke, d.h. Wellenbewegungen waren deutlich wahrzunehmen. Die ganze Landschaft von Concepcion und Talcuana ist eines der interessantesten Schauspiele, welche wir, seit wir England verliessen, gehabt haben.

Seit der Abfahrt von Valparaiso, während des Kreuzens, habe ich wenig gethan, ausser auf geologischem Gebiete. In den neuen, tertiären Schichten habe ich vier Verwerfungsstreifen untersucht, welche mich im kleinen Maasstabe an die berühmte Stelle

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der Insel Wight erinnerten. An einem Fleck fanden sich schöne Beispiele für drei verschiedene Erhebungsarten. In zwei Fällen denke ich zeigen zu können, dass der Abfall dem Vorhandensein eines Systems von parallelen Gängen zuzuschreiben ist, welche den unten liegenden Glimmerschiefer durchsetzen. Die ganze Küste von Chiloe bis zum äussersten Süden der Halbinsel Tres Montes ist aus dem letzteren Gestein zusammengesetzt. Es wird von zahlreichen Gängen durchbrochen, deren mineralogische Beschaffenheit sich als sehr merkwürdig herausstellen wird. Ich untersuchte eine grosse, quer durchgehende Granitkette, welche offenbar durch den überliegenden Schiefer emporgedrungen ist. Auf der Halbinsel Tres Montes war ein alter vulkanischer Herd, welcher einem anderen im nördlichen Teile von Chiloe entspricht. Es freute mich sehr, auf Chiloe eine mächtige Schicht von recenten Austernschalen u.s.w. zu finden als Bedeckung der Tertiärebene, auf welcher grosse Waldbäume wuchsen. Ich kann jetzt beweisen, dass beide Abhänge der Anden in dieser recenten Periode zu einer beträchtlichen Höhe emporgestiegen sind. Hier lagen die Muscheln 350 Fuss über dem Meer.

Auf zoologischem Gebiete habe ich nur sehr wenig gethan, abgesehen von einer grossen Sammlung kleiner Zweiflügler und Hautflügler vön Chiloe. Ich fing an einem Tage Pselaphus (Keulenkäfer), Anaspis (Stachelkäfer), Latridius (Plattkäfer), Leiodes (Knäuelkäfer), Cercyon (Wasserkäfer) und Elmis (Teichkäfer) und zwei schöne, echte Laufkäfer; ich hätte mir fast vorstellen können, dass ich in England sammelte. Eine neue und hübsche Gattung einer Nacktkiemer-Molluske, welche nicht auf einer glatten Fläche kriechen kann und eine Gattung aus der Familie der Balaniden (Seepocken), welche kein eigentliches Gehäuse hat, sondern in kleinen Höhlungen in den Schalen einer Concholepas (Muschelpatelle) lebt, sind fast die beiden einzigen Neuheiten.

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IX.

Valparaiso, 18. April 1835.

Ich bin eben von Mendoza zurückgekommen, nachdem ich auf zwei Pässen die Kordilleren überschritten habe. Dieser Abstecher hat viel zu meiner Kenntnis der geologischen Beschaffenheit des Landes beigetragen. Ich will eine sehr kurze Skizze der Struktur dieser riesigen Berge geben. In dem Portillopass (dem südlicheren) haben Reisende die Kordilleren als aus einer doppelten Kette von beinahe gleicher Höhe bestehend beschrieben, welche durch einen erheblichen Zwischenraum von einander getrennt wären. Dies ist auch der Fall: und dasselbe Verhalten erstreckt sich nordwärts bis Uspellata. Die geringe Erhebung der östlichen Reihe, hier nicht mehr als 6000 oder 7000 Fuss hoch, hat veranlasst, dass sie fast übersehen wurde.

Um mit der westlichen und Hauptkette zu beginnen, wo die Durchschnitte am besten gesehen werden, so finden wir da eine enorme Masse eines Porphyrkonglotnerates, das auf Granit ruht. Dieses letztere Gestein scheint den Kern der ganzen Masse auszumachen und wird in den tiefen Seitenthälern gesehen, wo es in die überliegenden Schichten hineindringt, sie hebt und in ganz ausserordentlicher Weise um und um wälzt. Auf den nackten Abfällen der Berge sieht man die verwickelten Gänge und Keile verschieden gefärbter Gesteine in jeder möglichen Weise und Gestalt dieselben Formationen durchbrechen, welche durch ihr Durcheinandergehen eine Reihe von gewaltsamen Veränderungen beweisen. Die Schichtung in allen Bergen ist prächtig deutlich und kann infolge der Verschiedenheit ihrer Färbung in grossen Entfernungen erkannt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend ein Teil der Erde ein grossartigeres Bild des Durchbrechens der Erdkruste bieten kann, als diese centralen Spitzen der Anden. Die Erhebung hat stattgefunden auf einer grossen Anzahl von fast nordsüdwärts ge-

