RECORD: Darwin, Francis ed. 1911. Die Fundamente zur Entstehung der Arten (Zwei Essays von 1842 und 1844). Translated by Maria Semon. Leipzig und Berlin: B. C. Teubner.

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Nach einer Photographie von Maull & Fox, aufgenommen um das Jahr 1854.

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DIE FUNDAMENTE

ZUR

ENTSTEHUNG DER ARTEN

ZWEI IN DEN JAHREN 1842 UND 1844 VERFASSTE ESSAYS

VON

CHARLES DARWIN

HERAUSGEGEBEN VON SEINEM SOHN

FRANCIS DARWIN

AUTORISIERTE DEUTSCHE ÜBERSETZUNG VON

MARIA SEMON

MIT EINEM PORTRÄT CHARLES DARWINS /                  \

UND EINER KAKSIM1LF.TAFEL               / \

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64&6 7 VZ -JF*         Werner Messe

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Käthen

(                                                     4370

LEIPZIG UND BERLIN                 Telefon 3223

DRUCK UND VERLAG VON K.G.TEUBNER

1911

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Astronomen mögen früher gesagt haben» Gott habe an- geordnet, wie sich jeder Planet seiner besonderen Bestimmung gemäß zu bewegen habe. Ebenso könnte man sagen, Gott habe die Erschaffung jedes Tiers in einer bestimmten Form in vorbestimmtem Lande angeordnet. Aber wie viel ein- facher und erhabener ist die Vorstellung einer Macht, die nur bestimmt» daß die Schwere nach bestimmten Gesetzen wirkt, und dies und das sind dann die unvermeidlichen Folgen, — und die bei Erschaffung der Tiere die Gesetze ihrer Entwicklung anordnet, und so oder so wrrden dann deren Nachkommen beschaffen sein.

Aus Darwins Notizbuch von 1837p * IO!

COPYRIGHT 1911 BY B. G. TF.UBNKR IN LEIPZIG.

ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS,

VORBEHALTEN.

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DEM MASTER UND DEN FELLOWS VON CHRIST'S COLLEGE, CAMBRIDGE, WIDMET DIESES BUCH ALS ZEICHEN SEINER VEREHRUNG UND DANKBAR- KEIT DER HERAUSGEBER

FRANCIS DARWIN

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[page] INHALT.

Einleitung.................... i

DER ESSAY VON 1842.

I. TEIL.

$ 1. Über Variation unter Domestikation und über die Prinzipien der

Zuchtwahl...................25

$ 2. Ober Variation im Naturzustand und über die naturlichen Mittel

der Zuchtwahl..................28

$ .j. Ober Variation bei Instinkten und anderen geistigen Eigenschaften 44

II. TEIL.

$$ 4 u. 5, Über die Zeugnisse aus der Geologie.......    51

$ 6. Geographische Verbreitung.............    59

$ 7. Verwandtschaft und Klassifikation...........    66

$ 8. Gleichheit des Typs innerhalb der grölten Klassen.....    71

$ 9. Abortive Organe.................    80

$ 10. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen........    83

DER ESSAY VON 1844.

I. TEIL.

ERSTES KAPITEL.

Über die Variation organischer Wesen im Zustand der

Domestikation und über die Prinzipien der Zuchtwahl . 93

Variation. — Erbliche Tendenz. — Ursachen der Variation. — Auslese. — Kreuzung von Kassen. — Ob unsere domestizierten Rassen aus einem oder mehreren wilden Stämmen hervor- gegangen sind — Grenzen der Variation nach Grad und Art. — Was verstehen wir unter Domestikation. — Zusammenfassung.

[page] V Inhalt.

Seite

ZWEITES KAPITEL.

Über die Variation der Lebewesen im wilden Zustand; über die natürlichen Mittel der Zuchtwahl und über den Ver- gleich der domestizierten Rassen mit echten Arten . . .120

Variation. — Natürliche Mittel der Auslese. — Unterschiede zwischen „Rassen" und „Arten", erstens in ihrer Beständigkeit oder Variabilität. — Unterschied zwischen Kreuzungen von „Rassen" und „Arten" hinsichtlich ihrer Fruchtbarkeit — Ur- sachen der Unfruchtbarkeit bei Bastarden. — Unfruchtbarkeit aus Ursachen, die nichts mit Kreuzung zu tun haben. — Punkte der Übereinstimmung zwischen „Rassen" und „Arten". — Äußere Merkmale von Art- und Rassenbastarden — Zusammen- fassung. — Grenzen der Variation.

DRITTES KAPITEL

Über die Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigen- schaften' unter Domestikation und im Naturzustand; über die Schwierigkeiten dieses Themas, und über ähnliche Schwierigkeiten in bezug auf Körperbildung.....157

Variation geistiger Eigenschaften unter dein Einfluß der Domesti- kation. — Erbliche Gewohnheiten im Vergleich mit Instinkten.— Variation der psychischen Eigenschaften wilder Tiere. — Die Prinzipien der Zuchtwahl in ihrer Anwendung auf die Instinkte. — Schwierigkeiten der Erwerbung komplizierter Instinkte durch Zuchtwahl. — Schwierigkeiten der Erwerbung komplizierter körperlicher Bildungen durch Zuchtwahl.

II. TEIL.

Über Zeugnisse zu gunsten und Ungunsten der Anschauung, daß Arten auf natürlichem Wege entstandene und aus gemeinsamem Stamme hervorgegangene Rassen sind . .182

VIERTES KAPITEL. Über die Anzahl von Zwischenformen, welche die Theorie einer gemeinsamen Abstammung verlangt und über deren Fehlen im fossilen Zustand............182

FÜNFTES KAPITEL.

Allmähliches Erscheinen und Wiederverschwinden von Arten . 193

[page] Inhalt.

VII

SECHSTES KAPITEL

Über die geographische Verbreitung der Lebewesen in Ver- gangenheit und Gegenwart............201

Erster Abschnitt. Verteilung der Lebewesen in bezug auf die verschiedenen Kontinente. — Verbreitungsverhältnisse bei Gat- tungen und Arten. — Verteilung der Bewohner innerhalb desselben Kontinents. — Insulare Faunen. — Alpine Floren. — Grund der Ähnlichkeit in den Floren einiger voneinander entfernter Ge- birge. — Ist dieselbe Art mehr als einmal erschaffen worden?

—   Über die Zahl der Arten und über die Klassen, denen sie

in den verschiedenen Regionen angehören........201

Zweiter Abschnitt. Geographische Verbreitung ausgestor- bener Lebewesen. — Veränderungen in der geographischen Ver breitung. — Zusammenfassung der Schlußfolgerungen über die geographische Verbreitung der lebenden und ausgestorbenen Organismen...................227

Dritter Abschnitt. Ein Versuch, die obigen Gesetze der geographischen Verbreitung aus der Theorie heraus zu erklären, daß verwandte Arten eine gemeinsame Abstammung besitzen.

— Unwahrscheinlichkcit des Auftindens fossiler Übergangsformen 236

SIEBENTES KAPITEL.

Über Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen . . 254

Allmähliches Erscheinen und Verschwinden von Gruppen. — Was bedeutet „Natürliches System?" — über das Wesen der Verwandtschaft zwischen getrennten Gruppen. — Klassifikation von Rassen und Varietäten. — Klassifikation von „Rassen" und „Arten" beruht auf demselben Prinzip. — l'rsprung von Gattungen und Familien.

ACHTES KAPITEL.

Einheit des Typs innerhalb der großen Klassen; Morphologie 271

Einheit des Typs. — Morphologie. — Embryologie.— Versuch, die Tatsachen der Embryologie zu erklären. — Über die Ab- stufung in der Kompliziertheit der Organismen innerhalb der einzelnen Hauptklassen. — Durch Zuchtwahl bewirkte Ab- änderung der Formen unreifer Organismen. — Wichtigkeit der Embryologie für die Klassifikation. — Zeitliche Reihenfolge des ersten Auftretens der Hauptklassen.

[page] Y1I1

Inhalt.

Seite

NEUNTES KAPITEL

Abortive oder rudimentäre Organe...........290

Abortive Organe im systematischen Sinne. — Die abortiven Organe im physiologischen Sinne. — Abortivwerden infolge all- mählichen Nichtgebrauchs.

ZEHNTES KAPITEL.

Rückblick und Schluß...............300

Rückblick. — Warum ist man geneigt, die Theorie einer ge- meinsamen Abstammung zurückzuweisen? — Schluß.

Sachregister......,.............319

Autorenregister..................326

-

[page] EINLEITUNG.

Wie wir aus dem Inhalt von Charles Darwins Notizbuch vom Jahre 1837 ersehen, war er zu jener Zeit ein überzeugter Anhänger der Entwicklungslehre.1) Dabei kann kein Zweifel darüber walten, daß zur Zeit seiner Ausreise an Bord des „Beagle" seine Überzeugungen, soweit er überhaupt solche besaß, auf seiten der Unveränderbarkeit lagen. Welches nun war der Zeitpunkt, so fragen wir uns, an welchem der Strom seiner Gedanken die Richtung auf die Entwicklungs- lehre einschlug?

Betrachten wir zunächst die Faktoren, die eine solche Änderung vorbereitet haben können. Bei seiner Abfahrt im Jahr 1831 überreichte ihm Henslow den ersten Band der Principles 0/ Geology von Lyell, der gerade erschienen war, mit der Mahnung, nicht an das zu glauben, was in dem Buch zu lesen stünde.2) Er glaubte indessen dennoch daran, und sicher ist, daß — wie auch Huxley sehr entschieden betont hat3) — die Lehre von der Veränderung der Erdrinde durch gleichmäßig fortwirkende Ursachen, auf die Biologie angewandt, notwendig zur Entwicklungslehre hinführen muß. Wenn der Untergang einer Spezies kein in höherem Grade katastrophaler Vorgang ist, als der natürliche Tod

1)  S. Leben und Briefe von Charles Darwin; übersetzt von Victor Carus, (Stuttgart 1887) Bd. 2, S. 5.

2)  Der zweite Band dieses Werks — der von besonderer Wichtigkeit in bezug auf die Entwicklungslehre ist — erreichte Darwin im Herbst 1832, wie Judd in seiner äußerst interessanten Arbeit Darwin and Modern Science bereits erwähnt hat.

3)  S. den Nekrolog über Charles Darwin, Proc. R. Soc, Bd. 44, noch- mals abgedruckt in Huxley, Collected essays, auch Leben und Briefe von Charles Darwin, Bd. 2, S. 174 u. f.

F. Darwin, Fundamente iur E*tte/ehung dir Arien.                                  I                               /

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[page] Einleitung.

eines Individuums, warum sollte die Geburt einer Spezies ein größeres Wunder darstellen, als die Geburt eines Indi- viduums? Es liegt klar zutage, daß solche Gedanken Darwin lebhaft bewegten, als er folgende vorläufige Gedankengänge in sein Notizbuch1) niederschrieb: „Fortpflanzung erklärt, warum moderne Tiere von demselben Typus wie ausge- storbene. Ist Gesetz, beinahe erwiesen .... — Sie sterben aus, ohne daß sie sich verändern, wie die Goldpepins; es gibt eine Erzeugung von Spezies gleich der Erzeugung von Individuen ... — Wenn Spezies andere Spezies erzeugen, ist ihre Rasse nicht gänzlich abgeschnitten."

Diese Zitate zeigen deutlich, daß Darwin bestrebt war, in» der Entstehung der Arten einen wissenschaftlich ebenso verständlichen Vorgang, wie die Entstehung von Individuen es ist, zu erblicken. Sie zeigen meiner Meinung nach, daß er die beiden Vorgänge nicht bloß als analog, sondern als identisch betrachtete.

Es ist unmöglich, zu bestimmen, wie bald das Ferment der Lyellschen Anschauung in Darwin zu arbeiten begann, aber wir dürfen getrost annehmen, daß er im Jahr 1832 bereits angefangen hatte einzusehen, daß die logische Schlußfolgerung von Lyells Lehre die Veränderbarkeit sei, obwohl dies von Lyell selbst nicht anerkannt wurde.

Indessen gab es noch weitere Faktoren für Darwins ver- änderte Anschauungen. Er selbst sagt in seiner Autobio- graphie8): „Während der Reise des Beagle hatte die Entdeckung großer fossiler Tiere, die mit einem Panzer gleich dem der jetzt existierenden Gürteltiere bedeckt waren, in der Pampasformation einen tiefen Eindruck auf mich gemacht; ebenso ferner die Art und Weise, in welcher beim Hinabgehen nach Süden über den Kontinent nahe verwandte Tiere einander vertreten, und drittens auch der südamerikanische Charakter der meisten Naturerzeugnisse der Inseln des Galapagosarchipels und ganz besonders die

1)  S. Leben und Briefe, Bd. *, S. 5.

2)  Leben und Briefe, Bd. 1, S. 73-

[page] Einleitung.

3

Art und Weise, wie sie auf einer jeden Insel der Gruppe unbedeutend verschieden sind; keine von den Inseln schien im geologischen Sinne des Worts sehr alt zu sein.

Es war offenbar, daß Tatsachen wie diese, ebenso wie viele andere nur unter der Annahme erklärt werden konnten, daß Spezies allmählich modifiziert werden; und der Gegen- stand verfolgte mich."

Und wieder fragen wir uns: Wann war es, daß diese ver- schiedenen Einflüsse ihre Wirkung auf Darwins Geist aus- zuüben begannen? Versuche zur Beantwortung dieser Frage sind bereits mehrfach unternommen worden. Huxley war der Meinung1), daß jene Tatsachen eine wesentliche Wirkung erst nach Beendigung der Beagle-Reise ausgeübt haben können, da dann erst die Verwandtschaft der lebenden mit den ausgestorbenen Arten und die der verschiedenen geographischen Gebiete untereinander einigermaßen genau bestimmt werden konnten. Er gibt, wie hieraus hervorgeht, nicht zu, daß schon während der eigentlichen Fahrt auf der Beagle ein nennenswerter Vorstoß in der Richtung der Entwicklungslehre stattgefunden hat.

Judd2) hingegen huldigt einer abweichenden Ansicht. Seiner Meinung nach ist der November 1832 als der eigent- liche Zeitpunkt aufzufassen, an welchem „Darwin jene langen Reihen von Beobachtungen und Überlegungen begann, die schließlich in den Vorarbeiten zu seiner Entstehung der Arten gipfelten".

Obwohl ich finde, daß diese Worte Judds etwas zu sehr das Bild eines direkten und kontinuierlichen Marsches heraufbeschwören, der vom Fossiliensammeln des Jahres 1832 zu der Niederschrift der Entstehung der Arten ge- führt haben soll, so glaube ich doch auch, daß es eben diese Reise war, während welcher Darwins Geist sich der Entwicklungslehre zuwandte. Ich befinde mich also im wesentlichen in Übereinstimmung mit Judd, obwohl ich mehr als er das Hauptgewicht auf den letzten Teil der Reise lege. 1) Nekrolog, a.a.O.         2) Judd, Darwin and Modern Science.

[page] 4

Einleitung.

Wenden wir zunächst unsere Aufmerksamkeit auf die oben bereits zitierte Stelle aus Darwins Autobiographie und auf das, was er in seiner Einleitung zur i. Auflage seiner Entstehung der Arten ausspricht, wo es heißt:1) „Als ich an Bord der ''Beagle* als Naturforscher Südamerika erreichte, überraschten mich gewisse Tatsachen in hohem Grade, die sich mir in bezug auf die Verteilung der Bewohner und die geologischen Beziehungen der jetzigen zu der früheren Bevölkerung dieses Weltteils darboten." Diese Worte an dieser Stelle können nur einen Sinn besitzen: nämlich daß jene Tatsachen eine entwicklungsgeschichtliche Deutung in Darwins Geist wachriefen. Und in Anbetracht dieses Aus- spruches können wir mit Sicherheit annehmen, daß seine Gedanken sich schon in jener frühen Epoche in der Richtung der Abstammungslehre zu bewegen begannen.

Ich neige zu der Ansicht, daß das2) ,,neue Licht, das in seinem Geiste aufging", damals jedoch noch keinen be- sonderen Grad von Stärke oder Stetigkeit erreicht haben dürfte. Ich schließe dies aus einer im Jahr 1837 gemachten Eintragung seines Taschenbuches, die folgendermaßen lautet: „Eröffnete im Juli mein erstes Notizbuch über die Ver- änderung der Arten. War etwa seit vorhergehendem Monat März stark frappiert vom Charakter der südamerika- nischen Fossilien sowie der Spezies auf Galapagosarchipel. Diese Tatsachen (besonders letztere) Ursprung aller meiner Ansichten."3) Nun besuchte aber Darwin den Galapagos- archipel nicht vor 1835 und deshalb wird es mir schwer anzunehmen, daß seine entwicklungsgeschichtlichen An- sichten vor diesen späteren Abschnitten seiner Reise eine einigermaßen feste und dauernde Gestalt angenommen

1)  Charles Darwin, Origin of Species, 1. Auflage, London 1859. lo der vorliegenden Übersetzung wird durchweg nach dieser ersten eng- lischen Ausgabe von 1859, sowie noch der VI. englischen Auflage (Populär Edition) zitiert werden.

2)  Huxley, Nekrolog auf Darwin, S. II.

3)  Im Original von Charles Darwin sind die betreffenden Worte nicht gesperrt.

[page] Einleitung,

5

haben sollten. Diese Galapagos-Tatsachen sprechen stark gegen Huxleys Ansicht; denn wie Darwin, schreibt, wurde er aufs stärkste aufgerüttelt1) von einem Vergleich der von ihm und andern Reisegefährten gesehenen Vögel. Dieser Fall scheint ihn sofort — und zwar ohne daß er genauere Bestimmungen abgewartet hätte — als ein Mikrokosmos der Entwicklung frappiert zu haben.

Auch ist zu bemerken, daß in bezug auf die Überreste ausgestorbener Tiere Darwin in der oben zitierten Stelle seines Taschenbuchs vom März 1837 als von derjenigen Zeit spricht, wo er begann, „stark frappiert vom Charakter der südamerikanischen Fossilien" zu sein; daraus ersehen wir, daß die im Jahre 1832 erhaltenen Eindrücke zum mindesten einer Verstärkung bedurften, ehe von einer einigermaßen einschneidenden Wirkung gesprochen werden kann.

Wir dürfen daher, wie ich glaube, schließen, daß die entwicklungsgeschichtliche Strömung in meines Vaters Geist, im Jahr 1832 beginnend, sich allmählich an Kraft verstärkt hat und daß sie sowohl 1835 auf den Galapagosinseln als auch 1837, als er die realen und ideellen Ergebnisse seiner Reise einer Übersicht unterzog, erneute Zuflüsse erhalten hat. Ferner daß, als er jene Eintragung in seinem Taschenbuch machte, er unwillkürlich das erste Auftreten seiner Theorien verkleinert und den jüngstverflossenen Gedankengängen, die mit größerer Frische vor ihm standen, mehr Gewicht zugeschrieben haben wird. In seinem Brief an Otto Zacharias (1877) schrieb er:2) ,,Nach meiner Rückkehr von meiner Reise im Herbst 1836 begann ich sofort, mein Tagebuch für die Veröffentlichung vorzubereiten und sah bei dieser Gelegenheit, wie zahlreich die Tatsachen waren, die auf den gemeinsamen Ursprung der Arten hinwiesen." Dies scheint mir auch wieder die Auffassung zu bestätigen, daß die späteren Schößlinge seiner Theorie die eigentlich wichtigen Teile ihrer Entwicklung darstellen.

1)  Journal of Researches, Ed. 1860, S. 394.

2)  F. Darwin, Life of Charles Darwin (in einem Band) 1892. S. 166.

[page] 5                                           Einleitung.

In demselben Brief an Zacharias sagt er ferner: ,,Solange ich mich an Bord der Beagle befand, glaubte ich an die Permanenz der Arten, doch huschten, soviel ich mich erinnere, hie und da unbestimmte Zweifel durch meinen Geist." Sind also Judd und ich selbst nicht in einem vollständigen Irrtum befangen, wenn wir annehmen, daß Darwin sich während eines früheren oder späteren Teils seiner Reise dem entwicklungs- geschichtlichen Standpunkt zugewendet hat, so bleibt nur zu vermuten, daß im Verlauf von 40 Jahren diese Wendung in seinem Geist die Gestalt „unbestimmter Zweifel" ange- nommen hatte. Um so mehr als der Brief an Zacharias in der Tat eine gewisse Vergeßlichkeit für langvergangene Begeben- heiten beweist, indem der Schreiber an einer Stelle desselben sagt: „Meine Überzeugung von der Veränderbarkeit der Arten kam erst nach dem Verlauf von zwei oder drei Jahren zustande." Es ist unmöglich, diesen Ausspruch mit dem Inhalt des entwicklungsgeschichtlichen Notizbuchs von 1837 zu vereinigen. Ich zweifle keineswegs, daß beim Rückblick auf alle diese Dinge mein Vater den Eindruck hatte, daß er nicht eher von der „Veränderbarkeit der Arten" über- zeugt gewesen sei, ehe er einen klaren Einblick in den Mecha- nismus der natürlichen Zuchtwahl bekommen hatte, das aber war erst in den Jahren 1838—1839 der Fall.

Aber selbst wenn wir letzteren Zeitpunkt annehmen, so steigt uns, wenn auch nicht Zweifel, so doch ein gewisses Erstaunen auf. Eine Stelle der Autobiographie1) nämlich berichtet klar und einfach, daß Darwin im Oktober 1838 Malthus' Essay „Über Bevölkerung" gelesen habe, wobei es heißt: „...und da ich hinreichend darauf vorbereitet war, den überall stattfindenden Kampf um die Existenz zu würdigen, namentlich durch die lange fortgesetzte Beobach- tung über die Lebensweise von Tieren und Pflanzen, kam mir sofort der Gedanke, daß unter solchen Umständen günstige Abänderungen dazu neigen müssen, erhalten zu

1) Leben und Briefe, Bd. 1, S. 74.

[page] Einleitung.                                           y

werden, ungünstige, zerstört zu werden. Das Resultat hier- von würde die Bildung neuer Arten sein. Hier hatte ich nun endlich eine Theorie, mit welcher ich arbeiten konnte." Es klingt erstaunlich, daß Malthus erst habe kommen müssen, um Darwin diesen Schlüssel zu geben; finden wir doch in dem Notizbuch von 1837 — wenn auch etwas dunkel ausgedrückt — die folgenden Vorboten von der Lehre vom Überleben des Passenden:1) „Was das Aussterben betrifft, so ist leicht zu sehen, daß eine Varietät der Strauße, Petise,2) nicht gut angepaßt sein kann und daher aussterben wird; oder auf der andern Seite, daß Orpheus, ein Galapagosvogel, günstig ist, so daß viele erzeugt werden können. Dies setzt das Prinzip voraus, daß die beständigen Variationen durch enge Züchtung und Wechsel der Lebensbedingungen hervor- gebracht werden (entsprechend der Anpassung an solche Bedin- gungen), daß sie erhalten bleiben und daß der Tod einer Spezies eine Folge (im Gegensatz zu dem, was dem Anscheine nach in Amerika der Fall war) der Nichtanpassung an dieUmstände ist." Ich kann kaum bezweifeln, daß bei seiner Kenntnis von der gegenseitigen Abhängigkeit der Organismen und der Tyrannei der äußeren Umstände, Darwins Erfahrungen, auch ohne die Hilfe von Malthus sich zu einer Theorie, ,,mit der sich arbeiten läßt", auskristallisiert haben würden.

In meines Vaters Autobiographie finden sich folgende Sätze:3) „Im Juni 1842 gestattete ich mir zum ersten Male die Befriedigung, einen ganz kurzen Abriß meiner Theorie, 35 Seiten lang, mit Bleistift niederzuschreiben und dieser wurde dann während des Sommers 1844 zu einem zweiten von 230 Seiten erweitert,*) welchen ich sauber abschreiben ließ und noch besitze."

1)  Leben und Briefe, Bd. 2, S. 7.

2)  Avestrus Petise, synonym mit Rhea Darwini.

i) Leben und Briefe, Bd. 1, S. 75.

4) In Wirklichkeit sind es 231 Seiten eines, wie zum Zweck von Notizen und Zusätzen mit weißen Seiten durchschossenen Foliobandes. Das Manuskript, von dem dies abgeschrieben war, umfaßte 189 Seiten.

[page] g                                            Einleitung.

Diese beiden Niederschriften von 1842 und 1844 sind es nun, die ich in nachstehendem unter dem Titel „Die Funda- mente zur Entstehung der Arten" veröffentlicht habe.

Man wird bemerken, daß das Vorhandensein jenes Manu- skripts vom Jahr 1842 aus dem soeben zitierten Satz der Autobiographie nicht klar hervorgeht, und zur Zeit, als ich Leben und Briefe herausgab, wußte ich in der Tat nichts von seiner Existenz. Es erblickte das Tageslicht erst wieder nach dem Tode meiner Mutter im Jahre 1896, als das Haus meiner Eltern in Down geräumt wurde. Das Manuskript fand sich in einem Verschlag unter der Treppe versteckt, der nie zur Aufbewahrung wertvoller Schriften gedient hatte, sondern mehr als ein Stapelplatz für alles mögliche, das nicht gerade vernichtet werden sollte, von meinem Vater benützt worden war.

Die in der Selbstbiographie enthaltene Angabe, daß jenes Manuskript im Jahre 1842 geschrieben worden sei, stimmt mit folgender Eintragung in meines Vaters Tagebuch überein: ,,1842. Am 18. Mai nach Maer gegangen. 15. Juni nach Shrewsbury und 18. nach Capel Curig . . . Schrieb während meines Aufenthaltes in Maer und Shrewsbury (5 Jahre nach Beginn) die Bleistiftskizze meiner Spezies- theorie." Und dann wieder erwähnt er in einem Brief an Lyell (vom 18. Juni 1858) seine im Jahr 1842 nieder- geschriebene handschriftliche Skizze.1) In der Entstehung der Arten spricht er davon, daß er seine „Spekulationen" über diese Dinge 1837 begonnen und 1842 nach fünfjähriger Arbeit sich erlaubt habe, einige „kurze Notizen" darüber zu Papier zu bringen.

So weit könnten also eigentlich keine Zweifel über den Zeitpunkt ,,1842" als Entstehungsjahr der ersten Skizze obwalten; und doch scheinen Zeugnisse für ein früheres Datum zu sprechen. So z. B. ist quer über dem Inhalts- verzeichnis der gebundenen Niederschrift des Manuskripts

1) Leben und Briefe, Bd. 2, S. 112.

[page] Einleitung.                                           g

von 1844 in meines Vaters Handschrift zu lesen: ,,Dies wurde 1839 skizziert." Und ferner spricht er in seinem Brief an Wallace (vom 25. Januar 1859)1) v°n seinem eigenen Beitrag zu dem gemeinschaftlichen Aufsatz vom 1. Juli 1858 für die Linnean Society als von einer2) ,,im Jahr 1839, also gerade vor 20 Jahren" geschriebenen Sache. Diese Angabe ist nun zweifellos ungenau, denn die betreffenden Beiträge entstammen dem Manuskript von 1844, über dessen Entstehungszeit überhaupt kein Zweifel besteht; aber selbst wenn es sich auf die Niederschrift von 1842 bezöge, müßte man sie meiner Meinung nach zurückweisen. Ich kann mir diesen Irrtum nur durch die Annahme erklären, daß mein Vater in seinem Geist das Datum 1839 herumtrug, zu welcher Zeit das Gerüst zu seiner Theorie von ihm gezimmert wurde. Spricht er doch auch in seiner Autobiographie von der Zeit um 1839 als von derjenigen, wo seine Theorie von ihm klarer konzipiert worden sei. Wie dem auch sei, so scheint es mir doch sicher, daß 1842 die richtige Jahreszahl ist.

Übrigens habe ich seit der Herausgabe von Leben und Briefe neue Zeugnisse betreffs dieses Punktes gewonnen. So kam im Jahre 1896 ein kleines Paket mit 13 Seiten Manuskript ans Tageslicht, auf dessen Außenseite geschrieben stand: „Erste Bleistiftskizze zur Speziestheorie. Geschrieben in Maer und Shrewsbury während der Monate Mai und Juni 1842." Die Niederschrift ist indessen nicht in Bleistift ge- macht und besteht in einem einzigen Kapitel über „das Prinzip der Variation bei domestizierten Organismen". Eine einzige unnumerierte Seite ist in Bleistift geschrieben und bezeichnet: „Maei, Mai 1842, wertlos." Ferner zeigt sie die Bemerkung „diese Seite war als Einleitung gedacht". Sie besteht in einer ganz kurzen Skizze der geologischen Zeugnisse für die Entwicklungslehre, sowie aus einzelnen Stichwörtern für die Diskussion, wie z. B. „Verwandtschaft, Einheitlichkeit der Typen, Fötalzustand, Abortivorgane".

1)  Leben und Briefe, Bd. 2, S. 140.

2)  Leben und Briefe, Bd. 2, S. 10 und /. Lfm». Soc. Zool. III, S. 45-

[page] i o                                         Einleitung.

Die Rückseite dieses ,,wertlosen" Blattes bietet einiges Interesse, obwohl ihr Inhalt sich nicht auf die Frage der Entstehungszeit, mithin auf den Gegenstand, der uns augen- blicklich beschäftigt, bezieht.

Sie zeigt uns einen Entwurf zu dem Essay von 1842, indem sie die Titel der drei Kapitel nennt, aus denen er bestehen sollte, nämlich:

„I. Die Prinzipien der Variation bei domestizierten Or- ganismen.

II. Die mögliche und wahrscheinliche Anwendung dieses gleichen Prinzips auf wilde Tiere und folglich die mög- liche und wahrscheinliche Erzeugung wilder Rassen, analog den zahmen Rassen bei Pflanzen und Vögeln.

III. Die Gründe für und wider die Annahme, daß solche Rassen wirklich erzeugt worden sind und dasjenige bilden, was als Art bezeichnet wird."

Man wird sehen, daß Kapitel III, so wie es anfänglich geplant war, mit Teil II (S. 51) des Essay von 1842 korre- spondiert, dessen Inhalt, wie der Autor selbst ihn bezeichnet, sich mit der Frage beschäftigt ,,ob die Charaktere und Be- ziehungen der lebenden Wesen derart sind, daß sich die Abstammung der wilden Spezies aus einer gemeinsamen Wurzel herleiten ließe." Und auf S. 52 fragt der Autor noch einmal: ,,Welches sind nun die Zeugnisse für, welches gegen sie (d.h. die Deszendenztheorie)?" Der Umstand, daß dieser Teil des Essays ursprünglich das Kapitel III ausgemacht hatte1), mag auch der Grund des kuriosen Irrtums sein, der an einigen Stellen vorkommt, indem dort der zweite Teil des Essays als Teil III bezeichnet wird.

1) Es ist klar, daß die Ausdrücke „Teil" und „Kapitel" sich im Geiste meines Vaters vielfach abgewechselt haben. Denn über der 1. Seite des hier besprochenen Essays findet sich in Tinte die Überschrift „Kapitel I'', die dann mit Bleistift durchgestrichen und in „Teil I" umgewandelt

worden ist.

[page] Einleitung.                                         \ \

Die Einteilung in zwei Teile ist auch in dem vergrößerten Essay von 1844 beibehalten, wo Darwin schreibt: „Der zweite Teil dieses Werks ist der Betrachtung gewidmet, inwieweit die allgemeine Ökonomie der Natur die Annahme rechtfertigt oder widerlegt, daß verwandte Gattungen und Arten aus gemeinsamen Stämmen hervorgegangen sind." Die Entstehung der Arten ist dann aber nicht in dieser Weise eingeteilt worden.

Wir kommen nun zu der Frage nach der Entstehungszeit des Essays zurück. Ich habe ein weiteres Zeugnis für das Jahr 1842 in einem Satz gefunden, der sich auf der Rück- seite des Inhaltsverzeichnisses des Manuskripts von 1844 notiert findet, und zwar nicht der Reinschrift desselben, sondern der von meines Vaters Hand herrührenden Original- handschrift. Der Satz lautet: „Dies wurde geschrieben und ausgearbeitet nach einer Bleistiftskizze von 37 Seiten1) (letztere im Sommer in Maer und Shrewsbury geschrieben) im Jahresbeginn 1844 und fertig gemacht im Juli; die Ab- schrift Dr. Fletchers korrigiert letzte Woche des September." Wenn man alles dieses in Betracht zieht, wird es unmöglich zu zweifeln, daß 1842 das Entstehungsjahr des älteren der beiden Essays gewesen ist.

Die Skizze von 1842 ist mit einem weichen Bleistift auf schlechtes Papier geschrieben und zum großen Teil sehr schwer zu lesen, indem viele Worte in undeutlichen Schnörkeln endigen und außerhalb des Zusammenhangs unleserlich sind. Sie ist offenbar sehr geschwind hingeschrieben und zeigt den fragmentarischsten Stil, indem die Artikel häufig weggelassen und die Sätze nur lose zusammengefügt, ja hie und da geradezu unlogisch in ihrem Bau sind. Vieles ist ausradiert und hineinkorrigiert, und zwar offenbar gleich beim ersten Hinschreiben, denn man hat nicht den Eindruck,

1) Auf S. 23 des Manuskripts der Fundamente wird Bezug genommen auf „Rückseite von S. 2ifa"; dies legt die Annahme nahe, daß Zusatz- seilen in das Manuskript eingefügt gewesen sein mögen, so daß es ur- sprünglich 37 statt 35 Seiten gehabt haben mag.

[page] 12                                         Einleitung.

als ob das Manuskript mit irgendwelcher Sorgfalt nochmals durchgelesen worden wäre. Das Ganze gleicht mehr einem hastigen Memorandum über Dinge, die ihm selbst klar ge- worden waren, als einer zur Überzeugung anderer Leute ausgeführten Zusammentragung von Material.

Viele der Seiten sind auf der Rückseite ebenfalls beschrieben, ein Beispiel für meines Vaters Sparsamkeit in bezug auf Schreibpapier.1) Diese Notizen bestehen zum Teil in Sätzen, die zur Einschaltung in den übrigen Text bestimmt waren, und konnten von mir meistens (obwohl nicht immer) dort eingefügt werden, wo mein Vater dies beabsichtigt hatte. Zuweilen jedoch brauchte mein Vater auch die Rückseite eines Manuskriptblattes, um eine vorläufige, zur Reinschrift auf einem frischen Blatt bestimmte Skizze hinzuwerfen. Diese Teile seines Manuskripts habe ich in der Form von Fußnoten gebracht, damit das, was auf der Vorderseite der Blätter stand, einen zusammenhängenden Text ausmachen möge. Dabei habe ich gewisse Wiederholungen nicht ver- meiden können; doch ist manches von dem, was auf der Rückseite der Blätter stand, von zu hohem Interesse, um es wegzulassen. Auch wäre es immerhin möglich, daß einige von den Stellen, die ich hier in Fußnoten wiedergegeben habe, als endgültiger Text und nicht als vorläufige Skizze gedacht gewesen sind.

Wo ein Wort von mir nicht entziffert werden konnte, ersetzte ich es durch: unleserlich, wobei die winkligen Klammern <>, wie auch sonst, Einschaltungen meiner eigenen Hand bedeuten. In den meisten Fällen jedoch läßt der Zusammenhang die Deutung jener einzelnen nicht ganz leserlichen Worte mit fast absoluter Bestimmtheit erraten. Immerhin habe ich solche Fälle durch ein ein- geklammertesFragezeichen<?> hervorgehoben. Und schließlich habe ich dies Zeichen auch noch bei von mir selbst ein- geschalteten Worten, deren Angemessenheit mir fraglich erschien, angebracht, indem ich z. B. schrieb: <Variation?>.

i) S. Leben und Briefe, Bd. i, S. 140.

[page] Einleitung.                                         \ 3

Das Ausstreichen von Text in dem Manuskript des Jahres 1842 erfolgte auf zwei verschiedene Weisen: einmal durch vertikale Linien, die wohl damals in Anwendung kamen, als das 35 Seiten zählende Manuskript zu dem umfangreicheren von 1844 erweitert wurde, und die bedeuten, daß die be- treffende Seite weggelassen werden soll, und ferner durch die allgemein üblichen horizontalen Linien. In Beziehung auf diese letzteren bin ich selbst nicht ganz konsequent ver- fahren. Ich ging von der Absicht aus, alle diese ausgestriche- nen Stellen in Klammern zu bringen und habe die ersten Partien des Essays nach diesem System behandelt. Schließ- lich aber fand ich, daß die hierdurch entstehende Konfusion in den schon ohnedies obskuren Sätzen mehr Schaden als Nutzen anrichtete und ließ infolgedessen später viele solcher durchstrichenen Stellen überhaupt weg. Ebenso habe ich hie und da hoffnungslos dunkle und unverständliche Bruch- stücke überhaupt weggelassen, die, wenn ich sie wiedergegeben hätte, den Text nur durch Ketten von „Unleserlich" und von fraglichen Worten beschwert haben würden. Auch habe ich nicht alles von dem, was auf der Rückseite der Blätter stand, wiedergegeben, dies aber nur dort unterlassen, wo die Wiedergabe eine gänzlich überflüssige Wiederholung be- deutet hätte.

Bezüglich der Interpunktion habe ich mir jede mögliche

Freiheit genommen. Es mag sein, daß ich dabei hie und da nicht im Sinne meines Vaters gehandelt habe, doch würde ohne meine Interpunktionen die Zahl unerträglich über- lasteter Sätze noch größer geworden sein, als sie es in Tat auch jetzt noch ist. Bei meiner Behandlung des Essays von 1844 habe ich einige ganz offenkundige Flüchtigkeiten korrigiert, ohne dies eigens zu bezeichnen, da dieses Manuskript so leserlich war, daß über die Meinung des Autors keine Zweifel obwalten konnten.

Die Abschnitte, in die der Essay von 1842 eingeteilt ist, werden im Original nur durch einen Abstand der Zeilen oder durch eine quer über die Seite gezogene Linie angedeutet.

[page] j .                                          Einleitung.

Titel sind, außer bei § VIII, nicht beigegeben und § II ist der einzige Abschnitt, der auch im Original eine Nummer zeigt. Ich hätte ebensogut aus den Teilen, die ich als Unter- abschnitte gebracht habe, Abschnitte machen können, so z. B. aus Natürliche Zuchtwahl, S. 32, oder Die Ausrottung, S. 58. Da indessen die vorliegende Skizze den Keim des Essays von 1844 darstellt, schien es mir am richtigsten, die Identität zwischen den beiden Werken aufrecht zu erhalten, indem ich diejenigen Einteilungen des Verfassers, die mit den Kapiteln der erweiterten Bearbeitung von 1844 überein- stimmen, beibehielt. Die geologische Diskussion, mit der Teil II beginnt, entspricht zwei Kapiteln (IV und V) des Essays von 1844. Ich habe sie deshalb als § IV und V be- zeichnet, obwohl ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie ursprünglich aus zwei Abteilungen bestanden hat. Mit dieser Ausnahme entsprechen die 10 Abschnitte des Essays von 1842 den 10 Kapiteln von 1844.

Die Entstehung der Arten unterscheidet sich darin von der Skizze von 1842, daß sie nicht in zwei Teile zerfällt. Doch ähneln sich die beiden Arbeiten trotzdem in ihrem allgemeinen Aufbau. Beide beginnen mit einer theoretischen Darstellung dessen, was man als den Mechanismus der Entwicklung bezeichnen könnte — nämlich Variation und Selektion; bei beiden geht die Beweisführung vom Studium der domesti- zierten Organismen aus, um sich sodann dem der Tiere und Pflanzen im Naturzustand zuzuwenden. Darauf folgt in beiden Fällen eine Diskussion der theoretischen Schwierig- keiten und hierauf ein Abschnitt über den Instinkt, der in beiden Darstellungen als ein besonders schwieriger Punkt behandelt wird.

Wenn ich selbst die Entstehung der Arten (1. Aufl.), und zwar ohne Kenntnis jener älteren Manuskripte in zwei Teile zu zerlegen hätte, so würde ich mutmaßlich den IL Teil mit dem 6. Kapitel, also dem über theoretische Schwierig- keiten haben beginnen lassen. Möglicherweise ist der Grund, warum dieser Teil des Arguments in dem I. Teil des Essays The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Einleitung.

'5

von 1842 aufgenommen worden ist, darin zu suchen, daß, wie aus dem Essay von 1844 hervorgeht, das Kapitel über Instinkt deshalb im I. Teil Platz gefunden hat, weil der Autor Gewicht darauf legte, zu zeigen, daß auch in bezug auf geistige Eigenschaften sowohl Vererbung wie auch Variation stattfindet. Diese ganze Angelegenheit scheint mir eine gute Illustration für die Art und Weise der Schwierig- keiten, die den Autor dazu bestimmten, die Trennung seiner Argumente in zwei Teile bei der Abfassung der Entstehung der Arten aufzugeben. Wie die Dinge nunmehr liegen, korrespondieren die § IV und V des Essays von 1842 mit den geologischen Kapiteln IX und X der Entstehung der Arten. Von diesem Punkte ab ist das Material in beiden Werken nach derselben Ordnung gruppiert, nämlich: geo- graphische Verbreitung; Ähnlichkeit und Klassifizierung; Ein- heit des Typs und Morphologie; abortive oder rudimentäre Organe; Rückblick und Schluß.

Bei der Erweiterung des Essays von 1842 in den von 1844 behielt der Autor die Abschnitte der Skizze in dieser seiner ausführlichen Darstellung in Form von Kapiteln bei. Daraus geht hervor, daß das, was von den Beziehungen des Essays von 1842 zu der Entstehung der Arten gesagt worden ist, im allgemeinen auch für den Essay von 1844 gilt. Beim letz- teren ist allerdings die Einteilung der geologischen Diskussion in zwei Kapitel, die vordem nur undeutlich zu erkennen war, ganz klar erfolgt, und zwar korrespondieren diese im allgemeinen mit den Kapiteln IX und X der Entstehung der Arten. Ein Teil des Inhalts von Kapitel X der Ent- stehung der Arten findet sich indessen in Kapitel VI (1844) über „geographische Verbreitung". Die Behandlung der „Verbreitung" ist übrigens in dem Essay von 1844 ganz besonders eingehend und interessant, doch hat die Anord- nung des Materials, besonders in der Einleitung des Ab- schnitts III, S. 236 zu einigen Wiederholungen geführt, die in der Entstehung der Arten vermieden worden sind. Auch muß bemerkt werden, daß Bastardbildung, die in der Eni- The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 16                                          Einleitung-

stehung der Arten ein besonderes Kapitel einnimmt (Kapitel VIII), im zweiten Kapitel des Essays abgehandelt wird, und schließlich, daß Kapitel XIII der Entstehung der Arten den Kapiteln VII, VIII und IX des Werks von 1844 entspricht

Die Tatsache, daß mein Vater schon 1842, also 17 Jahre vor der Veröffentlichung der Entstehung der Arten, imstande war, einen so vollkommenen Umriß seines Werkes aufzuzeichnen, ist äußerst bemerkenswert. Er schreibt in seiner Autobio- graphie über den Essay von 1844 :*) „Zu jener Zeit übersah ich aber ein Problem von großer Bedeutung... Dieses Problem ist die den von einem und demselben Stamme herkommenden organischen Wesen innewohnende Neigung, in ihren Charak- teren bei ihrer weiteren Modifikation zu divergieren." Das Fehlen des Prinzips der Divergenz ist natürlich auch charak- teristisch für den Entwurf von 1842. Doch zeigt sich immerhin auf S. 70 der Autor nicht allzuweit entfernt von solchen Anschauungen. Die Stelle, auf die ich anspiele, lautet: „Wenn irgendeine Spezies A, indem sie sich verändert, einen Vorteil erringt, und dieser Vorteil vererbt sich, so wird A bei dem harten Kampf ums Dasein der Erzeuger mehrerer Gattungen oder selbst Familien werden. A wird fortfahren, andere Formen zu verdrängen, es könnte kommen, daß A die Erde bevölkerte — möglich, daß wir gegenwärtig auf dem Erdkreis nicht eine einzige der Originalschöpfungen, seien es eine oder mehrere, besitzen."2)

Wenn nun aber die Abkömmlinge von A die Erde be- völkerten, indem sie andere Formen verdrängten, müssen sie, indem sie divergieren, zugleich die unzähligen ver- schiedenen Lebensumstände, aus denen sie ihre Vorgänger vertrieben, eingenommen haben. Ich glaube daher, daß das, was ich 1887 über diesen Gegenstand geschrieben, wahr ist, nämlich:3) „Abstammung, verbunden mit Modifikation,

1)  Leben und Briefe, Bd. 1, S. 75.

2)  In den Fußnoten des Essays von 1844 wird die Aufmerksamkeit auf ähnliche Stellen gelenkt.

3)  Leben und Briefe, Bd. 2, S. 15.

[page] Einleitung.                                         \ 7

schließt Divergenz in sich ein und wir gewöhnen uns so an den Glauben an Abstammung und infolgedessen an Divergenz, daß wir den Mangel an Beweisen dafür, daß Divergenz an sich einen Vorteil darstellt, gar nicht bemerken."

Die Tatsache, daß sich in dem Essay von 1844 keine eigentliche Diskussion über das Prinzip der Divergenz findet, erklärt es uns, warum die der Linnean Society am I. Juli 1858 zusammen mit der Wallaceschen vorgelegte Abhandlung sowohl einen Brief an Asa Gray1) als auch einen Auszug aus dem Essay von 1844 enthielt.2) Der Grund ist offenbar der gewesen, daß jener Brief an Gray eine Erörterung über Divergenz enthielt undsomit wahrscheinlich das einzige, diesen Gegenstand einschließende Dokument war, dessen er sich pas- senderweise bedienen konnte. Dies zeigt wiederum, welch großes Gewicht er dem Prinzip der Divergenz beigelegt hat.

Ich habe bereits von der hastigen und gedrängten Form gesprochen, in der der Entwurf von 1842 abgefaßt ist; der Stil des späteren Essays, desjenigen von 1844, ist mehr aus- gearbeitet. Trotzdem hat auch dieses noch mehr den Charak- ter eines unkorrigierten Manuskripts, denn eines Buches, das durch den Läuterungsprozeß der Korrekturbogen usw. gegangen ist. Es fehlt ihm ein Teil der Wucht und Prägnanz der Entstehung der Arten; doch besitzt es eine gewisse Frische, die ihm einen ganz eigenen Charakter verleiht. Man muß dabei bedenken, daß die Entstehung der Arten ein Auszug oder eine Zusammenfassung eines viel umfangreicheren Buches, der Essay von 1844 dagegen eine Erweiterung des Entwurfs von 1842 ist. Es ist deshalb nicht besonders erstaunlich, daß man in der Entstehung der Arten zuweilen eine gewisse Auflehnung gegen des Autors selbstauferlegte Beschränkung durchspürt. Im Gegensatz hierzu weht durch den Essay von 1844 ein Hauch von Befreiung, als ob der Autor hier sich freudig gehen lasse, anstatt sich Zügel anzu-

1)  Leben und Briefe, Bd. 2, S. 116.

2)  Dieser Auszug besteht aus dem Abschnitt über „Natürliche Mittel der Selektion", S. 128.

F.Darwin. Fundamente *ur l-*tstgh*ng der Arten.                                  2

[page] ! g                                         Einleitung.

ziehen. Dieser Zug von Frische sowie die Tatsache, daß gewisse Fragen in der Arbeit von 1844 ausführlicher als in dem Buch von 1859 behandelt werden, machen die Lektüre der älteren Arbeit auch für denjenigen lesenswert, der mit der Entstehung der Arten selbst vertraut ist.

Das Abfassen dieses Essays ,,wfährend des Sommers von 1844", wie es in der Autobiographie heißt, und ,,aus dem Gedächtnis", wie Darwin an anderer Stelle sagt, war eine bemerkenswerte Leistung und läßt uns die noch größere Tat der Niederschrift der Entstehung der Arten zwischen Juli 1858 und September 1859 einigermaßen begreiflich erscheinen.

Es wäre ein interessanter Gegenstand der Spekulation, welchen Eindruck auf die Welt der Essay von 1844 wohl geübt hätte, wäre er an Stelle der Entstehung der Arten veröffentlicht worden. Der Verfasser betrachtete die Ver- öffentlichung des ersteren in seinem jetzigen Zustand offenbar als einen wenig wünschenswerten Notbehelf, wie aus den folgenden Stellen von Leben und Briefe klar hervorgeht:

CHARLES DARWIN AN SEINE FRAU.

Down, 5. Juli 1844.

. . . Ich habe soeben die Skizze meiner Spezies-Theorie beendigt. Wenn meine Theorie mit der Zeit auch nur von einem kompetenten Beurteiler aufgenommen wird, so wird dies ein beträchtlicher Fortschritt für die Wissenschaft sein.

Ich schreibe dies für den Fall meines plötzlichen Todes nieder als meinen feierlichen und letzten Wunsch, welchen Du, wie ich ganz sicher weiß, ganz ebenso auffassen wirst, als wäre er nach den Formen des Gesetzes in meinen letzten Willen eingetragen, daß Du 400 auf ihre Veröffentlichung wenden und ferner, daß Du Dir selbst, sei es allein oder mit Hilfe Hensleighs1) Mühe geben wirst, sie zu fördern. Ich wünsche, daß meine Skizze irgendeiner kompetenten Persön- lichkeit zusammen mit dieser Summe übergeben werde, um sie zu bestimmen, auf ihre Verbesserung und Erweiterung

1) Mr. Wedgwood, Bruder von Frau Darwin.

[page] Einleitung.                                               j g

Mühe zu verwenden. Ich übergebe dieser Persönlichkeit alle meine naturwissenschaftlichen Bücher, welche entweder angestrichen sind oder am Ende Verweisungen auf die Seiten haben, mit der Bitte, sie sorgfältig durchzusehen und diejenigen Stellen in Betracht zu ziehen, welche sich erklärter- maßen auf den Gegenstand beziehen oder möglicherweise auf ihn beziehen könnten. Ich wünsche, daß Du eine Liste von allen solchen Büchern machst als ein Reizmittel für den etwaigen Herausgeber. Ich wünsche gleichfalls, daß Du ihm alle die oberflächlich geordneten, in acht oder zehn Mappen von braunem Papier verteilten Zettel einhändigst. Die Zettel mit abgeschriebenen Stellen aus verschiedenen Werken sind diejenigen, welche meinem Herausgeber helfen können. Ich wünsche auch, daß Du oder irgendein Amanuensis beim Entziffern von solchen Zetteln hilfst, von denen der Herausgeber glaubt, daß sie ihm von irgendeinem möglichen Nutzen sein könnten. Ich überlasse es der Be- urteilung des Herausgebers, ob diese Tatsachen in den Text einverleibt werden sollen, oder als Anmerkungen oder als Anhang zu geben sind. Da das Durchsehen der Ver- weisungen und Zettel eine langwierige Arbeit sein wird und da auch das Korrigieren, Erweitern und Abändern meiner Skizze beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen wird, so hinter- lasse ich diese Summe von 400 als eine Art Entschädigung und ebenso die etwaigen Einnahmen aus dem Werke. Ich halte hierfür den Herausgeber für verbunden, die Skizze entweder bei einem Verleger oder auf sein eigenes Risiko zu veröffentlichen. Viele von den Zetteln in den Mappen enthalten bloß flüchtige Vermutungen und frühere jetzt nutzlose Ansichten, und viele von den Tatsachen werden sich wahrscheinlich als solche herausstellen, welche keine Beziehungen zu meiner Theorie haben.

Was einen Herausgeber betrifft, so würde Mr. Lyell der beste sein, wenn er es unternehmen wollte; ich glaube, er würde die Arbeit angenehm finden und würde einige Tat- sachen kennen lernen, die ihm neu sind. Da der Heraus-

The Comolete Work of Charles Darwin Onlin«*

[page] 20

Einleitung.

geber ebensowohl ein Geolog wie ein beschreibender Natur- forscher sein muß, so würde der nächstbeste Prof. Forbes in London sein. Der nächstbeste (und überhaupt der beste in vielen Beziehungen) wäre Prof. Henslow. Dr. Hooker würde sehr gut sein. Der nächstbeste wäre Dr. Strickland.1) Wenn keiner der Genannten es unternehmen wollte, so würde ich Dich bitten, mit Mr. Lyell oder irgendeinem andern sachverständigen Mann wegen irgendeines Heraus- gebers, eines Geologen oder Naturhistorikers, zu beraten. Sollten weitere 100 den Ausschlag geben, einen guten Herausgeber zu erlangen, so bitte ich ernstlich, daß Du die Summe auf 500 erhöhst.

Meine hinterlassenen Sammlungen über Naturgeschichte mögen irgend jemandem oder irgendeinem Museum ge- geben werden, wo sie angenommen werden ..."

(Die folgende Notiz scheint einen Teil des ursprünglich entworfenen Briefes gebildet zu haben, ist aber möglicher- weise jüngeren Datums):

,,Lyell würde, besonders mit Hilfe von Hooker (und viel- leicht irgendeiner guten zoologischen Beihilfe) von allen der beste sein. Wenn sich der Herausgeber nicht verbindlich macht, Zeit darauf zu verw*enden, würde es nutzlos sein, eine solche Summe zu bezahlen.

Sollte sich irgendeine Schwierigkeit herausstellen beim Finden eines Herausgebers, welcher gründlich in den Gegen- stand eingeht und sich die Beziehungen der in den Büchern angestrichenen Stellen überlegt, dann laß meine Skizze so veröffentlichen, wie sie ist, mit der Bemerkung, daß sie vor mehreren Jahren8) aus dem Gedächtnis niedergeschrieben worden ist, ohne irgendwelche Werke zu Rate zu ziehen

1)  Nach Mr. Stricklands Namen kam eine im Originalbrief aus- gestrichene Stelle, die jedoch leserlich blieb: „Prof. Owen würde sehr gut sein; ich vermute aber, er wird nicht auf eine solche Arbeit ein- gehen".

2)  Die Worte ,,vor mehreren Jahren" scheinen an einem späteren

Datum hinzugefügt worden zu sein.

[page] Einleitung.                                         * I

und ohne die Absicht, sie in ihrer gegenwärtigen Form 2U veröffentlichen."

Die Idee, daß die Skizze von 1S44. im Falle seines Todes als das einzige Zeugnis seiner Arbeit übrigbleiben könnte, scheint ihm lange vor der Seele geschwebt zu haben; denn im August des Jahres 1854, als er mit den Cirripedien fertig geworden war und daran dachte, sein Spezieswerk zu be- ginnen, fügte er auf der Rückseite des obigen Briefes hinzu: ,,Hooker bei weitem der beste Mann, mein Spezies-Buch herauszugeben. August 1854."

Ich habe bereits in den Fußnoten auf zahlreiche Punkte hingewiesen, in denen die Entstehung der Arten mit den Fundamenten übereinstimmt. Einer der interessantesten unter diesen ist der Schlußsatz, der in den Skizzen von 1842 und 1844 so gut wie gleichlautet und mit den Schlußworten der Entstehung der Arten nahezu identisch ist. An anderer Stelle habe ich ferner darauf hingewiesen, daß der letzte Ursprung dieses schwungvollen Schlußsatzes noch um eine Stufe weiter zurückverlegt werden kann, und zwar bis zu dem Notizbuch von 1837. Ich habe diese Stelle als das passendste Motto den Fundamenten vorangestellt, da es ihren Charakter als den einer Studie allgemeiner Gesetze gut kennzeichnet. Man wird sich erinnern, daß ein ent- sprechendes Motto aus Whewells ßridgewater Treatise gegen- über dem Titelblatt der Entstehung der Arten angebracht ist.

Huxley, der um das Jahr 1887 den Essay von 1844 las, bemerkte, daß hier viel mehr Gewicht auf den Einfluß äußerer Bedingungen bei dem Hervorbringen von Variationen und auf die Vererbung erworbener Eigenschaften gelegt worden sei als in der Entstehung der Arten. In den Funda- menten wird der Einfluß der äußeren Umstände häufig erwähnt, und Darwin scheint immerfort die Notwendigkeit im Auge behalten zu haben, jede Variation auf eine bestimmte Ur- sache zurückzuführen. Doch habe ich den Eindruck, als ob der geringere Nachdruck, der hierauf in der Entstehung der Arten gelegt worden ist, nicht einem Wechsel seiner An- The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 2 2                                         Einleitung.

schauungen zuzuschreiben, sondern darauf zurückzuführen ist daß er mit der Zeit dazu gekommen war, diese Anschauung als selbstverständlich vorauszusetzen. Daraus ergab sich, daß bei der Anlage dieses Werkes die betreffenden Ausführungen zugunsten anderer Dinge, die ihm wichtiger erschienen, in den Hintergrund gedrängt wurden. Bezüglich der Vererbung erworbener Eigenschaften stimme ich nicht mit Huxley überein. Gewiß ist, daß die Fundamente eine starke An- erkennung der Wichtigkeit der Keimesvariation enthalten, oder anders ausgedrückt der Einwirkung äußerer Umstände auf indirektem Wege durch die „Reproduktiven Funktionen". Darwin hat dies offenbar für wichtiger gehalten als die Vererbung von Gewohnheiten oder anderer erworbener Eigentümlichkeiten.

Ein anderer besonders interessanter Punkt ist die Wichtig- keit, die mein Vater in den Skizzen von 1842 und 1844 auf Sprungvariationen („Sports"), d. h. das, was man jetzt als Mutationen bezeichnet, legte. Dieser Punkt ist meiner Ansicht nach in den Fundamenten stärker zur Geltung ge- bracht als in der ersten Auflage der Entstehung der Arten, und sicherlich stärker als in der 5. und 6. Auflage dieses Werkes.

Unter anderm darf als besonders bemerkenswert auch auf jene Stelle hingewiesen werden, wo mein Vater von der gün- stigen Wirkung der Kreuzung als „möglicherweise analog den günstigen Wirkungen eines Wechsels der Bedingungen" spricht — eine Ansicht, die er auf Grund seiner Experimente auch in seiner Kreuz- und Selbstbefruchtung von 1876 aufrecht erhielt.

Zum Schluß möchte ich den folgenden Herren meinen Dank aussprechen: Herrn Wallace für eine Anmerkung, die er mir gütig zur Verfügung gestellt, ferner Prof. Bateson, Sir W.Thiselton-Dyer, Dr. Gadow, Prof. Judd, Dr.Marr, Col.Prain und Dr. Stapf für Informationen der verschiedensten Art. Auch fühle ich mich Mr. Rutherford für seine sorgfältige Abschrift des Manuskripts von 1842 zu Dank verpflichtet.

Cambridge, 9. Juni 1009.

[page] DER ESSAY VON 1842

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arles Darwin Online

[page] ZEICHENERKLÄRUNG.

[] bedeutet, daß das betreffende Wort im Originalmanuskript aus- gestrichen war.

Q bedeutet, daß das betreffende Wort im Originalmanuskript ein- geklammert war.

( y bedeutet einen Zusatz des Herausgebers Francis Darwin.

Origin, Ed. I. bezieht sich stets auf die erste englische Auflage der „Entstehung der Arten" (Origin of Species), Ed. VI bezieht sich auf die sechste, populäre, englische Auflage (Populär Edition).

[page] I. TEIL.

§ i. (ÜBER VARIATION UNTER DOMESTIKATION UND ÜBER DIE PRINZIPIEN DER ZUCHTWAHL.)

Ein unter neue Bedingungen versetzter Organismus variiert [oft] zuweilen in geringem Grade und in ganz nebensäch- lichen Punkten, wie z. B. in Körpergröße, Fettansatz, Farbe bei Tieren, ferner in Bezug auf Gesundheit, Gewohnheiten und wahrscheinlich auch Disposition. Auch die Lebens- gewohnheiten helfen zur Entwicklung bestimmter Körper- teile. Nicht-Übung atrophiert. [Die meisten dieser schwachen Variationen tendieren, erblich zu werden.]

Wenn das Individuum sich während langer Zeiträume vegetativ vermehrt hat, ist die Variation zwar auch nur klein, doch größer, und gelegentlich trennt sich eine einzelne Knospe oder Individuum weit von seinem Typ (Beispiel)1) und fährt fort, beständig durch Knospung diese neue Art fortzupflanzen.

Wird der Organismus mehrere Generationen hindurch unter neuen oder wechselnden Bedingungen gezogen, so wird die Variation größer in Quantität und endlos in Qualität [gilt besonders dort,2) wo Individuen lange Zeit neuen Be- dingungen ausgesetzt waren]. Das Wesen der äußeren Be- dingungen tendiert, eine bestimmte Veränderung in den

i) Offenbar bedeutet dieses Wort, daß hier ein Beispiel eingeschaltet werden sollte.

2) Die Wichtigkeit, daß mehrere Generationen hintereinander neuen Bedingungen unterworfen sind, wird auch in Origin qf Species, Ed. I, S. 7 u. S. 131, betont An der letzteren Stelle verteidigte sich der Autor gegen die Auffassung, daß Variationen „vom Zufall veranlaßt" wären, und spricht von „unserer gänzlichen Unwissenheit bezügl. der Ursache jeder besonderen Abweichung". Diese Aussprüche sind von seinen Kritikern nicht immer beachtet worden.

[page] 26 Variation unter Domestikation und die Prinzipien der Zuchtwahl.

gesamten Nachkommen oder dem größeren Teil derselben zu erzeugen — wenig Nahrung geringe Größe — gewisse Nahrungsmittel unschädlich usw. usw. — Organe affiziert und Krankheiten — Ausdehnung unbekannt. Ein gewisser Grad von Variation (Müllers Zwillinge)1) scheint unvermeid- liche Wirkung des Fortpilanzungsvorgangs. Doch wichtiger ist, daß einfache (?) Fortpflanzung, besonders unter neuen Bedingungen [wo keine Kreuzung] unendliche Variation verursacht, aber nicht als direkte Wirkung der äußeren Bedingungen, sondern nur insoweit, als sie die reproduktiven Funktionen beeinflussen.2) Es scheint kein Körperteil zu existieren („beau ideal" einer Leber)3), weder äußerer noch innerer, noch Verstand, noch Gewohnheiten oder Instinkte, die nicht in einem geringen Grade und auch [oft] manchmal in bedeutendem Maße variieren.

All diese Variationen, sowohl die angeborenen als die sehr langsam erworbenen aller möglichen Arten, zeigen eine aus- gesprochene Tendenz, erblich zu werden; wenn dies nicht, werden sie eine bloße Varietät, wenn ja, eine Rasse. Jedes der Eltern überliefert seine Eigentümlichkeiten,4) und daher, wenn Varietäten gestattet wird, frei zu kreuzen, werden, wo nicht durch Zufall zwei Individuen mit denselben Eigen-

i) S. Origin, Ed. I, S. 10, Ed. VI, S. 9. „Junge Tiere desselben Wurfs unterscheiden sich zuweilen bedeutend voneinander, obgleich sowohl die Jungen wie die Eltern, wie Müller hervorgehoben hat, genau denselben Lebensbedingungen ausgesetzt waren.

2)  Eine parallele Stelle findet sich Origin, Ed. I, S. 8, wo es heißt, daß „die häufigste Ursache der Variabilität darin zu suchen sei, daß die männlichen und weiblichen reproduktiven Elemente schon vor dem Akte der Konzeption beeinflußt worden seien.

3)  Dies soll wohl bedeuten, daß es auch unter den Lebern Varietäten geben müsse, sonst würden die Anatomen nicht von dem „beau ide'al" einer Leber sprechen.

4)  Die Stellung des folgenden Passus ist unsicher. „Wenn Individuen von zwei sehr verschiedenen Varietäten zur Kreuzung gebracht werden, bildet sich eine dritte Rasse — eine sehr fruchtbare Quelle der Variation bei Haustieren." (In Origin, Ed. I, S. 20, sagt der Verfasser, daß „die Möglichkeit, durch Kreuzung ausgesprochene Rassen zu erzeugen, sehr

[page] Menschliche Zuchtwahl

27

tümlichkeiten sich verbinden, solche Varietäten fortwährend wieder zerstört.1) Alle getrenntgeschlechtlichen Tiere müssen sich kreuzen, hermaphroditische Pflanzen kreuzen sich, es erscheint sehr möglich, daß hermaphroditische Tiere sich kreuzen, — dadurch Schlußfolgerung verstärkt: schlechte Wirkungen der Inzucht, gute Wirkungen der Kreuzung wahrscheinlich analog der guten Wirkung des Wechsels in den Lebensbedingungen.2)

Wenn daher in irgendeinem Lande oder Gebiet alle Tiere ein und derselben Art zu freier Kreuzung gelangen, so wird bei ihnen einer schwachen Tendenz zum Variieren fort- dauernd entgegengewirkt werden. Zweitens Rückschlag in die elterliche Form — analog der vis medicatrix.3) Wo aber der Mensch Wahl ausübt, werden neue Rassen rapid geschaffen — in jüngsten Jahren systematisch betrieben — in ältesten Zeiten häufig praktisch ausgeübt.4) Durch solche Zuchtwahl

übertrieben worden ist".) „Wenn Kreuzung frei zugelassen, gehen die Charaktere reingezüchteter Eltern verloren, Anzahl der Rassen so (un- leserlich) aber Unterschiede (?) außer den (unleserlich). Wenn aber Varietäten, die in sehr geringem Grad verschieden sind, zur Kreuzung gebracht werden, werden diese kleinen Variationen gestört, wenigstens für unser Unterscheidungsvermögen — eine Variation, die z. B nur eben zu erkennen ist an langen Beinen, wird Nachkommen haben, die nicht so ausgezeichnet sind. Freie Kreuzung starker Faktor, um in einer Zucht Gleichförmigkeit zu erzeugen Hier einzufügen: Tendenz, auf die väter- liche Form zurückzuschlagen."

1)  Auf den verwischenden Effekt der Kreuzung wird auch in Origin, Ed. 1, S. 103, Ed. VI, S. 126 hingewiesen.

2)   Eine Diskussion über die Kreuzung von Hermaphroditen im Hinblick auf Knights Ansichten über dieses Thema findet sich in Origin, Ed. I, S. 96, Ed. VI, S. 119. Der Parallelismus zwischen Kreuzung und Wechsel der Bedingungen wird in Origin, Ed. I, S. 2G7, Ed. VI, S. 391, kurz berührt, in The Effects of Cross and Seif - Fertilisation in the Vegetable Kingdom, 187O, aber ausführlich untersucht.

3)  In Broughams Dissertations, 1839, von denen sich ein Exemplar in meines Vaters Bibliothek befand, findet sich ein Artikel über ,,vis medicatrix".

4)   Diese Einteilung der Selektion in methodische und unbewußte finden wir auch in Origin, Ed. I, S. 83, Ed. VI, S. 102.

[page] 28 Variation im Naturzustand u. die natürlichen Mittel der Zuchtwahl.

entstanden Rennpferd, Zugpferd — eine Kuh gut für Talg- gewinnung, eine andere zum Essen usw. — eine Pflanze ist nützlich wegen der Blätter, eine andere wegen der Früchte usw., eine dritte bietet mehrere verschiedene Produkte, je nach den Jahreszeiten. Auf ersterein Wege werden Tiere angepaßt durch direkte Wirkung einer Ursache, äußerer Bedingungen, wie z. B. Körpergröße auf Grund von Nah- rungsmenge. Auf dem zweiten Wege können sie auch ebenso angepaßt werden, aber außerdem noch an bestimmte Zwecke und Tätigkeiten, die unmöglich das Wachstum beeinflussen können, ebensowenig wie das Vorhandensein des Talg- ziehers das Wachstum von Talg zu verursachen vermag. Solche gezüchtete Rassen, wofern sie nicht neuen Bedin- gungen ausgesetzt und vor jeder Kreuzung bewahrt wurden, werden nach mehreren Generationen sehr beständig, die Individuen einander sehr ähnlich und nicht zur Variation neigend. Aber der Mensch züchtet nur (?), was nützlich oder interessant — hat schlechtes Urteil, ist launenhaft — beseitigt nur sehr ungern Exemplare, die sein Ideal nicht erreichen, entbehrt Fähigkeit [Kenntnisse] im Hinblick auf innere Variationen zu züchten — vermag schwer die Be- dingungen gleichförmig zu erhalten, — wählt zur Zucht nicht diejenigen, die am besten den Bedingungen angepaßt, unter denen die betreffende Form lebt, sondern die, welche ihm am nützlichsten sind. Dies könnte alles anders sein.

§ 2. <ÜBER VARIATIONEN IM NATURZUSTAND UND ÜBER DIE NATÜRLICHEN MITTEL DER ZUCHTWAHL.)

Sehen wir, wie weit sich obengenannte Prinzipien der Variation auf wilde Tiere anwenden lassen. Wilde Tiere variieren außerordentlich wenig — trotzdem kann man die Individuen voneinander unterscheiden. Bei britischen Pflanzen ist in vielen Gattungen die Zahl der Varietäten und Arten ganz unsicher; bei Muscheln meist äußere Bedingungen.1)

i) Origin, Ed. I, S. 133, Ed. VI, S. \.

[page] Natürliche Lebensbedingungen.                           Zq

Primel und Himmelschlüssel. Man kann bei wilden Tieren, die aus verschiedenen Ländern stammen, die Herkunft er- kennen. Einige Organe variieren in bezug auf ihren spezi- fischen Charakter. Variationen analog im Wesen, aber ge- ringer im Grad als bei Haustieren — betreffen meist äußere und weniger wichtige Körperteile.

Unsere Erfahrung läßt uns annehmen, daß ein jeder von diesen Organismen variieren würde, wenn er weggenommen und unter neue Bedingungen- versetzt würde. Die Geo- logie bekundet eine fortwährende Kette von Wechseln, die durch jede erdenkliche Änderung des Klimas und Unter- gang früherer Bewohner unbegrenzte Variationen neuer Bedingungen ins Leben rufen. Diese gewöhnlich sehr lang- sam, jedoch zweifelhaft, inwieweit die Langsamkeit <?> eine Tendenz zu variieren erzeugen würde. Doch bezeugen Geologen Änderungen in der Konfiguration, die zusammen mit Ereignissen in Luft und Wasser und den Fortbewegungs- mitteln, die jedes lebende Wesen besitzt, gelegentlich, und zwar ziemlich plötzlich, einen Organismus unter neue Be- dingungen versetzen und ihn denselben einige Generationen lang aussetzen können. Daher können wir annehmen, daß hie und da eine wilde Form variiert1); möglicherweise ist dies auch der Grund, warum manche Arten mehr als andere variieren.

Je nach dem Wesen der neuen Bedingungen müßten wir erwarten, daß alte oder doch die meisten inmitten derselben geborenen Organismen nach einer bestimmten Seite hin variieren würden. Ferner müßten wir erwarten, daß die Form, in die sie gegossen, gleichfalls in geringem Grade variieren müsse. Gibt es jedoch Mittel, jene Nachkommen auszuwählen, die in derselben Weise variieren, sie zu kreuzen und ihre

i) Als der Verfasser diese Skizze schrieb, scheint er von dem allgemein verbreiteten Auftreten von Variationen im Naturzustand noch nicht so über- zeugt gewesen sein, wie er es später wurde. Der obige Passus im Text scheint darauf hinzuweisen, daß er zu jener Zeit mehr Wert auf „sports" oder „Mutationen" legte, als später der Fall war.

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[page] 30 Variation tm Naturzustand u. die natürlichen Mittel der Zuchtwahl

Nachkommen abzuschließen und auf diese Weise ausgewählte Rassen zu erzeugen: denn sonst, indem wilde Tiere sich frei kreuzen, müßten kleine heterogene Varietäten fortwährend gegenseitig aufgewogen werden und verloren gehen und so eine Einförmigkeit der Charaktere erhalten werden. Die erwähnte Variation ist zu betrachten als die direkte und not- wendige Folge von Ursachen, die wir in ihrer Wirkung be- obachten können, so z. B. Körpergröße auf Grund von Nah- rungsmenge, Wirkung bestimmter Arten von Nahrung auf bestimmte Teile des Körpers usw. usw., solche neue Varietäten dürften sich sodann den äußeren [natürlichen] Faktoren anpassen, die auf sie einwirken. Können jedoch Varietäten erzeugt werden, angepaßt einem Zwecke, der unmöglich ihre Struktur beeinflussen kann, den aber andrerseits als Wirkung des Zufalls anzusehen unsinnig wäre? Können Variationen, sowie einige Rassen domestizierter Tiere, wie fast alle wilden Arten, erzeugt werden, versehen mit Anpassungen, mit wunder- vollen Fähigkeiten auf irgendein Tier Jagd zu machen oder irgendeinem andern Tier zu entfliehen — oder vielmehr, indem hier die Wirkungen von Intelligenz und Gewohnheit außer Frage gestellt werden: Kann eine Pflanze an Tiere angepaßt werden, wie z. B. eine Pflanze, die nicht ohne Vermittlung von Insekten befruchtet werden kann; oder mit Haken versehene Samen, die von der Existenz von Tieren abhängig sind? Wollige Tiere können ja doch keine direkte Einwirkung auf die Samen von Pflanzen haben! Dieser Punkt, den alle Theorien über die anpassende Wirkung des Klimas auf den Specht und sein Hinaufrennen an den

Bäumen1) <unleserlich>, Mistel---------<unvollendeter Satz).

Gesetzt jedoch, daß jeder Teil einer Pflanze oder eines

l) Der Verfasser kann möglicherweise das Beispiel mit dem Specht aus Buffon, Histoire Nat. des Oiseaux, T. VII, S. 3, 1780, genommen haben, wo der Fall indessen von einem anderen Gesichtspunkte betrachtet ist. Er führt dies Beispiel mehr als ein Mal an, so z.B. Origin, Ed. I, S. 3. 60, 184. Der obige Passus korrespondiert mit einer Betrachtung über Specht und Mistel in Origin, Ed. I, S. 3.

[page] Möglichkeiten der Zuchtwahl.                            \\

Tieres variieren würde, und gesetzt, daß ein den Menschen an Intelligenz weit übertreffendes Wesen (nicht aber ein allwissender Schöpfer) durch Tausende und Abertausende von Jahren alle diejenigen Variationen auswählen würde, die auf bestimmte Zwecke hinzielten [oder Ursachen er- zeugten, die auf denselben Zweck hinzielen], so z. B. wenn es voraussähe, daß ein zur Gattung der Hunde gehöriges Tier besser daransein würde, wenn es — in einem an Hasen reicheren Land — längere Beine und ein schärferes Auge hätte —, so würde es den Windhund erzeugen.1) Wenn es ferner sähe, daß Wassertiere Haut zwischen den Zehen benötigten. Oder wenn aus irgendeinem unbekannten Grunde jenes Wesen fände, daß es einer Pflanze nützen würde, die wie die meisten Pflanzen gelegentlich von Bienen besucht wird usw., wenn die Samen dieser Pflanze von Vögeln gefressen und dann auf morsche Bäume getragen würden, so könnte es Bäume mit Früchten wählen, die für die darauf verweilenden Vögel noch schmackhafter wären, damit sicher jener Samen auf diese Bäume getragen würde; wenn es bemerken würde, daß jene Vögel die Samen häufiger fallen ließen, so könnte es recht gut einen Vogel ausgewählt haben, der morsche Bäume bevorzugte oder allmählich Pflanzen ausgelesen haben, von denen es in Erfahrung gebracht hätte, daß sie am besten auf mehr oder weniger morschen Bäumen gedeihen. Wer, der beobachtet, wie Pflanzen in einem Garten variieren, was also der blinde, törichte Mensch in einigen wenigen Jahren fertig gebracht, wird ableugnen, was ein alles sehendes Wesen in Tausenden von Jahren bewirken könnte (wenn der Schöpfer2) die Absicht gehabt hätte, dies zu tun), entweder durch seine eigene direkte Voraussicht, oder auf mittelbarem Wege. — Dies scheint der gewöhnliche Weg zu sein. Wohl- verstanden, ich sage hier nichts über Leben und Seele und die Abstammung aller Formen von einem gemeinsamen

i) Dieses Beispiel findet sich auchin Ör/'«,Ed.I,S. 90,91, Ed.VI.S.i 10,1 u. 2) Siehe Origin, S. 83, Ed. VI, S. 102, wo das Wort „Schöpfer" durch „Natur" ersetzt ist.

[page] 5 2 Variation im Naturzustand u. die natürlichen Mittel der Zuchtwahl.

Typus.1) Ich spreche nur über die Variationen der be- stehenden großen Gruppen des Reiches der Organismen; wie weit ich zu gehen denke, wird später klar werden.

Bevor erwogen wird, ob es natürliche Mittel der Selektion gibt und zweitens — (und dies bildet den zweiten Teil dieser Skizze) der weit wichtigere Punkt, ob die Charaktere und Beziehungen der lebenden Wesen derartig sind, daß die Idee gerechtfertigt erscheint, daß wilde Arten aus ein und dem- selben Stamme hervorgegangene Rassen sind, und so wie die Varietäten der Kartoffeln oder Dahlien oder des Rindviehs ent- standen, betrachten wir einmal den mutmaßlichen Charakter der [ausgewählten Rassen] wilden Varietäten.

Natürliche Zuchtwahl. De Candolles Krieg in der Natur könnte — sieht man das zufriedene Aussehen der Natur — zunächst angezweifelt werden; wir beobachten ihn an den Grenzen der ewigen Kälte.2) Bedenkt man aber die enorme geometrische Vermehrungskraft jedes Organismus und daß jedes Land unter gewöhnlichen Umständen bis zur höchsten Möglichkeit mit Organismen besetzt sein würde, so sieht man, daß er vorhanden sein muß. Malthus bezüglich des Menschen — bei Tieren keine moralische Hemmung <?> — sie erzeugen Nachkommen in dem Teil des Jahres, wo Vor- räte am üppigsten oder Jahreszeit am günstigsten, — jedes Land hat seine besonderen Jahreszeiten —, Rotkehlchen ausrechnen, — schwanken je nach Jahren der Vertilgung.3) Brauchte es noch Beweise, so setze man irgendeinen be-

1)  Im Original folgende Anmerkung „Gute Stelle, um einzuschalten, auf Grund von später zu gebenden Beweisen, wie weit ich meine Theorie ausdehnen will; je weiter — sagen wir auf die gesamten Säugetiere — desto dünner und dünner werden die Beweise."

2)  Siehe Origin, Ed. I, S. 62, 63, Ed. VI, S. 77, wo in ähnlicher Weise auf De Candolle verwiesen wird; bezüglich Malthus s. Origin, S. 5-

3)  Dies dürfte sich auf den Grad der vor sich gehenden Ausrottung beziehen, s. Origin, Ed. I, S. 68, Ed. VI, S. 84, wo sich eine Schätzung späteren Datums über die Sterblichkeit der Vögel findet. „Rotkehlchen ausrechnen" bezieht sich wahrscheinlich auf eine Berechnung der Zunahme

dieser Vögel unter günstigen Lebensumständen.

[page] Natürliche Zuchtwahl*                                   -* 7

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sonderen Wechsel des Klimas bei uns <?> voraus, und wie er- staunlich würden einige Stämme zunehmen, auch eingeführte Tiere1) — das Nachdrängen ist stets vorhanden — Fähigkeit alpiner Pflanzen, andere Klimate zu ertragen — man denke an unzählige Samen, die umhergestreut werden — Wälder gewinnen ihren alten Prozentsatz zurück2) — Tausende von Keilen3) werden in den Haushalt der Natur hineingetrieben. Dies alles erfordert viel Nachdenken; Malthus studieren und die Vermehrungsstatistik nachrechnen, die periodischen Widerstände in Betracht ziehen. —

Die unvermeidliche Wirkung dieser Sache ist, daß viele Individuen jeder Spezies zerstört werden, entweder im Ei oder als Junge oder als Erwachsene, am häufigsten aber im ersten Zustand. Im Lauf von iooo Generationen ist es unumgänglich, daß infinitesimale Unterschiede sich be- merkbar machen*); wenn ungewöhnlich kalter Winter oder heißer oder trockner Sommer eintritt, dann wird bei der gesamten Gemeinschaft der Individuen irgendeiner Art, falls die kleinsten Verschiedenheiten in Bau, Gewohnheiten, Instinkten [Sinnen], Gesundheit usw. vorhanden, dies sich geltend machen; je nachdem sich die Bedingungen ändern, wird ein einigermaßen größerer Bruchteil erhalten bleiben; so z. B. wenn die stärkste Hemmung der Vermehrung

1)  In Origin, Ed. I., S. 64, 65, Ed. VI., S. 80 führt der Verfasser Rinder und Pferde und gewisse Pflanzen in Südamerika und amerikanische Pflanzenspezies in Indien an und ferner als unerwartete Folgen ver- änderter Bedingungen das Einzäunen eines Stücks Heideland und die Beziehungen zwischen Befruchtung des Klees u. Vorhandensein von Katzen

Origin, Ed I., S. 74, Ed. VI., S. 91).

2)  Origin, Ed. L, S. 74, Ed. VI., S. 91. „Man hat beobachtet, daß die Bäume, die jetzt auf ... alten indischen Grabmälern wachsen — dieselbe schöne Mannigfaltigkeit, dasselbe Verhältnis der Arten aufweisen, wie in den umliegenden Urwäldern."

3)  Das Gleichnis von den Keilen findet sich auch in Origin, Ed. I.,

S 67.

4)  In einem flüchtigen Resümee am Schlüsse der Skizze finden sich die

Worte „Jedes Geschöpf existiert dank einem Kampfe, jedes Körnchen auf der Wage macht sich geltend."

F. D a r w 1 n. Fundamente *ur l'Mtstchung der Arte».                                       J

[page] .. Variation im Natursustand und die natürlichen Mittel der Zuchtwahl.

die Samen oder Eier trifft, so werden im Laufe von IOOO Generationen oder 10,000 jene Samen (wie z. B. solche, die mit Daunen zum Fliegen versehen sind)1), die am weitesten fliegen konnten und sich also entsprechend zerstreuten, schließlich am meisten Pflanzen erzeugen. Auch tendieren jene kleinsten Unterschiede, sich zu ver- erben, ahnlich den Schattierungen des Ausdrucks im Ge- sicht des Menschen. So, wenn irgendein elterlicher Fisch seine Eier unter infinitesimal verschiedenen Umständen ablegt, wie z. ß. in seichteres oder tieferes Wasser usw., wird sich das geltend machen.

Angenommen, die Vermehrung der Hasen-) nähme ab, indem Veränderung des Klimas bestimmte Pflanzen affi- zierte, und auch die wilden Kaninchen gingen in dem- selben Verhältnis zurück, so würde dies gleichzeitig zur Abnahme irgendeines hundeartigen Tieres führen, das bis dahin seinen 1 lauptunterhalt aus der Jagd auf Kaninchen oder dem Aufspüren derselben mittels Geruchs gezogen hatte, und dies könnte schließlich dessen Untergang veranlassen. Variierten jedoch die Formen dieser Munde auch nur ein wenig, so würden, indem durch IOOO Jahre hindurch die langbeinigen, schnellen erhalten blieben und die langsameren radikal vernichtet würden, ihre Formen, falls kein Natur- gesetz dies hinderte, sich ändern.

Man erinnere sich, wie rasch es Bakewell nach diesem Prin- zip gelang, Rinder, und Western gelang, Schafe abzuändern, indem sie vorsichtig eine Kreuzung mit andern Zuchten vermieden. Wir können nicht annehmen, daß eine Pflanze tendiert, lediglich in beziig auf ihre Frucht, eine andere lediglich in bezug auf ihre Blüte, und wieder eine andere lediglich in bezug auf Blüte und Blatt, zu variieren manche sind sowohl der Früchte wie der Blüten halber zur Auslese gelangt: daß ein Tier in seiner Hautbedeckung variiere und ein anderes nicht, — und wieder ein anderes

1)  Vgl Origin, Ed. I., S. 77. Ed. VI., S. 94.                                      j

2)  Dies ist eine Wiederholung des auf S. 32 Gesagten.

[page] Natürliche Zuchtwahl.

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in der Milch. Nimm irgendeinen Organismus und frage dich, in welchem Punkte sein Nutzen besteht, so wird es sich finden, daß dies auch der Punkt ist, in dem er variieren wird: Kohl in seinen Blättern — Korn in Größe und Qualität der Körner, beide in dem Zeitpunkte ihrer Reife — welsche Bohnen in ihren Schoten und Baumwolle in den Samenhüllen usw. usw.; Hunde in Intelligenz, Schnel- ligkeit und Geruchssinn — Tauben in Eigentümlichkeiten, die an Monstrositäten grenzen. Alles dies bedarf der Über- legung— es müßte in das erste Kapitel aufgenommen werden, falls es Stich hält, was meiner Meinung nach der Fall. Es ist jedoch im besten Fall Hypothese.1)

Im Naturzustand ist Variation viel geringer, die Auslese dagegen viel erbarmungsloser und strenger prüfend. Die vom Menschen erzeugten Rassen nicht nur nicht besser den Be- dingungen angepaßt als andere Rassen, sondern häutig irgendeine Rasse ihren Bedingungen direkt nicht angepaßt, da z. B., wo der Mensch Alpenpflanzen in einem Garten kul- tiviert. Natur läßt ein Tier existieren, bis sich tatsächlich herausstellt, daß es schlechter imstande ist, die erforderliche Leistung für das erwünschte Ziel zu erfüllen; der Mensch urteilt allein nach seinem Auge, ohne zu wissen, ob Nerven, Muskeln, Arterien im Verhältnis zur Veränderung der äußeren Gestalt mit fortentwickelt werden.

Außer der Auslese durch Tod gibt es bei getrenntgeschlecht- lichen Tieren die Auslese in der Zeit der vollsten Kraft, nämlich durch den Kampf der männlichen Individuen; selbst bei Tieren, die paarweise leben, scheint ein Über- schuß und ein Kampf vorzuliegen; möglicherweise wie beim Menschen mehr Männchen als Weibchen erzeugt, Wett-

i) Vgl. Origin, Ed. 1., S. 4». Ed. VI., S. 47. „Ich habe die in allem Ernst gemachte Bemerkung gehört, wie günstig es sei, daß die Erdbeere gerade damals begonnen habe zu variieren, als die Gärtner begannen, ihr Beachtung zu schenken. Doch haben ohne Zweifel die Erdbeeren von Beginn ihrer Kultivierung an variiert, nur daß die leichten Varietäten früher keine Beachtung fanden."

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[page] 36 Variation im Naturzustana und die natürlichen Mittet der Zuchtwahl

streit durch Kampf oder Reize.1) Daher wird dasjenige Männchen, das zu jener Zeit in vollster Kraft steht, oder am besten mit Waffen oder dem Schmucke seiner Art ausgerüstet ist, in hundert Generationen einen kleinen Vorteil gewinnen und dieselben Eigenschaften seinen Nachkommen weiter übermitteln. Und ebenso wird auch unter den zu den Brut* geschäften berufenen Weibchen das kräftigste, geschickteste und fleißigste, dessen Instinkte am höchsten entwickelt sind, mehr Junge aufziehen, die möglicherweise die guten Eigenschaften der Mutter besitzen, und dadurch wird eine größere Anzahl für den Kampf der Natur vorbereitet sein. Vergleiche mit dem menschlichen Züchter, der bloß Männchen von gutem Stamm benützt. Diese letztere Gruppe von Fällen findet nur beschränkte Anwendung, bezieht sich bloß auf Variation spezifischer Sexualcharaktere. Hier einzufügen: Gegensatz zu Lamarck, — Absurdität, daß Gewohnheit oder Zufall?? oder äußere Bedingungen einen Specht einem Baum anzupassen vermögen.2)

Vor Betrachtung der Schwierigkeiten der Selektions- theorie wäre zu untersuchen der Charakter der von der Natur, wie soeben angegeben, erzeugten Rassen. Lebensbedingungen haben sich langsam verändert, und die während ihres ge- samten Lebenslaufs den veränderten Bedingungen am besten angepaßten Organismen sind stets zur Auslese gekommen, — der Mensch dagegen bestimmt einen kleinen Hund zur Auslese und gibt ihm dann sehr reichliche Nahrung, — wählt einen Stamm mit langem Rücken und kurzen Beinen und gibt ihm keine Gelegenheit, die entsprechende Funktion

i) Hier haben wir bereits die beiden Typen der sexuellen Auslese. wie sie in Origin, Ed. I, S. 88 u. f. u. Ed. VI., S. 108 diskutiert werden.

2) Es ist nicht verständlich, warum der Verfasser sich dagegen wehrt, daß „Zufall" oder „äußere Bedingungen" einen Specht formen sollen. Gibt er doch zu, daß Variation im letzten Grunde auf Lebensbedingungen zurückzuführen ist, und daß das Wesen des Zusammenhangs unbekannt, mit anderen Worten, daß das Resultat ein zufälliges ist. Es erhellt somit nicht, auf wie viel von diesem Passus des Originals sich das

[page] Unfruchlba rkeit.

37

auszubilden usw. usw. In gewöhnlichen Fällen gestattet die Natur nicht, daß eine ihrer Rassen verunreinigt wird durch Kreuzung mit einer anderen Rasse (wogegen Landwirte wissen, wie schwierig es für sie bei ihren Rassen ist, dasselbe zu verhindern); dies äußert sich im Reinbleiben der Arten. Schwierigkeit der Kreuzung und Unfruchtbarkeit nach ge- glückter Kreuzung einerseits und im allgemeinen eine größere Anzahl von Verschiedenheiten andrerseits sind die beiden Hauptzüge, durch die sich natürliche Arten von domesti- zierten Rassen unterscheiden.

[Daß Unfruchtbarkeit nicht durchgehend ist, wird von allen zugegeben. Gladiolus, Crinum, Calceolaria1) müssen Spezies sein, wenn es überhaupt so etwas gibt; Rassen von Hunden und Rindern. Aber sicher ist sie sehr verbreitet; in der Tat ist eine alle Grade zeigende Abstufung der Un- fruchtbarkeit sehr verbreitet.2) Einige ganz nahe verwandte Arten wollen sich nicht kreuzen lassen (Crocus, einige Heide- arten?), einige Gattungen dagegen kreuzen sich ohne weiteres (Haushühner mit Wildhühnern3), Pfauen usw.). Bastarde keineswegs monströs, ganz vollkommen, ausgenommen Se-

i) Siehe „Variation under Domestication", Ed. 2, I, S. 388, wo die (iartenformen von Gladiolus und Calceolaria auf Kreuzungen zwischen gesonderten Arten zurückgeführt werden. Herberts hybride Crinum werden in Origin, Ed I, S. 250 besprochen. Es ist allgemein bekannt, daß der Verfasser die domestizierten Hunde aus verschiedenen Arten

herleitete.

2)  Das Argument, betreffend Abstufung in Unfruchtbarkeit, findet sich in Origin, Ed. I, S. 248, 255, Ed. VI, S. 368, 375- Doch habe ich in Origin die angeführten Beispiele (Krokus, Heide, Schneehuhn, Haushuhn und Pfau) nicht gefunden. Bezüglich Unfruchtbarkeit zwischen nahe verwandten Arten s. Ongin, Ed. I, S. 257. In der vorliegenden Skizze unterscheidet mein Vater nicht zwischen Unfruchtbarkeit unter Spezies und Unfruchtbarkeit der hybriden Nachkommen, ein Punkt, den er in Origin, Ed. I, S. 245, Ed. VI, S. 363 ausdrücklich betont.

3)  Ackermann (Ber. d Vereins f. Naturkunde zu Kassel 1898, S. 23) zitiert nach Gloger, daß zwischen einem Haushuhn und einem Birkhuhn eine Kreuzung erzielt wurde; das erzielte Produkt starb am dritten

Tage.

[page] 38 Variation im Naturzustand und die natürlichen Mittel det Zuchtwahl.

kretionen1); hat sich doch sogar der Maulesel fortgepflanzt; — die Eigenschaft der Unfruchtbarkeit, besonders vor einigen Jahren (?) hier für viel allgemeiner angesehen als sie wirklich ist, wurde für den entscheidenden Charakterzug gehalten; es ist ja auch offenbar, daß, falls alle Geschöpfe sich frei kreuzten, die Natur zum Chaos werden müßte. Doch gerade die Abstufung jener Eigenschaft, selbst wenn sie immer in gewissem Grade vorhanden war, was nicht der Fall, macht es unmöglich, jene deutlich . . . als Arten . . .2).] Wird durch Analogien Licht auf die Tatsache geworfen werden können, daß vermeintliche natürliche Rassen unter sich unfruchtbar sind, während dies bei keinen domestizierten der Fall ist? Herbert und Koelreuter haben gezeigt, daß äußere Unterschiede uns keinen Aufschluß darüber geben, "ob Bastarde fruchtbar sein werden oder nicht; der Hauptumstand dabei besteht in konstitutionellen Verschiedenheiten3), so z. B. die Anpassung an verschiedenes Klima, verschiedene Bodenart; solche Verschiedenheiten umfassen wahrscheinlich den ganzen Kör- per eines Organismus und nicht nur irgendeinen Körperteil. Nun vermehren sich wilde Tiere, die ihren natürlichen Lebensbedingungen entzogen werden, nur selten. Ich beziehe mich hier nicht auf Menagerien oder Zoologische Gärten, wo viele Tiere kopulieren, aber keine Junge zeugen, und andere nie kopulieren, sondern auf wilde Tiere, die gefangen wurden und sich danach in ganz gezähmtem Zustande um die Häuser herum in Freiheit bewegten und gut gefüttert ein langes Leben

i) Zweifellos sind hier die Scxualzellen gemeint. Ich weiß nicht, auf welches Zeugnis sich die Behauptung stützt, daß Maulesel sich fort- gepflanzt hätten.

z) Dieser Satz ist fast ganz unleserlich. Ich glaube, der Verfasser wollte darin sagen, daß Formen, die gewöhnlich als Varietäten angesprochen werden, früher als Spezies betrachtet wurden, wenn man fand, daß ihre Kreuzung unfruchtbar blieb. Vgl. den Kall der roten und blauen Anagallis. der aus Gärtner in Origin, Ed I, S z\j. Ed. VI., S. 368 zitiert wird

3vi In Origin, Ed. I, S. 258, wo mein Vater auch diese konstitutionellen

Unterschiede erwähnt, schreibt er dieselben dem reproduktiven System

ausschließlich zu.

[page] Unfruchtbarkeit bei Domestikation,

39

hindurch aufhielten. Kreuzung erfolgte unter diesen Umstän- den fast ebensoleicht wie Reinzucht. St. Hilaire macht starke Unterscheidung zwischen zahm und domestiziert. — Ele- fanten — Frettchen. Reproduktive Organe in Zoologischen Gärten sind keinen Krankheiten unterworfen.1) Anatomische Untersuchung und Mikroskop zeigen, daß Bastarde zwischen den Paarungszeiten sich in genau demselben Zustand be- finden wie andere Tiere, oder wie die Tiere, welche in wildem Zustand eingefangen und nicht domestiziert ihr ganzes Leben verbringen, ohne Nachkommen zu zeugen. Hier muß bemerkt werden, daß Domestikation weit entfernt davon ist, ungünstig zu wirken, daß sie vielmehr fruchtbarer macht: [wenn ein Tier domestiziert ist und sich fortpflanzt, so wird produktive Kraft verstärkt durch reichlichere Kost und die Wahl fruchtbarer Rassen.] Soweit es sich um Tiere han- delt, könnte auch an Einwirkung auf ihre Psyche und an individuelle Eigentümlichkeiten gedacht werden.

Wenden wir uns den Pflanzen zu, so finden wir dieselben Gruppen von Tatsachen. Ich denke nicht an das Nichtreifen von Samen, was vielleicht der gewöhnlichste Fall, sondern an das Unterbleiben des Fruchtansatzes, das auf eine Unvoll- kommenheit entweder der Ovulae oder des Pollens zurück- zuführen ist. Lindley sagt, Unfruchtbarkeit sei der Fluch aller Pflanzenzüchter — Linne über alpine Pflanzen, ameri- kanische Sumpfpflanzen — Pollen in genau demselben Zu- stand wie bei Bastarden — dasselbe bei Geranien. Persischer und chinesischer Flieder2) will in Italien und England nicht Samen ansetzen. Wahrscheinlich schulden gefüllte Pflanzen

1)  Die Empfindlichkeit des reproduktiven Systems gegen veränderte Bedingungen wird in Origin, Ed. I, S. 8, Ed. VI., S. 10 stark betont.

Das Frettchen wird in seiner Eigenschaft als ein in der Gefangenschaft fruchtbares Tier in Variation under Domestkation, Ed. 2, 11, S. 90 erwähnt.

2)  Lindleys Bemerkung wird in Origin, Ed. I, S. 9 zitiert. Linnes Bemerkung geht dahin, daß alpine Pflanzen tendieren im Kulturzustand unfruchtbar zu werden (s. Variation under Domestkation, Ed. 2, II, S. 147). An derselben Stelle spricht der Verfasser davon, daß torfliebende Pflanzen in unseren Gärten unfruchtbar werden — zweifellos denkt er dabei an

[page] 40 Variation im Naturzustand und die natürlichen Mittel der Zuchtwahl.

und alle Obstarten die starke Entwicklung gewisser Teile

in erster Linie der Unfruchtbarkeit und der Extrazufuhr

von Nahrung, die diesen Teilen infolgedessen zuteil wird.1)

Wir sehen auch hier Abstufungen der Unfruchtbarkeit,

und es werden dann Pfianzenteile, ähnlich wie Krankheiten,

durch Vererbung weitergegeben. Wir können keinen Grund

angeben, warum die pontische Azalee viel Pollen produziert,

die amerikanische aber nicht3), warum der gewöhnliche

Flieder Samen erzeugt und nicht der persische, wir sehen

an ihnen keinen Unterschied bezüglich ihrer Gesundheit.

Wir wissen nicht, auf welchen Umständen diese Tatsachen

basieren, warum das Frettchen und das Cheetah sich in der

Gefangenschaft fortpflanzen, warum Elefant und Schwein

in Indien dies nicht tun.3)

Nun ist es bei Kreuzungen gewiß, daß jede Eigentümlich- keit der Form und Konstitution vererbt wird: eine alpine Pflanze vererbt ihre alpinen Neigungen ihren Nachkommen, eine amerikanische Pflanze ihre amerikanische Sumpfkon- stitution, und bei Tieren vererben sich diejenigen Eigentüm- lichkeiten, aus denen sie, wenn ihren natürlichen Lebens- bedingungen entrückt, unfähig zur Zeugung werden4); und außerdem vererben sie jeden Teil ihrer Konstitution, ihre

die oben erwähnten amerikanischen Sumpfpflanzen. Auf der nach- folgenden Seite jenes Werkes (S. 148} kommt er ebenfalls auf die Un- fruchtbarkeit des Flieders (Syringa persica und chinensis) zurück.

1)  Der Verfasser meint hier wahrscheinlich, daß die Vermehrung der Blumenblätter ein Resultat der vermehrten Nahrungszufuhr sei, die ihnen infolge ihrer Unfruchtbarkeit zufiel. S. die Diskussion in Var. ander Dom., Ed. 2, II, S. 151. Doch muß bemerkt werden, daß gefüllte Blüten auch ohne bemerkbare Unfruchtbarkeit vorkommen.

2)  Diesem Beispiele bin ich in den Werken von Ch. Darwin nirgends wieder begegnet.

3)  Bezüglich des etwas zweifelhaften Falles des Cheetah (Felis jubata) vgl. Var. underDom., Ed. 2, II, S. 133. Aufweiche Tatsache sich „Schwein in Indien" bezieht, ist mir unbekannt.

4)  Dieser Satz sollte besser lauten, „auf denen ihre Unfähigkeit, unter unnaturgemäßen Lebensbedingungen Nachkommen zu erzeugen,

[page] Unfruchtbarkeit bei Domestikation.                          41

Atmung, ihren Puls, ihren Instinkt; diese werden plötzlich alle umgewandelt; ist es da ein Wunder, daß sie unfähig sind, Nachkommen zu erzeugen? Ich glaube, man könnte sogar sagen, es wäre wunderbarer, wenn sie welche erzeugten. Nun könnte man aber fragen, warum die anerkannten und, wie wir annehmen, durch den Menschen erzielten Varietäten sich nicht der Vermehrung enthalten. Variation ist abhängig vom Wechsel der Lebensbedingungen und von Auslese1), soweit wie nun eben des Menschen systematische oder un- systematische Auslese gegangen sein mag; der Mensch richtet sich nach der äußeren Form, hat, dank Unwissenheit, wenig Gewalt über innere, nicht äußerlich sichtbare kon- stitutionelle Unterschiede. Rassen, die seit lange domestiziert sind und stark variiert haben, pflegen gerade solche zu sein, die fähig waren, große Veränderungen durchzumachen und deren Konstitution einer Mannigfaltigkeit von Klimaten an- gepaßt war. Natur verwandelt langsam und allmählich. Gemäß vielen Autoren sind die verschiedenen Hunderassen ein weiteres Beispiel freier Kreuzungen zwischen modi- fizierten Arten. Es gibt keine Varietät, die seit Tausenden von Jahren an diesen bestimmten Boden oder diese bestimmte Situation, eine andere, die an jenen Boden, an jene Situation angepaßt wäre, und bis eine solche Varietät einmal erzeugt ist, ist die Frage noch nicht entschieden.2)

Der Mensch konnte in vergangenen Epochen nach ver- schiedenen Klimaten hin Tiere und Pflanzen transportieren,

1)  Mein Vater denkt hier zweifellos an die Veränderung, die durch eine Summierung von Variationen mittels Auslese erzielt wird.

2)  Der Sinn dieses Satzes wird erklärt durch eine Stelle in dem Manu- skript von 1844. „Bevor der Mensch nicht zwei Varietäten von demselben Stamm ausgewählt haben, und sie an zwei verschiedene Klimate oder zwei verschiedene äußere Umgebungen angepaßt und sie während tausend oder mehreren Tausenden von Jahren streng darauf beschränkt haben und stets die hierfür bestgeeigneten Individuen immer wieder ausgelesen haben wird, kann überhaupt nicht von dem Ansatz zu einem Experiment die Rede sein", d.h. also von einem Versuch, untereinander unfruchtbare Rassen zu züchten.

[page] 42 Variation im Naturaustand und die natürlichen Mittel der Zuchtwahl.

die sich in diesen neuen Klimaten frei vermehrten. Die Natur konnte, durch Auslese, solche Veränderungen langsam be- werkstelligen, so daß eben diejenigen Tiere, die geeignet waren, große Veränderungen zu erfahren, diversen Rassen zum Ausgangspunkt gedient haben, — übrigens große Zweifel über diesen Punkt.1)

Vor Verlassen dieses Themas klar darauf hinzudeuten, daß ein gewisser Grad von Variation die Konsequenz des einfachen Reproduktionsaktes ist, sowohl bei vegetativer als auch bei geschlechtlicher Reproduktion, — wie dieser un- geheuer zunimmt, wo Eltern mehrere Generationen hindurch neuen Bedingungen ausgesetzt waren,2) und wie wir jetzt finden, daß viele Tiere, wenn sie zum ersten Male sehr neu- artigen Lebensbedingungen ausgesetzt werden, ebenso unfähig sind, Nachkommen zu erzeugen, wie dies bei Bastarden der Fall. Dieselben Erwägungen auch anzuwenden auf die Annahme, daß bei Kreuzungen Tiere, falls nicht überhaupt unfrucht- bar wie Bastarde, dazu tendieren, stark zu variieren, was auch dort der Fall zu sein scheint, wo richtige Bastarde gerade noch genug Fruchtbarkeit besitzen, um einige Gene- rationen hindurch mit Abkömmlingen der elterlichen Rasse und untereinander Junge zu erzeugen. Dies ist die Ansicht von Koelreuter. Diese Tatsachen beleuchten und stützen sich gegenseitig, wir sehen durchweg einen Zusammenhang zwischen den reproduktiven Fähigkeiten und dem Einfluß

i) Diese Stelle ist gewissermaßen die Wiederholung einer früheren und könnte als Ersatz derselben gedacht gewesen sein Ich habe es für richtiger gehalten, beide wiederzugeben. In Origitt, Ed. I, S. 141, Ed. VI, S. 176 spricht Ch. Darwin sich dahin aus, daß die Kraft, verschieden artigen Lebensbedingungen zu trotzen, wie man sie beim Menschen und seinen Haustieren findet, der Beweis einer „sehr verbreiteten Elastizität der Konstitution" sei.

2) In Origin, Ed. I, Kap. I u. V nennt der Verfasser die bloße Reproduktion (ohne veränderte Lebensbedingungen) nicht als Ur- sache zur Variation. Bezüglich der steigernden Wirkung neuer Lebens- bedingungen finden sich in Origin, Ed. I viele Stellen, so z B. S. 7

und 12, Ed. VI, S. 8, 14.

[page] Schwierigkeiten einer Selektionstheorie.                     43

veränderter Lebensbedingungen, wie dies sowohl bei der Kreuzung als auch bei der Aussetzung der Individuen unter veränderten Bedingungen zutage tritt.1)

SCHWIERIGKEITEN EINER SELEKTIONSTHEORIE.*)

Es kann eingewendet werden, daß derartig vollkommene Organe wie Auge und Ohr nie auf diese Weise gebildet werden konnten. In bezug auf das Ohr sind die Schwierigkeiten geringer, indem wir hier vollkommenere Abstufungen haben. Erscheint im ersten Augenblick unglaublich, und bis zuletzt ergeben sich Schwierigkeiten. Man denke jedoch an die Ab- stufungen, die auch jetzt noch manifest (Tibia und Fibula). Jeder wird zugeben, daß, wenn alle Fossilien erhalten wären, Abstufungen noch unendlich viel vollkommener zu beobachten sein würden; für Möglichkeit einer Auslese bedarf es voll- kommener (?) Abstufung. Verschiedene Gruppen von Struktur, leichte Abstufung innerhalb jeder Gruppe — Analogien machen es durchaus wahrscheinlich, daß Zwischenformen existiert haben. Man erinnere sich, was für sonderbare Metamorphosen; Teil des Auges, nicht direkt mit dem Sehen zusammen- hängend, könnte [dazu verwendet] allmählich diesem Zweck angepaßt werden; — Schwimmblase erwies sich durch Ab- stufungen ihrer Struktur als mit dem Gehörsystem zusammen- hängend; — Klapperschlange. [Specht am besten dem Klettern angepaßt.] In einigen Fällen Abstufung nicht mög- lich, — Wirbel — die aber tatsächlich bei domestizierten Tieren variieren — weniger schwer, wenn man Wachstum nachgeht. Wenn man ganze Tiere betrachtet — Fledermaus

1)  Wie schon bemerkt, ist dies das wichtige Prinzip, das Ch. Darwin in „Cross- and Sclf-Fcrtilisation" näher untersucht hat. Bateson hat mir vorgeschlagen, daß man die betreffenden Experimente mit gameten- reinen Individuen nachprüfen solle.

2)  In Origin ist ein Kapitel den „Schwierigkeiten der Theorie" ge- widmet; die Besprechung derselben in der vorliegenden Skizze erscheint, selbst wenn wir die Knappheit des zur Verfügung stehenden Raumes in Betracht ziehen, einigermaßen flüchtig.

[page] 4.4 Variation bei Instinkten und anderen geistigen Eigenschaften.

nicht zum Fliegen geschaffen.1) Angenommen, es wären wirkliche Flugfische*) und nicht einer unserer jetzigen so- genannten ,.fliegenden Fische" erhalten, wer würde die da- zwischen liegenden Gewohnheiten erraten. Sowohl Spechte als Baumfrösche gibt es in Ländern, wo keine Bäume sind.3) Die Abstufungen, durch welche hindurch jedes individuelle Organ, und jedes Tier mit seinem Aggregat von Organen bei seiner gegenwärtigen Stufe angelangt ist, werden wahr- scheinlich nie erkannt werden können und stellen sämtlich große Schwierigkeiten dar. Ich möchte bloß zeigen, daß die Vorstellung nicht so monströs ist, wie es anfänglich erscheint und daß, falls gute Gründe für die Annahme, daß verschiedene Arten von gemeinsamen Voreltern abstammen, vorgebracht werden können, die Schwierigkeit, sich die Struktur der Zwischenform vorzustellen, nicht genügt, ihretwegen die ganze Theorie abzulehnen.

§ 3. ÜBER VARIATION BEI INSTINKTEN UND ANDEREN GEISTIGEN EIGENSCHAFTEN.

Die geistigen Kräfte der verschiedenen Tiere im wilden oder zahmen Zustande [bieten noch größere Schwierig- keiten] erfordern eine getrennte Behandlung. Ausdrücklich betone ich, daß ich mich nicht zu beschäftigen gedenke mit der Entstehung von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und den ver- schiedenen Fähigkeiten des Geistes4), sondern nur mit ihren Unterschieden in jeder der großen Abteilungen der Natur. Geistige Disposition, Mut, Hartnäckigkeit, Mißtrauen, Unrast, Bosheit, Vernunft und ihr Gegenteil variieren bei Tieren sehr stark und werden auch vererbt (verwilderte Hunde in Cuba, Kaninchen, Furcht vor einem bestimmten Objekt wie dem

1)  Dies ist wohl so auszulegen: „Der allgemeine Bau einer Fleder- maus ist derselbe wie der eines nichtfliegenden Säugetiers."

2)  d. h. wirkliche geflügelte Fische.

3)  Der Erdspecht von Südamerika bildete den Gegenstand einer Arbeit Ch. Darwins, Proc. Zool. Soe., 1870. S. Leben und Briefe, Bd. 3. S. 154-

4)  Derselbe Vorbehalt findet sich in Origin, Ed. I, S. 207, Ed. VI-, S. 319.

[page] Instinkt,

45

Menschen auf Galapagos1}. Rein körperliche Gewohnheiten, Brutzeit usw., Zeit des Schlafengehens usw. sind verschieden und werden vererbt, ebenso wie analoge Gewohnheiten der Pflanzen, die gleichfalls verschieden sind und gleichfalls ver- erbt werden. Körperliche Gewohnheiten, wie Art und Weise der Bewegung, ebenso Gewohnheiten wie „Vorstehen" bei bestimmten Anlässen, ebenso Neigung hinter bestimmten Dingen herzujagen und Art und Weise dies zu tun — Schäferhund. Diese Eigentümlichkeiten werden alle klar ge- legentlich einer Kreuzung und ihre Analogie mit echtem Instinkt dabei erwiesen. — Apportierhund. Die Tiere kennen nicht den Zweck, weswegen sie solche Dinge tun. Lord Broughams Definition2) Entstehung teils aus Gewohnheit, Ausdehnung meist unbekannt, teils durch Auslese. Junge Vorstehhunde stehen vor Steinen, vor Schafen —, Purzel- tauben — Schafe kehren zur Stelle, wo sie geboren, zurück.3) Instinkt von Vernunft unterstützt, wie beim Schneidervogel.*) Unterricht durch die Eltern, Kühe wählen das Futter, Vögel lernen singen. Instinkte variieren im Zustand der Wildheit (Vögel werden scheuer), gehen oft verloren5), werden völl- ig Die Zahmheit der Vögel auf Galapagos ist im Journal of Researches (1860), S. 398, geschildert. Hunde und Kaninchen werden wahrscheinlich erwähnt als Beispiele, bei denen sich die ererbte Furcht vor dem Menschen verloren hat. Im Manuskript von 1844 wird erwähnt, daß der kubanische wilde Hund große natürliche Wildheit entwickelt, selbst dann, wenn er ganz jung eingefangen wird.

2)  In Origin, Ed. I, S. 207, Ed. VI., S. 319 lehnte der Verfasser es ab, Instinkte zu definieren. Bezüglich Lord Broughams Definition s. seine „Dissertations on Subjects of Science etc.", 1839, S. 27.

3)  S.James Hogg (the Ettrick Shepherd), Works, 1865, Tales and

Sketches, S. 403.

4)  Bezieht sich auf die Tatsache, daß der Schneidervogel künstlichen Faden, den man ihm bietet, statt des selbstgedrehtcn verwendet.

5)  „Gehen oft verloren" bezieht sich auf Instinkte. „Vögel werden scheuer" scheint ein nachträglicher Einfall gewesen zu sein „Nest ohne Dach" bezieht sich auf die Wasseramsel, die es unterläßt, ein Dach zu bauen, sobald das Nest durch natürliche Bodenverhältnisse über- wölbt ist.

[page] 46       Variation bei Instinkten und anderen geistigen Eigenschaften.

kommener, — Nest ohne Dach. Diese Tatsachen zeigen, in wie unfaßlicher Weise das Gehirn die Fähigkeit besitzt, intellektuelle Vorgänge zu übermitteln.

Fähigkeiten1) müssen unterschieden werden von echten Instinkten — Finden des Wegs. Ich glaube, es wird zugegeben werden müssen, daß Gewohnheiten, ob angeboren oder durch Gewohnheit erworben [zuweilen] oft vererbt werden; Instinkte, Einfluß, gleichzeitig mit Körperbau, die Erhaltung von Tieren; daher muß Auslese unter wechselnden Bedingun- gen in der Richtung wirken, die ererbten Eigenschaften der Tiere zu modifizieren. Sobald dies zugegeben wird, muß man auch die Möglichkeit einräumen, daß einige der sonderbarsten Instinkte auf diesem Wege erworben wurden. Ich möchte hier bemerken, ohne eine Definition geben zu wollen, daß eine ererbte Gewohnheit oder ,.Trick" (Trick, weil es angeboren sein kann) die Bedingungen dessen nahezu erfüllt, was wir uns unter Instinkt vorstellen. Eine Gewohn- heit wird oft unbewußt ausgeübt, die eigentümlichsten Ge- wohnheiten werden assoziiert, ebenso Tricks, z. B. das Gehen nach bestimmten Orten usw. usw. selbst gegen den Willen. man wird angeregt durch äußere Faktoren, hat keinen Zweck im Auge, -— z. B. ein Mensch, der Klavier spielt. Wenn solche Gewohnheit vererbt würde, gäbe es einen großartigen Instinkt. Betrachten wir einige der schwierigsten Fälle von Instinkt daraufhin, ob diese möglicherweise erworben sein könnten. Ich sage nicht wahrscheinlicherweise, denn das gehört zu unserem III. Teil,2) ich möchte dies besonders betonen, auch will ich gar nicht versuchen, eine genaue Methode auf- zustellen. Ich möchte nur zeigen, daß nicht die ganze Theorie wegen dieses Punktes abgelehnt werden darf.

Jeder Instinkt muß, meiner Theorie nach, allmählich durch leichte Veränderungen aus einem früheren Instinkt ent- standen sein, in dem jene Veränderungen sich als nützlich

i) Im Manuskript von 1844 findet sich eine interessante Diskussion über „Fähigkeiten" im Gegensatz zu „Instinkten". 2) Hier ist II Teil 2u denken; siehe Einleitung.

[page] Instinkt. 47

für die jeweilige Art erwiesen. Das Sichtotstellen erschien mir zuerst als bemerkenswerter Einwand. Ich fand indessen keinen wirklich fingierten Tod1), und auch, daß alle mög- lichen Grade vorhanden. Es ist nun zweifellos, daß jene Insekten, die dies mehr oder weniger stark betreiben, daraus einen Nutzen ziehen, wenn also irgendeine Art dies mehr zu tun pflegte, und diese dann besser entfliehen konnte usw. usw.

Man betrachte die Wander-Instinkte, Fähigkeit, die sich von Instinkt unterscheidet, Tiere haben Zeitbegriff — wie Wilde. Gewöhnlich wird Weg durch Gedächtnis ge- funden — wie aber findet der Wilde seinen Weg über das Land — dies ist ebenso unverständlich für uns wie das Verhalten des Tiers für den Wilden, — geologische Verände- rungen, — Fische im Fluß, — Fall von Schafen in Spanien.2) Architektonische Instinkte, — Angestellte eines Fabrikanten erwerben außerordentliches Geschick im Anfertigen eines bestimmten Artikels —, man sagt zuweilen, daß ein Kind mit einem derartigen Begriff vom Spielen auf die Welt kommt, —3) man kann sich vorstellen, wie Schneiderkunst in derselben Vollkommenheit erworben werden kann, — Mischung mit Verstand, — Wasseramsel, — Schneidervogel, — Abstufung vom einfachen Nest bis zum kompliziertesten.

Dann Bienen, Unterscheidung ihrer Fähigkeiten, — wie sie ein Sechseck verfertigen, — Theorie von Waterhouse,4) — der Trieb, jede der Fähigkeiten, die sie besitzen, zu ver- wenden, — so hat der Schneidervogel die Fähigkeit, mit seinem Schnabel zu nähen, der Instinkt treibt ihn, dies zu tun.

i) Hiermit meint er, daß die beim „Totstellen- eingenommene Stellung der des wirklichen Totseins nicht absolut entspricht

2)   Dies bezieht sich auf die in der Skizze von 1844 erwähnten „Transandantes-Schafe", die einen Wandertrieb erworben haben sollen.

3)  In Origin, Ed. I, S. 209, wird in diesem Zusammenhang Mozarts

pseudo- instinktive Fertigkeit im Klavierspiel erwähnt.

4)  Bei der Diskussion über Bienenzellen, Origin, Ed I, S. 225, spricht der Verfasser aus, daß seine Theorie von den Beobachtungen von Water- house ausgegangen sei.

[page] 48 Variation bei Instinkten und anderen geistigen Eigenschaften.

Letztes Beispiel: Eltern, die ihre Jungen mit verschiedener Nahrung füttern (man nehme den Fall der Galapagosvögel, Abstufungen von Kernbeißer1) bis Sylvia). Auslese und Gewohnheit könnte die alten Vögel veranlassen, Geschmack (?) und Form zu verändern, daraus den Instinkt entwickelnd, ihre Jungen mit demselben Futter zu füttern — auch sehe ich keine Schwierigkeit darin, daß Eltern gezwungen oder bewogen werden, das von ihnen gebrachte Futter zu variieren, worauf durch Auslese die Jungen daran angepaßt werden, und auf diese Weise kann nach und nach jedes Maß von Verschiedenartigkeit erreicht werden. Obwohl wir niemals hoffen dürfen, den Weg erhellt zu sehen, auf dem die ver- schiedenen Instinkte erworben worden sind, denn wir be- sitzen nur die gegenwärtigen Tierformen (die wir nicht ein- mal gründlich kennen), um nach ihnen den Lauf der Ver- änderungen zu beurteilen, so kann ich doch, das Prinzip vorausgesetzt, daß Gewohnheiten — ob angeboren oder durch Erfahrung erworben — sich vererben, keine Grenzen aller nur denkbaren Variation der so erworbenen Gewohnheiten erkennen.

Zusammenfassung dieses Abschnitts. Wenn zugegeben wird, daß unter wilden Tieren gelegentlich Variation auftritt, — und wie können wir dies bezweifeln, da wir sehen, daß Tausende von Organismen, die der Mensch für irgendeinen Nutzen züchtet, variieren. Wenn wir einräumen, daß diese Variationen die Neigung haben, sich zu vererben, und wie können wir dies bezweifeln, wenn wir uns aller der Ähnlich- keiten in Körperbildung und Charakter erinnern — werden doch Krankheiten und Monstrositäten vererbt und unzählige Rassen produziert (1200 Kohlarten)! Wenn wir einräumen, daß Auslese dauernd am Werke ist, und wie kann man das bezweifeln, wenn man bedenkt, daß der Vorrat an Nahrungs- mitteln auf einen gewissen Durchschnitt fixiert ist und die

j) Die Typen von Kernbeißer und Sylvia sind im Journal 0/Researches, S. 379. wiedergegeben. — Die obige Stelle erscheint mir nicht klar, doch

stehe ich davon ab, eine Erklärung zu versuchen.

[page] Zusammenfassung des L Teils.                          4ü

reproduzierenden Kräfte sich in geometrischer Zunahme betätigen. Wenn wir einräumen, daß die äußeren Lebens- bedingungen wechseln, wie dies die Geologie lehrt, wie sie es immer getan haben und auch gegenwärtig tun. — Dann, vorausgesetzt, daß kein Naturgesetz dem entgegenwirke, müssen gelegentlich Rassen entstehen, die sich [leicht] von den elterlichen Rassen unterscheiden. Es würde also solch ein Gesetz1), keins ist bekannt, aber in allen Werken wird in (?) direktem Widerspruch zu allen bekannten Tatsachen an- genommen, daß die Summe möglicher Variation bald erreicht sei. Sind nicht alle die variationenreichsten Spezies die am längsten domestizierten: wer stellte sich vor, daß Pferde oder Korn so erzeugt werden könnten? Man nehme die Dahlie und die Kartoffel2), wer wird in 5000 Jahren behaupten wollen, daß nicht große Veränderungen erzielt werden können: vollkommen den Lebensbedingungen angepaßt und dann wieder in neue Lebensbedingungen versetzt. Man denke, was allein in den letzten Jahren geleistet worden ist, bei Tauben und bei Rindern. Durch die Menge von Nahrung, die der Mensch erzeugen katyi, mag er ja bei der Grenze der Körperfülle oder Größe oder Dichtigkeit der Wolle (?) angelangt sein, doch sind dies sehr nebensächliche Punkte und selbst diese betreffend halte ich es für unmöglich, zu behaupten, daß wir die Grenzen der Variationsmöglichkeit kennen. Und deshalb schließe ich aus der [anpassenden] auslesenden Tätig- keit der Natur, die unvergleichlich weise erscheint, verglichen

1)  Ich glaube, diesen sehr dunklen Satz ungefähr folgendermaßen deuten zu dürfen: „Ein solches entgegenwirkendes Gesetz ist nicht bekannt, doch wird in allen diesbezüglichen Werken (im direkten Widerspruch zu allen den uns bekannten Tatsachen) ein Gesetz vorausgesetzt, durch welches das mögliche Maß an Variation eingeschränkt wird." In Origin stellt Ch. Darwin die Möglichkeit der Variation, soviel ich weiß, auch

nie als eine begrenzte dar.

2)  In Variation under Domestication, Ed. 2, II, S 265, wird die Dahlie als eine Pflanze beschrieben, die Emp6ndlichkeit gegen Lebensbedingungen zeigt. Alle Varietäten der Dahlien sollen übrigens erst seit 1804 entstanden sein (ebenda I, S. 393).

K Darwin. Fundamente xur I-Mslehun dtr A'len                                        4

[page] O Variation bei Instinkten und anderen geistigen Eigenschaften.

mit der des Menschen, daß es unmöglich ist, zu behaupten, daß wir die Grenzen kennen, über die hinaus die Rassen sich nicht erblich verändern lassen; bei hinreichender konstitutioneller Verschiedenheit würden zwei erzeugte Rassen wahrscheinlich untereinander unfruchtbar sein, sie würden in einer höchst eigenartigen und bewunderungswürdigen Art, ihren Bedürf- nissen entsprechend an die äußere Natur und an die anderen sie umgebenden Organismen angepaßt sein; solche Rassen würden den Wert von Arten besitzen. Existiert aber irgend- ein Zeugnis, daß Arten so entstanden sind — dies ist eine Frage, die völlig unabhängig ist von den beiden berührten Punkten, und die wir, nach Durchforschung des Reichs der Organismen auf die eine oder andere Weise zu beant- worten haben werden.

[page] II. TEIL.

§ 4 u. 5- (ÜBER DIE ZEUGNISSE AUS DER GEOLOGIE.)1)

Wir möchten vorausschicken, daß, nach der allgemein angenommenen Meinung, die Myriaden von Organismen, die diese Welt bevölkern, durch so und so viele unterschied- liche Schöpfungsakte geschaffen worden sind. Da wir über den (unleserlich) Willen eines Schöpfers nichts wissen — sehen wir keinen Grund anzunehmen, daß zwischen den so ge- schaffenen Organismen irgendwelche Beziehungen existieren sollten; oder aber, sie könnten gemäß irgendeinem Schema erschaffen worden sein. Doch wäre es erstaunlich, wenn dieses Schema mit dem übereinstimmen sollte, das der Abstammung von Gruppen von Organismen von denselben Eltern, unter Umständen, wie wir sie soeben darzulegen versucht haben, zugrunde liegen würde.

Mit demselben Anspruch an Wahrheit sagten die alten Kosmogonisten, daß Fossilien, wie wir sie jetzt sehen, mit einer trügerischen Ähnlichkeit mit lebenden Wesen geschaffen worden waren2); was würde der Astronom sagen zu einer Lehre, daß die Planeten sich nicht nach den Gesetzen der Gravitation bewegten, sondern so, wie der Schöpfer jedem einzelnen anbefohlen habe, sich in seiner besonderen Bahn zu bewegen? Ich bin der Ansicht, daß eine solche Annahme — alle Vor- urteile beiseite geschoben — ebenso zulässig sein würde, wie wenn man zugäbe, daß gewisse Gruppen von lebenden und ausgestorbenen Organismen zwar in ihrem Bau und in

1)  Im Originalmanuskript heißt die Überschrift Teil III: doch ist es klar, daß Teil II gemeint ist; bezügl. Einzelheiten s. die Einleitung. Wo $ IV aufhört und $ V anfängt, habe ich nicht entdecken können.

2)  Diese Stelle korrespondiert einigermaßen mit dem Schluß von Origin, Ed. I., S. 482, Ed. VI., S. 661.

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[page] 5 z                         Über die Zeugnisse aus der Geologie.

iliren Beziehungen zueinander und zu äußeren Lebens- bedingungen mit unserer Theorie übereinstimmten, und Zeichen gemeinsamen Ursprungs aufwiesen — aber doch getrennt voneinander geschaffen worden wären. Solange man der Ansicht war, daß Organismen unmöglich variieren oder sich irgendwie in einer komplizierten Art und Weise an andere Organismen anpassen könnten, und zudem von ihnen durch eine unübersteigliche Schranke von Unfrucht- barkeit geschieden seien1), war es gerechtfertigt, trotz einer gewissen Wahrscheinlichkeit zugunsten einer gemein- samen Abstammung, eine getrennte Erschaffung nach-dem Willen eines allwissenden Schöpfers anzunehmen; oder, denn das kommt auf dasselbe hinaus, mit Whewell zu sagen, daß der Anfang aller Dinge über den Verstand des Menschen hinausgehe. In den vorstehenden Abschnitten habe ich mich bemüht zu zeigen, daß solche Variation und Spezifikation nicht nur nicht unmöglich, sondern daß sie, unter vielen Gesichtspunkten gesehen, sogar das absolut Wahrscheinliche ist. Welches sind nun die Zeugnisse für, welches gegen sie? Bei unserer unvollkommenen Kenntnis vergangener Epochen [sicherlich ist doch eine gewisse vorhanden] wäre es zu ver- wundern, wenn nicht gerade diese Unvollkommenheit ge- wisse ungünstige Zeugnisse schüfe.

Eine Skizze der Vergangenheit geben — mit Tatsachen, die bei unseren jetzigen Kenntnissen als feindlich erscheinen, — dann weiter schreiten zur geographischen Verbreitung, — Reihenfolge des Auftretens, — Verwandtschaften, — Mor- phologie usw. usw.

Unsere Theorie setzt voraus eine sehr graduelle Einführung neuer Formen2) und Ausrottung der alten (worauf noch zurückzukommen ist). Die Ausrottung der alten kann zu- weilen plötzlich vor sich gehen, nie aber die Einführung der neuen. Bei den Gruppen, die von gemeinsamen Eltern ab-

1)  Eine ahnliche Stelle findet sich am Schluß von Origin, Ed. I., S. 481, Ed. VI., S. 659.

2)  S. Origin, Ed. 1 , S. 312, Ed. VI., S. 453.

[page] Abstufung der Organismen.                               *

stammen, erfordert unsere Theorie eine vollkommene Ab- stufung, die in der äußeren Form keine größeren Unter- schiede aufweist, als es die verschiedenen Zuchten von Rindern, Kartoffeln oder Kohl tun. Ich meine nicht, daß eine abgestufte Reihe von Tieren existiert habe als Zwischenstadium zwischen Pferd, Maus, Tapir1), Elefant [oder Hühnern und Pfauen], sondern daß diese gemeinsame Vorfahren gehabt haben müssen und daß zwischen dem Pferd und diesen Vorfahren, usw. usw., doch kann der gemeinsame Vorfahre sich stärker von jedem der beiden unterschieden haben, als sie beide gegenwärtig voneinander. Welche Zeugnisse besitzen wir nun hierfür? Eine so vollkommene Abstufung in einigen Abteilungen, daß einige Naturforscher der Meinung sind, daß, wenn man innerhalb gewisser großer Gruppen alle Formen sammeln würde, man einer absolut vollkommenen Abstufung nahe- kommen würde. Solch eine Vorstellung wäre verfehlt in bezug auf die Gesamtheit, aber sicher so in bezug auf Säugetiere. Andere Naturforscher haben die Ansicht geäußert, daß man jene vollkommene Abstufung erreichen würde, wenn man alle die in den geologischen Schichten eingeschlossenen Exemplare sammeln könnte.*) Ich sehe ein, daß keine Wahr- scheinlichkeit, dies zu erreichen, vorhanden ist; trotzdem ist

i) S. Origin, Ed. I, S. 280, 281, Ed. VI., S. 414. Dort braucht der Autor seine Erfahrungen mit Tauben als Illustration für das, was er sich unter Zwischenstadien vorstellt; das Beispiel von Pferd und Tapir kommt auch dort vor.

2) Das Fehlen der Zwischenformen zwischen lebenden Organismen (und auch Fossilien) wird in Origin, Ed. I„ S. 279, 280, Ed. VI., S. 413 besprochen Aus der obigen Stelle ist nicht zu ersehen, daß Ch. Darwin jene Schwierigkeit so lebhaft empfand, wie dies aus einer Stelle in Origin, Ed. I, S. 299 hervorgeht, wo er von ihr als von dem „offenbarsten und ernstesten Einwand, den man gegen meine Theorie erheben kann" spricht. — Aber in einem flüchtigen Resümee, das er auf die Rückseite der vorletzten Seite des Manuskripts hingeworfen, bezieht er sich auf die zoologischen Zeugnisse. Es heißt dort: „Zeugnisse, soweit vorhanden, günstig, äußerst unvollständig — größte Schwierigkeit dieser Theorie, bin jedoch überzeugt, nicht unüberwindlich". Bucklands Bemerkungen sind zitiert in Origin, Ed. I , S 329, Ed. VI., S. 471.

[page] ca                        Über die Zeugnisse aus der Geologie.

eines sicher, daß alle die zahlreichen fossilen Formen, wie Buckland bemerkt, nicht mit den gegenwärtigen Klassen, Familien und Gattungen zusammen fallen, sondern da zwischen; und dasselbe ist der Fall bei jeder Neuentdeckung lebender Formen. Die ältesten Fossilien, also die am meisten durch den Zeitraum von heutigen Formen getrennten, neigen am meisten dazu, zwischen die Klassen zu fallen (ebenso fallen Organismen aus denjenigen Ländern, die gleich- falls durch den weitesten Zwischenraum getrennt sind, ebenfalls zwischen die Klassen, Urnithorhynchus?). Jede geologische Entdeckung wirkt in der Richtung, diese Ab- stufung zu vervollkommnen.1) Diese mit „Netz" illustrieren. Toxodon — Tibia und Fibula — Hund und Otter. Aber so äußerst unwahrscheinlich ist es, z. B. aus den ausgestorbe- nen Gruppen der Pachydermen eine so vollkommene Serie wie die unserer Rinderrassen herzustellen, daß, wenn dies von mir verlangt würde, und zwar für jede Periode der Erd- geschichte, die doch nach der Ansicht vieler Geologen ein annähernd fortlaufendes Dokument darstellt, meine Theorie aufgegeben werden müßte. Gesetzt selbst, daß dies Dokument ein fortlaufendes wäre, so würde es — bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse — nur Serien eines bestimmten Distrikts aufzustellen vermögen; ist aber irgendeine Wahr- scheinlichkeit vorhanden, daß irgendeine einzelne Formation bei der ungeheuren Zeitdauer, die während der einzelnen Perioden verstrichen ist, im ganzen eine fortdauernde Ge- schichte darbieten sollte — [vergleiche die Anzahl, die in einer Periode gelebt haben mit den erhaltenen Fossilien — berück- sichtige die enormen Zeiträume, die in Betracht kommen,] Was speziell marine Tierformen betrifft, die selbstverständ- lich die größte Anwartschaft auf Erhaltensein haben, so müssen sie dort gelebt haben, wo das Sediment (und zwar

i) Daß das Zeugnis der Geologie, soweit solches vorhanden, der De- szendenztheorie günstig ist, wird in Origin, Ed. I., S. 343 — 345, Ed. VI., S. 490—92 gleichfalls betont. Was den Ausdruck „Netz" in dem nächsten

Satz betrifft, so verweise ich auf Fußnote 1), S 83 des vorliegenden Essays

[page] Marine Tierformen.

55

von einer zur Erhaltung günstigen Art, also nicht Sand und Kies)1) sich schnell und über große Flächen hin absetzt und müssen ferner dick überzogen sein, — (unleserlich) litorale Depositen — da sie sonst durch Denudation zerstört werden würden, — sie müssen in einem seichten Wasser leben, das leicht durch Sediment ausgefüllt werden kann, da sie sonst, durch Bewegung aufgestört, der Denudation preisgegeben werden — daß Senkung günstig, stimmt mit europäischen Ablagerungen überein, doch ist Senkung geeignet, die Fak- toren zu zerstören, die Sedimente hervorbringen.2)

Ich glaube bestimmt annehmen zu können, daß Gruppen mariner Fossilien uns dort für künftige Zeitalter bewahrt werden, wo lange und andauernde Sedimente sich bilden, mit rascher, aber nicht allzu rascher Ablagerung in einem Senkungsgebiet. Auf wie wenigen Stellen in einer Region wie Europa werden diese Bedingungen sich vorfinden? Daher aus den Dokumenten vergangener Zeitalter nur [Lücken] einzelne Seiten konserviert.3) Lyells Lehre ins Extrem ver- folgt — wir werden die Schwierigkeit erst verstehen, wenn wir so fragen: welche Möglichkeit einer Abstufungsserie zwischen Rindern von (unleserlich) in einer Periode (unleser- lich) so weit zurückgelegen wie Miozen?4) Wir wissen, daß

i) S. Origin, Ed. I., S. 288, Ed. VI., S. 422. „Die Überreste, die in Sand oder Kies eingebettet gewesen waren, werden gewöhnlich, sobald diese Lager emporgehoben werden, durch die aushöhlende Wirkung des Regenwassers wieder aufgelöst."

2)  Der mit diesem Satz endende Passus ist schwierig zu verstehen. Trotz seiner Dunkelheiten ist indessen seine Beziehung und Ähnlichkeit mit der Diskussion über die Wichtigkeit der Einsenkung in Origin, Ed. I., S. 2901., Ed. VI., S. 422 u. f. unschwer zu erkennen.

3)  S. S. 57, Anmerkung 3.

4)  Vgl. Origin, Ed. I., S. 298, Ed. VI., S. 437, wo cb heißt: „Man wird vielleicht am besten begreifen, wie wenig wir in der Lage sein können, Arten durch zahlreiche, feine, fossil gefundene Zwischenglieder zu ver- ketten, wenn wir uns selbst fragen, ob z. B. Paläontologen späterer Zeiten imstande sein würden, zu beweisen, daß unsere verschiedenen Rinder-, Schaf-, Pferde- und Hunderassen von einem oder von mehreren Stämmen herkommen."

[page] c()                         Über die Zeugnisse aus der Geologie.

damals Rinder existierten. Vergleiche Anzahl der lebenden

—   ungeheure Dauer jeder Periode — Seltenheit der Fos- silien.

Dies bezieht sich nur auf die Lückenlosigkeit der Geschichte der Organismen jeder Formation.

Die vorstehende Beweisführung zeigt erstens, daß die scharfe Trennung der Formationen lediglich auf dem Mangel an erhaltenen Fossilien beruht (oder von ganzen fossilen Lagern), und zweitens, daß jede Formation voller Lücken ist; dies ist vorgebracht worden, um die Seltenheit der kon- servierten Organismen im Verhältnis zu all den vielen, die auf Erden gelebt haben, zu erklären. Dieselbe Beweisführung erklärt, warum in den älteren Formationen die Organismen aufzutauchen und plötzlich wieder zu ver- schwinden scheinen, — aber im Tertiär nicht ganz plötzlich1),

—  im späteren Tertiär allmählich, — daß sie selten werden und verschwinden — einige sind verschwunden, seit der Mensch auf der Erde lebt. Es liegt auf der Hand, daß unsere Theorie allmähliche und fast gleichförmige Einführung, möglicherweise plötzlichere Ausrottung erfordert — Sen- kung des australischen Kontinents usw. usw.

Unsere Theorie erfordert, daß die erste Form, die von jeder der großen Abteilungen existierte, Züge aufweist, die einen Zwischencharakter zwischen bestehenden zeigen, dabei aber von letzteren ungeheuer verschieden sind. Die meisten Geologen8) glauben, daß die silurischen Fossilien diejenigen sind, die zu allererst in der ganzen Welt existierten und nicht nur die zufällig ältesten nicht zerstörten — oder die ersten, die in sehr tiefen Meeren im Stadium des Übergangs von Meer zu Land existierten. Wenn sie wirklich die ersten waren, fällt meine Theorie; doch sind Hutton und Lyell abweichender

i) Das plötzliche Auftreten von Gruppen verwandter Spezies in den tiefsten bekannten fossilicnhaltigen Schichten wird in Origin, Ed. I, S. 306, Ed. VI., S. 466 besprochen. Das allmähliche Auftreten in den späteren Schichten in Origin, Ed. L, S. 312, Ed. VI., S. 453.

2) Vgl. Origin, Ed. I, S. 307, Ed. VI., S. 448.

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[page] Lückenhaftigkeit dct geologischen Urkunde.                   z-j

Ansicht. Wenn das erste Reptil im Roten Sandstein <?> wirklich das erste war1), das existierte; wenn das Pachy- derm2) von Paris das erste war, das existierte; der Fisch im Devon: Saurier im Lias: denn wir können sie nicht als erste Vorfahren auffassen: sie stimmen zu genau mit bestehenden Abteilungen überein. Aber die Geologen betrachten Europa als Übergang von See zu Insel zu Kontinent (außer Wealden, s. Lyell). Diese Tiere betrachte ich deshalb als bloßen Import <?> aus längst untergesunkenen Kontinenten.

Und schließlich, gesetzt die Ansichten einiger Geologen seien richtig, muß meine Theorie aufgegeben werden [Lyells Ansichten, soweit sie vorhanden, sind zugunsten, aber es ist so wenig, was zugunsten spricht, und so viel mehr ist noch vonnöten, daß man fast von einem Einwand sprechen kann.] Falls die Geologie uns nur einzelne Seiten von Ka- piteln gegen das Ende einer Geschichte darbietet, entstanden durch Herauszerren von ganzen Bündeln von Blättern, und wenn jede Seite nur eine kleine Portion von den Organismen jener Zeit illustriert, dann stimmen die Tatsachen voll- kommen mit meiner Theorie überein.3)

1)  Ich habe einen Schnörkel, den ich erst als ,,Meer" gelesen hatte, dann als „Sandstein" interpretiert, und zwar auf Zureden von Prof. Judd, der mich daran erinnerte, daß „zu jener Zeit im roten Sandstein Fuß- tapfen bekannt geworden waren, und daß die Geologen damals nicht sehr peinlich zwischen Amphibien und Reptilien zu unterscheiden pflegten11.

2)  Dies bezieht sich auf Cuviers Entdeckung des Paläotheriums etc. auf Montmartre.

3)  Dies Beispiel ist ausführlicher wiedergegeben in Ortgin, Ed.l , S. 310, Ed.VI.,S-452, wo es heißt: „Ich für meinen Teil betrachte, um Lyells bild- lichen Ausdruck durchzuführen, die natürlichen geologischen Urkunden als eine Geschichte der Erde, unvollständig geführt und in wechselnden Dialekten geschrieben wovon aber nur der letzte, sich bloß auf zwei oder drei Länder beziehende Band bis auf uns gekommen ist. Doch auch von diesem Band ist nur hie und da ein kurzes Kapitel erhalten, und von jeder Seite sind nur da und dort einige Zeilen übrig. Jedes Wort der langsam wechselnden Sprache dieser Beschreibung, mehr oder weniger verschieden in den aufeinanderfolgenden Abschnitten, würde den an- scheinend plötzlich umgewandelten Lebensformen entsprechen, welche

[page] cg                         Über die Zeugnisse aus der Geologie.

Ausrottung. Wir haben gesehen, daß in späteren Perioden die Organismen graduell verschwunden sind, und wahrscheinlich auch in früheren graduell, und ich habe ge- sagt, daß unsere Theorie dies erfordert. Da viele Natur- forscher die Ausrottung als ein höchst geheimnisvolles Er- eignis ansehen1) und alle möglichen erstaunlichen Ursachen dafür heranziehen, ist es gut, sich das zurückzurufen, was ich betreffend den Kampf in der Natur früher gesagt habe. Bei jedem Organismus ist ein ausrottender Faktor am Werk; wenn Rotkehlchen sich in zehn Jahren um Tausende vermehren würden, wie scharf wäre dieser Prozeß. Wie un- merklich dagegen eine kleine Zunahme. Fossilien werden selten: möglich eine plötzliche Ausrottung wie in Australien; da aber die vorhandenen Faktoren sehr langsam wirken und viele Mittel des Entkommens vorhanden sind, möchte ich sehr plötzliche Ausrottungen bezweifeln. Wer könnte erklären, weshalb einige Spezies häufiger vorkommen —

in den aufeinanderfolgenden, aber weit voneinander getrennten For- mationen begraben liegen." Prof. Judd war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen, daß Darwins Gleichnis sich auf einen Vergleich zwischen Geologie und Geschichte in Kap. I. von Lyells Principles of Geology Ed. I., 1830, Bd. I, S. 1—4 gründet. Prof. Judd hat ferner meine Auf- merksamkeit auf eine weitere Stelle der Principles 0/ Geology, Ed. I., 1833, Bd- JH- gelenkt, wo Lyell sich vorstellt, wie ein Historiker „zwei begrabene Städte am Fuß des Vesuvs untersucht, die eine über der andern gelegen". Der Historiker würde nun entdecken, daß die Bc wohncr der tiefer gelegenen Stadt Griechen, die der oberen Italiener ge- wesen seien. Doch würde er irren, wenn er deswegen annähme, daß in Kampanien ein plötzlicher Wechsel vom Griechischen zum Italienischen stattgefunden habe. Ich halte es für klar, daß Darwins Gleichnis teilweise von diesem Passus herrührt. Man bemerke z. B. in der oben zitierten Stelle aus Origirt Wendungen wie „Geschichte ... in einem wechselnden Dia- lekt geschrieben ... anscheinend plötzlich umgewandelte Lebensformen " Die mit [] bezeichnete Stelle in dem obigen Abschnitt „Lyells Ansichten, soweit sie vorhanden etc. etc." bezieht sich zweifellos, wie Judd vermutet, darauf, daß Lyell in der Anschauung von der Unvollkommenheit der geo- logischen Urkunden nicht so weit ging wie Darwin selbst.

1) über Seltenheit und Ausrottung vgl Origin, Ed I., S 109, 3f9.

Kd. VI., S. 133. 461.

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[page] Aussterben und Auftreten von Organismen.                 eg

warum verändert sich die Torfmeise oder Ringdrossel jetzt wenig — warum ist eine Meerschnecke selten und die andere häufig an unseren Küsten — warum eine Art Rhinozeros häufiger als eine andere — warum ist <unleserlich> der in- dische Tiger so selten? Eigentümliche und viel verbreitete Quellen von Irrtümern; der Platz eines Organismus wird sofort wieder ausgefüllt.

Wir wissen, daß der Zustand der Erde sich verändert hat, und da Erdboden und Fluten weiter existieren, muß sich der Zustand weiter verändern — viele Geologen glauben an eine langsame, allmähliche Abkühlung. Betrachten wir nunmehr im Zusammenhang mit den in Abschnitt II er- läuterten Prinzipien der Spezifikation, wie wohl am wahr- scheinlichsten die Einführung der Arten stattgefunden haben mag, und wie weit die Resultate unserer Vermutungen mit den bekannten Tatsachen übereinstimmen.

Die erste Tatsache, vor die uns die Geologie stellt, ist die ungeheure Anzahl ausgestorbener Formen und neuer Er- scheinungen. Die tertiären Schichten stärken die Annahme, daß Organismenformen allmählich selten werden und ver- schwinden und allmählich von neuen ersetzt werden. Wir sehen auch gegenwärtig gewisse Formen selten werden und verschwinden, wir kennen keine plötzliche Schöpfung: in älteren Perioden scheinen die Formen plötzlich aufzutreten, die Szene verändert sich: aber selbst in der devonischen und permischen Formation [werden fortdauernd neue Glieder in die Kette eingefügt]. Gattungen und höhere Formen treten auf und verschwinden und lassen auf demselben Weg eine Spezies ein oder mehrere Stufen tiefer als die, in der ihre Form häufig war.

§6. <GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG.)

Betrachten wir den absoluten Zustand der Verbreitung der Organismen auf dem Antlitz der Erde.

Zunächst fassen wir, jedoch nicht ausschließlich (wegen Schwierigkeit des Transports, geringer Zahl und deutlicher

[page] (iO                                Geographische Verbreitung.

Charakterzüge der Gruppen) die Säugetiere ins Auge; und betrachten zunächst die drei oder vier Hauptregionen. Nordamerika, Europa, Asien, einschließlich des größeren Teils des ostindischen Archipels, und Afrika sind eng ver- bunden. Afrika am deutlichsten unterschieden, besonders in seinen südlichsten Teilen. Und die arktischen Regionen, die Nordamerika, Asien und Europa mit der einzigen Unter- brechung durch eine schmale Meerenge vereinen, sind sehr eng verwandt, tatsächlich stellen ihre Formen nur eine be- grenzte Gruppe dar. Dann kommt Südamerika — dann Australien, Madagaskar (und einige kleine Inseln, die ziemlich weit vom Festland abliegen). Wenn man diese Hauptabtei- lungen getrennt betrachtet, so bemerkt man, daß die Orga- nismen variieren entsprechend den Änderungen in den Lebens- bedingungen1) der verschiedenen Gegenden. Aber außerdem scheinen mir Barrieren aller möglichen Art gewisse Regionen schärfer zu trennen, als der Verschiedenheit des Klimas auf beiden Seiten entspricht. So z. B. große Bergketten, Meer- gebiete zwischen Inseln und Kontinenten, selbst große Flüsse oder Wüsten. Tatsächlich steht der Verschiedenheitsgrad der Organismen in einem gewissen, aber nicht unveränder- lichen Verhältnis zu dem Maße der dem Übergang im Wege stehenden physischen Hindernisse.2)

Es gibt einige sonderbare Ausnahmen, nämlich die Ähn- lichkeit der Fauna der Gebirge von Europa, Nordamerika und Lappland. Andere Fälle ganz entgegengesetzter Art, Gebirge des östlichen Südamerikas, Altai (?), Südindien (?)s):

i) In Origin, Ed. I., S. 346, Ed. VI., S. 493 beginnt der Autor seine Diskussion über geographische Verbreitung, indem er die Wirkung physi- scher Umstände als geringfügig hinstellt. Er legt dort, ebenso wie in dieser Skizze, großes Gewicht auf die Wirkung von Barrieren.

2)  Notiz in dem Original „würde es frappanter sein, wenn wir Tiere nähmen, z. B. Rhinozeros und ihre Wohnorte studierten?"

3)  Notiz von A. R. Wallace: „Der Mangel an Ähnlichkeit, auf den hier angespielt wird, bezieht sich auf die Berge von Brasilien und Guyana und die der Anden. Auch die der indischen Halbinsel verglichen mit dem Himalaya. In beiden Fällen handelt es sich um ununterbrochenes

[page] Alpine Pflanzen.                                       6l

Berggipfel von Inseln oft hervorragend eigentümlich. DieFauna im allgemeinen bei einigen Inseln, selbst wenn benachbart, sehr unähnlich, bei andern sehr ähnlich. [Ich möchte hier der Frage, ob ein oder mehrere Schöpfungszentren, nähertreten.]1) Man kann viele der vorstehenden Fälle von Verbreitung rein geologisch erklären. Senkung eines Kontinents, auf dem eine freie Ausbreitung möglich gewesen, würde die Pflanzen der Ebene zum Gebirge hinauftreiben, das nun zu Inseln umgestaltet wäre und die halbalpinen Pflanzen würden den Platz der alpinen einnehmen, die alpinen aber zerstört werden, wofern die Berge nicht von Haus aus sehr hoch gewesen sind. So können wir beobachten, wie während allmählicher Ver- änderungen des Klimas auf einem Kontinent2) die Verteilung der Spezies sich umgestalten und diese sich kleinen Ver- änderungen anpassen mußte, womit aber auch starke Aus- rottung verbunden sein würde.3) Die Gebirge Europas waren bis vor kurzem mit Eis bedeckt und die tiefen Gegen-

(Inzwischengelegenes Land. Die Inseln, von denen die Rede ist, waren zweifellos die Galapagos, bezüglich ihrer Unähnlichkeit mit Südamerika; unsere britischen Inseln verglichen mit Europa und vielleicht Java wegen seiner Ähnlichkeit mit dem kontinentalen Asien."

i) Die Argumente gegen mehrfache Schöpfungszentren werden in Origin, Ed. I., S. 352. Ed. VI., S. 499 ausgesprochen.

2; In Origin, Ed I., S. 366, Ed. VI., S. 516 gibt der Verfasser seine An sichten über die Verteilung der alpinen Pflanzen nicht als original, sondern beruft sich auf das Werk von Edward Korbes (Geolog. Survey Äfemoirs, 1846/ Auch in seiner Autobiographie beruft sich mein Vater auf dieses. „Man ist mir", so schreibt er, „nur in einem einzigen wichtigen Punkt zuvor- gekommen, was ich so eitel bin zu bedauern." (vgl. Leben und Briefe).

3) Das folgende ist auf die Rückseite eines der Blätter des Manuskripts geschrieben. Diskussion über ein oder mehrere Schöpfungszentren; starke Betonung der Leichtigkeit der Verbreitung sowie der Größe der geo- logischen Veränderung: Erwähnung der Berggipfel, über die später zu sprechen Verbreitung richtet sich, wie jeder weiß, nach Anpassung; Er- klärung wie, wenn man von Norden nach Süden vorschrcitet, man zu neuen Gruppen von Spezies in derselben allgemeinen Region gelangt, aber außerdem finden wir Unterschiede je nach Größe der Barrieren, und zwar in höherem Grade als durch Anpassung erklärt werden könnte (Bezügl. betreffender Spezies s. Origin, Ed. L, S. 349, Ed. VI., S. 496). Sehr auf-

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[page] 6 2                                Geographische Verbreitung.

den besaßen wahrscheinlich ein arktisches Klima und eben- solche Fauna. Als dann das Klima wechselte, nahm eine arktische Fauna die Stelle der bisher eisbedeckten Teile ein und eine Überschwemmung mit Pflanzen aus verschiedenen gemäßigten Ländern ergriff Besitz von den Ebenen, wobei Stellen mit arktischen Formen inselartig ausgespart wurden. Wenn dies aber auf einer Insel stattgefunden haben würde, wo hätten dann die neuen Formen herkommen sollen — hier ruft der Geologe den Schöpfungsgläubigen zu Hilfe. Wenn Entstehung der Insel nachweisbar, wird der Geologe annehmen, daß viele der Formen vom nächsten Festland herüber gebracht worden seien, doch falls diese Formen eigenartig, ruft er den Schöpfungsgläubigen herbei — je mehr solche Insel an Höhe zunimmt usw., desto mehr ruft er die Schöpfungslehre herbei. Deren Vertreter erzählt uns, auf der <unleserlich> Stelle hat der amerikanische Schöpfungs- geist Orpheus und Tyrannus und die amerikanischen Tauben geschaffen, und zwar in Übereinstimmung mit vergangenen und ausgestorbenen Formen, jedoch kein konsequentes Ver- fallend bezüglich Rinder der Pampas, Pflanzen usw. Darauf in Diskussion eintreten; mich halten an 3 oder 4 große Abteilungen, und an die end- losen kleinen in jeder der 4 großen: in diesen beziehe ich mich haupt- sächlich auf Säugetiere usw. Ähnlichkeit des Typs, aber nicht der Art, auf demselben Kontinent ist viel weniger beachtet worden, als Unähnlichkeit verschiedener großer Regionen: sie ist frappanter. Galapagos Inseln, Tristan d'Acunha, vulkanische, mit Kratern bedeckte Inseln sind erst vor ver- hältnismäßig kurzer Zeit mit Organismen bevölkert worden. Wie unähnlich die Natur dieser Inseln den benachbarten Kontinenten. Diese Tatsachen vielleicht frappanter als irgendwelche andern Geographisch-geologische Verbreitung. Beim Betrachten vergangener Perioden finden wir Australien ebenso abgesondert Südamerika war abgesondert, doch mit mehr gemeinsamen Formen. Nordamerika, sein nächster Nachbar, gemein- samer — in mancher Hinsicht mehr, in mancher weniger mit Europa verwandt Europa finden wir ebenso europäisch. Denn Europa ist jetzt Teil von Asien, obwohl nicht (unleserlich). Afrika unbekannt, — Bei- spiele, Elefant, Rhinozeros, Hippopotamus, Hyäne. Da Geologie die Geographie zerstört, dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir sehr weit zurückgehen, Marsupialier und Edentaten in Europa zu finden; Geologie

zerstört eben Geographie.

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[page] Auslese unterstutzt durch Isolierung.                      63

hältnis zwischen Gebieten und Verbreitung oder geologisch- geographischer Verbreitung.

Was würde nun, nach Analogie der domestizierten Tiere, das Resultat sein? Nehmen wir als Beispiel einen Farmer der Pampas, wo alles dem Naturzustand näher steht. Kr arbeitet mit Organismen, die eine starke Tendenz zum Variieren haben: und er weiß, daß das einzige Mittel, eine deutliche Rasse zu schaffen, in der Auslese und Absonderung besteht. Es wäre nutzlos, die besten Bullen auszusuchen und sie mit den besten Kühen zu paaren, wenn man ihre Nachkommen frei herumlaufen und sich mit den anderen Herden paaren lassen und somit der Tendenz zum Rückschlag nicht entgegenwirken würde; der betreffende Farmer müßte deshalb versuchen, seine Kühe auf Inseln zu bringen und dann seine Auslesearbeit beginnen. Wenn mehrere Guts- besitzer auf verschiedenen „Rincons"1) sich ans Werk begeben würden, und zwar an verschiedenen Objekten, würden bald verschiedene Rassen erzeugt werden. Ebenso könnte es der Gärtner machen, wofür auch die Geschichte vieler Pflanzen Zeugnis ablegt. Die Zahl der Varietäten2) wächst im Ver- hältnis zu der Sorgfalt, die auf ihre Auslese und bei Kreu- zungen auf die Absonderung verwandt wird. Demnach wird, dieser Analogie zufolge, Variation und Selektion am meisten begünstigt werden durch einen Wechsel in den äußeren Be- dingungen und Isolation, sei es nun, daß eine Form zufällig auf eine Insel gerät, oder daß ein Kontinent durch Senkung zerteilt wird, oder daß eine hohe Gebirgskette eine Scheide- wand bildet oder endlich dadurch, daß die Zahl der Indivi- duen sehr gering ist.3) Zweifellos könnte eine Veränderung

1)  Rincon heißt auf spanisch Winkel, Ecke, soll hier offenbar „kleines Gut" bedeuten.

2)  Das folgende ist hier quer über die Seite geschrieben: „Niemand würde erwarten, daß ein Satz von gleichen Varietäten in den verschiedenen Ländern erzeugt würde, so auch Spezies verschieden."

3)   Ursprünglich sollte wohl die folgende Stelle hier angeschlossen werden: Die Eltern eines Organismus befanden sich, wie wir meist an- nehmen dürfen, unter weniger günstigen Umständen als der durch Selektion

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[page] 64                                Geographische Verbreitung.

auch in demselben Lande ohne trennende Barriere durch lang fortgesetzte Auslese an einer Spezies erreicht werden- selbst im Falle einer der Kreuzung nicht fähigen Pflanze würde diese am leichtesten von einer Insel Besitz ergreifen und diese ganz okkupieren.1) Nun können wir ohne weiteres sehen, daß, wenn zwei Teile eines Kontinents voneinander isoliert werden, neue Spezies, die so in ihnen erzeugt werden, enge Verwandtschaft zeigen, wie Rinder in englischen Graf- schaften; wenn die betreffende Barriere später zerstört würde, könnte eine Spezies die andere vernichten oder beide sich behaupten. Und ebenso wenn eine Insel sich nahe am Kontinent bildete, und wäre sie noch so verschieden, würde jener Kontinent die Einwohner liefern und die neuen Spezies (wie die alten) dem Kontinent verwandt sein. Eine Insel gewöhnlich sehr verschieden in Boden und Klima, Zahl und Art ihrer Einwohner durch Zufall bestimmt, kein Ort so günstig für Erzeugung einer neuen Spezies2), besonders die Berge, das ist ohne Zweifel so. So wie isolierte Berge ent- stehen in einem ebenen Lande (falls dies vorkommt), so ists

unterstützte Sprößling und deshalb gewöhnlich in geringerer Zahl. (Dies ist durch den Gartenbau nicht bekräftigt, sondern bloße Hypothese; weil ein unter günstigen Bedingungen lebender Organismus durch Auslese an noch günstigere Bedingungen angepaßt werden könnte.) Eine Scheide- wand würde außerdem Einfluß üben, indem sie die auf einer Seite er- zeugte Spezies hindern würde, auf die andere Seite überzuwandern

i) Die folgenden Notizen finden sich auf der Rückseite des Blattes; Anzahl der Spezies in keinem Verhältnis zu den Möglichkeiten des Landes, ferner nicht immer die bestangepaßten, vielleicht durch Schöpfungsgläubige durch Wechsel und Fortschritt erklärt. (S. S 65, Anmerkung 2.)

Obwohl Schöpfungsgläubige mit Hilfe der Geologie vieles erklären können, wie können sie die ausgesprochene Beziehung von Vergangenheit und Gegenwart in demselben Gebiet, die wechselnde Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart in anderen Gebieten erklären, wie die Be- ziehungen verschiedener Teile desselben großen Gebiets. Falls Insel, zu benachbartem Kontinent, falls ganz verschieden, auf Berggipfeln — die Anzahl der Individuen den Möglichkeiten nicht entsprechend, wie aber — usw. Unsere Theorie kann, glaube ich, hier viel Licht verbreiten und alle Tatsachen in Harmonie bringen.

2) S. Origin Ed. I., S. 390, Ed. VI., S. 420.

[page] Isolierung.                                                  65

auch mit der Insel. Indem sich dann andere Inseln bildeten, mag sich die alte Spezies ausgebreitet und weiter ausgedehnt haben, und die Fauna von entfernten Inseln könnte schließ- lich zusammentreffen und ein Kontinent sich zwischen ihnen bilden. Keiner zweifelt an der Entstehung von Kontinenten durch wiederholte Erhebungen und Senkungen.1) Wenn wir zurückschauen, aber nicht so weit, daß alle geographischen Grenzen verschwinden, sehen wir daher sofort, warum die bestehenden Formen mit den ausgestorbenen in derselben Art und Weise verwandt sind, wie die bestehenden Formen untereinander in ireendeinem Teil der bestehenden Konti- nente. Es kann sogar sein, daß sich unter den Fossilien, die wir besitzen, in einem oder dem anderen Falle ein direkter Vorfahre einer noch lebenden Form befindet.

Die Auffindung von Übergangsformen würde in einem in Hebung begriffenen Landesgebiete schwieriger sein.

Die geographische Verbreitung kann daher in allen den ge- nannten Punkten, selbst den nebensächlichen, die bei jeder anderen v Theorie) als ein Haufen von ebensovielen unver- mittelten Tatsachen angesehen werden muß, durchweg in einer einfachen Weise nach der Theorie, die das Vorkommen der Arten durch <unleserlich> erklärt und annimmt, sie seien durch Selektion an <unleserlich> angepaßt, abgeleitet werden, wenn man noch hinzurechnet ihre Fähigkeit, sich aus- zubreiten, sowie die beständigen geographisch-geologischen Veränderungen, die noch jetzt stattfinden und die zweifelsohne früher stattgefunden haben. Hier müßte ich zurückkommen auf die Anschauung von der Unveränderbarkeit der Spezies und der Schöpfung durch so und so viele einzelne Willens- akte des Schöpfers.2)

1)  Bezüglich Oszillationen s. Ortgin, Ed. L, S. 291, F.d. VI., S. 426.

2)  Von der Rückseite des Manuskripts: „Wirkung des Klimas auf statio- näre Insel und auf Kontinent, aber Kontinent einstmals Insel. Ferner wieder- holte Oszillationen neue Verteilung falls nicht-vereinigt, dann Isolation, beim Wiederaufsteigen Einwanderung verhindert, neue Wohnorte ent- standen, neue Spezies, falls vereinigt freie Einwanderung, daher gleich-

F. Darwin. Fundamente zur Rntitrhmnn drr Arfrtr.                                           C

[page] 66                            Verwandtschaß und Klassifikation,

§ 7. VERWANDTSCHAFT UND KLASSIFIKATION.

Wenn wir nunmehr die Verwandtschaft der Organismen ohne Beziehung zu ihrer Verbreitung betrachten, und alles Fossile und Rezente in unsere Betrachtung hineinziehen, sehen wir, daß die Grade der Verwandtschaft verschieden

förmige Charaktere. Deshalb mehr Formen (auf ?) der Insel. Berggipfel. Weshalb keine echten Spezies. Zunächst wollen wir in Teil 1 auf die Bedingungen zur Variation zurückkommen: Wechsel der Bedingungen durch mehrere Generationen und wenn häufig verändert, um so besser [vielleicht Übermaß an Nahrung]. Zweitens fortgesetzte Auslese 'während in wildem Zustand]. Drittens Isolation bei allen oder beinahe allen - gut, Vorteile derselben zu betonen.

[Beim Kontinent, wenn wir Landtiere in Betracht ziehen, könnte lang fortgesetzte Änderung stattfinden, die nur Änderung in numerischer Hinsicht verursachen würde. Falls lange genug fortgesetzt, könnte es schließlich alle beeinflussen, obwohl bei meisten Kontinenten Möglichkeit der Einwanderung. Einige wenige der gesamten Maße der Spezies müssen lange beeinflußt werden, und die ganze Zuchtwahl nach derselben Seite arbeiten. Doch fehlt hier Isolierung, ohne Barriere, abgeschnitten von (unleserlich). Wir können Vorteile der Isolierung erkennen. Nehmen wir aber den Fall einer Insel, die durch vulkanische Tätigkeit in einiget Entfernung aufgeworfen wird, hier würden wir dann gelegentlich Besucher haben, nur in geringer Zahl und neuen Bedingungen ausgesetzt und (unleserlich) wichtiger — eine ganz neue Gruppierung organischer Wesen, die neue Nahrungsquellen eröffnen würden oder (?) alte kontrollieren Die Anzahl würde gering sein, so können alte die allerbeste Gelegenheit haben. <Die Übeiwältigung der angestammten durch eingeführte Or- ganismen zeigt, daß die angestammten nicht vollkommen angepaßt waren, s. Origin, Ed.I.,S 3go.> Und weiter- - wie die Insel sich fernerhin änderte — fortgesetzte langsame Änderungen, Flüsse, Moore, Seen, Berge usw., werden neue Rassen allmählich erzeugt und ein neuer gelegentlicher Besucher.

Wenn Insel zu Kontinent würde, würden einige Arten auftauchen und einwandern Jeder gibt Kontinente zu. Wir können sehen, warum sich Galapagos und Kap Verde unterscheiden <S. Origin, Ed. I., S.jgSJ Senkung und Hebung. Wir können aus dieser sich wiederholenden Tätigkeit und der Zeit, die zur Bildung eines Kontinents notwendig ist, ersehen, warum auf solchen viel mehr Formen leben als in Neuseeland <S. Origin, Ed. I., S. 389 bezüglich Vergleich zwischen Neuseeland und dem KapX Doch keine Säugetiere oder andere Klassen <[s. indessen Origin, Ed. I., S. 393 bezüglich des Falles mit dem Frosch. Wir können

[page] Klassifikation.                                           ß -

und willkürlich sind — Untergattungen, — Gattungen, — Unterfamilien, Familien, Ordnungen und Klassen und Reiche. Die Art der Klassifikation, die, wie jeder fühlt, die korrekteste ist, wird als „natürliches System" bezeichnet, aber niemand kann dies eigentlich definieren. Wenn wir mit Whewell sagen <daß wir einen) undefinierbaren Instinkt

sofort sehen, was sich ergibt, dort wo ein alter Kanal der Einwanderung existiert hat, — Kordilleren; wir können sehen, warum die indisch- asiatische Flora, die eine weite Ausdehnung hat, eine bessere Chance hat, daß einzelne ihrer Bestandteile auf neue Punkte gelangen und aus- gelesen und neuen Zwecken angepaßt werden. Ich brauche kaum be- merken, daß Veränderung nicht immer Notwendigkeit.

Schließlich, wenn nun der Kontinent (größtes Aussterben während Bildung des Kontinents) sich gestaltet nach wiederholter Hebung und Senkung und Austausch von Spezies, könnten wir viel Aussterben vor- hersehen, sowie auch, daß die Überlebenden demselben Typus angehören wie die Ausgestorbenen in derselben Art wie verschiedene Teile desselben Kontinents, die einstmals durch Raum getrennt waren, wie sie durch Zeit getrennt sind. <S. Qrigin, Ed. L, S. 339 u. 349. >

Da alle Säugetiere aus ein und demselben Stamm hervorgegangen, sollte man erwarten, daß alle Kontinente zu irgend einer Zeit vereinigt waren, daher Auslöschung heutiger Züge Ich meine nicht, daß die fossilen Säugetiere, die man in Südamerika findet, die Vorfahren in ge- rader Linie der gegenwärtigen Formen von Südamerika seien: denn es ist höchst unwahrscheinlich, daß man mehr als ein oder zwei Fälle (wer kann sagen wie viele Rassen nach den Knochen vom Plata) finden sollte. Ich glaube dies bei Berücksichtigung der Zahl der Formen, die gelebt haben» — Seltenheit ein bloßer Zufall Und außerdem in jedem Fall gerade aus der Existenz von Gattungen und Spezies, werden nur wenige zur gleichen Zeit Nachkommen in der Gestalt neuer Spezies bis in ferne Zeiten hinterlassen; und je femer die Zeit, desto geringer an Zahl die Nach- kommen. Hier könnte Beobachtung eingefügt werden: schlechte Chance der Erhaltung auf sich emporhebender Insel, der Kinderstube neuer Spezies, man befrage die Erfahrung <s Origiti, Ed 1», S, 292. Diese Beobachtung kann ausgedehnt werden und zwar, daß in allen Fallen sinkendes Land, in frühen Stadien, der Bildung neuer Spezies weniger günstig sein muß, doch wird es sie isolieren und dann, wenn das Land anfangt, sich wieder zu erheben — wie günstig! Ebenso wie Bcsetztheil eines Gebiets der Zerteilung der Spezies Schranken entgegenstellt, ebenso tut sie dies einer durch Selektion entstandenen Varietät, Doch würde dies nicht der Fall sein, falls diese Varietät einer nicht völlig okkupierten

The Comolete Work of Charles Darwin Onlin#

[page] (>8                          I 'erwandtschaß und Klassifikation.

für die Wichtigkeit von Organen1) besitzen, haben wir doch kein Mittel, (besonders bei niederen Tieren) bestimmt an- zugeben, welches die wichtigsten sind, und doch fühlt jeder, daß es ein bestimmtes System geben muß, das das natürliche genannt zu werden verdient. Die wahre Verwandtschaft von Organismen wird einem deutlich, wenn man Analogie- verwandtschaften betrachtet, so z. B. ein otterartiges Tier unter den Säugetieren und einen Otter unter den Marsupialiern. In solchen Fällen ist die Ähnlichkeit des Äußeren, die der Lebensgewohnheit und die des letzten Zwecks der ganzen Organisation, sehr stark, und doch keine Verwandtschaft vorhanden.2) Systematiker können die Ausdrücke „Verwandt- schaft" und „Verwandtschaftsbeziehung" nicht ganz ver- meiden, obwohl sie dieselben nur bildlich brauchen. Wenn mit vollem Ernst behandelt, sollte das natürliche System ein genea- logisches sein. Diejenigen Punkte, die wir bei der Vererbung am meisten variieren sehen, schätzen wir in ihrer systematischen Bedeutung am niedrigsten ein, und tatsächlich besitzen die- jenigen Teile, die stark variieren, für uns keinen klassifika-

Station besser angepaßt wäre; folglich ist es während der Erhebung oder Bildung neuer Stationen, daß der Schauplatz für neue Spezies gegeben ist. Aber während Erhebung keine günstigen Umstände für die Auf- speicherung von Fossilien (außer in Höhlen); während Senkung in frühen Stadien der Erhaltung der Fossilien sehr günstig; wo Senkung, dort weniger Sediment. So daß unsere Schichten als allgemeine Regel das Grab der alten Spezies (also keiner Änderung unterworfen) sein werden, wogegen steigendes Land die Kinderstube. Wenn aber Spuren vorhanden, werden diese gewöhnlich künftigen Zeitaltern aufbewahrt werden, die neuen werden nicht eher eingehüllt, als bis neue Senkung eintritt. Während dieser ausgedehnten Lücke werden wir keine Urkunden er- halten ; so daß es ein Wunder wäre' wenn wir Ubergangsformen besäßen. Ich meine nicht jedes Stadium, denn dies können wir, wie vorher gezeigt, nicht erwarten, bis die Geologen so weit sein werden zu behaupten, daß unter unnatürlich günstigen Umständen wir in künftigen Zeitaltern ..Short-horn" und „Herefordshire" werden erkennen können (s. oben S. 55 Anm 4).

1)  Nach „Organen" hat der Verfasser, offenbar als nachträglichen Ge- danken, eingeschaltet: „nein, Beispiel Metamorphose, später zu erklären".

2)  Bezüglich Analogie-Ähnlichkeiten vergleiche mvaOfigin, Ed.l .S.42".

Ed. VI., S. 582.

[page] Entstehen von Arten und Rassen*

69

lorischen Wert.1) Beim Klassifizieren von Varietäten werden dieselben Ausdrücke gebraucht und dieselbe Art von Ein- teilung: auch hierbei (Ananas)8) sprechen wir von natürlicher Klassifikation, übersehen die Gleichheit der Frucht, weil die Gesamtheit der Pflanze verschieden ist. Dem Ursprung von Untergattungen, Gattungen usw. usw. ist, wenn man sich auf den Boden der genealogischen Sukzession stellt, nicht schwerer nachzugehen, und es stimmt hier alles mit ähnlichen Verwandtschaftsgraden, die wir bei domestizierten Orga- nismen kennen, überein. In derselben Kegion sind die or- ganischen Wesen <unleserlich> miteinander verwandt und die äußeren Bedingungen in vielen physikalischen Beziehungen gleichfalls ähnliche3), und ebenso ihre Unterschiede von derselben Art; deshalb, wenn eine neue Spezies ausgewählt worden ist und ihren Platz in der Ökonomie der Natur ein- genommen hat, dürfen wir annehmen, daß diese meist streben wird, ihr Gebiet während geographischer Veränderungen zu erweitern. Auf diese Weise kann es auch vorkommen, daß sie isoliert und neuen Bedingungen ausgesetzt wird. Dies wird zur Folge haben, daß sie leicht verändert und daß ihre Struktur durch Selektion ein wenig umgewandelt wird. — So werden sich aus einer Gattung oder Untergattung Arten bilden, wie sich bei unseren Haustieren Rassen ge- bildet haben — z. B. Rassen des Merinoschafs und Rassen britischer und indischer Rinder. Indessen könnten weitere Spezies entstehen und andere wieder ausgelöscht werden, und darauf alle miteinander erlöschen und damit würden wir

i) „In der Praxis kümmern sich die Naturforscher aber nicht viel um den physiologischen Wert der Charaktere . . . Wenn sie einen nahezu einförmigen und einer großen Anzahl von Formen gemeinsamen Charakter linden, der bei anderen nicht vorkommt, so benutzen sie ihn als sehr wertvoll." Ortgin, Ed. I, S. 417, Ed. VI., S. 573.

2)  „Wir werden gewarnt . . . nicht zwei Varietäten der Ananas bloß deswegen zusammen zu klassifizieren, weil ihre Frucht, freilich ihr wich- tigster Teil, zufällig fast die gleiche ist." Origin, Ed. I., S. 423, Ed. VI., S.579.

3)  Dieser ganze Passus ist dunkel, doch ist der Text, bis auf ein unleserliches Wort, völlig deutlich zu lesen. Anm. d. Herausgebers.

[page] -0                         Verwandtschaft und Klassifikation.

eine ausgestorbene Gattung haben, ein schon früher er- wähnter Fall, deren es in der Paläontologie zahlreiche gibt. Häufiger aber ist es, daß dieselben Vorteile, die die Aus- breitung der neuen Spezies und ihre Modifizierung, bezw. Verzweigung in verschiedene neue Spezies befördern, auch die Erhaltung einiger dieser Spezies begünstigen: und wenn zwei von jener Spezies, und zwar zwei von beträchtlich ver- schiedenem Charakter, nun den Ausgangspunkt von je einer Gruppe von neuen Spezies bilden würden, so würde dies zwei neue Gattungen ergeben; dieselbe Sache würde sich immer wiederholen. Wir können diesen Fall auch von einer anderen Seite her betrachten, und zwar in Hinblick auf die Zukunft. Wenn es bloß auf den Zufall ankäme, könnte jede lebende* Art eine neue erzeugen, doch wenn irgendeine gegebene Art, nennen wir sie A, indem sie sich verändert, einen Vorteil erringt und dieser Vorteil (worin er auch bestehe, Intelligenz usw. usw. oder irgendeine anatomische oder konstitutionelle Eigenschaft) sich vererbt1), so wird A der Vorfahre mehrerer Gattungen oder selbst Familien werden in dem harten Kampf der Natur. A wird immer weiter die anderen Formen aus dem Feld schlagen, ja es kann so kommen, daß A die Erde bevöl- kert — möglich, daß wir auf der Welt heute nicht mehr einen einzigen Nachkommen der Originalschöpfung, ob es sich nun dabei um einen oder mehrere Organismen handelt, haben.1) Da die äußeren Faktoren, Luft, Erde, Wasser, auf der Erde dieselben sind3) und die Verbindung zwischen den Teilen der Erde nicht vollkommen, so können Organismen von weit verschiedener Abstammung an dieselben Lebensbedingungen angepaßt werden und dies würde Fälle von Konvergenz

i) Die genaue Stelle folgenden Satzes ist ungewiß: „ebenso wie es nicht wahrscheinlich ist, daß sich jede der jetzigen Phantasiezuchten von Vögeln oder Rindern erhalten, sondern nur einige der besten".

2)  Dies deutet an, daß der Verfasser schon damals nicht weit entfernt von dem Prinzip der Divergenz war, auf die er später soviel Gewicht legte. S. Origin, Ed. [., S. Ell, Ed. VI., S. 134.

3)  Damit soll gesagt sein, daß dieselben Faktoren in verschiedenen

Teilen der Erde wiederkehren. . r _.          _ . _ ..

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[page] Morphologisches.                                        - r

liefern.1) Dadurch, daß dies häufig vorkäme, würde jede der großen Abteilungen Repräsentanten besitzen, die in hervorragendem Maße an Erde, Luft, Wasser angepaßt wären, und auf diese Weise würden die großen Abteilungen in ihrer Klassifikation numerische Beziehungen aufweisen.

§ 8. GLEICHHEIT [ODER ÄHNLICHKEIT] DES TYPS INNERHALB DER GROSSEN KLASSEN.

Nichts ist wunderbarer in der Naturgeschichte als die Erscheinung, daß trotz der ungeheuren Zahl der Organismen, sowohl rezenter als fossiler, die den verschiedenartigsten Lebensbedingungen ausgesetzt, in weit voneinander ge- trennten Klimaten und Zeitperioden und gänzlich ver- schiedenen Zwecken angepaßt leben, sich doch große Gruppen finden, die durch den gleichen Typ ihres Körperbaus zuein- einander in Beziehung stehen. Wenn wir z. B. Fledermaus, Pferd, Delphinflosse, Hände betrachten, die alle dieselbe Struktur2), Knochen11), die dieselben Benennungen verdienen, besitzen, so sehen wir, daß ein tiefes gemeinschaftliches Band zwischen ihnen besteht4); dies zu illustrieren ist die Grund- lage und das Ziel dessen, was wir als „Natürliches System" bezeichnen, und welches den Grund legen soll zu einer Erkenntnis der echten und der adaptativen Eigenschaften.") Nun findet diese wunderbare Tatsache der Übereinstimmung zwischen Hand, Huf, Flügel, Flosse sofort ihre Erklärung nach dem Prinzip derselben Elternformen, die entweder

i) Die Stellung des folgenden Satzes „Windhund und Rennpferd zeigen eine Analogie" ist unbestimmt. Dasselbe Beispiel findet sich in Origin, Ed. I.. S. 427. Ed. VI., S. 583.

2)  Zwischen den Zeilen stehen noch die Worte „auf Vogel und andere Klassen ausdehnen".

3)  Zwischen den Zeilen steht „viele Knochen nur repräsentiert".

4)  In Origin, Ed. I., S. 434, Ed. VI., S. 593 w'r(l m't dem Ausdruck „Morphologie" auch Einheit des Typs mit inbegriffen. Die Delphin- rlosse und der Flügel der Fledermaus werden dort als Beispiele morpho- logischer Ähnlichkeit angeführt.

5)   Dieser Satz war sehr schwer leserlich.

[page] j2             Gleichheit des Typs innerhalb der großen Klassen.

<unleser!ich> oder gehende Tiere gewesen sein können und durch eine unendliche Anzahl kleiner Selektionsvorgänge an verschiedenartige Lebensbedingung angepaßt worden sind. Wir wissen, daß Proportion, Größe, Form der Knochen und der sie umkleidenden Weichteile variieren, und daher könnte eine fortlaufende Selektion das Gerüst eines Organis- mus für nahezu jeden Zweck ummodeln und trotzdem eine allgemeine, ja selbst sehr enge Ähnlichkeit darin bestehen lassen.

[Wir wissen, daß die Zahl solcher Körperteile, wie Wirbel und Rippen, variieren kann, also könnten wir auch dies er- warten.] Ferner, falls die Veränderungen einen gewissen Punkt erreichen, wird sicherlich der Typ verloren gehen, und das ist der Fall mit Plesiosaurus.1) Die Einheit des Typs vergangener und rezenter Perioden bei gewissen großen Gruppen erhält zweifellos hierdurch die einfachste Er- klärung.

Es existiert noch eine andere Klasse verwandter und fast identischer Tatsachen, die von den nüchternsten Physiologen zugegeben wird [nach dem Studium einer bestimmten Gruppe von Organen bei einer bestimmten Gruppe von Or- ganismen] und die sich auf die Identität des Typs verschiede- ner Organe in demselben Individuum bezieht; man bezeichnet diese Wissenschaft als „Morphologie". So konnte es durch Zusammenstellung schöner und regelrechter Serien und bei den Pflanzen durch die Beobachtung von monströsen Verände- rungen festgestellt werden, daß bestimmte Organe an einem Individuum Metamorphosen anderer Organe sind. So be- trachtet jeder Botaniker die Blumenblätter, Nektarien, Staubgefäße, Pistill und Keim als metamorphosierte Blätter. Es erklärt sich so in der einleuchtendsten Art die Stellung und Anzahl aller Teile der Blume und der unter Kultivierung

auftretende eigentümliche Übergang eines Teiles in einen an-

i) In Origin, Ed I., S. 436, Ed. VI., S. 598 spricht der Autor davon, daß das „gemeinsame Muster an den Flossen gewisser" ausgestorbener

gigantischer Meereidechsen verwischt sei.