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richteten Strecken, und hat in den meisten Fällen ebenso viele antiklinische und synklinische Schluchten gebildet. Die Schichten der höchsten Spitzen sind fast allgemein in einem Winkel von 70—80° geneigt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich einige von diesen Aussichten genoss. Es ist der Mühe wert, von England herzukommen, um einmal solch ein intensives Entzücken zu fühlen. In einer Höhe von 10—12000 Fuss herrscht eine Klarheit der Luft und eine Täuschung in Betreff der Entfernungen und eine Art Stille, welche das Gefühl erweckt, in einer anderen Welt zu sein, und wenn hiermit das so deutlich gezeichnete Gemälde der grossen Gewaltepochen sich vereinigt, so ruft es im Gemüte eine höchst eigentümliche Vereinigung von Ideen wach.

Die Schicht, welche ich die des Porphyritkonglomerates nenne, ist die wichtigste und am besten ausgebildete in Chile. Nach einer grossen Anzahl von Durchschnitten finde ich, dass sie ein echtes, grobes Konglomerat ist oder aus Breccien besteht, welche Schritt für Schritt in langsamer Abstufung in einen schönen Thonporphyr übergehen. Das Geschiebe und der Cement wird porphyritisch, bis zuletzt alles in einem kompakten Gestein vermengt ist. Die Porphyre sind überaus häufig in dieser Kette, und ich bin gewiss, dass wenigstens vier Fünftel davon so aus sedimentären in situ erzeugt wurde. Es gibt auch Porphyre, welche von unten in die Schichten hineingeworfen wurden und andere, welche im Flusse waren, sind hinausgetreten, und ich könnte Exemplare dieses Gesteines zeigen, welche in dieser dreifachen Weise entstanden und nicht von einander unterschieden werden können. Es ist ein grosser Irrtum, die Kordilleren (hier) als nur aus Gesteinen bestehend anzusehen, welche im Flusse gewesen seien. Ich sah in dieser Kette niemals ein Stück, von dem ich glauben könnte, dass es so entstanden wäre, obgleich die Strasse in nicht grosser Entfernung von thätigen Vulkanen vorüberführt. Die Porphyre, Konglomerate, der Sandstein, der Quarzsandstein und Kalkstein wechseln mit einander ab und gehen oftmals in einander über (dem Thonschiefer auf liegend, wenn nicht vom Granit durchbrochen). In den oberen Lagen beginnt der Sandstein mit Gips abzuwechseln, bis zuletzt wir diese Substanz in einer ungeheuren Mächtigkeit haben. Ich vermute wirklich, dass die Schicht an einigen Stellen (sie variiert sehr) eine Mächtigkeit von beinahe 2000 Fuss hat. Sie kommt oft zusammen vor mit einem grünen (Epidot?), kieseligen Sandstein und schneeweissem Marmor und gleicht der in den Alpen, da sie grosse Konkretionen eines krystallinischen Marmors von schwarzgrauer Farbe enthält.

Die oberen Schichten, welche einige der höheren Spitzen bilden, bestehen aus Lagern von schnee-weissem Gips und rotem, kompaktem Sandstein von der Mächtigkeit eines Papiers bis zu der von einigen Fuss in endloser Runde alternierend. Das Gestein hat ein höchst merkwürdig gestaltetes Aussehen an dem Pass von Puquenas. In dieser Formation, wo ein schwarzes Gestein (wie Thonschiefer, ohne viel Blätter) und blasser Kalkstein den roten Sandstein ersetzt haben, fand ich eine Fülle von Muscheleindrücken. Die Erhebung muss zwischen 12- und 13000 Fuss betragen. Eine Muschel, welche, wie ich glaube, eine Gryphaea (Greifmuschel) ist, ist die häufigste. Es gibt auch eine Auster-, eine Turritella-, eine Ammonitenart, eine kleine Bivalve, eine Terebratula (?). Vielleicht wird ein tüchtiger Konchyliologe im stände sein, eine Andeutung zu geben, mit welcher grossen Abteilung des europäischen Festlandes diese organischen Ueberbleibsel die grösste Aehnlichkeit haben. Sie sind überaus unvollständig und spärlich; die Gryphiten sind am vollständigsten. Es war spät in der Jahreszeit und die Situation wegen der Schneestürme besonders gefährlich. Ich wagte nicht, mich länger aufzuhalten, sonst hätte eine gute Ernte gemacht werden können. So viel über die westliche Seite.