[page] Morphologie und Deszendenz.                           - ,

deren. Die kompliziertesten doppelten Reihen der Kiefer und Palpen der Crustaceen1) und aller Insekten werden als metamorphosierte Extremitäten betrachtet, und ein Blick auf die Serien lehrt die Berechtigung dieser Terminologie. Die Schädel der Vertebraten sind ohne Zweifel aus der Metamorphose dreier Wirbel entstanden, und dies lehrt uns die eigenartige Form der einzelnen Knochen verstehen, aus denen der das menschliche Hirn umschließende Helm zusammengesetzt ist. Diese Tatsachen2) sind nur unwesent- lich verschieden von den in dem vorigen Absatz genannten, wo bei Flügel, Flosse, Hand und Huf doch eine Gemeinsamkeit des Baues noch sichtbar war oder durch eine Zusammen- stellung gelegentlich vorkommender monströser Verände- rungen in Erscheinung trat, und wenn Spuren entdeckt werden könnten, daß das Ganze früher einmal als Geh- oder Schwimmwerkzeug gedient hat, so würden wir sagen können, daß diese Organe metamorphosiert sind — zunächst pflegen wir bloß zu sagen, daß sie einen gemeinsamen Typus re- präsentieren.

Letztere Unterscheidung ist so von den Physiologen nicht gemacht worden und ist nur aus ihrer allgemeinen Art der Darstellung herauszulesen. Diese Tatsachen, die ja doch jedes organische Wesen, das je auf Erden existierte oder noch existiert, berühren, können vom Schöpfungsgläubigen nur als letzte und unerklärliche Fakta betrachtet werden. Diese Einheit des Typs bei den Individuen einer Gruppe und diese Metamorphose des gleichen Organs in andere, verschiedenen Zwecken angepaßte Organe, ist hingegen nur eine notwendige Folge der Deszendenztheorie.3) Nehmen wir den Fall der

i) S. Origin, Ed. I., S. 437- F.d. VI., S. 599.

2)  Folgende Stelle war wohl als dem mit „Diese "Tatsachen" be- ginnenden Satze voranstehend gedacht gewesen: „Es ist offenbar, daß, wenn bei jeder individuellen Spezies Organe metamorphosiert werden, ein einheitlicher Typ an Formenreichtum gewinnen muß".

3)  Dies ist, wie ich glaube, die erste Stelle, an der der Verfasser die Worte „theory of descent" (Deszendenztheorie) gebraucht.

[page] 74            Gleichheit des Typs innerhalb der großen Klassen.

Wirbeltiere: wenn wir annehmen, daß diese von einem ge- meinsamen Vorfahren abstammen, dann müßten sie sich nach unserer Theorie langsam, sowie wir es bei domestizierten Tieren sehen, verändert haben. Wir wissen, daß sich Pro- portionen verändern und selbst, daß gelegentlich die Zahl der Wirbel sich verändert, daß Teile verlötet werden oder verloren gehen (wie Schwanz und Zehen), aber wir können auch beobachten, daß möglicherweise ein Geh-Organ sich in ein Schwimm-Organ oder aber in ein Gleit-Organ und so immer weiter bis in ein Flug-Organ verwandeln kann. Aber solche allmählichen Veränderungen wie Verlorengehen oder Ver- lötung von Körperteilen oder Wirbeln werden zunächst die Einheit des Typs bei den Nachkommen noch nicht antasten. Indessen sehen wir, daß, wenn dies auf die Spitze ge- trieben wird, die Einheit des Typs verloren geht — Plesio- saurus. Wir haben dabei gesehen, daß dasselbe Organ zu verschiedenen Leistungen umgeformt werden kann <hier folgen 10 unleserliche Worte>. Und wenn wir bei verschie- denen Ordnungen von Wirbeltieren den Ursprung von Dornfortsätzen und Monstrositäten zurückverfolgen könnten, sollten wir dies nicht Einheit des Typus, sondern Morpho- logie') nennen, wie wir es tun, wenn wir den Schädel auf umgewandelte Wirbel zurückführen.

Man muß beachten, daß Naturforscher, ebenso wie sie Ausdrücke wie „Verwandtschaft" brauchen, ohne dies im wörtlichen Sinne zu meinen, auch hier den Ausdruck „Meta- morphose" zu brauchen pflegen, ohne damit den Gedanken zu verbinden, daß irgendein Vorfahre der Crustaceen wirk- lich ein Tier mit ebensovielen Beinen gewesen sei, wie die Crustaceen Kiefer besitzen. Die Deszendenztheorie erklärt uns diese wundersamen Tatsachen auf einen Schlag.

Wenige von den Physiologen, welche diese Ausdrücke brauchen, glauben wirklich, daß der Vorfahre eines Insektes mit metamorphosiertem Kiefer wirklich ein Insekt mit ent- sprechend vielen Füßen gewesen sei, oder daß die Vorfahren

i) Gemeint ist: „wir sollten dies eine morphologische Tatsache nennen".

[page] Deszendenztheorie,

75

blühender Pflanzen ursprünglich keine Staubgefäße oder Pistille oder Kronenblätter, sondern andere Fortpflanzungs- mittel besessen hätten — und was der ähnlichen Fälle mehr sind. Nun erlaubt uns unsere eine unendliche Anzahl von Veränderungen voraussetzende Theorie, anzunehmen, daß ein einem bestimmten Zwecke dienendes Organ von dem Nachkommen zu einem andern Zweck gebraucht werden kann, so wie es unserer Theorie nach bei Fledermaus, Delphin, Pferd, die von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, der Fall gewesen sein muß.

Gesetzt, es käme außerdem noch vor, daß Spuren des frühe- ren Zwecks und der früheren Struktur erhalten wären, was offenbar möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich ist, dann würden wir diejenigen Organe vor uns sehen, die den mor- phologischen Begriffen zugrunde liegen, und was zuvor bildlich gemeint wurde, wird buchstäblich wahr und was völlig unverständlich gewesen, wird einfache Tatsache.1)

(Embryologie.) Diese allgemeine Einheit des Typs bei großen Gruppen von Organismen (einschließlich jener mor- phologischen Fälle selbstverständlich) manifestiert sich in höchst frappanter Weise in den Stadien, die der Fötus durchmacht.2) In ganz frühen Stadien können der Flügel einer Fledermaus, ein Huf, eine Hand oder eine Delphin- flosse nicht unterschieden werden. Auf einer noch niedrigeren Stufe ist überhaupt kein Unterschied zwischen Fisch, Vogel usw. und Säugetier. Nicht daß sie nicht unterschieden werden könnten, aber die Arterien3) <unleserlich>. Es ist nicht wahr, daß eins von ihnen direkt durch die Form einer tieferen Gruppe

i) In Origin, Ed. I., S. 438, Ed. VI., S. 602 sagt Ch. Darwin in bezug auf die Ausdrücke, die von Naturforschern auf morphologische Er scheinungen, Metamorphose usw. angewendet werden ,,meiner Meinung nach dürfen diese Ausdrücke buchstäblich angewendet werden".

2)  S. Origin, Ed I., S. 439, Ed. VI.. S. 605.

3)  In Origin, Ed. I., S. 440, Ed. VI., S. 606 sagt der Autor: „Wir können nicht annehmen, daß bei den Embryonen der Wirbeltiere der eigentümliche schleifenartige Verlauf der Arterien nahe den Kiemenspalten mit der Ähnlichkeit der Lebensbedingungen in Zusammenhang steht."

[page] 7 6             Gleichheit des Typs innerhalb der großen Klassen.

hindurchgeht, doch besteht kein Zweifel, daß es Fötalstadien gibt, die die nächste Verwandtschaft mit den Fischen zeigen.1)

Diese Ähnlichkeit auf der frühesten Stufe zeigt sich deut- lich an dem Laufe der Arterien, die sich außerordentlich verändern, wenn der Fötus ins Leben hinaustritt und die dann sowohl in ihrem Lauf, wie in ihrer Zahl den Charakter annehmen, der ausgewachsenen Fischen und Säugetieren eigen ist. Wie wunderbar ist es, daß im Keim, ob er sich nun in Wasser oder Luft oder Mutterschoß entwickelt, die Arterien denselben Lauf nehmen.2)

Auf alles dies kann unsere Theorie Licht werfen. Die Struktur jedes Organismus ist hauptsächlich der Erhaltung seines Lebens, und zwar im ausgewachsenen Zustande, wenn es sich zu ernähren und fortzupflanzen hat, angepaßt.8) Der Bau eines Kätzchens ist nur in ganz sekundärem Grade seinen Gewohnheiten zur Zeit, wo es durch die Milch und die Beute seiner Mutter ernährt wird, angepaßt. Daher wird eine Variation im Körperbau der ausgewachsenen Spezies es sein, die hauptsächlich die Erhaltung einer Art bestimmt, die ihrer Umgebung nicht mehr entspricht, oder vielmehr der sich ein besserer Platz im Haushalt der Natur eröffnet. Für die ausgewachsene Katze würde es gleich- göltig sein, ob sie in ihrem Säuglingszustand etwas mehr oder weniger ausgesprochen Katzenhaftes hätte, wenn dies sich nur einstellt, sobald sie ausgewachsen ist. Zweifellos ist die Variation (soweit sie nicht von Lebensgewohnheiten

i) Folgendes findet sich quer über die Seite geschrieben „sie gehen durch dieselben Phasen hindurch, doch machen einige, gewöhnlich als die höheren Gruppen bezeichnet, noch weitere Metamorphosen durch".

Degradation und Komplikation? keine Tendenz zur Vervollkommnung.

Gutes Argument gegen Lamarck?

2)  EinefastidentischeStelle findet sich in Origi/i,EdA.,S. 440, Ed. VI.,S.6o6.

3)  Die Worte „Tod von Brüdern — wenn alt — durch dieselbe

eigentümliche Krankheit", die hier zwischen den Zeilen stehen, scheinen

mehr ein Memorandum gewesen zu sein, das einige Zeilen tiefer unten

weiter ausgeführt wird. Pas Beispiel mit den Brüdern stammte wohl

von Dr. R. W. Darwin., ... . r rtl . _ . n ,.

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[page] Auftreten von Veränderungen.                            *-

des Individuums bedingt ist) von frühen Veränderungen abhängig1), und wir müssen annehmen, daß, zu welcher Zeit des Daseins die Änderung des Fötus auch immer bewirkt wird, sie zu entsprechender Zeit in Erscheinung zu treten tendiert. Wenn wir sehen, wie eine Tendenz zu einer besonderen Krank- heit durch den männlichen Teil übertragen wird, so wissen wir, daß während der Empfängnis eine Wirkung auf die ein- fache Eizelle hervorgerufen wurde, die erst ein halbes Jahr- hundert später in Erscheinung tritt; diese Wirkung aber ist unsichtbar.2) So sehen wir beim Windhund, Bulldog, Renn- pferd und Lastpferd, die alle wegen ihrer Gestalt im aus- gewachsenen Zustand gezüchtet worden sind, daß viel we- niger <?> Unterschied3) in den ersten paar Tagen nach der Geburt besteht, als in erwachsenem Zustand, ebenso bei Rindern; dies sehen wir deutlich in Fällen von Rindern, die auffällig in Form und Größe der Hörner voneinander abweichen. Wenn der Mensch ioooo Jahre lang imstande wäre, Tiere zu züchten, die noch verschiedener von Pferd oder von Rind wären, glaube ich, daß viel geringere Unterschiede in den sehr jungen fötalen Stadien existieren würden; und dies glaube ich, beleuchtet obige wunderbare Tatsache. Bei Larven, die ein langes Leben haben, kann Selektion viel- leicht viel bewirken, bei Puppen nicht so viel.4) Es sind keine

i) S. die entsprechende Diskussion in Origin, Ed. I., S. 443—4- Ed. VI. S. 610. Dort macht mein Vater einen Unterschied zwischen einer Ein- wirkung auf die Keimzelle und einer auf einer späteren Lebensstufe er- folgenden Reaktion.

2)  Wahrscheinlich wollte der Verfasser schreiben „und diese Wirkung

ist bis dahin unsichtbar".

3)  S. Origin, Ed.I.,S 444—5, Ed.VI., S.6n. Das Fragezeichen nach „viel weniger" erscheint ganz gerechtfertigt, da es genauer Messungen bedurft hätte, um festzustellen, daß die Windhund- und Bulldogg-Juogen noch nicht „ihr volles Maß an proportionellem Unterschied" erreicht hatten.

4)  Die folgenden Auslassungen von der Rückseite des Blattes haben bis zu gewissem Grade denselben Inhalt, wie der eigentliche Text, nämlich: „Wie ich glaube, kann auf diese Tatsachen Licht geworfen werden. Aus dem Vererbtwerden folgender Eigentümlichkeiten [wir wissen, daß irgendeine Veränderung in der Keimzelle stattfindet, die

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[page] 7 8              Gleichheit des Typs innerhalb der großen Klassen.

großen Vorteile durch eine Variation der Form usw. des Fötus zu erreichen (es sei dies denn eine gewisse Anpassung an den Uterus der Mutter) und deshalb wird die Selektion nicht in einem anderen Sinne auf ihn einwirken als höchstens, indem sie seinen veränderlichen Geweben eine Tendenz

sich erst Jahre darauf verrät} Krankheiten, beim Menschen; Gicht, Kropf, Kahlheit, Dickleibigkeit [Langlebigkeit, Zeit der Fortpflanzung, Gestalt der Hörner, Fall von Rindern, die an derselben Krankheit sterben]. Und wir wissen, daß die Keimzelle affiziert worden ist, obwohl keine Wirkung zu bemerken ist und auch bis nach Jahren bemerkt werden kann — durch ihr Auftreten an dem ausgewachsenen Individuum." Damit ist wohl gemeint: Das junge Individuum ist scheinbar ebenso frei von den ererbten Veränderungen, die später auftreten werden, wie die Jungen tatsächlich frei sind von den Änderungen, die durch Ein- wirken bestimmter Lebensbedingungen im erwachsenen Zustand eintreten. „So daß, wenn wir beim Rind eine Varietät bemerken und wenn wir auch wissen, daß diese Varietät dem Reproduktionsakt ihre Entstehung verdankt, so wissen wir deshalb doch nicht bestimmt, in welchem Lebensalter diese Veränderung bemerkbar geworden ist. Sie kann auf frühen Stadien des freien Lebens oder des Fötallebens entstanden sein, wie wir an Monstro- sitäten sehen. Aus den vorhin angeführten Argumenten und aus Kreuzungen können wir weiter annehmen: im Keim; doch wiederhole ich, daß das nicht besagen will, daß man die Veränderung eher als auf vollständiger Lebenshöhe wahrnimmt; ebensowenig wie man ererbte Dickleibigkeit im frühen Kindesalter oder gar im Fötalieben wahrnimmt. Bei den Hörnern der Rinder, deren Gestalt, falls ererbt, auch von der Keimzelle abhängen muß, ist selbstverständlich keine sichtbare Wirkung vor völligem Erwachsensein zu bemerken. In Praxi sehen wir also, daß die erblichen Eigentümlichkeiten, die unsere domestizierten Rassen auszeichnen und auf die Keimzelle zurückzuführen sind, in ihrem vollen Charakter selten auf frühen Lebensstufen in Erscheinung treten — so z. B. obwohl zwei Rinderrassen einigermaßen verschiedene Kälber haben, so erscheinen diese als Kälber nicht so verschieden —, Windhund und Bulldogg. Und dies entspricht auch dem, was wir erwarten dürfen, denn der Mensch ist gleichgültig gegen die Eigenschaften junger Tiere, er sucht sich vielmehr diejenigen ausgewachsenen Tiere aus, welche die ihm wünschenswerten Eigenschaften besitzen. So daß wir schon daraus ableiten dürfen, daß die Charaktere derart sind, daß sie erst im reifen Alter in volle Erscheinung treten. Ferner dürfen wir es als Gesetz betrachten, daß, auf welcher Lebensstufe auch eine Eigenschaft — sie möge von der Keimzelle oder als Wirkung äußerer Verhältnisse herrühren — auftritt, sie im Nach- The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Embryologie.

verleiht, späterhin bestimmte Teile bestimmte Formen an- nehmen zu lassen.

Folglich ist keine Fähigkeit vorhanden, den Lauf der Arterien zu ändern, solange diese den Fötus ernähren; die Selektion arbeitet an den leichten Veränderungen, die zu irgendeiner Zeit während <unleserlich> des Lebens auftreten.

Die geringen Unterschiede, die die Vertreter verschiedener Gruppen während ihres Fötallebens zeigen, können offenbar nur von diesen Gesichtspunkten aus verstanden werden — wie sonderbar wäre es sonst, daß ein [Affe] Pferd, ein Mensch zu irgendeiner Zeit seines Lebens Arterien haben sollte, die wir nur für einen Fisch als zweckmäßig erkennenkönnen! Das natürliche System ist der Theorie nach genealogisch, und deswegen sehen wir sofort, warum der Fötus, indem er Spuren der anzestralen Form bewahrt, von größtem Wert bei der Klassifikation ist.

kommen auf der entsprechenden in Erscheinung tritt <[(s. Origin, Ed. [,, S. 444)>- So erzeugen Leute mit Alterskrankheiten Kinder, die auch später an Alterskrankheiten leiden werden — frühe Reife — Lang- lebigkeit — alte Männer, Brüder, leiden an derselben Krankheit, — junge Kinder derselben d"°. Ich sagte: Mensch wählt nicht nach Qualität der Jungen, — Kälber von großen Stieren. Seidenwürmer, Eigenheiten, die im Raupen- oder Kokonstadium erscheinen, werden an das entsprechende Stadium übertragen. Wirkung würde sein, daß, falls eine Eigentümlich- keit bei einem jungen Tiere vorhanden wäre, aber nie ausgeübt würde, sie an das neue Junge vererbt werden könnte; würde sie sehr ausgeübt, so würde jener Teil des Körpers nach solcher Trainierung verstärkt und in der entsprechenden Lebensperiode weiter vererbt werden. Ich habe gesagt, daß der Mensch an dem ausgewachsenen Tier Auslese übt, ebenso tut es die Natur. Beim Kampf ums Dasein bedeutet es wenig für das katzenartige Tier, ob ein Kätzchen ausgesprochenen Katzencharakter zeigt, wenn es nur saugt. Daher setzt die natürliche Zuchtwahl in bezug auf einen Charakter des erwachsenen Tiers auch an dem erwachsenen Tiere ein. Die Zuchtwahl wird nicht tendieren, den Charakter des Fötus zu ändern (es sei denn sein Verhältnis zur Mutter), auch wenig tendieren, die jungen Lebensstufen zu ändern (mit Aus- nahme des Larvenzustands), aber beim ausgewachsenen Tier kann sie jeden Teil verändern. Betrachte einerseits einen Fötus und seine Eltern, und wieder nach Ablauf langer Zeiträume die Abkömmlinge dieser, wiederum einen Fötus und seine Eltern. Die Eltern haben dann viel

stärker variiert als der Fötus, dies erklärt alles.

[page] 8o                                     Abortive Organe,

§ 9. <ABORTIVE ORGANE.)

Es gibt noch eine Gruppe von Tatsachen, und zwar beziehen sich diese auf das, was wir als rudimentäre Organe bezeich- nen. Dieses sind solche, die unser logischer Verstand, der uns darauf hinweist, wie wundervoll Organe in manchen Fällen einem gewissen Zweck angepaßt sind, in anderen Fällen als vollständig zwecklos erklärt. So Zähne von Rhinozeros1), Wal, Narwal — Knochen an der Tibia, Muskeln, die sich nicht bewegen — kleine Flügelknochen von Apteryx — ru- dimentäre Extremitäten — Knochen bei gewissen Schlangen, — kleine Flügel innerhalb der verlöteten Flügeldecken der Käfer, — Brustwarzen beim Mann und beim Bullen — Staub- fäden ohne Antheren bei Pflanzen, bloße Schuppen statt Blumenblättern bei anderen, bei Federhyazinthe ganze Blume. Fast zahllose Beispiele. Niemand kann ohne Er- staunen über diese Erscheinung nachdenken, denn kann etwas klarer sein, als daß Flügel zum Fliegen und Zähne zum Beißen da sind, und doch finden wir diese Organe in jeder Einzelheit vollkommen ausgebildet in Situationen, wo es absolut unmöglich ist, daß sie ihrem normalen Zwecke dienen.2)

Der Name rudimentäres (abortives) Organ ist jenen Bil- dungen (die ebenso stabil3) wie andere Teile) wegen ihrer absoluten Ähnlichkeit mit monströsen Fällen verliehen worden, wo aus Zufall gewisse Organe nicht entwickelt worden sind, wie z. B. Kind ohne Arme oder Finger und mit bloß einem Stumpf an deren Stelle; Zähne, die durch bloße Ossifikationspunkte vertreten sind; Kinder ohne Kopf,

1)  Einige dieser Beispiele finden wir auch in Origin, Ed. I., S. 450—31, Ed. VI., S. 619—20.

2)  Die beiden folgenden Sätze sind, der eine am Rand, der andere quer über die Seite geschrieben. „Rudimentäre Organe außerordentlich nützlich für Klassifikation. Embryonaler Zustand der Organe. Rudimente von Organen.*'

3)  Ich denke, daß hiermit gemeint ist, daß rudimentäre Organe im Gegensatz zu Monstrositäten spezifische Charaktere darstellen.

[page] Beispiele.                                            o

bloß mit einer Art Knopf, — Eingeweide vertreten durch kleine amorphe Massen usw., Schwanz ersetzt durch bloßen Stummel — ein festes Hörn durch ein kleines hängendes1). Bei allen diesen Fällen besteht, falls das Tier am Leben bleibt, eine Tendenz, solche Bildungen zu vererben. Wir bemerken dies bei schwanzlosen Katzen und Hunden. Bei Pflanzen sehen wir dies in schlagendster Weise, — bei Thymus bei Linutn flavitm, — Stengel bei Geranium pyrenaicum.*) Nek- tarien verwandelten sich bei Aquilegia aus irgendeinem Zu- fall in Blumenblätter und wurden dann erblich, in einigen Fällen nur durch Knospenfortpflanzung, in anderen durch Samen. Diese Fälle sind plötzlich durch Zufall in jugendlichem Wachstum entstanden, aber es ist Teil des Wachstums- gesetzes, daß, wenn irgend ein Organ nicht gebraucht wird, es dazu neigt, kleiner zu werden (Entenflügel)3), Muskeln des Hundeohrs und der Kaninchen, Muskeln können dahin- welken, Arterien können erstehen. Wenn Augen fehlerhaft zur Welt kommen, atrophiert der optische Nerv (Tuco Tuco). Da jeder Körperteil, ob nützlich oder nicht (Krank- heiten, gefüllte Blumen) tendiert, auf die Nachkommen übertragen zu werden, läßt sich der Ursprung rudimentärer Organe, ob sie nun bei der Geburt entstanden oder langsam erworben wurden, bei den domestizierten Rassen der Or- ganismen leicht verstehen: [Wettstreit zwischen Atrophie und Erblichkeit. Abortive Organe bei domestizierten Rassen.] Es wird immer ein Kampf bestehen zwischen der Atrophie eines nutzlos gewordenen Organs und Vererbung.4) Es wäre nicht richtig als absolut bewiesen anzunehmen, daß alle

i) Kleine, hängende Hörner sind in Origin, Ed. I., S. 454, Ed. VI., S. 623 erwähnt, wo von ihrem Auftreten bei hornlosen Rinderrassen die Rede ist.

2)  Linumflmmm ist dimorph, Thymus gynodiözisch. Es ist nicht klar, auf welchen Punkt bei Erwähnung von Geranium pyrenaicum hingewiesen werden soll.

3)  Ch. Darwins Arbeit über Entenflügel etc. befindet sich in Var. under Dom., Ed. z, I., S. 299.

4)  Nach „nutzlos- sind die Worte „vis medicatrix" eingeschaltet, wahrscheinlich als Memorandum.

F.Darwin. Fundamente *ur li'ttstehun/i der Artt»-                                  6

[page] 82                                        Abortive Organe.

rudimentären Organe denselben Ursprung haben, weil wir ihren Ursprung in gewissen Fällen kennen, doch spricht die stärkste Analogie allerdings zugunsten dieser Annahme. Wir können so durch unsere Theorie die Tatsache, die, von andern Gesichtspunkten betrachtet, so verwunderlich erscheint, leicht erklären, nämlich, daß Organe, die eventuell zwecklos sind, mit ebenso auserlesener Sorgfalt gestaltet erscheinen, als wenn sie von vitaler Bedeutung wären.

Unsere Theorie, möchte ich sagen, erlaubt einem Organ, abortiv zu werden in Beziehung auf seinen primären Zweck und irgendeinem anderen Zwecke zugewandt zu werden (wie die Blüten eines Blumenkohls), daher ersehen wir keine Absonderlichkeit in der Tatsache, daß die Knochen männ- licher Marsupialier als Stütze für Muskeln dienen, oder in der Funktion des Griffels der Calendula1) — ja von einem gewissen Standpunkte aus könnte man sagen, daß die Köpfe von | Wirbel-| Tieren abortive Wirbel seien, die einem anderen Zwecke zugewandt worden sind: die Beine mancher Crusta- ceen abortive Kiefer usw. usw. De Candolles Analogie von dem mit Schüsseln besetzten Tisch.2)

< Möglicherweise waren die folgenden Satze zur Einschal- tung an dieser Stelle bestimmt./ Degradation und Kompli- kation siehe Lamarck: keine Tendenz zur Vervollkomm-

i) Bei den männlichen tinzelbluten gewisser Kompositen funktioniert der Griffel lediglich als l*iston, um den Pollen herauszutreiben.

2) Auf der Ruckseite des Blattes steht folgendes: „Falls rudimentäre Organe eine durch erbliche Terdenz erhaltene Spur solcher Organe sind, die einem Vorfahren von Nutzen waren, ist es sofort klar, warum sie wichtig in der Klassifikation, auch warum deutlicher bei jugendlichem Tier; dies ist, weil, wie im letzten Abschnitt gesagt, die Selektion das ältere Tier am meisten verändert. Ich wiederhole, daß diese wunder samen Tatsachen von Körperteilen, die zu keinem ersichtlichen Nutzen in Vergangenheit und Gegenwart geschaffen wurden, durch meine Theorie einfache Krklärung finden; oder sie finden keine und wir müssen uns mit irgendwelchem leeren Vergleich begnügen, sowie mit dem De Candolles, der die Schöpfung mit einem schön gedeckten Tisch vergleicht und sagt, man könne die rudimentären Organe mit Schusseln (manche davon leer) vergleichen, die aus Gründen der Symmetrie aufgestellt worden seien!* The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Vergleich dreier Rhinuserosarlen.                         83

nung: falls Platz, würde höherer Organismus mehr Macht haben, tieferen zu schlagen, Gedanke <?> der Auslese für ein degradiertes Ende.

§10. ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN.

Rekapitulieren wir diese letzten Abschnitte, indem wir uns den Fall der drei Spezies von Rhinozeros betrachten, wie sie Java, Sumatra und das Festland von Malakka oder Indien bewohnen. Wir sehen hier drei dicht benachbarte Tierarten, Bewohner getrennter, jedoch dicht beieinander gelegener Distrikte, und zwar ist das Aussehen dieser Gruppe von den Rhinozeros Afrikas deutlich verschieden, obwohl einige der letzteren sehr ähnliche Gegenden bewohnen, andere dagegen ganz verschiedenartige Aufenthaltsorte haben. Wir finden sie in ihrem Bau aufs engste verwandt [kaum mehr Unterschiede als zwischen einigen Rinderrassen] mit den- jenigen Rhinozeros, die seit undenklichen Zeiten eben diese eine von den drei zoologischen Hauptabteilungen der Welt bewohnt haben. Indessen waren einige von jenen ehemaligen Tieren sehr verschiedenen Wohnorten angepaßt: wir finden, daß unsere drei Spezies alle den Gattungscharakter des Rhinozeros aufweisen, welche [ein Stück Netz]1) eine Reihe von Gliedern aus der zerrissenen Kette darstellten, als die wir uns die Pachydermen vorzustellen haben, einer Kette, die wiederum einen Teil anderer und längerer Ketten aus- macht. Wir ersehen dies aufs klarste, wenn wir das plumpe Bein der drei sezieren und dabei fast dieselben Knochen wie im Flügel der Fledermaus oder in der menschlichen Extremität entdecken; deutlich finden wir an der soliden Tibia die Stelle markiert, wo die Fibula mit ihr verwachsen ist. Bei allen dreien sehen wir, wie der Kopf aus drei umgebildeten Wirbeln entstanden ist; so kurz der Hals ist, enthält er doch dieselben Knochen wie der der Giraffe. Im Oberkiefer sämtlicher

1) Der Verfasser meinte hiermit zweifellos, daß die komplizierte Ver- wandtschaft zwischen den Organismen sich ungefähr mit einem Netz ver- gleichen läßt, als dessen Knoten man die Spezies anzusehen hätte.

The ComDlete Work of Charles Darwin Online*"

[page] 84                   Zusammenfassung und Schlußfolgerungen.

drei Spezies finden wir kleine Zähne ähnlich wie Kaninchen- zähne. Wenn wir diese Arten im Fötalzustand sezieren, so finden wir, daß auf einem nicht einmal sehr frühen Stadium ihre Form genau derjenigen der verschiedenartigsten anderen Tiere gleicht, ja die Arterien verlaufen genau wie beim Fisch; und diese Ähnlichkeit besteht, gleichviel ob nun das Junge im Uterus oder im Teich, als einzelnes Ei oder im Laich erzeugt wird. Nun sind diese, zweifellos unterschie- denen drei Arten einander fast so ähnlich wie verschiedene Rinderrassen und wahrscheinlich denselben ansteckenden Krankheiten unterworfen; falls domestiziert, würden diese Formen variieren, eventuell gepaart werden können und zu einem von ihren ursprünglichen Formen abweichenden Etwas1) verschmelzen; sie könnten dann durch Zuchtwahl dahin gebracht werden, verschiedenen Zwecken zu dienen. Nun ist der Schöpfungsgläubige der Meinung, diese drei Rhinozeros seien mit ihrem nur trügerischen Anschein echter Verwandtschaft jedes für sich erschaffen worden2); ebensogut könnte ich glauben, daß die Planeten in ihren gegenwärtigen Bahnen nicht auf Grund des Gravitationsgesetzes sondern infolge eines ausdrücklichen Willensakts des Schöpfers

kreisten.

Wenn wir zugeben, daß echte Arten, die unter sich unfrucht- bar sind, die eigentümliche Anpassungen zeigen, die gegen- wärtig verschiedene Länder bewohnen, die verschiedenen Körperbau und verschiedene Instinkte besitzen, einen ge- meinsamen Ursprung haben, so können wir billigerweise erst da Halt machen, wo unser Tatsachenmaterial aufhört. Wir sehen, wie weit in gewissen Fällen eine Kette von Arten uns führen kann. <.Dies bezieht sich wahrscheinlich auf die Crustaceen, wo die beiden Enden der Serie ,,kaum eine gemein-

1)  Zwischen den Zeilen steht noch „eine Form verloren gehen —".

2)  Der Originalsatz ist hier unterbrochen durch folgende Einschaltung „aus dem Staub von Java, Sumatra, <?> diese mit vergangenem und gegen- wärtigem Zeitalter verknüpft und (unleserlich) mit dem Stempel der Nutzlosigkeit in einigen und der Umwandlung in anderen Organen".

[page] Kreuzungen.

85

same Eigenschaft besitzen". Origin, Ed. I, S. 419.) Können wir nicht (eingedenk der ausgedehnten Vernichtung und der Unvollkommenheit geologischerUrkunden) von einer Unter- gattung zu einer anderen Untergattung springen? Können Gattungen uns aufhalten? Viele der gleichen Argumente, die uns bewogen, Arten preiszugeben, fordern unerbittlich das Fallen von Gattungen und Familien und das Wanken von Klassen. Wir sollten erst da Halt machen, wo die klare Einheit des Typs, unabhängig von Zweck und An- passung aufhört.

Ich muß daran erinnern, daß kein Naturforscher sich darauf einlassen wird, eine Spezies nur nach ihrem äußeren Charakter zu definieren; bei vielen Gattungen ist die Unterscheidung ganz willkürlich.1) Aber es gibt noch einen anderen Weg, Spezies von Rassen zu unterscheiden; das ist durch den Ver- gleich der Wirkung des Kreuzens. Wäre es nicht wunderbar, wenn durch die Vereinigung von zwei Organismen, die aus zwei gesonderten Schöpfungsakten hervorgegangen sind, deren beider Charaktere nach denselben Regeln verschmelzen würden, wie dies bei zwei Rassen, die offensichtlich von ein und demselben elterlichen Stamme hervorgegangen sind, der Fall ist; und doch lassen sich solche Tatsachen anführen. Denn Unfruchtbarkeit ist, wenn auch eine häufige, doch keine unweigerliche Begleiterscheinung, auch ist sie graduell sehr verschieden, und man hat beobachtet, daß sie wahr- scheinlich von Ursachen abhängig ist, die denen analog sind, welche die Unfruchtbarkeit domestizierter Organismen ver- anlassen. Abgesehen von der Sterilität gibt es keinen Unter- schied zwischen Kreuzungen von Arten und Kreuzungen von Varietäten, wie durch eine lange Reihe von Tatsachen bewiesen werden kann. Sehr schlagend tritt dies in Erschei- nung bei den Instinkten, in den Fällen, wo die geistigen Eigenschaften zweier Arten oder Rassen zur Verschmelzung

1) Zwischen den Zeilen die Worte ,.Spezies variieren nach denselben Gesetzen wie Varietäten; ebenso kreuzen sie nach denselben Gesetzen". The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] 86                    Zusammenfassung und Schlußfolgerungen.

gelangen.1) In beiden Fällen geht, wenn das Halbblut einige Generationen hindurch mit einem von den beiden Eltern gekreuzt wird, jede Spur der anderen elterlichen Form ver- loren (s. Koelreuter an zwei Tabakarten, die zusammen bei- nahe steril waren), so daß der Schöpfungsgläubige in diesem Fall annehmen muß, daß ein Schöpfungsakt von einem anderen absorbiert worden ist!

SCHLUSS.

Dies sind meine Gründe zu der Annahme, daß spezifische Formen nicht unveränderlich sind. Die Verwandtschaft verschiedener Gruppen, die strukturelle Einheit der Typen, die repräsentativen Formen, durch welche der Fötus hindurch- geht, die Metamorphose gewisser Organe, das Rudimentär- werden anderer, alle diese Dinge werden, über ihren bis- herigen Gebrauch als bildliche Darstellungsweise hinaus, zu verständlichen Tatsachen. Wir schauen nicht mehr auf ein Tier wie ein Wilder auf ein Schiff2) oder irgendein großes Kunstwerk, in welchem er ein über sein Verständnis hinaus- gehendes Ding erblickt; dafür aber fühlen wir ein ganz neues Interesse in seiner Erforschung. Wie interessant wird jeder Instinkt, sobald wir seinem Ursprung nachforschen, ob er eine ererbte oder angeborene Gewohnheit oder ob er ent- standen ist durch eine Zuchtwahl von Individuen, die leicht von ihren Eltern abwichen. Wir müssen jeden kompli- zierten Mechanismus und Instinkt als die Summe einer langen Vorgeschichte betrachten, <als die Anhäufung8)) nütz-

i) ,,inc Kreuzung mit einem Bulldogg hat auf viele Generationen hinaus den Mut und die Hartnäckigkeit von Windhunden beeinflußt." Origin, Ed. I., S. 214. E<1. VI., S. 327.

2)  Der Vergleich mit dem Wilden und dem Schiff findet sich auch in Origin, Ed. I., S. 485, Ed. VI., S. 327.

3)  In Origin, Ed. I., S. 486, Ed. VI., S. 665 spricht der Autor von

einer Summierung vieler Vorrichtungen, ich habe deshalb auch hier diese

Ausdrücke eingeschaltet, welche den Sinn des Satzes klarer gestalten.

In Origin gebraucht Darwin als Vergleich eine „große mechanische

Erfindung", nicht wie hier ein ,.Kunstwerk". _ . _ ..

The ComDTete Work of Charles Darwin Online

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F. Darwin, Fundamente zur Eptsiehmg der 4rt*#. A* S. 86.

ine L-omölete Work orCharles Darwin Online

[page] o

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licher Vorrichtungen, sehr ähnlich wie die Vervollkommnung eines technischen Werkes sich vollzieht. Wie interessant wird nun die Verbreitung sämtlicher Tiere, indem sie die Geographie älterer Zeitalter in ein helles Licht rückt. [Wir sehen einige Meere überbrückt.] Die Geologie verliert an Nimbus durch die Unvollkommenheit ihrer Archive,1) aber wie sehr gewinnt sie andererseits durch das Ungeheuere ihrer Formationsperioden und der Lücken, welche diese Formationen voneinander trennen. Es liegt viel Größe darin, die jetzt existierenden Tiere entweder als die gradlinigen Abkömm- linge von Formen, die unter tausend Fuß Erde begraben liegen oder als die Miterben eines noch älteren Vorfahren anzusehen. Es stimmt mit den Gesetzen, die nach unserer Kenntnis durch den Schöpfer der Materie eingeprägt worden sind, überein, daß die Erschaffung und Vertilgung von Formen, ebenso wie Geburt und Tod der Individuen als die Wirkung sekundärer [Gesetze] Mittel2) aufzufassen sind. Es ist ent- würdigend, daß der Schöpfer endloser Weltensysteme einen jeglichen von den Myriaden kriechender Parasiten und [schlei- miger] Würmer einzeln geschaffen haben soll, von denen es an jedem einzigen Tag zu Land und zu Wasser auf dieser unserer Erde gewimmelt hat. Wir hören auf, uns zu wundern, — so sehr wir es beklagen mögen —, daß eine Gruppe von Tieren direkt dazu geschaffen wurde, ihre Eier in die Eingeweide und das Fleisch anderer Tiere zu legen, — daß gewisse Or- ganismen in Grausamkeit schwelgen, — daß Tiere sich durch falsche Instinkte irreführen lassen, und daß jährlich ein unberechenbarer Verlust an Eiern und Pollen stattfindet. Aus Tod, Hungersnot, Raub und dem verborgenen Kampf in der Natur ist, wie wir jetzt sehen, gerade die höchste Leistung, die wir uns vorstellen können, die Erschaffung der höheren Tiere, direkt hervorgegangen. Zweifellos über- steigt es zunächst unser bescheidenes Fassungsvermögen, uns Gesetze vorzustellen, welche die Fähigkeit besitzen,

                                   — —                   

i) S eine ähnliche Stelle in Origin, Ed. I., S. 487, Ed. VI., S. 667.

2) S. Origin, Ed I. S 488, Ed. VI., S. 668

[page] 88                    Zusammenfassung und Schlußfolgerungen.

individuelle Organismen zu erschaffen, von denen jeder durch meisterhafte Herstellung und weitestgehende Anpassung charakterisiert ist. Es verträgt sich allerdings besser mit [unserer Bescheidenheit] der Beschränktheit unserer Fassungs- kraft, anzunehmen, daß jeder Organismus des ,, Werde" eines Schöpfers bedürfe, doch in demselben Verhältnis würde auch die Existenz entsprechender Gesetze unsere Vorstellung von der Macht eines allwissenden Schöpfers steigern.1) Es liegt eine einfache Größe in der Anschauung, daß das Leben mit seiner Wachstums-, Assimilations- und Reproduktions- fähigkeit ursprünglich in eine oder einige wenige Formen der Materie hineingehaucht worden ist, und daß, während dieser unser Planet nach festen Gesetzen seine Kreisbahn durchlief und Land und Meere in einem Zyklus von Wechseln ihre Stellung vertauschten, daß, während dies alles vor sich ging aus einem so einfachen Ursprung durch den Prozeß allmählicher Auslese infinitesimaler Veränderungen, zahllose äußerst schöne und äußerst wunderbare Formen sich ent- wickelt haben.2)

i) Die folgende Auseinandersetzung befindet sich, zugleich mit einigen Notizen, auf der letzten Seite des Manuskripts: „Der angenommene schöpfe- rische Geist schafft weder Zahl noch Art, die der Analogie nach an den Wohnort angepaßt sind (s Neuseeland): er erhält sie auch nicht in dauernde Anpassung an irgendein Land, — er arbeitet an Schöpfungs-Punkten oder Gebieten, — ist nicht konsequent auf lange Perioden, — er erzeugt Formen der gleichen Gruppe in denselben Regionen, ohne physische Ähnlichkeit, — er erzeugt auf Inseln oder Berggipfeln Arten, die den benachbarten verwandt sind, nicht aber der alpinen Natur, wie sie sich auf andern Berggipfeln präsentiert — sogar verschieden auf verschiedenen Inseln eines gleichartig geformten Archipels; — er schafft nicht dasselbe in zwei verschiedenen Gegenden: niemals Säugetiere erschaffen auf kleiner isolierter Insel; ebensowenig die Zahl der Organismen an die Lokalität angepaßt Seine Macht erscheint beeinflußt oder doch in Beziehung ge- setzt zur Ausbreitung anderer, völlig getrennter Spezies derselben Gattung, — er scheint nicht gleich stark verändernd auf alle Gruppen derselben Klasse einzuwirken.

2) Diese Stelle ist der Vorfahre der Schlußworte der ersten Ausgabe der Origin qf Species, die durch die folgenden Ausgaben hindurch im

wesentlichen unverändert geblieben sind. „Es liegt eine Größe in der

[page] Nachschrift.                                          89

N. B. Irgendwo müßte eine Diskussion über Lyell eingefügt werden, um zu zeigen, daß sich die äußeren Bedingungen in der Tat verändern, oder eine Notiz über Lyells Werk.

Neben anderen Schwierigkeiten im IL Teil die Nicht- Akklimatisation der Pflanzen. Schwierigkeiten gegenüber der Frage: wie erklärt sich das Hervorgehen des Weißen und des Negers aus gemeinsamem mittleren Stamm: Keine Tatsachen. Wir wissen nicht, daß Spezies unveränderlich sind, im Gegenteil. Welche Argumente gibt es gegen meine Theorie, außer daß wir nicht jeden einzelnen Schritt wahr- nehmen, ebenso wie bei der Erosion von Tälern.1)

Anschauung, daß das Leben mit seinen verschiedenartigen Kräften ursprünglich nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht worden ist; und daß, während unser Planet nach den festen Gesetzen der Schwerkraft seine Kreisbahn durchlief, aus so einfachem Anfang eine endlose Reihe der schönsten und wundervollsten Formen sich entwickelt hat und noch immer entwickelt." In der zweiten Auflage ist hinter „ursprünglich" eingefügt „durch den Schöpfer".

X) Vgl. Origin, Ed. L, S. 481, Ed. VI., S. 659. Die Schwierigkeit ist dieselbe, wie die, welche von so vielen Geologen empfunden wurde, als Lyell behauptete, daß lange Striche von im Binnenland gelegenen Klippen durch die allmähliche Tätigkeit der Brandung entstanden und tiefe Täler auf ebendieselbe Weise ausgehöhlt worden seien

[page] *

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DER ESSAY VON 1844

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I. TEIL.

ERSTES KAPITEL.

ÜBER DIE VARIATION ORGANISCHER WESEN IM ZU- STAND DER DOMESTIKATION UND ÜBER DIE PRIN- ZIPIEN DER ZUCHTWAHL.

Die günstigsten Bedingungen für Variation scheinen dort vorzuliegen, wo organische Wesen viele Generationen hin- durch im Zustand der Domestikation gelebt haben:1) man kann dies aus der einfachen Tatsache der ungeheuren Anzahl von Rassen und Spielarten fast aller derjenigen Pflanzen und Tiere entnehmen, die schon lange domestiziert gehalten worden sind. Unter gewissen Bedingungen machen organische Wesen selbst während ihres individuellen Lebens leichte Änderungen ihrer Gestalt, Größe oder anderer Eigenschaften durch; und viele der so erworbenen Eigentümlichkeiten werden auf die Nachkommen vererbt. So werden bei Tieren Größe und Körperkraft, Fettansammlung, Zeitpunkt der Reife, Körpergewohnheiten oder koordinierte Bewegungen, Eigentümlichkeiten des Geistes und Temperaments während des individuellen Daseins häufig modifiziert oder erworben2) und sodann vererbt. Wir haben Gründe, anzunehmen,

i) Die kumulative Wirkung der Domestikation wird in (irigin. Ed. I. S. 7, Ed. VI., S. 8 gleichfalls hervorgehoben.

2) Dieser Typus der Variation geht in das über, was Ch. Darwin als die direkte Wirkung der Lebensbedingungen zu beschreiben pflegt. Da diese Variationen aus Ursachen hervorgehen, die während des aus- gewachsenen Zustands der Organismen auf diese einwirken, könnte man sie als individuelle Variationen bezeichnen, doch braucht Darwin diesen Ausdruck für angeborene Variationen, d.h. für die Unterschiede, die an Pflanzen aus Samen desselben Stocks zu entdecken sind. Origin, Ed. I., S. 45. Ed. VI., S. 53.)

[page] i)A       Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

daß, wo lang fortgesetzte Übung gewissen Muskeln eine starke Ausbildung verliehen, oder Nichtgebrauch sie geschwächt hat, auch dies vererbt wird. Nahrung und Klima bringen zu- weilen gewisse Änderungen in Farbe und Material der äußeren Körperhülle von Tieren mit sich, auch hat man beobachtet, wie gewisse unbekannte Einflüsse die Hörner der Rinder in einzelnen Gegenden von Abessinien verändert haben; ob in- dessen diese derart während des individuellen Lebens er- worbenen Eigentümlichkeiten erblich werden, weiß ich nicht. Sicher scheint, daß Mißbildung und Lahmheit, wie sie beim Pferd durch übermäßige Arbeit auf schlechten Wegen, oder daß Affektionen der Augen, wie sie wahrscheinlich durch schlechte Ventilation bei demselben Tier erzeugt werden — ferner, daß beim Menschen Tendenzen zu einer Menge von Krank- heiten vererbt werden, so z. B. die Gicht, die durch eine gewisse Lebensführung hervorgerufen wird und schließlich strukturelle Veränderungen erzeugt; endlich noch viele andere, durch unbekannte Ursachen hervorgerufenen Krankheiten wie Kropf und der sich auf dieser Basis entwickelnde Idiotismus. Es erscheint sehr zweifelhaft, ob man die Blüten und Blatt- knospen, die jährlich aus derselben Zwiebel, Wurzel oder demselben Baum erzeugt werden, richtigerweise als Teile desselben Individuums ansprechen darf, obwohl sie in vielen Beziehungen als solche erscheinen. Sind sie aber Teile eines Individuums, so sind Pflanzen ebenfalls beträcht- lichen Änderungen während ihres individuellen Lebens unterworfen. Die meisten von Kunstgärtnern gezogenen Blumen degenerieren, wenn man sie vernachlässigt, d. h. sie verlieren einige ihrer Eigentümlichkeiten; dies ist ein so häufiges Vorkommnis, daß Beständigkeit, wie man häutig hört, den Wert einer Varietät außerordentlich erhöht:')

i) Es ist nicht sicher, an welcher Stelle die folgende Bemerkung stehen sollte: „Fall von Orchis — sehr bemerkenswert, da noch nicht lange mittels Samenfortpflanzung kultiviert. Fälle von Varietäten, die, wie Aegilops und Karotte (auch Mais) bald einen gewissen allgemeinen Cha- rakter erwerben und dann andauernd variieren."

[page] Variation.

95

Tulpen verändern ihre Farben erst nach mehrjähriger Kultur; andere Pflanzen werden gefüllt, andere einfach, durch Ver- nachlässigung oder Pflege; diese Charaktere können über- tragen werden durch Ableger oder Pfropfung und in manchen Fällen durch echte, d. h. Samenfortpflanzung. Hie und da nimmt eine einzelne Knospe einer Pflanze plötzlich einen neuen und sehr abweichenden Charakter an: so ist es sicher, daß Nektarinen auf Pfirsichbäumen und Moosrosen auf Provencerosen entstanden sind; weiße und rote Johannis- beeren; Blumen mit Farben, die von denen des übrigen Stockes abweichen, bei Chrysanthemen, Dahlien, Bartnelken, Azaleen usw. usw.; mehrfarbige Blattknospen auf vielen Bäumen und andere ähnliche Fälle. Diese neuen Charaktere, die zunächst an einzelnen Knospen auftreten, können ebenso wie leichte Verschiedenheiten, die die ganze Pflanze be- treffen, nicht nur durch Ableger und ähnliche Methoden, sondern häufig auch durch echte Samenfortpflanzung ver- vielfältigt werden.

Die Veränderungen, die solchermaßen während des indivi- duellen Lebens eines Tiers oder einer Pflanze auftreten, sind außerordentlich selten verglichen mit den bei der Geburt vorhandenen oder gleich nach ihr auftretenden. Leichte Unterschiede dieser Art sind unendlich häufig: die Pro- portionen und die Form jedes äußeren oder inneren Körperteils scheinen in sehr geringem Grade dauernd zu variieren: die Anatomen streiten sich über das ,,beau idöal" der Knochen, der Leber und Nieren ebenso wie die Künstler über das Ideal der Proportionen eines menschlichen An- gesichts. Die sprichwörtliche Behauptung, daß keine zwei Tiere oder Pflanzen ganz gleich auf die Welt kommen, trifft viel mehr auf die domestizierten, als auf die im Natur- zustand befindlichen Individuen zu.1) Abgesehen von diesen kleinen Unterschieden werden hin und wieder Individuen geboren, die in einzelnen Körperteilen oder in ihrem ganzen

i) Hier zeigt der Verfasser, ebenso wie im Manuskript von 1842, eine Tendenz, die im Naturzustand auftretenden Variationen zu unterschätzen "he CorriDlete Work of Charles Darwin Online

[page] <j6       Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

Bau sehr wesentlich von ihren Eltern abweichen; solche werden von Kunstgärtnern und Züchtern als ,,Sports" <Sprungvariationen, Mutationen> bezeichnet; sie sind, außer etwa die sehr ausgeprägten Fälle, nichts Ungewöhnliches. Diese Sprungvariationen sind nachgewiesenermaßen in einigen Fällen die Vorfahren einiger unserer domestizierten Rassen gewesen, und ebenso werden solche die Voreltern vieler anderer Rassen, besonders jener gewesen sein, die in gewissem Sinne als erbliche Monstrositäten bezeichnet werden könnten, 2. B. solcher Tiere, die ein überzähliges Glied aufweisen oder solcher, bei denen alle Glieder verkümmert sind (wie bei den Anconschafen) oder bei denen ein Teil fehlt, wie bei den steißlosen Hühnern oder den schwanzlosen Hunden und Katzen.1) Die Wirkungen äußerer Lebensbedingungen auf Größe, Farbe und Form, die selten und nur andeutungsweise an einem einzelnen Individuum während dessen Leben beobachtet werden können, gewinnen nach mehreren Gene- rationen an Deutlichkeit. Die leichten, oft kaum beschreib- baren Unterschiede, welche die Rassen verschiedener Länder, ja sogar die einzelnen Landschaften eines Landes charak- terisieren, scheinen nur aus einem derartigen fortgesetzten Prozeß hervorgegangen zu sein.

ÜBER DIE TENDENZ ZUR VERERBUNG.

Man könnte einen Band allein mit solchen Tatsachen füllen, welche zeigen, was für eine starke Tendenz zur Ver- erbung fast jeder Fall, sei es von ganz unbedeutenden, sei es von höchst bedeutsamen angeborenen Eigentümlich- keiten besitzt.2) Der Ausdruck „angeborene Eigentümlich- keit" ist, wie ich bemerken möchte, ein dehnbares Wort und bedeutet im wesentlichen eine Eigentümlichkeit, die dann in Erscheinung tritt, wenn der betreffende Körperteil beinahe oder völlig entwickelt ist. Im II. Teil dieses Auf- satzes werde ich näher auf den Zeitpunkt des embryonalen

!) Dieses ist hier radikaler ausgedrückt als in Origin, Ed. I., S. 3°- 2) S. angin, Ed. I., S. l$.

[page] Tendenz zur Vererbung.                               07

Lebens eingehen, an welchem angeborene Eigentümlich- keiten in der Regel zuerst auftreten, und ich werde dort des weiteren auf Grund verschiedener Zeugnisse zeigen, daß, auf welcher Lebensperiode eine neue Eigentümlich- keit auch zunächst auftritt, sie in demselben Stadium auch bei den Nachkommen aufzutreten tendiert.1) Zahl- reiche, wenn auch nur leichte Veränderungen, die all- mählich bei Tieren im ausgewachsenen Zustand auftreten (häufig, doch keineswegs immer in Form von Krankheiten), sind, wie in den vorhergehenden Abschnitten bereits erwähnt, sehr häufig erblich. Auch bei Pflanzen tendieren die Knospen, die einen von ihrem Mutterstock abweichenden Charakter aufweisen, dazu, ihre neuen Eigentümlichkeiten weiter zu vererben. Es liegt kein hinreichender Grund zu der An- nahme vor, daß, seien es Verletzungen2), seien es Deformationen durch mechanischen Druck, selbst wenn durch Hunderte von Generationen fortgesetzt, oder daß irgendwelche durch akute Krankheiten hervorgerufene Veränderungen vererbt werden; es möchte scheinen, als ob die Gewebe des betroffenen Teils langsam und ungezwungen in die neue Form hineinwachsen müßten, um diese letztere erblich zu machen. Es gibt große Unterschiede in der erblichen Tendenz verschiedener Eigen- tümlichkeiten, sowie derselben Eigentümlichkeit bei ver- schiedenen Individuen und Arten. So hat man z.B. 20OOO Samen einer Traueresche ausgesät, von denen nicht einer sich samenecht erwiesen hat, was hingegen bei 17 Samen einer Trauerweide ausnahmslos der Fall war. Die mißgestalteten und fast monströsen Niata-Rinder von Südamerika und die Anconschafe scheinen sowohl, wenn sie unter sich als auch mit anderen Rassen gepaart werden, ihre Eigenheiten ebenso wie gewöhnliche Rassen an ihre Nachkommen zu übertragen. Ich kann auf diese Unterschiede in der Wirksamkeit erb-

1)  Origin, Ed. I., S. 86. Ed. VI., S. 105.

2)  Es ist interessant, hieraus zu ersehen, wie Ch. Darwin, der gleich seinen Zeitgenossen an die Vererbung erworbener Eigenschaften glaubte, die Fälle von Verletzungen davon ausnahm.

F. Darwin, Fundamente mr Etitilelmng der Ar/en.                                         7

[page] q8 Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

licher Tendenzen kein Licht werfen. Züchter sind der An- sicht, und scheinbar mit gutem Grund, daß eine Eigen- tümlichkeit gewöhnlich um so fester eingeprägt wird, durch je mehr Generationen sie hindurchgegangen ist; das heißt also, daß, wenn unter zwanzig Sprößlingen einer eine Eigen- tümlichkeit von seinen Eltern erbt, dessen Nachkommen dazu tendieren werden, diese Eigentümlichkeit an einen größeren Bruchteil ihrer Kinder, also I auf 20, zu vererben; und so fort im Lauf der Generationen. Über die Erblichkeit geistiger Eigentümlichkeiten sage ich hier nichts, da ich mir dieses Thema für einen besonderen Abschnitt vorbehalte.

URSACHEN DER VARIATION.

Wir müssen nun unsere Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Unterschied bei dem ersten Ursprung oder Auftreten von Varietäten richten: wenn wir sehen, wie ein reichlich ge- nährtes Tier Nachkommen mit einer erblichen Tendenz zu früher Körperreife und Fettansatz erzeugt; wenn wir sehen, wie Wildgänse oder wie der australische Hund, wenn sie eine oder zwei Generationen lang domestiziert ge- halten werden, stets eine gescheckte Färbung bekommen; wenn wir ferner sehen, wie Menschen, die in bestimmten Gegenden oder Verhältnissen leben, einer erblichen Anlage zu gewissen organischen Krankheiten, wie Lungenschwind- sucht oder Weichselzopf unterworfen sind, — so schreiben wir diese Veränderungen ganz natürlicherweise der direkten Einwirkung bekannter oder unbekannter Faktoren zu, unter deren Einfluß die Aszendenten eine oder mehrere Gene- rationen hindurch gestanden haben. Es ist wahrscheinlich, daß eine große Anzahl von Eigentümlichkeiten direkt von uns unbekannten äußeren Faktoren erzeugt worden ist. Bei solchen Rassen jedoch, die durch ein überzähliges Glied oder eine überzählige Klaue, wie manche Hühner und Hunde, ausgezeichnet sind; oder durch ein Extragelenk in den Wirbeln; oder durch das Fehlen eines Gliedes, wie z. B. des

Schwanzes; oder durch den Ersatz des Kammes durch einen

[page] Ursachen der Variation.

99

Federbusch, wie bei manchen Hühnern: in allen diesen und noch einer Unmenge von anderen Fällen können wir die betreffenden Veränderungen nicht wohl direkt auf äußere Lebensbedingungen zurückführen, sondern wir müssen sie indirekt den Gesetzen des embryonalen Wachstums und der Reproduktion zuschreiben. Wenn wir eine Anzahl von Varietäten erblicken (wie dies oft der Fall ist, wo man sorg- fältig Kreuzungen zu vermeiden gewußt hat), die von Samen aus ein und derselben Samenkapsel hervorgegangen sind,1) und wo das männliche und weibliche Prinzip von denselben Wurzeln ernährt und notwendigerweise auch denselben äußeren Einflüssen ausgesetzt wurde, können wir uns unmöglich vorstellen, daß die zahllosen kleinen Unter- schiede zwischen den so erzeugten Samenvarietäten die Wirkung irgendwelcher entsprechender Unterschiede in der Einwirkung der Außenwelt sein sollen. Zu demselben Schlüsse kommen wir auch (wie Müller bemerkt hat), wenn wir bei ein und demselben Wurf, aus einem und demselben Konzeptions- akt Tiere von beträchtlicher Verschiedenheit antreffen.

Da Variationen in dem hier angedeuteten Grade nur bei Tieren im Zustande der Domestikation, und, was Pflanzen betrifft, nur bei den am höchsten und am längsten kulti- vierten vorkommen, so müssen wir (obwohl die Unterschiede zwischen den einzelnen Varietäten nicht gut auf entsprechende Unterschiede der Umgebung bei den Eltern zurückgeführt werden können) dennoch in solchen Fällen die Varietäten- bildung dem indirekten Einfluß der Domestikation auf das Verhalten der Fortpllanzungsorgane zuschreiben.2) Es möchte fast scheinen, als ob hier die normale Leistung des Reproduktionsvermögens versagte, die darin besteht, neue organische Wesen zu erzeugen, die ihren Eltern aufs genauste gleichen, und als ob überhaupt die Organisation des Embryo unter dem Einfluß der Domestikation in gewissem Grade

1)  Dies entspricht einer Stelle in Origin, Ed. I., S. 10, Ed. VI., S. 9.

2)  Origin, Ed. I., S. 8, Ed. VI., S. 10.

The CorriDlete Work of Charles Darwin Onlirte*

[page] 10O Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

plastisch geworden ist1). Wir werden späterhin Gelegenheit haben, zu zeigen, wie bei organischen Wesen eine beträcht- lichere Veränderung der natürlichen Lebensbedingungen imstande ist, ganz abgesehen von dem allgemeinen Gesund- heitszustand, auch das reproduktive System in einer andern und höchst bemerkenswerten Weise zu beeinflussen. Ich möchte hinzufügen, daß, wenn ich bedenke, welche unend- liche Fülle von Varietäten von Pflanzen in ein und dem- selben Bezirk und unter fast denselben Kulturmethoden hervorgebracht worden ist, es mir wahrscheinlich erscheint, daß die indirekte Wirkung der Domestikation, insofern als sie den Organismus plastischer macht, eine viel wirksamere Quelle der Varietätenbildung ist, als irgendeine direkte Einwirkung, die von äußeren Ursachen auf Farbe, Form oder Gewebe irgendeines Teils ausgeübt wird. Bei den wenigen Fällen, wo, wie bei der Dahlie, der Verlauf der Varietätenbildung registriert werden konnte, scheint es, als ob wenige Generationen von Domestikation noch nicht genügen, um die Organisation plastisch zu machen. Später aber, als sei es infolge einer akkumulierten Wirkung, gibt der Originalcharakter der Spezies plötzlich nach oder er zerbricht.

ÜBER SELEKTION. Wir sind bis jetzt nur auf das erste Auftreten neuer Eigen- tümlichkeiten bei Individuen eingegangen. Um indessen eine Rasse oder Zucht zu erzeugen, bedarf es gewöhnlich noch eines weiteren Faktors außer dem einen, daß solche Eigentümlich- keiten erblich festgehalten werden (ausgenommen den Fall, daß jene Eigentümlichkeiten die direkte Wirkung sich konstant wiederholender äußerer Lebensbedingungen dar- stellen). Es ist dies das Prinzip der Zuchtwahl, das Isolierung in sich begreift.2) Selbst bei den seltenen Fällen

i) In bezug auf Plastizität s. Origin, Ed. I., S. 12, 132.

2) Der Begriff Selektion (oder Zuchtwahl) ist an dieser Stelle mehr in dem

Sinne von Isolation als in dem der Summierung von kleinen Unterschieden

zu verstehen. Henslow zitiert in seinem Werk „Heredtty of Acquired The Complete Work of Charles Darwin Online '

[page] Über Selektion.

101

von Sprungvariatiönen („Sports"), bei denen die erbliche Tendenz sehr stark ausgeprägt ist, muß ein Kreuzen mit einer anderen Zucht verhindert werden, oder wenn es nicht verhindert wird, müssen doch die charakte» ristischsten Individuen unter den halbblütigen Nachkommen aufs sorgfältigste ausgewählt werden. Selbst da, wo die äußeren Lebensbedingungen konstant dahin wirken, eine bestimmte Eigentümlichkeit zu entwickeln, wird doch eine diese Eigentümlichkeit besitzende Rasse dann viel leichter und sicherer entstehen, wenn die am meisten ausgezeichneten Individuen ausgelesen und zusammen gepaart werden. Im Falle der unzähligen leichten Variationen aber, die durch die indirekte Einwirkung der Domestikation auf die Tätig- keit des Fortpflanzungssystems erzeugt werden, ist die Zuchtwahl für die Bildung einer Rasse unerläßlich, und wofern sie sorgfältig angewendet wird, können wunderbar zahlreiche und vielfältige Rassen gestaltet werden. Zucht- wahl, obwohl in der Theorie so einfach, ist ein Faktor von einer Wichtigkeit, die kaum überschätzt werden kann. Sie erfordert die äußerste Geschicklichkeit und es bedarf einer langen Übung, ehe jemand die minimalen Unterschiede in der Form der Tiere zu entdecken vermag. Zugleich erfordert sie aber, daß man ein bestimmtes Ziel im Auge habe; sind diese Erfordernisse zugleich mit der nötigen Geduld vorhanden, so braucht der Züchter nur sein Augenmerk auf jede kleinste Annäherung an das erstrebte Ziel zu richten, die betreffenden Individuen zu wählen und mit den passenden Formen zu paaren, und dies eine Reihe

Characters in P/an/s" 1908, S. 2, aus Darwins Var. under Dom., Ed I., Bd. II..S. 271 eine Stelle, wo der Autor wie folgt über die direkte Ein- wirkung von Lebensbedingungen spricht: „So kann eine neue Subvarictät ohne die Hilfe der Selektion erzeugt werden." Ch. Darwin hat hier sicherlich nicht behaupten wollen, daß solche Varietäten außerhalb der Wirkung natürlicher Auslese stünden, sondern nur, daß eine neue Form ohne eine Summierung neuer Eigentümlichkeiten entstehen kann. Henslow scheint offenbar nicht gewußt zu haben, daß obige Stelle in der zweiten Auflage von Var. under Dom., II, S. 260 weggelassen worden ist.

[page] 102 Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

von Generationen hindurch fortzusetzen. In den meisten Fällen wird eine sorgfältige Auslese und Verhinderung zufälliger Kreuzungen mehrere Generationen hindurch notwendig sein. Denn die Tendenz, zu variieren und besonders auch, in Vor- fahrenformen zurückzuschlagen, pflegt bei neuen Rassen sehr stark zu sein. In jeder weiteren Generation jedoch wird weniger Sorgfalt vonnöten sein, da die Zucht immer be- ständiger wird, bis schließlich nur ganz gelegentlich einmal ein Individuum Abtrennung oder Vernichtung erfordern wird. Kunstgärtner pflegen beim Ziehen von Samen diese Praxis zu üben, sie bezeichnen dies Ausmerzen der unbe- ständigen Varietäten als ein Ausmerzen der „Schelme". Bei Tieren gibt es eine andere Art der Zuchtwahl: nämlich, daß man wiederholt Männchen mit den erforderlichen Qualitäten auswählt und sie veranlaßt, sich mit ihren eigenen Sprößlingen beliebig zu paaren; durch diese Methode wird im Laufe der Zeit die ganze Gesellschaft beeinflußt werden. Diese Prinzipien der Zuchtwahl werden methodisch erst seit Beginn des Jahrhunderts befolgt; ihre hohe Wichtig- keit zeigt sich aber in ihren praktischen Erfolgen und wird in den Schriften der berühmtesten Kunstgärtner und Land- wirte offen eingeräumt; — ich nenne hier Anderson, Marshall, Bakewell, Coke, Western, Sebright und Knight.

Selbst bei gut fixierten Rassen, deren Individuen einem ungeübten Auge gänzlich gleichförmig erscheinen, und die folglich, wie man meinen sollte, der Zuchtwahl keinen Spiel- raum gewähren, hat sich das ganze Aussehen des Tieres in wenigen Jahren so stark verändert, (man denke an den Fall der Schafe des Lord Western), daß praktische Landwirte nur schwer daran glauben wollten, daß hier nicht eine Kreuzung mit anderen Rassen im Spiel sei. Züchter sowohl von Pflanzen als von Tieren verschaffen sich zuweilen einen größeren Spielraum für ihre Züchtungsversuche, indem sie verschiedene Rassen kreuzen und an den Sprößlingen Zucht- wahl üben; doch kehren wir zu diesem Thema an einer

späteren Stelle zurück.

[page] Produkte künstlicher Zuchtwahl.

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Die äußeren Lebensbedingungen werden zweifellos stets die Resultate der allersorgfältigsten Auslese beeinflussen und modifizieren; so hat man nicht vermocht, gewisse auf Bergweiden versetzte Rinderrassen am Degenerieren zu verhindern; höchstwahrscheinlich würde es auch unmöglich sein, das Gefieder der Wildente bei der Hausente zu erhalten; bei gewissen Bodenverhältnissen ist es trotz aller Mühe und Sorgfalt nie gelungen, samenbeständigen Blumenkohl zu erzeugen; und ebenso in vielen anderen Fällen. Doch ist es anderseits wunderbar, was der Mensch mit Geduld zu erreichen vermocht hat. Er hat Zuchtwahl geübt und dadurch in gewissem Sinne geschaffen: eine Rasse von Pferden zum Lastenziehen und eine zum Rennen; er hat Schafe erzeugt mit Wolle für Teppiche und andere mit Wolle für Tuch; er hat, in demselben Sinne gesprochen, einen Hund gemacht, der ihm das Wild aufspürt und ihn auf seinen Fund aufmerksam macht, und einen, der ihm das getötete Wild apportiert; er hat es durch Zuchtwahl erreicht, daß bei einer Rinderrasse das Fleisch mit dem Fett durchwachsen ist, während bei einer andern das Fett im Körperinnern angehäuft für den Talgzieher bereit zu liegen scheint;1) er hat die Füße dieser Taubenrasse lang und den Schnabel jener so kurz gemacht, daß die Taube sich kaum zu ernähren vermag; er hat vorausbestimmt, wie die Federn auf einem Vogelkörper gefärbt, und wie die Blütenblätter irgendeiner Blume gestreift oder ausgefranst sein sollen, ja er hat Preise für den vollkommensten Erfolg dieses Bemühens ausgesetzt; durch Zuchtwahl hat er er- reicht, daß die Blätter der einen und die Blüten der anderen Kohlvarietät zu verschiedenen Jahreszeiten gut zu essen sind; und in ähnlicher Weise hat er auf endlose Varietäten einzuwirken verstanden. Ich möchte hiermit nicht behauptet haben, daß die lang- und kurzwolligen Schafe oder daß der Vorsteh- und der Apportierhund oder daß Welsch- und

1) S. oben den Essay von 1842, S. 28.

[page] 104 Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

Blumenkohl bestimmt ein und demselben ursprünglichen Stamm entsprossen seien; ist dies nicht der Fall, so ver- ringert sich zwar die Leistung des Menschen etwas, doch bleibt immerhin ein großer Teil seines Erfolges über jeden Zweifel erhaben.

Wenn man, wie ich es eben getan habe, behauptet, daß der Mensch eine Rasse zu schaffen vermag, so darf man dies ja nicht dahin deuten, daß der Mensch die Individuen schaffe. Diese werden vielmehr bereits von der Natur mit gewissen wünschenswerten Eigenschaften ausgestattet ge- liefert. Der Mensch addiert diese nur und wandelt die Freigebigkeit der Natur zu einem Dauergeschenk um. In mehreren Fällen, so z. B. bei den Anconschafen, die da- durch wertvoll sind, daß sie nicht über Zäune klettern, und bei dem ,,Bratspießhund" hat der Mensch nichts weiter getan als Kreuzungen verhütet; in vielen Fällen jedoch wissen wir positiv, daß er dauernd Zuchtwahl ge- übt und aus nacheinander auftretenden kleinen Variationen Nutzen gezogen hat.

Auf methodische Weise hat man, wie ich oben erwähnte, seit noch kaum einem Jahrhundert Zuchtwahl getrieben1); doch kann kein Zweifel darüber bestehen, daß man sie bei denjenigen Tieren, die ganz der Herrschaft des Menschen unterworfen waren, gelegentlich in der Praxis seit den entferntesten Zeiten geübt hat. In den ersten Kapiteln der Bibel finden sich bereits Regeln, wie man die Farben der Brüten beeinflussen könne, auch wird dort von der Trennung der weißen und schwarzen Schafe gesprochen. Zur Zeit des Plinius suchten die Barbaren von Europa und Asien die Rassen ihrer Hunde und Pferde durch Kreuzung mit wilden Stämmen zu verbessern. Die Wilden von Guyana tun heute dasselbe mit ihren Hunden. Diese Sorgfalt beweist wenigstens, daß man auf die Eigentümlichkeiten der einzelnen Indivi- duen achtet. In den rohesten Zeiten der englischen Ge-

i) S. Origin, Ed. I., S. 33. Die folgenden Zeugnisse sind im vorliegenden Essay mit etwas größerer Ausführlichkeit behandelt als in Origin.

[page] Methodische und unbewußte Selektion.                    105

schichte gab es Gesetze, um die Ausfuhr schöner Exemplare anerkannter Rassen zu verhindern, und bezüglich der Pferde gab es zur Zeit von Heinrich VIII. Gesetze, die das Töten aller Pferde unterhalb einer gewissen Größe anbefahlen. In einer der ältesten Nummern der Phil. Transactions finden sich Regeln für die Zuchtwahl und Verbesserung von Schaf- rassen. Sir H. Bunbury hat bereits im Jahre 1660 Regeln für das Auswählen der schönsten Samenpflanzen aufgestellt, deren Präzision der erfahrenste Kunstgärtner von heute nicht überbieten könnte. Selbst die wildesten und rohesten Völker- schaften pflegen bei den Kriegen und Hungersnöten, die so häufig auftreten, die nützlichsten ihrer Tiere aufzubewahren. Der Wert, den selbst Wilde ihren Haustieren beimessen, wird durch die Eingeborenen von Feuerland illustriert, welche in solchen Fällen erst ihre alten Frauen und dann erst ihre Hunde auffressen, da diese letzteren, wie sie sagen, ihnen beim Otterfang nützlich sind1); wer könnte da zweifeln, daß bei jeder Hungersnot und jedem Krieg die besten Otternfänger bis zum äußersten verschont blieben, und daß daher tatsächlich eine Zuchtwahl stattfindet?

Da nun die Nachkommen so auffallend ihren Eltern ähneln, und da wir gesehen haben, daß Wilde sich be- mühen, ihre Pferde und Hunde mit wilden Rassen zu kreuzen, so können wir uns wohl den Schluß erlauben, daß sie zuweilen auch die nützlichsten ihrer Tiere paaren und dann deren Nachkommen isoliert halten. Und da nun verschiedene Rassen von Menschen verschiedene Eigenschaften an ihren Haustieren bevorzugen und nötig haben, so würde danach ganz allmählich, obwohl un- bewußt, jeder solcher Volksstamm eine andere Tierrasse heranzüchten. Wie schon Pallas bemerkt hat, kann wohl niemand bezweifeln, daß die alten Russen jene Schafe in ihren Herden am höchsten schätzten und am eifrigsten zu erhalten strebten, welche die dickste Wolldecke

x) Journal ofResearches, Ed. 1860, S. 214. „Doggies catch Otters, old women DO." (Hundchen fangen Otter, alte Weiber nein.")

[page] 106 Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

trugen. Und so können wir — wenn wir erwägen, wieviel in den letzten 50 Jahren in England durch die direktere Methode der Zuchtwahl, durch Isolierung erreicht worden ist — als bestimmt annehmen, daß auch jene Art und Weise von unmerklicher Zuchtwahl im Laufe mehrerer Jahr- tausende eine wahrnehmbare Wirkung hervorbringen konnte, eine Art und Weise, bei der zwar nicht neue Zuchtprodukte ausgewählt und isoliert wurden, wohl aber gewisse Exem- plare mit nützlichen Eigenschaften vor Vernichtung bewahrt blieben, wodurch die Gesamtmasse der Herde einen be- sonderen Charakter aufgeprägt erhielt.

DAS KREUZEN VON RASSEN.

Nachdem einmal zwei oder mehr Rassen erzeugt worden sind, oder da, wo mehrere unter sich fruchtbare Rassen oder Arten schon in wildem Zustande existierten, wird das Kreuzen derselben zu einer ausgiebigen Quelle neuer Rassen.1) Wenn zwei gut charakterisierte Rassen gekreuzt werden, so schlagen in der ersten Generation die Nachkommen mehr oder minder nach irgendeinem der beiden Eltern, oder sie stehen in der Mitte zwischen beiden; selten zeigen sie Eigenschaften, die bis zu gewissem Grade neu sind. Bei der zweiten und mehreren folgenden Generationen zeigt es sich meist, daß die Spröß- linge außerordentlich stark untereinander variieren, und daß viele von ihnen beinahe zu einer der elterlichen Formen zurückkehren. Diese größere Variabilität in den folgenden Generationen erscheint analog dem Hervorrufen von Varia- bilität bei organischen Wesen, die man mehrere Generationen hindurch unter Domestikation gehalten hat.2) So ausge-

1)  Die Wirkung der Kreuzung wird hier viel stärker betont als in Origin, z. B. Ed. I, S 20, Ed. VI., S. 23, wo sozusagen ein entgengesetzter Gesichts- punkt vertreten wird. Die Änderung in meines Vaters Ansichten ist wahr- scheinlich seiner Arbeit über Tauben zuzuschreiben. Diese ganze Dis- kussion über Kreuzung entspricht übrigens viel mehr dem Kapitel VIII. von Origin, als irgend einer Stelle in einem früheren Kapitel letzteren Buchs.

2)  Der Parallelismus zwischen den Wirkungen der Kreuzung und den

Wirkungen von Lebensbedingungen wird in Origin, Ed. I . S. 366, Ed.\ I-,

[page] Kreuzung.                                             107

sprochen ist diese Variabilität bei Abkömmlingen von ge- kreuzten Eltern, daß Pallas und einige andere Naturforscher der Meinung sein konnten, daß alle Variation ursprünglich ein Ergebnis von Kreuzung sei. Ich denke doch aber, daß die Geschichte der Kartoffel, der Dahlie, der schottischen Rose, des Meerschweinchens und vieler englischer Bäume, von denen nur eine Spezies der Gattung vorhanden ist, klar beweist, daß eine Spezies auch dort variieren kann, wo eine Kreuzung ausgeschlossen ist. Auf Grund dieser Variabilität und Rückschlagstendenz bei gekreuzten Or- ganismen ist eine äußerst sorgfältige Auslese vonnöten, um Zwischenrasseii oder neue beständige Rassen zu erzeugen. Indessen ist die Kreuzung als eine äußerst mächtige Trieb- kraft anzusehen, besonders bei Pflanzen, wo wir Mittel der Fortpflanzung besitzen, durch welche die von gekreuzten Eltern stammenden Varietäten festgehalten werden können, ohne daß man das Risiko neuer Variation durch Samen- vermehrung zu laufen hätte. Bei Tieren ziehen unsere er- fahrensten Landwirte heutzutage sorgfältige Auslese aus einer gut fixierten Zucht einer solchen aus unsicheren ge- kreuzten Stämmen vor.

Zwar können Zwischenrassen und neue Rassen aus der Mischung zweier anderer entstehen, doch werden, wenn die beiden Rassen Gelegenheit haben, sich so gründlich zu mischen, daß keine von beiden rein bleibt, und besonders wenn diese beiden elterlichen Rassen nicht sehr verschieden sind, diese allmählich völlig verschmelzen, so daß die beiden als solche vollständig verschwinden und einer Mischlingsrasse das Feld räumen. Dieses wird natürlich in um so kürzerer Zeit vor sich gehen, je mehr die eine der elterlichen Rassen die andere an Zahl überwiegt. Wir beobachten die Wirkung solcher Mischungen an der Art und Weise, wie die eingeborenen

S. 391 von einem andern Gesichtspunkt behandelt. Man beachte meines Vaters experimentelle Belege für dieses wichtige Prinzip in seiner Arbeit Cross and Seif-Fertilisation. Bateson hat vorgeschlagen, dieselben Experimente

mit gametenreinen Pflanzen zu wiederholen.

[page] 111S Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

Hunde- und Schweinerassen der ozeanischen Inseln und die zahlreichen, nach Südamerika eingeführten Rassen unserer eigenen Haustiere sämtlich als solche verschwunden sind, indem sie jeweils in der neuen Mischungsrasse aufgingen. Höchstwahrscheinlich ist es dem Durcheinander der Kreu- zungen zuzuschreiben, wenn wir in unzivilisierten Ländern, wo es keine Einzäunungen gibt, sehr selten mehr als einer Rasse einer Spezies begegnen. Nur in fest ab- gegrenzten Gegenden, deren Bewohner nicht nomadisieren und wo alle Vorrichtungen zur Isolierung der verschiedenen Haustiere vorhanden sind, pflegen wir einer größeren Anzahl von Rassen zu begegnen. Selbst in zivilisierten Ländern hat ein Aussetzen der Sorgfalt während nur weniger Jahre die guten Resultate weit längerer Perioden der Auslese und Isolierung zu zerstören vermocht.

Diese Macht der Kreuzungen übt ihren Einfluß auf alle landlebenden Tiere; denn alle diese bedürfen zur Fort- pflanzung der Vereinigung zweier Individuen. Bei Pflanzen werden sich die Rassen nicht mit derselben Freiheit ver- mischen, wie bei landlebenden Tieren; immerhin finden, dank wunderbarer verschiedenartiger Vorrichtungen, auch dort Kreuzungen in überraschender Fülle statt. Solche Vorrichtungen existieren in der Tat bei so vielen hermaphro- ditischen Blüten, bei denen die Möglichkeit zu einer gelegent- lichen Selbstbefruchtung gegeben wäre, daß ich nicht umhin kann, mit Knight zu vermuten, daß der Reproduktions- vorgang wenigstens von Zeit zu Zeit das Zusammenwirken zweier getrennter Individuen erfordert.1) Die meisten Züchter, sowohl von Pflanzen wie von Tieren, sind fest über- zeugt, daß eine gelegentliche Kreuzung Vorteile birgt, und zwar nicht eine Kreuzung mit einer fremden Rasse, sondern mit einer andern Familie der eigenen Rasse; und daß ander- seits aus der lange Zeit fortgesetzten Inzucht innerhalb der-

i) Das sogenannte Knight-Darwinsche Gesetz wird oft mißverstanden. S. Goebel in Danvin und die moderne Wissenschaft, 19C9; auch F. Darwin,

Nature, 27. Okt. 1898.

[page] Ursprung der domestizierten Rassen.                     109

selben Familie leicht schädliche Konsequenzen erwachsen. Bei Seetieren sind, weit häufiger als bis vor kurzem ange- nommen wurde, die Geschlechter auf verschiedene Individuen verteilt; und dort, wo sie hermaphroditisch sind, scheint doch sehr allgemein durch das Wasser Gelegenheit zu einer ge- legentlichen Befruchtung eines Individuums durch ein anderes gegeben. Denn wenn ein Tierindividuum sich wirk- lich allein durch sich selbst für alle Zeit fortpflanzen könnte, so wäre es unverständlich, daß noch bei keinem der Landtiere, die der Beobachtung viel mehr zugänglich sind, diese Fähigkeit, sich allein durch sich selbst fortzupflanzen beobachtet worden ist. Ich schließe hieraus, daß die Rassen der meisten Tiere und Pflanzen, sofern sie unabgesperrt in demselben Lande lebten, zur Vermischung tendieren würden.

STAMMEN UNSERE DOMESTIZIERTEN RASSEN VON EINEM WILDEN STAMM ODER VON MEHREREN?

Mehrere Naturforscher, darunter als erster Pallas1) bezüg- lich von Tieren und Humboldt bezüglich von gewissen Pflanzen, sind der Meinung, daß viele Rassen unserer domesti- zierten Tiere, wie z. B. Pferd, Schwein, Hund, Schaf, Taube und Huhn, sowie auch unsere Pflanzen von mehr als einer einzigen ursprünglichen Form abstammen. Diese Forscher lassen es indessen offen, ob solche Formen als wilde Rassen oder ob sie als echte Arten, deren Sprößlinge, wenn unter- einander gepaart, fruchtbar sind, angesehen werden müssen. Die Hauptargumente für diese Anschauung bestehen erstlich in dem großen Unterschied zwischen solchen Tieren wie Renn- und Lastpferd oder Windspiel und Bulldogg sowie in unserer Unkenntnis der Schritte oder Stufen, die zwischen diesen und ihren gemeinsamen Voreltern liegen; und zweitens darin, daß schon in den entferntesten historischen Perioden gewisse jetzt sehr verschiedene Rassen als solche in

1) Die Theorie von Pallas wird in Origin, Ed. I., S. 253, 254, Ed. VI., S. 374 besprochen.

[page] i i o         Variation unter Domestikation, Pt inzipien der Zuchtwahl,

verschiedenen Ländern existierten. Die Wölfe von Nord- amerika und von Sibirien werden für verschiedene Arten gehalten. Nun hat man beobachtet, daß die den wilden Einwohnern dieser beiden Länder gehörigen Hunde den Wölfen des betreffenden Landes ähnlich sehen; und hieraus zog man den Schluß, daß sie wahrscheinlich von zwei ver- schiedenen wilden Stämmen ausgegangen sind. Und ebenso sind jene Naturforscher der Meinung, daß die arabischen und europäischen Pferde wahrscheinlich von zwei verschiedenen wilden Stämmen ausgegangen seien, die augenscheinlich jetzt ausgestorben sind. Ich glaube nicht, daß die angenom- mene Fruchtbarkeit jener wilden Stämme dieser Anschauung größere Schwierigkeiten in den Weg legt. Denn obwohl man glaubt, daß bei Tieren die Abkömmlinge der meisten gekreuz- ten Arten unfruchtbar sind, vergißt man oft, daß man diese Annahme nur selten durch exakte Experimente geprüft hat, nämlich nur dann, wenn beide Arten sich ohne Schwierig- keit im Zustande der Domestikation fortpflanzen, was nicht häufig der Fall ist, wie wir später sehen werden. Übrigens pflanzen sich bei der chinesischen und der gewöhnlichen Gans1), beim Kanarienvogel und beim Zeisig die Kreuzungs- produkte ohne Schwierigkeit fort; in anderen Fällen sind die Bastardnachkommen, wenn man sie mit einem reinen Ver- treter einer der beiden Stammrassen paart, fruchtbar, wovon man im Falle von Yak und Hausrind praktischen Nutzen gezogen hat. Soweit die Analogie der Pflanzen uns dienen kann, ist es unmöglich zu leugnen, daß einige Spezies unter sich ganz fruchtbar sind; auf dieses Thema kommen wir indessen noch zurück.

Anderseits können die Anhänger der Ansicht, daß die ver- schiedenen Rassen von Hunden, Pferden usw. je von einem besonderen Stamme herrühren, behaupten, daß ihre Ansicht alle Schwierigkeiten bezüglich Fruchtbarkeit aus dem Weg räumt, und daß das Hauptargument, bestehend in dem

i) S. Ch. Darwins Arbeit über die Fruchtbarkeit der Kreuzungsprodukte

der gewöhnlichen und der chinesischen Gans in Xature, I. Jan. 1880. The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Künstliche Züchtung von Hunderassen.                   11 j

hohen Alter verschiedener Rassen, die den heutigen einiger- maßen gleichen, wenig Wert besitzt, wenn man, wie es in der Tat der Fall ist, den Zeitpunkt der Domestikation dieser Tiere nicht kennt. Auch können sie mit noch größerem Recht behaupten, daß, da wir wissen, daß Organismen unter Domestikation in gewissem Grade variieren, das auf dem großen Unterschied zwischen gewissen Rassen fußende Argument nichts wert ist, wenn wir nicht die Grenzen der Variation innerhalb langer Zeiträume kennen, wovon wir weit entfernt sind. Sie können als Argument anführen, daß fast in jeder Grafschaft von England und in den ver- schiedenen Distrikten anderer Länder, z. B. Indien, einiger- maßen verschiedene Zuchten unter den Haustieren existieren; und daß alles, was wir über die Verbreitung wilder Tiere wissen, der Voraussetzung widerspricht, daß diese von so und so vielen wilden Rassen oder Arten abstammen sollten. Wäre dies der Fall (so würde ihr Argument weiter lauten), wäre es dann nicht naheliegend, daß ganz getrennte und verschiedenartigen Klimaten unterworfene Länder Rassen besitzen müßten, die nicht kleine, sondern beträchtliche Unterschiede aufweisen? Nehmen wir einmal den für beide Parteien günstigsten Fall, den Hund; so könnten sie behaupten, daß Rassen wie der Bulldogg und der ,,Bratspießhund" vom Menschen gezüchtet worden seien, und zwar auf Grund der beglaubigten Tatsache, daß streng analoge Rassen von andern Vierfüßlern, nämlich das Niatarind und das Ancon- schaf, auf diese Weise entstanden sind. Dann können sie auch wieder sagen, wenn man erwägt, was Dressur und sorgfältige Zuchtwahl für den Windhund getan haben und wie es einem italienischen Windhund absolut unmöglich ist, sich im Naturzustand zu erhalten: ob es nicht wahrschein- lich sei, daß wenigstens alle Windhunde — von dem rauhen Hirschhund, dem glatten persischen, dem gewöhnlichen englischen bis zum italienischen — aus ein und demselben Stamme hervorgegangen seien?1) Und wenn dies der Fall,

i) Origin, Ed. I., S. 19.

[page] 112          Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl,

wäre es dann so unwahrscheinlich, daß der Hirschhund und der langbeinige Schäferhund auf diese Weise entstanden seien? Wenn wir dies zugeben und vom Bulldogg absehen, können wir die Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Ursprungs der übrigen Rassen kaum mehr bestreiten.

Die Zeugnisse sind auf beiden Seiten so sehr auf Mut- maßungen beschränkt und wiegen sich so nahezu auf, daß ich einsehe, daß vorläufig keine Entscheidung über diese Frage getroffen werden kann. Was mich selbst betrifft, so neige ich zu der Auffassung, daß die meisten unserer Haustiere von mehr als einem einzigen wilden Stamme ausgegangen sind; trotzdem kann ich nicht umhin, zu vermuten, daß manche Naturforscher die vermutliche Zahl der ursprünglichen wilden Originalstämme weit über- schätzt haben, und zwar hege ich diese Ansicht auf Grund des Umstandes, daß doch so zahlreiche und ver- schiedenartige menschliche Völkerschaften unter den ver- schiedensten Daseinsbedingungen Zuchtwahl getrieben, d. h. mit andern Worten, das Leben der ihnen nützlichsten Tiere zu erhalten gewußt haben. In demselben Grade, wie wir einräumen, daß der Unterschied unserer gegenwärtigen Rassen auf die Unterschiede zwischen den Originalstämmen zurückzuführen sei, haben wir den Betrag der im Zustande der Domestikation vollzogenen Veränderung einzuschränken. Dies scheint mir indessen unwichtig; wissen wir doch in einigen Fällen, wie z. B. dem von der Dahlie, der Kartoffel, dem Kaninchen, daß eine große Anzahl von Varietäten aus ein und demselben Stamme hervorgehen kann; und bei vielen unserer domestizierten Rassen wissen wir, daß der Mensch durch allmähliche Auslese und Ausnützung plötzlicher Sprungvariationen vermocht hat, alte Rassen beträchtlich zu modifizieren und neue zu erzeugen. Und ob wir nun unsere heutigen Rassen als Abkömmlinge einer oder ver- schiedener Originalstämme betrachten, so ist uns doch in weitaus der größten Zahl der Fälle völlig unbekannt, wie

diese Originalstämme beschaffen gewesen sind.

[page] Grenzen der \ 'ariation nach Art und Grad.

GRENZEN DER VARIATION NACH ART UND GRAD. Die Macht des Menschen, neue Rassen zu erschaffen, ist in erster Linie von der Variabilität des Stammes, an dem er arbeitet, abhängig; indessen werden seine Bemühungen weiterhin durch die direkten Einwirkungen äußerer Lebens- bedingungen beeinflußt und begrenzt — durch die mangel- hafte oder unvollkommene Vererbbarkeit der neuen Eigen- tümlichkeiten —, und durch die Tendenz zu immer neuer Variation und zu atavistischen Rückschlägen. Zeigt der betreffende Stamm unter dem Einfluß der Domestikation keine Variabilität, so ist der Mensch natürlich ohnmächtig, und es scheint, als ob die Arten in ihrer Tendenz zu Variation außerordentlich differierten, ja sogar die verschiedenen Untervarietäten derselben Varietät unterscheiden sich in dieser Beziehung und vererben diesen Unterschied auf ihre Nachkommen. Wir besitzen keine Beweise dafür, ob diese Verschiedenheit der Tendenz zu variieren eine eingewurzelte Eigenschaft gewisser Arten ist, oder ob sie aus irgend einer Unvollkommenheit der speziellen Art von Domestikation, der die betreffende Spezies unterworfen ist, abgeleitet werden muß. Dort, wo der Organismus unter Domestikation variabel oder, wie ich es ausgedrückt habe, plastisch geworden ist, kann man beobachten, wie je nach der Spezies verschiedene Teile des Körpers der Variabilität mehr oder minder unter- worfen sind. So kann man bei den Rinderrassen sehen, daß die Hörner der konstanteste oder wenigst variable Charakter sind, deren Form oft völlig konstant bleibt, während sich Farbe, Größe, Körperproportionen, Hang zur Fett- ansammlung usw. ändern; bei Schafen sind, wie ich glaube, die Hörner viel variabler.

Als allgemeine Regel kann gelten, daß die weniger wichtigen Teile des Organismus am meisten variieren; ich glaube aber, wir besitzen genügende Beweise dafür, daß jeder Körperteil gelegentlich, wenn auch nur in ge- ringem Grade variiert. Selbst dort, wo der Mensch die

F. Darwin, Fundamente zar /i»/s/r/ii,iK- der Arien.                                     %

[page] i i a Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl,

primäre Vorbedingung für sein Wirken, die Variabilität, vorfindet, legen ihm Leben und Gesundheit der Tiere, an denen er seine Versuche macht, gewisse Hemmungen auf. So z. B. hat der Mensch schon Tauben mit so kleinen Schnäbeln geschaffen, daß diese kaum fressen und ihre Jungen nicht füttern konnten, Schaffamilien mit einer derartigen Tendenz zu früher Reife und zur Fettleibigkeit, daß sie wegen ihrer außerordentlichen Empfindlichkeit gegen Entzündungen auf bestimmten Weideplätzen nicht leben können; er hat Unter- varietäten von Pflanzen gemacht, d. h. gezüchtet, die eine solche Tendenz zu früher Blüte haben, daß sie häufig von den Frühlingsfrösten getötet werden; ferner eine Rinderrasse, die Kälber mit so starken Hinterteilen besitzt, daß die Geburten unter den größten Schwierigkeiten verlaufen und oft zum Tode der Mutter führen1); die Züchter waren ge- zwungen, diesen Übelstand durch Auslese von Zuchttieren mit kleineren Hinterteilen zu beseitigen. In solchem Falle hätte jedoch, wenn auch nach großen Geduldsproben und vielen Verlusten, möglicherweise dadurch Abhilfe geschafft werden können, daß man Kühe züchtete, die imstande ge- wesen wären, die Geburt von Kälbern mit stärkerem Hinter- teile zu bewältigen; denn beim Menschen liegt zweifellos der Fall so, daß gute und schlechte Entbindungen vererbbar sind.

Außer den bereits gekennzeichneten Grenzen ergeben sich Einschränkungen daraus, daß die Variationen verschiedener Körperteile durch mancherlei Gesetze in Beziehung zu- einander stehen2): so z. B. scheinen die beiden Seiten des Körpers sowohl im gesunden wie im kranken Zustand in gleicher Weise zu variieren; ferner haben Züchter festgestellt, daß in den Fällen, wo der Kopf sich verlängert, die Knochen der Extremitäten dies gleichfalls tun; bei Äpfeln findet man meist große Blätter und große Früchte vereint, so daß

i) Var. under Dom., Ed. II ,.Bd. II., S. 211.

2) Diese Diskussion entspricht jener in Origin, Ed. [., S. 11 und 143. Ed. VI, S. 13 und 177.

[page] Ursachen der Variation.

*'Ö

der Kunstgärtner dadurch einen Wink für seine*Züchtung erhält. In diesem Falle liegt der Grund auf der Hand, da die Frucht ja nur die Metamorphose des Blattes darstellt. Bei Tieren scheinen Haar und Zähne in Zusammenhang zu stehen, so z. B. ist der haarlose chinesische Hund fast zahnlos. Die Züchter sind der Meinung, daß die Vergröße- rung eines Körperteils oder die Verstärkung einer Funktion eine entsprechende Abnahme anderer Teile im Gefolge habe; sie betrachten große Hörner und starke Knochen beim Rind als Beeinträchtigung des Fleischgehalts und lieben sie deshalb nicht; bei hornlosen Rinderrassen pflegen sich bestimmte Knochen des Schädels stärker zu entwickeln; man behauptet, daß die Entwicklung von Fett in einer Partie des Tiers die Anhäufung an einem andern Teil hemme und gleichzeitig der Funktion des Euters hemmend im Wege stehe. Die ganze Organisation steht in sich in so engem Zusammenhang, daß sicherlich viele Bedingungen existieren, die sowohl bestimmend auf die Variation jedes Teils ein- wirken als auch die damit verbundene Variation anderer Teile veranlassen; und der Mensch, der neue Rassen erschafft, wird von allen diesen Gesetzen eingeschränkt und beherrscht.

WORIN BESTEHT DOMESTIKATION? Im vorstehenden Kapitel haben wir die Variation domestizierter Organismen betrachtet; nun aber haben wir uns noch zu fragen, worauf die Macht der Domestikation beruht1) — ein Thema von beträchtlicher Schwierigkeit. Da man beobachtet hat, wie organische Wesen beinahe jeder Klasse, in allen Klimaten, Ländern und Zeiten variiert haben, sobald sie in domestiziertem Zustand lebten, muß man annehmen, daß jener Einiluß sehr allgemeinen Charakters ist.2; Soviel

i) S. Origin, Ed. I , S. 7. Ed. VI., S. 7.

2) < Anmerkung der Originalhandschrift. > „Isidore G. St Hilairc be- liauptet, daß die Fortpflanzung im Zustande der Gefangenschaft das wesentliche Element sei; Schieiden über Alkalien. <S. Var. under Dom.. Ed. II., Bd. II, S. 214, Anmerkung io.> Welcher Umstand der Dome stikation ist es, der die Variationsbildung veranlaßt?"

8*

[page] 11 ö Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

ich weiß, hat niemand außer Knight versucht, diesen Einfluß näher zu bestimmen; dieser sucht ihn in einem Überfluß von Nahrung, zusammen mit der Versetzung in ein zusagenderes Klima und in dem Schutz vor den Unbilden der Witterung. Diese letztere Annahme kann ich nicht gelten lassen; wissen wir doch, wie viele einheimische pflanzliche Produkte bei uns auch dort variieren, wo sie ohne jeden Wetterschutz kulti- viert werden, und einige unserer variationsfähigen Bäume, wie z. B. Aprikosen und Pfirsiche, sind zweifellos aus einem ihnen zusagenderen Klima bei uns eingeführt worden. Mir scheint in der Hypothese von dem Nahrungsüberfluß viel größere Wahrscheinlichkeit zu liegen, obwohl ich bezweifele, daß er als einzige Ursache gelten kann, wenn er auch die von dem Menschen am meisten angestrebte Art der Varia- tion, nämlich die Zunahme von Größe und Kraft, am wirk- samsten unterstützt. Allerdings pflegen auch Kunstgärtner in Fällen, wo sie wünschen, neue Sämlinge zu erzeugen, oft alle Blütenknospen bis auf einige wenige abzupflücken, oder auch während einer Saison einmal samtliche zu beseitigen, damit ein desto größerer Vorrat von Nahrungsstoffen für die späteren zur Samenbildung bestimmten Blüten aufgespeichert bleibt. Dort wo Pflanzen, sei es aus dem Hochland oder aus Wäldern, Sümpfen, Heidestrecken, nach unsern Gärten und Glashäusern transportiert werden, wird in der Tat der Wechsel in der Nahrung meist sehr beträchtlich sein; immer- hin wäre es schwer zu beweisen, daß in jedem einzelnen Fall dann ein Übermaß der für die jeweilige Pflanze geeignetsten Art von Nahrung vorhanden sei. Ist in der Tat die Menge der Nahrung übermäßig reichlich, verglichen mit der von der Pflanze in ihrem Naturzustand gewohnten, so sind die Wirkungen dieses Umstandes auf unwahrscheinlich lange Zeit hinaus zu verspüren.1) Wie viele Zeitalter sind ver-

i) < Anmerkung der Originalhandschrift.) ,,Es scheint, als ob kleine

Änderungen des Zustands gut für die Gesundheit seien; daß größere

Änderungen das Fortpflanzungssystem beeinflussen, so daß bei den

Sprößlingen Variationen zutage treten; daß noch stärkere Änderung die

[page] Angehäufte Wirkung von Änderungen.                    \\n

strichen, seit Weizen angebaut, Rinder und Schafe gezogen wurden, wobei doch nicht anzunehmen ist, daß die Menge ihrer Nahrung dauernd zugenommen habe; trotzdem gehören sie gegenwärtig zu den variabelsten unserer häuslichen Produkte. Man hat beobachtet (Marshall), daß einige der feinsten und bestgehaltenen Schaf- und Rinder- rassen konstanter und weniger variabel sind, als die um- herlungernden Tiere der Armen, die auf den Gemeinde- wiesen gerade nur ihr Leben fristen.1) Im Falle von Wald- bäumen, die, wenn sie in Schonungen aufgezogen wurden, mehr variieren als an ihrem ursprünglichen Standort, liegt die Sache wohl einfach so, daß die gehegten Bäume keinen solchen Kampf mit anderen Bäumen und mit Un- kraut auszufechten haben, wie ihre wildwachsenden Brüder, die sich infolgedessen in ihren Existenzbedingungen bedrängt sehen.

Mir scheint es, als ob die Macht der Domestikation sich als die angehäufte Wirkung von Änderungen aller oder einiger der natürlichen Lebensbedingungen der betreffenden Spezies deuten ließe, eine Wirkung, die oft mit einem Über- fluß an Nahrung verbunden ist. Diese Lebensbedingungen pflegen überdies, dank der Veränderlichkeit der Geschäfte, Gewohnheiten, Wohnsitze und Kenntnisse des Menschen nie- mals sehr lange Perioden hindurch dieselben zubleiben. Ich bin

Fruchtbarkeil nicht bei den Sprößlingen hemmt oder zerstört." Vgl.

Origin, Ed. I., S. 9, Ed. VI., S. xi. Die Bedeutung der Worte „nicht

bei den Sprößlingen" ist unklar.

1) In Origin, Ed. I., S. 41. Ed. VI., S. 46 wird diese Frage in anderem

Sinne behandelt; es ist dort gesagt, daß eine größere Menge von Tieren

eine bessere Chance für das Auftreten von Variationen böte, und daß

nach Marshall Schafe in kleinen Herden nie verbessert werden

können. Das dortige Zitat stammt aus Marshalls Review 0/the Reports

to the Board 0/ Agriculture, 1808, S. 406. Im vorliegenden Essay ist

der Name Marsho.ll an den Rand des Blattes notiert. Wahrscheinlich

bezieht sich dies auf S. 200 des zitierten Werks, auf der bemerkt ist,

daß in vielen Teilen von England die hirtcnlosen Schafherden sich

gleichen und zwar aus dem Grunde, daß eine gemischte Paarung nicht

vermieden wurde.

[page] i (8 Variation unter Domestikation; Prinzipien der Zuchtwahl.

um so mehr geneigt, zu diesem Schlüsse zu gelangen, als wie ich später zeigen werde, die Wechsel in den natürlichen Existenzbedingungen ganz besonders die Tätigkeit der Fort- pflanzungsorgane zu berühren scheinen.1) Da wir sehen, daß Art- und Rassenbastarde nach der ersten Generation stark zum Variieren neigen, so können wir hieraus wenigstens den Schluß ziehen, daß Variabilität nicht einzig und allein von einem Überfluß an Nahrung abhängig ist.

Nachdem wir diese Ansichten ausgesprochen haben, ließe sich indes die Frage aufwerfen, wie es denn kommt, daß gewisse Tiere und Pflanzen, die seit beträchtlicher Zeit domestiziert leben, und einstmals aus sehr abweichenden Existenzbedingungen unter die Herrschaft des Menschen versetzt wurden, gar nicht oder fast gar nicht variiert haben, so z.B. Esel, Pfau, Perlhuhn, Spargel, Helianthustuberosus2). Ich habe bereits gesagt, daß höchstwahrscheinlich die ver- schiedenen Arten, ähnlich den verschiedenen Untervarie- täten auch eine verschiedengradige Tendenz zur Variation besitzen. Bei den genannten Tieren möchte ich indessen dahin neigen, den Mangel an verschiedenartigen Rassen weniger einem Fehlen der Variabilität als dem Umstand zuzuschreiben, daß bei jenen Tieren keine Zuchtwahl angewendet worden ist. Niemand wird sich besondere Mühe geben, Zuchtwahl zu treiben, ohne daß er ein bestimmtes Ziel, sei es Nutzen oder Unterhaltung im Auge hat; die erzielten Individuen müssen dann ziemlich zahlreich und dürfen nicht so wert- voll sein, daß der Züchter nicht diejenigen, die seinen Wün- schen nicht entsprechen, unbekümmert vernichten dürfte. Sobald Perlhühner oder Pfauen „Mode-Vögel" würden3), so zweifele ich nicht, daß nach einigen Generationen mehrere Rassen von ihnen gezüchtet werden würden. Bei Eseln liegt es wohl einfach so, daß man Versuche zur Verbesserung bei ihnen vernachlässigt hat; immerhin sind sie bis zu gewissem

i) S. Origin, Ed. I., S. 8, Ed. VI., S. 8.                                           |

2)  S. Origin, Ed. L, S. 42, Ed. VI., S. 48.                                       \

3)  < Anmerkung der Originalhandschrift.> Es gibt weiße Pfauen.

[page] Zusammenfassung.                                         I j q

Grade nach Ländern verschieden. Die unbewußte Zucht- wahl, die darin besteht, daß die verschiedenen Menschen- rassen diejenigen Individuen züchteten, die ihnen je nach ihren Lebensverhältnissen am nützlichsten waren, läßt sich nur auf die ältesten und in weitestem Umfang domestiziert gehaltenen Tiere anwenden. Bei Pflanzen müssen wir ganz und gar diejenigen ausschalten, die ausschließlich (oder doch beinahe ausschließlich) mittels Stecklingen, Ablegern und Knollen fortgepflanzt werden, wie z. B. Helianthus tuberosus und Lorbeer. Und wenn wir Pflanzen von geringem Schmuck- oder Nützlichkeitswert ausnehmen, so wie auch solche, die in einem so frühen Stadium ihres Wachstums Verwendung finden, daß es auf speziellere Charaktere dabei nicht ankommt, wie z. B. Spargel oder Seekohl1), so kann ich mich keiner einzigen seit lange kultivierten Pflanze entsinnen, die nicht variiert hätte. Keinesfalls dürfen wir ebensoviel Variation bei einer Rasse vermuten, wenn sie als einzige existiert, wie dort, wo mehrere nebeneinander bestehen, da die Kreuzung und Wiederkreuzung solcher Rassen ihre Variabilität außerordent- lich erhöht.

ZUSAMMENFASSUNG DES ERSTEN KAPITELS.

Betrachten wir das Ergebnis dieses Kapitels! Im Zu- stande der Domestikation werden Rassen erzeugt: I. durch die direkte Einwirkung der äußeren Lebensbedingungen, denen die Spezies ausgesetzt ist; 2, dadurch, daß die indirekte Einwirkung der neuen Lebensbedingungen, unter- stützt durch einen Überfluß an Nahrung, die Organi- sation plastischer macht, und nun der Mensch einzelne Individuen ausliest und getrennt zur Aufzucht bringt oder auserlesene Männchen zur Zucht in seine Herde ein- führt, oder indem er endlich mit Sorgfalt das Leben der ihm am geeignetsten erscheinenden Individuen schützt; und 3. durch Kreuzung und Wiederkreuzung bereits vor-

i) Anmerkung der OriKinalhandschrift.) Es gibt Varietäten von

Spargel

[page] 120           Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

handener Rassen und eine an deren Abkömmlingen getroffene Auslese. Nach mehreren Generationen kann der Mensch in seiner Sorgfalt bei der Selektion nachlassen: denn die Tendenz zur Variation und zum Rückschlag in vorelterliche Formen wird alsdann aufhören, so daß der Züchter nur hie und da ganz gelegentlich ein Exemplar, das von dem erzielten Typus abweicht, zu zerstören haben wird. Und schließlich wird bei einer großen Herde die Wirkung freier Kreuzung auch ohne sein Dazutun die Zucht konstant erhalten. Durch alle diese Mittel ist der Mensch imstande, unendlich zahlreiche Rassen zu schaffen, die in wunderbarster Weise den be- treffenden Zwecken angepaßt sind, den wichtigsten wie den spielerischsten; gleichzeitig aber werden die Einflüsse der umgebenden Lebensbedingungen, die Gesetze der Vererbung, des Wachstums, der Variation seine Bemühungen modi- fizieren und ihnen gewisse Schranken ziehen.

ZWEITES KAPITEL.

ÜBER DIE VARIATION DER LEBEWESEN IM WILDEN

ZUSTAND; ÜBER DIE NATÜRLICHEN MITTEL DER

ZUCHTWAHL UND ÜBER DEN VERGLEICH DER

DOMESTIZIERTEN RASSEN MIT ECHTEN ARTEN.

Nachdem wir die Variation im Zustande der Domestikation behandelt haben, wollen wir uns dieselbe nun im Zustand der Natur ansehen.

Die meisten Organismen variieren im Naturzustand außer- ordentlich wenig.1) Ich nehme hier solche Variationen aus, die (wie bei verstümmelten Pflanzen usw. und Muscheln im Brackwasser) als direkte Wirkung äußerlicher Einflüsse an-

i) Im IL Kapitel der ersten Auflage von Origin betont Cb- Darwin dagegen ziemlich stark das Vorhandensein von Variabilität im Natur- zustand, vgl. z. B. S. 45, wo es heißt „Ich bin überzeugt, daß die er- fahrensten Naturforscher erstaunt sein würden über die Menge der Fälle von Variabilität .... die sie zusammenbringen könnten, wie ich sie im

Laufe der Jahre nach guten Gewährsmännern zusammengetragen habe." The Comblete Work of Charles Darwin Online

[page] Variation int Xatorsustand,

121

gesehen werden müssen1), und von denen wir nicht wissen, ob sie in die Rasse übergehen2), ob sie erblich sind. Der Umfang erblicher Variation ist sehr schwer festzustellen, weil die Naturforscher (teils aus Mangel an Kenntnissen, teils wegen der dieser Frage innewohnenden Schwierigkeiten) nicht durchaus darin übereinstimmen, ob gewisse Formen als Arten3) oder Rassen zu betrachten sind. Gewisse stark charakteristische Pflanzenrassen, die man mit den ausge- sprocheneren Sprungvariationen der Kunstgärtner vergleichen könnte, existieren zweifellos im Naturzustand, wie man durch Experiment nachweisen kann, z. B. bei Primel- und Schlüsselblume4), bei zwei sogenannten Arten von Löwen- zahn, bei zweien von Fingerhut5) und wie ich glaube bei einigen Nadelbäumen.

Lamarck hat bemerkt, daß, solange wir unsere Aufmerk- samkeit auf ein abgegrenztes Land beschränken, keine große Schwierigkeit in der Unterscheidung von Spezies und Varietäten vorzuliegen pflegt, daß hingegen die Natur-

i) S. Qrigin, Ed. I., S. 44, Ed. VI., S. 52.

2)  (Anmerkung des Originals.) Hier erörtern, was eine Spezies ist, Sterilität kann bei Kreuzung schwer nachgewiesen werden. — Ab- stammung von gemeinsamem Stamm.

3)  (Anmerkung des Originals.) Nur Regel geben: Kette von Zwischen- formen und Analogie; dies ist wichtig. Jeder Naturforscher ist, wenn er auf variable Typen stößt, zunächst in großer Verlegenheit, was er als Arten und was er als Varietäten anzusehen hat.

4)  Der Verfasser hatte damals noch keine Kenntnis von der Bedeutung des Dimorphismus.

5)  (Anmerkung des Originals.) Vergleiche gefiederte Köpfe bei sehr verschiedenen Vögeln mit Stacheln bei Echidna und Igel. <In Var. under Dom., Ed. II. Bd. II. S. 317 lenkt Ch. Darwin die Aufmerksamkeit auf den Umstand, daß ausgefranste und krause Brüten sowohl bei Hühnern wie Tauben vorkommen. Und ebenso findet sich eine eigenartige Körper

bedeckung bei Echidna und Igel.)

Pflanzen nicht variierend unter ganz verschiedenen Klimaten. Digitalis zeigt Sprünge <?> in der Variation, ebenso wie Goldregen und Orchis — tatsächlich entgegengesetzte Fälle. Variabilität der Sexualcharakterc die gleiche bei domestizierten und wilden Organismen.

[page] I 2 2             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

forscher, wenn das Sammlungsmaterial aus allen möglichen Teilen der Welt auf sie einströmt, häufig die größte Schwierigkeit haben, die Grenzen der Variationen zu be- stimmen. Dem ist zweifellos so, doch weichen selbst in bezug auf britische Pflanzen (und wohl auch Land- schnecken), die vielleicht die bestgekannten der Welt sind, die vortrefflichsten Naturforscher in der Bestimmung dessen, was als Art und was als Varietät anzusehen ist, voneinander ab. Bei vielen Gattungen von Insekten, Muscheln und Pflanzen erscheint es fast aussichtslos, fest- zustellen, was eine Art und was eine Varietät darstellt. Bei den höheren Tierklassen gibt es weniger Zweifel, obwohl es ziemliche Schwierigkeiten bereitet festzustellen, was bei Füchsen und Wölfen als Art zu bezeichnen ist, ebenso auch bei einigen Vögeln, z. B. der weißen Schleiereule. Wo aber Exemplare aus verschiedenen Gegenden der Welt zusammen- getragen werden, entstehen sofort Meinungsverschiedenheiten über diesen Punkt; ich erlebte dies an den Vögeln, die ich vom Galapagosarchipel nach Hause brachte. Yarrell hat bemerkt, daß Individuen von zweifellos derselben Vogel- spezies, von denen einige aus Europa, die anderen aus Nord- amerika kamen, gewöhnlich leise, kaum definierbare und doch merkliche Unterschiede aufweisen.

Ja, allein das Erkennen eines Tieres von seiten eines anderen unter seinesgleichen scheint mir eine gewisse individuelle Verschiedenheit zu verraten. Die Veranlagung in dieser Beziehung ist bei den wilden Tieren zweifellos verschieden entwickelt. Variation, soweit wir sie kennen, pflegt sich hauptsächlich an gewissen analogen Teilen der wilden und der zahmen Organismen geltend zu machen: so zum Beispiel an der Körpergröße, Farbe, an den äußeren und weniger wichtigen Teilen. Bei vielen Arten wird sogar die Variabilität bestimmter Organe und Eigenschaften als eine der Artcharak- tere hingestellt; so sind z. B. bei Pflanzen Farbe, Größe, Behaarung, Anzahl der Staubfäden und Stempel, ja selbst deren Anwesenheit, die Form der Blätter bei einigen Spezies

[page] Variabilität aller Organismen.                          I ? i

variabel und bei andern völlig fixiert; und dasselbe ist der Fall bei den Kinnladen mancher Insektenmännchen und bei der Länge und Gebogenheit mancher Vogelschnäbel (so bei Üpetiorhynchus). Soweit ich sehe, läßt sich von Rechtswegen zwischen der anerkannten Variabilität einzelner Teile bei vielen Spezies und der allgemeineren Variabilität des ge- samten Körpers bei domestizierten Tieren keine scharfe Grenze ziehen.

Die Variation ist zwar in quantitativer Hinsicht bei den meisten Organismen im Naturzustand sehr gering, ja sie bleibt in der Mehrzahl der Fälle (wenigstens soweit sie für unsere Sinne erkennbar ist) ganz aus. Ziehen wir aber in Betracht, wie stark die vielen Tiere und Pflanzen, die sich der Mensch aus den verschiedensten Gegenden für die verschiedensten Zwecke zusammengeholt hat, zu jeder Zeit und in jedem Lande unter dem Einfluß der Domestikation variiert haben, so können wir meiner Ansicht nach getrost den Schluß ziehen, daß alle Organismen, mit nur wenig Ausnahmen, variieren, falls sie überhaupt die Domestikation und Aufzucht während langer Zeiträume vertragen. Die Domestikation scheint im wesentlichen im Sinne eines Herausversetztwerdens aus der natürlichen Lebenslage der Spezies zu wirken (meist vielleicht in Verbindung mit Vermehrung der Nah- rung); ist dies aber der Fall, so werden auch Organismen im Naturzustand gelegentlich, im Laufe von langen Zeit- räumen ähnlichen Umständen ausgesetzt sein. Denn die Geologie zeigt uns aufs deutlichste, wie viele Gegenden im Laufe der Zeit klimatischen und anderweitigen Wechseln in weitestem Umfang ausgesetzt werden; und wenn dann solche Gegenden isoliert sind, so daß neue und besser angepaßte Geschöpfe nicht beliebig auswandern können, so werden die alten Bewohner neuen Einflüssen ausgesetzt werden, die wahrscheinlich viel mannigfaltiger sind als jene, durch welche der Mensch in Form der Domestikation einwirkt. Obwohl nun jede Spezies sich zweifellos bis zu der vollen

Zahl vermehren wird, die von dem betreffenden Lande er- The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] I 24            Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

nährt werden kann, so ist es doch leicht, einzusehen, daß im Durchschnitt der Fälle zuweilen für manche Arten ein Mehr von Nahrung vorhanden sein wird, ferner, daß Zeiten des Darbens zwar nur kurz sein und in langen Intervallen wieder- kehren werden, daß sie aber dennoch imstande sind, einen Einfluß auszuüben. Alle diese Änderungen der Lebens- bedingungen aus geologischen Gründen können nur sehr lang- sam vor sich gehen. Welchen Einfluß diese Langsamkeit hat, wissen wir nicht; bei Domestikation scheint es, als ob die Einflüsse des Wechsels der Lebensbedingungen sich an- häuften und dann hervorbrächen.

Wie nun auch das Resultat jener langsamen geologischen Wechsel beschaffen sein mag, so viel scheint gewiß, daß so- wohl infolge der allen Organismen mehr oder minder eignenden Fähigkeit zur Ausbreitung wie auch infolge der fortwährend in Tätigkeit begriffenen geologischen Änderungen (die auch zuweilen, so z. B. wenn ein Isthmus schließlich auseinanderreißt, plötzlich auftreten können), Organismen gelegentlich in neue Regionen eingeführt werden. Liegen nun dort die Lebensbedingungen nicht derartig ungünstig, daß sie eine Austilgung der betreffenden Organismen zur Folge haben, so werden diese sich hier unter Verhältnissen fortpflanzen, die denen der Domestikation durchaus analog sind und sie werden deshalb, wie ich an- nehme, eine Tendenz zur Variation an den Tag legen. Es erschiene mir völlig unerklärlich, wenn dies nie vorkäme, aber vielleicht kommt es sehr selten vor.

Nehmen wir einmal an, daß durch irgend einen Zufall (der vielleicht nur einmal in tausend Jahren vorkommt) ein Organismus auf eine neue, im Entstehen begriffene vulkanische Insel geriete, die noch nicht völlig mit den bestangepaßten Organismen besetzt wäre: in solchem Falle würde der neue Organismus unschwer Fuß fassen, so verschieden auch die äußeren Bedingungen von denen seines Heimatsortes wären. Dieser letztere Umstand

würde, wie wir annehmen dürfen, in gewissem Grade die The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Zuchtwahl.

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Größe, Farbe, die Art der Körperbedeckung usw. und aus nur unbekannten Zusammenhängen heraus sogar be- stimmte innere Organe beeinflussen. Doch sollte man er- warten (und dies ist viel wichtiger), daß auch die Fort- pflanzungsorgane, ebenso wie unter Domestikation, beein- flußt werden würden, und daß daher die Organisation der Nachkommenschaft bis zu gewissem Grade plastisch werden wird. Demnach würde also jeder Teil des Körpers die Ten- denz zeigen, sich, wenn auch in geringem Grade und in keiner vorher bestimmten Art und Weise, von der typischen Form zu entfernen. Ohne Zuchtwahl würde aber die freie Kreuzung dieser kleinen Variationen (zugleich mit der Ten- denz, in die Originalform zurückzuschlagen) fortwährend die ablenkende Wirkung der äußeren Verhältnisse auf das Fort- pflanzungssystem kompensieren. Dieses Resultat, das keinen bedeutenden Ausschlag herbeizuführen vermag, würde sich ergeben, solange Zuchtwahl nicht eingreift. Und ich muß zugleich betonen, daß die vorstehenden Bemerkungen ebenso- wohl auf den geringen und allgemein zugegebenen Grad von Variation, den manche Organismen im Naturzustand auf- weisen, Anwendung finden, wie auf die oben gekennzeichneten hypothetischen Variationen, die aus Veränderungen in den Lebensbedingungen abgeleitet wurden.

Denken wir uns nun ein höheres Wesen, begabt mit solcher Einsicht, daß es vermöchte, die dem Menschen völlig unkennt- lichen Unterschiede in der äußeren und der allerinnersten Organisation lebender Geschöpfe wahrzunehmen, und mit einer Voraussicht begabt, die sich über zukünftige Jahrhunderte hinaus erstreckt, so daß es mit unbeirrbarer Sorgfalt jedes Geschehen beobachten könnte und die Nachkommen eines unter den obenerwähnten Umständen erzeugten Organis- mus zu irgendeinem bestimmten Zweck auszuwählen imstande wäre. Ein solches Wesen vorausgesetzt, sehe ich keinen leisesten Grund ein, weshalb es nicht eine neue Rasse gestalten sollte (oder auch mehrere, falls es den Bestand an originalen Organismen teilen und auf verschiedenen Inseln damit The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 126            Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

arbeiten würde), die neuen Zwecken angepaßt wäre.1) Ebenso wie wir nun voraussetzen, daß die Urteilskraft, die Voraus- sicht, die Konsequenz in Verfolgung eines bestimmten Zieles bei diesem Wesen ungleich größer sein würde als die- selben Eigenschaften beim Menschen, ebenso müssen wir annehmen, daß die Schönheit und die Kompliziertheit der Anpassungen bei den von ihm gezüchteten neuen Rassen, daß ihr Fortschritt verglichen mit dem Originalstamm größer sein wird als bei den Domestikationsprodukten des Menschen. Den grundlegenden Teil der Arbeit jenes Wesens können wir uns durch den Umstand unterstützt denken, daß die äußeren Lebensbedingungen auf der be- treffenden vulkanischen Insel infolge von ihrem dauern- den Emporsteigen und der gelegentlichen Einwanderung neuer Bewohner, sich ändern, und somit auf das Fort* pilanzungssystem der betreffenden Organismen einwirken und ihre Organisation in einem plastischen Zustand erhalten. Genügende Zeit vorausgesetzt, könnte dann jenes Wesen logischerweise (wofern nicht irgendein unbekanntes Ge- setz sich ihm entgegenstemmte) nahezu jedes Resultat er- reichen.

Sähe zum Beispiel jenes imaginäre Wesen auf den zer- fallenden Substanzen eines Waldes, halb erstickt von andern Gewächsen, Pflanzen wachsen, und es erstünde ihm hieraus der Wunsch, jenen Pflanzen die Fähigkeit zu verleihen, auf faulenden Baumstämmen zu gedeihen, so müßte es zunächst damit anfangen, die Sämlinge aller derjenigen seiner Repräsen- tanten auszusuchen, deren Beeren auch nur eine Spur ver- lockender für baumlebende Vögel wären als ihre anderen Art- genossen, damit auf diese Weise eine gehörige Ausbreitung der Samen entstünde; gleichzeitig aber müßte es diejenigen Pflanzen auswählen, die auch nur um eine Spur mehr Fähig- keit hätten als andere, aus faulendem Holz Nahrung zu ziehen,

i) Eine ähnliche Stelle findet sich in Origin, Ed. L, S 83, Ed.VI., S. ioi, wo indes für das Auslese treibende „Höhere Wesen" (Being), der Ausdruck „Natur" Anwendung findet

[page] Natürliche Zuchtwahl.

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alle anderen Sämlinge aber, die diese Fähigkeiten weniger besäßen, würde es zerstören. Jenes Wesen könnte so, im Laufe vieler Jahrhunderte, das Ziel erreichen, die betreffende Pflanze nach und nach auf faulendem Holz wachsen zu lassen, selbst bis hoch in die Bäume hinauf, kurz überall, wo die Vögel den nichtverdauten Samen absetzen würden. Es könnte es sogar schließlich, gesetzt die Organisation jener Pflanze sei plastisch genug, durch fortdauernde Auslese gelegentlicher Sämlinge, dahin bringen, daß die Pflanze immer weniger faulen Holzes zum Gedeihen bedürfte, und schließlich imstande wäre, auf gesundem Holz zu wachsen. Ferner vorausgesetzt, daß im Laufe aller dieser Verände- rungen die Pflanze infolge von Nichtbefruchtung aufhören würde, reichlich genug Samen zu erzeugen, so könnte jenes Wesen anfangen, Sämlinge mit etwas süßerem oder anders schmeckendem Honig oder Pollen auszuwählen, um so die Insekten zu verlocken, die Pflanze regelmäßig aufzusuchen. Nachdem dies vollbracht wäre, könnte es, falls damit der Pflanze gedient wäre, wünschen, die Stempel und Staubfäden in gewissen Blüten verkümmern zu lassen, was mittels an- dauernder Auslese leicht zu machen wäre. Durch solche Schritte könnte jenes Wesen eine Pflanze ebenso wunderbar in Beziehung zu anderen Organismen bringen, wie es z. B. bei der Mistel der Fall ist1), deren Existenz absolut von be- stimmten Insekten behufs Befruchtung, von bestimmten Vögeln behufs Verbreitung und von bestimmten Bäumen behufs Wachstum abhängig ist. Und ferner, gesetzt daß das Insekt, das zum regelmäßigen Besuch jener hypothetischen Pflanze herangezogen wurde, hiervon sehr profitierte, so könnte unser imaginäres Wesen durch allmähliche Auslese nach und nach auch dessen Bau in der Weise modifizieren, daß es mit größerer Leichtigkeit zum Honig oder Pollen der betreffenden Pflanze gelangen könnte: auf diese Weise könnte das Insekt (stets unter Voraussetzung einer gewissen Plastik seiner

1) Die Mistel wird auch in Origin, Ed. I., S. $, Ed. VI., S. 3. aber

mil weniger Ausführlichkeil, als Beispiel angeführt.

[page] 128             Variation im Natursustand; Rassen und Arten.

Organisation) an die Blume, und die Befruchtung der Blume an das Insekt angepaßt werden; auch ist dies bei vielen Bienen und vielen Pflanzen der Fall.

Wenn man bedenkt, was der blinde, launenhafte Mensch tatsächlich während der wenigen hinter uns liegenden Jahre durch Zuchtwahl bewirkt hat und was in weniger kultivierten Zeitaltern durch ihn ohne jeden systematischen Plan, im Laufe der letzten paar tausend Jahre bewirkt worden ist, so würde viel Kühnheit dazu gehören, wenn man dem, was jenes imaginäre Wesen im Verlauf ganzer geologischer Perioden zu bewerkstelligen fähig wäre, Schranken stecken wollte. Erwägen wir indes einmal, ob nicht in Übereinstim- mung mit dem Plane, nach welchem dieses Weltall von dem Schöpfer regiert zu werden scheint, ein sekundäres Mittel in dem Haushalt der Natur vorhanden ist, durch welches der Prozeß der Auslese die Organismen, vorausgesetzt, daß diese sich nur im geringsten Grade als plastisch erweisen, aufs feinste und wunderbarste verschiedenen Zwecken anzupassen vermöchte. Ich selbst glaube an das Vorhandensein solcher sekundären Mittel.1)

NATÜRLICHE MITTEL DER SELEKTION.*)

De Candolle hat mit schwungvollen Worten erklärt, daß die ganze Schöpfung, und zwar sowohl die Organismen unter sich als auch mit der äußeren Natur, im Kampfe begriffen sei. Wenn man das friedliche Antlitz der Natur betrachtet, so ist man zunächst geneigt, dies anzuzweifeln; bei etwas Nach- denken indessen sieht man unweigerlich ein, daß es nur zu sehr der Wahrheit entspricht. Dieser Krieg ist indessen kein in gleichmäßiger Stärke andauernder, sondern er wiederholt

i) < Anmerkung im Original.) Die Selektion muß, in Fällen wo aus- gewachsenes Leben nur wenige Stunden dauert, wie bei Ephemeren, auf die Larven fallen — sonderbar, die Wirkung zu erwägen, die Ver- änderungen derselben auf die Eltern haben müßten

2) Dieser Abschnitt bildet einen Teil der von Darwin und Wallace gemeinsam der Linnean Society am i. Juli 1838 vorgelegten Schrift The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Natürliche Mittel der Selektion.                        I2ü

sich in geringer Stärke in kurzen Intervallen und in inten- siverem Grade innerhalb gelegentlicher weiter voneinander entfernter Perioden, und deshalb geschieht es leicht, daß man seine Wirkungen übersieht. Es ist die Malthussche Lehre, die wir hier in den meisten Fällen mit zehnfacher Kraft angewendet sehen. Je nachdem es in jedem Klima für jede Art seiner Bewohner Jahreszeiten größeren und geringeren Überflusses gibt, je nachdem erfolgt die jährliche Fortpflan- zung der betreffenden Organismen; hierbei kommt das ethische Moment, die Selbstüberwindung, die, wenn auch in geringem Maße, die Zunahme der menschlichen Rasse beschränkt, völlig in Wegfall. Trotz ihrer langsamen Vermehrung kann sich erfahrungsmäßig eine menschliche Bevölkerung in 25 Jahren verdoppeln1), und wäre der Mensch imstande, seine Nahrungsquellen mit geringerer Mühe zu vervielfachen, so würde er sich in noch kürzerer Zeit verdoppeln. Für Tiere indessen wird, ohne künst- liche Hilfsmittel, der Bestand an Nahrung für jede Spezies im Durchschnitt ein gleichbleibender sein, wogegen die Zunahme aller Organismen das Bestreben hat, in geo- metrischer Progression fortzuschreiten, und zwar in der weit- aus überwiegenden Mehrzahl der Fälle in einer enorm großen. Denken wir uns an einem bestimmten Ort acht Paar [Rot- kehlchen] Vögel, und daß nur vier dieser Paare (inklusive doppelter Brüten) jährlich nur je vier Junge ausbrüten, und daß diese wiederum Junge in demselben Maßstab ausbrüten: dann werden am Schlüsse von sieben Jahren (was für Vögel, selbst unter Einrechnung gewaltsamer Todesarten eine kurze Lebenszeit bedeutet) 2048 Rotkehlchen, statt der erst vorhandenen 16 am Leben sein; da eine solche Zunahme nun ein Ding der Unmöglichkeit ist, so müssen wir den Schluß ziehen, entweder daß Rotkehlchen noch nicht die Hälfte ihrer Jungen großziehen, oder daß das Durchschnitts- alter eines Rotkehlchens, nachdem es großgezogen, infolge von Unfällen nicht annähernd sieben Jahre erreicht. Beide 1) Dies kommt auch in Qrigin, Ed. I., S. 64, Ed. VI., S. 70 vor.

F. Darwin. Fundamente zur Entstehung der Arien.                                     9

[page] 1 30             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

Arten von Hemmungen pflegen mit aller Wahrscheinlichkeit häufig zu sein. Dieselbe Art von Berechnung liefert, wenn man sie auf alle möglichen Pflanzen und Tiere anwendet Resultate von mehr oder weniger frappanter Beschaffenheit doch in kaum einem einzigen Falle weniger frappant als beim Menschen.1)

Viele praktische Illustrationen von dieser Tendenz zu rapider Vermehrung sind uns überliefert; besonders wird berichtet, wie außerordentlich sich zu bestimmten Zeiten gewisse Tiere vermehrt haben, so z. B. am La Plata, wo in den Jahren 1826—28, als infolge von Trockenheit Millionen von Rindern umkamen, das Land von unzähligen Mäusen wim- melte. Nun kann man, denke ich, nicht daran zweifeln, daß während ihrer Fortpflanzungsperiode auch in normalen Zeiten alle Mäuse (mit Ausnahme einiger weniger überschüs- siger männlicher oder weiblicher Exemplare) sich paaren, und daß daher jene erstaunliche Zunahme während dreier Jahre dem Umstand zugeschrieben werden muß, daß eine größere Anzahl als sonst das erste Jahr überdauerte, sich darauf vermehrte usw., und daß dies so weiterging bis zum dritten Jahre, wo dann die Wiederkehr feuchter Witterung den Be- stand an Mäusen auf seine gewöhnlichen Maße reduzierte. Dort aber, wo der Mensch Pflanzen und Tiere in ein für sie günstiges Land eingeführt hat, ist es, wie uns die Berichte lehren, geradezu erstaunlich, in wie wenig Jahren das ganze Gebiet mit jenen Organismen aufs reichlichste besetzt ist. Diese Zunahme pflegte notwendigerweise Halt zu machen, sobald das betreffende Land völlig besetzt war; und doch haben wir nach allem, was uns von wildlebenden Tieren bekannt ist, jeden Grund, anzunehmen, daß alleTiere sich im Frühling paaren.

Bei der Mehrzahl der Fälle ist es äußerst schwer, sich vorzustellen, auf welche Periode des individuellen Lebens die Hemmung trifft; meist betrifft sie zweifellos die Samen, die Eier und die Jungen. Wenn wir aber bedenken,

1) S Origin, Ed. I., S. 64 — 65. Ed. VT., S. 80. wo annähernd dasselbe gesagt wird.

[page] Hindernisse der Vermehrung.                          \ \ \

wie schwer es uns sogar beim Menschen wird (der uns doch so viel vertrauter ist als irgendein anderes Tier), aus wiederholten gelegentlichen Beobachtungen einen Durchschnitt des Lebens- alters zu ziehen, oder uns über die Unterschiede in den pro- zentualen Verhältnissen von Sterbe- und Geburtsfällen in den verschiedenen Ländern klar zu werden, dürfen wir uns lüglich nicht wundern, daß wir nicht allzu klar erkennen, in welchem Stadium des Tier- und Pflanzenlebens jene Hemmung ein- tritt. Man muß stets im Auge behalten, daß in den meisten Fällen jene Hemmungen jährlich in geringerem Grade mit einer gewissen Regelmäßigkeit eintreten, in stärkstem Maße aber während gelegentlicher kalter oder heißer oder trockener oder nasser Jahre, je nach der Konstitution des fraglichen Geschöpfes. Man verringere die Hemmung im allergeringsten Grade, und sofort wird die geometrische Vermehrungskraft des betreffenden Organismus die Durchschnittszahlen der so begünstigten Spezies in die Höhe schnellen lassen. Man könnte die Natur einer Oberfläche vergleichen, auf der zehn- tausend scharfe Keile aufliegen, die sich berühren und durch unaufhaltsame Schläge nach innen getrieben werden.1) Um sich diese Anschauung völlig zu vergegenwärtigen, bedarf es gründlicher Reflexion; man lese Malthus, der die Frage in ihrer Beziehung zum Menschen beleuchtet, man ziehe wohl in Betracht Fälle wie die der Mäuse vcn La Plata oder den der in Südamerika eingeführten Pferde und Rinder, vertiefe sich in unsere Berechnung der Rotkehlchenvermeh- rung usw., man bedenke die enorme inhärente und Jahr für Jahr in Aktion tretende Multiplikations- kraft aller Tiere, vergegenwärtige sich die zahllose Menge von Samen, die Jahr für Jahr vermittels Hunderter von ingeniösen Vorrichtungen über das Antlitz der Erde aus- gestreut werden; demgegenüber haben wir trotzdem allen Grund, anzunehmen, daß die Durchschnittszahlen jeder Art von

Bewohnern eines Landes für gewöhnlich konstant bleiben.

i) Dies Beispiel findet sich auch in Origin, Ed. I., S. 67, jedoch nicht

in den späteren Auflagen.

The ComDlete Work of Charles Darwin Online**

[page] 132             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

Und schließlich müssen wir den Gedanken festhalten daß diese Durchschnittszahl der Individuen in einem Lande (gesetzt daß die äußeren Verhältnisse dieselben blieben) aufrecht er- halten wird durch den immer wiederholten Kampf gegen andere Arten und gegen die äußere Natur (wie z. B. am Rand der arktischen Regionen1), wo die Kälte das Leben hemmt); daß ferner jedes Individuum jeder Spezies für gewöhnlich seine Stelle behauptet entweder durch eigenen Kampf und Fähig- keit, in gewissen Perioden seines Lebens (vom Ei angefangen) Nahrung zu erringen, oder durch den Kampf seiner Eltern, (bei kurzlebigen Organismen, wo die Haupthemmungen in großen Intervallen auftreten) gegen und verglichen mit anderen Individuen seiner eigenen oder fremder Arten.

Nehmen wir nun aber an, daß die äußeren Verhältnisse eines Landes sich verändern; ist dies in geringem Grade der Fall, so wird sich das relative Verhältnis der Einwohner in den meisten Fällen ganz einfach ein wenig verschieben; lassen wir die Zahl der Bewohner klein sein, wie bei einer Insel2), und den freien Zugang zu dieser aus anderen Ländern sehr eingeschränkt, und lassen wir die Zustandsänderung dauernd fortschreiten (wobei neue Örtlichkeiten entstehen), so werden in solchem Falle die Originaleinwohner aufhören, so voll- kommen an die Verhältnisse ihres Aufenthaltsorts angepaßt zu sein, wie sie ursprünglich waren. Wir haben schon gezeigt, wie wahrscheinlich solche Änderungen der äußeren Verhält- nisse, indem sie auf das Fortpflanzungssystem einwirken, eine stärkere plastische Tendenz bei den am meisten in Mit- leidenschaft gezogenen Organismen hervorrufen, ebenso wie dies bei Domestikation der Fall zu sein pflegt. Kann es nun irgendeinem Zweifel unterliegen, daß, bei dem Kampf, den jedes Individuum (oder seine Eltern) um seinen Unter-

1)  Anmerkung des Originals. > Im Falle der Mistel kann gefragt werden, weshalb nicht mehr Spezies, keine andere Spezies drängt sich dazwischen; Antwort fast ausreichend, dieselben Gründe, die die Ver- mehrung der Individuen hemmen.

2)  S. Origirt, Ed. L, S. 104, 292, Ed. VI., 127, 429.

The CorriDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Kampf ums Dasein.                                \ 3 1

halt zu bestehen hatf jede allerkleinste Variation in Körper- bau, Gewohnheiten oder Instinkten, die das betreffende Individuum den neuen Lebensbedingungen besser anpaßt, sich in seiner Kraft, seiner Gesundheit geltend macht? Es würde bei jenem Kampf die Chance des Überlebens für dieses Individuum eine größere sein und ebenso für seine Kinder, gesetzt daß sie diese, wenn auch noch so minimale Variation geerbt hätten. Es würden dann jährlich mehr Individuen mit der Anwartschaft zu überleben geboren werden, und im Laufe der Zeit würde das kleinste Körnchen auf der Wage be- stimmen, auf welchen Organismus der Tod fallen und welcher überleben wird.1) Lassen wir dies Wirken der Zuchtwahl auf der einen Seite, des Todes auf der andern während eines Tausends von Generationen andauern; wer würde dann noch wagen, zu behaupten, daß dies keine Wirkung hervorbrächte, wo wir doch wissen, was innerhalb weniger Jahre von Bakc- well an Rindern und von Western an Schafen erreicht worden ist und zwar durch genau dasselbe Prinzip der Zuchtwahl! Hier ein fingiertes Beispiel: denken wir uns, daß infolge von dauernden Veränderungen auf einer Insel die Organi- sation eines zur Gattung der Hunde gehörenden Tieres plastisch geworden sei2), ferner daß dieses Tier hauptsächlich Kaninchen, gelegentlich aber auch Hasen nachstellte; denken wir uns, daß jene Veränderungen der Insel eine ganz langsame Abnahme der Kaninchen und Zunahme der Hasen im Gefolge habe; die Wirkung dieses Umstandes wäre dann die, daß jener Fuchs oder Hund gezwungen sein würde, sich mehr auf die Hasenjagd zu verlegen; dies würde zunächst dahin tendieren, ungünstig auf seinen eigenen Bestand zu wirken; gleichzeitig aber würden, da seine Organisation eine einiger- maßen plastische ist, die mit den leichtesten Körperformen, den längsten Gliedern, dem schärfsten Auge (obwohl vielleicht mit weniger Schlauheit und Spürnase) begabten Individuen

1)   Eine Anerkennung der Wichtigkeit kleinster Unterschiede beim Daseinskampf tritt schon im Essay von 1842, S. 33. Anmerkung 4 auf.

2)  S. Otigin, Ed. 1., S. 90, Ed. VI-, S. 110.

[page] 14             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

leichte Vorteileerringen, sie würden, und wären die Unterschiede von den andern noch so gering, eine Anwartschaft auf längeres Leben und auf ein Überdauern jener Jahreszeiten besitzen wo das Futter am knappsten zu sein pflegt; auch würden sie mehr Junge großziehen, und zwar Junge, die ihrerseits eine erbliche Tendenz zu diesen leichten Eigentümlichkeiten be- sitzen würden. Die weniger geschwinden aber unter jenen Tieren würden erbarmungslos ausgemerzt werden. Ich kann infolgedessen ebensowenig bezweifeln, daß diese Umstände im Laufe von tausend Generationen eine ganz ausgesprochene Wirkung hervorbringen und die Gestalt des Fuchses dem Fange von Hasen an Stelle des Fanges von Kaninchen an- passen müssen, wie man daranzweifeln kann, daß Windhunde durch Auslese und aufmerksame Zucht verbessert werden können. Und ebenso würde es sich unter ähnlichen Ver- hältnissen mit Pflanzen verhalten: wenn die Individuenzahl einer Spezies mit gefiederten Samen durch eine größere Aus- breitungsfähigkeit der Samen vermehrt werden könnte, wie dies der Fall wäre, wenn die Hemmung der Vermehrung hauptsächlich die Samen beträfe. Dann würden jene Samen, die mit nur ein wenig mehr Flaum versehen wären, oder bei denen die Fiederung so angebracht wäre, daß sie dem Winde eine bessere Angriffsfläche böte, im Laufe der Zeit am reich- lichsten verbreitet; und daraus würde folgen, daß eine größere Anzahl so geformter Samen zum Keimen kommen und Pflanzen produzieren würde, die diese um weniges besser angepaßte Samenfiederung geerbt hätten.

Außer diesen natürlichen Mitteln der Zuchtwahl, durch welche diejenigen Individuen erhalten werden, die, sei es als Eier oder Samen oder im reifen Zustand, dem Platz, den sie in der Natur auszufüllen haben, am besten angepaßt sind, ist bei getrenntgeschlechtlichen Tieren noch ein anderer Faktor an der Arbeit, der auf dieselbe Wirkung hinzielt, nämlich der Kampf der Männchen um die Weibchen. Diese Kämpfe werden gewöhnlich durch das Gesetz der Übermacht

entschieden, im Fall der Vögel aber offenbar durch die Reize

[page] Geschlechtliche Zuchtwahl.

»35

ihres Gesanges1), durch ihre Schönheit oder durch die Ein- dringlichkeit ihrer Werbung wie bei der tanzenden Stein- drossel von Guyana. Selbst bei den monogamen Tieren scheint eine Überzahl von Männchen vorzuliegen, ein Um- stand, durch welchen der Wettstreit unterstützt wird: beiden polygamen Tieren indessen2), wie beim Rotwild, bei Rindern und bei Hühnern müßte nach unserer Annahme der Kampf am ernstesten sein: und ist es nicht auch gerade bei diesen Tieren, daß die Männchen am besten für den Kampf unter- einander ausgerüstet sind? Die kräftigsten Männchen, die gleichzeitig die vollkommenste Anpassung zeigen, müssen denn auch im allgemeinen den Sieg in den verschiedenen Wettkämpfen davontragen. Diese Art der Zuchtwahl ist indessen weniger erbarmungslos als die andere; erfordert sie doch nicht den Tod des weniger erfolgreichen, sondern läßt diesen nur weniger Nachkommen hinterlassen. Der Kampf fällt außerdem in diesem Falle in eine Jahreszeit, wo die Nahrung für gewöhnlich im Überfluß vorhanden ist, und viel- leicht dürfte hier die Hauptwirkung in einer Veränderung der Sexualcharaktere und der Auslese individueller Formen zu suchen sein, die in keiner Weise mit der größeren Fähigkeit zum Erlangen von Nahrung oder zur Verteidigung gegen natürliche Feinde, wohl aber mit der Befähigung, ihresgleichen zu besiegen, zusammenhängen. Dieser natürliche Wettkampf zwischen den Männchen kann in seiner Wirkung, wenn auch nicht in seinem Grade, mit der Methode derjenigen Landwirte verglichen werden, die einer sorgfältigen Auswahl der von ihnen gezüchteten jungenTiere weniger Aufmerksamkeit zuwenden als

der gelegentlichen Verwendung eines auserlesenen Männchens.3)

i) Diese beiden Formen der geschlechtlichen Zuchtwahl werden auch in Origin, Ed. I., S. 87, Ed. VI., S. 107 angeführt. Dort wird die Steindrossel von Guiana als Beispiel für unblutige Rivalität erwähnt.

2)  Anmerkung des Originals) Seehunde? Pennant über Kämpfe der Seehunde.

3)  Im Linnean Paper vom 1. Juli 1858 heißt dies letzte Wort „Gatte" (mate); doch zeigt der Zusammenhang, daß „Männchen" (male) das richtigere wäre; im vorliegenden Manuskript ist es auch deutlich so zu lesen.

[page] 136             Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

UNTERSCHIEDE ZWISCHEN „RASSEN" UND „ARTEN": ERSTENS, NACH IHRER BESTÄNDIGKEIT ODER

VARIABILITÄT.

Wir dürfen annehmen, daß diejenigen Rassen1), die durch die geschilderten natürlichen Mittel der Zuchtwahl8) erzeugt worden sind, sich in verschiedenen Beziehungen von den vom Menschen erzeugten unterscheiden. Der Mensch trifft seine Auslese hauptsächlich vermittels des Auges, auch ist er außerstande, den Verlauf jedes Blutgefäßes und jedes Nerven, oder auch die Form jedes einzelnen Knochens zu verfolgen oder zu übersehen, ob der innere Organismus der äußeren Struktur entspricht. Er ist außerstande3), Nuancen kon- stitutioneller Unterschiede zu berücksichtigen, er hemmt vielmehr, soweit es in seiner Macht liegt, durch den Schutz, den er seinen Pfleglingen angedeihen läßt und die Mühe, die er, in welchem Lande er sich auch befinde, auf- wendet, sie am Leben zu erhalten, die auslesenden Kräfte der Natur, die sich immerhin, wenn auch in geringerem Maße, in allen lebenden Wesen geltend machen, selbst dort, wo die Lebensdauer der letzteren nicht von ihrer eigenen Wider- standskraft bedingt wird. Der Mensch hat ein schlechtes Urteil, ist launenhaft, auch pflegt er nicht, respektive pflegen seine Nachfolger nicht Hunderte von Generationen lang auf genau dasselbe Ziel hin Zuchtwahl zu üben. Er kann nicht immer die gezüchtete Form mit den ihr angemessensten Lebensbedingungen zusammenbringen, noch diese Lebens- bedingungen völlig konstant erhalten; er züchtet das, was ihm am nützlichsten und nicht das, was denjenigen Verhält- nissen, in die er jede Varietät hineinsetzt, am besten angepaßt ist; er züchtet einen Hund auf Kleinheit, füttert ihn aber

1)  In Origin würde Ch. Darwin hier das Wort Varietät benützt haben.

2)  Dieser ganze Passus, von „Wir dürfen annehmen'' bis zu ,,den Lebensbedingungen anzupassen" (S. 137 unten) ist im Manuskript durch vertikale Bleistiftlinien ausgestrichen.

3)  S. Origin, Ed. I, S. 83. Kd. VI., S. 102.

[page] Rassen und Arten.                                   \yi

ausgiebig; er wählt einen Hund mit langem Rücken zur Zucht, bietet ihm aber keine besondere Gelegenheit zu laufen, wenigstens nicht während jeder Generation. Er gestattet den tüchtigsten Männchen nur selten, sich durch eigene Kraft durchzusetzen, sondern er wählt die, welche er gerade hat, oder die, welche er selbst vorzieht und nicht eben die, welche den bestehenden Verhältnissen am besten angepaßt sind. Jeder Landwirt und Züchter weiß, wie schwer es ist, eine gelegentliche Kreuzung mit einer anderen Zucht zu vermeiden. Es tut ihm aber leid, ein Individuum zu zer- stören, wenn dieses sich auch beträchtlich von dem erwünsch- ten Typ entfernt. Oft beginnt er seine Zuchtwahl mit einer Form oder einer Sprungvariation, die von der elterlichen Form ziemlich stark abweicht.

Ganz anders geht die natürliche Zuchtwahl zu Werke; die zur Nachzucht ausgelesenen Individuen unterscheiden sich nur wenig von der elterlichen Gestalt1); die Lebens- bedingungen sind während langer Perioden beständig und ändern sich nur langsam; selten kommt eine Kreuzung vor; die Zuchtwahl geht streng und unfehlbar vor sich und wird durch viele Generationen fortgesetzt; nie tritt Selektion auf, ohne daß die neue Form den Lebens- bedingungen besser angepaßt ist, als die elterliche Form; und so arbeitet die selektive Kraft weiter ohne irgendeine Laune, arbeitet stetig Tausende von Jahren hindurch, immer nur in dem einen Sinne, die Form den Lebensbedin- gungen anzupassen. Die auswählende Kraft läßt sich nicht von äußerem Schein täuschen, sie prüft das betreffende Geschöpf während seines ganzen Lebens; und falls weniger gut angepaßt als seine Gefährten, wird es ohne Gnade ver-

i) Im vorliegenden Essay scheinen gewisse Anzeichen vorzuliegen, daß Ch. Darwin den „sporfs" oder Sprungvariationen eine größere Rolle zuschrieb als dies später der Fall war; die obige Stelle scheint indes nach der andern Richtung zu deuten. Man muß stets bedenken, daß viele der minimalen Unterschiede, die wir jetzt als kleine „Mutationen" bezeichnen, mit den kleinen „Variationen" identisch sind, mit denen die Selektion nach Ch. Darwins Idee arbeitete.

[page] 138             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

nichtet. Auf diese Weise wird jeder Teil seines Organismus geprüft und gut befunden und stets im Hinblick auf den- jenigen Platz in der Natur, den es einzunehmen hat.

Wir haben allen Grund zu folgender Annahme: Durch je mehr Generationen eine domestizierte Rasse vor Kreuzungen bewahrt bleibt, und je mehr Sorgfalt auf die beständig fort- gesetzte Zuchtwahl auf ein bestimmtes Ziel hin verwandt wird, je mehr vermieden wird, die Varietät in für sie un- geeignete Lebensbedingungen zu bringen — um so mehr wird auch die neue Rasse „konstant" sein, d. h. weiteren Variatio- nen unzugänglich.1) Wie unendlich viel ,,konstanter" muß also eine Rasse sein,'die auf dem Wege der oben geschilderten, beständigen und strengen Mittel der natürlichen Zuchtwahl zustande kommt, die stets in Übung gehalten und aufs voll- kommenste an die Verhältnisse angepaßt, die, frei von Un- reinheiten des Blutes oder Kreuzungsprodukten, in dieser Art Tausende von Jahren weitergezüchtet worden ist, ver- glichen mit einer solchen, die durch die schwächliche, launen- hafte und schlecht anpassende Zuchtwahl des Menschen zustande kommt! Jene Rassen von Haustieren, die bei den Wilden, sei es durch ihre unvermeidlichen Lebensver- hältnisse, sei es durch die größere Sorgfalt, die von ihnen halb unbewußt den nützlichsten Individuen entgegen- gebracht wird, zustande kommen, nähern sich dem Charak- ter einer Spezies wahrscheinlich noch am meisten, ja ich glaube, daß dies tatsächlich der Fall ist. Nun besteht das charakteristischste Merkmal einer Spezies, das an Wich- tigkeit der Sterilität bei Kreuzung mit einer anderen Spezies falls nicht gleicht, doch nahekommt, ja, das fast das einzige andere Merkmal ist (wofern wir nicht die Frage umgehen und das Wesen einer Spezies darin sehen, daß sie von Eltern abstammt, die keiner andern Form gemeinsam sind), in der Gleichartigkeit der Individuen, aus der sie zusammen- gesetzt ist, oder um in der Sprache der Pflanzenzüchter zu reden, in ihrer ,,Samenbeständigkeit".

1) S. Var. under Dom., Ed. II., Bd. II., S. 230.

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[page] Kreuzung bei Rassen und Arten,

UNTERSCHIKDE IN DER FRUCHTBARKEIT BEI KREUZUNG ZWISCHEN „RASSEN" UND „ARTEN".

Die Unfruchtbarkeit der Spezies oder ihrer Nachkommen bei Kreuzung hat indessen mehr Aufmerksamkeit erregt als die Gleichartigkeit im Charakter der Individuen, welche die Spezies bilden. Es ist außerordentlich verständlich, daß diese Unfruchtbarkeit1) lange Zeit hindurch für ein bestimmendes Unterscheidungsmerkmal der Arten gehalten worden ist. Denn es liegt auf der Hand, daß, falls die verschiedenen verwandten Formen, die wir in einem Lande antreffen, sich zu kreuzen vermöchten, wir anstatt eine Anzahl deut- licher Spezies nur verschwommene und ineinanderlaufende Serien besitzen würden. Wir sehen indessen, daß eine voll- kommene Stufenleiter im Grade der Sterilität zwischen den Spezies existiert. Außerdem beobachten wir die Tatsache, daß einige sehr nahe verwandte Arten (z. B. viele Arten von Krokus und europäischer Heide) untereinander unfrucht- bar sind, während dagegen andere, die weit voneinander verschieden sind, ja die getrennten Gattungen angehören, wie Huhn und Pfau, Fasan und Schneehuhn,2) Azalee und Rhododendron, Thuja und Juniperus untereinander frucht- bar sind; dieser Umstand sollte uns auf den Gedanken bringen, ob die Unfruchtbarkeit nicht auf andern Ursachen als einem mit dem Ursprung der betreffenden Individuen zusammenhängenden Gesetz beruht.

x) < Anmerkung des Originals.) Wenn es richtig ist, daß die domesti- zierten Tiere von verschiedenen wilden Spezies abstammen, die unter- einander fruchtbar geworden sind, dann geht daraus hervor, daß sie diese Fruchtbarkeit durch ihre Anpassung an die neuen Lebens- bedingungen erworben haben. Sicher ist es, daß Haustiere in erstaun- licher Weise Änderungen des Klimas vertragen, ohne daß ihre Frucht- barkeit Schaden erleidet

2) S. Suchetet, L' Hybridite dans la Nature, Brüssel 1888, S. 67 Auch in Var. under Dom., Ed. IL, Bd II werden Bastarde von Huhn und Fasan erwähnt Über die übrigen Fälle kann ich keine Auskunft geben

[page] 140

Variation im Natursustand; Rassen und Arten.

Ich möchte hier bemerken, daß die Tatsache, ob die Paarung einer Spezies mit einer andern erfolgreich ist oder nicht, viel weniger wichtig ist als die Sterilität des so erzeugten Nach- kommen; denn selbst domestizierte Rassen zeigen so sehr ver- schiedene Größenverhältnisse (wie z. B. der große Hirschhund und das Schoßhündchen oder das Lastpferd und die burme- sischen Ponies), daß eine Paarung fast undenkbar erscheint. Weniger allgemein bekannt dürfte sein, daß, wie Koelreuter bei Pflanzen durch Hunderte von Experimenten gezeigt hat, der Pollen einer Spezies zwar die Eizellen einer andern Spezies, jedoch nicht umgekehrt der Pollen dieser letzteren die Eizellen der ersteren befruchtet, so daß die einfache Tatsache der gegenseitigen Befruchtung oder Nichtbefruchtung bestimmt in keinerlei Beziehung zu dem getrennten Ursprung der beiden Formen steht. Wurde versucht, zwei Spezies zu kreuzen, die von so entfernter Verwandtschaft miteinander waren, daß ein Nachwuchs ausgeschlossen war, so beobachtete man doch in manchen Fällen, daß der Pollen zu der ihm eigen- tümlichen Aktion ansetzte, indem er seinen Schlauch hervor- wachsen ließ; ebenso begann der weibliche Keim zu schwellen, obwohl er bald darauf zugrunde ging. Auf der nächsten Stufe dieser Serie werden Bastardsprößlinge, wenn auch selten und dann in sehr kleiner Anzahl erzeugt; diese aber sind absolut unfruchtbar; wieder in anderen Fällen haben wir einen zahlreicheren hybriden Nachwuchs, der sich hie und da, obwohl sehr selten, mit einem Vertreter einer der beiden Elternrassen paart, wie dies bei dem gewöhnlichen Maulesel der Fall ist. Dann wieder gibt es Bastarde, die, obwohl unter- einander unfruchtbar, sich in Verbindung mit jedwedem der beiden Eltern oder mit einer dritten Spezies als durchaus fruchtbar erweisen, und auf diese Art Nachkommen erzeugen, die meist unfruchtbar, gelegentlich aber auch fruchtbar sind. Diese letzteren hinwiederum können sich mit jeder der elter- lichen oder mit einer dritten oder vierten Spezies erfolgreich paaren: auf diese Weise hat Koelreuter viele Formen zur Verschmelzung gebracht. Schließlich geben jetzt selbst die- The CorriDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Ursachen der Unfruchtbarkeit.                          \a\

jenigen Botaniker, die sich am längsten gegen diese Konzession gesträubt haben, zu, daß bei gewissen Familien die hybriden Nachkommen vieler Spezies zuweilen, wenn miteinander gepaart, in der ersten Generation vollkommen fruchtbar sind: ja in einigen wenigen Fällen fand Herbert,1) daß die Hybriden entschieden fruchtbarer waren als jeder ihrer reinen Eltern. Es gibt keinen andern Weg, dem Ein- geständnis, daß die Hybriden bei einigen Pflanzenspezies fruchtbar sind, zu entgehen, als indem man proklamiert, daß eine Form, sobald sie mit einer andern Spezies fruchtbare Nachkommen erzeugt, nicht als Spezies angesehen werden darf: dies jedoch hieße die Frage umgehen.2) Es ist oft be- hauptet worden, daß manche Spezies von Tieren eine sexuelle Abneigung gegen andere Spezies haben. Ich kann keine Zeugnisse hierfür finden; es scheint mir nur, als ob sie nicht vermöchten, ihre gegenseitigen Leidenschaften zu erregen. Auch glaube ich nicht, daß in dieser Beziehung die Verhält- nisse bei Tieren und Pflanzen wesentlich verschieden sind, und bei letzteren kann doch von einem Gefühl der Abneigung gewiß nicht die Rede sein.

URSACHEN DER UNFRUCHTBARKEIT BEI BASTARDEN.

Die Verschiedenheit im Wesen der Arten, welche den größeren oder geringeren Grad von Unfruchtbarkeit bei ihren Nachkommen bestimmt, muß nach Herbert und Koel- reuter viel weniger in äußerer Form, Größe oder Bau als in konstitutionellen Eigentümlichkeiten gesucht werden, d.h. in ihrer Anpassung an verschiedene Klimate, Nahrung, Situation usw.: diese Eigentümlichkeiten der Konstitution umfassen aber wahrscheinlich den ganzen Organismus und nicht einen Teil im besonderen.3)

0 Origin, Ed. I, S. 2SO, Ed. VI., S. 370.

2)  Dies war der Standpunkt von Koelreuter und Gärtner: s. Origin,

Ed. I., S. 246—7, Ed. VI.. S. 367-8.

3)  <Anmerkung des Originals.) Dieses scheint in das obenerwähnte

Beispiel von Heide und Krokus einzuführen (Herbert beobachtete, daß

[page] 142             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

Aus den vorstehenden Tatsachen können wir meiner Mei- nung nach den Schluß ziehen, daß eine vollkommene Stufen- leiter der Fruchtbarkeit existiert, die sich von solchen Spezies, die, wenn gekreuzt, völlig fruchtbar sind (wie Rhododendron, Calceolaria usw.), jaselbst in hervorragendem Grade fruchtbar sind (wie Crinam), bis zu jenen hinzieht, die nie erfolgreich gekreuzt werden können, die aber durch gewisse Anzeichen (wie das Hervorwachsen des Pollenschlauchs) ihre Verwandt- schaft bekunden. Ich glaube deshalb, daß wir die Unfrucht- barkeit, obwohl diese zweifellos sehr häufig in größerem oder geringerem Grade auftritt, nicht als ein unfehlbares Merk- zeichen betrachten dürfen, durch das Spezies von Rassen, d. h. von solchen Formen, die aus einem gemeinsamen Stamme hervorgegangen sind, unterschieden werden können.

UNFRUCHTBARKEIT AUS GRÜNDEN, DIE NICHT MIT BASTARDIERUNG ZUSAMMENHÄNGEN.

Früfen wir einmal, ob nicht analoge Tatsachen existieren, die auf dieses Thema Licht zu werfen geeignet sind, und die uns zu erklären vermögen, weshalb die Nachkommen ge- wisser Arten, wenn miteinander gekreuzt, unfruchtbar bleiben, andere hingegen nicht, ohne daß die Aufstellung eines be- sonderen, mit ihrer Entstehung zusammenhängenden Gesetzes in diesem Sinn erforderlich wäre. Eine große Anzahl von Tieren, ja vielleicht die überwiegende Mehrzahl zeigt sich, wenn sie vom Menschen, wenn auch in noch so jugendlichem Alter, gefangen und aus ihren natürlichen Verhältnissen ent- fernt, ganz zahm gemacht und scheinbar bei bester Gesund- heit bis in ein schönes Alter erhalten wird, trotz alledem

Krokus, falls vor der Pollenbildung umgesetzt, keinen Samen erzeugt, daß hingegen das Umsetzen nach der Pollenbildung keine derartige Wirkung ausübte. Var. under Dom , Ed II., Bd II , S. 148.) Auf derselben Seite findet sich eine Erwähnung der Tatsache, daß die Ericaceen einem Schwund des Antheren unterworfen sind. Bezüglich Crinum s. Origin, Ed. I.. S. 250: bezüglich Rhododendron und Catceotaria s. S. 251.) The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Veränderte Lebensbedingungen und Unfruchtbarkeit.          143

unfähig, sich unter diesen Verhältnissen fortzupflanzen.1 Ich denke hierbei nicht an die Tiere, die in Menagerien oder zoologischen Garten gehalten werden, von denen trotzdem viele gesund scheinen, lang leben und sich paaren, wenn auch nicht fortpflanzen, sondern an Tiere, die man fängt und in bedingter Freiheit in ihrem Heimatland leben läßt. Rengger2) zählt verschiedene auf, die er in jugendlichem Alter fing, in Paraguay gezähmt um sich behielt und die sich nicht fortpflanzen wollten; der Jagdleopard oder Cheetah und der Elefant sind weitere Beispiele hierfür, ebenso in Europa die Bären sowie die 25 Arten von Falken verschiedener Gattungen, von denen Tausende für Jagdzwecke gehalten worden sind, und bei vollkommener Gesundheit ein be- trächtliches Alter erreichten. Bedenkt man die Plage und die Ausgaben, die es verursacht, sich immer wieder von neuem junge Wildlinge zu verschaffen, so kann man sich denken, daß keine Mühe gespart worden ist, die Tiere zur Fortpflanzung zu bringen. So ausgesprochen ist dieser Unterschied des Verhaltens bei den verschiedenen durch den Menschen ihrer Freiheit beraubten Tiere, daß St. Hilaire die dem Menschen nützlichen Tiere in zwei große Klassen einteilt: die zahmen Tiere, die sich nicht im Zustand der Domesti- kation fortpflanzen, und die Haustiere, die es tun.

Aus gewissen eigentümlichen Tatsachen könnten wir vielleicht schließen, daß die Unfruchtbarkeit jener Tiere auf einer krank- haften Instinktsänderung beruht. Doch treffen wir bei Pflan- zen genau dieselben Gruppen von Tatsachen an: ich denke nicht an die große Zahl von Fällen, wo das Klima die Samen oder

1)  (Anmerkung des Originals. > Es scheint, daß Tiere, wenn aus ihren natürlichen Verhältnissen entfernt, leichter steril werden als Pflanzen, und

ebenfalls steriler, wenn gekreuzt.

Es ist eine offenkundige Tatsache, daß Sterilität bei Hybriden in keinem besonders engen Abhängigkeitsverhältnis steht zur Größe der äußerlichen Verschiedenheiten, und nur solche entwickelt der Mensch durch seine Zuchtwahl.

2)  S. Var. under Dom., Ed. II . Bd. 11, S. 132 Bezuglich des „Cheetah"

s. ebendaselbst S. 133.

[page] 144             Variation im Naturzustand'; Rassen und Arten.

Früchte am Reifen hindert, sondern an die, wo die Blumen nicht „ansetzen", und zwar auf Grund irgendeiner Unvoll- kommenheit der Eizellen oder des Pollens. Der letztere, welcher allein einer genauen Untersuchung zugänglich ist, pflegte häufig ganz deutliche Unvollkommenheiten aufzu- weisen, wie jeder mit einem Mikroskop bewaffnete Beobachter bemerken wird, wenn er den Pollen des Persischen und Chinesischen Flieders1) mit dem des gewöhnlichen Flieders ver- gleicht. Übrigens möchte ich hierbei gleich bemerken, daß die beiden erstgenannten Arten in Italien ebenso unfruchtbar sind wie in England. Viele der amerikanischen Sumpfpflanzen erzeugen bei uns wenig oder keinen Pollen, während die indischen Arten derselben Gattungen ihn reichlich hervor- bringen. Lindley bemerkt, die Unfruchtbarkeit sei der Fluch des Pfianzenzüchters.1) Linne hebt die Unfruchtbarkeit fast aller alpinen Blumen bei Kultur im Tiefland hervor.8) Vielleicht verdankt die ungeheure Menge der gefüllten Blumen ihre Gestalt hauptsächlich dem Umstand, daß durch ein Übermaß von Nahrung auf die Geschlechtsorgane ein- gewirkt wird, die einigermaßen steril geworden, ihrer eigent- lichen Funktion entfremdet und deshalb geneigt sind, in monströse Bildungen zu verfallen, eine Monstrosität, die wie jede andere Krankheit vererbbar ist und sich demgemäß verbreitet.

Weit entfernt davon, der Fruchtbarkeit an sich ungünstig zu sein, ist es im Gegenteil genugsam bekannt, daß Domestika- tion, sobald ein Organismus sich erst einmal den betreffen- den Verhältnissen gefügig gezeigt hat, dessen Fruchtbarkeit sogar über ihr gewöhnliches Maß hinaus zu steigern vermag.4) Nach den Aussagen von Landwirten erhöht ein leichter Wechsel der Lebensbedingungen, so z. F.. der Nahrung oder der Behausung, ebenso aber auch eine Kreuzung mit

i) Var. under Dom., Ed. II., Bd. II , S. 148.

2)  Zitiert in Origin, Ed. I., S. 9

3)  S. Var. under Dom., Ed. II, Bd. II, S. 147

4)  Var. under Dom., Ed. II., Bd. II., S. 89.

[page] Unfruchtbarkeit und Domestikation.                     f-*

einer nur wenig abweichenden Rasse die Tüchtigkeit und wahrscheinlich auch die Fruchtbarkeit der Nachkommen. Es möchte sogar fast so scheinen, als ob selbst ein bedeutender Wechsel in den Lebensbedingungen (wie z. B. eine Ver- pflanzung von gemäßigten Klimaten nach Indien) in vielen Fällen die Fruchtbarkeit in keiner Weise beeinträchtigt, obwohl er seine Wirkung auf die Gesundheit und Lebens- dauer sowie die Periode der Reife geltend macht.

Wo Domestikation Unfruchtbarkeit herbeigeführt hat, ist diese, ebenso wie bei Kreuzungen, nach Graden verschieden: denn wohlgemerkt ist der unfruchtbarste Bastard in keiner Weise monströs; seine Organe sind vollkommen ausgebildet, aber sie funktionieren nicht, und eine genaue mikroskopische Untersuchung zeigt, daß sie sich in demselben Zustand be- finden wie diejenigen reiner Arten in den Intervallen der Paarungszeiten. Der mangelhafte Pollen, von dem ich weiter oben sprach, gleicht genau demjenigen der Bastarde. Die gelegentlich vorkommende Fortpflanzung der Bastarde, wie z. B. des gewohnlichen Maulesels, dürfte sich am besten mit der zwar äußerst seltenen, aber immerhin vorkommenden Fortpflanzung bei in Gefangenschaft befindlichen Elefanten vergleichen lassen. Die Ursache, daß viele exotische Geranien, obwohl sie sich in bestem Gesundheitszustand be- finden, unvollkommene Pollen produzieren, scheint mit dem Zeitpunkt zusammenzuhängen, an welchem sie Wasser erhalten.1)

Indessen können wir uns in weitaus der Mehrzahl der Fälle kein Bild davon machen, auf welcher Ursache die Unfrucht- barkeit der aus ihren natürlichen Lebensbedingungen ent- fernten Organismen beruht. Warum will sich z. B. das „Cheetah" nicht fortpflanzen, während die gewöhnliche Katze und das Frettchen (das letztere noch dazu meist in einem kleinen Kasten untergebracht) dies tun, — warum tut der Elefant es nicht, das Schwein aber in reichlichstem

I) Var. under Dom., Ed II., Bd. II., S. 14/-

P. Darwin, Fundament« *ut Eihttkuns der Arttm,                               10

[page] 146            Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

Maße — warum tun Rebhühner und Schneehühner in ihrem eigenen Heimatlande es nicht, während mehrere Fasanen- arten sowie das aus den Wüsten Afrikas stammende Perl- huhn und der aus dem indischen Dschungel stammende Pfau es tun? Wir dürfen indes als sicher annehmen, daß die Unfruchtbarkeit bei den betreffenden Tieren auf gewissen Eigentümlichkeiten ihrer Konstitution beruht, die bei ihnen mit den neuen Lebensbedingungen nicht harmoniert, wenn auch diese Disharmonie nicht genügt, um notwendigerweise zu Krankheit oder Tod zu führen. Können wir uns dann noch wundern, daß solche Bastarde, die durch die Kreuzung von Spezies mit verschiedenen konstitutionellen Tendenzen entstanden, (Tendenzen, die, wie wir wissen, eminent zur Vererbung neigen) steril sind? Es erscheint durchaus nicht unwahrscheinlich, daß die Konstitution eines Kreuzungs- produkts aus einer Alpen- und einer Flachlandpflanze in nahezu derselben Weise aus dem Gleichgewicht gebracht wird, wie wenn man eine alpine Pflanze in eine niedrige Gegend versetzt. Analogie ist jedoch ein trügerischer Führer, und es wäre voreilig, wenn es auch noch so viel Wahr- scheinlichkeit für sich hat, zu behaupten, daß die Unfrucht- barkeit der Bastarde ihre Ursache in der Störung der kon- stitutionellen Eigentümlichkeiten des einen der beiden Eltern durch diejenigen des anderen hätte, analog wie die durch den Menschen bewerkstelligte Entfernung eines Organismus aus seiner natürlichen Umgebung diesen aus dem Gleichgewicht zu bringen pflegt.1) Obwohl ich dies also als voreilig bezeich- nete, so wäre es meiner Meinung nach in Anbetracht dessen, daß Unfruchtbarkeit ebensowenig sämtlichen Kreuzungs- produkten wie sämtlichen vom Menschen gefangen ge- haltenen Individuen eigen ist, noch weit voreiliger, zu be- haupten, daß die Unfruchtbarkeit gewisser Bastarde der Beweis eines getrennten Ursprungs ihrer Eltern sei.

1) Origin, Ed. I„ S. 267, Ed. VI., S. 392. <Dies ist dasselbe Prinzip, das der Verfasser in seiner Arbeit Cross- and Seif - Fertilisation experimentell untersucht hat.>

[page] Kreuzung im Naturzustand und bei Domestikation*

147

Hier könnte uns jedoch entgegengehalten werden1) (so wenig auch die Unfruchtbarkeit bestimmter Kreuzungen mit dem getrennten Ursprung der Arten zusammenhängt), wie es denn kommt, daß, wenn Arten nichts anderes als durch natürliche Zuchtwahl entstandene Rassen sind, sie so oft bei Kreuzung unfruchtbaren Nachwuchs erzeugen, während sich bei den Nachkommen derjenigen Rassen, die nach- weislich durch das Dazutun des Menschen entstanden sind, kein einziges Beispiel von Unfruchtbarkeit findet. Ich sehe hierin keine besondere Schwierigkeit, denn die durch die oben geschilderten natürlichen Mittel erzeugten Rassen kommen durch langsame, aber stetige Züchtung zustande; sie werden verschiedenartigen und stark voneinander ab- weichenden Bedingungen angepaßt und werden auf diese Lebensbedingungen während enormer Perioden aufs strengste angewiesen bleiben. Daher dürfen wir voraussetzen, daß sie diejenigen konstitutionellen Eigentümlichkeiten anneh- men, die den Örtlichkeiten, die sie bewohnen, angepaßt sind; und auf eben diese konstitutionellen Unterschiede zwischen verschiedenen Arten kommt es, wie die besten Autoritäten auf diesem Gebiet behaupten, vor allem an.2) Der Mensch hin- gegen treibt hauptsächlich auf die äußerlichen Eigenschaften hin Zuchtwahl. Aus Unwissenheit und weil er keinen Prüf- stein besitzt, der sich an Feinheit auch nur im geringsten mit dem während des Lebens eines jeden Individuums in bestimmten Intervallen wiederkehrenden natürlichen Kampfe um die Nahrung vergleichen ließe, ist er völlig außerstande, die feinen Nuancen der Konstitution, die auf unsichtbaren Unterschieden in den flüssigen oder festen Bestandteilen des Körpers beruhen, auszusondern. Außerdem bringt es der Wert, den er jedem einzelnen Individuum bei-

1)  Origin, Ed. I, S. 268, Ed. VI., S. 398.

2)  <Anmerkung des Originals.) Bloße Verschiedenheit der Struktur kein Wegweiser, ob erfolgreich gekreuzt werden kann oder nicht. Erster Schritt erreicht, indem man Rassen getrennt hält. <Es ist nicht ganz

klar, an welcher Stelle diese Anmerkung gedacht war.)

"he CorriDlete Work of Charles Darwin Online,*

[page] 148            Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

mißt, mit sich, daß er sein möglichstes tut, um die natürliche Tendenz des Überlebens der Kräftigsten lahm zu legen. Und schließlich war der Mensch, besonders in früheren Zeiten, nicht in der Lage, die Lebensbedingungen konstant, und in späterer Zeit nicht, seinen Zuchtstamm rein zu erhalten. Bis nicht der Mensch zwei Varietäten von demselben Stamm, die an zwei getrennte Klimate oder sonst voneinander abweichende äußere Lebensbedingungen angepaßt sind, wählt und diese aufs strengste während tausend oder mehrerer Tausende von Jahren auf diese Lebensbedingungen be- schränkt, indem er immerfort die am genauesten angepaßten Individuen zur Zucht heranzieht, kann noch nicht einmal von dem Anfang eines diesbezüglichen Experiments die Rede sein. Außerdem sind diejenigen Organismen, die der Mensch am längsten unter Domestikation gehalten hat, selbstverständlich solche, die ihm am nützlichsten waren; ein Hauptelement ihrer Nützlichkeit aber, besonders in früheren Zeiten, dürfte ihre Fähigkeit gewesen sein, plötz- liche Transporte nach verschiedenen Klimaten zu über- stehen, und zwar unbeschadet ihrer Fruchtbarkeit, was immer ein Zeichen dafür sein würde, daß in dieser Beziehung ihre konstitutionellen Eigentümlichkeiten keine engbe- grenzten waren. Wäre die bereits erwähnte Anschauung richtig, daß nämlich die meisten unserer gegenwärtigen Haustiere aus einer fruchtbaren Kreuzung zwischen wilden Rassen oder Spezies hervorgegangen sind, so haben wir allerdings wenig Grund, bei Kreuzungen innerhalb eines so entstandenen Stammes Unfruchtbarkeit vorauszusetzen.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß ebenso wie viele Organismen, wenn sie vom Menschen aus ihren natür- lichen Lebensbedingungen herausgerissen werden, durch Störungen in ihrem Fortpflanzungssystem unfähig zur Fortpflanzung sind, ebenso auch, wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, bei Organismen, die sich zunächst ergiebig fortpflanzen, die Nachkömmlinge nach einigen

Generationen in einem solchen, Grade zum Variieren oder

[page] Punkte, in denen Rassen und Arten übereinstimmen.

149

zur Bildung von „Sprungvarietäten" neigen, daß man sich dies nur aus irgendeiner Beeinflussung ihres Fort- pflanzungssystems erklären kann. Bei Kreuzungen zwischen Arten dagegen sind die Nachkommen gewöhnlich unfrucht- bar; Koelreuter hat indessen gefunden, daß in den Fällen, wo Artbastarde fähig waren, sich mit einem Vertreter von einer der beiden elterlichen Arten oder mit dem einer anderen Art fortzupflanzen, deren Nachkommen nach mehreren Generationen einer exzessiven Variabilität verfielen.1) Auch behaupten die Landwirte, daß die Nachkommen von Rassen- bastarden nach der ersten Generation sehr veränderlich sind. Wir sehen aus allem diesem, daß sowohl Unfruchtbar- keit als auch die Variabilität der späteren Generationen eine Folge entweder der Entfernung der Individuen aus ihren natürlichen Verhältnissen oder einer Kreuzung von Arten zu sein pflegt. Es ist möglich, daß diese Übereinstimmung auf einem Zufall beruht, doch scheinen die beiden Tatsachen einander entschieden aufzuhellen und zu unterstützen, — und zwar im Sinne der Empfindlichkeit des Fortpflanzungs- systems aller Organismen gegen jeden, ob nun aus Orts- veränderung oder Kreuzung bestehenden Eingriff in die Beziehungen zwischen ihrer Konstitution und den um- gebenden Verhältnissen.

PUNKTE, IN DENEN „RASSEN" UND „ARTEN"

ÜBEREINSTIMMEN.*)

Rassen und sogenannte Arten stimmen in einigen Be- ziehungen überein, obwohl sie aus Gründen, die wir bis zu einem gewissen Grade verstehen können, in der Fruchtbarkeit und „Samenbeständigkeit" ihrer Nachkommen voneinander abweichen. Vor allem muß bemerkt werden, daß wir keine

i; Origin, Ed. I., S. 272. Ed. VI., S. 404.

2) Dieser Abschnitt zeigt keine nähere Übereinstimmung mit irgend- einem Kapitel von Origin, Ed. I. In manchen Punkten erinnert er aller- dings an S. 15 und 16 dieses Werks, und auch an den Abschnitt über analoge Variation bei getrennten Arten. Origin, Ed. I., S. 159, Ed. VI., S. 194. The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] I 50            Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

bestimmten Merkmale kennen, an denen wir Rassen von Arten zu unterscheiden vermögen, was man schon an der großen Schwierigkeit sehen kann, welche es den Naturforschern bereitet, die beiden Begriffe voneinander zu trennen. Was die äußere Charakteristik anlangt, so unterscheiden sich viele von den aus demselben Stamm hervorgegangenen Rassen weit mehr voneinander als echte Arten ein und derselben Gattung: man denke an die Weidenzeisige, die von er- fahrenen Ornithologen kaum anders als durch ihre Nester voneinander unterschieden werden können; man betrachte die wilden Schwäne und vergleiche die einzelnen Arten dieser Gattung mit den Rassen unseres Hausgeflügels, der Enten, Hühner und Tauben; und ebenso ist es mit Pflanzen; so vergleiche man Kohl, Mandeln, Pfirsiche, Nektarinen usw. mit den Arten mancher Gattungen. St. Hilaire hat sogar an- gegeben, daß bei gewissen Rassen, z. B. bei denen der Hunde, die er sämtlich als aus einem Stamm entsprossen ansieht, ein größerer Unterschied in der Körpergröße vorliegt als bei den verschiedenen Arten irgendeiner existierenden Gattung; auch ist dies kaum verwunderlich, wenn man be- denkt, daß die Quantität der Nahrung, und mithin das Wachs- tum des betreffenden Tiers, dasjenige Element der Ver- änderbarkeit ist, über das der Mensch die meiste Macht hat. Ich möchte hier auf einen früher erwähnten Punkt zurück- kommen, nämlich auf die Anschauung der Züchter, daß die Zunahme eines Körperteils oder die starke Ausbildung einer Funktion eine Abnahme anderer Körperteile und Funktionen im Gefolge habe; denn darin scheint mir eine gewisse Analogie mit dem Gesetz der organischen „Kom- pensation"1) zu liegen, das von vielen Naturforschern als maßgebend angesehen wird. Hier eine Illustration dieses Gesetzes: diejenigen Arten von Fleischfressern, bei denen die Eckzähne stark entwickelt sind, zeigen eine mangel- hafte Ausbildung gewisser Mahlzähne; oder: bei der Gruppe

i) Das Gesetz der Kompensation wird in Origin, Ed. I., S. 147, Ed. VI., S. 182. besprochen

[page] Äußert Charaktere der Art- und Varietatetibastatde.         I5,

der Crustaceen, bei welcher der Schwanz stark entwickelt ist, findet man den Thorax weniger entwickelt und ebenso umgekehrt. Die Unterscheidungsmerkmale zwischen den verschiedenen Rassen sind oft denjenigen zwischen Arten derselben Gattung auffallend analog: unbedeutende Farben- flecke1) oder Striche (wie z. B. die Streifen auf den Tauben- flügeln) kehren häufig bei sämtlichen Individuen verschiedener Pflanzen- oder Tierrassen wieder, ebenso wie geringfügige Abzeichen ähnlicher Art häufig allen Arten einer Gattung, ja selbst einer Familie gemeinsam sind. Blumen werden häufig, indem sie ihre Farben wechseln, geädert und gelleckt, und ihre Blätter zeigen Teilungen, wie bei verschiedenen echten Arten; es ist bekannt, daß die Varietäten derselben Pflanze niemals rote, blaue und gelbe Blumen haben (obwohl die Hyazinthe darin offenbar sehr nahe an eine Ausnahmestellung heran- kommt)2); auch bei verschiedenen Arten derselben Gattung ist dies selten, obwohl diese zuweilen Blüten von allen drei Farben haben. Isabellenfarbige Pferde mit einem dunklen Streifen längs des Rückens und gewisse domestizierte Esel mit Querstreilen an den Beinen liefern uns schlagende Bei- spiele einer Variation, deren Charakter den unterscheidenden Merkmalen anderer Arten derselben Gattung analog ist.