Durch den Portillopass nach Osten vordringend, traf ich auf eine ungeheure Masse eines Konglomerates die nach Westen mit 45° abfällt und auf Glimmersandstein u.s.w. ruht, emporgehoben, in Quarzgestein verwandelt, durchbrochen von Gängen einer sehr grossen Masse Protogin (grosse Quarzkrystalle, roter Feldspat und ein wenig Chlorit). Dieses Konglomerat, welches auf dem Protogin ruht und von ihm in einem Winkel von 45º abgeht, besteht aus den eigentümlichen Gesteinen der erst beschriebenen Kette, Geschieben des schwarzen Gesteines mit Muscheln, grünem Sandstein u.s.w. Es ist hier offenbar, dass die Erhebung (und der Absatz wenigstens eines Teiles) der grossartigen östlichen Kette durchaus später als die der westlichen stattfand. Nach Norden in dem Uspellatapass haben wir auch eine Thatsache derselben Art. Beachten Sie dieses, es wird beitragen, Ihnen folgendes glaublich zu machen. Ich sagte, dass die Uspellata-kette geologisch, obwohl nur 6000 oder 7000 Fuss hoch, eine Fortsetzung der grossen Ostkette bildet.

Ihr Kern ist von Granit und besteht aus Lagern mannigfaltiger krystallinischer Gesteine, welche, wie ich nicht bezweifeln kann, mit Sandstein, Konglomeraten und weissen aluminösen Schichten (wie zersetzter Feldspat) und mit vielen anderen merkwürdigen Varietäten sedimentärer Ablagerungen abwechselnde, unterseeische Laven sind. Diese Laven und dieser Sandstein alternieren sehr häufig und sind eines dem anderen ganz konform. Während zweier Tage sorgfältiger Untersuchung sagte ich mir wenigstens fünfzigmal, wie sehr ähnlich oder vielmehr härter diese Schichten als jene der oberen tertiären von Patagonien, Chiloe und Concepcion sind, ohne dass die Möglichkeit ihrer Identität mir jemals beifiel. Schliesslich konnte ich dieser Schlussfolgerung nicht mehr widerstehen. Ich konnte nicht Muscheln zu finden erwarten, denn sie kommen niemals in dieser Formation vor, aber Lignit oder Kohlenschiefer