ÄUSSERE CHARAKTERE DER ART- UND VARIETÄTEN- BASTARDE.

Es gibt indes meiner Meinung nach eine wichtigere Methode des Vergleichs zwischen Arten und Rassen, und zwar stützt sich diese auf die Beschaffenheit der Nachkommenschaft

i) <Anmerkung des Originals.) Boitard und Corbie" über äußeren roten Rand beim Schwanz von Vögeln, — so auch Streifen auf Flügeln, weiß oder schwarz oder braun, oder weiß mit schwarzem Rand oder <unlescrlich>: analog den Merkmalen, die durch Gattungen, aber mit verschiedenen Farben laufen. Farbiger Schwanz bei Tauben.

2) < Anmerkung des Originals.) Oxalis und Gentiaiia. <Bei Gentianen kommen blaue, gelbe und rötliche Farben vor, bei Oxalis gelb, purpur

violett undfp4a<>orriD|ete Work 0f Charles Darwin Online

[page] 12             Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

einerseits bei der Kreuzung von Arten, anderseits bei der Kreuzung von Rassen.1) Meine Ansicht ist, daß in keiner einzigen Beziehung außer in der Unfruchtbarkeit irgend- eine Verschiedenheit vorliegt. Es wäre, dünkt mich, eine sehr erstaunliche Tatsache, daß die Arten, gesetzt sie wären durch getrennte Schöpfungsakte erzeugt worden, sich bei der Paarung miteinander ebenso verhalten sollten wie Rassen aus gemeinsamem Stamm. Erstens vermag eine Art durch wiederholte Kreuzung die Charaktere einer oder mehrerer anderer Arten zu absorbieren und völlig zum Verschwinden zu bringen, ebenso wie eine Rasse durch Kreuzung eine andere zu absorbieren vermag. Wunderbare Vorstellung, daß ein Schöpfungsakt imstande sein soll, einen oder mehrere andere Schöpfungsakte — zu absorbieren! Die Nachkommen der Arten, also die Artbastarde, und die Nachkommen der Rassen, also die Rassenbastarde, sind sich darin ähnlich, daß sie entweder intermediären Charakter an den Tag legen (wie dies am häufigsten bei den Artbastarden der Fall ist), oder indem sie einmal dem einen, das andere Mal dem andern der beiden Eltern äußerst ähnlich sind. Bei sowohl Art- wie Rassenbastarden weichen die durch denselben Konzeptions- akt hervorgerufenenen Nachkommen zuweilen im Grade dieser Ähnlichkeit voneinander ab; sowohl Art- wie Rassen- bastarde behalten zuweilen einen bestimmten Körperteil, ein bestimmtes Organ ihrer Eltern völlig unverändert bei, beide werden, wie wir bereits gesehen haben, nach mehreren Generationen variabel; diese Tendenz zu variieren kann von beiden vererbt werden, und bei beiden findet sich während vieler Generationen eine starke Tendenz zur Rückkehr zur vorelterlichen Form. In dem Falle eines hybriden Gold- regens und einer mutmaßlich bastardierten wilden Wein-

l) Dieser Abschnitt entspricht ungefähr dem Abschnitt „Hybrids artd Sfongrels compared independently of their fertility." Origin, E<1. 1. S 272, Ed. VI., S. 403. Die in Origin vorkommende Diskussion über die Gärtncrschen Ansichten fehlt hier. Die kurze Erwähnung der Frage nach dem Übergewicht ist beiden Abschnitten gemeinsam. The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Zusammenfassung.                                        je,

pflanze konnte man beobachten, wie unterschiedliche Teile der Pflanze sich nach teils diesem, teils jenem von den beiden Elternpflanzen richteten, und bei den Bastarden einiger Arten sowie den Bastarden einiger Rassen richten sich die Unterschiede bei den Nachkommen danach, welcher von beiden Arten resp. welcher von beiden Rassen der Vater und welcher die Mutter angehört (wie beim gewöhnlichen Maultier und dem Maulesel). Zuweilen paaren sich Rassen, die so enorm in der Körpergröße differieren, daß das be- treffende Weibchen häufig während des Geburtsakts zugrunde geht; auch bei den Kreuzungen mancher Arten kommt dies vor. Nachdem das Weibchen einer Art erst einmal Kinder von dem Männchen einer andern Art geboren hat, wird ihr folgender Wurf zuweilen durch jene erste Kreuzung ver- unreinigt (so z. B., so erstaunlich die Tatsache klingt, bei der Stute des Lord Morton.1) wo ein Quagga dies verursachte); auch behaupten einige Landwirte mit der größten Bestimmt- heit, daß dieselbe Erscheinung bei Schaf- und Schweine- müttern zu beobachten sei, die einmal von einem Männchen aus anderer Zucht Nachkommen empfangen haben.

ZUSAMMENFASSUNG DES ZWEITEN KAPITELS.«)

Fassen wir dies zweite Kapitel zusammen: Gesetzt, daß bei Organismen im Naturzustand leichte Variationen auf- treten; gesetzt, daß ein Wechsel der Lebensbedingungen auf geologischer Grundlage bei einigen, wenn auch vielleicht nur wenigen Organismen Wirkungen hervorruft, die den Wirkungen durch Domestikation analog sind — und wie können wir hieran zweifeln; erkennen wir doch, teils durch Rückschlüsse, teils durch direkte Beobachtungen, wieTausende

i) S. Animals and Plauts, Etl II. Bd. I., S. 433 Das Phänomen der Telegonie, an das man auf Grund dieser und ähnlicher Fälle glaubte, ist seitdem infolge von den Ewartschen Experimenten allgemein verworfen

worden.

2) Der Unterabschnitt auf S 154 ist als Anhang zu der Zusammen- fassung zu denken.

[page] 154             Variation im Naturzustand; Rassen und Arten.

von den Organismen, die der Mensch s.cii für die verschieden- sten Zwecke angeeignet und neuen Bedingungen unterworfen hat, variiert haben! Wenn solche Variationen zur Ver- erbung tendieren, — und wie können wir daran zweifeln wenn wir vor uns sehen, wie Nuancen des Ausdrucks, Ge- bärden und Manieren, Monstrositäten der sonderbarsten Art, Krankheiten und eine Unzahl sonstiger Eigentümlich- keiten, die einem Organismus Charakter und Gestaltung verleihen, vererbt werden, wenn wir die endlose Zahl der Rassen unserer Hauspflanzen und -tiere betrachten (an Kohl allein gibt es 1200!)1). Gesetzt, wir geben zu, daß jeder Organismus seinen Platz durch einen fast periodisch wieder- kehrenden Kampf behauptet, — und wie können wir das bezweifeln, da wir doch wissen, daß alle Geschöpfe die Tendenz haben, sich in geometrischer Progression zu vermehren (was man sofort beobachten kann, sobald die Lebensbedingungen eine Zeit lang besonders günstige sind), wogegen der Bestand an Nahrung durchschnittlich konstant bleibt; wenn dem so ist, besitzen wir in diesem Umstand ein natürliches Mittel der Zuchtwahl, das dahin strebt, die Individuen mit kleinen, den bestehenden Verhältnissen günstigen Abweichungen des Körperbaus zu erhalten und jene mit Abweichungen ent- gegengesetzter Art zu zerstören. Gesetzt, die obigen Voraus- setzungen beruhten auf Wahrheit und daß kein Naturgesetz existiert, das dem Grade der Variation Grenzen zieht, so werden — wenn auch vielleicht nur selten und nur in einigen wenigen Gegenden — neue Rassen lebender Wesen entstehen.

GRENZEN DER VARIATION.

Daß der Variabilität innerhalb der Natur Grenzen gesteckt sind, wird von den meisten Autoren angenommen, wiewohl ich nicht einen einzigen Fall kenne, auf den diese Annahme gegründet ist. Eine der weitverbreitetsten Behauptungen ist, daß Pflanzen sich nicht akklimatisieren; ja ich habe

1) Den Gewährsmann für diese Behauptung kenne ich nicht.

[page] Grenzen det Variation.                              , ~ c

sogar gefunden, daß man Pflanzen, die nicht durch Samen, sondern durch Setzlinge fortgepflanzt werden, als Beweise hierfür anführt. Ein ernst zu nehmendes Beispiel ist übrigens vorgebracht worden, es ist das der Fall der welschen Bohne, von der man glaubt, daß sie heut noch ebenso empfindlich ist wie damals, als sie eingeführt wurde. Selbst wenn wir über die häufige Wiederholung der Einfuhr von Samen aus wärmeren Ländern hinwegsehen, so muß doch stets im Auge behalten werden, daß, solange die Samen unterschiedslos vom Beet gesammelt werden, und bevor nicht eine fort- währende Beobachtung und sorgfältigste Auswahl jener Pflanzen, die das Klima während ihres ganzen Wachstums am besten überstanden haben, stattgefunden hat, man noch nicht einmal von einem Anfang des Akklimatisationsversuchs reden kann. Sind nicht alle jene Pflanzen und Tiere, von denen wir die größte Anzahl von Rassen besitzen, zugleich die am längsten domestizierten? Wenn wir den modernen Fortschritt1) der systematischen Tier- und Pflanzenzucht ins Auge fassen, so widerspräche es doch allen Tatsachen, zu behaupten, daß wir die Variationsfähigkeit bei unserem Hausrind und Korn erschöpft hatten — selbst wenn dies betreffs einiger nebensächlicher Punkte, wie Mast oder Dichtigkeit der Wolle zuträfe. Würde irgend jemand wagen, in Abrede zu stellen, daß, vorausgesetzt, daß die Pflanzen- zucht noch einige Jahrhunderte lang in Blüte steht, man noch zahlreiche neue Arten Kartoffeln oder Dahlien züchten werde? Nun aber nehme man zwei Varietäten von jeder dieser Pflanzen, passe sie bestimmten fixierten Lebens- bedingungen an, verhindere 5000 Jahre lang jede Kreuzung und verändere nach Ablauf dieser Zeit abermals die Lebens- bedingungen und versuche es mit noch mehreren Klimaten und Lebenslagen — wer vermöchte dann die Zahl und den Grad der Verschiedenheit zu prophezeien2), der von den

i) <Anmerkung im Original.) Geschichte der Tauben zeigt Zunahme <ler Eigentümlichkeiten während der letzten Jahre.

2) Man vergleiche eine unklare Stelle in dem Essay von 1842, S 41-

[page] I ej6              Variation im Saturzustand; Rassen und Arten.

io erzeugten Stämmen ausgehen würde? Ich kann nur wiederholen, daß wir gar nichts über etwaige Grenzen des möglichen Umfangs der Variabilität und daher ebensowenig über die Grenzen der Anzahl und Unterschiedsmöglich- keiten der Rassen wissen, die durch die natürlichen Mittel der Zuchtwahl hervorgebracht werden können, Mittel, die so viel wirksamer sind als alles, was der Mensch bewerk- stelligen kann. So hervorgebrachte Rassen würden wahr- scheinlich sehr beständig sein; verschiedenen Lebens- bedingungen angepaßt und daher mit verschiedenen Kon- stitutionen begabt, würden sie allerdings, falls man sie plötz- lich an einen neuen Standort brächte, an ihrer Fruchtbar- keit Schaden erleiden und ihre Nachkommen würden viel- leicht ganz unfruchtbar sein. Solche Rassen würden von Arten nicht zu unterscheiden sein. Sind nun aber Zeugnisse vorhanden, daß die Arten, die uns von allen Seiten umgeben, wirklich auf diese Weise entstanden sind? Wir dürfen voraussetzen, daß diese Frage durch ein tieferes Eindringen in den Haushalt der Natur entweder eine bestimmte Bejahung oder eine bestimmte Verneinung erhalten wird.1)

i) «(Anmerkung im Original.) Hier sollten zwei Seiten eingefügt werden, betreffend Schwierigkeit in der Gestaltung eines Organs wie das Auge vermittels Selektion. (\(\ Origin, Ed. I. folgt ein Kapitel über Schwierigkeiten der Theorie dem über Gesetze der Variation; auf ersteres folgt dasjenige über Instinkt: ebenso war die Anordnung im Essay von 1842 In dem vorliegenden Essay hingegen folgt das Kapitel über Instinkt dem über Variation und geht dem über Schwierigkeiten der Theorie voraus. >

[page] DRITTES KAPITEL.

ÜBER DIE VARIATION DER INSTINKTE UND ANDERER GEISTIGER EIGENSCHAFTEN UNTER DOMESTIKATION UND IM NATURZUSTAND; ÜBER DIE SCHWIERIG- KEITEN DIESES THEMAS, UND ÜBER ÄHNLICHE SCHWIERIGKEITEN IN BEZUG AUF KÖRPERBILDUNG.

VARIATION GEISTIGER EIGENSCHAFTEN UNTER DEM EINFLUSS DER DOMESTIKATION.

Bisher habe ich nur diejenigen geistigen Eigenschaften berührt, die bei verschiedenen Arten stark voneinander abweichen. Hier möchte ich vorausschicken, daß wir, wie im zweiten Teil näher dargelegt werden wird, kein Zeugnis besitzen und folglich auch nicht versuchen werden, zu be- weisen, daß alle bestehenden Organismen aus einem gemein- samen Elternstamm hervorgegangen sind, sondern daß dies nur von denjenigen gilt, die, um in der Sprache der Natur- wissenschaft zu reden, offenbar miteinander verwandt sind. Daher beziehen sich die Tatsachen und Schlüsse, die das vorliegende Kapitel ausmachen, ebensowenig auf den letzten Ursprung der Sinne1) oder der hauptsächlichen psychischen Eigenschaften, wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Überlegung usw. usw., durch welche die meisten der großen unter sich verwandten Gruppen charakterisiert sind, wie auf den letzten Ursprung des Lebens, Wachstums oder Reproduktions- vermögens. Die Anwendung der Tatsachen, die ich gesammelt habe, bezieht sich nur auf die Unterschiede in den primären

i) Eine ähnliche Bemerkung findet sich in Origin, Ed. I, S. 207 im Kapitel über Instinkt.

Tbe Complete Work of Charles Darwin Online

[page] I 58 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

psychischen Qualitäten und Instinkten der verschiedenen Spezies der einzelnen großen Gruppen.1)

Was Haustiere betrifft, so hat wohl jeder Beobachter bemerkt, in wie hohem Grade bei den Individuen derselben Art die Charakteranlage, wie z. B. Mut, Hartnäckigkeit, Argwohn, Ruhelosigkeit, Anschmiegsamkeit, Zorn, Kampf- lust, Zärtlichkeit, Besorgtheit für die Jungen, Schlau- heit usw. usw. variieren. Es bedürfte eines äußerst ge- wiegten Psychologen, um festzustellen, wie viele primäre psychische Eigenschaften umgewandelt werden müßten, um diese Mannigfaltigkeit komplizierter Charakteranlagen zustande zu bringen. Aus der Vererbung dieser Charakter- anlagen (und für diese sprechen alle Zeugnisse einstimmig) gehen Familien und Rassen hervor, welche dieselben Ver- schiedenheiten aufweisen. Ich möchte hier die Gutartigkeit und Bösartigkeit verschiedener Rassen von Bienen oder Pferden anführen, — die Kampflust und Beherztheit der Kampfhahne — die Hartnäckigkeit gewisser Hunde, z. B. der Bulldogs, und die Schlauheit anderer; in bezug auf Unruhe und Argwohn aber vergleiche man einmal diese Eigenschaften bei einem wilden Kaninchen, selbst wenn dieses von klein auf mit der größten Sorgfalt gehegt und gepflegt wurde, mit der enormen Zahmheit bei Exemplaren der domestizierten Rasse dieser Tiere. Die Nachkommen des verwilderten Haushundes auf Kuba2) sind, wenn sie auch noch so jung eingefangen werden, äußerst schwer zu zähmen, wahrscheinlich eben so schwer, wie der ursprüng- liche Stamm, von dem der Haushund ausgegangen ist.

Ferner sind die gewohnheitsmäßigen „Perioden" bei verschiedenen Familien derselben Spezies verschieden, z. B-

1)  Diese Diskussion wird in Kapitel VII von Origin, Ed. I. gleichfalls aufgenommen, und zwar in mehreren Beziehungen ausführlicher als hier.

2)  Am Rande des Blattes findet sich der Name Poeppig. In Vor. under Dom., Ed II , Bd I., S 28 wird bei Erwähnung des kubanischen Hunds gleichfalls Poeppig genannt, jedoch ohne Erwähnung der Wildheit der Nachkommenschaft.

[page] Erblichkeit der Instinkte.

59

bezüglich der Jahreszeit der Zeugung, sowie der Zeitpunkt, wo die ZeugungsCähigkeit eintritt, der Tageszeit des Schlafen- gehens (bei malayischem Geflügel) usw. usw. Dieses Perio- dische der Gewohnheiten ist vielleicht eine ausschließlich körperliche Angelegenheit und den sehr ähnlichen Gewohn- heiten der Pflanzen vergleichbar, die bekanntlich unter sich alle möglichen Verschiedenheiten aufweisen. Bestimmte charakteristische Bewegungen sind variabel und erblich, — so das Galoppieren und Paßgehen bei Pferden, das Purzeln bei Tauben, vielleicht kann auch die Handschrift, die manch- mal bei Vater und Söhnen so starke Ähnlichkeit aufweist, mit hierher gerechnet werden. Manieren, ja selbst eigen- tümliche angeborene Manöver oder „Tricks", die man vielleicht nach meinem Vater und W. Hunter aus den ersteren ableiten könnte, werden selbst dort, wo Kinder ihre Eltern in frühester Jugend verloren haben, aufs deutlichste vererbt. Die Erblichkeit des Gesichtsausdrucks, der oftmals die leisesten Schattierungen eines Charakters wiedergibt, kennen wir ja alle.

Ferner ist auch die Geschmacksrichtung, sind die Neigungen der einzelnen Stämme untereinander verschieden, so z. B. bildet es das Vergnügen des Schäferhundes, die Schafe zu jagen, jedoch ganz ohne den Wunsch, sie zu töten, — der Terrier (s. Knight) findet sein Vergnügen im Töten von Ratten und ähnlichem Ungeziefer und der Wachtelhund im Aufspüren von Wild. Indes ist es undurchführbar, solche psychische Eigentümlichkeiten in so scharfer Weise, wie ich dies hier tat, zu trennen: so könnte man das Purzeln der Tauben, das ich als eine charakteristische Bewegung bezeichnete, ebensogut als ,,Trick" bezeichnen, und zwar hängt dieser Trick mit der Vorliebe jener Tauben, in dichtem Schwärm in beträchtlicher Höhe zu fliegen, zusammen. Gewisse Zuchten von Hühnern haben eine Vorliebe, in den Ästen der Bäume zu übernachten. Die verschiedenen Ge- wohnheiten der kurz- und langhaarigen Vorstehhunde könnten unter dieselbe Rubrik gebracht werden, ebenso The Comolete Work of Charles Darwin Online

[page] IÖO Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

auch die besondere Jagd man ier des Wachtelhundes. Selbst innerhalb derselben Hunderasse, wie z. B. bei Fuchs- hunden, werden nach der festen Meinung der erfahrensten Kenner die einzelnen Hündchen mit verschiedenen Anlagen geboren: manche verstehen es am besten, den Fuchs in der Deckung aufzustöbern, andere verlieren sich gern ins Weite, wieder andere verstehen es gut, eine Spur aufzunehmen sowie eine verlorene Spur wiederzufinden usw., und alle diese Eigentümlichkeiten werden zweifellos auf die Nach- kommen übertragen. Anderseits kann man auch die Tendenz, vorzustehen, als eine bestimmte Gewohnheit ansprechen, die sich vererbt hat — ebenso auch die Neigung des echten Schäferhunds — von der mir berichtet wurde —, um die Herde herum zu laufen, statt direkt auf dieselbe zu, wie es andere junge Hunde, die man abzurichten versuchte, zu tun pflegten.

Die spanischen ,,Transandantes"-Schafe, die seit Hun- derten von Jahren alljährlich von einer Provinz in die andere gebracht werden — was eine Reise von mehreren hundert Meilen bedeutet —, wissen von selbst, wann ihre Zeit kommt und zeigen alsdann die größte Unruhe (ebenso wie Wandervögel in der Gefangenschaft); man kann sie nur schwer verhindern, allein auszurücken, manchmal tun sie dies doch und finden dann auch ihren Weg. Es gibt eine gut beglaubigte Erzählung1) von einem weiblichen Schaf, das, als es im Begriff stand, zu gebären, über ein gebirgiges Gelände hinüber nach seinem eigenen Geburtsort zurück- kehrte, obwohl das betreffende Tier zu andern Jahreszeiten keineswegs nomadische Neigungen an den Tag legte. Die von diesem Schaf erzeugten Lämmer erbten die Anlage ihrer Mutter und kehrten, so oft sie Junge gebären wollten, nach dem Gute zurück, von wo ihre Mutter ausgegangen war; diese Gewohnheit erwies sich aber als so verhängnisvoll, daß nach und nach die ganze Familie dadurch vernichtet wurde-

i) Am Rand des Blattes findet sich der Name „Hogg" als Autorität

[page] Erblichkeit von Instinkten.

161

Diese Tatsachen müssen uns notwendig zu der Über- zeugung führen, wunderbar wie sie erscheint, daß eine fast unzählige Menge von Schattierungen des Charakters, der Neigungen, bestimmter Bewegungen, ja selbst individueller Handlungen durch ein Individuum erworben oder modifiziert und so auf seine Nachkommen übertragen werden können. Ferner wird man gezwungen zuzugeben, daß psychische Erscheinungen (zweifellos durch ihren engeren Zusammen- hang mit dem Gehirn) ebensogut vererbt werden können, wie jene unzähligen leisesten Unterschiede des Korperbaus. Ebenso wie Eigentümlichkeiten des Körperbaus, die nach und nach erworben wurden, ja auch solche, die im Laufe des erwachsenen Daseins verloren gingen, gleich angeborenen Eigentümlichkeiten vererbt werden, ebenso scheint es sich mit psychischen Eigenschaften zu verhalten. Die ererbten Gangarten des Pferdes sind zweifellos durch einen auf die Eltern während deren Leben ausgeübten Zwang entstanden; und sowohl Wildheit wie Zahmheit kann bei einer Rasse je nach der Behandlung, die man auf die Individuen ein- wirken läßt, modifiziert werden. Wenn man hört, daß einem Schwein das „Vorstehen" beigebracht worden ist, so könnte man annehmen, daß diese Eigenschaft bei den Vorstehhunden schlechthin das Resultat der Angewöhnung sei, doch läßt die Erfahrung, daß eine ähnliche Anlage ganz gelegentlich auch bei andern Hunderassen auftritt, es als wahrscheinlich erscheinen, daß jene Fähigkeit zunächst einmal „aus Zufall", d. h. also als angeborene Anlage bei dem Vor- vater der Vorstehrasse aufgetreten ist.1) Man kann nicht an- nehmen, daß dasPurzeln, daß der hohe Flug in dichtem Schwärm einer bestimmten Taubenrasse angelernt worden sei; und was nun gar die leichten Unterschiede in den Jagdmanieren der jungen Fuchshunde betrifft, so sind diese sicherlich angeboren.

i) In Origin, Ed. I. spricht sich Ch. Darwin noch entschiedener gegen die Annahme aus, daß man in den Instinkten erbliche Gewohnheiten zu erblicken habe, siehe dort S. 209, 214, Ed. VI, S. 321, 3=7- Einigen Ein- fluß räumt er indessen der Gewohnheit ein, siehe S. 216.

F.Darwin, Fundamente *ur BüMfhmt >t*r Arte*.                               II

[page] IÖ2 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

Die Vererbung der oben erwähnten und ähnlicher psychi- scher Erscheinungen dürfte vielleicht weniger Erstaunen erregen, wenn man bedenkt, daß noch in keinem einzigen Falle beobachtet worden ist, daß individuelle Überlegungs- vorgänge oder Bewegungen oder irgendwelche andere mit Bewußtsein verknüpfte Handlungen sich vererbt hätten. Eine zuweilen sogar sehr komplizierte Handlung wird, sobald sie infolge langer Gewohnheit unbewußt, ohne An- strengung vollführt wird (ebenso wie auch viele von dem persönlichen Willen unabhängigen Eigenheiten des Be- nehmens) nach einem allgemein verbreiteten Sprachgebrauch als „instinktiv" bezeichnet. Jene Fälle, wo Sprachen oder Lieder, die in frühester Kindheit gelernt, seitdem aber völlig vergessen worden waren, während der Bewußtlosigkeit eines Krankenlagers fehlerlos zum Ausdruck gebracht wurden, erscheinen mir nur um einige schwache Grade weniger wunder- sam als wenn jene Kenntnisse auf eine zweite Generation übertragen worden wären.1)

ERBLICHE GEWOHNHEITEN IM VERGLEICH MIT

INSTINKTEN.

Die Hauptcharakteristik der echten Instinkte scheint mir in deren Unveränderbarkeit zu bestehen und in dem Fehlen von Verbesserungen während des ausgewachsenen Zustandes des betreffenden Tierindividuums; wiewohl das Nichtvor- handensein einer Kenntnis des Zwecks, für den eine be- stimmte Handlung vollführt wird, doch zuweilen mit einem gewissen Grade von Vernunft Hand in Hand zu gehen scheint; auch bemerken wir das Vorkommen von Fehlern und einen gewissen Zusammenhang mit bestimmten Körperzuständen oder Perioden des Jahres und Tages. In den meisten dieser Beziehungen besteht eine Ähnlichkeit zwischen den oben

i) Ein Anklang an Herings und S, Butlers Ansichten über Gedächtnis und Vererbung, womit ich nicht behaupten will, daß Ch. Darwin zu einem

Anschluß an diese Anschauungen geneigt hätte.

[page] Gewohnheit und Instinkt*

'63

angeführten Beispielen von unter Domestikation erworbenen oder modifizierten psychischen Eigenschaften. Zweifellos sind die Instinkte wilder Tiere gleichförmiger als jene Gewohn- heiten oder Eigenschaften, die im Zustand der Domesti- kation verändert oder frisch erworben wurden, und zwar in derselben Art und aus denselben Gründen, wie die Körper- beschaffenheit ja auch bei Haustieren weniger gleichförmig ist als bei denjenigen Tieren, die im Naturzustand leben. Ich habe einen jungen Vorstehhund gesehen, der am ersten Tage, als man ihn herausließ, ebenso fest vorstand, wie irgend- ein älterer Hund. Magendie sagt ebenfalls, daß solches bei einem Apportierhund, den er selbst aufzog, der Fall gewesen ist; das Purzeln der Tauben dürfte kaum durch das Alter verbessert werden; und aus dem oben zitierten Fall war zu ersehen, daß die Neigung der jungen Lämmer, zu ihrem eigenen Geburtsort zurückzukehren, sich äußerte, als sie zum ersten Male Mutter wurden. Dieser letztere Fall liefert uns das Beispiel eines mit einem bestimmten Körperszustand asso- ziierten Instinkts, ebenso wie der Fall der „Transandantes"- Schafe das Beispiel eines mit einer bestimmten Jahreszeit assoziierten Instinkts darstellt.

Für gewöhnlich scheint es, als ob die erworbenen Instinkte der Haustiere eines gewissen Grades von Erziehung bedürften (wie man das bei Vorsteh- und Apportierhunden beobachten kann), um sich völlig zu entwickeln; vielleicht gilt dasselbe auch von wilden Tieren in höherem Grade, als gewöhnlich angenommen wird; so z. B. bei dem Gesang der Vögel und bei der Kenntnis der richtigen Kräuter bei Wiederkäuern. Es scheint auch ziemlich ausgemacht, daß die Bienen ihre Kenntnisse von Generation zu Generation überliefern. Lord Brougham1) besteht scharf auf Unkenntnis des Endzwecks als wesentliches Charakteristikum der echten Instinkte. Dasselbe läßt sich aber, wie mir scheint, auf viele erworbene erbliche Gewohnheiten anwenden, so z. B. auf den jungen

1) Aus Lord Broughams Dissertatiom on Subjects of Science usw.,

1839. s* 27-

The ComDlete Work of Charles Darwin Onlirfe*

[page] 164 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

Vorstehhund, von dem ich oben sprach, der an dem ersten Tag, an welchem er ausgeführt wurde, so hartnäckig vor- stand, daß wir genötigt waren, ihn des öfteren wegzutragen.1) Dieses Hündchen stand nicht bloß vor Schafen, vor größeren weißen Steinen und vor jedem kleineren Vogel, sondern es half auch den andern Vorstehhunden; dabei muß es aber des Zwecks seiner Vorstehkünste, nämlich der Unterstützung seines Herrn, Wild zum Verspeisen zu erlegen, gänzlich unbewußt gewesen sein, ebenso unbewußt, wie ein Schmetter- ling, der seine Eier auf Kohlblätter niederlegt, dem späteren Verspeisen jener Blätter seitens der jungen Raupen gegen- übersteht. Ebenso ist sich ein Pferd, das aus Instinkt Paß- gänger ist, dessen unbewußt, daß dieser Schritt zur Bequem- lichkeit des Menschen dient; und doch würde das Pferd, hätte der Mensch nicht existiert, niemals paßgehen. Der junge Hund, der vor weißen Steinen vorsteht, erscheint bezüglich seines erworbenen Instinkts ebenso ein Fehlschlag, wie die Schmeißfliege, die ihre Eier auf gewisse Blumen an- statt auf faulendes Fleisch ablegt. So sehr auch die Unkennt- nis des Zwecks im allgemeinen zutreffen mag, bemerkt man doch, daß Instinkte mit einem gewissen Grad von Über- legung einhergehen können; so z. B. im Falle des Schneider- vogels, der Fäden spinnt, um sein Nest daraus zu bauen, der indessen auch künstliche Fäden benützt,8) wenn er deren habhaft werden kann. Auch erzählt man, daß ein alter Vorsteh- hund sein Vorstehen unterbrochen und sich hinter eine Hecke begeben habe, um seinem Herrn einen Vogel zuzutreiben.3)

i) Dieser Fall ist auch kurz erwähnt in Origin, Ed. I., S 213, Ed. VI, S. 326, wo auch das Beispiel mit dem Schmetterling vorkommt.

2)  So sagt auch Peter Huber, daß „eine kleine Dosis Urteilskraft und Vernunft" häufig in Erscheinung tritt. Origin, Ed. L, S. io&. Ed. Vi, S, 320.

3)  Am Rande findet sich die Notiz „Apportierhund tötet einen Vogel". Dies bezieht sich auf den in Descent 0/ Man, 2. Ed., S. 78 angeführten Fall, wo ein Apportierhund, der in Verlegenheit war, wie er mit einem verwundeten und einem getöteten Vogel verfahren sollte, den ersteren tötete und sodann beide zugleich danertrug. Dies war der einzige be- kannte Fall, daß dieser Hund je ein Wild getötet hätte.

[page] Instinkte bei Bastarden.                               165

Es gibt eine ganz bestimmte Methode, mittels welcher die unter Domestikation erworbenen Instinkte oder Ge- wohnheiten mit den von Natur mitgegebenen verglichen werden können, und zwar eine Methode von fundamentaler Art: ich meine den Vergleich der psychischen Fähigkeiten bei Bastarden von Varietäten und bei Bastarden von Arten. Nun findet es sich, daß die Instinkte oder Gewohnheiten, Neigungen und Veranlagungen, die wir erhalten, wenn eine Rasse eines Tieres mit einer anderen Rasse, wenn z. B. ein Schäferhund mit einem Windhund gekreuzt wird, ge- wissermaßen ineinander übergehen und sowohl in der ersten als in den folgenden Generationen jenes gleiche Bild von eigentümlicher Vermischung zeigen, das uns da entgegen- tritt, wo eine Spezies mit der andern gekreuzt wird.1) Dies würde wenn irgendwelche fundamentalen Unterschiede zwischen dem domestizierten und dem natürlichen Instinkt existierten2), kaum der Fall sein, d. h. wenn der erstere, um mich bildlich auszudrücken, ein mehr „oberflächlicher" wäre.

1)  S. Origin, Ed. I., S. 214, Ed. VI, S. 327.

2)  /Anmerkung des Originals.) Eine Definition des Instinkts oder wenigstens bestimmte Merkmale geben. <In Origin, Ed. I., S. 207 lehnt es Ch..Darwin ab, den Instinkt zu definieren.) Der Ausdruck Instinkt wird oft nicht anders als in dem Sinne gebraucht, daß das betreffende Tier die fragliche Handlung zu vollführen pflegt. Fähigkeiten und In stinkte lassen sich meiner Meinung nach nur unvollkommen trennen Der Maulwurf besitzt die Fähigkeit, Gruben zu graben und den Instinkt, diese Fähigkeit zu betätigen, der Zugvogel die Fähigkeit, seinen Weg zu finden und den Instinkt, diese Fähigkeit zu bestimmten Perioden auszuüben. Es kann kaum von ihm gesagt werden, daß er die Fähigkeit besitzt, die Zeit zu wissen, denn woher sollte er die Mittel hierzu nehmen, es seien denn flüchtige Empfindungen. Man überlege sich alle gewohnten Hand hingen und versuche, ob Fähigkeiten und Instinkte getrennt werden können. Wir besitzen Fähigkeit, nachts aufzuwachen, faUs ein Instinkt uns treibt, irgendeine Handlung zu irgendeiner bestimmten Nachtstunde vorzunehmen. Wilde, die ihren Weg finden. Wrangeis Bericht - wahr- scheinlich eine von ihrem Besitzer nicht zu erklärende Fähigkeit Außer Fähigkeiten gibt es noch „Vermögen", so die Verwandlung der Larven in Neutra und Königinnen. Es handelt sich hier wohl allgemein um

[page] i66 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaft

VARIATION DER PSYCHISCHEN EIGENSCHAFTEN

WILDER TIERE.

Was nun die Variation auf psychischem Gebiet bei wilden Tieren betrifft1), so wissen wir, daß beträchtliche Unter- schiede in der Anlage der verschiedenen Individuen ein- und derselben Spezies bestehen, worin alle die Leute überein- stimmen, denen die Obhut wilder Tiere in einer Menagerie obliegt. Was die eigentliche Wildheit der Tiere, d. h. ihre speziell gegen den Menschen gerichtete Furcht betrifft, die als ein ebenso echter Instinkt erscheint, wie die Angst einer jungen Maus vor einer Katze, so besitzen wir die stichhaltigsten Beweise dafür, daß sie allmählich erworben und erblich fixiert worden ist. Auch ist sicher, daß im Naturzustand manche Individuen derselben Spezies ihren Wandertrieb verlieren oder nicht ausüben — wie z. B. Waldschnepfen auf Madeira. Was nun das Auftreten von Variationen in den kompli- zierteren Instinkten betrifft, so sind diese selbstverständlich sehr schwer zu entdecken, schwerer noch als solche im Körper- bau, wiewohl, wie schon bemerkt wurde, auch diese außer- ordentlich klein, und ihre Zahl vielleicht innerhalb der Mehr- zahl der gleichzeitig lebenden Spezies verschwindend gering ist. Und doch, wenn wir ein hervorragendes Gebiet der Instinkt- handlungen, nämlich das Nesterbauen der Vögel betrachten, so gibt es nach dem Zeugnis von Leuten, die diese Dinge mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt haben, nicht nur gewisse Individuen <Arten>, die sehr mangelhaft zu bauen scheinen, sondern es können auch zwischen der Geschick- lichkeit der verschiedenen Individuen nicht selten starke Unterschiede beobachtet werden.2) Manche Vögel indessen

irgendwie natürliche Einrichtungen. <Diese Diskussion, die in Origtn fehlt, ist eine Art Vorspiel zu der unten (S. 170) folgenden Auseinandersetzung.

1)  Eine kurze Diskussion ähnlichen Inhalts findet sich in Origin, Ed. I., S. 2ii, Ed. VI, S. 324.

2)  Dieser Satz entspricht zwar dem Manuskript, bedarf indessen offenbar

der Korrektur ComD|ete Work of Charles Darwin Online

[page] Zuchtwahl in ihrer Anwendung auf Instinkte.              167

verstehen es, ihre Nester den Verhältnissen anzupassen: der Wasserstar unterläßt es, eine Höhle zu machen, wenn er unter der Wölbung eines Felsens bauen kann — auch der Sperling baut sehr verschieden, je nachdem er sein Nest in einem Loch oder in einem Baum anbringt und das Gold- hähnchen hängt sein Nest zuweilen unter, zuweilen befestigt es dasselbe auf dem Ast eines Baumes.

ANWENDBARKEIT DER PRINZIPIEN DER ZUCHTWAHL

AUF DIE INSTINKTE.

Da die Instinkte für die 'Erhaltung und Vermehrung einer Spezies genau ebenso wichtig sind wie ihr Körperbau, so liegt es auf der Hand, daß dort, wo die geringsten angeborenen Verschiedenheiten in den Instinkten und Gewohnheiten vor- handen sind, oder dort, wo gewisse Individuen sich während ihrer Lebenszeit veranlaßt sahen oder gezwungen wurden, ihre Gewohnheiten abzuändern, die betreffenden Individuen, vorausgesetzt, daß solche Unterschiede nur im geringsten unter leicht veränderten äußeren Bedingungen günstig für sie und ihre Erhaltung sind, auf die Dauer eine bessere Anwartschaft auf Erhaltung und Vermehrung genießen werden.1) Wird dies zugegeben, so ist es klar, daß eine Reihe kleiner Änderungen, ebenso wie auf dem Gebiete der Körperbeschaffenheit auch in den psychischen Kräften, Ge- wohnheiten und Instinkten irgendeiner Spezies schließlich eine große Änderung herbeiführen kann.

SCHWIERIGKEITEN BEI DER ERWERBUNG KOMPLIZIERTER INSTINKTE DURCH ZUCHTWAHL.

Jeder wird zunächst, ebenso wie ich selbst dies lange Zeit hindurch tat, zu der Behauptung neigen, daß zahlreiche der komplizierteren und wunderbarsten Instinkte nicht auf dem hier von mir angenommenen Wege zustande kommen können.2)

1)  Dies entspricht einer Stelle in Origin, Ed. L, S 212, Ed. VI, S. 335.

2)  Diese Diskussion gewinnt besonderes Interesse dadurch, daß sie von der entsprechenden Stelle in Origin, Ed. I., S. 216, Ed.VI., S.330 (bis Ende

[page] 168 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

Der zweite Teil dieser Arbeit soll der Betrachtung gewidmet werden, inwieweit die allgemeine Ökonomie der Natur die Anschauung, daß verwandte Arten und Gattungen aus ge- meinsamem Stamme entstanden sind, rechtfertigt oder widerlegt. Zunächst wollen wir nun untersuchen, ob die Instinkte der Tiere uns einen so unmittelbar in die Augen springenden Beweis von der Unmöglichkeit einer allmäh- lichen Erwerbung liefern, daß wir dadurch gezwungen würden, jede solche Theorie aufzugeben, so sehr sie auch durch andere Tatsachen gestützt zu werden scheint. Ich möchte hier noch- mals betonen, daß ich nicht die Wahrscheinlichkeit, sondern die Möglichkeit der Erwerbung komplizierter Instinkte durch langsame und lange fortgesetzte Zuchtwahl zu erwägen beabsichtige, einer Zuchtwahl, die mit sehr leisen (sei es angeborenen, sei es durch Gewohnheit ent- standenen) Abänderungen vorherbestehender einfacherer In- stinkte arbeitet, indem jede einzelne Modifikation für die davon betroffene Art ebenso nützlich und notwendig ist wie die allerkomplizierteste Änderung.

Nehmen wir zunächst den Fall der Vogelnester. Berück- sichtigen können wir dabei natürlich nur die Nester der jetzt lebenden Arten, deren Zahl verschwindend ist im Vergleich mit den seit der Periode des neuen roten Sandsteins von Nordamerika ausgestorbenen, über deren Nistgewohnheiten wir nie etwas wissen werden. Es ließe sich von Nistarten eine ziemlich vollständige Serie zusammenstellen; erst die Sitte, die Eier einfach auf die nackte Erde zu legen,

des Kapitels) abweicht. Im vorliegenden Essay sind die Fälle, diebehandelt werden, die nestbauenden Instinkte, einschließlich der Eierausbrütungs- gewohnheiten der australischen Großfußhühncr; die Fähigkeit sich ,,tot zu stellen"; ,,Fähigkeiten" und ihre Beziehungen zum Instinkt; der Instinkt des Zeitablaufs und der Richtung; Bienenzellen werden sehr kurz behandelt; Vögel, die ihre Jungen mit von ihrer eigenen Nahrung abweichenden Nahrungsstoften füttern. In Origin, F.d. I. da- gegen betreffen die besprochenen Beispiele den Instinkt, Eier in fremde Nester zu legen; den sklavenmachenden Instinkt der Ameisen; auch

wird dort der Bau der Honigwaben sehr ausführlich besprochen.

[page] Xestbau- Instinkte.

IÖQ

dann, sie nur eben mit einigen Stöckchen zu umgeben, darauf die einfachen Nester, wie sie die Waldtaube baut und sodann mehr und mehr komplizierte. Wenn nun, wie be- hauptet wird, gelegentliche Unterschiede in der Nestbau- geschicklichkeit der Individuen vorkommen, und wenn, was zum mindesten möglich ist, solche Unterschiede dazu neigen, sich zu vererben, so geht daraus hervor, daß wenigstens eine Möglichkeit besteht, daß die Nestbau-Instinkte durch eine allmähliche im Laufe von Tausenden und Abertausenden ven Jahren vollzogene Auslese der Eier und Jungen der- jenigen Individuen erworben sein könnten, deren Nester sich unter den bestehenden Verhältnissen als zur Erhaltung der Jungen am besten geeignet erwiesen.

Eines der erstaunlichsten Beispiele, die wir kennen, betrifft die australischen Großfußhühner, deren Eier durch die Wärme eines Haufens von gärenden Substanzen, die der Vogel selbst zusammenschleppt, ausgebrütet werden. In diesem Falle zeigen uns indes die Gewohnheiten einer verwandten Spezies, wie dieser Instinkt möglicherweise erworben worden ist. Diese andere Spezies bewohnt ein tropisches Gebiet, wo die Sonnenhitze genügt, um die Eier auszubrüten; deshalb begräbt dieser Vogel seine Eier, wohl um sie zu verstecken, unter kleinere, aber trockene Haufen, bei denen der Prozeß der Gärung in Wegfall kommt. Stellen wir uns nun vor, daß dieser Vogel sich allmählich in einem kühleren Klima aus- breitet, wo zugleich das Laub der Bäume reichlicher ist, so würden vermutlich diejenigen Individuen, deren Anhäufungs- instinkte am stärksten sind, einen etwas größeren Haufen zusammenbringen, in welchem die Eier, denen so auch in einer einigermaßen kälteren Jahreszeit die Hitze des be' ginnenden Zersetzungsprozesses zustatten käme, entsprechend reichlicher zur Ausbrütung gelangen. Aus diesen Eiern würden wahrscheinlich Junge mit derselben ausgesprochenen Bega- bung zum Blättersammeln ausschlüpfen, und diese würden darauf wiederum aus den gleichen Gründen besonders reich- lich Junge erzeugen. So also haben wir uns möglicher- The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] I jo Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

weise die Entstehung jenes sonderbaren Instinkts zu denken, wobei jeder einzelne Vogel der Kenntnis von den Gärungs- zuständen und der dabei erzeugten Hitze ebenso unwissend gegenübersteht, wie wir dies in der Tat annehmen müssen.

Nun zu den Fällen, wo Tiere sich „tot stellen" (wie man es gewöhnlich bezeichnet), um irgendeiner Gefahr zu entgehen. Bei Insekten kann man in dieser Hinsicht eine ganze Serie von Abstufungen beobachten, von solchen angefangen, die sich einen Augenblick still verhalten und solchen, die se- kundenlang ihre Beine an sich ziehen, bis zu anderen, die eine Viertelstunde hintereinander in sich zusammengekrümmt verharren, und die man auseinanderzerren oder an einem gelinden Feuer rösten kann, ohne daß sie das geringste Lebens- zeichen von sich geben. Niemand wird leugnen können, daß die Zeitdauer, während welcher solch ein Insekt unbeweglich bleibt, den Verhältnissen, die sein Entrinnen vor Gefahren begünstigen, aufs beste angepaßt ist, und es dürfte wenige geben, die auch hier die Möglichkeit eines Fortschreitens von einem Grade zum andern durch die bereits erwähnten Mittel und in dem beschriebenen allmählichen Tempo be- streiten. Da ich es jedoch sonderbar fand, daß die Todes- stellung von Individuen eingenommen wurde, die keine Gelegenheit gehabt hatten, sich diese Stellung durch Nach- ahmung einzustudieren, verglich ich bei verschiedenen Spezies die Schein-Todesstellung mit der Stellung wirklicher Toter derselben Art und fand, daß die echte und die nachgeahmte Todesstellung sich in keinem Falle glichen.

Und drittens ist es bei Betrachtung vieler Instinkte nütz- lich, sich zu bemühen, die Fähigkeit, mittels deren sie aus- geführt werden, von der psychischen Kraft, die zu ihrer Aus- führung drängt, und die wir im eigentlichen Sinn als Instinkt bezeichnen, zu trennen.1) Wir besitzen den Instinkt zu essen.

i) Die Unterscheidung zwischen Fähigkeit und Instinkt entspricht bis zu einem gewissen Grade derjenigen zwischen der Wahrnehmung eines Reizes und einer spezifischen Reaktion. Ich denke, mein Vater würde gesagt haben, daß die Empfindlichkeit einer Pflanze gegen Licht

[page] li 'ander- Instinkte.

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aber außerdem noch die Kinnladen usw., die uns die Fähig- keit verleihen, ihn zu betätigen. Diese Fähigkeiten sind uns oft völlig unbekannt; so z. B. vermögen geblendete Fleder- mäuse Stricke, die quer durch einen Raum gespannt sind, zu vermeiden; auf Grund welcher Fähigkeit sie dies tun, wissen wir indessen nicht. Und ebenso besteht bei den Wandervögeln ein wunderbarer Instinkt, der sie treibt, zu gewissen Zeiten des Jahres ihren Flug nach gewissen Rich- tungen einzuschlagen; dazu kommt dann eine Fähigkeit, diese Zeiten zu erkennen und den Weg zu finden. Was den Ablauf der Zeit betrifft, so kann der Mensch, selbst ohne die Sonne zu sehen, bis zu gewissem Grade die Tagesstunde be- urteilen1), ebenso wie wir dies von den Rindern annehmen müssen, die von den abseits vom Meer gelegenen Bergen heruntersteigen, um sich von dem Seetang zu nähren, der ihnen nur während des noch dazu wechselnden Zeitpunkts der Ebbe zugänglich ist.2) Ein Habicht (D'Orbigny) scheint sich jedenfalls die Kenntnis einer Periode von 21 Tagen an- geeignet zu haben. In den von mir bereits erwähnten Fällen, wo Schafe nach ihrem eignen Geburtsort zurückwanderten, um ihre Lämmer zu gebären, und jene anderen spanischen Schafe die Zeit ihrer Wanderschaft mit solcher Genauigkeit kannten3), dürfen wir annehmen, daß die Tendenz zu wandern instinktiv — so darf man es wohl bezeichnen — mit bestimm-

eine Fähigkeit darstelle, während der Instinkt es bestimmt, ob die Pflanze sich nach der Lichtquelle hin oder von dieser weg zu krümmen hat.

i) <Anmerkung des Originals in unbekannter Handschrift.) Zu jenen Zeiten, als das Korn noch in natura auf den Markt gebracht und nicht wie jetzt nach Mustern verkauft wurde, kannten die Gänse in der Um- gebung der Stadt Newcastle (Staflordshire?) den Markttag und pflegten an demselben herbeizukommen, um das verschüttete Korn aufzulesen.

2) <;Anmerkung des Originals.) Macculoch und andere.

3} Ich kann keine Erwähnung der Transandantes-Schafc in Ch. Darwins publizierten Werken finden. Es ist möglich, daß er späterhin Zweifel in jene Erzählungen setzte, auf die er sich zunächst verlassen hatte Was den Fall jener Schafe betrifft, die nach ihrem Geburtsort zurück- zuwandern pflegten, so verweise ich auf S. 45, Anmerkung 3. The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 172 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

ten körperlichen Empfindungen assoziiert ist. Was die Richtung betrifft, so können wir uns gut vorstellen, wie eine Tendenz, nach einer bestimmten Seite hin zu wandern, erworben worden sein mag, obwohl wir der Tatsache, daß Vögel in einer dunkeln Nacht oberhalb des weiten Ozeans hinfliegend die Richtung inne zu halten vermögen, völlig ratlos gegenüberstehen.

Doch möchte ich bemerken, daß die Fähigkeit einiger wilden Menschenrassen, sich zu orientieren, obwohl viel- leicht völlig verschieden von jener Fähigkeit der Vögel, beinahe ebenso unverständlich erscheinen muß. Belling- hausen, ein sehr erfahrener Seefahrer, beschreibt mit dem größten Erstaunen die Art und Weise, wie einige Eskimos ihn zu einem bestimmten Punkt hingeleiteten; dabei verlief der Weg niemals in einer geraden Richtung, sondern wand sich durch neu entstandene Eishügel und das an einem äußerst nebligen Tage, wo Bellinghausen selbst, wiewohl mit dem Kompaß bewaffnet, in Ermangelung irgend- welcher Landmarken und bei den zahllosen Krümmungen des Weges es völlig unmöglich fand, irgendeine Art von Richtung beizubehalten. Und genau so steht es mit den australischen Wilden im dichten Buschwald.

In Nord- und Südamerika wandern viele Vögel unter dem Einfluß des Nahrungsbedarfs langsam, je nach der Jahreszeit, nach Norden oder nach Süden; wenn man sich dies lange fort- gesetzt denkt, so werden diese vielleicht schließlich ebenso wie jene spanischen Schafe mit der Zeit ein dringendes Bedürfnis empfinden, diese Wanderungen anzutreten und ganz allmählich ihre Reise beschleunigen. Sie werden dann schmale Flüsse, und gesetzt, diese würden mit der Zeit durch Senkung in schmale Buchten und weiterhin sogar in Meeresarme verwandelt, auch diese überfliegen, und so groß würde ihr rastloser Wan- dertrieb schließlich werden, daß sie diese Meeresarme selbst dann noch überqueren würden, wenn sie sich in unendlicher Weite unter ihrem Gesichtsfeld ausdehnten. Wie sie es mög- lich machen, ihren Weg in irgendeiner gegebenen Richtung The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Instinkt des Wabenbaus.                             ,72

festzuhalten, beruht, wie ich schon sagte, auf einer uns unbekannten Fähigkeit. Doch möchte ich eine weitere Er- klärung der Mittel geben, durch die meiner Meinung nach die Richtung solcher Wanderungen möglicherweise be- stimmt worden sein mag. Die Elche und Renntiere von Nordamerika durchqueren alljährlich, und zwar ganz als ob sie auf Hunderte von Meilen hin sehen oder riechen könnten, große, absolut wüstenartige Länderstrecken, um schließlich zu gewissen Inseln zu gelangen, wo sie eine spärliche Nah- rungsmenge vorfinden; nun lassen es die Veränderungen des Klimas, die uns die Geologie lehrt, wahrscheinlich er- scheinen, daß jene wüsten Länderstrecken vormals Pflanzen- wuchs besaßen, und so können wir uns vorstellen, daß das Wild einstmals alljährlich durch diesen Umstand gelockt wurde und, ähnlich jenen spanischen Schafarten, auf diese Weise zu seinen Wanderleistungen gelangte.

Viertens, betrachten wir einmal die Waben der Haus- biene1); auch hier müssen wir uns nach irgendeiner Fähig- keit oder irgendeinem Mittel umschauen, mit Hilfe dessen diese Tiere ihre sechseckigen Zellen bauen (es sei denn, daß wir diese Instinkte rein maschinenartig auffassen). Gegen- wärtig ist uns diese Fähigkeit noch ganz unbekannt. Water- house nimmt an, daß mehrere Bienen durch ihren Instinkt dazu veranlaßt werden, einen Klumpen Wachs bis zu einer gewissen Dünnigkcit auszuhöhlen und daß als das Resultat dieses Aushöhlens die bekannten Sechsecke stehen bleiben. Ob nun diese Theorie oder irgendeine andere richtig ist, jedenfalls müssen sie irgendwelche derartige Mittel besitzen. Übrigens sind die Hausbienen überreich an echten Instinkten, und zwar den wunderbarsten, die wir überhaupt kennen. Wenn wir das wenige prüfen, das wir über die Gewohnheiten anderer Bienenarten wissen, finden wir viel einfachere In- stinkte; so füllt die Hummel ganz einfach roh geformte Wachskugeln mit Honig und klebt diese ziemlich regellos

1) Origin, Ed. I, S. 224, Ed. VI., S. 342.

[page] I -4 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

innerhalb eines primitiven Nestes aus Gras zusammen. Kennten wir den Instinkt aller je existiert habenden Bienen- arten, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir Instinkte von allen denkbaren Graden der Kompliziertheit vorfanden angefangen von Methoden, die sich mit dem einfachen Nest- bau und der Brutpflege des Vogels vergleichen lassen, bis zu der wundervollen Architektur und dem Staatswesen der Hausbiene; wenigstens halte ich dies für möglich, und mehr will ich ja vorläufig nicht behaupten.

Schließlich möchte ich von demselben Gesichtspunkte aus eine andere Gattung von Instinkten betrachten, die man häufig als besonders erstaunlich hervorgehoben hat, näm- lich die Erscheinung, daß Eltern ihren Jungen Futter zu- tragen, das sie selbst weder mögen noch genießen1); so z. B. füttert der gemeine Sperling, ein ausgesprochener Körner- fresser, seine Jungen mit Raupen. Natürlich könnten wir noch weiter in die Tiefe dringen und forschen, wo der Ur- sprung des Instinkts der Eltern, ihre Jungen überhaupt zu füttern, zu suchen sei. Doch ist es müßig, seine Zeit mit solchen Mutmaßungen bezüglich der Übergänge zwischen einem Zustand, wo die Jungen sich selbst ernährten und dabei nur gelegentlich ein wenig von den Eltern unterstützt wurden, bis zu dem, wo sie ihr ganzes Futter durch die Eltern zu- getragen bekamen, zu verschwenden. Was den vorliegenden Kall betrifft, daß nämlich die Vogcleltern den Jungen ein anderes Futter bringen, als sie selbst genießen, so können wir entweder annehmen, daß jener zurückliegende Stamm, von dem der Sperling und andere ihm verwandte Vögel ab- stammen, insektenfressend war, daß aber seine eigenen Ge- wohnheiten und seine Körperbeschaffenheit sich geändert haben, während seine alten Instinkte gegenüber den Jungen die gleichen geblieben sind; oder wir können annehmen, daß die Voreltern sich durch eine gewisse Knappheit des gebräuchlichen Futters (oder dadurch, daß die Instinkte einiger

i) Dieses ist eine ausführlichere Fassung einer ziemlich unklaren Stelle im Essay von 1842, S. 4H.

[page] Fütterungsinstinkte bei Vögeln.                         17c

Individuen nicht so rein ausgebildet waren) gezwungen sahen, das Futter ein wenig zu ändern. In diesem Falle würden dann die zum Überleben befähigtesten Jungen notwendiger- weise auch am häufigsten erhalten bleiben, sie würden ihrer- seits zu Eltern werden und dann in ähnlicher Weise gezwungen werden, ihr Futter für ihre Jungen abzuändern. Was nun die- jenigen Tiere betrifft, deren Junge sich selbständig ernähren, so kann man annehmen, daß Änderungen in ihrer Nahrung und in ihrem Bau ebenso wie bei ausgewachsenen Tieren aus einer Auslese zwischen leichtgradigen Variationen entstanden sein dürften. In den Fällen aber, wo die Nahrung der Jungen von dem Ort abhängig erscheint, an dem die Mutter ihre Eier niederlegte, wie z. B. in dem Fall der Raupen des Kohl- weißlings, dürfen wir annehmen, daß die Stammütter jener Spezies ihre Eier jetzt auf die, dann auf jene Art von unter sich verwandten Pflanzen abgelegt haben (so wie dies jetzt noch einige Spezies zu tun pflegen); und gesetzt nun, daß der Kohl den Raupen besser zusagte als irgendeine andere Pflanze, so ist anzunehmen, daß die Raupen derjenigen Schmetterlinge, die den Kohl wählten, besonders gut und reichlich ernährt wurden und sich ihrerseits wieder in Schmetterlinge verwandelten, die mehr geneigt waren, ihre Eier auf den Kohl als auf andere verwandte Pflanzen

abzulegen.

So unbestimmt und unphilosophisch diese Mutmaßungen auch erscheinen mögen, so glaube ich doch, daß sie vielleicht dazu dienen, jenem ersten Impuls, die Theorie von der all- mählichen Erwerbung gewisser seit Jahrtausenden an- gestaunten Instinkte kurzer Hand zu verwerfen, zum wenig- sten Zügel anzulegen. Einmal zugegeben, daß Charakter- anlagen, Neigungen, Handlungsweisen oder Gewohnheiten leichten Abänderungen unterworfen sind, die entweder aul leichten angeborenen Veränderungen der Beschaffenheit des Gehirns beruhen oder die durch den Zwang der äußeren Verhältnisse entstanden sind, und daß solche leisen Ab- änderungen vererbbar werden — eine Annahme, die wohl

[page] 176 Variation der Instinkte und anderer geistiger Eigenschaften.

niemand zurückweisen wird —, so dürfte es schwer sein, der Verschiedentältigkeit und wunderbaren Ausbildung der Neigungen und Gewohnheiten, die möglicherweise auf diese Art erworben werden können, irgendwelche Grenzen zu ziehen.

SCHWIERIGKEITEN DER ERWERBUNG KOMPLIZIERTER KÖRPERLICHER BILDUNGEN

DURCH ZUCHTWAHL.

Nachdem ich soeben das Gebiet der Instinkte besprochen habe, möchte ich nunmehr die Beschaffenheit gewisser körper- licher Organe sowie den gesamten anatomischen Bau einiger Tiere ins Auge fassen und mir dabei die Frage vorlegen, ob sie so wunderbarer Natur sind, daß sie die radikale Ver- werfung unserer Theorie rechtfertigen.1) Bezüglich des Auges verhält es sich ebenso wie mit den im vorigen Abschnitt besprochenen komplizierteren Instinkten: daß nämlich unser erster Impuls der ist, jede solche Theorie schlankweg ab- zulehnen. Wenn aber bewiesen werden kann, daß alle Ab- stufungen zwischen dem Auge in seiner kompliziertesten Form und einem außerordentlich einfachen Zustand vorliegen, wenn man sieht, daß durch Zuchtwahl auch nur die kleinste Änderung bewirkt werden kann, und daß eine solche Serie von Formen existiert, dann wird es klar — mit dem aller- ersten Ursprung der Organe in ihrer primitivsten Gestalt haben wir uns hier nicht zu befassen2) — daß möglicher-

1)  In Origin, Ed. I., S, 171, Ed.VI, S. 207 werden folgende Schwierigkeiten besprochen: Seltenheit von Übergangsvariationen; Ursprung des Giraffen- schwanzes; der fischotterähnliche Polarmarder oder Mink (Mustela vison)\ die Fluggewohnheiten der Fledermaus; Pinguin und Dickkopfente; fliegende Fische; die walfischartigen Gewohnheiten des Bären; Specht; tauchende Sturmvögel; Auge; Schwimmblase; Cirripedien; „Neutra11 der Insekten; elektrische Organe. — Von allen diesen werden Polarmarder, Fledermaus, Specht, Auge und Schwimmblase schon im vorliegenden Essay besprochen, und außerdem noch einige botanische Probleme.

2)  In Origin, Ed. VI , S. 275 geht übrigens Darwin bei seiner Erwiderung .auf Mivarts Kritik Genesis of Species, 1871) auf dieses Problem ein, indem

[page] Schwierigkeiten.                                    \-j-j

weise die jetzige Form durch eine allmähliche Auslese leiser, aber in jedem einzelnen Falle nützlicher Abweichungen zustande gekommen sein kann.1) Jeder Naturforscher erwartet, wenn ihm ein neues und merkwürdiges Organ begegnet, andere, einfachere Formen dieses Organs bei anderen Organismen zu finden, und sieht sich nach solchen um. Was das Auge betrifft, so besitzen wir eine große Anzahl der verschiedensten, mehr oder weniger komplizierten Formen dieses Organs, die allerdings nicht ineinander übergehen, sondern durch plötzliche Lücken oder Intervalle voneinander geschieden sind. Doch müssen wir uns sagen, um wie unver- gleichlich größer die Zahl der betreffenden Augenbildungen sein würde, wenn wir die Sehorgane jeder fossilen Form, die je existierte, vor uns hätten.

Auf das mutmaßlich unermeßliche Überwiegen der aus- gestorbenen gegenüber den bestehenden Formen werde ich in dem nächsten Teile dieser Arbeit zurückkommen. Trotz der ausgedehnten Reihen existierender Formen ist es doch unend- lich schwierig, auch nur zu mutmaßen, durch welche Zwischen- stufen eine Anzahl einfacher Organe sich in kompliziertere verwandelt haben. Indes muß man hierbei auch noch an den Umstand denken, daß zum Teil diese Organe, die ursprüng- lich eine abweichende Funktion innehatten, auf Grund all- mählicher Zuchtwahl nach und nach einem völlig neuen Zweck angepaßt worden sein mögen. Die stufenweise Ver- änderung der Formen, auf Grund deren z. B. die Naturforscher die Hypothese der Verkettung eines Teiles des Gehör- organs mit der Schwimmblase der Fische2) aufgestellt haben, ebenso bei Insekten die Umwandlung von Füßen in Kiefer

er besonders dieses Autors Einwurf bespricht, daß „die Theorie der natürlichen Zuchtwahl unfähig sei, die ursprünglichen Stadien nützlicher

Organe zu erklären".

i) <Es scheint, als ob der folgende Satz zur Einschiebung an dieser Stelle bestimmt gewesen sei) „und daß jedes Auge innerhalb des gesamten Tierreichs nicht nur als äußerst nützlich, sondern geradezu als vollkommen für seinen Besitzer bezeichnet werden kann."

2) Origin, Ed. I., S. 190. Ed. VI., S. 230.

F. Darwin. Fundamenie tat E«itt,hun der ArU*.                                   12

[page] T 78 Variation der Instinkte und anderer geistiget Eigenschaften.

zeigen die Art, wie solche Metamorphosen zu denken sind. Es finden hier ebenso wie unter Domestikation, Abänderungen des Körperbaues statt, und zwar ohne die fortgesetzte Aus- lese, die der Mensch, teils aus Nützlichkeit-, teils aus Kuriositätsgründen vornimmt (man denke an den mit Haken versehenen Kelch der Kardendistel oder an die Krause um den Hals einiger Taubenarten).

Auf ähnliche Weise werden im Naturzustand gewisse kleine vielleicht aus Zufälligkeiten des Zeugungssystems entsprungene Abänderungen, die scheinbar irgendwelchen bestimmten Zwecken bewundernswürdig angepaßt sind, unverzüglich verbreitet, ohne daß eine lange fortgesetzte Auslese kleiner Abweichungen nach jener bestimmten Richtung stattgefunden hätte.1)

Bei unseren Erwägungen, durch welche Stadien hindurch ein Organ irgendeiner Spezies seine gegenwärtige Gestalt erlangt haben könnte, liegt es allerdings nahe, die analogen Organe anderer bestehender Arten zum Vergleiche herbeizuziehen, doch sollten wir dies nur unter dem Gesichtspunkte einer I lilfe und Anregung für unsere Vorstellungskraft tun, denn um die wahren Stadien kennen zu lernen, müßten wir uns streng an den Stammbaum der einen Spezies bis zu der Wurzel hinab, von der sie ausgegangen ist, halten. Wenn wir z. B. das Auge eines Vierfüßlers betrachten, so können wir wohl das Auge eines Weichtiers oder eines Insekts zu unserer Betrachtung heranziehen als Beweis, was für ein einfaches Organ gewissen Zwecken des Gesichtsinns zu dienen vermag; doch müssen wir zu gleicher Zeit wohl bedenken, daß es bloß einem Zufall zuzuschreiben wäre (angenommen die Stich- haltigkeit meiner Theorie), wenn irgendein bestehender

1) Dies ist eine der deutlichsten Anspielungen des vorliegenden Essays auf die eventuelle Bedeutung der Sprungvariationen oder dessen, was man jetzt als Mutationen zu bezeichnen pflegt. Wie bekannt, hat Ch. Darwin späterhin bezweifelt, ob Arten in dieser Weise entstehen könnten. S. Origin, Ed. V., S. 103. auch Leben und Briefe, Bd. III., S. 107 der englischen Ausgabe.

[page] Irrtümliche Anschauungen.                            I o

Organismus irgendein Organ in genau derselben Gestalt konserviert haben sollte, wie es in entfernten geologischen Perioden bei einer alten Spezies zu finden war.

Das Wesen und der Zustand gewisser Bildungen ist nach Ansicht mancher Naturforscher nicht sowohl für ihren Be- sitzer von Nutzen1) als in erster Linie zum Besten anderer Arten geschaffen. So hat man geglaubt, daß bestimmte Früchte und Sämereien als Nahrungsmittel für bestimmte Tiere geschaffen worden seien — daß eine Anzahl Insekten, besonders deren Larvenzustand für den nämlichen Zweck existierten —, daß gewisse Fische ihre leuchtenden Farben besäßen, um gewissen Raubvögeln, denen sie zur Nahrung dienen, desto mehr aufzufallen, usw. Könnte dies bewiesen werden (was ich durchaus nicht zugebe), so würde da- mit die Theorie der natürlichen Zuchtwahl gänzlich um- geworfen. Denn es liegt auf der Hand, daß eine Auslese, die auf einem Vorzug beruht, die ein Individuum durch eine leichte Abweichung vor seinesgleichen genießt, niemals eine Körperbildung oder eine Eigenschaft erzeugen wird, die nur für eine andere Spezies von Nutzen ist. Zweifellos nützt ein Geschöpf die Eigenschaften eines anderen aus und kann sogar dessen Ausrottung verursachen. Aber dieser Um- stand beweist durchaus nicht, daß jene Eigenschaften für diesen Zweck geschaffen worden waren. Es mag für eine Pflanze von Vorteil sein, wenn ihre Samen für Tiere An- ziehungskraft besitzen, vorausgesetzt, daß von hundert oder tausend Samen einer unverdaut wieder abgeht und auf diese Weise die Verbreitung unterstützt. Die leuchtenden Farben eines Fisches aber mögen ihm zum Vorteil dienen, oder mögen das Resultat gewisser Verhältnisse an besonders günstigen Futterplätzen sein, obwohl der Fisch dadurch dem Raube seitens gewisser Vögel leichter anheimfällt.

i) S. Origirt, Ed. I., S. 210, Ed. VI., S. 322, wo diese Ding« in bezug aul Instinkte besprochen werden, mit der Nebenbemerkung, daß jene An schauung sich auch auf den Körperbau bezöge Auch in Origin, Ed. I., S. 87, Ed. VI., S.106 wird das Thema ganz allgemein erwähnt.

[page] 180 Variation der Instinkte una anderer geistiger Eigenschaften.

Wenn wir, anstatt wie soeben bestimmte individuelle Or- gane ins Auge zu fassen, um die Stufen zu rekonstruieren, mittels deren die einzelnen Organteile zur Ausbildung und Auslese gelangten, nunmehr das ganze Individuum ins Auge fassen, so begegnen wir derselben oder einer noch größeren Schwierigkeit, die aber, ebenso wie im Fall der einzelnen Organe, gänzlich auf unserer eigenen Unwissenheit beruht. So könnte man z. B. fragen, durch welche Ubergangsformen eine Fleder- maus hindurchgegangen sein mag; dieselbe Frage könnten wir aber auch bezüglich des Seehundes stellen, wenn uns nicht zufällig der Fischotter und andere halb-wasserlebende fleischfressende Säugetiere bekannt wären. Was nun die Fledermaus betrifft, wer sagt uns denn, welches die Gewohn- heiten irgendeiner vorelterlichen Form mit weniger ent- wickelten Flügeln gewesen sein mögen; besitzen wir doch heutzutage noch insektenfressende Opossums und pflanzen- fressende Eichhörnchen, die hauptsächlich zu einem Gleiten durch die Luft geeignet sind?1) Eine existierende Fledermausart hat teilweise aquatische Gewohnheiten.1) Spechte und Baumfrösche sind besonders dem Klettern auf Bäumen angepaßt; doch kennen wir von beiden Tierformen Arten, welche die offenen Ebenen des La Plata bewohnen, auf denen Bäume überhaupt nicht vorkommen. Aus diesem Umstand möchte ich folgern, daß ein zum Bäumeklettern be- sonders geeigneter Körperbau von Formen eines Landes abstammen kann, wo überhaupt kein Baum vorkommt.5)

i) (Anmerkung des Originals. > Niemand wird bestreiten, daß dies Gleiten für die betreffende Spezies sehr nützlich, wahrscheinlich aber notwendig ist.

2)  (Anmerkung des Originalst Ist dies Galcopithecus? Ich habe es vergessen. (Von Galeopithecus oder „dem fliegenden Lemur" wird in dem entsprechenden Passus von Origin, F.d. I., S. 181, Ed. VI., S. 217 gesagt, daß man ihn früher den Fledermäusen zuzuzählen pflegte. Irh weiß nicht, warum von ihm gesagt wird, daß seine Gewohnheiten teil- weise aquatische seien.>

3)  In Origin, F.d. VI. modifiziert Ch. Darwin seine Behauptung, daß

jener Vogel nie auf Bäume klettert; er fügt dort auch einen Satz des

[page] Landtiere und iVasserlüre.

181

Trotz dieser und einer Menge anderer wohlbekannter Tat- sachen haben verschiedene Autoren behauptet, daß eine, nehmen wir an fleischfressende, Art niemals in eine andere, z. B. in eine Fischotter übergehen könne, weil auf den Über- gangsstadien ihre Gewohnheiten den äußeren Verhältnissen nicht angepaßt sein würden. Nun ist aber z. B. der Jaguar1) seinem Körperbau nach ein durchaus erdlebendes Tier, das trotzdem viel ins Wasser geht und eine Menge Fische fängt. Wird man es nun für unmöglich erklären, daß die Verhält- nisse seines Landes sich in der Weise verändern, daß der Jaguar gezwungen würde, noch mehr von Fischen zu leben als jetzt? Und ist es in diesem Falle nicht denkbar, nein mehr als denkbar, sehr wahrscheinlich, daß jede entsprechende kleine Abweichung in den Instinkten, den Körperformen, der Breite der Tatzen, der Ausdehnung der Haut zwischen den Zehen (die jetzt schon die Zehenwurzeln verbindet) so ausgezeichneten Individuen eine bessere Anwartschaft verleihen würde, zu überleben und Junge mit ähnlichen, kaum bemerkbaren (doch äußerst gut verwendbaren) Ab- weichungen zu erzeugen?2) Wer kann sagen, wie viel sich auf diese Weise im Laufe von zehntausend Generationen erreichen läßt? Wer vermöchte diese selbige Frage im Hin- blick auf Instinkte zu beantworten? Kann man dies aber nicht, so darf die Möglichkeit (denn die Wahrschein- lichkeit betrachten wir vorläufig nicht), daß einfache Organe oder organische Wesen sich durch natürliche Zucht- wahl und die Wirkungen äußerer Einflüsse zu komplizier- teren umwandeln, nicht kurzerhand zurückgewiesen werden.

Inhalts bei, daß, laut Hudson, dieser Specht in andern Distrikten auf Bäume klettert und Löcher bohrt. S. Darwins Artikel in Zoolog, Soe. Proe. 1870, sowie Leben und Briefe, Bd. HI, S. 154.

1)  Diese Notiz stammt von dem verstorbenen Alfred Newton. Richardson in Fauna Horeali-Amerkana I., S. 49.

2)  < Anmerkung des Originals) S. bei Richardson ein viel besseres Beispiel des Mink (Mustela vison\ der ein halbes Jahr wasserlebcnd ist. (Erwähnt in Origin, Ed. I., S. 179. Kd. VI., S. 216.)

[page] IL TEIL.1)

ÜBER ZEUGNISSE ZU GUNSTEN UND UNGUNSTEN DER ANSCHAUUNG, DASS ARTEN AUF NATÜR- LICHEM WEGE ENTSTANDENE UND AUS GEMEIN- SAMEM STAMME HERVORGEGANGENE RASSEN

SIND.

VIERTES KAPITEL.

ÜBER DIE ANZAHL VON ZWISCHENFORMEN, WELCHE DIE THEORIE EINER GEMEINSAMEN ABSTAMMUNG VERLANGT UND ÜBER DEREN FEHLEN IM FOSSILEN

ZUSTAND.

Ich muß hier vorausschicken, daß nach der allgemein verbreiteten Ansicht jene Myriaden von Organismen, die während vergangener und gegenwärtiger Zeiten diese Welt bevölkert haben, durch entsprechend zahlreiche einzelne Schöpfungsakte entstanden sind. Über den Willen des Schöp- fers zu argumentieren ist zwecklos, und deshalb können wir, von jener Anschauung ausgehend, auch keinen Grund ausfindig machen, weshalb der individuelle Organismus nach einem bestimmten Plan geschaffen sein sollte oder nicht. Daß aber alle Organismen dieser Welt nach einem bestimmten Plan erzeugt sind, geht aus ihrer allgemeinen Verwandtschaft mit Sicherheit hervor. Läßt sich des weiteren beweisen, daß dieser Plan derselbe ist, der sich bei der Abstammung ver- wandter Organismen von gemeinsamen Stämmen ergibt,

i) In Qrigin fällt die Einteilung des Werks in I und II. Teil fort. Im Manuskript dieses Essays wurden die Kapitel des II. Teils neu numeriert, so daß dies Kapitel das I. Kapitel des zweiten Teils bildet. Ich habe es indessen vorgezogen, es als IV. Kapitel zu bezeichnen, da Anzeichen dafür vorliegen, daß auch Ch. Darwin diese Absicht hatte. Es entspricht dem IX. Kapitel von Origin, Ed. L; dem X. Kapitel von Ed. VI.

[page] Schöpfung und Entwicklung.                           j g 3

so wird es dadurch sehr unwahrscheinlich, daß letztere durch individuelle Willensakte des Schöpfers entstanden sind. Denn mit ebendemselben Rechte könnte man sagen, daß, wiewohl sich die Planeten in Bahnen bewegen, die den Gesetzen der Schwerkraft entsprechen, wir trotzdem den Lauf eines jeden Planeten einem persönlichen Willensakt des Schöpfers zuzuschreiben haben.1) Es stimmt in jeder Beziehung besser mit dem, was wir über die Lenkung dieser Erde wissen, überein, daß der Schöpfer nur allgemeine Gesetze gegeben hat. Solange die Methode noch nicht bekannt war, mittels derer sich Rassen aufs vollkommenste ver- schiedenen Lebensbedingungen anzupassen vermögen, während man die Existenz der Arten durch die Unfruchtbarkeit der Bastarde2) für erwiesen hielt, war es zulässig, jeden Organis- mus einem persönlichen Schöpfungsakt zuzuschreiben. Doch glaube ich, in den zwei vorhergehenden Kapiteln bewiesen zu haben, daß unter entsprechenden Lebensbedingungen die Erzeugung wunderbar angepaßter Arten sehr wohl möglich ist. Gibt es nun direkte Zeugnisse, die zugunsten oder aber zuungunsten dieser Anschauung sprechen? Meine Ansicht ist die, daß die geographische Verbreitung der Or- ganismen in Vergangenheit und Gegenwart, die Art der Ver- wandtschaft, die sie miteinander verbindet, sowie ihre sogenannten „metamorphischen" und „abortiven" Organe

1)  Im Essay von 1842 zieht Ch. Darwin ebenso wie hier die Astronomie zur Illustration seiner Gedanken herbei. In Origin ist dies unterlassen worden und die Erwähnung sekundärer Ursachen mehr allgemein gehalten, s. dort Ed. I., S 488, VI., S. 663.

2)  Es ist interessant zu sehen, welcher hervorragende Platz hier dem Argument von der Sterilität eingeräumt ist. An einer entsprechenden Stelle von Origin, Ed. I., S. 480, VI, S. 659 wird dieser Funkt summarischer behandelt. Dort gibt Ch. Darwin als hauptsächlichste Schranke gegen die Annahme des Entwicklungsgedankens an, daß „wir, immer sehr zögern, eine große Änderung einzuräumen, deren Zwischenstufen wir nicht zu sehen vermögen", worauf er auf Lyell und dessen Ansichten über geo logische Vorgänge zu sprechen kommt. Man wird sich entsinnen, daß die Frage der Unfruchtbarkeit für Huxley eine besondere Schwierigkeit geblieben ist.

[page] 184

Zwischenfortnen.

zugunsten meiner Anschauung sprechen. Anderseits spricht die Unvollständigkeit der Belege einer lückenlosen organischen Serie, welch letztere, wie wir in folgendem sehen werden, für unsere Theorie unerläßlich ist, gegen diese, und zwar ist dies der gewichtigste Einwand, der gegen sie gemacht werden könnte.1) Aber selbst in diesem Punkte sind die Zeugnisse, soweit wir solche besitzen, günstig; und wenn wir die Unvollkommenheiten unseres Wissens besonders in Beziehung auf die Vergangenheit in Betracht ziehen, müßte es uns direkt wundernehmen, falls unsere aus diesen Quellen geschöpften Belege nicht ebenfalls unvollkommen wären. Wenn ich annehme, daß Arten in analoger Weise ent- standen sind, wie die Varietäten domestizierter Tiere und Pflanzen, so müssen auch Zwischenformen zwischen allen Arten derselben Gruppe bestanden haben, die voneinander nicht stärker abweichen als dies bei anerkannten Varietäten der Fall ist. Man darf sich dies nicht so vorstellen, als ob not- wendigerweise Formen existiert haben müßten, die im Charakter genau zwischen den beiden Spezies einer Gat- tung oder selbst zwischen zwei Varietäten einer Spezies stün- den, aber es ist notwendig, daß zwischen einer Spezies oder Varietät eines gemeinsamen Vorfahrs und diesem selbst sowie zwischen einer anderen Spezies oder Varietät des gemeinsamen Vorfahrs und diesem selbst jede denk- bare Zwischenform existiert haben muß. So zum Beispiel ist es nicht unbedingt nötig, daß jemals eine Serie von zwischenliegenden Subvarietäten (die nicht stärker von- einander abzuweichen brauchten als die gelegentlichen Sämlinge aus derselben Samenkapsel) zwischen Broccoli und dem gewöhnlichen Rotkohl bestanden haben müssen. Wohl aber ist es sicher, daß sowohl zwischen der Broccoli- pflanze und der ursprünglich wilden Kohlpflanze als auch zwischen dem Rotkohl und der ursprünglichen Kohlpflanze eine Reihe solcher Zwischenformen bestanden hat: woraus

i) Ähnliche Sätze befinden sich in dem Essay von 1842, S. 53 Anm. 2 und in Origin, Ed. I., S. 299.

[page] Anzahl der Formen, die existiert haben müssen.            185

hervorgeht, daß Broccoli und Rotkohl wohl in Verbindung stehen, jedoch nicht notwendigerweise durch direkte Zwischenformen.1) Natürlich ist es immerhin möglich, daß solche direkte Zwischenformen bestanden haben, denn die Broccolipflanze könnte vor langer Zeit aus einer gewöhn- lichen Rotkohlprlanze und diese aus der wilden Kohlpflanze hervorgegangen sein. Ebenso muß es sich nach meiner Theorie mit den Arten derselben Gattung verhalten haben. Noch mehr muß die Vorstellung vermieden werden, daß notwendiger- weise (obwohl eine von der anderen abstammen mag) direkte Zwischenformen zwischen zwei Gattungen oder Familien existiert haben müßten — so z. B. zwischen der Gattung Sus und dem Tapir2;; obwohl es notwendig ist, daß Zwischen- formen (die nicht stärker voneinander abzuweichen brauchten als die Varietäten unserer Haustiere) zwischen Sus und einem unbekannten Vorfahren sowie auch zwischen dem Tapir und jenem selben unbekannten Vorfahren existiert haben müssen. Letzteres kann von Sus sowohl wie vom Tapir stärker unterschieden gewesen sein, wie diese beiden Gat- tungen sich gegenwärtig voneinander unterscheiden. In diesem Sinne hat. nach unserer Theorie, ein allmählicher Übergang (dessen Abstufungen nicht größer waren als bei unseren häuslichen Varietäten) zwischen den Arten derselben Gat- tung, zwischen den Gattungen derselben Familie und zwischen den Familien derselben Ordnung stattgefunden und so weiter, was wir an den weiter unten anzuführenden Tatsachen erkennen werden. Die Anzahl der Formen aber, die in ver- gangenen Perioden existiert haben, und einen solchen Über- gang zwischen verschiedenen Spezies, Gattungen und Fa- milien vermittelt haben müssen, dürfte von nahezu unzähl- barer Größe gewesen sein.

Was für Zeugnisse besitzen wir nun für die Existenz einer Anzahl von Zwischenformen, die im oben geschilderten Sinne

1)  In Origin, Ed. [., S 280, VI, S. 414 benutzt Cli. Darwin seine neu- erworbenen Kenntnisse der Tauben, um diesen Punkt zu illustrieren

2)  Vergleiche Origin, Ed. L, S. 281, VI., S. 414.

[page] i So                                    Ziuischenformen.

einen Übergang zwischen den Arten derselben Gruppen gebildet haben?1) Einige Naturforscher haben die Ansicht ausgesprochen, daß wir, wenn alle die Fossilien, die jetzt vergraben liegen, und alle existierenden Spezies versammelt wären, eine vollkommene Reihenfolge in jeder der großen Klassen erhalten würden. Ich selbst halte diese Annahme für sehr unwahrscheinlich in Anbetracht der außerordentlich großen Zahl von Arten, die dazu erforderlich wären, zumal im oben dargelegten Sinne die jetzt existierenden Arten nicht unmittelbar durch Zwischenformen verbunden zu denken sind, sondern der Zusammenhang durch einen gemeinsamen wie- wohl seinerseits häufig weit abweichenden Vorfahren geht. Natürlich bin ich aber weit davon entfernt, die mutmaßliche Menge der fossilen Arten zu unterschätzen; kann doch niemand, der den großartigen Fortschritt der Paläontologie während der wenigen letzten Jahre beobachtet hat, bezweifeln, daß wir bisher nur einen äußerst geringen Bruchteil der in der Erd- rinde begrabenen Arten gefunden haben. Obwohl aber nun die fast zahllosen Zwischenformen bei keiner einzigen Klasse konserviert sein dürften, geht daraus noch nicht hervor, daß sie nicht existiert haben. Wichtig ist die Tatsache, daß alle bisher gefundenen Fossilien, wenn auch noch nicht in aus- reichendem Maße, dazu behilflich waren, jene Serie zu ver- vollständigen, denn, wie Buckland bestätigt hat, fallen sie sämtlich in oder zwischen die existierenden Gruppen.*) Diejenigen Arten aber, die zwischen unsere existierenden Gruppen hineinfallen, tun dies in der von unserer Theorie geforderten Weise, indem sie nämlich nicht direkt zwei existierende Arten verschiedener Gruppen, sondern die Gruppen selbst verknüpfen. So z. B. sind die Dickhäuter und Wiederkäuer gegenwärtig durch mehrere Merkmale voneinander unterschieden, so besitzen die Dickhäuter8)

i) Origin, Ed. I, S, 301, VI., S. 440.

2) Origin, Ed. I , S. 329, V71.

3 Die Struktur des Pachydermenbeins war ein Lieblingsthema von

Ch. Darwin. Es findet auch schon in dem Essay von 1842 Erwähnung The CorriDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Dickhäuter und Wiederkäuer.

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sowohl eine Tibia als auch eine Fibula, während die Wieder- käuer nur eine Tibia aufweisen. Nun besitzt die fossile Macrau- chenia ein Beinskelett, das gerade zwischen diesen beiden Formen in der Mitte steht, und außerdem noch andere Zwischen- charaktere. Indessen verknüpft die Macrauchenia nicht etwa irgendeine Spezies der Dickhäuter mit irgendeiner anderen der Wiederkäuer, aber sie zeigt doch, daß diese zwei Gruppen ehemals weniger weit voneinander getrennt waren. So waren Fische und Reptilien auch ehemals in manchen Punkten enger miteinander verbunden als dies jetzt der Fall ist. Bei denjenigen Gruppen, bei denen die größten Veränderungen stattgefunden haben, liegen die Dinge meist folgendermaßen: je älter die fossile Form ist, um so mehr pflegt sie, wenn sie nicht identisch mit einer rezenten Form ist, zwischen die existierenden Gruppen zu fallen oder mit kleinen existierenden Gruppen, die jetzt zwischen größeren Gruppen liegen, übereinzustimmen. Fälle, wie der oben- erwähnte, deren es eine Menge gibt, bilden Stufen, wenn auch verhältnismäßig noch wenige und vereinzelte, in jener Serie, deren ich zur Bestätigung meiner Theorie bedarf.

Ebenso, wie ich die starke Unwahrscheinlichkeit ein- geräumt habe, daß wir, auch wenn jedes vorhandene Fossil ausgegraben würde, innerhalb jeder der großen Abteilungen der Natur eine vollständige Serie der erforderlichen Art erhalten würden, ebenso gebe ich auch zu, daß, wenn jene Geologen im Recht sind, welche die niedrigste bekannte Formation für identisch mit dem ersten Auftreten des Lebens halten1), oder die verschiedenen Formationen für eine lücken- lose Kette, oder jede einzelne Formation für ein vollkommenes

und zwar auf S. 83. In dem vorliegenden Essay scheint folgende Rand bemerkung sich auf Pachydermaten und Wiederkäuer zu beziehen. ,,Kein Zweifel, daß, wenn wir alle Fossilien verbannen, existierende Gruppen vereinzelter stehen" Folgender Satz findet sich außerdem noch zwischen den Zeilen „Die frühesten Formen würden so zu denken sein, daß spätere radienfürmig von ihnen ausstrahlten". 1) Origin, Ed. I., S. 307, VI., S. 448.

[page] I 88                                    Zwischen formen.

Register der Organismen, die während der ganzen Periode ihrer Entstehung jene Region der Erde bevölkerten — daß wenn, wie gesagt, jene im Rechte sind, meine Theorie auf- gegeben werden muß.

Wenn das paläozoische System wirklich identisch mit dem ersten Erscheinen der Lebewesen wäre, müßte meine Theorie aufgegeben werden, und zwar sowohl weil die sich dadurch ergebende Kürze der Zeit die Gesamtsumme der Formen, die auf der Erde existiert haben, zu sehr beschränken würde, als auch weil die Organismen, sowohl Fische, Mollusken1) wie Seesterne, die man in diesen Schichten findet, nicht als die Stammformen all der späteren Arten dieser Klassen an- gesehen werden können. Aber bis jetzt ist es noch niemandem gelungen, die Beweise, die Lyell und Hutton dafür vor- bringen, daß die tiefsten der uns bekannten Formationen einfach solche sind, die der Metamorphose entgangen sind, umzustoßen. Wenn wir nur Teilgebilde, selbst solche von ansehnlicher Ausdehnung, ins Auge gefaßt haben würden, hätten wir sogar zu der Ansicht verleitet werden können, daß das Leben zuerst in der Kreide in Erscheinung getreten sei.

Allerdings gibt es auf Grund der Befunde, daß das silurische System stellenweise als das tiefste auftritt, ohne meta- morphosierte Schichten unter sich zu haben, einige Ein- würfe gegen die Anschauungen von Hutton und Lyell. Doch darf man nicht vergessen, daß das gegenwärtig frei- liegende Festland nur ein Fünftel der Erdoberfläche dar- stellt, und daß dieser Bruchteil nur unvollständig bekannt ist. Bezüglich des seltenen Vorkommens von Organismen in den silurischen und den anderen paläozoischen Formationen ist die Schwierigkeit geringer, denn man kann erwarten, daß Formationen von so ungeheuerem Alter (ganz abgesehen

i) (Bleistiftnotiz des Yerfassers:> Die Stammformen der Mollusken

würden wahrscheinlich von allen lebenden stark abweichen; es verhält

sich nicht so, daß irgendeine Molluskcngruppe sich von Anbeginn bis heute

unverändert erhalten hat. während andere sich aus ihr in abweichenden

Linien entwirkelLhaben. ..,, . > _. . _.          ,_. ,.

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[page] Dauer geologischer Perioden.                          igo,

von ihrem durch den Zeitablauf bewirkten Zerfall) der De- nudation nur dann stellenweise entgehen, wenn ihre An- häufung über einen weiten Bezirk hin stattgefunden hat, und sie alsdann durch ungeheure Massen darüber geschichteter Ablagerungen geschützt worden sind. Diese Bedingungen nun treffen nur zu in einem weiten und tiefen Ozean, also unter Verhältnissen, die für die Anwesenheit vieler Lebe- wesen nicht günstig sind. Ein schmaler und nicht sehr tiefer Streifen jener Stelle der Küste, wo Lebewesen am reichlichsten vorkommen, würde dagegen keine Chancen haben, der De- nudation zu entgehen und von so enorm entlegenen Zeiten bis zur Gegenwart aufbewahrt zu werden.1)

Wenn wirklich die verschiedenen bekannten Formationen sich zeitlich auch nur annähernd aneinander anschließen und ein einigermaßen vollständiges Verzeichnis der derzeit existie- renden Organismen darstellen, so muß meine Theorie auf- gegeben werden. Wenn wir aber die starken Veränderungen in der Gesteinzusammensetzung und im Bau der sukzessiven Formationen in Betracht ziehen, so wird uns klar, welche enormen und durchgreifenden Wechsel die geographische Be- schaffenheit der betreffenden Länder durchgemacht haben muß, um das Wesen der Ablagerungen ein und desselben Be- zirks so radikal zu verändern. Und wie viel Zeit müssen diese Veränderungen in Anspruch genommen haben! Ferner, wie oft hat man nicht beobachtet, daß zwischen zwei gut auf- einander passenden und anscheinend unmittelbar aneinander anschließenden Schichtungen in einem benachbarten Bezirk eine ungeheure Gesteinsmasse gefunden worden ist, die vom Wasser halb zerstört war! In vielen Fällen haben wir gar keinen Anhalt für eine Mutmaßung, wie lang die zwischen zwei aufeinander folgenden Formationen liegende Zeitdauer gewesen sein mag2), denn die in jeder derselben vorkommen- den Arten sind oft gänzlich verschieden. Wie Lyell bemerkt,

i) Origin, Ed. L, S. 291, VI., S. 426.

2) <Anmerkung des Originals.) Beachte das Auftreten der Kreide,

deren Ausdehnung von Island bis zur Krim.

[page] I qo                                      Zwischenformen.

dürfte in einigen Fällen eine ebenso lange Periode zwischen zwei Formationen liegen, als das ganze, an sich schon durch weite Lücken unterbrochene Tertiärsystem ausmacht.

Man nehme Einsicht in die Schriften irgendeines Gelehrten, der sich mit irgendeinem Stadium des Tertiär- (oder über- haupt irgendeines beliebigen) Systems beschäftigt hat, und man wird sehen, wie sehr der Betreffende unter dem Ein- druck steht, daß zu der Bildung eines solchen äußerst aus- gedehnte Zeitabläufe erforderlich waren.1) Man bedenke die Zahl der Jahre, die in vielen Fällen seit der Bildung der letzten, nur rezente Arten enthaltenden Lager verstrichen sind. Man lese nach, was Jordan Smith über die 20000 Jahre seit der Erhebung der letzten Ablagerung sagt, die über der schottischen Blockformation liegt, oder über die weit längere Periode, seit die rezenten Lager in Schweden um 400 Fuß gehoben wurden, und schließlich über die enorme Zeitdauer, welche die Blockformation erfordert haben muß, deren Urkunden betreffs der Muscheln, die, wie wir wissen, damals existierten, doch so spärliche sind (und doch hatten genügende Erhebungen stattgefunden, die submarine Ablagerungen heraufbefördert haben müssen). Man bedenke sodann die gesamte Ausdehnung der Tertiärperiode und die mutmaßliche Länge der Intervalle, welche ihre Ablagerungen von denen der Sekundärperiode trennen. Was diese Ab- lagerungen selbst betrifft, so sind die aus Sand und Kieseln bestehenden meistens weder der Einbettung noch der Kon- servierung der Fossilien sehr förderlich gewesen.8)

Es kann aber auch nicht einmal als wahrscheinlich hin- gestellt werden, daß irgend eine sekundäre Formation eine leidliche Urkunde derjenigen Organismen bietet, die am leichtesten zu konservieren sind, nämlich der harten Meeres- tiere. In wie vielen Fällen besitzen wir bestimmte Zeugnisse, daß zwischen der Ablagerung scheinbar unmittelbar nach- einander folgender Lager das tiefere derselben während eines

1)  Origin, Ed. I, S. 282, VI., S. 416

2)   Origin, Ed. L, S. 28S und 300, VI., S. 422, 438.

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[page] Sekundäre Formationen.                              iqi

unbekannten Zeitraumes in Gestalt eines mit Bäumen be- deckten Festlandes existiert hat. Einige der die meisten marinen Überreste enthaltenden sekundären Formationen scheinen in einem ausgedehnten und nicht tiefen Meer ent- standen zu sein und daher konnten nur diejenigen marinen Organismen, die unter solchen Bedingungen leben, darin konserviert- werden. An stark gezackten felsigen Küsten aber oder an sonstigen Strandpartien, wo überhaupt keine Sedimentalablagerung stattfindet, können natürlich, obwohl jene Küsten den Seetieren oft einen äußerst günstigen Stand- ort bieten, keine Organismen eingebettet werden; und wo reiner Sand und Kies sich ablagern, werden nur wenige oder ebenfalls keine erhalten werden. Ich möchte hier den großen westlichen Küstenstrich von Südamerika anführen, der von einer ganz eigentümlichen Meeresfauna bewohnt ist, von der wahrscheinlich kein Denkmal für spätere Zeiten er- halten bleiben wird. Aus diesen Gründen und besonders auch in Anbetracht des Umstandes, daß die litoralen und sublitoralen Ablagerungen in nur geringer Breite längs der steilen Küstenlinie hinlaufen und dadurch der Zerstörung und Ilinwegwaschung um so stärker ausgesetzt werden, sehen wir, weshalb es unwahrscheinlich ist, daß unsere Ab- lagerungen aus der Sekundärzeit eine leidlich vollständige Urkunde der Meeresfauna einer Periode darbieten. Der ostindische Archipel stellt einen Bezirk vor, der an Größe den meisten unserer mesozoischen Ablagerungen gleich- kommt, er besitzt weite und seichte Meeresteile die von Seetieren wimmeln und in denen sich Sediment anhäuft; stellen wir uns nun vor, daß alle die harten Seetiere oder vielmehr alle die Tiere, die harte, leicht zu konservierende Körperteile aufweisen, bis auf spätere Epochen erhalten blieben, mit Ausnahme derjenigen, die an felsigen Küsten lebten, wo kein Sediment oder höchstens etwas Sand und Kies abgelagert wurde, und ferner mit Ausnahme derer, die am Rande der steileren Küsten eingebettet wurden, -wo nur ein schmales Sedimentband sich ansammelte — wie The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] I g 2                                    Zwischcn/omten.

dürftig würde, wenn wir dies annehmen, der Begriff aus- fallen, den ein Angehöriger eines späteren Zeitalters von der Meeresfauna der Gegenwart erhalten würde!

Lyell1) hat die geologischen Serien mit einem Buch ver- glichen, von dem nur die wenigen letzten Kapitel, und diese nicht im Zusammenhang, erhalten worden sind. Man könnte hinzufügen: aus dem sehr viele Blätter herausgerissen worden sind, so daß die übriggebliebenen nur einen sehr dürftigen Teil der Fauna jeder Periode wiedergeben. Auf Grund dieser Anschauung bestätigen die Urkunden verflossener Epochen meine Theorie; auf Grund irgendeiner andern vernichten sie dieselbe.

Und wenn wir die Frage schließlich wie folgt zuspitzen: warum finden wir nicht wenigstens in einigen Fällen jede Ubergangsform zwischen zwei Arten? so können wir hierauf die Antwort geben, daß, wie wir allen Grund haben anzu- nehmen, die durchschnittliche Dauer jeder spezifischen Form einen enormen Zeitablauf bedeutet, und daß der Übergang einer Form in die andere nur auf dem Wege zahlloser kleinster Abstufungen erfolgen kann; daß wir folglich, um jene Uber- gangsformen zu finden, einer Urkunde von höchster Voll- ständigkeit bedürfen würden, deren Vorhandensein wir aus den obengenannten Gründen nicht erwarten dürfen. Man könnte sich vorstellen, daß in einem sehr dicken Vertikal- schnitt durch eine Formation die Vertreter einer Art in den oberen und unteren Teilen dieses Schnittes Variationen zeigen müßten2), aber es muß bezweifelt werden, ob irgend- eine Formation überhaupt so lange ununterbrochen Fossilien angehäuft hat, als die Existenz einer Art dauerte. Wäre dies aber doch der Fall gewesen, so würden wir eine Serie von

i) S Origin, Ed. I., S. 310. VL, S. 452, wo Lyells Gleichnis ebenfalls wiedergegeben ist. Ich verdanke Prof. Judd den Hinweis, daß Ch. Darwins Zitat jenes Vergleichs auf die erste Auflage von Lyells Principles o/Geology, IM. I. und Bd. IV. zurückzuführen ist; s. auch den Essay von 1842, S. 57.

2) S. More Letters, Bd. I, S. 344-47, wo von Ch. Darwins Interesse an den berühmten Beobachtungen von HilgendorfT und Hyatt die Rede ist. The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Lücken der geologischen Urkunde.                      \ q$

Exemplaren von jedem Teil des ganzen Bezirks benötigen. Wie selten wird die Gelegenheit so günstig gewesen sein, daß Sediment sich 20 000 oder jO OOO Jahre an demselben Platz1) angesammelt haben könnte, und zwar unter gleich- zeitiger Senkung des Niveaus, so daß eine genügende Tiefe für das Leben der jeweiligen Arten geschaffen worden wäre. Ein wie großes Maß von Senkung wäre dazu notwendig! Dabei aber dürfte diese Senkung doch die Quelle nicht zer- stören, aus der die Sedimente weitere Zufuhr erhielten. Nehmen wir den Fall der Landtiere: welche Möglichkeit ist vorhanden, daß, wenn die Gegenwart nur noch in der geo- logischen Urkunde der Pleistozenformation vorliegen wird, künftige Geologen die unzähligen Übergangsrassen heraus- finden sollen, durch welche die (auch in ihrer Körperbildung so verschiedenen) kurz- und langhörnigen Rinder bei ihrer Abstammung von derselben elterlichen Form zusammen- hängen?2) Und doch hat jener Übergang in demselben Lande und in einer weit kürzeren Zeit stattgefunden, als dies im wilden Zustande vorzukommen pflegt, beides Punkte, die es einem hypothetischen späteren Geologen in hohem Grade -erleichtern würden, der Yariationenbildung nachzugehen.

FÜNFTES KAPITEL.

ALLMÄHLICHES ERSCHEINEN UND WIEDER- VERSCHWINDEN VON ARTEN.')

Im Tertiärsystem, und zwar in den zuletzt gehobenen Lagern, finden wir alle rezenten und in der engsten Nachbar- schaft des Fundorts lebenden Arten; in etwas älteren Tertiär- schichten finden wir ebenfalls nur rezente Arten, von denen

i) Dies entspricht teilweise dem Text von Qfigin, Ed. I., S. 294, VI., S. 431.           2) Origin, Ed. L, S 29«». VI.. S. 437.

3) Dies Kapitel entspricht dem X. Kap von Origin, Ed. I., S. 312. Jid. VI., Kap. XL, „Über die geologische Aufeinanderfolge der Organismen".

F. Datwin. Fundamente xur S*iatrku*g der Arien.                                  13

Tne ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 14             Erscheinen und Wiederverschwinden von Arten.

einige jedoch nicht in der engsten Nachbarschaft des Fundorts leben; ferner linden wir Lager mit zwei oder drei oder etwai mehr erloschenen oder sehr seltenen Arten; dann eine be- deutend größere Anzahl erloschener Arten, allerdings ohne daß man die Zahlen der durch dieses Erlöschen entstandenen Lücken in eine kontinuierliche Reihe bringen könnte; und schließlich gibt es Lager mit nur zwei oder drei oder nicht einer einzigen lebenden Art. Die meisten Geologen sind der Ansicht, daß die Lücken in dem Prozentsatz, d. h. das wachsende Ansteigen der Zahlen erloschener Arten in den Stadien des Tertiärsystems von der Unvollständigkeit der geologischen Urkunden herrühre. Daher sind wir zu der Annahme be- rechtigt, daß die im Tertiärsystem vorkommenden Arten allmählich aufgetreten sind; und aus Analogiegründen ergibt sich dieselbe Anschauung betreffs der Sekundärformationen. Indessen treten in diesen letzteren meist ganze Gruppen von Arten plötzlich auf; dieses würde sich indessen ganz natür- licherweise dadurch ergeben, daß, wie wir im vorhergehenden Kapitel auseinandergesetzt haben, gerade diese Ablagerungen durch lange Epochen voneinander geschieden sind. Übrigens ist es wichtig, sich darüber klar zu sein, daß in gleichem Schritt mit der Zunahme unserer Kenntnisse auch die Lücken zwischen den älteren Formationen kleiner und seltener werden. Die heutigen Geologen werden sich erinnern, wie sich erst kürzli« h das devonische System zwischen die Kohlen- und die silu- rischen Formationen auf das schönste hat einfügen lassen.1) Ich brauche kaum zu bemerken, daß Vlieses lang- same und allmähliche Erscheinen neuer Formen aus unserer

i) Am Rande findet sich die Notiz „Lonsdale" Dies bezieht sich

auf W. Lonsdales Arbeit „Notes on the Ag$ of t/te IJmestone of South

Devonshire". Geolog. Soc. Trans., 2. Serie, V. Bd., 1840, S. 421 Nack

H B. Woodward (I/istory of the Geologica! Society of London, 1907.

S. 107) führte „Lonsdales wichtige und neuartige Entdeckung von der

Existenz eines vermittelnden Typs paläozoischer Fossilien, den man

später als 'Devon' bezeichnete, zu einer Neugestaltung, welche DM

als die größte bezeichnen muß, die je in der Klassifikation englischer

Formationen .gemacht worden ist1'.                         .

TTTe ComDlete Work or Charles Darwin Online

[page] Allmähliches Erscheinen, allmähliches Verschwinden.          ige

Theorie mit Notwendigkeit hervorgeht. Muß doch, um in eine neue Art überzugehen, eine alte nicht nur mit einer plastischen Organisation begabt sein (was wahrscheinlich meist eine Folge von Änderungen in den Lebensbedingungen ist), sondern es muß im Naturhaushalt des betreffenden Bezirks eine Örtlichkeit entstehen, deren Lebensbedingungen die Auslese gewisser neuer Abänderungen im Körperbau des betreffenden Organismus unterstützen und diesen dann seiner Umgebung besser angepaßt erscheinen lassen als die andern Individuen derselben oder einer andern Spezies.1)

Ebenso wie es uns die Befunde des Tertiärsystems als wahrscheinlich erscheinen lassen, daß neue Arten allmählich aufgetreten sind, ebenso nötigen sie uns auch zu der An- nahme, daß die alten allmählich untergegangen sind, und zwar nicht gruppenweise, sondern eine nach der andern; und durch Analogie sehen wir uns veranlaßt, diese Anschau- ung auch auf die sekundäre und palaeozoische Epoche aus- zudehnen. In einigen Fällen, so z. B. bei der Senkung eines riachen Landesteils, oder dem Zerreißen, wie auch dem Zusammenschluß einer Landenge und dem plötzlichen Ein- dringen vieler neuer und feindseliger Arten könnte allerdings ein plötzliches örtliches Untergehen von Arten stattfinden. Die von vielen Geologen gehegte Anschauung, daß die ganze Fauna jeder Epoche der Sekundärzeit überall über die ganze Welt hin zerstört worden sei, so daß keine Nachfolge als Basis für neue Formen habe übrigbleiben können, würde den Untergang meiner Theorie bedeuten, doch sehe ich absolut keinen (irund. weshalb einer solchen Anschauung statt- gegeben werden sollte. Im Gegenteil scheint mir das Gesetz recht zu haben, welches von mehreren Beobachtern, die sich unabhängig voneinander mit ganz verschiedenen Epochen beschäftigt haben, aufgestellt worden ist, nämlich, daß der

i) <Anmerkung im Original") Lieber mit diesem anfangen. Wenn Arten wirklich, nach Katastrophen, wie Regen über das Land gestreut werden, meine Theorie falsch. <Mn der obigen Stelle befindet sich Darwin offenbar schon ganz dicht an seiner Divergenztheorie.> The Comolete Work of Charles Darwin Online*

[page] iq6               Erscheinen und Wiederverschwinden von Arten.

zeitliche Bestand einer Art im Verhältnis zu der Ausdehnung ihres geographischen Gebiets steht; dieses Gesetz würde aber der Hypothese einer allgemeinen Austilgung aufs schärfste widersprechen.1) Die Tatsache, daß die Arten der Säuge- tiere und Fische sich schnelleren Schrittes zu verändern scheinen als die der Mollusken, selbst wenn man beiderseits speziell die wasserlebenden Formen vergleicht; daß die land- bewohnenden Gattungen sich schneller verändern als die meerbewohnenden; ferner, daß die marinen Mollusken sich schneller verändern als die mikroskopischen Lebewesen, alles dies scheint mir zu bestätigen, daß das Verloschen und das Erscheinen von Arten nicht von allgemeinen Kata- strophen, sondern von den besonderen Beziehungen der jeweiligen Tierklassen zu den äußeren Verhältnissen, denen sie ausgesetzt sind, abhängig ist.2)

Manche Autoren scheinen die Tatsache, daß einige noch lebende Arten mitten unter einer Menge fremder und unter- gegangener überlebt haben3), als Gegenbeweis gegen die Theorie von der Veränderbarkeit der Arten anzusehen; es war dies z. B. bei einer Schildkröte und einem Krokodil noch lebender Arten der Fall, die man unter vielen sonst aus- gestorbenen subhimalayischen Fossilien fand. Dies würde zweifellos stimmen, wenn wir mit Lamarck eine inhärente Neigung zu Veränderung und Entwicklung bei sämtlichen Arten von Lebewesen voraussetzten, eine Hypothese, für deren Richtigkeit ich keine Beweise ausfindig machen kann. Von einigen gegenwärtig lebenden Arten, von denen wir sehen, daß sie einem ausgedehnten Kreise von Lebens- bedingungen angepaßt sind, können wir getrost annehmen,

i) An den Rand dieser Sätze hat Ch. Darwin notiert „D'Archiac, Forbes, Lyell".

2)  Diese Stelle, für deren Inhalt der Verfasser als Gewährsmanner die Namen Lyell, Forbes und Ehrenberg anführt, entspricht teilweise Qrigin, Ed. L, S. 3*3. VI., S. 454.

3)  Hierfür wird vom Verfasser Falconer als (Gewährsmann bezeichnet,

s. Qrigin, Ed. I., S. 313, VI S.,454. ,                      _ ..

The ComDlete Work ot Charles Darwin Online

[page] Erlöschen von Affen.

197

daß sie unverändert und unerloschen lange Zeitperioden hindurch bestehen werden, und zwar deshalb, weil Zeitdauer, aus geologischen Gründen, ein Korrelat der wechselnden Lebensbedingungen zu sein pflegt. Wie es aber zugeht, daß die eine Art sich verschiedenen Lebensbedingungen in weitestem Umfang und eine andere nur einem begrenzten Kreise solcher anpaßt, ist schwer zu erklären.

ERLÖSCHEN VON ARTEN.

Das Erlöschen der größeren Säugetiere, deren Lebens- bedingungen wir einigermaßen zu kennen glauben, hat kaum mehr Erstaunen erregt, als das Erscheinen neuer Arten, und hat, wie ich glaube, hauptsächlich mit zu der Annahme allgemeiner Katastrophen geführt. Wenn man das wunder- bare Verschwinden der zahlreichen großen und kleinen Säugetiere Südamerikas betrachtet, das erst in einer späten Periode, als bereits rezente Schaltiere vorhanden waren, eintrat, fühlt man sich stark dazu getrieben, den Kata- strophisten beizustimmen. Doch glaube ich, daß über diese Frage sehr irrige Ansichten im Schwange sind. Soviel uns historisch bekannt ist, hat das Erlöschen der Arten in einem beliebigen Lande langsam stattgefunden — man sieht die Vertreter einer Art seltener und seltener werden, sodann zunächst in einem bestimmten Bezirk und schließlich gänzlich erlöschen.1) Hier könnte man einwenden, daß dies eine Folge eines direkten Eingreifens von Seiten des Menschen oder doch eine Folge seiner indirekten Einwirkung gewesen sei, insofern er den ganzen Zustand des betreffenden Landes veränderte; in letzterem Falle ließe sich übrigens eine scharfe Grenze zwischen menschlichen und natürlichen Einflüssen nicht ohne weiteres ziehen. Aber wir wissen jetzt durch die Funde der späteren Tertiärschichten, daß Schaltiere in den sukzessiven Lagern seltener und seltener werden und schließ- lich erlöschen; auch hat man bezüglich gewisser fossil auf-

1) Dies entspricht annähernd Origin, Ed. I., S. 317, VI., S. 458-

[page] ig8            Erscheinen und Wiederverschwinden von Arten,

gefundener Schaltiere zunächst angenommen, daß sie er- loschen seien, dann aber gefunden, daß sie, obwohl sehr seltenen, doch lebenden Arten angehörten.1)

Lassen wir die Regel gelten, daß Organismen aussterben, indem sie seltener und seltener werden, so dürfen wir ihr Erlöschen, selbst wo es sich um die größeren Vier- füßler handelt, nicht als etwas so Wunderbares be- trachten, noch als etwas, das ganz außerhalb des ge- wöhnlichen Ganges der Ereignisse steht. Denn kein Naturforscher sieht es als etwas Wunderbares-an, daß die eine Art einer Gattung selten und eine andere häufig ist, obwohl er meist ganz außerstande ist, die Gründe jener verhältnismäßigen Seltenheit zu erklären.2; Warum ist die eine Art des Weidenzeisigs oder des Falken oder des Spechts in England häufig und die andere außerordentlich selten? Warum am Kap der Guten Hoffnung eine Art Rhinozeros oder Antilope so viel häufiger als irgendeine andere? Warum, frage ich weiter, ist eine bestimmte Art in dem einen Bezirk eines Landes so viel häufiger als in einem anderen? Zweifellos sind für diese Erscheinungen in einem jeden Falle gute Gründe vorhanden; aber sie sind uns unbekannt und nicht bemerk- bar. Können wir hieraus nicht mit Sicherheit folgern, daß ebenso wie gewisse Ursachen unbemerkt um uns herum am Werke sind und bewirken, daß die eine Art häufig und eine andere außerordentlich selten ist, ebensogut auch das allmähliche völlige Erlöschen einer Art vor sich gehen kann, ohne von uns bemerkt zu werden? Wir sollten stets vor Augen haben, daß in jedem Lebewesen ein sich stets erneuernder Kampf ums Dasein stattfindet, und daß in jedem Lande und zwar fortdauernd ein zerstörenderFaktorder Tendenz der Organismen, sich in geometrischem Verhältnis zu vermehren,

1)  In Origin, Ed. L, S. 321, VI., S. 463, wird hierfür das Beispiel von Trigonia, einer bedeutenden Gattung der Sekundärzeit angeführt, die, auf eine einzige Spezies beschränkt, in den australischen Meeren noch heute existiert.

2)  Dieser Punkt, auf den Darwin viel Gewicht legte, wird auch in Origin, Ed. I., S. 319, VI., S. 461 besprochen.

[page] Ursachen des Versckwindens.

igo

die Wage hält; doch können wir nicht einmal mit Sicherheit sagen, in welcher Periode des individuellen Lebens oder des Jahres diese Zerstörung am stärksten eingreift. Können wir demnach erwarten, die Schritte verfolgen zu können, mittels derer diese zerstörende, stets weiterwirkende und uns doch kaum bemerkbare Macht fortschreitet? Und selbst wenn sie noch so langsam fortschreitet (ohne daß die Fruchtbarkeit der von ihr bedrohten Arten dies in gleichem Maße tut), so muß die Durchschnittszahl der betreffenden Art zurückgehen und diese letztere schließlich ganz zum Verschwinden gelangen.

Ich möchte hier ein Beispiel anführen, wo eine Hem- mung eine lokale Austilgung zur Folge hatte, die eventuell lange Zeit hätte unbemerkt bleiben können1): das Pferd, das am La Plata und in den abwechselnd ausgedörrten oder überschwemmten Ebenen von Caracas, die ihm scheinbar die ungünstigsten Lebensbedingungen bieten, in Menge wild zu finden ist, kommt in dem zwischen den beiden eben genannten Ländern befindlichen Staat Paraguay über einen gewissen Längengrad hinaus nicht in wildem Zustand vor. Dieses ist dem Umstand zuzuschreiben, daß gewisse Fliegen ihre Eier in den Nabel der neugeborenen Fohlen dieser Tiere zu legen pflegen; da es indessen in dem- selben Paraguay dem Menschen gelingt, mit Aufwendung von ein wenig Sorgfalt gezähmte Pferde in größtem Umfange aufzuziehen, so muß man annehmen, daß das Erlöschen der wilden Pferde in diesem Lande teilweise eine Folge der Kom- plikation jenes erwähnten Übelstandes mit gelegentlichen durch die Dürre hervorgerufenen Hungersnöten, mit den An- griffen des Jaguars und anderen derartigen Gefahren ist. Auf den Falklandsinseln wird die Hemmung in der Zu- nahme der wilden Pferde auf das Zugrundegehen der säugen- den Fohlen zurückgeführt2); dort zwingen nämlich die Hengste bei der Suche nach Futter die Stuten, durch Sümpfe und Felsgestein zu wandern, so daß, wenn das Weideland auf diesen Inseln sich nur um ein weniges verringerte, das

1) S. Origin, Ed. I, S. 72, VI., S. 8g. 2) Dieses Beispiel fehlt in Origin. The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 200            Erscheinen und Wiederverschivinden von Arten.

Pferd wahrscheinlich aufhören würde, dort wild vorzukommen und zwar nicht wegen absoluten Futtermangels, sondern wegen der Ungeduld der Hengste, ihre Stuten während des Säuglingszustands der Fohlen zum Wandern zu zwingen.

Auf Grund unserer engeren Bekanntschaft mit den Haus- tieren können wir uns deren Erlöschen ohne eine in die Augen springende Ursache nicht vorstellen; wir vergessen, daß sie sich zweifellos im Naturzustand (wo stets andere Geschöpfe bereit sind, ihre Stelle einzunehmen) auf irgendwelcher Etappe ihres Lebens einem zerstörenden Faktor gegenüber befinden würden, der ihre Zahlen ungefähr konstant erhielte. Wenn unser gewöhnliches Rind uns nur als wilde südafri- kanische Art bekannt wäre, würden wir uns nicht weiter wundern, zu hören, daß wir eine sehr seltene Art in ihm zu erblicken hätten; und diese Seltenheit würde eine Stufe auf dem Wege des Erlöschens bedeuten. Selbst bezüglich des Menschen, der uns doch so unendlich viel besser bekannt ist als irgendein anderer Bewohner dieser Erde, hat es sich doch als unmöglich herausgestellt, sich ohne statistische Berechnungen ein Bild über das Verhältnis der Geburten und Todesfälle, der Lebensdauer, der Zu- oder Abnahme der Bevölkerung zu machen, noch schwieriger aber ist es, die Ursachen solcher Änderungen herauszufinden. Und doch muß immer wieder betont werden, daß wir in einer Abnahme der Dichtigkeit oder einem seltenen Vorkommen die Vor- boten des Erlöschens zu erblicken haben. Sich über das Aussterben einer Art höchlich zu verwundern, erscheint mir dasselbe wie zuzugeben, daß bei Individuen Krankheit dem Tode vorangeht, sich über das Erkranken eines Individuums also nicht befremdet zu fühlen, wohl aber sich zu wundern, wenn der erkrankte Mensch stirbt und dann seinen Tod einer unbekannten und gewaltsamen Macht zuzuschreiben.1) In einem späteren Teil dieses Werkes werde ich zeigen, daß in der Regel Gruppen verwandter Arten*) ganz allmählich

i) Ein fast identischer Satz findet sich in Origin, Ed. I., S. 320, VI..S. 462.

2) Origin, Ed. I., S. 316. VI., S. 457-

[page] Verteilung der Lebewesen auf die Kontinente.               zol

auftauchen und wieder von dem Antlitz der Erde verschwinden, ganz wie dies bei den Individuen derselben Art der Fall ist; und ich werde dann auch versuchen, die wahrscheinliche Ursache dieser bemerkenswerten Tatsache zu erklären.

SECHSTES KAPITEL.

ÜBERDIE GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG DER LEBEWESEN IN VERGANGENHEIT UND GEGENWART.

Aus Zweckmäßigkeitsgründen werde ich dieses Kapitel in drei Abschnitte teilen1): Im ersten werde ich mich be- mühen, die Gesetze der Verbreitung gegenwärtig existierender Lebewesen, soweit dies unser Thema berührt, festzustellen; im zweiten die Gesetze der Verbreitung ausgestorbener Lebe- wesen; und im dritten Abschnitt werde ich mich bemühen, die Beziehungen jener Gesetze zu meiner Theorie von der gemeinsamen Abstammung verwandter Arten nachzuweisen.

ERSTER ABSCHNITT.

VERTEILUNG DER LEBEWESEN IN BEZUG AUF DIE VERSCHIEDENEN KONTINENTE.

In der folgenden Erörterung werde ich mich hauptsächlich mit landlebenden Säugetieren beschäftigen, zunächst weil diese am besten bekannt und ihre Unterschiede in den ver-

i) Die Kapitel XI und XII in Origin, Ed. I. (Kap. XII und XIII in Ed. VI.) „Über geographische Verbreitung" zeigen Spuren ursprünglicher Zu- sammengehörigkeit, nämlich eine gemeinsame Inhaltsangabe. Das geolo- gische Thema wird dort nicht für sich behandelt, noch findet sich dort ein eigner Abschnitt über „wie weit diese Gesetze mit der Theorie usw.

übereinstimmen".

Im Manuskript hat der Verfasser an dieser Stelle die Randbemerkung

notiert „Falls dieselbe Art an zwei Stellen zugleich erscheint, meiner

Theorie verderblich". S. Origin, Ed. I., 352, VI., S. 499.

[page] 202                  Geographische Verbreitung der Lebewesen.

schiedenen Ländern sehr stark betont sind, besonders aber auch, weil die zu ihrer Auswanderung nötigen Transport- mittel klarer vor Augen liegen und eine zufällige Übertragung einer Art von einem Bezirk in den andern durch den Menschen nicht so leicht erfolgen kann, wodurch eine Quelle der Ver- wirrung und Unsicherheit wegfällt. Es ist bekannt, daß alle Säugetiere (ebenso wie alle anderen Organismen) einem großen System angehören, daß aber die verschiedenen Arten, Gattungen oder Familien derselben Ordnung verschie- dene Teile der Weltkugel bewohnen.

Wenn wir die Länder1) nach dem Grade der Ver- schiedenheit und ohne Berücksichtigung der Zahl der sie bewohnenden landlebenden Säugetiere einteilen, so haben wir erstens Australien, einschließlich Neuguinea, und zweitens die übrige Welt; wenn wir eine dreifache Einteilung machen, so haben wir Australien, dann Süd- amerika und drittens den übrigen Teil der Welt; ich muß hier bemerken, daß Nordamerika in gewissen Beziehungen ein neutrales Gebiet vorstellt, indem es einige südamerikanische Formen enthält, aber ich halte es doch für näher verwandt mit Europa (jedenfalls mit Bezug auf Vögel, Pflanzen und Schaltiere). Wäre unsere Einteilung eine vierfache, so würde sie zerfallen in Australien, Südamerika, Madagaskar (obwohl dies nur von wenigen Säugetieren bewohnt ist) und die übrige Welt, wäre sie eine fünffache, so müßte Afrika, be- sonders dessen südöstliche Teile von dem Übrigen abgetrennt werden. Diese Unterschiede in der Säugetierbevölkerung der verschiedenen Hauptteile der Welt können, wie hinreichend bekannt ist, nicht gut aus den entsprechenden Unterschieden in den Lebensbedingungen erklärt werden.2; Wie sehr gleichen sich Gegenden des tropischen Amerika und Afrika; auch finden sich diesem Umstand entsprechend analoge Über- einstimmungen — so z. B. besitzen beide Länder Affen, beide große katzenartige Tiere, beide große Lepidopteren

i) Diese Einteilung der Länder in Kegionen fchll in Origin, Ed. I.

2) Origin, Ed. I., S. 346, VI., S. 493.

[page] Unvollkommene Anpassung einheimischer Organismen.        203

und große düngerfressende Käfer; beide haben Palmen und Epiphyten — und doch sind die wesentlichen Unterschiede in den Erzeugnissen der beiden Länder so groß, wie zwischen jenen der unfruchtbaren Ebenen des Kaps der Guten Hoff- nung und der grasbedeckten Savannen von La Plata.1)

Betrachten wir die Verteilung der Marsupialier, die in hohem Grade charakteristisch für Australien und in etwas geringerem Grade für Südamerika sind. Wenn wir bedenken, daß sowohl die fleisch- wie die pflanzenfressenden Vertreter dieser Ab- teilung nicht nur die trockenen Steppen, sondern auch die bewaldeten Ebenen und Berge von Australien, nicht nur die feuchten undurchdringlichen Wälder von Neuguinea und Brasilien, sondern auch die trockenen Felsengebirge von Chile und die grasbewachsenen Ebenen von Banda-Oriental <Uruguay> bevölkern, so müssen wir uns nach anderen Ursachen als der Natur der betreffenden Gegend umschauen, um uns ihre Abwesenheit in Afrika und den übrigen Welt- teilen zu erklären.

Ferner muß bemerkt werden, daß durchaus nicht alle Organismen, die ein Land bewohnen, demselben vollkommen angepaßt sind.2) Ich verstehe unter „nicht vollkommen angepaßt" nur, daß sich gewöhnlich etliche andere Lebe- wesen finden lassen, die dem betreffenden Lande noch besser angepaßt sind als einige seiner eigenen Bewohner. Wir müssen dies einsehen, wenn wir die ungeheure Anzahl von Pferden und Rindern betrachten, die sich während der drei letzten Jahrhunderte in den unbewohnten Teilen von St. Domingo, Kuba und Südamerika eingebürgert haben und in wildem Zustand dort leben; denn es ist gewiß, daß diese

1)  Gegenüber dieser Stelle finden sich die Worte „nicht botanisch" in der Handschrift von J. D, Hooker. Das Wort Palmen ist dreifach unter- strichen, und durch drei Ausrufungszeichen hervorgehoben. Am Rande findet sich als erklärende Notiz „eigentümliche Seltenheit der Palmen und Epiphyten im tropischen Afrika verglichen mit dem tropischen Amerika und Ostindien".

2)  Dies entspricht teilweise Origin, Ed. I., S. 337, VL, S. 483.

[page] 04                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Tiere andere ursprünglich dort lebende verdrängt haben. Ich könnte ähnliche Tatsachen auch für Australien an- führen, doch könnte ich hier dem Einwand begegnen, daß eine Periode von 30 oder 40 Jahren noch nicht genügt, um den Ausgang des Kampfes mit und den Sieg über die ein- geborenen Tiere zu entscheiden. Wir wissen, daß die euro- päische Maus im Begriff ist, die neuseeländische zu ver- treiben, ebenso wie die norwegische Ratte die alte Rattenart aus England vertrieben hat. Man kann kaum eine Insel nennen, wo gelegentlich eingeführte Pflanzen nicht einige der eingeborenen Arten verdrängt haben. ImLaPlata-Gebiet bedeckt die spanische Artischocke weite Strecken Landes, die vormals von einigen südamerikanischen Pflanzen besetzt gewesen sein müssen, und das gewöhnlichste Unkraut in ganz Indien ist ein aus Mexiko eingeführter Mohn. Der Geologe, der wohl weiß, daß stets langsame Veränderungen, durch welche Wasser- und Landesteile sich verschieben, im Gange sind, kann am besten beurteilen, daß, selbst wenn ursprünglich alle Lebewesen einer Gegend dieser aufs voll- kommenste angepaßt waren, sich dies im Laufe der Zeiten nicht gleichbleiben kann, ohne daß entweder Ausrottung eingetreten oder eine Änderung in der relativen Zahlenhöhe der Bewohner und schließlich in ihrer Konstitution und ihrem Körperbau erfolgt sein muß.

Ein Blick auf die Weltkarte zeigt uns, daß die fünf nach dem höchsten Grade der Verschiedenheit der sie bewohnenden Säugetiere unterschiedenen Abteilungen zugleich durch die stärksten Schranken voneinander geschieden sind, Schranken, die von Säugetieren nicht überschritten werden können.1) So ist Australien von Neuguinea und einigen benachbarten kleineren Inseln nur durch eine schmale und seichte Meer- enge, Neuguinea und jene Inseln aber von den übrigen ost- indischen Inseln durch tiefe Meeresteile getrennt. Diese

1) Allgemeinere Betrachtungen über die Wichtigkeit der Schranken

(„barriers") finden sich in Origin, Ed. I., S. 347, VI., S. 494-

[page] Verbreitung der Meercstiew*                                205

-                                                             —                                                                                                          ——*—"                                                                                                                                               .-------------9

letzteren Inseln, die zu der großen asiatischen Gruppe ge- hören, sind, wie ich hier gleich bemerken möchte, voneinander und von dem asiatischen Kontinent nur durch seichtes Wasser geschieden; und wo dieser Umstand vorliegt, können wir — eingedenk der geologischen Niveauschwankungen — annehmen, daß eine ehemalige Verbindung vorlag. Süd- amerika, inklusive des südlichen Teils von Mexiko, ist von Nordamerika durch Westindien und die große Hochebene von Mexiko getrennt, mit Ausnahme eines ganz schmalen Streifens von tropischen Wäldern längs der Küste; dieser schmale Streifen ist vielleicht daran schuld, daß Nordamerika einige südamerikanische Formen besitzt. Madagaskar ist völlig isoliert. Auch Afrika ist in sehr hohem Grade isoliert, obwohl es sich vermittels vieler Halbinseln und Strecken seichter. Wassers an Europa und Asien annähert; Südafrika, das bezüglich der dort lebenden Säugetiere die meiste Eigen- art besitzt, ist von dem nördlichen Teile Afrikas durch die große Sahara und das Hochland von Abessinien getrennt. Daß die Verteilung der Organismen mit den natürlichen Schranken zusammenhängt, die der Ausbreitung der ersteren im Wege stehen, sehen wir deutlich, wenn wir die Verteilung der Meer- und Landformen vergleichen. So wie die Meeres- tiere auf den beiden Seiten eines von denselben Landtieren bevölkerten Landes verschieden sind, ebenso sind die Schal- tiere auf den entgegengesetzten Seiten der gemäßigten Teile von Südamerika1) gänzlich verschieden, gerade so verschieden (?) wie im Roten Meer und dem Mittelmeer. Ohne weiteres wird jeder einsehen, daß die Vernichtung einer Schranke die Vermischung und Verschmelzung zweier Gruppen von Organismen zur Folge haben würde. Die ursprüngliche Ursache der Verschiedenheit der Gruppen auf den beiden Seiten einer Schranke kann aber nur auf Grund der Hypothese verstanden werden, daß jeder Organismus an einer bestimmten Stelle oder Gegend ge-

1) Origin, Ed. I., S. 348, VI.. S. 495.

[page] 206                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

schaffen oder erzeugt wurde, und sich von dort aus so weit ausbreitete, wie seine Bewegungs- und Existenzmittel dies zuließen.

VERBREITUNGSVERHÄLTNISSE BEI GATTUNGEN

UND ARTEN.

Man hat im allgemeinen gefunden1), daß innerhalb der Gattungen oder Gruppen, die sich über nahezu die ganze Erde ausbreiten, auch die meisten Arten weite Verbreitungs- gebiete aufweisen; und umgekehrt pflegen dort, wo eine Gruppe auf ein Land beschränkt ist, auch die zu dieser Gruppe gehörigen Arten ziemlich begrenzte Gebiete innerhalb dieses Landes einzunehmen.2] So sind z. B.t um von Säuge- tieren zu reden, die Gattungen des Hunde- und des Katzen- geschlechts sehr weit verbreitet, ebenso haben aber auch viele der diesen Gattungen angehörenden Arten ein unge- heures Verbreitungsgebiet [die Gattung Mus bildet, wie ich glaube, eine auffallende Ausnahme dieser Regel]. Gould teilt mir mit, daß dieselbe Regel für Vögel Geltung hat, so wie z. B. bei den Eulen, die sich über die ganze Welt ver- breiten, auch die Arten ein sehr umfangreiches Verbreitungs- gebiet haben. Ebenso gilt diese Regel für Land- und Süß- wassermollusken, für Schmetterlinge und fast allgemein auch für Pflanzen. Als Gegenbeispiele führe ich jene Ab- teilung der Affen an, die auf Südamerika beschränkt ist und, Pflanzen betreffend, die auf denselben Kontinent be- schränkten Kakteen; bei beiden dieser Abteilungen haben auch die Arten gewöhnlich begrenzte Gebiete.

Nach der gewöhnlichen Theorie der getrennten Er- schaffung jeder Art wäre keine Ursache für diese Tatsache ersichtlich. Wir vermögen keinen Grund ausfindig zu machen,

i) «Anmerkung des Originals.) Es scheint, daß dieselben Gesetze die Verteilung von Arten, Gattungen und Individuen nach Zelt und Rauin regeln <S Origin, Ed I., S. 350, VI. S. 497.)

2) Origin, Ed. I., S. 404, VI., S. 559-                                                I

[page] Verteilung der Bewohner desselben Kontinents.             zoj

warum, weil viele verwandte Arten innerhalb der einzelnen Hauptabteilungen erschaffen worden sind, mehrere dieser Arten weite Gebiete innehaben sollten; anderseits aber ebensowenig, warum eine Spezies derselben Gruppe nur eine geringe Ausbreitung haben soll, weil sie nur in einer Haupt- abteilung der Erde geschaffen worden ist. Als Resultat solcher und wahrscheinlich auch noch anderer uns unbekannter Beziehungen liegt nur die Tatsache vor, daß selbst innerhalb derselben großen Klassen von Organismen die verschiedenen Teile der Welt, sei es bloß durch verschiedene Arten oder Gattungen oder Familien, charakterisiert werden: so unter- scheidet sich Südamerika von Asien und Afrika bezüglich der Katzen, Mäuse und Füchse nur nach Arten, bezüglich der Schweine, Kamele und Affen hingegen herrschen generische oder noch größere Unterschiede. Dagegen besteht zwischen Südafrika und Australien, obwohl diese bezüglich ihrer Säugetiere mehr unterschieden sind als Afrika und Süd- amerika, in Hinsicht auf ihre Pflanzen eine nähere (wenn auch immer noch ziemlich entfernte) Verwandtschaft.

VERTEILUNG DER BEWOHNER INNERHALB DESSELBEN KONTINENTS.

Wenn wir uns jetzt die Verteilung der Organismen inner- halb einer der oben genannten Hauptabteilungen der Welt betrachten, so ergibt sich zunächst eine Zerspaltung in zahl- reiche Regionen, deren Arten sämtlich oder doch größten- teils voneinander abweichen, obwohl sie alle einen gewissen gemeinsamen Charakter aufweisen. Diese Ähnlichkeit des Typs bei den Unterabteilungen derselben großen Region ist ebenso bekannt wie die Unähnlichkeit der Bewohner jeder der einzelnen großen Regionen; doch hat man jene weniger stark betont, obwohl sie mir eigentlich bemerkens- werter scheint. So finden wir z. B., wenn wir in Afrika oder Südamerika von Süden nach Norden1) oder von der

i) Origin, Ed. F., S. 349, VI., S. 496.

[page] 2o8                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Ebene nach dem Gebirge oder \ox\ einem feuchten nach einem trockenen Gebiet fortschreiten, gänzlich verschiedene Arten derjenigen Gattungen und Gruppen, die für den Kontinent, auf dem wir uns aufhalten, charakteristisch sind. Bei diesen Unterabteilungen läßt sich ebensogut wie bei den Hauptabteilungen der Welt beobachten, daß die verschiedenen Gruppen von Arten durch Schranken voneinander getrennt sind, und zwar, obwohl auf beiden Seiten einer solchen Schranke nahezu dasselbe Klima herrscht und sich auch in anderer Beziehung beinahe die gleichen Verhältnisse vor- finden. So liegen z. B. die Dinge auf den entgegengesetzten Seiten der Cordillere von Chile und in geringerem Grade auch auf den entgegengesetzten Seiten der Rocky mountains. Diese Schranken bestehen in Wüsten, Meeresarmen und selbst Flüssen. Selbst ein bereits besetzter Raum scheint in vielen Fällen zu genügen: so besitzen Ost- und West- australien, die dieselben Längengrade und sehr ähnliche klimatische und Bodenverhältnisse aufweisen, kaum eine einzige Pflanze und wenige Tiere und Vögel gemeinsam, obwohl die Organismen beider Länder den eigentümlichen für Australien charakteristischen Typus zeigen. Kurz, es ist unmöglich, die Verschiedenheit der Bewohner, sei es der Hauptabteilungen der Erde oder dieser Unterabteilungen aus den Verschiedenheiten der physischen Verhältnisse und der Anpassung der Organismen an diese zu erklären. Es muß hier noch eine andere Ursache eingreifen.

Es liegt auf der Hand, daß die Zerstörung von Unterschran- ken (ebenso wie wir es in bezug auf die Hauptschranken für die Hauptabteilungen weiter oben bemerkt haben) die Verschmelzung zweier Unterabteilungen zur Folge haben würde; daraus können wir schließen, daß die ursprüngliche Verschiedenheit der auf den entgegengesetzten Seiten solcher Schranken lebenden Arten dem Umstände zuzuschreiben ist, daß diese Arten in getrennten Bezirken erzeugt oder ge- schaffen wurden, von denen ausgehend sie sich ausgebreitet haben, bis sie durch eben jene Schranken aufgehalten wurden. The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Typus nach Weltteilen verschieden.                     zog

Obwohl dies also ziemlich einfach zu erklären ist, warum, so fragen wir uns, wurden in derselben Hauptabteilung der Erde jene auf verschiedenen Seiten einer vorhandenen Unter- schranke erzeugten Arten, gleichviel ob sie annähernd den- selben oder himmelweit verschiedenen Einflüssen ausgesetzt leben (also auf alpinen oder tiefen Gebieten, auf dürrem oder feuchtem Terrain, in kaltem oder heißem Klima) un- weigerlich nach demselben Typus geschaffen? Warum ist dieser Typus stets gerade auf diesen einen Hauptteil der Erde beschränkt? Warum ist ein Strauß,1; der im südlichen Teil von Amerika erzeugt wird, nach dem amerikanischen und nicht nach dem afrikanischen oder australischen Typ geschaffen? Warum wurden die hasen- und kaninchen- artigen Tiere, die auf den Savannen des La Plata leben, nach dem, Südamerika eigentümlichen Nagertyp, statt nach dem echten Hasentyp2) von Nordamerika, Asien oder Afrika geschaffen? Und weshalb wurden die wühlenden Nager und kamelartigen Tiere, welche die Cordilleren bevölkern, nach demselben Typ3) wie die auf den Ebenen heimischen Vertreter ihrer Gattung erzeugt? Warum stellen die Mäuse und viele Vögel verschiedener Arten, die auf den entgegen- gesetzten Seiten der Cordilleren, aber unter sehr ähnlichem Klima und Bodenbeschaffenheit leben, denselben aus- gesprochen südamerikanischen Typus dar? Und warum repräsentieren die Pflanzen von Ost- und Westaustralien, obwohl durchaus verschiedenen Arten angehörig, gleichfalls durchweg denselben für Australien so charakteristischen Typ? Die Gemeingültigkeit dieser an so vielen verschiedenen Orten und unter so vielen verschiedenen Verhältnissen herrschenden Regel kann nicht verfehlen, unsere lebhafte Aufmerksamkeit zu erwecken und uns zur Erforschung ihrer Ursache anzutreiben.

i) Das Beispiel des Straußen (Rhea findet sich in Origin, Ed I., S. 349.

VI , S. 496.

2) <Anmerkung des Originals.) Es gibt einen Hasen in Südamerika — daher ungeeignetes Beispiel. 3) S. Origin, Ed. I., S. 349, VI., S. 497.

F. Darwin. Fundamente *ur ßi&W«« der ArUß-                               14

[page] 2 i o                  Geographische Verbreitung der Lebewesen.

INSULARE FAUNEN.

Wenn wir nunmehr den Tiercharakter auf kleinen Inseln1) betrachten, so finden wir, daß die einem Festland benach- barten Inseln eine diesem ähnliche Fauna, die in beträcht- licher Entfernung vom Festland gelegenen hingegen oft eine ganz eigenartige, ihnen eigentümliche Fauna besitzen.3) Der Galapagosarchipel bildet eine bemerkenswerte Illustration dieser letzteren Tatsache :3 hier repräsentieren fast jeder Vogel, das eine vorhandene Säugetier, die Reptilien, Land- und Meer- schnecken, ja selbst die Fische besondere und deutliche Arten, die in keinem andern Teil der Welt zu finden sind; und ebenso verhält es sich mit der Mehrzahl der Pflanzen. Aber trotzdem dieser Archipel 500 bis 600 englische Meilen von der südamerikanischen Küste entfernt liegt, so belehrt uns doch der allerflüchtigste Blick auf den größten Teil der Fauna dieser Inseln, besonders auf die Vögel, daß die Tiere dem amerikanischen Typ angehören.*) Wir können daher behaup- ten, daß so belegene Inselgruppen zwar kleine, doch wohl- umschriebene Unterabteilungen der größeren geographischen Abteilungen bilden. Aber die Tatsachen reden in diesem Fall eine besonders beredte Sprache: in erster Linie über- zeugt uns die vulkanische Natur dieser Inseln, die geradezu von Vulkanen starren, daß diese im geologischen Sinne, ver- glichen mit dem Festland, neueren Ursprungs sind; und da die insularen Arten beinahe sämtlich diesen Inseln eigentümliche sind, so müssen wir daraus schließen, daß sie in gewissem

1) Bezüglich der allgemeinen Frage der Ozeanischen Inseln s. Origin,

Ed. I, S. 388, VI., S. 541.

2 Dies ist eine weitere Illustration *u der allgemeinen Theorie der Schrankenwirkung, s. Origin, Ed. F., S. 347. Auf S. 391 jenes Werkes wird die Frage vom Standpunkte des Transportmittels behandelt. Zwischen den Zeilen dieses Manuskripts schaltete Ch. Darwin oberhalb der Worte „diesem ähnliche Fauna" die Notiz ein „Ursache früherer Zusammenhang, kann nach Lyell niemand bezweifeln".

3)  Origin, Ed. I, S. 390, VI., S. 543.

4)  S. Origin, Ed I., S. 397, VI., S. 552.

[page] Insulare Faunen.

2\ I

Sinne erst neuerdings an eben dieser Stelle geschaffen wurden. Und obwohl nichts in den Lebensbedingungen, nichts in der Bodenbeschaffenheit und in dem Klima dieser Inseln den näheren Teilen der südamerikanischen Küsten sehr ähnlich ist, so sehen wir doch diesen deutlichen Stempel eines eng verwandten Typs vor uns.

Anderseits besteht aber eine hervorragende Ähnlichkeit zwischen der vulkanischen Natur des Bodens, dem Klima, der Größe und Hohe der Galapagosinseln einerseits und der Kap- verdischen Inseln anderseits1); und doch wie gänzlich verschie- den sind die Bewohner dieser beiden Inselgruppen. Die Kap- verdische Gruppe, der man auch die Kanarischen Inseln zu- zählen kann, ist bezüglich ihrer Bewohner (von denen viele be- sondere Arten darstellen) eng mit der Küste von Afrika und mit Südeuropa verwandt, und zwar in ganz derselben Art, wie der Galapagosarchipel mit Amerika. Wir erkennen hier aufs deutlichste, daß allein schon die geographische Nähe, und zwar mehr als irgendeine Anpassungsbeziehung den Charakter einer Art beeinflußt. Wie viele Inseln des Stillen Ozeans kennen wir, die in ihrer physikalischen Beschaffen- heit der Insel Juan Fernandez viel näher stehen als diese Insel der Küste von Chile, die 300 engl- Meilen von ihr ent- fernt ist; aus welchen Gründen, außer eben aus Gründen der Nachbarschaft, sollte diese Insel von zwei sehr eigentümlichen Arten von Kolibris bewohnt werden, Vögeln, die einen so ausgesprochen amerikanischen Typ darstellen? Ich könnte hier noch unzählige andere Fälle anführen!

Der Galapagosarchipel bietet uns noch eine andere, noch bemerkenswertere Illustration zu der Gruppe von Tatsachen, die wir hier betrachten. Die meisten der Galapagosarten sind, wie gesagt, amerikanische, viele darunter auf der ganzen Erde verbreitet, einige aber ganz oder nahezu auf diesen Archipel beschränkt. Die Inseln besitzen absolut gleiche

1) Die Capverdischen und die C.alapagos-Inseln werden auch in Origin, Ed. I., S. 398, VI., S. 553 verglichen. Siehe auch Journal of Researches,

1860, S. 393

The ComDlete Work of Charles Darwin Online*

[page] 2 I 2                  Geographische Verbreitung der Iebewesen.

Beschaffenheit und gleiches Klima; die meisten liegen inner- halb Sehweite voneinander; und doch werden mehrere der Inseln je von einer besonderen Art (in manchen Fällen viel- leicht nur von Varietäten) einiger der Gattungen, die den Archipel charakterisieren, bewohnt. Und so kann uns der kleine Galapagosarchipel als typisch gelten, indem er in der Verteilung seiner Bewohner genau denselben Regeln folgt wie irgendeiner der großen Kontinente. Wie wunderbar ist es, daß zwei oder drei ähnliche, aber doch deutlich von- einander unterschiedene Spottdrosseln auf drei benachbarten und absolut gleichen Inseln entstanden sind,1) sowie ferner, daß diese drei Arten von Spottdrosseln eng mit jenen Arten, welche vollständig andersgeartete Klimate und völlig ver- schiedene Gegenden von Amerika (und zwar ausschließlich Amerika) bewohnen, verwandt sind! Bisher ist noch kein so schlagender Fall wie dieser, den uns die Galapagosinseln bieten, beobachtet worden. Die Verschiedenheit, der Produkte auf den verschiedenen Inseln kann vielleicht teilweise durch die Tiefe der sich zwischen ihnen erstreckenden Meeresteile erklärt werden (insofern als wir daraus sehen, daß die Inseln innerhalb neuerer geologischer Perioden nicht vereinigt waren) sowie aus der absolut geraden Richtung, welche die Strömungen dieser Meeresteile beherrscht — schließlich auch durch die Seltenheit von heftigeren Sturmwinden, die imstande wären, Pflanzensamen oder selbst Vögel von einer Insel nach der anderen hinüberzuwehen oder zu treiben. Wir kennen übrigens bei anderen Inselgruppen ähnliche Sachlagen: man sagt, daß die verschiedenen Inseln des ost- indischen Archipels, obwohl benachbart, von verschiedenen Arten derselben Gattungen bewohnt werden, und auch von den Sandwichinscln besitzen einige je eine besondere Art einer gemeinsamen Pflanzengattung.

x) In Origin, Ed. I, S. 390 wird viel Gewicht darauf gelegt, daß Vogel- arten, die „mit Leichtigkeit und gleich in Masse" eingewandert sind, sich dort nicht verändert haben. Durch diese Erklärung begründet der Veriasscr den geringen Prozentsatz der jenen Inseln eigentümlichen „marinen Vögel".

[page] Inseln des Stillen Ozeans.

"3

Inseln, die ganz isoliert inmitten der tropischen Ozeane liegen, weisen gewöhnlich eine sehr eigenartige Flora auf, die nur ganz schwach mit dem nächstgelegenen Kontinent verwandt ist (so verhält es sich z. B. in St. Helena1), wo fast jede Spezies dieser Insel eigentümlich ist). Tristan d'Acunha ist, wie ich glaube, bezüglich seiner Pflanzen sowohl mit Afrika wie mit Südamerika entfernt verwandt; es besitzt nicht gerade dieselben Arten, aber die Gattungen, die hier wie dort auftreten, sind dieselben2). Die Floren der zahl- reichen verstreuten Inseln des Stillen Ozeans sind untereinander sowie mit all denender umgebenden Kontinente verwandt. Doch hat man behauptet, daß ihr Charakter mehr ein indo-asia- tischer als ein amerikanischer sei3). Dies ist insofern be- merkenswert, als den sämtlichen östlichen Inseln des Stillen Ozeans Amerika näher und auch mehr in der Richtung des Passatwindes und der vorherrschenden Strömungen liegt; anderseits aber kommen alle die schwersten Sturmwinde von der asiatischen Seite. Aber selbst wenn wir die Mithilfe dieser Stürme gelten lassen, so ist es vom Standpunkt der gewöhnlichen Schöpfungstheorie immer noch nicht ohne weiteres klar, wie dieser indo-asiatische Charakter der Pflanzen der pazifischen Inseln durch die Möglichkeit einer derartigen Einwanderung zustande kommt. Wir müßten denn die höchst unwahrscheinliche Sachlage voraussetzen, daß jede Spezies von indo-asiatischem Charakter auch tatsächlich von der asiatischen Küste herübergewandert sei, wo die- selben Arten jetzt nicht einmal existieren- Dies ist um nichts erklärlicher als die andere weiter oben erwähnte Tatsache, daß zwischen der Erschaffung nahe verwandter

1)  „Die Verwandtschaftsbeziehungen der Flora von St. Helena sind ausgeprägt südafrikanisch." Hookers Abhandlung über insulare Floren in Gardeners' ChronicU, Jan. 1867.

2)  Es ist nicht möglich, die Form, die Ch. Darwin diesem Satze geben wollte, genau festzustellen, seine Meinung ist indessen nicht mißzuverstehen.

3)  Dies ist zweifellos wahr, doch weist die Flora der Sandwich- Gruppe ausgesprochene amerikanische Beziehungen auf.

[page] 214                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Arten in den verschiedenen Regionen der Erde Beziehungen bestehen, und daß viele dieser Arten weite Verbreitungsgebiete besitzen, sowie anderseits, daß unter sich verwandte, auf eine bestimmte Region beschränkte Arten innerhalb dieser Region enge Gebiete bewohnen.

ALPINE FLOREN. Wir wollen uns jetzt die Flora der Berggipfel ansehen, die, wie bekannt ist, von der der benachbarten Ebenen verschieden zu sein pflegt. Was bestimmte Eigenschaften, wie z. B. Zwergwuchs, Behaartheit usw. betrifft, so gleichen sich darin vielfach die auf den allerentferntesten Bergen vorkommenden Arten, — eine Analogie, ähnlich wie bei der allgemein verbreiteten Sukkulenz der Wüstenpflanzen. Ab- gesehen von dieser Analogie bieten alpine Pflanzen einige sehr bemerkenswerte Tatsachen in der Art ihrer Verbreitung dar. In einigen Fällen sind die Gipfel von zwei Gebirgen, die ungeheuer entfernt von einander liegen, mit den absolut identischen Arten bewachsen, Arten, die sich außerdem mit solchen decken, die an den gleichfalls weit entfernten arktischen Küsten vorkommen.1) In andern Fällen sind die fraglichen Arten, obwohl keine oder wenige von ihnen absolut identisch sind, doch eng verwandt, während die Pflanzen der niedrigen Bezirke, welche den Fuß jener betreffenden zwei Berge umgeben, völlig verschieden voneinander sind. Da wir die Gipfel der Berge in Beziehung auf ihren Pflanzenwuchs als Inseln ansehen müssen, die aus einem Ozean von Land hervorragen, in dem die alpinen Arten nicht gedeihen können, und über den hinweg es kein bekanntes Transportmittel gibt, scheint die ebenerwähnte Tatsache in direktem Gegen- satz zu der Schlußfolgerung zu stehen, die wir aus unserer Betrachtung der Verteilungsverhältnisse der Organismen, sowohl auf Kontinenten wie auf Inseln gezogen haben,

I) S. Qrigin, Ed. I., S.365, Ed. VI, S.515. Die hier vorliegende Darlegung wurde vor der Veröffentlichung von Forbes' berühmter Arbeit über dasselbe Thema geschrieben. S. Leben und Briefe, Bd. [., S. 79.

[page] Alpine Floren.                                       2 15

nämlich, daß der Grad der Verwandtschaft zwischen den Bewohnern zweier Punkte von dem Grade der Übersteig- barkeit und überhaupt dem Wesen der natürlichen Schranken zwischen diesen beiden Punkten abhängig ist.1) Ich glaube indessen, daß dieser scheinbare Widerspruch sich, wie wir bald sehen werden, erklären läßt. Wir könnten annehmen, daß die Flora eines Berggipfels dieselben Beziehungen zu der Flora des umgebenden Tieflandes darbieten würde, die irgendein isolierter Teil eines Kontinents im Vergleich zu dem übrigen oder irgendeine Insel im Vergleich zu dem Kontinent zeigt, von dem sie durch einen ausgedehnteren Meeresteil getrennt ist. Dies ist auch wirklich bei den Pflanzen einiger Gipfel der Fall, es handelt sich dabei wohlbemerkt stets um besonders isolierte Berge. So sind z. B. auf den Bergen von Caracas, von Van-Diemens-Land und dem Kap der Guten Hoffnung alle Spezies diesen Bergen eigentümlich, wenn sie auch Formen aufweisen, welche für die diese Berge umgebenden Kontinente charakteristisch sind.8) Auf einigen andern Bergen, z. B. in Feuerland und in Brasilien, sind einige Pflanzen, obwohl sie sich als selbständige Arten darstellen, südamerikanische Formen, während andere mit den alpinen Arten von Europa verwandt oder identisch sind. Auf den Inseln, deren Tieflandflora zwar von der des nächsten Kontinents verschieden, wenn auch mit ihr verwandt ist, pflegen die alpinen Pflanzen zuweilen (oder wohl meistens) ganz besonders eigentümliche und scharf unterschiedene Arten3,; aufzuweisen. Diese Erscheinung finden wir in Teneriffa und in einem geringeren Grade selbst auf einigen der mittelländischen Inseln.

1)  Das scheinbare Versagen der Schrankentheorie wird auch kurz be- rührt in Origin, Ed. I, S. 365, Ed. VI, S. 51s.

2)  In Origin, Ed. I., S. 375. Ed. VI, S. 526 macht der Verfasser darauf aufmerksam, daß auf den Bergen des Kaps der Guten Hoffnung „ver schiedene stellvertretende Formen europäischer Arten gefunden worden sind, die man in den tropischen Ländern Afrikas noch nicht entdeckt hat."

3)  S. Hookers Lectures on Insular Floras in Gardeners Chronicle,

Januar 1867.

[page] 2 I 6                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Wären alle alpinen Floren so charakteristisch wie jene des Gebirges von Caracas oder Van-Diemens-Land usw., so würden die Gesetze der geographischen Verbreitung, soweit wir diese kennen, auf sie Anwendung finden. Indessen erfordert der soeben erwähnte paradoxe Fall, daß nämlich die Gebirge von Europa, mehrere Gebirge derVereinigten Staaten(Dr. Boott) und einige Gipfel des Himalaya (Royle) einige nicht nur unter sich, sondern auch mit den arktischen Regionen identische Arten, und eine Menge zwar nicht identische, doch nahe ver- wandte Arten besitzen, eine besondere Erklärung. Einer solchen bedarf auch die Tatsache, daß mehrere der alpinen Arten ven Feuerland (und in geringerem Grade von Brasilien) nicht zu den amerikanischen Formen gehören, sondern zu den europäischen, obwohl dieser Weltteil so weit von jenen Ländern entfernt ist.

GRUND DER ÄHNLICHKEIT IN DEN FLOREN EINIGER VONEINANDER ENTFERNTER GEBIRGE.

Mit Sicherheit dürfen wir nach der Menge der damals schwimmenden Eisberge und dem tiefen Herabsteigen der Gletscher annehmen, daß innerhalb einer ziemlich späten Periode — so spät, daß sie bereits einige der heutigen Schal- tierarten aufwies — ganz Zentraleuropa und Nordamerika (und vielleicht auch Ostasien) ein sehr kaltes Klima besaß. Daher ist es wahrscheinlich, daß das Pflanzenleben in diesen Bezirken dem der heutigen arktischen Regionen geglichen hat, wie es hinsichtlich der damals existierenden und der jetzt an den arktischen Küsten lebenden Seeschnecken tatsächlich bis zu gewissem Grade erwiesen ist. In jener Periode müssen die Berge mit Eis bedeckt gewesen sein, wovon uns die von der Tätigkeit der Gletscher zerkratzten oder polierten Oberflächen deutliche Zeugnisse liefern. Wie haben wir uns nun die natürliche und fast unausbleibliche Wirkung des allmählichen Übergangs zu dem gegenwärtigen gemäßigteren Klima vorzustellen?1) Wir haben uns zu

l) Am Rande des Blattes notierte Ch. Darwin das Wort „Forbes". Möglich, daß diese Eintragung später als 1844 gemacht worden ist,

[page] Ähnlichkeit der Floren entfernter Gebirge.                 217

denken, daß Eis und Schnee allmählich von den Bergen verschwanden, daß die arktischen Pflanzen schrittweise auf die nunmehr schneefreien Berge hinaufrückten1), beziehungs- weise in anderen Vertretern nach Norden zu den jetzigen arktischen Gestaden gedrängt wurden, während Pflanzen aus dem Süden, der bisherigen gemäßigten Zone, ihnen nachrückten und ihre bisherige Stelle einnahmen. Wenn die arktische Flora jener Periode eine fast gleichförmige war, so wie es die heutige ist, so ergäbe sich als Resultat ein Restbestand derselben Pflanzen auf den Berggipfeln und den jetzigen arktischen Küsten. Von diesem Standpunkte betrachtet muß die arktische Flora jener Periode eine ziemlich ausgebreitete gewesen sein, mehr noch als selbst die gegenwärtige; bedenken wir jedoch die Gleichartigkeit der physikalischen Bedingungen aller an die Regionen ewigen Eises angrenzenden Landstriche, so haben wir, wie mir scheint, darin keine besondere Schwierigkeit zu erblicken. Und ließe es sich nicht auch vorstellen, daß die fast unzählige Menge der schwimmenden Eisberge, die mit großen Haufen von Fels, Erdreich und Busch holz2) bedeckt sind, und die häufig weit weg zu den entlegensten Küsten getrieben wurden, als Mittel der Übertragung und Weiter- verbreitung der Samen einer bestimmten Art gedient haben

könnten?

Ich möchte hier noch eine andere Vermutung wagen, nämlich daß, während der Umwandlung eines äußerst kalten Klimas in ein gemäßigteres die Bedingungen, und zwar so- wohl im Gebirge wie im Tiefland, für Pflanzen, die auf einem nur eben von der Strenge ewigen Winters befreiten Lande gedeihen können, ausnehmend günstige sein müssen. Denn

möglich aber auch, daß sie sich auf eine Arbeit von Forbes bezieht, die dessen alpiner Abhandlung vorangegangen sein müßte.

i) S. Ofigin, Ed. I., S. 367. Ed. VI. S. 5 '7-

2] <Anmerkung des Originals.) Vielleicht Vitalität durch Kalte ge- hemmt und so am Keimen verhindert <Bezüglich des Transports von Samen durch Eisberge s. Qrigin, Ed. I., S. 363, Ed. VI, S. 5'3-> The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 218                  Geographische Verbreitung der Lebewesen.

ein solches Land würde noch keine Bewohner besitzen, und wie wir nicht bezweifeln können, bildet die Vorherbeset- zung die stärkste Schranke für die Verbreitung von Pflan- zen.1) Denn wie können wir anders die Erscheinung — die nur eine unter vielen ist — erklären, daß die Pflanzen an den beiden entgegengesetzten, ihrer Natur nach sonst ganz gleichen Ufern eines großen osteuropäischen Flusses (ich erhielt diese Mitteilung von Humboldt) aufs stärkste unterschieden sind, trotzdem zweifellos häufig genug durch Flußvögel, schwim- mende Vierfüßler und durch den Wind Samen von einem Flußufer auf das andere getragen werden? Wir können nur annehmen, daß die bereits den Boden besetzt haltenden und reichlich Samen erzeugenden Pflanzen das Keimen gelegent- lich herübergetragenen Samens verhindert haben.

Es gab eine Zeit, als in Nordamerika die Eisberge ihr Geröll bis zu 360 nach Süden transportierten, während gleichzeitig in Südamerika von Süden her bis zum 42. Breitengrad die- selbe Eistätigkeit vor sich ging, d. h. also in Gegenden, wo dort jetzt die Baumwollpflanze gedeiht und die Urwälder mit ihren epiphytenbedeckten Bäumen und ihren Schling- pflanzen einen fast tropischen Anblick gewähren. Ist es nicht bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich, daß in jener erstgenannten Periode die tropischen Teile von Nord- und Südamerika ein mehr gemäßigtes Klima besessen haben2) (wie Falconer dies von Indien behauptet) ? Ist dem so gewesen, so müssen die alpinen Pflanzen der langen Kordillerenkette viel tiefer heruntergereicht haben und wir hätten dann eine breite verbindende Heerstraße3) zwischen den zu jener Zeit kalten Gebieten von Nord- und Südamerika vor uns. Beim Auftreten der gegenwärtigen klimatischen Verhältnisse müssen

l) In einer Fußnote vermerkt Ch. Darwin „viele Autoren" als Gewährs- männer für diese Behauptung.

z'' Gegenüber diesem Satz hat der Verfasser auf den Rand geschrieben „zu hypothetisch".

3) Die Kordilleren sind fluch in Origin, Ed. I , S 378 als eine große Invasionslinie erwähnt

[page] Alpine und arktische Pflanzen.                         2 19

sodann die Pflanzen in denjenigen Gegenden der beiden Hemisphären, die jetzt gemäßigt oder selbst subtropisch geworden sind, nach den arktischen und antarktischen1) Regionen gedrängt worden sein, und nur wenige der höchsten Kordillerengipfel können ihre frühere ,.verbindende" Flora behalten haben. Die querlaufende Kette des Chiquitos- gebirges dürfte vielleicht in ähnlicher Weise während jener Periode des Eisrückgangs als eine wenn auch unterbrochene Verbindungsstraße gedient haben, auf der sich alpine Pflanzen von den Kordilleren nach dem Hochland von Bra- silien verbreiteten. Hier mag bemerkt werden, daß einige, wenn auch nicht gerade gewichtige Gründe für die Annahme geltend gemacht werden, daß zu jener Zeit die beiden Amerikas nicht so gründlich getrennt waren, wie dies jetzt durch Westindien und die Hochebene von Mexiko der Fall ist. Und weiter möchte ich bemerken, daß die gegen- wärtige eigentümlich starke Ähnlichkeit in der Vegetation der so weit voneinander entfernten Tiefländer der Ker- guelen und des Feuerlandes fllooker) vielleicht durch die be- reits oben erwähnte Verschleppung von Samen durch Eis- berge während der erwähnten Kälteperiode ihre Erklärung findet.2)

Und schließlich glaube ich, daß wir aus all den oben an- geführten Tatsachen und Erwägungen den Schluß ziehen können, daß die zunächst unverständliche Übereinstimmung der Vegetation gewisser sehr weit voneinander entfernten Berggipfel in Wirklichkeit nicht in Widerspruch steht zu der innigen Beziehung zwischen räumlicher Nachbarschaft und Verwandtschaftsgrad zwischen den Bewohnern zweier Län- der (mit Berücksichtigung der für jede Klasse in Frage kom-

1)  Dieses bedeutet eine Annäherung an des Verfassers spätere An- sichten über eine transtropische Einwanderung ißrigin. Ed. I . S. 376—378)- Siehe Thiselton-Dyers interessante Besprechung in Darwin and Modern

Science, S. 304.

2)  S. Hookers Lectures on Insular F/oras in Gardcners Chronicle,

Januar 1867.

[page] 2 20                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

menden Transportmittel). Wir haben bezüglich einiger ganz isolierten Berge gefunden, daß das allgemeine Gesetz auch hier Anwendung findet.

IST DIESELBE ART MEHR ALS EINMAL ERSCHAFFEN

WORDEN?

Da die Tatsache des Vorkommens ein und derselben Pflanzenart auf ungeheuer weit voneinander entfernten Berggipfeln als hauptsächlicher Stützpunkt für den Glauben an eine gleichzeitige Erschaffung gewisser Arten an zwei entfernten Punkten1) benutzt worden ist, so möchte ich diese besondere Frage hier kurz beleuchten. Auf Grund der ge- wöhnlichen Schöpfungstheorie läßt sich keine Ursache aus- findig machen, weshalb auf zwei ähnlichen Berggipfeln nicht zwei ähnliche Arten erschaffen worden sein sollten; indessen ist man im allgemeinen zu der entgegengesetzten Auffassung, ganz abgesehen von ihrer größeren Einfachheit, durch die Analogie der allgemeinen Verteilung der Organismen geführt worden, nach welcher wir. wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, fast immer finden, daß große und ununterbrochene Barrieren auch scharf unterschiedene Gruppen von Arten trennen. Hierdurch werden wir natürlich zu der Auffassung geführt, daß zwei solche Gruppen auch getrennt erzeugt worden sind. Wenn wir diese Frage etwas begrenzter be- trachten wollen, so stellen wir uns einen Fluß vor, dessen beide Ufer ganz ähnliche Beschaffenheit besitzen, dessen eines Ufer aber von einer gewissen Tierform dicht besetzt ist, während das andere nicht ein einziges Exemplar dieses Tieres auf- weist; so verhält es sich z. B. mit der Viscacha an den ent- gegengesetzten Ufern des La Plata2). Hierdurch wird sofort in uns der Eindruck erweckt, daß die Viscacha an irgend- einem Punkt oder in irgendeinem Bezirk auf der Westseite

0 Über Schöpfungszentren s. Origitt, Ed. I, S. 352, Ed. VI, S. 499- 2) Im Journal 0/ Rcseafches, Ed. 1860, S. J24 wird erwähnt, daß die Verbreitung der Viscacha durch den Fluß Uruguay begrenzt ist. In Origin

ist meines Wissens der Fall unerwähnt geblieben.

[page] Scköpfungszentren.                                   2 2 l

des Flusses entstanden sei. Wenn wir in Betracht ziehen, wie wenig wir wissen: erstens über die Fälle von Samen- verbreitung durch Vögel, die gelegentlich bis zu ungeheuren Entfernungen fliegen, und durch solche Tiere, die Samen und Eier verschlucken (man denke an den Fall des fliegenden Wasserkäfers, von dem beobachtet wurde, wie er die Eier eines Fisches wieder ausspie), ferner über die Wirbelwinde, welche Samen und Tiere in die oberen Luft- strömungen hineinreißen (man denke an die vulkanischen Aschenregen, an das Niederregnen von Heu, Körnern und Fischen)1); ferner über die Möglichkeit, daß Arten eine Zeitlang an zwischenliegenden Orten überlebt haben und erst später dort ausgestorben sind.8) Wenn wir hierzu noch mit hinzuziehen unsere Kenntnis der großen Veränderungen, die durch Hebung und Senkung der Erdoberfläche entstanden sind, und unsereUnkenntnis der noch größeren Veränderungen, die sich möglicherweise zugetragen haben, so sollten wir äußerst vorsichtig sein, auch nur die Wahrscheinlichkeit doppelter Schöpfungsvorgänge zuzugeben. Was die Pflanzen der Berggipfel betrifft, so habe ich, wie ich glaube, in obigem ge- zeigt, daß diese auf Grund der einstigen Bedingungen der nörd- lichen Hemisphäre fast mit Notwendigkeit eine so große gegen- seitige Ähnlichkeit besitzen müssen, wie man sie an den Pflanzen der heutigen arktischen Küsten beobachtet; dieser Fall sollte uns als Lehre dienen, bei solchen Schlüssen vorsichtig zu sein.

1)   In On'gin, d. I. ist ein besonderer Abschnitt (S. 356 den »Ver" breitungsmitteln" gewidmet. Die stärkere Wichtigkeit, die dieses Thema in Origin genießt, wird dadurch verständlich, daß die Experimente Ch. Darwins zwischen dieser Niederschrift und der Herausgabc von Origin liegen, d. h. im Jahre 1855. (S. Leben und Briefe) Das Fortreißen von Fischen durch Wirbelstürme wird in Origin, Ed. I, S. 384. Ed. VI.,

S. 536 erwähnt.

2)  Der Fall von Inseln, die als Ruhepunkte dienten, wird auch in

Origin, Ed. I., S. y->7, Ed. VI., S. 505 angeführt. Doch wird dort an- genommen, daß die Zeugnisse für diesen Tatbestand durch das Versmken der betreffenden Inseln und nicht wie hier bloß durch das Aussterben der betreffenden Arten verloren gegangen sind.

[page] 222                  Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Das stärkste Argument gegen eine doppelte Erschaffung bieten uns indessen die Säugetiere1), bei denen auf Grund ihrer Eigenart und der Größe ihrer Sprößlinge die Ver- breitungsmittel klarer vor Augen liegen. Wir kennen hier keinen Fall, wo dieselbe Art an sehr weit voneinander entfernten Orten gefunden worden wäre, außer dort, wo ein ununterbrochener Landgürtel eine Brücke gebildet hat. Allerdings bietet die arktische Region eine starke Ausnahme; hier wissen wir indessen, daß Tiere auf Eisbergen bis zu ihr hin transportiert worden sind.2) Die Fälle von geringerer Schwierigkeit lassen sämtlich eine mehr oder weniger einfache Erklärung zu. Um nur ein Beispiel anzuführen: die Nutria3) lebt an der Üstküste von Südamerika wie ich glaube aus- schließlich in Süßwasserflüssen, und ich konnte mir nicht erklären, wie sie in Patagonien in kleine, weit voneinander getrennte Küstenflüßchen gelangt sein konnte. Auf dem entgegengesetzten Küstenstrich dagegen fand ich diese Vier- füßler ausschließlich im Meere lebend, und nun war mir ihre Wanderung längs der patagonischen Küste nicht mehr er- staunlich. Man kennt, im Gegensatz zu den Pflanzen, bei Säugetieren keinen Fall, wo dieselbe Art auf einer fern von der Küste gelegenen Insel und auf dem Festland selbst gefunden worden wäre.4) Vom Standpunkt der zweifachen Erschaffung aus müßte es wundernehmen, daß von mehreren Pflanzen dieselben Arten in Australien

i) „Die Fälle, in denen dieselbe Säugetierart getrennte Teile der Erde bewohnt, bieten alle der Erklärung keine Schwierigkeit" Origin, Ed. I., S. 352, Ed. VI, S. 500. Siehe auch ebenda Ed. I., S. 393, Ed. VI, S. 547-

2)  (Anmerkung des Originals.) Viele Autoren. <S. Origin, Ed. I, S. 394, Ed. VI, S. 547->

3)  Nutria ist das spanische Wort für Otter und jetzt ein Synonym für Lutra. Der Otter der atlantischen Küste ist durch kleine Unterschiede vor der pazifischen Art ausgezeichnet. Beide Formen sind als teilweise ineericbende Tiere bekannt. In der Tat entbehrt dieser Fall jeder be- sonderen Schwierigkeit.

4)  In Origin, Ed. I., S. 394- Ed. VI, S. 548 werden die Fledermäuse als — allerdings erklärbare — Ausnahme von dieser Regel erwähnt.

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[page] Zahl der Arten.                                   22\

und in Europa erschaffen worden sind, während kein einziges Beispiel existiert, daß dieselbe Säugetierart an zwei nur annähernd so entfernten oder isolierten Punkten erzeugt worden oder als einheimisches Produkt vorhanden ist. Weiser ist es, bei solchen Fällen wie dem Vor- kommen derselben Pflanzen in Australien und Europa zu- zugeben, daß wir das Mittel des Transports nicht kennen. Ich möchte hier nur noch einen weiteren Fall erwähnen, nämlich den des Mydas1), eines alpinen Tiers, das nur auf den entlegenen Gipfeln javanischer Berge gefunden worden ist. Wer möchte leugnen, daß während der Glazialperiode der nördlichen und südlichen Hemisphäre, als Indien mut- maßlich kälter war, dieses Tier, das nicht imstande war, tiefer gelegene Gegenden zu bewohnen, die Gebirgskämme entlang, von Gipfel zu Gipfel gewandert sein mag? Lyell hat gleichfalls bemerkt, daß wir keine Ursache haben anzunehmen, daß nach dem Erlöschen einer Art dieselbe je wieder aufgetaucht sei, und zwar sowohl räumlich wie zeitlich gesprochen.') Und so glaube ich, daß wir trotz mehrerer Fälle, die eine gewisse Schwierigkeit bieten, mit Zuversicht annehmen dürfen, daß eine jede Art nur an einem einzigen Punkte, in einem bestimmten Gebiete geschaffen oder erzeugt worden ist.

ÜBER DIE ZAHL DER ARTEN UND ÜBER DIE KLASSEN, DENEN SIE IN DEN VERSCHIEDENEN REGIONEN

ANGEHÖREN.

Eine weitere Seite der geographischen Verbreitung, die zu der Entstehung der Arten in Beziehung steht, ist die Natur und die absolute Zahl der Lebewesen, welche die verschiedenen

1)  Diese Stelle bezieht sich zweifellos auf Atydaus, ein dachsartiges Tier der Gebirge von Java und Sumatra (Wallace, Geographica! Dis- tribution, II, S. 199). Das Heispiel wird in Origin nicht angeführt, doch bemerkt der Verfasser Origin, Ed. I., S. 376, Ed.VI.S. 527)» daß Fälle, die der Verbreitung der Pflanzen streng analog sind, auch unter erdlebenden Saugetieren vorkommen.

2)  Origin, Ed. I., S. 313. Ed- VI, S. 454.

[page] 224                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Landstriche bewohnen. Obwohl jede Art dem Lande und der Örtlichkeit, die sie bewohnt, in bewundernswerter Weise an- gepaßt ist (immerhin nicht mit absoluter Notwendigkeit besser angepaßt als jede andere sonstwo vorhandene Art, was durch die enorme Vermehrung eingewanderter Arten bewiesen wird), so habe ich doch gezeigt, daß die Ver- schiedenheit in den Arten getrennter Länder unmöglich durch die physikalischen Verschiedenheiten dieser Länder erklärt werden kann. Und ebensowenig kann meiner Mei- nung nach die Zahl der Arten oder die Natur der großen Klassen, zu denen sie gehören, in allen Fällen aus den Lebens- bedingungen der betreffenden Länder heraus erklärt werden. Neuseeland1), eine schmale Insel, die sich über 700 englische Meilen von Nord nach Süd erstreckt, und die Wälder, Sümpfe, Ebenen sowie auch Berge aufweist, die bis zur Grenze des ewigen Schnees hinaufreichen, besitzt außerordentlich viel mannigfaltigere Standorte als eine gleich große Fläche am Kap der Guten Hoffnung; und doch glaube ich, daß am Kap der Guten Hoffnung fünf- oder zehnmal so viele Arten von phanerogamen Pflanzen vorhanden sind wie in ganz Neu- seeland. Wie will man aber vom Standpunkt der absoluten Schöpfungen aus erklären, daß diese große und vielfältig geartete Insel nur zwischen 400 und 500 (Dicffenbach?) Arten von Phanerogamen besitzt? Und weshalb wimmelt das durch die Gleichförmigkeit der Gegend ausgezeichnete Kap der Guten Hoffnung von den verschiedensten Pflanzenarten, mehr als irgendeine andere Gegend der Welt?

Warum auf Grund jener verbreiteten Theorie dieser Reichtum an erdlebenden Reptilien auf den Galapagosinseln? und warum entbehren viele gleich große Inseln des Stillen Ozeans völlig dieser Tiere2) oder weisen nur ein oder zwei Arten derselben

1)  Der Vergleich zwischen Neuseeland und dem Kap findet sich in Origin, Ed. I., S. 389, Ed. VI., S. 542.

2)  An einer entsprechenden Stelle von Origin, Ed. I., S 393, Ed. VI., S. 546 wird auf die Verbreitung der Batrachier, nicht der Reptilien exem- plifiziert.

[page] Ozeanische Inseln*

22$

auf? Warum besitzt die große Insel Neuseeland kein einziges Säugetier außer der Maus, die wahrscheinlich durch die Ein- geborenen eingeführt worden ist? Warum besitzt keine einzige Insel, die fern draußen im Ozean liegt, ein vierf üßiges Säugetier? (Man kann, glaube ich,nachweisen,daß die Säugetiere von Mauri- tius und St. Jago sämtlich eingeführt worden sind.) Man sage nicht, daß Vierfüßler nicht auf Inseln leben können, wissen wir doch, daß Rinder, Pferde und Schweine während langer Perioden auf den westindischen und den Falklandsinseln in verwildertem Zustand gelebt haben, ebenso Schweine auf St. Helena, Ziegen auf Tahiti, Esel auf den Kanarischen Inseln, Hunde auf Cuba, Katzen auf Aszension, Kaninchen auf Madeira und den Falklandsinseln, Affen auf St. Jago und Mauritius, selbst Elefanten während langer Zeit auf einer der sehr kleinen Sulu-Inseln und europäische Mäuse auf vielen der allerkleinsten Inseln, weit von den Wohnstätten der Menschen.1)

Ebensowenig haben wir anzunehmen, daß zur Er- schaffung der Vierfüßler längere Zeit nötig gewesen sei und daß infolgedessen die ozeanischen Inseln, die gewöhnlich vulka- nischen Ursprungs sind, zu jung seien, um solche zu besitzen. Denn wir wissen (Lyell), daß neue Formen von Vierfüßlern sich schneller folgen als Mollusken und Reptilien. Auch darf keineswegs angenommen werden, (und eine solche Annahme wäre außerdem noch lange keine Erklärung), daß auf kleinen Inseln keine Vierfüßler entstehen können; denn Inseln, die nicht gerade fern draußen im Ozean gelegen sind, be- sitzen zuweilen ihnen eigentümliche Vierfüßler: so haben viele der kleinen Inseln des ostindischen Archipels ihre Vier- füßler, ebenso Fernando Po an der Westküste von Afrika; auch die Falklandsinseln besitzen einen besonderen wolf- artigen Fuchs'), und die Galapagosinseln eine besondere Maus

i) Diese ganze Beweisführung findet sich in kürzerer Form als hier in Origin, Ed. I., S. 394, Ed. VI., S. 547-

2) S. Origin, Ed L, S. 393. Ed. VI., S. 547- Doch ist die Besprechung dieser Frage ausführlicher im gegenwärtigen Essay.

F. Darwin, Fundamente /ur E>:htehu*s df Arl.n.                                   15

[page] 2 26                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

vom südamerikanischen Typ. Diese beiden letzteren Fälle sind die bemerkenswertesten von den mir bekannt geworde- nen, indem diese Inseln weiter entfernt von anderen Ländern liegen. Es ist möglich, daß die auf Galapagos lebende Maus durch irgendein Schiff von der südamerikanischen Küste eingeführt worden ist (obwohl diese Art jetzt dort unbekannt ist). Denn sie ist sehr auf die Waren der Menschen erpicht, wie ich selbst in Erfahrung brachte, als ich sie in dem Dach eines soeben erbauten Schuppens in einem wüsten Landstrich südlich vom Plata beobachtete.

Die Falklandsinseln, obwohl sie zwischen 200 und 300 Meilen von der südamerikanischen Küste entfernt sind, können doch in gewissem Sinne als mit dem Festlande zusammen- hängend gelten; denn gewiß ist, daß schwimmende Eisberge Blöcke an ihren südlichen Küsten abgesetzt haben, und die alten Kanoes, die gelegentlich an den Strand geworfen werden, sind ein Beweis, daß die Meeresströmungen noch immer von Feuerland herkommen. Diese Tatsache erklärt uns indessen noch immer nicht die Gegenwart des Canis antareticus auf den Falklandsinseln, es sei denn, daß wir annehmen, daß dies Tier früher auf dem Festland lebte und dort erloschen ist, während es auf den Inseln fortbesteht, auf die es auf einem Eis- berg eingeschleppt worden war, (ebenso wie dies mit seinem nördlichen Verwandten, dem gewöhnlichen Wolf, vorkommt). Wohl aber läßt diese Tatsache es weniger widerspruchsvoll erscheinen, daß Inseln wie diese, die sich weit vom Festland getrennt befinden, ihre eigene Säugetierart besitzen. Somit reiht sich vorliegender Fall den Beispielen von Java und Sumatra an, die jede ein ihnen eigentümliches Rhinozeros besitzen.

Ehe ich aus allen den in diesem Abschnitt angeführten Tatsachen betreffend den gegenwärtigen Zustand der Lebe- wesen die Summe ziehe und mich bemühe festzustellen, wie weit sie eine Erklärung zulassen, wird es zweckmäßig sein, sich die Tatsachen der einstmaligen geographischen Ver- breitung erloschener Arten zu vergegenwärtigen, die in irgend- einer Weise mit unserer Abstammungslehre zu tun haben. The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Fossile Überreste.