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musste gefunden werden. Ich war früher ungemein überrascht worden durch das Antreffen von dünnen Lagen (einige Zoll bis einige Fuss mächtig) einer Pechstein-Breccie in dem Sandstein. Jetzt vermute ich stark, dass der unterliegende Granit solche Lagen in diesen Pechstein verwandelt hat. Das verkieselte Holz (besonders charakteristisch für die Formation) fehlte noch, aber die Ueberzeugung, dass ich auf der Tertiärschicht mich befand, war so stark in mir zu der Zeit, dass am dritten Tage mitten in der Lava und in Haufen von Granit ich eine anscheinend hoffnungslose Jagd darauf machte. Was, glauben Sie wohl, fand ich? In einer Böschung von kompaktem, grünlichen Sandstein fand ich ein kleines Gehölz von versteinerten Bäumen in senkrechter Stellung, oder es waren vielmehr die Schichten ungefähr um 20° oder 30° nach der einen Richtung geneigt und die Bäume um 70° nach der entgegengesetzten, d. h. sie waren vor dem Stoss wirklich vertikal. Der Sandstein besteht aus vielen horizontalen Lagern und ist durch die koncentrischen Striche der Rinde (ich besitze ein Exemplar) gezeichnet. Elf sind vollständig verkieselt und gleichen dem Dikotyledonenholz, welches ich zu Chiloe und Concepcion fand. Die anderen, 33 oder 34 an der Zahl, kann ich nur nach der Analogie der Form und Stellung als Bäume erkennen. Sie bestehen aus schneeweissen Säulen (wie Lots Frau) von grob krystallinischem, kohlensaurem Kalk. Der längste Schaft ist 7 Fuss lang. Sie stehen alle dicht bei einander innerhalb 100 Ellen und ungefähr auf derselben Fläche. Nirgendwo anders konnte ich welche finden. Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Schichten des feinen Sandsteins ruhig zwischen eine Gruppe von Bäumen abgesetzt worden sind, welche durch ihre Wurzeln fest standen. Der Sandstein ruht auf Lava, ist von einer grossen Schicht Augitlava, anscheinend ungefähr 1000 Fuss mächtig, bedeckt, und über dieser finden sich wenigstens fünf grossartige Abwechselungen solcher Gesteine mit wässerigen Sedimentärablagerungen, welche an Mächtigkeit mehrere tausend Fuss erreichen. Ich fürchte mich förmlich vor der einzigen Schlussfolgerung, welche ich aus dieser Thatsache ziehen kann, dass nämlich eine Depression des Landes bis zu jenem Betrage stattgefunden haben muss. Aber abgesehen von dieser Ueberlegung war sie eine höchst befriedigende Stütze meiner Vorstellung von dem tertiären Alter dieser östlichen Kette. (Ich verstehe unter tertiär, dass die Muscheln der Periode nahe verwandt oder zum Teil identisch mit denen sind, welche dort in den tieferen Schichten Patagoniens liegen.) Ein grosser Teil des Beweises muss auf meinem »ipse dixit« einer mineralogischen Aehnlichkeit mit den Schichten, deren Alter bekannt ist, ruhen bleiben. Nach dieser Ansicht ist der Granit, welcher Gipfel von einer Höhe von vermutlich 14000 Fuss bildet, in der Tertiärzeit flüssig gewesen. Schichten jener Periode sind durch Hitze verändert worden und werden von Gängen aus der Masse durchquert: sie sind jetzt in steilen Winkeln geneigt und bilden regelmässige oder komplizierte antiklinische Striche. Um diese Klimax zu vollenden, werden diese selben sedimentären Schichten und Laven von sehr zahlreichen, echten Metalladern von Eisen, Kupfer, Arsenik, Silber und Gold durchsetzt, und diese können bis zu dem unterliegenden Granit verfolgt werden. Eine Goldmine ist dicht bei der Gruppe verkieselter Bäume ausgebeutet worden. Wenn Sie meine Kabinetstücke, Profile und Berichte sehen, werden Sie sagen, dass eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit für die obigen Thatsachen spricht. Sie erscheinen sehr wichtig; denn der Bau und die Grösse dieser Kette kann den Vergleich mit irgend einer auf der Erde aushalten: und dass all dieses in einer so recenten Periode entstanden sein soll, ist in der That bemerkenswert. Was mich selbst betrifft, so bin ich ganz davon überzeugt. Ich kann jedoch mit der grössten Gewissenhaftigkeit sagen, dass keine vorher gefasste Vermutung mein Urteil bestimmt hat. Wie ich sie beschrieb, so habe ich die Thatsachen in Wirklichkeit beobachtet.

Auf einigen der grossen Stellen ewigen Schnees fand ich den berühmten roten Schnee der arktischen Region. Ich sende mit diesem Briefe meine Beobachtungen darüber und ein Stück Papier, auf welchem ich einige Proben zu trocknen versuchte.

Ich sende auch eine kleine Flasche mit zwei Eidechsen. Eine von ihnen ist vivipar, wie Sie aus dem Begleitschreiben ersehen werden. Herr Gay, ein französischer Naturforscher, hat bereits in einer der Zeitungen dieses Landes ähnliche Mitteilungen veröffentlicht und wahrscheinlich einen Bericht darüber nach Paris expediert.

In der Schachtel finden sich zwei Beutel mit Samen; einer ist etikettiert: »Thäler der Kordilleren, 10000—15000 Fuss hoch«. Der Boden und das Klima ist überaus trocken; der Boden leicht und stark; extreme Temperaturen. Der andere: »Hauptsächlich von der trockenen, sandigen Traversia von Mendoza, 3000 Fuss mehr oder weniger«. Wenn einige von den Sträuchern wachsen, aber nicht gedeihen sollten, versuchen Sie ein leichtes Besprengen mit Salz und Salpeter. Die Ebene ist salzführend.

In dem Mendoza-Beutel finden sich Samen oder Beeren von einer Pflanze, die eine kleine Kartoffel mit einer weisslichen Blume zu sein scheint. Sie wächst viele Meilen von einer Gegend entfernt, welche wegen der Abwesenheit des Wassers niemals bewohnbar gewesen sein kann. Unter den trockenen Pflanzen von Chonos werden Sie ein schönes Exemplar der wilden Kartoffel finden, welche in einem ganz entgegengesetzten Klima wächst und unzweifelhaft eine echte wilde Kartoffel ist. Es muss eine andere Art sein, als die von den niederen Kordilleren.


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Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)

File last updated 8 September, 2023