227

ZWEITER ABSCHNITT.

GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG AUSGESTORBENER

LEBEWESEN.

Ich habe bereits oben dargelegt, daß, wenn das gesamte Festland der Erde in, sagen wir, drei Regionen geteilt zu werden hätte, und zwar nach den Verschiedenheitsgraden zwischen seinen erdlebenden Säugetieren, sich drei ziemlich un- gleiche Abteilungen ergeben würden: I. Australien und die an dieses angegliederten Inselgruppen, 2. Südamerika und 3. Europa, Asien und Afrika. Betrachten wir uns sodann die Säugetiere, welche diese drei Regionen während der Tertiär- periode bewohnten, so finden wir ebenso deutlich umschriebene Formen wie in der Gegenwart, und finden ferner enge Be- ziehungen zwischen den Lebewesen jeder Gruppe zu den heute lebenden Mitgliedern derselben Gruppe.1) Dies trifft in wunderbarer Weise zu bei den verschiedenen fossilen Marsupialiergattungen in den Höhlen von Neusüdwales und in noch schlagenderer Weise in Südamerika, wo wir dieselbe, aus Affen, einem guanaco-ähnlichen Tier, vielen Nagetieren, dem Marsupialier Didelphys, dem Armadill und anderen Eden- taten bestehende Bevölkerungsgruppe finden. Die Familie der Edentaten ist gegenwärtig sehr charakteristisch für Südamerika und war dies in der späteren Tertiärepoche noch mehr, wie man an den zahlreichen enormen, zu der Familie der Megatheroiden gehörenden Tieren sehen kann, von denen einige durch einen knochigen Panzer, ähnlich dem des heutigen Armadill, aber von riesiger Größe, geschützt waren. Und endlich zeigen in Europa die fossilen Reste verschiedener Hirscharten sowie von Rindern, Bären, Füchsen, Bibern und Feldmäusen, eine unverkennbare Verwandtschaft mit den heutigen Bewohnern derselben Region; und die aus derselben Zeit stammenden Überreste von Elefant, Rhinozeros, Flußpferd und Hyäne

1) S. Origin, Ed. I., S. 3*9, Ed. VI., S. 485.

The Complete Work of Charles Darwin Online»

[page] 228                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

zeigen eine Verwandtschaft mit der größeren afrikanisch- asiatischen Region. Was Asien betrifft, so sind die fossilen Säugetiere des Himalaya, obwohl sich unter ihnen Formen finden, die in Europa längst erloschen sind, ebenfalls mit den bestehenden Formen der afrikanisch-asiatischen Region verwandt, am ausgesprochensten aber mit denen von Indien selbst. Dadurch, daß die riesengroßen, jetzt erlosche- nen Säugetiere Europas ganz natürlicher Weise stärkere Aufmerksamkeit erregt haben als die anderen unschein- bareren Fossilien, hat man der Verwandtschaft zwischen den früheren und gegenwärtigen Säugetierbewohnern Europas keine genügende Beachtung geschenkt. In Wirklichkeit aber sind die Säugetiere Europas auch heute noch fast so afrikanisch-asiatisch, wie sie es einstmals waren, als noch Elefanten, Rhinozerosse usw. in Europa lebten. Europa besaß weder zu jener Zeit noch besitzt es jetzt so ausge- sprochen eigentümliche Gruppen wie Australien und Süd- amerika. Das Aussterben bestimmter Formen in einer Gegend bringt noch nicht eine Veränderung der allgemeinen ver- wandschaftlichen Stellung der übrigen Säugetierfauna jener Gegend gegenüber der Hauptregion, der sie angehört, mit sich. Obwohl z. B. Feuerland nur einen Fuchs, drei Nagetiere und den Guanaco besitzt, wird niemand auch nur einen Augenblick zögern, diesen Distrikt mit Südamerika zusammen zu klassifizieren, da sämtliche genannte Tiere dem süd- amerikanischen Typ, wenn auch nicht in seiner charakteristisch- sten Gestalt, angehören; und selbst wenn fossile Edentaten, Marsupialier und Affen in Feuerland gefunden würden, so würde das diesen Distrikt nicht südamerikanischer erscheinen lassen, als er es ohnedies ist. Dasselbe gilt für Europa1) und,

i) In Origin, Ed. I., S. 339, Ed. VI., S. 485, welche Stelle dem vor- liegenden Teil unsers Essays entspricht, widmet Ch. Darwin der Be- sprechung des Vorkommens fossiler Marsupialier in Europa keinen be- sonderen Abschnitt Origin, Ed. I., S. 340, Ed. VI., S. 486). Im vorliegenden Essay geschieht dies in dem gleich unten folgenden Abschnitt über Ver- änderungen in der geographischen Verbreitung.

[page] Beziehungen zwischen ausgestorbenen und lebenden Organismen. 22g

soweit wir wissen, auch für Asien, denn die jüngstvergangenen sowie die jetzigen Säugetiere gehören sämtlich der afrikanisch- asiatischen Abteilung der Erde an. In jedem Fall, möchte ich gleich hinzufügen, sind die Formen, die ein Land besitzt, von größerer Wichtigkeit für die geographische Verbreitung, als die, die ihm fehlen.

Zeugnisse für dieselbe allgemeine Tatsache finden wir auch in der Verwandtschaft zwischen den gegenwärtigen und den tertiären Schaltieren in den verschiedenen Haupt- abteilungen der marinen Welt.

Diese allgemeine und höchst bemerkenswerte Beziehung zwischen den jüngstvergangenen und den gegenwärtigen Be- wohnern der drei Hauptabteilungen der Erde gleicht jener anderen Tatsache, nämlich der Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Arten in den verschiedenen Unter- abteilungen einer jeden der großen Hauptabteilungen. Da wir nun große physikalische Veränderungen mif einem gänz- lichen Aussterben einer Reihe von Lebewesen und deren Ersatz durch eine neue Reihe in Verbindung zu bringen pflegen, so muß uns diese Identität der Beziehungen zwischen vergangenen und gegenwärtigen Organismen in denselben Bezirken der Erde mehr wundernehmen als die gleichen Beziehungen zwischen gleichzeitig existierenden Organismen verschiedener Subregionen. Wir haben aber in Wirklich- keit keine Ursache anzunehmen, daß in allen den Fällen, um die es sich handelt, Veränderungen eingetreten sind, die stärkere Unterschiede bedingt hätten als die jetzt bestehen- den Unterschiede zwischen tropisch und gemäßigt, zwischen Hochland und Tiefland innerhalb derselben Hauptabteilungen, die heutigen Tages von verwandten Geschöpfen bewohnt werden. Und so sehen wir denn aufs deutlichste, daß in jeder der Hauptregionen der Welt dieselben verwandt- schaftlichen Beziehungen zwischen ihren Bewohnern bestehen, und zwar ebensowohl der Zeit wie dem Räume nach.1)

I) „So ist es begreiflich, woher es kommt, daß die alten und neuen Formen von Lebewesen ein großes System miteinander bilden; sind sie

[page] 2?o                 GeographiscJu Verbreitung der Lebewesen,

VERÄNDERUNGEN IN DER GEOGRAPHISCHEN

VERBREITUNG.

Sehen wir indessen näher zu, so finden wir, daß selbst Australien, indem es einen landbewohnenden Pachydermen besaß, doch viel weniger abgesondert von der übrigen Erde war, als dies jetzt der Fall ist; und ebenso verhielt es sich mit Südamerika, welches Mastodon, Pferd, [Hyäne]1) und Anti- lope besaß. Nordamerika ist, wie ich schon bemerkt habe, gegenwärtig bezüglich seiner Säugetiere als neutraler Grund zwischen Südamerika und der großen afrikanisch-asiatischen Region zu betrachten. Früher war es durch den Besitz des Pferdes, des Mastodon und dreier Megatherien näher mit Südamerika verwandt; aber durch den Besitz von Pferd und Mastodon und zugleich des Elefanten, des Rindes, des Schafs und Schweins war es ebensosehr, wenn nicht in noch höherem Grade mit der afrikanisch-asiatischen Region ver- bunden. Ferner war das nördliche Indien durch den Besitz von Giraffe, Hippopotamus und gewisser Moschushirsche näher mit Südafrika verbunden, als dies jetzt der Fall ist; denn Süd- und Ostafrika beanspruchen, wofern wir die Welt in fünf Regionen einteilen, eine Region für sich. Wenden wir uns dem Aufdämmern der Tertiärzeit zu, so müssen wir aus Unkenntnis der Verhältnisse in den übrigen Teilen der Welt uns auf Europa beschränken. Wir bemerken hier zu jener Zeit neben der Existenz von Beuteltieren und Edentaten2) eine durchgehende Untermischung mit allen jenen Säuge- tierformen, die jetzt als besonders charakteristisch für Australien und Südamerika gelten.3)

doch alle durch Zeugung miteinander verbunden." Origin, Ed. I, S 344,

Ed. VI., S. 491.

1)  Das Wurt Hyäne ist durchgestrichen. Es scheint, daß es in Amerika

keine fossilen Hyän'iden gibt.

2)  SieheobenS.228AnmerkungiundOr/*wlEd.I.,S.340.Ed.VI.1S 486.

3)  (Anmerkung von Ch. Darwin.> Vgl. auch eoeene europäische

Säugetiere in Nordamerika.

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[page] Veränderungen in der geographischen Verbreitung.           2$l

Betrachten wir ferner die Verbreitung der mannen Schal- tiere, so finden wir hier die gleichen Änderungen. Das Rote Meer und das Mittelmeer waren bezüglich dieser letzteren näher miteinander verwandt, als sie dies jetzt sind. In ge- wissen Teilen Europas scheinen sie anderseits während des Miozens weniger gleichförmig gewesen zu sein, als jetzt. Während der Tertiärzeit1) waren, nach Lyell, die Schaltiere von Nordamerika und Europa weniger miteinander verwandt als gegenwärtig, noch weniger aber während der Kreidezeit; dagegen waren während derselben Kreidezeit die Schaltiere von Indien und Europa ähnlicher als heute. Gehen wir aber bis zur Kohlenperiode, also noch weiter zurück, so finden wir, daß die Produkte von Nordamerika und Europa einander viel ähnlicher waren als heute.2) Diese Tatsachen harmonieren mit den Schlußfolgerungen, die wir aus der gegen- wärtigen Verbreitung der Lebewesen gezogen haben; sahen wir doch, wie dadurch, daß Arten an getrennten Punkten oder in getrennten Gebieten erzeugt wurden, die Bildung einer Schranke (Barriere) das Zustandekommen verschiedener geographischer Bezirke bedingen mußte, ebenso wie ander- seits die Zerstörung einer solchen Schranke ihre Vermischung zurFolge haben mußte.3) Da nun lange fortgesetzte geologische Veränderungen sowohl die Zerstörung wie die Bildung von Schranken mit sich bringen, so läßt sich annehmen, daß, je weiter wir zurückschauen, wir um so größere Veränderungen der gegenwärtigen Verbreitungsverhältnisse finden müssen. Diese Schlußfolgerung bedarf der Beachtung. Denn ange- sichts der Tatsache, daß wir an weit voneinander entfernten Orten derselben Hauptregion der Erde (sowie auf den diesen benachbarten vulkanischen Inselgruppen) zwar deutlich unter- schiedene, aber doch verwandte Arten finden; angesichts der weiteren Tatsache, daß wundersam analoge Verwandt-

1)  Anmerkung von Ch. Darwin. > Alles dies bedarf noch genauer

Nachprüfung.

2)  Dieser Punkt wird in Origin viel weniger betont.

3)  Origin, Ed. I, S. 356, Ed. VI., S 504.

[page] 232                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Schaftsbeziehungen zwischen den Lebewesen vergangener Zeiten geherrscht haben, zu einer Zeit, wo keine der heutigen Arten existierte, könnte man verleitet werden, an irgend- einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen gewissen Gebieten der Erde und der Erzeugung gewisser organischer Formen zu glauben. Indessen sehen wir nunmehr, daß diese Voraussetzung dadurch eine Komplikation erleidet, daß solche Beziehungen, mögen sie auch durch lange Zeitabläufe hindurch bestanden haben, doch nicht unveränderlich sind. Ich möchte diesem Abschnitt nur noch eine weitere Be- merkung hinzufügen. Gewisse Geologen scheinen geglaubt zu haben, als sie fanden, daß in der ältesten uns bekannten Periode, der silurischen, die Schaltiere und andere marine Produkte1) in Nord- und Südamerika, Europa, Südafrika und Westasien viel ähnlicher waren, als sie es jetzt an diesen weit getrennten Punkten sind, daß in jenen weit zurück- liegenden Zeiten die Gesetze der geographischen Verbrei- tung ganz andere gewesen sein müssen, als jetzt. Aber wir brauchen bloß anzunehmen, daß damals die Gestalt der großen Kontinente eine wesentlich andere war, als jetzt, so daß sie die Bewohner der tropischen und gemäßigten Meere nicht in dem Grade trennten, wie die Kontinente dies heut- zutage tun; dadurch erscheint es sehr erklärlich, daß die Meeresbewohner sich damals viel stärker glichen als heute. In dem mächtigen Meeresgebiet, das sich von der Ostküste Afrikas bis zu den östlichen Inseln des Stillen Ozeans aus- dehnt, eine Meeresstrecke, die teils durch Linien tropischer Küsten, teils durch nicht weit voneinander gelegene Inseln verbunden ist, leben (Cuming) wohl annähernd 200 Schaltiere, die der Küste von Zanzibar, den Philippinen und den östlichsten der Danger-Inseln im Stillen Ozean gemeinsam sind. Diese Strecke kommt an Ausdehnung der Entfernung zwischen Nord- und Südpol gleich ! Man überblicke die Strecke gänz-

i) <Anmerkung von Ch. Darwin.) D'Orbigny zeigt, daß dem nicht

[page] Verwandtschaft zwischen Bewohnern desselben Kontinents. 233

lieh offenen Weltmeers, von den Danger-Inseln bis zur West- küste von Südamerika — und keine Schnecke ist die gleiche; man überschreite den schmalen Zipfel Südamerikas von seiner Westküste zu seiner Ostküste — und wieder sind die Schnecken sämtlich verschieden ! Ich möchte noch bemerken, daß es auch viele Fische gibt, die dem Stillen und Indischen Ozean gemeinsam sind.

ZUSAMMENFASSUNG DER SCHLUSSFOLGERUNGEN ÜBER DIE GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG DER LEBENDEN UND AUSGESTORBENEN ORGANISMEN.

Fassen wir die soeben besprochenen Tatsachen, die sich auf die vergangene und gegenwärtige geographische Ver- breitung der Lebewesen beziehen, zusammen. In einem früheren Kapitel ist gezeigt worden, daß die Arten nicht plötzlich durch allgemeine Katastrophen zerstört worden sind und daß sie auch auf allmähliche Weise entstanden sind. Auch haben wir gesehen, daß jede Art wahrscheinlich nur ein ein- ziges Mal, und zwar an einem bestimmten Orte oder Bezirke erzeugt worden ist, und daß sodann jede dieser Arten sich so weit ausbreitet, wie die geographischen Schranken und die Lebensbedingungen es gestatten. Wenn wir eine der Haupt- Landregionen betrachten, so finden wir in deren verschiedenen Teilen, ob diese nun den gleichen oder verschiedenartigen physikalischen Bedingungen unterworfen sind, viele Gruppen von Arten, die zwar als solche deutlich voneinander unter- schieden, gleichzeitig aber eng untereinander verwandt sind. Wir sehen, wie die Bewohner von Inseln, obwohl der Art nach voneinander abweichend, das eine gemeinsam haben, daß sie mit den Bewohnern des nächsten Kontinents ver- wandt sind. Bei einigen Inselgruppen sehen wir, daß sogar die einzelnen Inseln von deutlich unterschiedenen Arten be- wohnt werden, die aber sämtlich untereinander und mit denen des nächstgelegenen Kontinents Verwandtschaft zeigen r diese Sachlage kann als typisch für die Verteilung der Lebewesen The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 234                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

auf der Erde überhaupt gelten. Die Floren auf weit von- einander entfernten Berggipfeln wurden von uns entweder sehr ähnlich befunden (für diesen Umstand fand sich eine einfache Erklärung), oder aber unter sich stark verschieden und jeweils verwandt mit den Floren der umgebenden Region.

In letzterem Falle wird natürlicherweise die Pflanzenwelt auf zwei denselben physikalischen Bedingungen ausgesetzten aber verschiedenen Regionen angehörenden Berggipfeln sehr verschieden sein. Auf den Berggipfeln von Inseln, die sich durch ein ihnen eigentümliches Tier- und Pflanzenleben aus- zeichnen, zeigen die Pflanzen oft einen äußerst sonderbaren Charakter.

Die Verschiedenheit zwischen Lebewesen, die ganz ähn- liche Länder bewohnen, wird am besten erkannt, wenn man die Hauptregionen der Erde vergleicht; in jeder der- selben finden sich Bezirke, die sehr ähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind, und doch sind ihre Bewohner gänzlich verschieden — ja viel verschiedener geartet als die Bewoh- ner sehr unähnlicher Distrikte in derselben Hauptregion. Wir sehen dies am schlagendsten, wenn wir zwei vul- kanische Inselgruppen miteinander vergleichen, die zwar fast das gleiche Klima besitzen, aber gleichzeitig nicht allzuweit von zwei verschiedenen Kontinenten gelegen sind; wir finden dann, daß die Bewohner der beiden Gruppen einander total unähnlich sind. In den verschiedenen Hauptregionen der Erde ist der Betrag der Verschiedenheit zwischen den Lebe- wesen, selbst innerhalb derselben Klasse, ein sehr wechseln- der; von manchen Familien hat jede dieser Regionen nur ihre besonderen Arten, von anderen Familien ihre besonderen Gattungen.

Die Verteilung der wasserlebenden Organismen ist von der der landlebenden sehr verschieden, was nur natürlich ist, da die Schranken, die sich der Verbreitung entgegensetzen, so äußerst verschiedener Art sind. Die Natur der Lebens- bedingungen in einem isolierten Bezirk kann uns keinen

Aufschluß über die Anzahl der dort lebenden Arten geben,

[page] Wechsel in den geographischen Verhältnissen.             235

ebensowenig über das Vorhandensein dieser oder das Nicht- vorhandensein jener Klasse. Wir bemerken, daß landlebende Säugetiere auf sehr weit von allen Festländern entfernten Inseln fehlen. Beim Vergleich zweier Regionen sehen wir, daß ihre Arten, obwohl unterschieden, doch mehr oder weniger verwandt sind, und zwar richtet sich der Grad dieser Ver- wandtschaft nach der größeren oder geringeren Möglich- keit eines früheren oder gegenwärtigen Transports von Arten aus der einen dieser Regionen nach der andern. Freilich ginge es zu weit, anzunehmen, daß in solchen Fällen alle Arten von der ersten nach der zweiten Region eingeführt und später in der ersten ausgestorben seien. Dieses Gesetz manifestiert sich uns in dem Vorhandensein des Fuchses auf den Falklands- inseln; in dem europäischen Charakter einiger Pflanzen auf Feuerland; in dem indisch-asiatischen Charakter der Pflanzen des Stillen Ozeans; auch in dem Umstand, daß dieselben Gat- tungen, die das weiteste Gebiet einnehmen, auch viele Arten mit weiten Gebieten besitzen, während die Gattungen mit beschränkten Gebieten auch Arten mit beschränkten Gebieten aufweisen. Und schließlich finden wir in jeder der Haupt- regionen des Landes sowie wahrscheinlich auch in jeder der Hauptregionen des Meeres, daß die gegenwärtig lebenden Organismen mit den jüngst erloschenen verwandt sind.

Wenn wir noch weiter zurückschauen, so sehen wir, daß die frühere geographische Verbreitung der Lebewesen von der heutigen verschieden war. Und in der Tat wäre das Gegenteil auch kaum denkbar, zeigt uns doch die Geologie, daß unser ganzes jetziges Festland einst unter Wasser war, und daß dort, wo sich jetzt noch Wasser erstreckt, Land in Ent- wicklung begriffen ist.

Nun liegt es auf der Hand, daß alle diese verschiedenen Befunde, trotzdem sie zweifellos in engerem oder weiterem Zusammenhang miteinander stehen, von dem Schöpfungs- gläubigen einfach als ebenso viele gegebene Tatsachen an- gesehen werden müssen. Seine Anschauung kann keine andere sein als die, daß es dem Schöpfer so gefallen habe, The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 236                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

daß alle die Lebewesen der Ebenen, Wüsten, Berge, der tropischen und gemäßigten Wälder von Südamerika eine ge- wisse Affinität zueinander besitzen; daß die Bewohner des Galapagosarchipels denen von Chile nahestehen; und daß einige der Spezies auf den völlig gleich gearteten Inseln dieses Archipels, wiewohl einander sehr nahestehend, doch voneinander verschieden seien; daß alle die Bewohner dieses Archipels von denen der ebenso vulkanischen und unfruchtbaren Cap Verdischen und Kanarischen Inseln absolut verschieden, daß die Pflanzen auf dem Gipfel von Teneriffa außergewöhnlich eigentümliche seien, daß eine so vielfältig gestaltete Insel wie Neuseeland nur wenige Pflanzen und nicht oder nur ein einziges Säugetier ihr eigen nenne, daß die Säugetiere von Südamerika, Australien und Europa mit ihren uralten ausgestorbenen Vorfahren deutlich verknüpft seien — und was noch mehr solcher Tatsachen sind. Es hieße aber, allen Analogien, die wir aus den vom Schöpfer in die unorganische Materie gelegten Gesetzen ableiten, ins Gesicht schlagen, wollte man Tatsachen, die untereinander in Be- ziehung stehen, als an sich gegeben und nicht als direkte Folge allgemeiner Gesetze betrachten.

DRITTER ABSCHNITT.

EIN VERSUCH, DIE OBIGEN GESETZE DER

GEOGRAPHISCHEN VERBREITUNG AUS DER THEORIE

HERAUS ZU ERKLÄREN, DASS VERWANDTE ARTEN

EINE GEMEINSAME ABSTAMMUNG BESITZEN.

Rufen wir uns zunächst einmal die Umstände zurück, die wir im Verlauf des ersten Kapitels als die günstigsten für Variation unter Domestikation erkannt haben. Da finden wir erstens: einen Wechsel oder wiederholte Wechsel in den Lebens- bedingungen, denen der betreffende Organismus während mehrerer Generationen bei geschlechtlicher Fortpflanzung

(d. h. nicht bei vegetativer, durch Knospung oder Teilung)

The ComDiete Work of Charles Darwin Online

[page] Verbreitung und Entwicklung.                        237

ausgesetzt gewesen ist; zweitens: beständige Auslese der so hervorgebrachten leichten Varietäten in der Richtung auf ein bestimmtes Ziel; drittens: größtmögliche Isolierung solcher einzelnen Varietäten, d. h. Verhinderung ihrer Kreu- zung mit anderen Formen. Diese letztere Bedingung ist bei allen erdlebenden Tieren, bei den meisten, wo nicht allen Pflanzen und vielleicht sogar bei den meisten (oder allen) wasserlebenden Organismen von Bedeutung. Es wird gut sein, um die Vorteile der Isolierung bei der Schaffung einer neuen Zucht zu zeigen, die Leistungen zweier Personen zu vergleichen, die ohne Ansehen der Zeit sich bestreben, durch Auslese eine ganz bestimmte neue Form zu züchten. Nehmen wir an, daß einer dieser Züchter an den ungeheuren Rinderherden der Pampas vonLaPlata1), der andere an einem kleinen Bestand von 20 bis 30 Tieren auf einer Insel arbeitet. Der letztere könnte jahrhundertelang warten (was übrigens für die uns hier beschäftigende Frage ohne Bedeutung ist), ehe er eine Sprungvariation erhielte, die sich in der von ihm angestrebten Richtung bewegte; besäße er diese aber erst einmal und gelänge es ihm, die Mehrzahl von deren Nach- kommen und von den Nachkommen dieser Nachkommen durchzubringen, so dürfte er hoffen, bald seine ganze kleine Herde bis zu gewissem Grade verändert zu sehen und durch fortgesetzte Auslese zu seinem Ziel zu gelangen. Auf den Pampas dagegen würde es, obwohl der betreffende Züchter vor- aussichtlich die ersehnte Sprungvariation rascher finden würde, ein hoffnungsloses Beginnen sein, durch das Aussondern von deren Nachkommen aus den Mengen gewöhnlicher Individuen die ganze Herde zu beeinflussen: die Wirkung dieser einen Sprungvariation2) würde schon verloren gehen, bevor der

1) Dieses Beispiel kommt in dem Essay von 1842, S. 63, aber nicht in Origin vor, obwohl auch hier die Wichtigkeit der Isolierung besprochen

wird Origin, Ed. I, S. 104, Ed. VI., S. 127).

3) Es ist ungewöhnlich, Ch. Darwin von Sprungvariationen „Sports" anstatt wie meist von kleinen Variationen „smalt Variations") reden zu hören.

[page] 238                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Züchter hoffen dürfte, eine zweite originale Sprungvariation derselben Art zu finden. Gelänge es ihm indessen, eine kleine Anzahl von Rindern, einschließlich der günstigen Sprung. Variation abzusondern, so dürfte er hoffen, ebensogut wie der Mann auf der Insel sein Ziel zu erreichen. Wäre die Sprung- variation von der Beschaffenheit, daß ihre Individuen sich aus physiologischen Gründen unmöglich mit den Individuen der Stammrasse vereinigen könnten, dann würde eine natür- liche Auslese, ob auf Kontinent oder Insel in gleicher Weise zu dem Ziele führen, eine neue und erwünschte Rasse zu erzeugen; und diese neue Rasse könnte auf Grund der großen, geometrischen Vermehrungskraft in überraschend wenig Jahren dahin gebracht werden, die alte Rasse aus dem Felde zu schlagen. Dies hat sich in der Tat in den Fällen be- währt (und zwar trotz gelegentlicher Kreuzung), wo gute Rassen von Hunden oder Schweinen in einen beschränkten Bezirk — z. B. auf Inseln des Stillen Ozeans — eingeführt worden sind.

Vergegenwärtigen wir uns nunmehr den einfachsten Fall, daß nämlich ein Inselchen durch vulkanische oder andere unterirdische Gewalten aus einem tiefen Meer emporgehoben worden sei, und zwar in einer derartigen Entfernung von anderem Land, daß nur wenige Lebewesen und diese nur in den größten Abständen eingeschleppt werden konnten, sei es durch das Meer angeschwemmt1), wie Pflanzensamen nach Korallen- riffen, oder durch Wirbelstürme, Springfluten, oder auf Flößen, in den Wurzeln großer Baumstämme, oder indem die Keime einer Pflanze oder eines Tieres sich an einen anderen Organis- mus angeheftet oder im Magen desselben befunden hätten. Auch darf man die Vermittlung durch andere, seitdem ver- sunkene oder zerstörte Inseln nicht zu gering anschlagen, die in vielen Fällen als der wahrscheinlichste Weg der Ein- führung betrachtet werden muß. Es mag bemerkt werden,

1) Diese kurze Betrachtung wird in Origin durch eine viel ausführ- lichere ersetzt (Ed. L, S. 356, 383, Ed. VI., S. 504, 535)- Indessen gehören auch die Stellen S. 220 des vorliegenden Essays zu diesem Thema.

[page] Inseln und ihre Lebensbedingungen.                     2iQ

daß, sobald ein Teil der Erdrinde sich hebt, ein anderer mit Wahrscheinlichkeit sich senkt; es scheint dies die all- gemeine Regel zu sein. Nehmen wir nun an, daß eine Insel sich allmählich und Fuß für Fuß im Laufe von Jahrhunderten emporhebt: wir werden dann im Laufe der Zeit an Stelle einer kleinen Felsmasse1) Tiefland und Hochland, feuchte Wälder und sandige Strecken, verschiedene Bodenarten, Sumpfländer, Flußläufe und stehendes Wasser erblicken; und unter dem Wasser in der Strandzone des Eilandes werden wir statt einer felsigen, jäh abstürzenden Küste an vielen Stellen Buchten mit Schlamm, sandigen Strandflächen und felsigen Untiefen finden. Auch kann die Entstehung solch einer Insel häufig die klimatischen Verhältnisse ihrer Umgebung bis zu einem gewissen Grade beeinflussen. Es ist nun unmöglich, daß die wenigen zuerst eingeführten Lebewesen den genannten Standorten völlig angepaßt sein konnten, und es wäre ein bloßer Zufall, falls unter den im Laufe der Zeit eingeschleppten so vollkommen angepaßte sich befänden. Wir müssen an- nehmen, daß die Mehrzahl der eingeführten Organismen den Tiefländern des nächstgelegenen Landes entstammen; aber nicht einmal alle diese würden dem neuen Inselchen, das wir uns zunächst noch niedrjg und Küsteneinllüssen ausgesetzt zu denken haben, vollkommen angepaßt sein. Zu alledem müssen wir bedenken, daß sämtliche Organismen in ihrem Bau mindestens ebensosehr an die übrigen Bewohner eines Landes wie an dessen physikalische Eigenschaften an- gepaßt sind, woraus sich ergibt, daß durch die Einführung einiger weniger (und noch dazu größtenteils vom Zufall bestimmter) Geschöpfe auf eine neue Insel schon allein eine große Veränderung in ihren Lebensbedingungen sich ergeben

würde.2)

Während die Insel weiter emporwüchse, müßten wir die Einwanderung gelegentlicher weiterer Eindringlinge vor-

i) Über die Bildung neuer Sundorte s Origin, Ed I , S. 292, Ed. VI., S. 429.

2) Origin, Ed. I.. S. 390, 400. Ed- VI- s- 543, 54-

[page] 240

Geographische Verbreitung der Lebewesen.

aussetzen; und ich kann nur wiederholen, daß selbst ein einziges neues Geschöpf die anderen Lebewesen — zum Teil oder sämtlich — über unsere Berechnung hinaus zu be- einflussen vermag, sei es, daß der Neuling den Raum, sei es, daß er die Subsistenzmittel der bisherigen Bewohner für sich in Anspruch nimmt. Während nun die zuerst eingeführten sowie die später gelegentlich zugewanderten Organismen sich über die neue Insel ausbreiten oder doch sich auszubreiten streben, haben wir sie uns mehrere Generationen hindurch als umgeben von für sie neuen und wechselnden Bedingungen vorzustellen. Es kann dabei auch leicht so kommen, daß einige der eingewanderten Arten eine durchschnittlich gegen früher reichlichere Kost oder Kost nahrhafterer Qualität finden.1) Nach der Analogie dessen, was wir in allen Ländern und unter allen im Zustand der Domesti- kation lebenden Organismen beobachten, dürfen wir also annehmen, daß einige der Einwohner jener Insel Sprung- variationen entwickeln und plastische Fähigkeiten an den Tag legen würden. Da unserer Annahme nach die Zahl dieser Einwohner zunächst gering sein wird, und da diese wenigen ihren neuen und wechselnden Umgebungen nicht so gut an- gepaßt sein können wie den Lebensbedingungen und Stand- orten ihrer bisherigen Heimat, so liegt es auf der Hand, daß die verschiedenen Plätze und Möglichkeiten in der Ökonomie jener Insel nicht so angemessen ausgenutzt sein können wie auf einem Kontinent, wo die Zahl der eingeborenen Arten viel größer ist und diese infolgedessen viel streng begrenztere Standorte einnehmen. Wir müssen uns deshalb vorstellen, daß, wenn auch auf unserer Insel viele kleine Variationen auftreten, die von keinem besonderen Nutzen für die be- treffenden ,,plastischen" Individuen sind, trotzdem im Laufe

i) In dem Manuskript findet sich in dem Satz zwischen „es kann dabei so kommen" bis ,, finden" einiges in undeutlicher Weise ausgestrichen und korrigiert. Wie mir scheint, war der Verfasser im Zweifel, ob ein derartiger Nahrungszuwachs das Entstehen von Variationen begünstigen würde.

[page] Anpassung neuer Inselbewohner.                        2dl

eines Jahrhunderts gelegentlich irgendein Individuum ge- boren werden könnte1}, dessen Bau oder sonstige Natur- anlage es als besonders geeignet für einen bestimmten Platz in dem Haushalt der Insel erscheinen ließe, so daß es dadurch in den Stand gesetzt würde, sich im Kampf mit den an- deren Arten zu behaupten. Wenn sich dies so verhielte, so würde jenes Individuum eine bessere Anwartschaft darauf haben, zu überleben als die elterliche Form und würde diese aus dem Felde schlagen; ja selbst wenn, was sehr wahr- scheinlich ist, dies Individuum und seine Nachkommen sich mit der unveränderten elterlichen Form kreuzen sollten, so würde doch bei der geringen Zahl von Individuen eine Möglichkeit vorhanden sein, daß die neue und brauchbarere Form sich bis zu gewissem Grade behauptete. Dieser Kampf ums Dasein würde nun fortwährend, Jahr für Jahr dahin wirken, derartige Exemplare auszulesen, bis eine neue Rasse oder Art geschaffen worden wäre. So würden entweder einige oder sämtliche von den ersten Gästen der Insel modi- fiziert werden, und zwar je nachdem sich die physikalischen Bedingungen der Insel sowie die Verhältnisse, die von der Art und der Zahl der miteingewanderten Arten abhängen, von denen des Mutterlandes unterschieden, ferner entsprechend den Schwierigkeiten, die sich Nachschüben von Einwande- rern entgegensetzten und endlich entsprechend der Länge der Zeit, die seit der ersten Einwanderung verflossen wäre.

Es liegt auf der Hand, daß die ersten Ankömmlinge, welches auch ihre Heimat gewesen sein mag (meist wird wohl das nächstgelegene Land in Betracht kommen), selbst wenn sie später sämtlich modifiziert worden sein sollten, mit den Organismen dieses Landes stets eine ausgesprochene Verwandtschaft zeigen müssen. Von diesem Gesichtspunkt aus verstehen wir ohne weiteres die Ursache und Bedeutung der Verwandtschaft der Fauna und Flora der Galapagos- inseln mit denen der südamerikanischen Küste, und folglich

i) Zu jener Zeit (1844) legte Ch. Darwin dem Auftreten von Sprung- variationen offenbar mehr Wert bei, als in späteren Jahren.

F.Darwin. Fundament« mr Fniitekung der Arten.                                16

"he Complete Work of Charles Darwin Online

[page] 242                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

auch, weshalb die Bewohner dieser Inseln nicht die geringste Verwandtschaft mit den Bewohnern anderer, unfern der afrikanischen Küste gelegener vulkanischer Inseln von sehr ähnlichem Klima und ähnlicher Bodenbeschaffenheit auf- weisen.1)

Um nochmals zu unserer hypothetischen Insel zurück- zukehren: gesetzt, es entstünden durch die fortgesetzte Wirkung der unterirdischen Kräfte neue, benachbarte Inseln, so würden diese von den Bewohnern der ersten Insel und vielleicht von einigen Einwanderern aus dem benach- barten Festland besetzt werden. Wenn aber dem Verkehr zwischen den landlebenden Organismen dieser Inseln be- trächtlichere Hindernisse in den Weg gelegt würden und ihre respektiven Lebensbedingungen sich verschiedenartig ent- wickelten, vielleicht nur insofern, als die Zahl und Zusammen- stellung von Arten auf jeder Insel verschieden wäre, so ließe sich denken, daß eine von einer dieser Inseln auf die andere übergewanderte Form sich ebenso verändern würde, wie eine von dem nächsten Kontinent auf die erste Insel ein- gewanderte; somit würden wir dann auf verschiedenen dieser Inseln repräsentativen Rassen oder Arten begegnen, wie uns dies auf den verschiedenen Inseln des Galapagos- archipels in so wunderbarer Weise entgegentritt. Wenn die neuen Inseln gebirgig sind, so wird, da in den seltensten Fällen alpine Arten eingeschleppt werden, ein größerer Aufwand an Variation und Auslese nötig sein, um die meist den Tiefländern des nächstgelegenen Konti- nents entstammenden Arten den Berggipfeln anzupassen, als dies in bezug auf die Bewohner der tieferen Partien unserer neuen Inseln nötig war. Denn wir müssen be- denken, daß die von dem nächsten Kontinent stammenden Tieflandspezies sich zunächst mit anderen Arten und neuen Verhältnissen am Küstenland der kürzlich entstandenen Insel auseinanderzusetzen hatten, und daß im Verlauf dieses

i) Origin, Ed. I., S. 398, Ed. VI., S. 553.

[page] Inselgruppen.                                     243

Prozesses sie mutmaßlich durch Auslese ihrer bestgeeigneten Varietäten abgeändert wurden; denselben Prozeß würden sie sodann nochmals durchgemacht haben, während sich die Insel zu einer mäßigen Höhe und nochmals, während sie sich zu alpinem Charakter emporhob. Aus allen diesen Um- ständen erklärt es sich, weshalb die Tierwelt insularer Berg- gipfel, wie wir dies z. B. bei Teneriffa bemerken, so außer- ordentlich eigenartig ist. Wenn wir von den Fällen ab- sehen, wo eine weit ausgebreitete Pflanzenwelt durch den Wechsel des Klimas von kalt zu gemäßigt auf die Berg- gipfel hinaufgedrängt wird, so wird es uns jetzt auch erklär- lich, weshalb in anderen Fällen die Berggipfel, die ich auch als ,, Inseln in einem Meer von Land" bezeichnet habe, von besonderen, aber mit den umgebenden Tiefländern verwandten Arten bewohnt werden. Diese Beziehung ist eine ganz ähnliche wie die der Bewohner einer wirklichen Meeresinsel zu denen des nächsten Kontinents.1)

Betrachten wir nunmehr die Wirkung eines Wechsels im Klima oder anderer Lebensbedingungen auf die Bewohner eines Kontinents und einer abgelegenen Insel, ohne be- deutendere Veränderung des Niveaus. Auf einem Kontinent würde sich die hauptsächliche Wirkung in den Zahlenverhält- nissen zwischen den Individuen der verschiedenen Arten äußern. Denn ob nun das Klima wärmer oder kälter, trockener oder feuchter, gleichmäßiger oder extremer geworden sein möge, stets muß man annehmen, daß einige Spezies des betreffenden Kontinents völlig an ihre verschiedenartigen bisherigen Wohnorte angepaßt waren. Es würden dann also, gesetzt das Klima sei kälter geworden, Arten aus den ge- mäßigten und hochgelegenen Bezirken, gesetzt es sei feuchter

i)S 0n***,Ed.I., S.403, Ed.VI.,S.558, wo Ch. Darwin von alpinen Koh- bris Nagern, Pflanzen usw. in Südamerika spricht, die sämtlich streng amerikanische Formen repräsentieren. Im Manuskript d.cses Essays findet sich noch zwischen den Zeilen „indem die Erde heißer wurde, ging Strahlung von Hochländern aus - alte Ansicht? - sonderbar bez.eht sich wohl auf Diluvium".

[page] 244

Geographische Verbreitung der Lebewesen.

geworden, aus den feuchten Regionen auswandern, usw. Auf einer kleinen und entlegenen Insel aber, mit nur wenigen, vielfältigen Lebensbedingungen nicht angepaßten Arten würden solche Veränderungen, anstatt einfach die Anzahl bestimmter, bereits an derartige Bedingungen angepaßter Arten zu vermehren und die Zahl unvollkommen angepaßter zu vermindern, höchstwahrscheinlich die Körperbeschaffen- heit einiger der insularen Arten beeinflussen. So ließe sich denken, daß, gesetzt die Insel würde feuchter, keine Lebe- wesen vorhanden seien, die den Folgen vermehrter Feuchtig- keit gewachsen wären. Daher würde in solchem Falle und noch mehr, wie wir schon gesehen haben, während der Ent- stehung neuer Bezirke durch Hebung eine Insel eine viel ergiebigere Quelle für neue spezifische Formen darbieten als ein Festland. Schließlich, dürfen wir annehmen, würden die auf diese Weise auf einer Insel erzeugten neuen Formen gelegentlich durch Zufall oder infolge weiterer geographischer Veränderungen auch über den Bereich unserer Insel hinaus gelangen und so ganz allmählich Verbreitung finden.

Betrachten wir nun den Ursprung eines Kontinents. Fast alle Geologen sind darin einig, daß es sich dabei in den meisten Fällen um getrennte Inseln handelt, die nach und nach an Größe zugenommen haben1); deshalb läßt sich alles, was über die mutmaßliche Veränderung der Organismen auf einer Gruppe kleiner Inseln gesagt worden ist, auch auf einen in einem früheren Stadium befindlichen Kontinent an- wenden. Außerdem wird jeder Geologe, der sich mit der geologischen Urkunde Europas befaßt, der einzigen uns gut bekannten Region, zugeben, daß dieser Erdteil verschie- dene Senkungen, Hebungen und stationäre Epochen durch- gemacht hat. Während der Senkung eines Kontinents und der diese Senkung gewöhnlich begleitenden klimatischen Veränderungen würde die Wirkung, abgesehen von einer

i) S den Vergleich zwischen dem Malayischen Archipel und dem mutmaßlichen früheren Zustand von Europa, Origin, Ed I., S. 299, Ed. VI., S. 43 und Origin, Ed. I., S. 292, Ed. VI., S. 429.

[page] Große geographische Veränderungen.                    245

Änderung der Zahlenverhältnisse und dem Aussterben einiger oder vielleicht vieler Arten (verursacht durch die Verwandlung von Hochland in Tiefland, das Kleinerwerden von Flüssen und das Austrocknen von Sumpf land), gering sein. Sobald aber ein Kontinent einer Teilung in viele kleine Bezirke oder Inseln unterliegen würde, wodurch ein freier Austausch von einer Gegend in die andere fortfiele, würde die Wirkung klimatischer und andersartiger Ver- änderungen auf die Arten einschneidender sein. Lassen wir aber nunmehr den vorläufig noch unterbrochenen, aus ein- zelnen Inseln bestehenden Kontinent gehoben werden und neue Standorte sich entwickeln, so wie wir es oben bei der neuentstandenen vulkanischen Insel gezeigt haben, so werden sich ebenso günstige Bedingungen für die Abänderung alter Formen, d. h. für die Bildung neuer Formen oder Arten ergeben. Lassen wir aber die bisher getrennten Inselgebiete sich zu einem Kontinent zusammenschließen, so werden sich sofort die neuen und alten Formen ausbreiten, soweit es die geographischen Schranken, die Transportmittel und die Vorausbesetzung eines Landes durch andere Arten zuläßt. Einige der neuen Arten oder Rassen würden dabei wahr- scheinlich vernichtet werden, andere würden sich vielleicht kreuzen und ineinander übergehen. Was wir dadurch er- halten würden, wäre eine Unmenge verschiedener Formen, die allen möglichen untereinander mehr oder weniger ab- weichenden Standorten, ferner sowohl feindlichen wie auch zur Nahrung dienenden Organismen angepaßt wären. Je häufiger nun solche Niveauschwankungen stattgefunden haben (was meist mit dem Alter des betreffenden Landes zusammenhängt), um so größer wird auch die Zahl der Arten

sein, die erzeugt werden.

Aus alledem geht hervor, daß die Bewohner eines Kontinents, die ja ursprünglich von denselben Vor- fahren abstammen, sich dann zur Bevölkerung ein und desselben ausgedehnten Gebiets entwickelt haben — das ja freilich des öfteren zerrissen und wieder vereinigt worden

[page] 246                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

sein mag —, daß diese also auf die natürlichste Weise miteinander verwandt sein müssen, weshalb es uns nicht wundernehmen darf, daß die Bewohner der allerver- schiedenartigsten Örtlichkeiten desselben Kontinents enger miteinander verwandt sind als die Bewohner zweier äußerst ähnlicher Örtlichkeiten innerhalb zweier ver- schiedener Hauptregionen der Erde.1)

Ich brauche wohl kaum zu wiederholen, daß es nunmehr ganz klar ist, warum die Zahl der Arten in zwei verschiedenen Bezirken ganz unabhängig von der Zahl der Standorte in diesen Bezirken zuweilen so verschieden groß ist, wie z.B. in Neuseeland und dem Kap der Guten Hoffnung.2) Wir sehen jetzt, nachdem wir die Schwierigkeiten beim Transport landbewohnender Säugetiere erkannt haben, ein, warum vom Festland weit abgelegene Inseln keine solchen besitzen;3) wir erkennen auch ungefähr (wenn auch nicht vollständig klar) die Ursache, warum gewisse Inseln — nämlich infolge gelegentlicher Einschleppung — Mitglieder der Reptilien- klasse besitzen, während andere Inseln diese entbehren. Wir erkennen ferner, wie ein einstmaliger Verbindungsweg — wie er wahrscheinlich während früherer Kälteperioden durch die Kordilleren zwischen dem südlichen Chile und den Vereinigten Staaten, wie er durch Eisberge zwischen den Falklandsinseln und Feuerland, wie er durch Sturm- winde zwischen den asiatischen Küsten des Stillen Ozeans und dessen östlichen Inseln gebildet wurde — mit der Ver- wandtschaft zwischen den allerdings nicht identischen Arten zweier solcher Bezirke in Beziehung steht, ja wir dürfen sagen, wie er als die Ursache derselben anzusehen ist. Wir sehen, wie weitverbreitete und an Individuen reiche Arten, welche sich schon in ihrer eigenen Heimat ausgedehnte Gebiete

i ) Origin, Ed. I., S. 349, Ed. VI., S. 496. Die Anordnung der Beweis- führung in diesem Essay bringt gewisse Wiederholungen mit sich In Origin sind diese vermieden.

2)  Origin, Ed. I., S. 389, Ed. VI., S. 542.

3)  Origin, Ed. I, S. 393, Ed. VI., S. 547-

[page] Schopfungssentren,                                 2A"i

erobert hatten, die beste Anwartschaft darauf haben, auch in neuen Ländern Fuß zu fassen,1) und wie im Gegensatz hierzu Arten von beschränkter Ausdehnungskraft in dieser Hin- sicht versagen.

Ebenso wie jedermann erstaunt sein würde, wenn zwei gleiche, aber ausgesprochen eigentümliche Varietäten*) einer Spezies in zwei getrennten Ländern oder zu zwei weit ge- trennten Zeiten vom Menschen erzeugt worden wären, ebenso dürfen wir nicht erwarten, daß eine völlig identische Form in zwei verschiedenen Ländern oder während zweier verschiedener Perioden aus der Abänderung einer älteren Form entsteht. Denn an solch getrennten Orten und Zeiten würden jene Arten wahrscheinlich einigermaßen verschiedenen Klimaten, sicherlich aber verschiedenen Mitbewohnern aus- gesetzt gewesen sein. Wir erkennen aus allem Gesagten, weshalb jede Spezies einzeln sowohl nach Zeit wie nach Raum erzeugt worden zu sein scheint. Ich brauche kaum zu betonen, daß gemäß dieser Abstammungstheorie nicht etwa eine Not- wendigkeit der Abänderung vorliegt, wenn eine Art ein neues und abgelegenes Land erreicht. Wäre sie imstande sich zu behaupten und gelangten kleine den neuen Lebensbedingungen besser angepaßte Variationen nicht zur Auslese, so könnte sie, soweit wir urteilen können, ihre alte Form für unbe- grenzte Zeit behalten. Ebenso wie wir bei einigen, unter Domestikation erzeugten Untervarietäten beobachten, daß sie veränderlicher sind als andere, ebenso ist dies vielleicht auch bei einigen Arten und Gattungen der Fall. Doch ist es kaum denkbar, daß genau dieselbe Form sich durch eine Aufeinanderfolge geologischer Perioden hindurch erhält oder sich gleichzeitig in weit getrennten und verschieden ge- arteten Ländern vorfindet-3)

Schließlich dürfen wir annehmen, daß während der langen Zeitperioden und während der häufigen Niveauschwankungen,

i) Origin, Ed. I, S. 3S©, 404, Ed. VI., S. 49«. 559-

2)  Origin, Ed. I. S. 352. Ed. VI., S. 500.

3)  Origin, Ed. I, S. 3'3. Ed. VI., S. 454-

[page] 248                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

die zur allmählichen Entstehung eines Kontinents nötig sind, viele Formen, wie schon früher bemerkt, zugrunde gehen. Diese ausgestorbenen Formen und die überlebenden, ob diese nun in ihrem Bau abgeändert wurden oder nicht, werden sich nun innerhalb eines jeden Kontinents dem Wesen und dem Grade nach genau so zueinander verhalten, wie die Bewohner irgendwelcher zwei Subregionen desselben Konti- nents. Ich will damit nicht behaupten, daß z. B. die gegenwärtigen Beuteltiere von Australien oder die Edentaten und Nager von Südamerika von irgendeiner der wenigen fossilen Formen jener Ordnungen abstammen, die wir in den genannten Weltteilen finden. Möglich, daß dies in einigen wenigen Fällen sich so verhält; gewöhnlich aber darf man annehmen, daß sie nur gemeinsame Abkömmlinge eines und desselben Stammes sind.') Diese meine Ansicht gründet sich auf die Unwahrscheinlichkeit, daß in Anbetracht der ungeheuren Menge von Arten, die unserer Theorie zufolge und nach den Erwägungen des letzten Kapitels existiert haben müssen. die verhältnismäßig wenigen gefundenen Fossilien zu- fällig die direkten und geradlinigen Vorfahren der gegen- wärtig existierenden Formen sein sollten. Und obwohl die bisher entdeckten fossilen Säugetiere Südamerikas relativ späte Formen aufweisen, wer wollte ausschließen, daß zwischen ihnen und den heutigen Formen eine Menge Zwischen- glieder existiert haben?

Wir werden in dem folgenden Kapitel sehen, wie die Existenz von Gattungen und Arten allein durch den Um- stand erklärt werden kann, daß einige Spezies jeder Epoche abgeänderte Nachkommen oder neue Spezies an eine spätere Epoche hinterlassen haben. Je ferner nun diese spätere Epoche, desto seltener müßten die geradlinigen Abkommen der früheren Periode sein. Da unserer Theorie nach alle Säugetiere von demselben elterlichen Stamm ausgegangen sein müssen, so muß notwendigerweise jedes Land, das heut-

1) Origin, Ed. I , S. 341, Ed. VI., S. 487.

[page] Unwahrscheinlichkeit des Aujfindetis fossiler Übergangs formen* 249

zutage landlebende Säugetiere besitzt, zu irgendwelcher Zeit so dicht mit anderem Land zusammengehangen haben, daß der Übergang von Säugetieren ermöglicht wurde,1) und es stimmt mit dieser Notwendigkeit überein, daß, wenn wir die Geschichte unserer Erde rückwärts überblicken, wir zunächst Veränderungen in der geographischen Verbreitung und dann eine Periode entdecken, in der Säugetierformen, die jetzt als die bezeichnendsten für die zwei Hauptregionen der Erde gelten, in ein und demselben Lande lebten.2)

Ich halte also meine Behauptung für gerechtfertigt, daß die meisten der obengenannten, oft unbedeutend erscheinen- den Tatsachen der geographischen Verbreitung vergangener und gegenwärtiger Organismen, Tatsachen, die von den Schöpfungsgläubigen als unerklärliche angesehen werden müssen, als einfache Folge der Veränderbarkeit spezi- fischer Formen und ihrer Anpassungsfähigkeit an ver- schiedene Zwecke, sowie ihrer Verbreitungsfähigkeit anzu- sehen sind, wozu noch die geologisch-geographischen Ver- änderungen kommen, die zweifellos stattgefunden haben und noch dauernd, wenn auch fast unmerklich, stattfinden. Nachdem diese große Gruppe von Tatsachen durch die obigen Darlegungen verständlich geworden ist, erachte ich einzelne Schwierigkeiten und scheinbare Widersprüche da- durch für mehr als aufgewogen und bin für meine Person von der Wahrheit dieser Theorie eines gemeinsamen Ur- sprungs überzeugt.

UNWAHRSCHEINLICHKEIT DES AUFFINDENS FOSSILER

OBERGANGSFORMEN.

Es gibt eine Erwägung von beträchtlicher Wichtigkeit, auf die ich an dieser Stelle aufmerksam machen möchte; sie bezieht sich auf die Unwahrscheinlichkeit, daß die haupt- sächlichen Übergangsformen zwischen zwei Arten in fossilem

1)  Origiti, Ed. I., S. 396, Ed. VI., S. 549-

2)  Origin, Ed. L, S. 340, Ed. VI., S- 486.

[page] 2 SO                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Zustand gefunden werden. Mit Hinblick auf die zarteren Ubergangsschattierungen habe ich schon früher bemerkt daß niemand erwarten darf, diese an einem fossilen Objekt zu beobachten, er sei denn kühn genug, sich vorzustellen, daß die Geologen einer zukünftigen Epoche an den fossilen Rindern unserer Tage alle Abstufungen zwischen Shorthorn-, Herefordshire- und Alderney-Exemplaren ent- decken werden \lj

Ich habe versucht zu zeigen, daß Inseln im Zustande der Erhebung die beste Kinderstube für neue spezifische formen darstellen müssen, aber leider bietet gerade diese Art von Terrain den wenigst günstigen Boden für die Einbettung von Fossilien;2) ich berufe mich als Zeug- nisse auf den Zustand der so zahlreichen verstreuten Inseln der verschiedenen großen Ozeane: wie selten finden sich auf ihnen sedimentäre Ablagerungen! Und sind solche doch einmal vorhanden, so bestehen sie in schmalen Bändern von unbeträchtlichem Alter, die fortwährend von dem Meer abgenagt und zerstört werden. Die Ursache dieser Erscheinung ist die, daß solche einzelne Inseln gewöhnlich vulkanisch, daß sie in der Erhebung begriffene Gegenden sind; eine Wirkung der unterirdischen Hebung besteht aber darin, daß die neuentstandenen Schichten am Rande der Insel stets wieder gehoben und so der zerstörenden Tätigkeit der Küstenbrandung ausgesetzt werden. Diejenigen Sedimente aber, welche sich in größeren Entfernungen und somit in den Tiefen des Ozeans bilden, sind beinahe aller organischer Überreste bar. Man kann diese Bemerkungen getrost dahin verallgemeinern, daß die Senkungsperioden für die Bildung mächtig angehäufter starker Schichten und somit auch für deren Erhaltung die günstigsten sein werden. Denn ohne daß

i) Origin. Ed. [., S. 299, Ed. VI., S. 437-

2) „Es ist fast, als ob die Natur sich gegen die häufige Entdeckung ihrer Übergangs formen oder Vermiltlungsglieder habe wehren wollen." Origin, Ed. I., S. 292. Ein ahnlicher aber nicht identischer Satz kommt in Origin, Ed. VI., S. 428 vor.

[page] Senkung und Hebung.                              2%\

eine Schicht von später hinzukommenden überdeckt wird, kann sie schwerlich fernen Epochen erhalten bleiben, so groß ist die Kraft der Abtragung, die eine unerläßliche Be- gleiterscheinung des Zeitenlaufs zu sein scheint.1)

Ich möchte als Beweis dieser Sachlage auf die mächtige Ansammlung von Ablagerungen hinweisen, die in der großen Aufhäufung europäischer Formationen zu beobachten ist, und zwar angefangen von der silurischen bis zum Ende der Sekundärperiode und vielleicht sogar bis zu noch späteren Perioden. Im Gegensatz hierzu können Hebungsperioden der Anhäufung von Ablagerungen und ihrer Erhaltung für ferne Zeiten nicht günstig sein, und zwar wegen des so- eben erwähnten Umstandes, daß durch Hebung die circumliloralen Schichten, die stets die meisten Fossilien bergen, an die Oberfläche treten und zerstört werden. Der Boden von Tiefwasserbezirken (die freilich wenig organisches Leben aufweisen) bleibt von diesen ungünstigen Einflüssen der Hebung verschont. Indessen häufen sich in dem völlig offenen Ozean, wo solche Tiefen am häufigsten gefunden werden,2) wahrscheinlich keine Sedimente an, oder wenn doch, dann so langsam, daß sie für die Erhaltung fossiler Überreste, die doch stets der Zersetzung unterliegen, nicht in Betracht kommen. Zweifellos sind auch Höhlen dazu geeignet, während Hebungs- oder Senkungsperioden landlebende Fossilien auf- zubewahren. Aber mag dies nun an dem ungeheuren Grad von Denudation liegen, die alle Länder durchgemacht zu haben scheinen, oder an einer anderen Ursache, sicher ist,

* *

daß noch keine Höhle mit fossilen Überresten aus der Sekundärperiode gefunden worden ist.8)

Folglich werden also während einer Senkungsperiode4) der Erde in viel größerem Umfang Überreste aufbewahrt als während einer Hebungsperiode.

i) Origin, Ed. I., S. 291, Ed. VI., S. 426.

2)  Origin, Ed. I.( S. 288, Ed. VI., S. 422.

3)  Origin, Ed I. S. 289, Ed. VI., S. 423.

4)  Origin, Ed. I., S. 300, Ed. VI., S. 439.

[page] 252                 Geographische Verbreitung der Lebewesen.

Aber während der Senkung eines Landgebiets werden seine Einwohner, selbst wenn viele von ihnen aussterben sollten oder vielmehr aussterben müßten, wie oben gezeigt, wenig Aussicht haben, sich durch Auslese zu ändern; der ihnen zur Verfügung stehende Raum verkleinert sich und die Verschiedenartigkeit der Standorte, die das Land bietet, hat zur Folge gehabt, daß das Land schon vorher völlig von Arten besetzt war, die den verschiedenartigsten Standorten ange- paßt sind. Was seine marinen Einwohner einschließlich der Bewohner der Strandzone anlangt, so wird, obwohl während der Umwandlung eines Kontinents in einen großen Archipel die Zahl der Plätze, die sich für marine Organismen eignen, vermehrt wird, zugleich auch die Möglichkeit ihrer Aus- breitung (ein äußerst wichtiges Hemmnis für die Abände- rung) sich vergrößern. Denn die einzige Schranke für diese Organismen scheint ein sich von Norden nach Süden er- streckender Kontinent oder ein ganz ununterbrochener offener Ozean zu sein. Im Gegensatz hierzu haben wir während der Hebung einer kleinen Inselgruppe und ihrer Verwandlung in einen Kontinent dadurch, daß die Zahl der Wohnorte sowohl für meer- wie für landlebende Pro- dukte zunimmt, und dadurch, daß diese Wohnorte noch nicht gänzlich von vollkommen angepaßten Lebewesen besetzt sind, die allerbesten Vorbedingungen für die Aus- lese neuer spezifischer Formen. Doch ist die Wahrscheinlich- keit, daß diese in ihren frühen Übergangsstadien zur Auf- bewahrung für eine ferne Zukunft gelangen, sehr gering. Wir müssen ungeheure Zeitabläufe abwarten, bis in diesen Weltgebieten der Hebungsprozeß von einem langanhalten- den Senkungsprozeß abgelöst wird, der die besten Bedingungen für die Einbettung und Erhaltung der Bewohner bietet. Meist aber wird die große Masse von Ablagerungen in jedem Lande dadurch, daß sie sich hauptsächlich während einer Senkungsperiode angesammelt hat, sich als Grab nicht etwa von Übergangsformen, sondern von solchen Formen darbieten, die entweder untergegangen oder unverändert geblieben sind. The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Bedingungen für die Erhaltung fossiler Überreste,          253

Der Zustand unserer Kenntnisse und die Langsamkeit der Niveauänderungen gestatten uns nicht, die Wahrheit dieser Gedankengänge nachzuprüfen, was nur durch die Untersuchung möglich wäre, ob auf einem in Hebung und Vergrößerung oder auf einem in Senkung begriffenen Land mehr Übergangsarten oder aber mehr „gute" Arten (wie der Naturforscher sagt) zu finden sind. Ebensowenig weiß ich, ob auf isolierten, in der Bildung begriffenen vulkanischen Inseln mehr gute Arten vorkommen als auf einem Kontinent. Doch möchte ich bemerken, daß auf dem Galapagosarchipel die Anzahl an Formen, die von einigen Naturforschern als echte Arten, von anderen als bloße Rassen erklärt werden, beträchtlich ist. Dies bezieht sich besonders auf die ver- schiedenen Arten oder Rassen derjenigen Gattungen, welche die verschiedenen Inseln des Archipels bevölkern. Außerdem möchte ich noch hinzufügen, da es sich gleichfalls auf die großen Tatsachen, die ich in diesem Kapitel behandelt habe, bezieht, daß für Naturforscher, die ihre Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Land beschränken, die Schwierigkeit der Bestimmung, was als Art und was als bloße Varietät anzusprechen sei, verhältnismäßig gering ist. Als Varietäten pflegen sie solche Formen zu bezeichnen, die sich mit Wahr- scheinlichkeit als etwas veränderte Abkömmlinge einer anderen Form auffassen lassen, als Arten solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Schwierigkeit wächst aber in dem Maße, als man Arten von vielen verschiedenen Stand- orten, Ländern und Inseln heranzieht. Die bei dieser Be- trachtungsweise zunehmende Schwierigkeit war es, die, wie es scheint, vornehmlich Lamarck dazu gedrängt hat, sich gegen die Lehre von der Unveränderlichkeit der Arten auszusprechen.

[page] 254            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

SIEBENTES KAPITEL.

ÜBER VERWANDTSCHAFT UND KLASSIFIKATION

DER LEBEWESEN.1)

ALLMÄHLICHES ERSCHEINEN UND VERSCHWINDEN VON

GRUPPEN.

Von den frühesten Zeiten an hat man beobachtet, daß die Lebewesen in Gruppen zerfallen,2) diese Gruppen wieder in andere von verschiedenem Wert; so ergaben sich Arten, Gattungen, Unterfamilien, Familien, Ordnungen usw. Dasselbe gilt für die Lebewesen vergangener Zeiten. Gruppen von Arten, das heißt also Gattungen und Familien, scheinen in ihrem Auftreten und Verschwinden denselben allgemeinen Regeln zu folgen,3) wie die Individuen einer einzelnen Art. Wir haben Ursache anzunehmen, daß zunächst wenige Arten erscheinen und daß derenZahl dann zunimmt; ebenso daß,wenn eine Tendenz zum Erlöschen vorhanden ist, zunächst die Zahl der Arten zurückgeht, bis die ganze Gruppe ausstirbt, d. h. in derselben Weise wie eine Art selbst durch das Selten- und Seltenerwerden ihrer Individuen erlischt. Übrigens scheinen Gruppen in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten auszusterben, ähnlich wie man es in bezug auf die Individuen einer Art beobachtet. Das Paläotherium war in Europa viel

- i) Das XIII Kapitel von Origin, Ed. I., das XIV. von Ed. VI. beginnt in ähnlicher Weise. In dem vorliegenden Essay fügt Ch. Darwin nach- folgende Anmerkung hinzu: „Nur das Augenfällige der Tatsache, <d. h. der natürlichen Gruppierung der Organismen) verhindert es, daß sie uns bemerkenswert erscheint. Für Schöpfungsgläubige ist es kaum zu er- klären; Gruppen von Wassertieren, von Vegetariern und Fleischfressern usw. könnten sich wohl gleichen; weshalb aber, so wie es ist? Ebenso mit Pflanzen, — analoge Ähnlichkeiten auf diese Weise erklärt. Darf hier nicht auf Einzelheiten eingehen." Diese Heweisführung ist in den Text der Ed. I. von Origin aufgenommen.

2)  Origin, Ed. I., S. 411, Ed. VI., S. 566.

3)  Origin, Ed. L, S. 316, Ed. VI.. S. 457-

[page] Was bedeutet „natürliches Systemr                    25s

früher ausgestorben als in Indien; und Trigonia1), die in Europa seit frühsten Zeiten ausgestorben ist, lebt noch immer in den australischen Gewässern. Und ebenso wie es vorkommt, daß eine Art einer Familie sich viel länger behauptet als eine andere Art, ebenso finden wir, daß manche ganze Gruppen, so z. B. die Mollusken, dazu neigen, ihre Formen länger zu behalten, kurz, beständiger zu bleiben als andere Gruppen, z. B. die Säugetiere. Es scheint daher, daß Gruppen in ihrem Auftreten, ihrem Erlöschen, in dem Tempo ihrer Veränderungen und Aufeinanderfolge beinahe denselben Gesetzen folgen wie die Individuen einer Spezies.1)

WAS BEDEUTET NATÜRLICHES SYSTEM?

Die angemessene, dem natürlichen System entsprechende Einordnung der Arten in Gruppen ist das Ziel aller Syste- matiker. Aber kaum zwei Naturforscher werden dieselbe Antwort auf die Frage geben: was ist das natürliche System und woran ist es zu erkennen? Man könnte mit den ältesten Systematikern annehmen, daß diejenigen Teile der Organisation, welche die Lebensweise und die Stellung eines Lebewesens im Haushalt der Natur, also das, was man als seinen eigentlichen Lebenszweck bezeichnen kann, bestimmen, hierbei von maßgebender Wichtigkeit wären. Und doch ist nichts unrichtiger als dies. Wie viel äußere Ähnlichkeit besteht zwischen dem kleinen otterähnlichen Beuteltier (Chironectes) von Guyana und dem gewöhnlichen Otter; oder zwischen der gewöhnlichen Hausschwalbe und dem Mauersegler ! Wer vermöchte zu zweifeln, daß die Lebens- weise und Lebenszwecke dieser Tiere sehr ähnlich sind, und doch wie gänzlich verfehlt wäre eine Klassifikation,

ii Origin, Ed. I., S. 321. Ed. VI, S. 463.

2) In Origin, Ed I., S 411, 412. Ed. VI., S. 566, 567 werden diese einleitenden Sätze durch eine Diskussion ersetzt, in der es sich zwar auch um das Erlöschen handelt, jedoch hauptsächlich vom Gesichtspunkte der Divergenztheorie.

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[page] 2$to            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

die ein Beuteltier mit einem Plazentalier, die zwei Vögel mit gänzlich verschiedenen Skeletten nahe zusammen ein- ordnen würde! Die Ähnlichkeiten, die uns in den beiden genannten Fällen, sowie z. B. auch zwischen den Walen und den Fischen frappieren, werden als bloß ,.analoge" oder zuweilen auch als „Anpassungscharaktere" bezeichnet. Sie sind unendlich häufig und zuweilen sehr eigentümlich; aber sie haben für die Klassifikation der höheren Gruppen keinen Wert. Wie es kommt, daß gewisse Teile des Körper- baues, durch welche die Lebensweise und die Funktionen der Art wesentlich mit bestimmt werden, für die Klassi- fikation unwesentlich, während andere, zu derselben Zeit entstandene Teile für sie von der größten Wichtigkeit sind, müßte für die Anhänger der Theorie getrennter Schöpfungs- akte eine große Schwierigkeit bilden.

Manche Autoren, wie Lamarck, Whewell usw., sind der Ansicht, daß der Verwandtschaftsgrad bei dem natürlichen System dem Grade der Ähnlichkeit zwischen bestimmten, physiologisch (oder für die Erhaltung des Lebens) wichtigen Organen entsprechen muß. Nun gibt aber jedermann zu, wie schwierig es ist, eine Stufenleiter der Wichtigkeit ver- schiedener Organe aufzustellen. Doch ganz abgesehen hier- von muß dieser Vorschlag, wenn er auch teilweise Richtiges enthält, in seiner Eigenschaft als allgemeine Regel abgelehnt werden. Denn es wird allgemein zugegeben, daß derselbe Körperteil, dasselbe Organ, welches bei der Klassifizierung der einen Gruppe sehr bedeutungsvoll ist, bei einer andern Gruppe sehr geringen Klassifikationswert besitzt, obwohl, soweit wir sehen, jener Körperteil bei beiden Gruppen die- selbe physiologische Wichtigkeit genießt. Anderseits be- sitzen physiologisch ganz bedeutungslose Charaktere, so z. B. ob ein Körper mit Haaren oder mit Federn bedeckt ist, oder ob eine offene Verbindung zwischen Nasen- und Mundhöhle besteht,1) häufig die allerhöchste Wichtigkeit bei der Klassi-

l) Dieses Beispiel findet sich unter mehreren anderen auch in Origin, Ed. I., S. 416, Ed. VI., S. 572-

[page] Xatvrliches System.                                257

fikation. Selbst die Körperfarbe, die bei manchen Arten so sehr unbeständig ist, kann häufig eine ganze Gruppe von Arten gut charakterisieren. Und schließlich kann die Tatsache, daß kein einziger Charakter annähernd so wichtig für die Entscheidung der Zugehörigkeit zu den großen Gruppen ist wie die Formen, durch die der Embryo1) vom Keim zur Reife gelangt, unmöglich mit der Annahme in Ein- klang gebracht werden, daß die natürliche Klassifikation sich aus dem Ähnlichkeitsgrade der physiologisch wich- tigsten Organe ableiten laßt. So kann z. B. die Verwandt- schaft zwischen der gewöhnlichen Entenmuschel (Lepas) und den Crustaceen2) im ausgebildeten Zustand kaum an einem einzigen Zuge nachgewiesen werden; solange diese Tiere aber jung, beweglich und mit Augen versehen sind, ist diese ihre Verwandtschaft deutlich erkennbar. Die Ursache der größeren Wichtigkeit dieser den frühen Lebens- stadien eigentümlichen Charaktere kann, wie wir in einem späteren Kapitel sehen werden, auf Grund der Deszendenz- theorie sehr wohl erklärt werden, während sie vom Stand- punkte des Schöpfungsgläubigen aus völlig unerklärlich er- scheint.

In der Praxis pflegen die Naturforscher sich bei der Klassi- fizierung nach den Teilen oder Organen zu richten, die bei verwandten Gruppen als die gleichmäßigsten und am wenig- sten variierenden befunden werden.5) So z. B. hat sich die Ästivation oder die Zusammenfaltung der Blütenblätter in der Blumenknospe bei den meisten Pflanzenfamilien als unveränderlicher Charakter bewährt, so daß Unterschiede in dieser Anordnung schon genügen würden, die Entfernung einer Art aus vielen Familien zu veranlassen. Bei den Rubia- ceen ist indessen die Ästivation ein veränderlicher Charakter, und ein Botaniker würde bei der Einreihung einer neuen Art in diese Familie auf sie keinen besonderen Wert legen.

1)  Origin, Ed. I., S. 418. Ed. VI., S. 574-

2)  Origin, Ed. I.. S. 419, 44°. Ed. VI., S. 575, 606.

3)  Origin, Ed. I., S. 418. 4=5. Ed. VI-, S. 574. 5«i-

F Darwin, Fundamente «ur Enltlehung der Affen.                               17

[page] 258            Verwand tschaß und Klassifikation der Lebewesen.

Jene Regel ist also offenbar eine Formel von solcher Willkür, daß die meisten Naturforscher überzeugt sind, daß das natürliche System auf etwas Weiterem beruht. Sie sind der Ansicht, daß die besagten Übereinstimmungen wohl einen Begriff von der Anordnung des Systems geben, nicht aber, daß sie das System erschöpfend bestimmen. Nur so können wir Linncs berühmten Ausspruch verstehen, daß die Charaktere nicht die Gattung machen, sondern daß die Gattung die Charaktere giebt; hier ist eine Klassifikation unabhängig von den einzelnen Merkmalen ins Auge gefaßt. Einige Naturforscher haben auch gesagt, daß das natürliche System die weitere Bedeutung habe, den Plan des Schöpfers zu enthüllen. Solange aber, als nicht definiert wird, ob Ordnung im Raum oder in der Zeit oder was sonst mit dem ,,Plan des Schöpfers" gemeint ist, scheint mir aus solchen Wendungen für den Stand unserer Kenntnisse nichts ge- wonnen zu sein.

Manche Naturforscher ziehen die geographische Ver- breitung1) einer Art für die Beurteilung der Gruppe, in die sie einzureihen ist, mit heran; und die meisten Naturforscher bewerten entweder offen oder stillschweigend die ver- schiedenen Gruppen nicht allein nach den verhältnismäßigen Verschiedenheiten ihrer Bildung, sondern nach der Zahl der ihnen angehörenden Formen. So z. B. ist eine mehrere Arten umfassende Gattung nach Entdeckung mehrerer neuer Arten oft zur Familie erhoben worden. Viele natür- liche Familien sind, obwohl sehr nahe mit anderen Familien verwandt, deshalb aufrecht erhalten worden, weil sie eine große Anzahl nahe verwandter Arten enthielten. Der logischere Naturforscher würde vielleicht, wenn er könnte, diese beiden Zufallselemente bei der Klassifikation verwerfen. Aus allen diesen Gründen und besonders wegen der Undefinierten Gesichtspunkte und Merkmale des natürlichen Systems erscheint die Zahl und Art der

I) Origin, Ed. I., S. 419, 427, Ed. VI., S. 475, $82.

[page] Ähnlichkeit auf Grund von Analogie.                     259

Einteilung, wie Gattungen, Unterfamilien, Familien usw., als ein Ausfluß völliger Willkür.1) Wie kann man z. B. ohne die klarste Begriffsbestimmung entscheiden, ob zwei Gruppen von Arten von demselben Wert und ferner von welchem Werte sie sind? Ob beides Gattungen, ob beides Familien sind, oder ob eine von ihnen als Gattung, die andere als Familie anzusprechen ist?8

ÜBER DAS WESEN DER VERWANDTSCHAFT ZWISCHEN

GETRENNTEN GRUPPEN.

Ich möchte noch eine weitere Bemerkung über die Ver- wandtschaftsbeziehungen der Organismen machen: nämlich daß, wenn eine Tiergru[f);>e eine Annäherung an eine ganz getrennte Gruppe zeigt, diese Annäherung gewöhnlich einer generischen3) und nicht einer Artverwandtschaft entspricht. Ich kann dies am besten durch ein Beispiel erläutern. Von allen Nagern ist die Viscacha durch einige Eigen- tümlichkeiten ihres Fortpflanzungssystems am nächsten mit den Beuteltieren verwandt; von allen Beuteltieren wiederum scheint Phascolomys in der Form seiner Zähne und Eingeweide den Nagern am nächsten zu stehen. Trotzdem besteht keine spezielle Verwandtschaft zwischen diesen beiden Gattungen.4 Die Viscacha ist dem Phascolomys in allen den Punkten, in denen sie sich dieser Abteilung nähert, weder näher verwandt als irgendeinem anderen Beuteltier, noch sind in den Punkten des Baus, in denen Phascolomys den Nagern nahekommt, engere Beziehungen zur Viscacha

1) Dasselbe wird vom Gesichtspunkte der Divergenz in Origin, Ed. I.,

S. 420, 4», Ed. VI., S. 576. 577 besprochen.

2 (Anmerkung von Ch. Darwin.) Ich bespreche dies, weil, falls Quinarismus wahr, ich falsch. <Dasquinarc System wird in W. S.Macleays Horae Kntomologicae, 182», dargelegt.)

3)  An der entsprechenden Stelle von Origin, Ed. I., S. 430, Ed. VI., S. 591 findet sich der besser geeignete Ausdruck „general" (allgemein) an- statt „generic". Am Rande unseres Manuskripts führt Ch. Darwin Water- house als seinen Gewährsmann an.

4)   Origin, Ed. I., S. 43°. Ed- Vl S- 59*-

The ComDlete Work of Charles Darwin Online«

[page] 2ÖO            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

als zu irgendeinem anderen Nager festzustellen. Ich hätte andere Beispiele wählen können, ich habe aber absichtlich dieses gewählt (Waterhouse), weil es noch einen andern Punkt illustriert, nämlich die Schwierigkeit der Feststellung, was als analoge oder adaptive und was als echte Verwandtschaft zu betrachten ist. Es findet sich nämlich, daß die Zähne von Phascolomys, obwohl sie denen der Nager sehr zu gleichen scheinen, nach dem Marsupialier-Typus gebaut sind, und es wird vermutet, daß diese Zahne und folglich auch die Eingeweide sich dem eigentümlichen Leben dieses Tieres angepaßt haben und deshalb von einer echten Verwandtschaf t keine Rede sein kann. Die Strukturverhältnisse der Viscacha, die zu den entsprechenden der Beuteltiere hitiüberleiten, scheinen da- gegen mit der speziellen Lebensweise des Tiers nichts zu tun zu haben und ich glaube, daß jeder hier eine echte Verwandt- schaft erblicken wird, obwohl nicht mit einer Marsupialier- art mehr als mit einer andern. Die Schwierigkeit der Bestimmung, was echte Verwandtschaften und was bloße Analogien sind, kann um so weniger wundernehmen, da sich noch niemand angemaßt hat, die Bedeutung des Begriffs „Verwandtschaft" oder die eigentliche Idee der Klassi- fikation näher zu bestimmen. Wir werden diese Frage gleich von dem Gesichtspunkt der Deszendenztheorie betrachten und uns klar zu machen suchen, was das Wesen der „wirklichen" und der „analogen" Verwandtschaft ist, und warum die erstere allein Wert für die Klassifikation besitzt — Schwierig- keiten, deren Erklärung meiner Meinung nach auf Grund der gewöhnlichen Theorien der getrennten Schöpfungsakte unmöglich sein dürfte.

KLASSIFIKATION VON RASSEN UND VARIETÄTEN.

Wir wollen uns nun für einige Augenblicke der Klassi- fikation der allgemein anerkannten Varietäten und Unter- varietäten unserer Haustiere zuwenden;1) diese finden wir

i) In dem entsprechenden Abschnitt von Origin, Ed. I., 8.423, Ed. VI., S. 579 benützt Ch. Darwin für diese Darlegungen seine Kenntnis der

[page] Hassen und Varietäten.                              2j

systematisch in Gruppen von steigendem Wert eingeteilt. De Candolle hat die Kulturrassen des Kohls genau so behandelt, wie er es mit einer natürlichen Familie mit mehreren Ab- teilungen und Unterabteilungen getan haben würde. Bei Hunden haben wir eine Hauptabteilung, die wir als die Familie der Jagdhunde bezeichnen können; zu dieser ge- hören verschiedene— nennen wir sie Gattungen, wie z.B. Schweißhunde, Fuchshunde, Hasenhunde; und jede der letzteren zeigt wiederum verschiedene Arten, so z.B. den Schweißhund von Kuba und den englischen; und dieser letztere weist abermals verschiedene Zuchten auf, die sich treu fortpflanzen und die man als Rassen oder Varietäten bezeichnen kann. Wir sehen hier also die praktische An- wendung einer Klassifikation, die innerhalb eines kleinen Maßstabs das typische Bild dessen wiedergibt, was für den Naturzustand Geltung besitzt.

Doch herrscht sowohl bei echten Arten des natürlichen Systems wie bei domestizierten Rassen eine große Will- kür hinsichtlich der Anzahl von Abteilungen und Gruppen, in die man die Organismen je nach ihrer Ähnlich- keit oder Unähnlichkeit einordnet. Die Zahl der vor- handenen Formen scheint in beiden Fällen — ob theoretisch mit Recht oder Unrecht — praktisch einen starken Einfluß auf die Aufstellung der Gruppen, denen sie angehören, aus- geübt zu haben. In beiden Fällen ist die geographische Ver- breitung als Hilfe bei der Klassifikation herangezogen worden.1) Ich kann hier in bezug auf die Varietäten die Rinder Indiens und die Schafe Sibiriens anführen; da jede dieser beiden Gruppen sich durch gewisse gemeinsame Charaktere aus- zeichnet, so geht es wohl an, von indischen und europäischen Rindern, von sibirischen und europäischen Schafen zu sprechen. Unter unseren kultivierten Varietäten haben wir sogar auch Beziehungen, die dem sehr ähneln, was wir

Tauben. Die Pseudo-Gattungen bei Hunden werden in „Variation under Domestikation" Ed. II. Bd. I. S. 38 besprochen.

1) Origin, Ed. L, S. 419, 4=7, Ed. VI., S. 575, 5»2-

[page] 2Ö2            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

als ,,Analogie" oder „Anpassung"1; bezeichnet haben. So z. B. sind sowohl die gemeine Rübe als die schwedische Rübe künstliche Varietäten, die sich aufs auffallendste gleichen, und die in der Ökonomie des Wirtschaftshofs beinahe die gleiche Rolle spielen; aber obwohl die schwedische Rübe einer Runkelrübe so viel ähnlicher erscheint als ihrem mutmaß- lichen Vorfahren, dem Feldkohl, denkt doch niemand daran, sie vom Kohl abzutrennen und den Runkelrüben einzu- ordnen. Eine analoge Ähnlichkeit derselben Art bieten auch Windhund und Rennpferd dar, die beide auf außerordentliche Geschwindigkeit für kurze Distanzen gezüchtet und dressiert worden sind. Doch ist ihre Ähnlichkeit immer noch weniger frappant als die des kleinen otterähnlichen Schwimmbeutlers (Chironectes) von Guyana mit dem gewöhnlichen Otter, ob- wohl diese Tiere in Wahrheit weniger verwandt miteinander sind als Pferd und Hund.

Wir werden sogar von Autoren, die sich mit Varietäten befassen, direkt davor gewarnt, die Varietäten nach einem natürlichen, im Gegensatz zu einem künstlichen System zu klassifizieren, und z. B. nicht zwei Ananasvarie- täten zusammenzuordnen, bloß weil ihre Frucht zufällig nahezu übereinstimmt (und doch kann man in diesem Fall die Frucht als den eigentlichen Endzweck dieser Pflanze in der Ökonomie ihrer Welt, des Warmhauses, bezeichnen!), sondern uns. nach der allgemeinen Ähnlichkeit der gesamten Pflanze zu richten. Schließlich geschieht es oft, daß Varie- täten erlöschen, manchmal aus unerklärten Ursachen, manch- mal aus Zufall, aber am häufigsten infolge der Erzeugung noch nützlicherer Varietäten, mit deren Vorhandensein die Zerstörung oder Beseitigung der weniger nützlichen Hand in Hand ging.

Ich glaube, daß die Ursache des Umstands, daß nicht alle die von einem ursprünglichen Hund oder von einem ursprünglichen wilden Kohl abstammenden Varietäten durch-

i) Origin, Ed. L, S. 423, 47. F.d. VI., S. 579, 5»3.

[page] Klassifikation domestiziertet Rassen.                     263

gehend von derselben Gleichheit oder Ungleichheit sind, sondern im Gegenteil in eine Anzahl deutlich erkennbarer Gruppen und Untergruppen zerfallen, hauptsächlich in der Yerschiedengradigkeit ihrer wirklichen Verwandtschaft unter- einander zu suchen ist. So z. B. darin, daß die verschiedenen Arten von Schweißhunden einemStamm und die Hasenhunde einem anderen Stamme entsprungen sind, und diese beiden wieder einem anderen Stamme als dem, der den Ausgangs- punkt der verschiedenen Rassen von Windhunden ge- bildet hat.

Wir hören häufig, daß ein Blumenzüchter eine auserlesene Varietät besitzt und aus dieser eine ganze Gruppe Unter- varietäten gezüchtet hat, die alle mehr oder weniger durch die Besonderheiten der elterlichen Varietät gekennzeichnet sind. Der Fall des Pfirsichs und Nektarpfirsichs und der vielen Varietäten einer jeden dieser beiden könnte hier eingefügt werden. Zweifellos ist die Verwandtschaft unserer ver- schiedenen kultivierten Zuchten in sehr beträchtlichem Maße durch Kreuzung verdunkelt worden, und ebenso hat die geringe Verschiedenheit zwischen manchen Zuchten es gewiß häufig mit sich gebracht, daß eine Sprung- variation („sport1') aus irgendeiner Zucht ihrem elterlichen Stamme weniger ähnlich sah als einem andern Stamm, weshalb sie zusammen mit dieser klassifiziert worden ist. Und schließlich dürfte die Wirkung eines ähnlichen Klimas1) in einigen Fällen die aus der gemeinsamen Abkunft hervor- gehende Ähnlichkeit mehr als aufgewogen haben, obwohl ich der Ansicht bin, daß die Ähnlichkeit der Rinderrassen von Indien oder der Schafe von Sibirien wohl sehr viel mehr auf der Gemeinsamkeit ihrer Abstammung beruht, als auf der Wirkung des Klimas auf Tiere verschiedener Stämme.

Trotz all dieser bedeutenden Quellen von Schwierigkeiten wird, glaube ich, doch jeder zugeben, daß, falls eine solche mög- lich wäre, eine genealogische Klassifikation unserer domesti-

1) Eine allgemeine Feststellung des Einflusses der Verhältnisse auf die Variation findet sich xnOrigin, Ed. I.r S. i3M33.Ed.VL, 5.164—165-

[page] 264            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen,

zierten Varietäten die befriedigendste Lösung sein und daß sie, soweit Varietäten in Betracht kommen, in der Tat ein , natür- liches System" darstellen wird. In einigen Fallen hat man sich ihrer denn auch bedient. Ein Naturforscher, der dieses Ziel im Auge hat, müßte, wenn er eine Varietät, deren Abstam- mung er nicht kennt, bestimmen wollte, sie zunächst nach ihren äußeren Charakteren klassifizieren. Gleichzeitig würde er aber ein bestimmtes letztes Ziel im Auge haben, nämlich ihre Abstammung. Ebenso, wie der gewöhnliche Syste- matiker, dem ja ebenfalls ein letztes, aber unbestimmtes Ziel bei allen seinen Klassifikationen vorzuschweben scheint, kümmert er sich nicht darum, ob seine Merkmale mehr oder weniger wichtigen Organen angehören, wenn er nur bestätigt findet, daß diese Merkmale innerhalb der Gruppe, die er untersucht, beständig sind. So z. B. bemerkt er bei der Betrachtung der Rinder ein Merkmal, das mit der Form der Ilörner zusammenhängt, mehr als eines, das mit den Proportionen der Glieder und des übrigen Körpers ver- knüpft ist, denn er findet, daß beim Rindvieh1) die Form der Hörner sich als in hohem Grade beständig erweist, während die Knochen der Gliedmaßen und des Rumpfes veränderlich sind. Zweifellos kann als allgemeine Regel gelten, daß, je wichtiger ein Organ und je weniger es infolgedessen äußeren Einflüssen preisgegeben ist, es um so weniger der Variation unterliegen wird. Aber unser Naturforscher könnte annehmen, daß je nach dem Zweck, dem die Auslese der betreffenden Rasse gilt, wichtigere und unwichtigere Organe modifiziert werden könnten, so daß Merkmale, die für gewöhnlich zu den veränderlichsten ge- hören, wie z. B. die Farbe, in gewissen Fällen außerordentlich nützlich für die Klassifikation sein könnten — wie es auch wirklich der Fall ist. Er würde einräumen, daß allgemeine, oft kaum durch die Sprache definierbare Ähnlichkeiten manchmal dazu dienen können, einer Spezies ihren Platz

1) Origin, Ed. L, S. 423» Ed. VI., S. 579. Am Rande des Blattes wird Marshall als Autorität angeführt.

[page] Gemeinsames Prinzip der Klassifikation von „Rassen- und „Arten", 265

gemäß ihren nächsten Verwandtschaftsbeziehungen anzu- weisen. Er würde uns einen triftigen Grund angeben können, weshalb die große Ähnlichkeit der Früchte bei zwei Varietäten Ananas, und der sogenannten Wurzel bei der gemeinen Rübe und der schwedischen Runkelrübe, ferner weshalb die so ähnliche Schlankheit des Ba\ies bei Wind- hund und Rennpferd als Merkmale für die Klassifikation so geringen Wert besitzen, und zwar, weil diese alle als das Er- gebnis nicht einer gemeinsamen Abstammung, sondern entweder der Auslese für einen gemeinsamen Zweck oder der Wirkungen ähnlicher äußerer Umstände angesehen werden müssen.

KLASSIFIKATION VON „RASSEN" UND „ARTEN" BERUHT AUF DEMSELBEN PRINZIP.

Indem ich sehe, daß sowohl die Klassifikatoren der Arten wie die der Varietäten1) mit denselben Mitteln arbeiten, dieselben Unterscheidungen im Wert der Merkmale machen, mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben und schließ- lich auch beide bei ihrer Klassifikation ein bestimmtes letztes Ziel im Auge haben, kann ich nicht umhin zu mutmaßen, daß dieselbe Ursache, die innerhalb unserer domestizierten Varietäten Gruppen und Untergruppen geschaffen hat, auch innerhalb der Arten ähnliche Gruppen (wenn auch von höherem Wert) geschaffen habe; diese Ursache aber ist der größere oder geringere Grad der tatsächlichen Verwandtschaft. Die einfache Tatsache, daß Arten, und zwar sowohl die längst erloschenen wie die gegenwärtig noch lebenden, in Gattungen, Familien, Ordnungen usw. zerfallen — eine Ein- teilung analog derjenigen, welcher die Varietäten unter- liegen — wäre sonst eine unerklärliche Tatsache, die uns nur wegen ihrer Alltäglichkeit nicht besonders bemerkens- wert erscheint.

I) Origin, Ed. I, S. 423, Ed. VI., S. 579-

[page] 266            Verwandtschaß und Klassifikation der Lebewesen.

URSPRUNG VON GATTUNGEN UND FAMILIEN.

Nehmen wir einmal an,1) daß eine bestimmte Art sich ver- breitet und nach sechs oder mehr verschiedenen Bezirken gelangt, oder daß, vorausgesetzt den Fall, sie sei bereits über ein ausgedehntes Gebiet verbreitet gewesen, daß dieses Ge- biet sich in sechs unterschiedliche Bezirke teilt, die einiger- maßen verschiedenartige Wohnorte darbieten, welche noch nicht gänzlich mit anderen Arten besetzt sind, so daß Ge- legenheit gegeben war, daß sich hier durch Zuchtwahl sechs verschiedene Rassen oder Arten ausbildeten, von denen eine jede ihrer neuen Lebensweise und Heimat gut angepaßt wäre. Ich muß hier bemerken, daß, wenn eine Art in einer Unterregion modifiziert wird, die Wahr- scheinlichkeit groß zu sein pflegt, daß sie auch in einer anderen von den Unterregionen, in der sie sich verbreitete, modifiziert wird, da sich ja herausgestellt hat, daß ihre Organisation plastisch zu werden vermag und ihre Verbrei- tung beweist, daß sie fähig ist, den Wettstreit mit den bis- herigen Bewohnern der verschiedenen Unterregionen auf- zunehmen. Da nun die Lebewesen jeder großen Region in gewissem Grade verwandt sind und selbst die physikalischen Verhältnisse sich häufig in verschiedenen Beziehungen gleichen, dürfen wir voraussetzen, daß einer Modifikation des Körperbaues, die bei einer Spezies aufträte und ihr Vorteile über ihre Konkurrenten in derselben Unterregion verschaffte, bald andere Modifikationen in den übrigen Unterregionen folgen würden. Die Rassen oder neuen Arten, deren Entstehung in dieser Weise erfolgte, würden eng miteinander verwandt sein; sie würden entweder eine neue Gattung oder Untergattung bilden, oder sie würden, indem sie

l) Die hier folgende Betrachtung entspricht mehr oder weniger Origitt Ed. I., S. 411, 412, Ed. VI., S. 566, 567; obwohl die Lehre von der Diver- genz in diesem Essay nicht erörtert wird, wie es später in Origin geschieht, so scheint mir doch der vorliegende Abschnitt eine deutliche Annäherung

an dieselbe darzustellen.

[page] Deszendenztheorie als Schlüssel zur Klassifikation.           267

wahrscheinlich nur eine leicht gesonderte Gruppe darstellten, sich in diejenige Gattung einordnen, zu der die elterliche Art gehört. Im Laufe der Zeiten und im Anschluß an die mit dem Zeitlauf verknüpften physikalischen Veränderungen würden wahrscheinlicherweise einige von den sechs neuen Arten zerstört werden. Doch würde derselbe Vorteil, ob er nun einfach in einer Neigung zum Variieren oder irgend- einer Eigentümlichkeit der Organisation, oder in der Größe der Intelligenz oder in besonderen Verbreitungs- mitteln bestanden haben mag, dem die elterliche Art und ihre sechs durch Zuchtwahl erzeugten und modifizierten Nachkommenarten ihren Vorrang und Sieg über andere rivalisierende Arten verdankten, gewöhnlich dazu führen, daß einige oder alle derselben während langer Epochen erhalten blieben. Gesetzt demnach, es blieben zwei oder drei von den f ochs Arten erhalten, so würden auch aus diesen wieder im 1/iufe der Jahre und im Wechsel der Verhältnisse mehrere kleinere Gruppen von Arten entstehen. Gesetzt, die Filtern dieser kleinen Gruppen seien sich sehr ähnlich, so würden die neuen Arten eine einzige große Gattung bilden, die man höchstens in zwei oder drei Sektionen einteilen könnte. Gesetzt hingegen, die Eltern der kleinen Gruppen seien unter- einander sehr unähnlich gewesen, so würden die von ihnen abstammenden Arten, indem sie die meisten Eigentümlich- keiten der elterlichen Stämme geerbt hätten, entweder zwei oder mehr Untergattungen oder, falls der Verlauf der Zucht- wahl sie noch weiter voneinander entfernen sollte, Gattungen bilden. Und schließlich würden von verschiedenen Arten abstammende Arten der neuentstandenen Gattungen neue Gattungen und diese in ihrer Gesamtheit eine Familie bilden. Das Aussterben einer Art tritt ein infolge von Änderungen in den äußeren Verhältnissen und infolge der Vermehrung und Einwanderung begünstigterer Arten. Und ebenso wie jene Arten, die in einer großen Region (man kann auch sagen, auf der Erde überhaupt) Änderungen durchmachen, wie wir sahen, sehr häufig verwandt sein und viele Merkmale The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 268            Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

und daher Vorteile gemeinsam haben werden, ebenso werden häufig diejenigen Arten, deren Stelle die neuen und begünstigteren einnehmen, in bezug auf den Besitz einer gemeinsamen Geringwertigkeit eine Zusammengehörig- keit besitzen, die betreffende Geringwertigkeit, möge nun auf dem Gebiete der Körperbeschaffenheit, der allgemeinen Intelligenz, Fähigkeit der Verbreitung, der Variation oder dergleichen liegen. Infolgedessen werden Arten derselben Gattung dazu tendieren, ganz langsam, eine nach der andern an Zahl zurückzugehen und schließlich zu erlöschen; und in- dem je die letzte Art verschiedener verwandter Gattungen erlischt, ist damit die Familie selbst dem Untergang verfallen. Natürlich können gelegentliche Ausnahmen eines solchen gänzlichen Untergangs einer Gattung oder Familie vor- kommen. Aus dem, was vorher gesagt wurde, sahen wir, daß aus der langsamen, sukzessiven Entstehung verschiedener neuer Arten aus demselben Stamm eine neue Gattung, und aus der langsamen, sukzessiven Entstehung verschiedener anderer neuer Arten aus einem anderen Stamm ebenfalls eine neue Gattung entstehen kann; waren nun die betreffenden beiden Stämme miteinander verwandt, so werden die beiden neuen Gattungen eine neue Familie bilden. Dies ist, soweit unsere Kenntnisse reichen, die Art und Weise, wie ganz langsam und allmählich Gruppen von Spezies auf dem Antlitz der Erde erscheinen und wieder verschwinden.

Der Vorgang, demzufolge ich mir nach unserer Theorie die Anordnung von Arten in Gruppen teilweise als das Resultat des Erlöschens von Arten vorstelle, wird vielleicht durch folgendes noch klarer gemacht werden. Stellen wir uns vor, es hätte innerhalb einer großen Klasse, z. B. bei den Säuge- tieren, jede Art und jede Varietät während der Aufeinanderfolge der Zeiten einen unveränderten entweder fossilen oder leben- den Abkömmling bis zur Gegenwart weitergegeben. Wir besäßen dann eine enorme Reihenfolge, die in kleinsten Abstufungen jede bekannte Säugetierform enthalten würde.

Das Vorhandensein von Lücken in dieser Reihe, und zwar

[page] Anpassungen.                                     269

Lücken von größerem oder geringerem Umfang, würde alsdann nur dem Umstand zuzuschreiben sein, daß gewisse frühere Arten und ganze Gruppen von Arten keine Abkömmlinge an die Gegenwart überliefert hätten.

In bezug auf die ,,analoge" oder Madaptative" Ähnlichkeit zwischen Organismen, die nicht in wirklicher Verwandt- schaft zueinander stehen1), möchte ich nur hinzufügen, daß wahrscheinlich die Isolation, in der sich gewisse Gruppen von Arten befinden, bei der Erzeugung solcher Merkmale eine wichtige Rolle spielt. So beobachteten wir z. B. auf einer großen, an Umfang zunehmenden Insel oder selbst auf einem Kontinent wie Australien, der nur von ganz bestimmten Ordnungen der Hauptklassen bevölkert ist, wie die Verhält- nisse es außerordentlich begünstigen, daß gewisse Spezies dieser Ordnungen an Rollen im Naturhaushalt angepaßt werden, die in anderen Ländern ganzen durch diese be- sonderen Anpassungen charakterisierten Gruppen zugefallen sind. Wir können begreifen, wie es vorkommen könnte, daß in Australien ein otterähnliches Tier durch langsame Zuchtwahl aus dem mehr fleischfressenden Marsupialier-Typus entstünde; und ebenso können wir jenen eigenartigen Fall verstehen, daß auf der südlichen Hemisphäre, wo es keine Alken aber viele Sturmvögel gibt, ein Sturmvogel2) solche Veränderungen seiner äußeren Gestalt erfahren hat, daß er dieselbe Stellung in der dortigen Tierwelt einnimmt, wie die Alken auf der nördlichen Hemisphäre, und zwar, ob- wohl normalerweise die Lebensweise und äußere Gestalt von Sturmvögeln und Alken grundverschieden ist.

Es geht aus unserer Theorie hervor, daß zwei Ordnungen in einer ungeheuer weit zurückliegenden Epoche aus einem gemeinsamen Stamme hervorgegangen sein müssen, und wir können verstehen, daß, wenn eine Art aus einer dieser Ord- nungen Verwandtschaft mit der anderen Ordnung zeIgt,

1)  Eine ähnliche Betrachtung findet sich in Origin, Ed. I, S. 427,

2)  Pufßnuria befardi, s. Origin, Ed. I., S. 184, Ed. VI., S. Mf.

The CotnDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 270           Verwandtschaft und Klassifikation der Lebewesen.

diese Verwandtschaft in den meisten Fällen eine Gattungs- und nicht Artverwandtschaft ist. Deshalb ist auch die Viscacha in den Charakteren, in denen sie sich den Beutel- tieren am meisten nähert, der Gruppe im allgemeinen ver- wandt1) und nicht etwa im besonderen den Phascolomys, die von allen Beuteltieren am meisten Ähnlichkeit mit den Nagern haben. Denn die Verwandtschaftsbeziehung der Viscacha zu den Beuteltieren besteht nur in ihrer Abstammung von einem gemeinsamen Stammvater, nicht aber in ihrer Be- ziehung zu einer speziellen Art der Beutler. Überhaupt geht aus den Schriften der meisten Naturforscher, dort wo sie sich mit der Zwischenstellung eines Lebewesens zwischen zwei großen Gruppen beschäftigen, hervor, daß nicht Bezie- hungen des betreffenden Organismus zu besonderen Arten jener Gruppen, sondern zu den Gruppen als Ganzes genommen bestehen. Ein wenig Nachdenken zeigt uns, daß Ausnahmen von dieser Regel nicht ausgeschlossen sind, so z. B. der Fall von Lepidosiren, einem mit besti mmtenLurchen verwandten Fisch. Diese Ausnahmen treten dort ein, wo einige Nach- kommen solcher Arten, die sehr früh vom elterlichen Stamme abzweigten und auf diese Weise zwei Ordnungen oder Gruppen erzeugt haben, annähernd in ihrer ursprünglichen Gestalt bis auf die Gegenwart gekommen sind.

Wir sehen also, daß alle die leitenden Tatsachen der Ver- wandtschaft und Klassifikation der Lebewesen auf Grund des Gedankens erklärt werden können, daß das natürliche System identisch mit dem genealogischen ist. Die Gleichheit des Prinzips bei der Klassifikation der domestizierten Varietäten und der echten Arten, sowohl der lebenden wie der aus- gestorbenen, läßt sich hierdurch erklären; finden wir doch überall dieselben Regeln und dieselben Schwierigkeiten vor. Die Existenz von Gattungen, Familien, Ordnungen usw. und ihre gegenseitigen Beziehungen sind die natürliche Folge des Umstandes, daß jederzeit ein Erlöschen einzelner Formen

I) Orixin, Ed. I., S. 43<>, Ed. VI., S. 591.

[page] Einheit des Typs.                                 27i

unter den divergierenden Abkömmlingen eines gemeinsamen Stammes stattfindet. Ausdrücke, wie Ähnlichkeit, Verwandt- schaft, Familien, Anpassungscharaktere usw., die von Natur- forschern nicht vermieden werden können, bisher aber mehr in bildlichem Sinne gebraucht wurden, hören auf, bloße Bilder zu sein und werden Realitäten voller Klarheit und Bedeutung.

* ACHTES KAPITEL.

*

EINHEIT DES TYPS INNERHALB DER GROSSEN KLASSEN; MORPHOLOGIE.

EINHEIT DES TYPS.1)

Kaum eine Tatsache gibt es, die so wunderbar wäre oder die öfter hervorgehoben würde wie die, daß die Lebewesen innerhalb jeder der großen Klassen, mögen sie uns nun in entgegengesetzten Zonen oder in unendlich weit von- einander getrennten Zeitperioden begegnen, mögen sie den allerverschiedensten Zwecken des Naturhaushalts dienen, allesamt in ihrem inneren Körperbau eine offenkundige Gleichartigkeit an den Tag legen. Was kann wunderbarer sein, als da ':' -um Greifen benützte Hand des Menschen, der zum Gehen bestimmte Fuß oder Huf, der zum Fliegen benützte Flügel der Fledermaus, die zum Schwimmen ver- wendete Ruderflosse des Delphins sämtlich nach demselben Plane gebaut sind, und daß ihre Knochen nach Stellung und Zahl so ähnlich sind, daß man sie bei weit verschiedenen Tieren gleichstellen und ihnen dieselben Namen geben kann? Gelegentlich kommt es ja vor, daß einige der Knochen durch einen scheinbar unnützen, glatten Stab ersetzt sind, oder daß sie an andere Knochen angelötet erscheinen, doch wird hierdurch die Einheit des Typs nicht

i) Origin, Ed. L, S. 434. *:d- VI-. s- 595- Das vorliegende Kapitel un- seres Essays entspricht einem Abschnitt von KapitelXIII. von OfigmlEd.U

[page] 272                         Einheit des Typs; Morphologie.

zerstört, ja kaum undeutlicher gemacht. Wir erblicken in dieser Tatsache ein mächtiges inneres Band zwischen den Lebe- wesen derselben großen Klassen, ein Band, durch das das natürliche System, das ja die Grundlage des Ganzen bildet illustriert wird. Die Wahrnehmung dieses inneren Bandes ist auch offenbar die eigentliche Ursache, daß die Naturforscher zwischen echten und adaptativen Übereinstimmungen in einer freilich wenig genau definierten Weise einen Unterschied machen.

*

MORPHOLOGIE.

Es gibt indessen noch eine andere ähnliche oder vielmehr fast identische Gruppe von Tatsachen, die auch von den nüchternsten Naturforschern zugegeben und von dem Begriff der Morphologie mit umschlossen wird. Diese Tat- sachen erblicken wir darin, daß viele der Organe eines Individuums aus metamorphosierten anderen Organen be- stehen.1) So z. B. läßt sich beweisen, daß die Kelch- und Kronenblätter, Stempel und Staubgefäße jeder Pflanze aus metamorphosierten Blättern bestehen, und auf diese Weise können nicht nur die Zahl, Stellung und die Übergangsstadien dieser Organe, sondern selbst ihre monströsen Umbildungen aufs einfachste erklärt werden. Man ist der Ansicht, daß die- selben Gesetze auch für die knospentragenden Blasen von Zoo- phyten gelten. Und in gleicher Weise erklärt sich auch Zahl und Stellung der außerordentlich komplizierten Kiefer und Palpen der Crustaceen und Insekten sowie die Differenzie- rungen jener Organe bei den verschiedenen Gruppen dieser Tiere ganz einfach aus der Anschauung heraus, daß alle diese Teile, d.h. alle derartigen Glieder und Anhänge, aus meta- morphosierten Beinen bestehen. Ferner bestehen die Schädel der Wirbeltiere aus drei umgewandelten Wirbeln; auf diese Weise können wir uns die Elemente der Knochenkapsel des

1) S. Origin, Ed. L, S. 436, Ed. VI., S. 599, wo die Teile von Blumen, die Kinnladen und Palpen der Crustaceen und der Wirbeltierschädel als

Beispiele angefahrt werden.

[page] Funktionswechsel.

273

Gehirns und ihre eigenartige Zusammenfügung erklären. Was das letztere Beispiel sowie auch die Kiefer der Crustaceen betrifft, so braucht man nur eine aus den verschiedenen Gruppen jeder Klasse entnommene Formenreihe zu betrachten, um sich von der Wahrheit dieser Anschauung zu überzeugen. Es liegt auf der Hand, daß, wenn jede Spezies einer Gruppe Organe besitzt, die eine Metamorphose irgend eines anderen Körperteils darstellen, auch bei einer solchen Gruppe eine „Ein- heit des Typs" vorhanden sein muß. Und wenn in Fällen wie dem oben angegebenen, in denen von Fuß, Hand, Flügel und Ruderflosse gesagt wird, sie seien nach einem gemeinsamen Typus gebaut, bei diesen Organen Spuren eines offenbaren Funktionswechsels wahrgenommen werden können, so dürfen wir dieselben morphologischen Gesichtspunkte auf diese Teile der Organe anwenden. Könnten wir also bei den Gliedmaßen der Wirbeltiere, wie wir dies bei den Rippen können, Spuren einer offenbaren Umwandlung aus Fortsätzen der Wirbel entdecken, so würde man sagen, daß in jeder Spezies der Wirbeltiere die Glieder „umgewandelte Wirbelfortsätze" wären und daß bei durchweg sämtlichen Arten der Klasse die Glieder einen ,.Einheitstyp" darstellten.1)

Die Erscheinung, daß Teile des Hufs, der Hand, des Flügels und der Ruderflosse, und zwar sowohl bei lebenden wie bei ausgestorbenen Organismen in so wunderbarer Weise auf Grund desselben Gerüsts angelegt sind, sowie daß Blumen- blätter, Staubgefäße, Fruchtblätter usw. metamorphosierte Blätter sind, kann von dem Schöpfungsgläubigen nur als eine unerklärbare, als eine ..letzte" Tatsache betrachtet werden. Aus der Deszendenztheorie hingegen lassen sich diese Tat- sachen auf natürliche Weise ableiten; denn nach dieser Theorie oehen alle zu einer Klasse (sagen wir einmal der Säuge- tiere) gehörigen Geschöpfe aus einem gemeinsamen Eltern- stamme hervor, indem sie sich in ebenso kleinen Abstufungen verändern, wie der Mensch sie durch die Auslese gelegent-

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1) Der Verfasser bespricht hier Morphologie und Einheit der Typs vereint.

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[page] 2~ 4                         Einheit des Typs; Morphologie.

licher unter Domestikation entstehender Variationen erzielt. Auf Grund dieser Anschauung können wir uns jetzt vor- stellen, wie ein Fuß durch Zuchtwahl zu längeren und längeren Knochen und breiteren Verbindungshäuten gelangen kann bis aus ihm ein Schwimmorgan geworden ist, und daß diese Veränderung noch weiter fortschreitet, bis das Organ sich dazu eignet, über die Wasserfläche hinzuklatschen oder zu schleifen und schließlich seinen Besitzer in die Luft zu erheben; durch alle diese Veränderungen wäre indessen durchaus keine Ten- denz zu einer Änderung des Gerüstes der ererbten inneren Struktur bedingt.

Es kann vorkommen, daß Teile verloren gehen, wie z. B. bei Hunden der Schwanz, bei Rindern die Hörner, oder bei Pflanzen die Pistille, oder auch, daß Teile sich verbinden, wie bei den Schweinerassen von Lincolnshire1) oder bei den Staubgefäßen vieler Gartenblumen, schließlich auch, daß Teile ähnlicher Art an Zahl zunehmen, wie z. B. die Wirbel in den Schwänzen von Schweinen usw. und die Finger und Zehen bei sechsfingerigen menschlichen Familien und bei den Dorking-Hühnerrassen. Ähnliche Abweichungen kommen auch im Naturzustande vor, ohne deshalb von den Naturforschern als Beeinträchtigung des einheitlichen Typs angesehen zu werden. Immerhin können wir uns Fälle denken, wo solche Veränderungen einen derartigen Umfang annehmen, daß die Einheit des Typs verdunkelt wird und schließlich nicht mehr zu erkennen ist. Als einen solchen Fall hat man die Ruderflosse von Plesiosaurus angeführt, bei welcher die Einheit des Typs kaum mehr nachgewiesen werden kann.*)

i) Die geschlossenhufigen Schweine, die in Var. under Dom., Ed. II., Bd. II., S. 424 erwähnt werden, sind keine Lincolnshire Rassen. Bezüglich anderer Beispiele s. Bateson, Materials for the Study 0/ Variation, 1894.

S. 387 — 390-

2) Am Rande des Blattes wird C. Bell als Gewährsmann, offenbar für

die Behauptung bezüglich Plesiosaurus, angegeben. S. Origin, Ed. I.,

S. 436, Bd. VI, S. 596, wo Ch. Darwin davon spricht, daß das „allgemeine

[page] =====                                                                                                                                /J

Wenn sich nach langen und allmählichen Veränderungen der Struktur bei den Nachkommen eines gemeinsamen vorelterlichen Stammes, sei es nun auf Grund von Monstro- sitäten oder von abgestuften Formenreihen, Zeugnisse für die Funktion auffinden ließen, welche gewisse Teile oder Organe bei den Stammeltern gespielt haben, so könnte man jene Teile oder Organe genau ihrer früheren Funktion gemäß bestimmen, indem man ihnen den Ausdruck „metamorpho- siert" beifügte. Dieser Ausdruck ist von den Naturforschern bisher in demselben bildlichen Sinne gebraucht worden, wie die Ausdrücke „Verwandtschaft" und ,.Verwandtschafts- beziehungen" bisher von ihnen verwendet worden sind, so daß, wenn sie z. B. feststellten, daß die Kiefer einer Krabbe metamorphosierte Beine seien, und daß die eine Krabbe mehr Beine und weniger Kiefer hatte als die andere, sie weit davon entfernt waren anzunehmen, daß die Kiefer während des individuellen Lebens der Krabbe oder ihrer Vorfahren wirklich Beine gewesen seien. Nach unserer Theorie aber können jene Ausdrücke wörtlich aufgefaßt werden, und die wunderbare Tatsache, daß die kompliziert gebauten Kiefer eines Tieres zahlreiche Merkmale bewahrt haben, welche sie wahrscheinlich zurückbehalten haben würden, wenn sie tat- sächlich während einer langen Generationenreihe durch all- mähliche Metamorphose aus wirklichen Beinen entstanden wären, wird auf einfache Weise erklärt.

EMBRYOLOGIE.

Die Einheit des Typs bei den großen Klassen wird noch in anderer, und zwar sehr schlagender Weise bewiesen, nämlich durch die Stadien, die der Embryo durchmacht, ehe er zur Reife gelangt.1) So unterscheiden sich z. B. auf einer ge- wissen Stufe des embryonalen Lebens die Flügel der Fieder-

Muster" bei „ausgestorbenen riesenhaften Meereidechsen" verdunkelt sei. An derselben Stelle werden die parasitischen Entomostraken als Bei- spiele für die Schwierigkeit, den Typ zu erkennen, angeführt. i) Oright, Ed. !, S. 439, Ed. VI., S. 604.

The Comolete Work of Charles Darwin Onlinö**

[page] 276                         Einheit des Typs; Morphologie.

maus, Hand, Huf oder Fuß des Yierfüßlers und Ruderfiosse des Delphins nicht voneinander, sondern bestehen sämtlich aus einem einfachen, ungeteilten Skelettelement. Auf einem noch früheren Stadium bemerkt man eine frappante Ähn- lichkeit sogar zwischen den Embryonen der Fische, Vögel Reptilien und Säugetiere. Man denke nicht, daß diese Ähnlichkeit eine bloß äußerliche sei. Denn bei der Präparation findet man, daß die Verzweigung und der ganze Verlauf der Arterien ein vollständig anderer ist, als wir ihn beim er- wachsenen Säugetier oder Vogel bemerken und ein immer- hin erheblich anderer als beim ausgewachsenen Fisch. Sie verlaufen nämlich so, als ob sie vermittelst der Kiemen der Halsregion, deren schlitzartige Öffnungen (Kiemenspalten] sogar noch nachgewiesen werden können, dem Blute Luft zuführen müßten.' Wie wunderbar ist es, daß dieselbe Bildung bei den Embryonen so weit verschiedener Tierklassen auftritt, von denen zwei große Klassen überhaupt nur in der Luft zu atmen vermögen. Da nun außerdem noch der Embryo des Säugetiers im Mutterleibe, der des Vogels in einem von Luft umgebenen, und der des Fischs in einem von Wasser umgebenen Ei entwickelt wird, so können wir uns nicht vorstellen, daß jener Verlauf der Arterien mit irgendwelchen äußeren Lebensbedingungen in Beziehung stehe. Bei allen Gastropoden macht der Embryo einen Zustand durch, der große Ähnlichkeit mit dem der peropoden Mollusken aufweist; und was die Insekten betrifft, so sind bei gänzlich verschiedenen Gruppen dieser Tiere, wie z. B. bei der Motte, der Fliege und dem Käfer die kriechenden Larven einander äußerst ähnlich. Bei den Radi- aten sehen wir, wie die Qualle in einem frühen Entwicklungs- zustand einem Polypen und in einem noch früheren einem infusorienähnlichen Lebewesen gleicht, und wie dies ebenso der

1) Die Nutzlosigkeit der Kiemen spalten bei Säugetieren wird in Origm, Ed. I., S. 440, Ed. VI., S. 606 erörtert. Ebenso die Nutzlosigkeit der Flecken an der jungen Amsel und der Streifen am Löwenjungen, Bei- spiele, die in dem vorliegenden Essay nicht vorkommen.

[page] Entwicklungsstadien.                                2y7

Embryo des Polyps tut. Aus Tatsachen, wie den folgenden, nämlich daß gewisse Teile eines Säugetierembryos auf einem bestimmten Stadium mehr einem Fisch als ihrer elterlichen Form, daß die Larven aller Insektenordnungen mehr den einfacheren Gliedertieren als ihrer elterlichen Form1), oder daß die Embryonen der Qualle viel mehr einem Polyp als der ausgewachsenen Qualle gleichen, hat man häufig gefolgert, daß das höhere Tier einer jeden Klasse durch die Stadien des tieferen Tiers hindurchgehen müsse, so z. B. unter den Wirbeltieren das Säugetier durch das Stadium des Fisches; doch wird dies von Müller geleugnet. Dieser behauptet, daß das junge Säugetier zu keiner Zeit ein Fisch gewesen sei, und ebenso sagt Owen, daß die Qualle auf keinem Entwick- lungsstadium ein Polyp gewesen sei, sondern daß Säugetier und Fisch, Qualle und Polyp durch denselben Zustand hindurchgegangen wären, nur daß Säugetier und Qualle weiter entwickelt oder umgewandelt worden sind.

Da der Embryo in den meisten Fällen einen weniger kompli- zierten Bau aufweist als der fertige Organismus, zu dem er sich zu entwickeln im Begriff steht, könnte man annehmen, daß die Ähnlichkeit zwischen dem Embryo einer höheren Form und den weniger komplizierten Formen derselben großen Klasse in gewisser Weise als eine notwendige Vorbereitung für seine höhere Entwicklung anzusehen sei. Tatsächlich aber kommt es vor, daß ein solcher Embryo im weiteren Verlaufe seines Wachstums seine Organi- sation wieder vereinfacht, statt sie weiter zu komplizieren.2) So besitzen z. B. gewisse weibliche epizoische Crustaceen in* reifen Zustand weder Augen noch Fortbewegungsorgane; sie bestehen aus einem bloßen Sack, der mit einem einfachen

i) In Origiit, Ed. F., S. 442, 448, Ed. VI., S. 608, 614 wird darauf aufmerksam gemacht, daß in manchen Fällen die jugendliche Form der ausgewachsenen gleicht, wie z. B. bei den Spinnen; ferner daß bei Aphis kein „wurmartiges" Entwicklungsstadium vorkommt.

2) Dies entspricht Origin, Ed. I, S. 44'. Ed. VI., S. 607, wo indessen als Illustration «he Cirripedien herangezogen werden.

[page] 278                        Einheit des Typs; Morphologie.

Apparat für Verdauung und Zeugung versehen ist, und sind diese Tiere erst einmal an dem Körper des Fisches, der ihre Beute bildet, befestigt, so bewegen sie sich ihr ganzes Leben hindurch nicht wieder. In ihrem Embryonalzustand aber sind sie mit Augen und mit gut artikulierten Gliedmaßen versehen, sie schwimmen dann munter umher und suchen nach dem geeigneten Gegenstand, um sich daran anzuheften. Auch bei einigen Motten sind die Larven komplizierter und beweglicher als die flügellosen und gliederlosen Weibchen, die nie ihre Puppenhülle verlassen, nie Nahrung aufnehmen und nie das Tageslicht erblicken.

VERSUCH, DIE TATSACHEN DER EMBRYOLOGIE ZU

ERKLÄREN.

Ich bin der Ansicht, daß die Abstammungstheorie auf diese wunderbaren embryologischen Tatsachen, die in stärkerem oder geringerem Grade für das ganze Tierreich und in ge- wisser Weise auch für das Pflanzenreich gelten, ein helles Licht zu werfen vermag; so z. B. auf die Tatsache, daß die Arterien bei den Embryonen der Säugetiere, der Vögel, der Reptilien und der Fische ähnliche Anordnung und Ver- zweigung und beinahe sogar denselben Verlauf aufweisen, wie die Arterien beim ausgewachsenen Fisch. Ferner auf die ungeheure Wichtigkeit, welche die Merkmale und Ähnlichkeiten des Envbryonalzustandes für den Systematiker besitzen1), der sich die tatsächliche Stellung irgendeines ausgewachsenen Lebewesens im natürlichen System klar zu machen wünscht. Im folgenden einige Gesichtspunkte, von denen aus diese interessanten Fragen beleuchtet werden können.

Im Lebenshaushalt, sagen wir einmal eines katzenartigen Tiers2), sind die spezifisch katzenartigen Charaktere für den

1)  Origin, Ed. I, S. 449, Ed. VI., S. 617.

2)  Dies entspricht Origin, Ed. I., S. 443—444, Ed. VI., S. 610; freilich wird dort das katzenartige Tier nicht zum Vergleich herangezogen, wohl aber geschieht d ics im T-S.i; von 184*1 s. oben S# .

[page] Unwkhtigkeit der Variation für jugendliche Stadien.         279

Embryo und für das saugende Kätzchen von ganz neben- sächlicher Bedeutung. Gesetzt also, daß ein katzenartiges Tier variierte und daß irgendein Raum im Haushalt der Natur die Auslese einer mehr langgliederigen Varietät be- günstigte, so würde es für die auf dem Wege der natür- lichen Zuchtwahl erfolgende Erzeugung einer langgliederigen* Varietät völlig gleichgültig sein, ob die Glieder des Em- bryos oder auch des neugeborenen Kätzchens verlängert wären; von Wichtigkeit wäre nur, daß sie verlängert würden, sobald das Tier selbst für seine Nahrung zu sorgen hätte. Würde es sich nun nach fortgesetzter Auslese und nach der Erzeugung mehrerer neuer Zuchten aus ein und demselben elterlichen Stamm ergeben, daß die sukzessiven Variationen nicht eben in einem frühen oder gar embryonalen Lebensalter der Individuen zum Vorschein kommen (und wir sahen soeben, daß es ganz gleichgültig ist, ob dies geschieht oder nicht), dann würde offenbar die Folge sein, daß die Embryonen oder Jungen nur wenig modifiziert erscheinen und einander mehr gleichen würden, als es beiden ausgewachsenen Tieren') der Fall ist. Ferner, gesetzt daß von zwei dieser Zuchten eine jede zum Elternstamm verschiedener anderer Zuchten würde, wodurch zwei neue Gattungen ent- stünden, so würden die Jungen und die Embryonen dieser Gattungen stets eine größere Ähnlichkeit mit dem Original- stamm aufweisen als die ausgewachsenen Tiere. Kann daher bewiesen werden, daß die Periode der vielen kleinen suk- zessiven Abänderungen nicht immer sehr früh im Leben des Individuums auftritt, so findet damit die vergleichsweise größere Ähnlichkeit oder Einheit des Typs bei den jungen Tieren, im Gegensatz zu den ausgewachsenen, ihre Erklärung. Ehe wir uns anschicken, auf praktischem Wege2) zu unter- suchen, ob bei unseren häuslichen Rassen der Körperbau

1)  Origin, Ed. I, S. 447. Ed. VI., S. 613.

2)  Am Rande des Blattes 6ndet sich die Notiz „muß mir junge Tauben verschaffen"; dies geschah dann auch später, und die Resultate sind in Origin, Ed. I., S. 445. Ed. VI., S. 612 beschrieben.

[page] 2ÖO                        Einheit des Typs; Morphologie.

oder die Form der Jungen in einem den Veränderungen der älteren Tiere entsprechenden Grade modifiziert erscheint wird es doch gut sein, zunächst einmal auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß schon die primäre Keimzelle die Tendenz besitzen kann, gewisse Änderungen im Wachstum der sich entwickelnden Gewebe einzuleiten, die erst auf einer vor- gerückteren Altersstufe des Tiers voll in Erscheinung treten.

Aus dem Umstand, daß die nachstehenden Eigentümlich- keiten des Körperbaues, als da sind: Körperumfang, Körper- länge (ohne Beziehung zu der Länge der Jugendform), Fett- ansammlung entweder über den ganzen Körper oder lokali- siert, Veränderung der Haarfarbe und Ausgehen der Haare; Ablagerung von Knochensubstanz an den Beinen der Pferde; Blindheit und Taubheit, d. h. Änderungen der Struktur an Auge und Ohr; Gicht und damit zusammenhängende Ablagerung von Kalk, sowie viele andere Krankheiten, wie z. B. Hirn- und Herzkrankheiten zwar erblich sind aber erst auftreten, wenn das betreffende Individuum ausgewach- sen ist, sehen wir aufs deutlichste, daß die Keimzelle Trägerin einer Kraft ist, welche sich während der Erzeugung der unendlich zahlreichen Zellen der stets wechselnden Gewebe auf wunderbare Weise latent verhält1), bis sich der Körperteil, der davon betroffen ist, entwickelt hat, unddasrichtigeLebens- alter erreicht ist. Wir sehen dies sehr schön, wenn wir Rinder mit irgendwelcher Eigentümlichkeit der Hörner oder Geflügel mit irgendwelcher Eigentümlichkeit ihres zweiten Gefieders züchten, denn diese Eigentümlichkeiten können natürlich nicht wiedererscheinen, ehe das Tier ausgewachsen ist. Aus allem diesem geht hervor, daß es in der Tat möglich ist, daß die Keimzelle mit einer Tendenz begabt ist, ein lang-

i) In Qrigin, Ed. I. befinden sich entsprechende Betrachtungen auf Seite 8, 13, 443, Ed. VI., S. 8, 15, 610. Doch habe ich dort keine so prägnante Stelle gefunden, wie diese von der „Kraft . . ., welche sich usw. usw. latent verhält." In Origin scheint vielmehr diese latente Tendenz

als selbstverständlich vorausgesetzt zu werden.

[page] Keimesva ha tum.

281

gliederiges Tier zu erzeugen, dessen Proportionen aber erst beim Abschluß seiner Entwicklung zum Vorschein kommen.1)

Bei mehreren der soeben aufgezählten Fälle wissen wir, dail die erste Ursache einer nicht ererbten Eigentümlichkeit in den Lebensbedingungen liegt, denen das betreffende Tier während seines reifen Daseins ausgesetzt ist; so werden bis zu ge- wissem Grade Körpergröße und Fettansammlung, Lahm- heit und in geringerem Maße auch Blindheit bei Pferden, Gicht und einige andere Krankheiten durch die Lebens- gewohnheiten des Individuums hervorgerufen oder verstärkt. Diese Eigentümlichkeiten pflegen dann, falls sie auf den Nachkommen des damit behafteten Individuums vererbt werden, annähernd im entsprechenden Lebensalter auf- zutreten. In medizinischen Werken finden wir ebenfalls bestätigt, daß erbliche Krankheiten bei den Kindern auf der- selben Lebensstufe auftreten, auf der sie bei den Eltern in Erscheinung traten. Auch finden wir, daß Frühreife, Fort- pflanzungsalter und Langlebigkeit sich vererben.

Dr. Holland hat darauf hingewiesen, daß Kinder derselben- Familien bestimmte Krankheiten in ähnlicher und ganz be- sonderer Art durchzumachen pllegen. Mein Vater kannte drei Brüder2), die in sehr vorgerücktem Alter in einem eigentü m- lichen komatösen Zustand starben. Um nun solchen Beispielen Gewicht zu verleihen, müßte festgestellt werden, daß die Kinder der betreffenden Personen in demselben Lebensalter in ähnlicher Weise zu leiden haben. Dies trifft nun wahrscheinlich nicht durchweg zu, aber die genannten Tatsachen zeigen doch, daß eine Disposition zu einer auf einer bestimmten Lebensstufe auftretenden Krankheit durch die Keimzelle auf verschiedene Individuen derselben Familie übertragen werden kann. Es unterliegt somit keinem Zweifel, daß Krankheiten, die weit vorgerückte Lebensperioden ge- fährden, erblich übertragen werden können.

1)  Am Rande folgende Notiz „Abortivorgane deuten vielleicht auf die Periode hin, wo der Embryo Veränderungen unterliegt".

2)  Siehe Anmerkung 4, S. 77—79-

[page] 282                        Einheit des Typs; Morphologie.

Man hat bisher den ganz jungen Haustieren so wenig Auf- merksamkeit zugewandt, daß ich nicht weiß, ob irgendein Fall bekannt ist, wo durch Zuchtwahl entstandene Eigentümlich- keiten ganz junger Tiere, wie z. B. irgendwelche Merkmale am ersten Gefieder, auf die Nachkommen übertragen worden sind. Wenn wir uns aber nach den Seidenwürmern*) umsehen, so finden wir, daß sowohl die Raupen wie die Kokons, die, was die Zeitperiode anlangt, einem äußerst frühen Em- bryonalstadium der Säugetiere entsprechen würden, variieren, und daß diese Variationen in den Raupen und Kokons der Nachkommen wiederkehren.

Ich glaube, diese Beispiele bürgen für die Wahrscheinlich- keit der Tatsache, daß, zu welcher Periode des Lebens irgend- eine Eigentümlichkeit auch auftritt, dieselbe, ob sie nun der Einwirkung äußerer Umstände auf den reifen Organismus oder einer Einwirkung auf die ursprüngliche Keimzelle entstammt, falls überhaupt vererbbar, die Tendenz zeigen wird, bei den Nachkommen im entsprechenden Lebensalter wieder zu erscheinen.2) Daher würde auch, wie ich hinzu- fügen möchte, im Fall, daß Gewöhnung bzw. funktionelle Betätigung auf eine neu durch Zuchtwahl zu schaffende Varietät den Einfluß besitzt, die betreffende Fähigkeit voll zu entwickeln und zu verstärken, dieser Einfluß sich beim Nachkommen erst in jenem vorgerückteren Alter, das der Er- werbung der betreffenden Gewöhnung entspricht, äußern. Im zweiten Kapitel habe ich gezeigt, daß in dieser Beziehung ein deutlicher Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Zuchtwahl besteht, indem der Mensch die Varietäten, die er züchtet, nicht durchgehends funktionell ausbildet oder neuen Funktionen anpaßt, während bei der natürlichen Zuchtwahl eine solche funktionelle Ausbildung und An- passung in jedem eben durch sie abgeänderten Körperteile Voraussetzung ist.

1)  Diese Tatsache finden wir auch in Vor. under Dom., I., S. 3*6 angeführt

2)  Origin, Ed. L, S. 444. Ed. VI., S. 610.

[page] Monstrositäten.                                    2 g ,

Die obigen Tatsachen zeigen und gehen davon aus, daß gewisse kleine Variationen zu verschiedenen Perioden des Lebens nach der Geburt auftreten. Die Fälle von Mon- strosität beweisen andrerseits, daß viele Veränderungen schon vor der Geburt stattfinden, so z. B. alle die Fälle von überzähligen Fingern, Hasenscharten, sowie überhaupt alle plötzlichen, großen Veränderungen der Struktur; diese treten dann auch, wenn sie vererbt werden, während der Embryonalzeit der Nachkommen wieder auf. Endlich möchte ich bemerken, daß in einer noch früheren Lebens- periode als der- Embryonalzeit, nämlich während des Ei- zustands, bereits Varietäten in Größe und Farbe fest- gestellt worden sind (so an einer Hertfordshire-Ente mit schwärzlichen Eiern)1), die dann auch im Eizustand wieder- kehren. Auch bei Pflanzen sind Samenkapsel und Hüllen sehr variabel und die betreffenden Varietäten erblich.

Wenn also die beiden folgenden Prämissen zugegeben wer- den (und bezüglich der ersteren kann kaum ein Zweifel obwalten) — nämlich erstens, daß Variation des Körper- baues zu allen Lebenszeiten vorkommt, wenn auch sicher seltener und in weniger erheblichem Grade im völlig reifen Lebensalter2) (wo sie dann gewöhnlich in Form einer Krank- heit auftritt); und zweitens, daß solche Variationen dazu neigen, in einem entsprechenden Lebensalter der Nach- kommen wiederzuerscheinen, was zum mindesten wahr- scheinlich ist, so können wir a priori erwarten, daß in einer durch Auslese erzeugten Zucht das junge Tier die charak- teristischen Eigentümlichkeiten des ausgewachsenen elter- lichen Individuums nicht in entsprechendem (wenn auch vielleicht schon in geringerem) Grade zur Schau tragen wird. Denn wir können folgendes erwarten: bei den Tausenden oder Zehntausenden von Ausleseakten solcher kleinen Zunahmen in der Gliedergröße der Individuen, die nötig sind, um eine

i) In Vor. unaer Dom., Ed. II., Bd. I., S. 295 wird erzählt, daß solche

Eier in jeder Legeperiode von der schwarzen Labradorente gelegt werden.

2) Dies scheint mir hier kräftiger betont zu werden als in Origin, Ed. I.

[page] 284                         Einheit des Typs; Morphologie.

langgliederige Zucht zu erzeugen, werden sich die betreffenden Zunahmen bei den verschiedenen Individuen zu ganz ver- schiedenen Zeiten finden lassen, einige im frühen, andere im späten Embryonalstadium, einige während früher Jugend andere noch später. Und diese Zunahmen werden bei den Nachkommen im entsprechenden Alter wieder auftreten. Daher würde auch die vollständige Gliederlänge bei der neuen langgliederigen Zucht erst in der spätesten Lebenszeit erreicht werden, die der spätesten der tausende vorhergehender Längenzunahmen entspricht. Und folglich würde der Fötus der neuen Zucht während des früheren Teils seiner Existenz in den Proportionen seiner Glieder viel weniger verändert erscheinen; und zwar je jugendlicher die Periode, je geringer die Veränderung.

Wie man auch die Tatsachen im übrigen auffassen mag, auf die sich diese Schlußfolgerungen stützen, jedenfalls geben sie uns eine Möglichkeit der Erklärung, weshalb die Embryonen und Jungen der verschiedenen Spezies geringere Verände- rungen zeigen als ihre im Alter der Reife befindlichen Eltern, und in der Tat bestätigt sich'S, daß die Jungen von verschiede- nen domestizierten Varietäten, wenn sie auch voneinander ab- weichen, doch weniger verschieden sind als ihre ausgewachse- nen Eltern. Wenn wir z. B. die jungen Welpen1) von Windhund und Bullenbeißer betrachten, den zwei aut- fälligsten Modifikationen unter den Hunderassen, so finden wir, daß bei den 6 Tage alten Jungen die Beine sowie die Nasen (letztere von den Augen bis zur Spitze gemessen) dieselbe Länge aufweisen, obwohl in dem verhältnismäßigen Umfang und dem allgemeinen Aussehen dieser Teile ein großer Unterschied herrscht. Ebenso ist es beim Rind; obwohl die jungen Kälber der verschiedenen Rassen leicht zu unterscheiden sind, so sind ihre Proportionen doch weitaus nicht so verschieden wie die der ausgewachsenen Tiere. Dies zeigt sich auch in der Tatsache, daß es sowohl bei Pferden

1) Origin, Ed. I, S. 444, Ed. VI., S. 611.

[page] A rtcrienanlage.                                              2 g -

als auch bei Rindern und Hühnern einer außerordentlichen Ge- schicklichkeit bedarf, um die besten Formen in frühem Lebens- alter herauszufinden. Niemand würde daran denken, diese Auswahl wenige Stunden nach der Geburt zu üben, und es bedarf noch des größten Unterscheidungsvermögens, um während der eigentlichen Jugend des betreffenden Tiers mit voller Bestimmtheit eine Wahl zu treffen, eine Aufgabe, bei der auch die größten Kenner sich zuweilen irren.

Aus allem dem geht hervor, daß die endgültigen Propor- tionen des Körpers erst in reifem Alter erreicht werden. Wäre es mir möglich gewesen, genügend Tatsachen zu sammeln, die als feste Stütze der Behauptung dienen könnten, daß in den aus künstlicher Zuchtwahl hervor- gegangenen Stämmen die embryonalen und jungen Tiere nicht in demselben Grad wie ihre im Reifealter stehenden Eltern verändert zu sein pflegen, so könnte ich all die vor- stehenden Erwägungen und Versuche zu Erklärungen unterlassen haben. Wir hätten dann den Beweissatz ruhig auf die durch künstliche Zuchtwahl erzeugten Stämme und Arten übertragen können, und das endgültige Resultat wäre notwendigerweise gewesen, daß innerhalb einer Anzahl von Rassen oder Arten, die. aus einem gemeinsamen Stamm hervorgegangen, ihrerseits mehrere Gattungen und Familien bilden, die Embryonen sich mehr gleichen würden als die ausgewachsenen Tiere. Welches auch die Gestalt oder die Gewohnheiten der Stammgruppe der Wirbeltiere gewesen sein mögen, und wie beschaffen auch Anordnung und Ver- zweigung ihrer Arterien gewesen sein mag, keineswegs wird die Auslese von Variationen, die erst später zu der ur- sprünglichen Arterienanlage hinzukamen, die Wirkung ge- habt haben, den Arterienverlauf jener erstgenannten früheren Periode zu beeinflussen. Somit muß der ähnliche Verlauf der Arterien bei Säugetier, Vogel, Reptil und Fisch als eine der ältesten Urkunden von dem embryonalen Körperbau der gemeinsamen Stammgruppe dieser vier großen Klassen an- gesehen werden.

[page] 286                         Einheit des Typs; Morphologie.

Eine lang fortgesetzte Zuchtwahl kann übrigens ebensogut beweisen, daß eine Form einfacher, wie daß sie komplizierter wird. So wird es für eine Crustacee1), die ihr ganzes Leben an den Körper eines Fisches angeheftet verbringt, von Vorteil sein, sich in der Richtung einer starken Vereinfachung ihres Körperbaues anzupassen. Von diesem Gesichtspunkt gesehen wird die eigenartige Tatsache, daß ein Embryo zuweilen komplizierter organisiert ist als seine Eltern ohne weiteres verständlich.

ÜBER DIE ABSTUFUNG IN DER KOMPLIZIERTHEIT DER ORGANISMEN INNERHALB DER EINZELNEN

HAUPTKLASSEN.

Hier möchte ich nicht versäumen festzustellen, daß die Naturforscher innerhalb der meisten großen Klassen eine Stufenfolge von sehr komplizierten bis zu sehr einfachen Geschöpfen vorgefunden haben. So z. B. wenn wir die Fische betrachten: welch ungeheure Strecke dehnt sich zwischen dem Sandaal und dem Haifisch; oder die Gliedertiere: zwischen der gewöhnlichen Krabbe und der Daphnie2), zwischen der Blattlaus und dem Schmetterling und zwischen einer Milbe und einer Spinne.8) Nun können wir uns diesen Sachverhalt sehr gut durch die soeben erwähnte Beobachtung, daß näm- lich die Zuchtwahl auch eine Vereinfachung eines Organis- mus zu erzielen vermag, erklären. Denn es könnte doch vorkommen, daß im Laufe der unendlichen geologisch- geographischen Veränderungen und der hiermit verknüpften Isolierung von Spezies irgendein Terrain, das in anderen Gebieten von weniger komplizierten Tieren bewohnt wird, unausgefüllt geblieben sei und dann von einer rückgebildeten Form einer höheren und komplizierteren Klasse besetzt würde. Und es wäre in solchem Fall durchaus nicht unbedingt gegeben,

i) Origin, Ed. I., S. 441, Ed. VI., S. 607.

2)  Vergl. Origin, Ed. I, S. 419, Ed. VI., S. 575.

3)  Anmerkung derOrigina]handschrift>: Kaum möglich,zwisclienNicnt-

cntwicklung und Rückentwicklung zu unterscheiden.

me Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Zuchtwahl im Stadium der Unreife.                     2&~

daß bei etwaiger Vereinigung dieser zwei Regionen der rück- gebildete Organismus dem von Haus aus tiefer stehenden weichen müßte. Unserer Theorie zufolge existiert offenbar keine Kraft, die unablässig nach einer Höherentwicklung der Arten strebt, es sei denn der gegenseitige Kampf zwischen den verschiedenen Individuen und Klassen. Immerhin kann man aus der starken und allgemeinen Bewegung der Ver- erbungsvorgänge eine Tendenz zu fortschreitender Kompli- kation bei der allmählichen Schaffung neuer organischer Formen erwarten.

DURCH ZUCHTWAHL BEWIRKTE ABÄNDERUNG DER FORMEN UNREIFER ORGANISMEN.

Ich habe bereits oben bemerkt, daß die eigentlichen Katzen- charaktere für den Embryo und für das neugeborene Kätz- chen von ganz untergeordneter Wichtigkeit sind.') Natürlich würde es, eine große und grundlegende Veränderung im Körperbau des ausgewachsenen Tieres vorausgesetzt, un- vermeidlich sein, daß auch die Form des Embryo sich änderte. Änderungen der Form könnten, wie wir gesehen haben, auf dem Wege der Zuchtwahl ebensogut in jugendlichem Alter wie in reifem bewerkstelligt werden, und zwar durch die stets auf den entsprechenden Lebensstadien in Erscheinung tretende erb- liche Tendenz. Wenn also z. B. der Embryo dazu neigen würde, durchweg oder in einzelnen Körperpartien zu umfang- reich zu werden, so würde die Mutter des Betreffenden ent- weder bei dem Geburtsakt sterben oder doch außerordentlich leiden; und es müßte dann, wie im Falle der Kälber mit den stark entwickelten Hinterteilen2) diese Eigentümlichkeit entweder ausgemerzt werden, oder die Spezies untergehen. Da wo eine embryonale Form sich selbst die Nahrung suchen muß, sind ihr Bau, ihre Anpassung genau so wichtig für die Art, wie Bau und Anpassung des ausgewachsenen Tiers. Und da, wie wir gesehen haben, eine Eigentümlichkeit

1)  Siehe oben S. 76, wo dasselbe Beispiel angeführt wird.

2)   Var. umier Dom., Ed. II., Bd. I., S. 452.

[page] 288                        Einheit des Typs: Morphologie.

einer Raupe (oder eines Kindes, man bedenke die Erblichkeit gewisser Eigentümlichkeiten der Milchzähne) bei ihren Nach- kommen wiedererscheint, so können wir auch ohne weiteres erwarten, daß gemäß unserem Prinzip betreffend die Auslese kleiner, zufälliger Variationen eine Raupe ebensogut an neue

und wechselndeLebensbedingungen angepaßt und entsprechend abgeändert werden kann wie ein ausgewachsener Schmetter- ling. Daher kommt es wahrscheinlich auch, daß die Raupen verschiedener Arten der Schmetterlinge sich stärker von- einander unterscheiden, als dies in einem entsprechend frühen Lebensalter bei solchen Embryonen der Fall ist, welche untätig im Schöße der Mutter aufwachsen. Und indem die Eltern im Laufe der Jahrhunderte durch Zucht- wahl an den einen, die Larven an einen ganz anderen Zweck angepaßt wurden, brauchen wir uns nicht zu wundern, daß der Unterschied zwischen den Formen beider ein erstaun- lich großer geworden ist, so groß etwa, wie der zwischen der festsitzenden Entenmusche! und ihrer freibeweglichen, krabbenähnlichen Larve, die mit Augen und wohlgegliederten, zur Fortbewegung dienenden Extremitäten versehen ist.1)

WICHTIGKEIT DER EMBRYOLOGIE FÜR DIE

KLASSIFIKATION.

Wir sind jetzt genügend orientiert, um einzusehen, warum die Erforschung der Embryonalformen von solcher allgemein anerkannten Wichtigkeit bei der Klassifikation ist.2) Haben wir doch gesehen, daß eine Variation, zu welcher Zeit sie auch auftritt, bei der Abänderung und Anpassung des ausgewachse- nen Lebewesens mitzuwirken vermag. Bei der Abänderung des Embryos aber können nur Variationen, die auf einer sehr frühen Lebensstufe auftreten, durch Zuchtwahl aufgegriffen und aufgespeichert werden. Es wird daher für eine Ab- änderung der jungen Stadien, in Anbetracht dessen, daß die Körperbildung des Embryo meist relativ unwesentlich

i) Origin, Ed. I., S. 441, Ed. VI., S. 607. 2) Origin, Ed. I., S. 449. Ed. VI., S. 667.

[page] Reihenfolge aes Auftretens der Hauptklassen.                  28g

ist, weniger Gelegenheit gegeben und auch weniger Tendenz vorhanden sein. Aus demselben Grunde dürfen wir er- warten, bei den jugendlichen Stadien zwischen verschiedenen Gruppen von Arten Ähnlichkeiten vorzufinden, die bei den erwachsenen Tieren völlig verloren gegangen sind. Ich sehe, daß einem Anhänger der Anschauung getrennter Schopfungs- akte eine Erklärung dieser Tatsache ganz unmöglich sein muß, der Tatsache nämlich, daß die Verwandtschaft zwischen den Organismen zugleich am klarsten und am wichtigsten ist zu einer Zeit, wo ihr Organismus dem wesentlichsten Teil seiner Aufgabe im Haushalt der Natur noch nicht angepaßt erscheint.

ZEITLICHE REIHENFOLGE DES ERSTEN AUFTRETENS DER

HAUPTKLASSEN.

Aus den obigen Schlußfolgerungen geht nichts weiter hervor, als daß die Embryonen, sagen wir z. B. der heutigen Wirbeltiere, den Embryonen des Elternstammes dieser großen Klasse mehr gleichen, als die ausgewachsenen Wirbel- tiere von heute ihren ausgewachsenen Stammeseltern. Es kann jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß früher unter den ursprünglichsten und primi- tivsten Bedingungen Eltern und Embryo sich mehr ge- glichen haben, und daß der Umstand, daß viele Tiere während ihres Heranwachsens durch verschiedene Embryonal- stadien hindurchgehen, einzig und allein darauf zurück- zuführen ist, daß die inzwischen aufgetretenen Variationen der betreffenden Organismen nur die reiferen Stadien ihres individuellen Lebens betrafen. Dies vorausgesetzt, geben uns die Embryonen der heutigen Wirbeltiere mehr oder weniger schattenhaft die Umrisse des Baus der einstmaligen ausgewachsenen Individuen dieser großen Tierklasse, die in den frühesten Perioden der Erd- geschichte gelebt haben.') Demnach würden Tiere von

i) Origin, Ed. L, S. 449, E<L VI., S. 6i8.

e. Darwin, Fundamente zur Entstehung d*r Arten.                                19

[page] 2Cjo                       Abortive oder rudimentäre Organe.

fischartigem Bau den Vögeln und Säugetieren voraus- gegangen sein. Was die Fische anlangt, so sind, wie die Embryologie lehrt, ursprünglich die Formen mit symme- trischer Schwanzflosse denen mit assymetrischer voraus- gegangen, aus letzteren haben sich aber dann wieder solche mit symmetrischer entwickelt, bei denen die Assymetrie aber auf Grund des Verlaufs der Schwanzwirbelsäule nach- weisbar ist.1) Was die Crustaceen betrifft, so müssen die Entomostraken den gewöhnlichen Krabben und den Enten- muscheln vorangegangen sein, endlich die Polypen den Medusen und die Infusorientierchen den beiden letzteren Gruppen. Diese Zeitfolge darf für einige der genannten Tiergruppen als feststehend angenommen werden; immer- hin halte ich die vorhandenen Zeugnisse betreffend Zahl und Art der von Anbeginn der Erde existierenden Orga- nismen, besonders der ältesten unter diesen, für so außer- ordentlich lückenhaft, daß ich dieser Seite der Beweis- führung selbst dann keine allzu hervortretende Bedeutung beimessen möchte, wenn sie besser begründet wäre, als dies bei dem jetzigen Stand unserer Kenntnisse möglich ist.

NEUNTES KAPITEL.

ABORTIVE ODER RUDIMENTÄRE ORGANE.

ABORTIVE ORGANE IM SYSTEMATISCHEN SINNE.

Gewisse Teile des Körperbaus bezeichnet man als abortiv oder wenn sie auf einer noch tieferen Stufe der Entwicklung stehen, als rudimentär,2) nämlich dann, wenn dieselbe logische Fähigkeit in uns, die uns zeigt, wie wundervoll ganz

i) Der englische Text ist hier nicht ganz klar, weil diese beiden (. dankenreihen in eigentümlicher Welse durcheinander gemischt worden zu sein scheinen. (Anmerkung der Übersetzerin]).

2) In Origin, Ed. I., S. 450, Ed. VI., S. 619 macht Ch. Darwin keinen besonderen Unterschied zwischen der Bedeutung der Ausdrücke „abortiv"

und „rudimentär".

[page] Abortive Organe im systematischen Sinne.                 2 QI

ähnliche Teile in vielen Fällen bestimmten Zwecken angepaßt sind, uns erklärt, daß sie im vorliegenden Falle gänzlich nutzlos sind. So z. B. besitzen Rhinozeros, Walfisch1; usw. im Jugendstadium kleine, aber normal geformte Zähne, dieselben durchbrechen aber niemals das Zahnfleisch; bestimmte Knochen, ja selbst vollständige Extremitäten werden durch bloße kleine Zylinder oder Knochenhocker ersetzt, die häufig an andere Knochen angelötet sind. Viele Käfer besitzen äußerst winzige, aber regelmäßig geformte Flügel unter ihren Flügel- decken, welch letztere fest miteinander verwachsen sind und sich nie öffnen.*) Viele Pflanzen haben statt der voll- ständigen Staubgefäße bloß Filamente oder kleine Knöpf- chen; Kronenblätter finden sich zu Schuppen verkümmert und statt richtiger Blumen finden wir zuweilen Knospen, die sich, wie bei der Federhyazinthe, niemals öffnen. Es gibt zahllose ähnliche Fälle, die mit Recht als äußerst be- merkenswert betrachtet werden. Wahrscheinlich existiert kein einziges Lebewesen, bei dem nicht irgendein Körperteil den Stempel der Nutzlosigkeit trägt. Denn was kann, so- weit unsere Einsicht in diesen Fragen reicht, klarer sein als daß Zähne zum Beißen, Gliedmaßen zur Fortbewegung, Flügel zum Fliegen und Staubfäden sowie die ganze Blume zur Fortpflanzung zu dienen haben?5) Und doch sind die Organteile, von denen wir hier sprechen, für diese deut- lichen Zwecke offenbar ungeeignet. Abortive Organe werden häufig als bloße Repräsentanten (hier bildlich aufzufassen) ähnlicher Teile bei anderen Lebewesen angesehen; allerdings scheinen sie in einigen Fällen doch mehr als bloße Repräsen- tanten zu sein, nämlich das allerdings unvollkommen ent- wickelte oder ausgebildete Organ selbst.

So gehört z. B. das Vorhandensein von Brustwarzen bei den männlichen Wirbeltieren zu den am häufigsten

i) Origin, Ed. L, S. 450, Kd. VI.. S. 619.

2)  Origin, Ed. I., S. 450, Ed. VI., S. 619.

3)  Derselbe Gedankengang findet sich in Origin, Ed. I„ S. 45», Ed. \ l.,

S. 619.

The ComDlete Work of Charles Darwin Online*

[page] 2 Q2                        Abortive oder rudimentäre Organe.

zitierten Beispielen von abortiven Organen; doch weiß man von Fällen, wo diese Organe beim Manne ebenso wie beim Bullen ihre eigentliche Funktion ausgeübt und Milch abgesondert haben. Ferner hat die Kuh Ge- wöhnlich vier entwickelte und zwei abortive Brust- warzen; doch kommt es vor, daß auch diese beiden letzteren gut entwickelt sind und sogar Milch absondern (??)*) Auch bei Pflanzen läßt sich nachweisen, daß die Repräsen- tanten" der Staubfäden und Pistille als diese Organe selbst, nur in noch unentwickeltem Zustand anzusehen sind; hat doch Kölreuter durch Kreuzung einer diözischen Pflanze,2) eines Cucubalus, welche ein rudimentäres Pistill hatte, mit einer hermaphroditischen Art, deren Blüten dieses Organ in vollkommenem Zustand besaßen, gezeigt, daß bei den Bastardnachkommen das Organ zwar bedeutend vergrößert war, aber noch immer abortiv blieb; dies beweist uns, wie nahe verwandt ihrer Natur nach die rudimentären und voll- kommen entwickelten Pistille sein müssen.

Abortive Organe, die mit Bezug auf ihren gewöhnlichen und normalen Zweck als unnütz betrachtet werden müssen, erweisen sich zuweilen als anderen Zwecken angepaßt.5 So sind die Beutelknochen, die eigentlich dazu bestimmt sind, das Junge im Beutel der Mutter zu stützen, auch beim Männchen vorhanden, wo sie als Stütze für bestimmte Muskeln dienen, die mit ausschließlich männlichen Funk- tionen verknüpft sind. Bei den männlichen Blüten der Calendula findet sich ein Pistill, das bezüglich seines eigent- lichen Zweckes, den Pollen zu den Ovulae zu leiten, als abortiv zu bezeichnen ist, das jedoch dem Zwecke dient,

i) Origin, Ed. I., S. 451. Ed. VI., S. 619 über männliche Brustwarzen. Dort spricht übrigens Ch. Darwin mit Bestimmtheit von der Milch absonderung der abortiven Brustwarzen bei Kühen, ein Punkt, der ihm hier noch zweifelhaft erschienen zu sein scheint.

2)  Origin, Ed. I., S. 451, Ed. VI., S. 620.

3)  Das Thema der Anpassung rudimentärer Organe an neue Zwecke

wird gleichfalls in Origin, Ed. I., S. 451, Ed. VI., S. 620, besprochen.

[page] h'lassißkatorische Bedeutung der abortiven Organe.          293

den Pollen von den umgebenden Antheren abzustreifen, damit er durch die Insekten zu den vollkommenen Pistillen der übrigen Blüten hingetragen werde.1)

Es ist wahrscheinlich, daß in vielen uns bisher un- bekannten Fällen die abortiven Organe irgendeine nütz- liche Funktion erfüllen. Aber in anderen Fällen, wie z. B. bei den im festen Kieferknochen eingebetteten Zähnen oder bei den kleinen Knöpfen, die uns als Rudimente von Staub- fäden und Pistillen begegnen, wird selbst die kühnste Phantasie kaum wagen, von einer Funktion zu sprechen. Abortive Körperteile, selbst wenn sie für die individuelle Spezies völlig nutzlos sind, genießen durch den Umstand, daß sie häufig von höchster Wichtigkeit für die Klassifikation sind, eine erhebliche Bedeutung.1) So z. B. darf das Vor- handensein vollständiger abortiver Blüten an Gräsern und die Art ihres Angewachsenseins nicht übersehen werden, wenn man die Gräser nach ihren wirklichen Verwandtschafts- beziehungen zu bestimmen sucht. Hierdurch wird eine bereits in einem früheren Kapitel aufgestellte Behauptung, nämlich, daß die physiologische Wichtigkeit eines Organs kein Maßstab seiner Wichtigkeit für die Systematik ist, aufs neue bestätigt.

Schließlich sind abortive Organe häufig nur im embryo- nalen oder sehr jungen Stadium einer Spezies im richtigen Verhältnis zu den anderen Körperteilen entwickelt; auch dieses können wir mit Hinblick auf die kiassifikatorische Bedeutung der abortiven Organe offenbar als einen Teil jenes Gesetzes betrachten, auf das im letzten Kapitel hingewiesen wurde, daß die höheren Verwandtschafts- verhältnisse der Organismen oft am deutlichsten aus den Vorstufen zur Reife zu ersehen sind, durch welche

1) Bei dieser Angabe stützt sich der Verfasser auf die Beobachtungen von Sprengel; s. auch Origin, Ed. 1., S. 452. Ed. Vi, S. 621.

.) Origin, Ed.L, S.455, Ed. VI., S. 627. Am Rande des vorliegenden Manuskriptblattes findet sichdw Name R.Bro*n, mutmaßlich als Automat für die betreffende Behauptung.

[page] 2 94                        Abortive oder rudimentäre Organe,

der Embryo hindurchgeht. Vom gewöhnlichen Gesichts- punkt der einzelnen .Schöpfungsakte hingegen betrachtet, dürfte in der ganzen Naturgeschichte kaum eine Gruppe von Tatsachen existieren, die erstaunlicher und der Erklärung unzugänglicher wäre.

ABORTIVE ORGANE IM PHYSIOLOGISCHEN SINNE. Die Physiologen und praktischen Mediziner gebrauchen den Ausdruck „abortiv" in etwas anderem Sinne als der Zoologe oder Botaniker, und ihre Anwendung des Ausdrucks dürfte wohl die ursprüngliche sein, indem sie nämlich Teile so benannten, die sich auf Grund einer vor der Geburt ein- getretenen zufälligen Störung oder Krankheit nicht weiter entwickelten, nicht ihr normales Wachstum erreichten.1) So z. B. wurde von abortiven Organen gesprochen, wenn ein junges Tier mit einem kleinen Stumpf an Stelle eines Fingers oder an Stelle der ganzen Extremität, oder mit einem kleinen Knopf an Stelle des Kopfes, oder mit einem bloßen Höckerchen aus Knochensubstanz an Stelle eines Zahns, oder mit einem Stummel an Stelle eines Schwanzes geboren wurde. Die Zoologen und Botaniker dagegen brauchen diesen Ausdruck, wie wir sahen, nicht für Teile, die während des embryonalen Wachstums verkümmert sind, sondern für solche, die im Verlaufe der aufeinanderfolgenden Gene- rationen ebenso regelmäßig hervorgebracht werden, wie irgendein anderer wesentlicherer Teil des individuellen Organismus; sie brauchen mithin diesen Ausdruck in einem mehr bildlichen Sinne. Diese beiden Gruppen von Tatsachen gehen indessen ineinander über2), und zwar dadurch, daß Körperteile, die aus Zufall während des Embryonallebens

I) Origin, Ed. I., S. 454, Ed. VI., S. 625.

j) Origin, Ed. I., S. 454, Ed. VI., S. 625 sagt der Verfasser, indem er sich auf halbmonslrösc Variationen bezieht: „aber ich bezweifle, daß einer von diesen Fällen geeignet ist, die Bildung rudimentärer Organe in der Natur aufzuklären". Wie man sieht, war er im Jahre 1844 offen- bar eher zu der entgegengesetzten Anschauung geneigt.

[page] Abortive Organe im physiologischen Sin tu.               2y5

irgendeines Individuums verkümmerten, diesen Zustand im Verlauf der nachfolgenden Generationen vererbten. So werden z. B. eine Katze oder ein Hund, die mit einem Stummel an Stelle eines Schwanzes geboren wurden, dazu tendieren, diesen Stummel an ihre Nachkommen zu ver- erben; dasselbe kommt vor, wo Gliedmaßen durch bloße Stummel ersetzt sind, und auch bei Blumen mit mangel- haften und rudimentären Teilen, wie sie alljährlich bei neuen Blumenknospen und selbst in aufeinanderfolgenden Samen- generationen vorkommen.

Auf die starke erbliche Tendenz, jedwede angeborene oder langsam erworbene Bildung, ob sie nun dem be- treffenden Individuum nützlich oder schädlich ist, zu vererben, ist schon oben im ersten Teil hingewiesen worden, so daß wir bei der Beobachtung, daß diese durchaus abortiven Bildungen sich vererben, kein be- sonderes Erstaunen zu empfinden brauchen. Ein merk- würdiges Beispiel von der Macht der Vererbung kann man in den zuweilen auftretenden kleinen, locker in der Haut hängenden Hörnern erkennen, die, für alle eigentlichen Funktionen eines Horns wertlos, bei ungehörnten Rassen unseres Hausrindes vorkommen.1) Nun besteht meines Erachtens kein wesentlicher Unterschied zwischen einem Stummel, der einen Schwanz, einem solchen, der ein Hörn oder eine Extremität vertritt, einem kurzen, verschrumpften Staubgefäß ohne Pollen, einem Grübchen in einem Blumen- blatt anstatt eines Nektariums (vorausgesetzt, daß alle solche Rudimente bei einer Rasse oder Familie regelmäßig wieder- kehren) und zwischen den von den Systematikern als typisch abortiv bezeichneten Organen. Und gesetzt, wir hätten Ursache anzunehmen (so weit dürfen wir allerdings meiner Meinung nach nicht gehen), daß sämtliche abortiven Organe zu irgendeiner Zeit während des Embryonallebens eines Individuums plötzlich hervor-

ii Origin, Ed. I., S. 454, Ed. VI., S. 625.

[page] 2Q 6                       Abortive oder rudimentäre Organe.

gerufen worden und danach erblich geworden waren, so be- säßen wir ohne weiteres eine einfache Erklärung des Ursprungs abortiver und rudimentärer Organe.1) Und gerade so wie in manchen Wörtern Buchstaben vorkommen, welche zur Aussprache des betreffenden Wortes nutzlos2) geworden sind uns aber als Führer bei der Nachforschung nach dessen Ur- sprung dienen, ebenso sehen wir, daß rudimentäre Organe, obwohl sie dem betreffenden Individuum nicht mehr nütz- lich sind, bei Bestimmung der Abstammung, d. h. bei der Einordnung jenes Organismus innerhalb des natürlichen, genealogischen Systems, von höchster Wichtigkeit sein können.

ABORTIVWERDÄN INFOLGE ALLMÄHLICHEN NICHTGEBRAUCHS.

Es scheint eine gewisse Wahrscheinlichkeit vorzuliegen, daß dauernder Nichtgebrauch irgendeines Körperteils oder Organs und die Auslese von Individuen, bei denen dies Organ ein wenig geringer entwickelt ist, im Laufe der Zeiten bei den unter Domestikation lebenden Organismen Rassen hervorzubringen vermöchte, bei denen das betreffende Organ abortiv gebildet ist. Wir haben alle Ursache anzu- nehmen, daß jeder Körperteil, jedes Organ eines Individuums sich nur durch Ausübung einer Funktion voll entwickelt; daß es sich dort, wo es sich weniger betätigt, einigermaßen weniger entwickelt, und daß, wo es gezwungenermaßen von jeder Betätigung ausgeschlossen ist, solch ein Organ sehr häufig atrophiert. Ferner haben wir zu berücksichtigen, daß jede

i) S. Origin, Ed. L, S. 454, Ed. VI., S. 625. An jener Stelle bespricht Ch. Darwin Monstrositäten in ihrer Beziehung zu rudimentären Organen und kommt zu dem Schluß, daß vor allen Dingen Nichtgebrauch als Ursache in Betracht kommt; diese Anschauung begründet er mit seinem Zweifel, „daß Arten im Naturzustande jemals plötzlichen Veränderungen unter- liegen". Mir scheint, daß Ch. Darwin in Origin mehr Gewicht auf den „Lamarckschen Faktor" gelegt habe, als er es im Jahre 1844 tat. Huxlcy huldigt der entgegengesetzten Ansicht (s. Einleitung).

2) Origin, Ed. I., S. 455. Kd. VI. S. 627.

[page] Abortwwerden infolgt Nichtgebrauchs.                   207

Eigentümlichkeit, besonders in Fällen, wo beide Eltern sie be- sitzen, dazu neigt, sich zu vererben. Die geringere Flugtüchtig- keit der Hausente verglichen mit der wilden Ente muß zum großen Teil dem während mehrerer Generationen fortgesetzten Nichtgebrauch1) der Flügel zugeschrieben werden, und da Flügel ihrer ganzen Anlage nach dem Zwecke des Fliegens angepaßt sind, so dürfen wir unsere Hausente als auf dem ersten Stadium der Entwicklung zum Apteryx stehend betrachten, bei welch letzterem Tier die Flügel so eigen- tümlich verkümmert sind.

Einige Naturforscher haben die für die meisten domesti- zierten Hunderassen, für gewisse Kaninchen, Katzen, Zieeen und Pferde so charakteristischen hängenden Ohren als Folge des eine Reihe von Generationen hindurch be- stehenden Nichtgebrauchs der Ohrmuskeln angesehen. Dieser Nichtgebrauch oder geringe Gebrauch der Ohrmuskeln wird von ihnen dem eingehegten, wenig Wachsamkeit er- fordernden Leben dieser Tiere zugeschrieben. Muskeln aber, die ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können, dürfen als auf dem Wege des Abortivwerdens befindlich betrachtet werden. Bei Blumen beobachten wir im Laufe fortgesetzter Aussaat allmähliche Verkümmerung, richtiger ausgedrückt Umwandlung von Staubfäden zu erst unvollkommenen und dann vollkommenen Blumenblättern. In Fällen, wo das Auge in früher Jugend erblindet, wird der Sehnerv zuweilen atrophisch. Ließe sich nicht im Anschluß hieran vermuten, daß da. wo dieses Organ, wie beim unterirdisch lebenden, maulwurfartigen Tuco-tuco (Ctenomys)2) häufig geschädigt wird und verloren geht, im Laufe der Genera- tionen das ganze Organ abortiv werden könnte, wie dies normalermaßen bei einigen wühlenden Vierfüßlern, die eine dem Tuco-tuco ähnliche Lebensweise pflegen, der Fall ist?

1)  Origin, Ed. I., S. II, Ed. VI., S. l3, wo auch die Hängeohren ge- wisser Haustiere erwähnt werden.

2)   Origin, Ed. 1., S. 137. Ed* VI., S. 170.

[page] 298                      Abortive oder rudimentäre Organe.

Insofern wir also die Wahrscheinlichkeit gelten lassen, daß Nichtgebrauch verbunden mit gelegentlichen echten, d. h. plötzlich während der Embryoperiode eingetretenen Verkümmerungen das Unentwickeltbleiben eines Körper- teils zur Folge haben kann, womit dann schließlich seine Ver- kümmerung und Unbrauchbarkeit Hand in Hand geht, können wir füglich erwarten, daß im Laufe der Zeiten die Fälle von Abortivwerden einzelner Organe häufig gewesen sein müssen — besonders wenn wir die zahllosen Änderungen in den Lebensbedingungen in Betracht ziehen, welche die Nachkommen ein und desselben Stammes erfahren haben.

Das Vorhandensein des Schwanzstummels, der, wenn auch das betreffende Tier, schwanzlos ist, meistens erhalten bleibt, können wir uns nur aus der Kraft des erblichen Prinzips erklären oder aus dem Zeitpunkt, an welchem der Embryo den fraglichen Reiz erlitten hat.1) Aber nach der Theorie, derzufolge Nichtgebrauch allmählich ein Organ zum Verfall bringt, sehen wir, gemäß den im letzten Kapitel auseinandergesetzten Prinzipien von dem Auftreten der Vererbungserscheinungen auf korrespondierenden Alters- stufen2) und dem Umstand, daß Gebrauch oder Nichtgebrauch im embryonalen oder allerersten Kindheitsleben keine Rolle spielt, daß die betreffenden Organe oder Körperteile nicht einer völligen Vernichtung, sondern einem Verharren im Zustand des frühen Embryonallebens anheimfallen müßten.

Owen bezeichnet öfters einen Teil eines ausgewachsenen Tieres als in einem ,,embryonalen Zustand" befindlich. Übri- gens können wir uns hieraus auch erklären, warum abortive Organe während des jugendlichen Lebensalters am meisten entwickelt sind. Auch können wir beobachten, wie durch allmähliche Zuchtwahl ein Organ für seinen ursprünglichen Daseinszweck rudimentär werden, gleichzeitig aber neuen Zwecken angepaßt werden kann. Ein Entenflügel kann dahin

1)  Diese Worte scheinen als nachträglicher Gedanke eingefügt worden zu sein

2)  Origin, Ed. I., S. 44-1, Ed. VI., S. 611.

[page] Existenz der Aborth/organe erklart durch Zuchtwahl.         2QQ

gelangen, als Ruderflosse zu dienen, wie dies beim Flügel des Pinguins wirklich der Fall ist; ein abortiver Knochen kann durch allmähliches Wachstum und Lageveränderung der Muskelfasern in eine Stütze für eine neue Reihe von Muskeln umgewandelt werden; und das Pistill von Calendula kann als Fortpflanzungsorgan abortiv werden, aber jenen andern Zweck, den Pollen von den umgebenden Antheren abzustreifen, vollkommen erfüllen.1) Und wäre in dieser letzteren Beziehung die Verkümmerung nicht durch Zuchtwahl aufgehalten worden, so wäre ein Aussterben der Spezies durch das Eingeschlossen- bleiben des Pollens in den Kapseln unvermeidlich gewesen. Zum Schluß dieser Betrachtung möchte ich nochmals folgendes hervorheben: Alle diese erstaunlichen Tatsachen: nämlich daß Organe, deren Bildung die feinste Sorgfalt verrät, die aber entweder gänzlich unnütz oder vollkommen neuen Zwecken angepaßt sind, bei fast sämtlichen Bewohnern dieser Erde sowohl in längstverflossenen wie in gegenwärtigen Zeiten gefunden werden, ferner daß diese Organe auf einem sehr frühen embryonalen Stadium am besten ent- wickelt, ja zuweilen nur dann auffindbar sind, daß sie zugleich aber die größte Wichtigkeit bei der Klassifikation der Organismen nach einem natürlichen System genießen: alle diese erstaunlichen Tatsachen erhalten nicht nur durch die Theorie einer lang fortgesetzten Zuchtwahl vieler Spezies aus einigen wenigen vorelterlichen Stämmen eine einfache Erklärung, sondern sie gehen notwendigerweise aus eben dieser Theorie hervor. Verwirft man diese Theorie, so bleiben jene Tatsachen ganz unerklärbar, wofern man nicht den nichts als ein wesenloses Bild bedeutenden Satz de Can- dolles2), in dem er das Reich der Natur mit einem wohl- gedeckten Tisch vergleicht, auf dem die Abortivorgane aus Zwecken der Symmetrie angebracht sind, als eine Erklärung auffassen will!

1)   Dieses Beispiel und ähnliche kommen auch in Origin, Ed. 1 ,

S. 452, Ed. VI., S. 621 vor.

2)  Dieser Vergleich findet auch im Essay von 18 4 2, S.S 2, Anm. 2 Erwähnung.

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[page] 300                               Ruckblick und Schluß.

ZEHNTES KAPITEL.

RÜCKBLICK UND SCHLUSS. RÜCKBLICK.

Ich möchte nunmehr den Gedankengang dieser Arbeit zusammenfassen, und zwar ausführlicher hinsichtlich ihrer ersten und knapper hinsichtlich ihrer letzten Abschnitte. Im ersten Kapitel haben wir gesehen, daß die meisten, wo nicht alle organischen Wesen, wenn sie vom Menschen ihrer natürlichen Umgebung entrissen und während mehrerer Generationen gezüchtet werden, variieren. Und zwar ist diese Variation teils der direkten Wirkung der neuen äußeren Lebensbedingungen, teils einer indirekten Wirkung auf die Fortpflanzungsorgane zuzuschreiben, durch welche die Or- ganisation der Nachkommen eine Neigung zum Plastisch- werden erlangt. Der unzivilisierte Mensch suchte natürlicher- weise vor allen Dingen das Leben der auf diese Weise ent- stehenden Variationen zu erhalten und züchtet daher bloß die für ihn und seine jeweiligen Lebensumstände nützlichsten Individuen ohne ein bestimmtes Ziel. Ist er erst einmal halbzivilisiert, so beginnt er, mit Vorbedacht zu wählen, die gewählten Individuen zu isolieren und sie zur Zucht

heranzuziehen.

Jeder Teil des Organismus scheint gelegentlich, wenn auch nur in geringem Grade zu variieren, der Grad aber, bis zu welchem alle möglichen Eigentümlichkeiten der Seele und des Körpers vererbt werden — seien sie nun angeboren oder langsam infolge von äußeren Einflüssen, Übung oder NichtÜbung erworben —, ist wahrhaft staunens- wert. Haben sich erst mehrere Zuchten gebildet, so erweist sich Kreuzung als die ergiebigste Quelle für neue Formen.1»

i) Man vergleiche Ch. Darwins spätere Ansicht: „Die Möglichkeit, durch Kreuzung deutlich geschiedene Rassen zu erzeugen, ist außerordentlich überschätzt worden." Origin, Ed. L, S. 20, Ed. VI., S. 23. Dieser

[page] Rückblick: Anpassung.                              30,

Die Variation befindet sich natürlicherweise in Abhängig- keit von gewissen Faktoren, so der Gesundheit der neuen Rasse, der Neigung zu einem Rückschlag in vorelterliche Formen sowie unbekannten Gesetzen, welche die propor- tionale Zunahme und Symmetrie des Körpers regeln. Der Gesamtbetrag an Variation, der unter Domestikation bereits erreicht worden ist, entzieht sich bei der Mehrheit der Haustiere und Pflanzen vollständig unserer Schätzung. Im zweiten Kapitel wurde sodann gezeigt, daß auch wilde Lebewesen zweifellos in geringem Grade variieren, und daß, wenn auch das Maß ein verschiedenes ist, die Art dieser Variation der bei domestizierten Organismen beobachteten gleicht. Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, daß jedes Lebewesen, das im Verlauf mehrerer Generationen neuen und verschiedenartigen Bedingungen ausgesetzt worden ist, variiert. Sicher ist, daß Organismen, die in einem isolierten Lande leben, das geologischen Veränderungen unterliegt, sich im Laufe der Zeit neuen Lebensbedingungen ausgesetzt sehen. Solchen findet sich auch ein Geschöpf preisgegeben, das aus Zufall nach einer neuen Örtlichkeit, z. B. einer Insel verschleppt wird und sich dort von ganz neuen Gruppen von Lebewesen umgeben sieht. Wäre nicht eine Kraft am Werk, die jede leise angedeutete Variation, welche imstande ist, einem in dieser Lage befindlichen Geschöpf neue Subsistenzquellen zu eröffnen, durch Zuchtwahl erhielte, so würden die Einflüsse der Kreuzungen, des Todes, sowie die beständige Neigung zu atavistischen Rückschlägen die Bildung neuer Rassen verhindern. Gesetzt aber, eine solche auslesende Kraft sei am Werke, so vermag ich nicht einzusehen, weshalb man der Künstlichkeit und Schönheit der durch sie möglicher- weise hervorgebrachten Anpassungen irgendeine Grenze setzen sollte;1) denn gewiß ist, daß wir von einer Grenze

Meinungswechsel des Verfassers ist zweifellos zum Teil als das Ergebnis seiner Experimente mit Tauben anzusehen.

1) In Origin, Ed. L, S. 469, Ed. VI., S. 644 spricht sich Ch. Darwin mit

sehr energischen Worten in diesem Sinne aus.

[page] 302                                Rückblick und Schluß,

der Variationsfähigkeit bei organischen Wesen, ob sie sich nun in wildem oder domestiziertem Zustande befinden nichts wissen.

Sodann wurde gezeigt, daß infolge der jeder Spezies inne- wohnenden Tendenz, sich in geometrischem Verhältnis zu vermehren, einer Tendenz, die sich unter günstigen Um- ständen bei Mensch und Tier beweisen läßt, sowie infolge des durchschnittlichen Konstantbleibens der Sub- sistenzinittel ein scharfer Kampf ums Dasein während gewisser Lebensabschnitte des Individuums oder doch wenigstens einmal im Laufe von mehreren Generationen eintreten muß; und daß weniger als ein Körnchen auf der Wage1) schon zu bestimmen vermag, welche Indivi- duen überleben und welche untergehen. Deshalb unter- liegt es keinem Zweifel, daß in einem Lande, das geo- logische Veränderungen erleidet und das der freien Ein- wanderung von Arten, die seinen Wohnorten und Lebens- bedingungen besser angepaßt sind, verschlossen ist, sehr wirksame Zuchtwahltendenzen vorhanden sind, die dahin streben, selbst die kleinste Variation zu erhalten, die während irgendeines Lebensabschnitts der Verteidigung oder Ernäh- rung jener Lebewesen gedient hat, deren Organisation eine plastische geworden ist. Außerdem besteht noch bei getrenntgeschlechtlichen Tieren ein geschlechtlicher Wett- streit, vermittelst dessen die kräftigsten und mithin am besten angepaßten Individuen dahin gelangen, ihre Spezies am ausgiebigsten fortzupflanzen.

Eine so durch natürliche Zuchtwahl entstandene neue Rasse würde äußerlich von einer echten Art nicht zu unterscheiden sein. Denn wenn wir einerseits die ver- schiedenen Arten einer Gattung und anderseits die ver- schiedenen, demselben Stamm entsprungenen domesti-

i) „Ein Gran in der Wage kann den Ausschlag geben, welches In- dividuum fortleben und welches zugrunde gehen soll" Qrigiti. Ed. I, S. 467, Ed. VI., H. 642. Eine ähnliche Wendung findet sich im Essay

von 1842, S. 33, Aiun, 4.

[page] Natürliche und künstliche Zuchtwahl.                   303

zierten Rassen vergleichen, so können wir sie nicht etwa durch die Große der äußeren Verschiedenheiten unterscheiden, sondern nur dadurch, daß erstens die domestizierten Rassen nicht so konstant oder „echt" bleiben wie die Arten, und zweitens dadurch, daß Rassen bei Kreuzung stets fruchtbare Nachkommen erzeugen. Sodann ist gezeigt worden, daß eine durch natürliche Zuchtwahl erzeugte Rasse, erstens weil sich die Variation allmählicher vollzieht, zweitens weil die Auslese konsequent dasselbe Ziel verfolgt1), ferner weil jede leisesteÄnderung im Körperbau, wie dies allein schon durch die Tatsache der Zuchtwahl selbst bedingt ist, den neuen Lebensbedingungen angepaßt erscheint und ausgiebig geübt wird, und schließlich weil die Freiheit der Kreuzungen mit anderen Arten wegfällt, — daß diese Rasse, sage ich, notwendigerweise beständiger ,,echter" sein wird als eine vom unwissenden, launenhaften und kurzlebigen Men- schen gezüchtete. In bezug auf die Unfruchtbarkeit gekreuzter Arten stellten wir fest, daß dies nicht ausnahmslos die Regel sei, und daß sie, wenn vorhanden, dem Grade nach ver- schieden ist. Auch bezüglich der Unfruchtbarkeit ist anzu- nehmen, daß sie wahrscheinlich weniger auf äußeren als auf konstitutionellen Unterschieden beruht. Und es wurde ge- zeigt, daß, wenn Tiere und Pflanzen unter neue Lebens- bedingungen versetzt werden, sie, ohne sonst ihre Gesund- heit einzubüßen, ebenso unfruchtbar werden wie Artbastarde,, und zwar in derselben Art und in demselben Grad. Daher liegt die Vermutung nahe, daß die Konstitution dieser ge- kreuzten Nachkommen zweier Arten, die im Besitz ver- schiedener Konstitutionen sind, in ebenderselben eigen- tümlichen Weise beeinflußt wird, wie wenn ein Pflanzen- oder Tierindividuum unter neue Lebensbedingungen ver- setzt wird. Der Mensch hat, wenn er häusliche Rassen züchtet, nicht den Wunsch und noch weniger die Macht, den gesamten Organismus neuen Lebensbedingungen anzu-

l) Hiernach würde also das. was jetzt als Orthflgenesis bezeichnet wird, ein Resultat der Zuchtwahl sein.

[page] 304                                Ruckblick und Schluß.

passen. In der Natur dagegen, wo das Überleben jeder Spezies auf Grund des Wettstreits mit anderen Arten und mit der äußeren Umgebung stattfindet, muß das Resultat natur- gemäß ein sehr verschiedenes sein.

Sodann wurden Rassen, die von demselben Stamm aus- gehen, mit Arten, die derselben Gattung angehören, ver- glichen, und es ergaben sich dabei einige auffallende Ana- logien. Es wurden dann auch die Nachkommen gekreuzter Rassen mit den Nachkommen gekreuzter Arten verglichen, wobei sich herausstellte, daß auch hier eine Gemeinsamkeit hinsichtlich aller wesentlichen Eigenschaften besteht, mit Ausnahme der Unfruchtbarkeit, und auch diese pflegt, wo sie vorhanden ist, nach einigen Generationen unbeständig in ihrem Grade zu werden. Zum Beschluß des Kapitels wurde festgestellt, daß wir keine bestimmte Grenze der Variationsmöglichkeiten kennen. Ebensowenig ist eine Voraussagung in dieser Beziehung möglich, selbst dann nicht, wenn man gehörig lange Zeiträume und entsprechenden Wechsel der Lebensbedingungen voraussetzt. Schließlich wurde eingeräumt, daß, wiewohl die Entstehung neuer, von echten Arten ununterscheidbarer Rassen wahrscheinlich ist, wir uns doch, wollen wir direkte Beweise haben, über die Verhältnisse der vergangenen und gegenwärtigen geo- graphischen Verbreitung der uns umgebenden zahllosen Lebewesen, außerdem aber auch über ihren Bau und ihre Verwandtschaft untereinander klar werden müssen.

Im dritten Kapitel wurden die erblichen Variationen psychischer Eigenschaften bei domestizierten und wilden Lebewesen erörtert. Es wurde davon ausgegangen, daß wir es in dieser Arbeit nicht mit dem ersten Ursprung der hauptsächlichsten psychischen Eigenschaften zu tun haben; wir konnten aber zeigen, daß Geschmacksrichtungen, Leiden- schaften, Veranlagungen, koordinierte Bewegungen und Gewohnheiten sämtlich entweder vor der Geburt oder während des reifen Lebens Abänderungen durchmachen

und so vererbt werden. Manche dieser abgeänderten Ge-

[page] Psychische Charaktere und Zuchtwahl.                    \qz

wohnheiten zeigten in allen ihren wesentlichen Zügen eine Übereinstimmung mit echten Instinkten und folgen auch, wie wir sahen, denselben Gesetzen. Instinkte und Anlagen usw. sind für die Erhaltung und Vermehrung einer Art genau so wichtig wie ihre rein körperliche Struktur; und deshalb ist anzunehmen, daß die natürlichen Mittel der Auslese ebenso wie auf die Eigenschaften des Körperbaus auch auf diese psychischen Charaktere einen Einfluß aus- zuüben, sie ebenso abzuändern vermögen. Nachdem dies festgestellt worden war und ebenso, daß psychische Eigen- schaften variabel und deren Abänderungen vererbbar sind, prüften wir die Möglichkeit, ob verschiedene sehr komplizierte Instinkte etwa allmählich erworben worden sind. Es wurde sodann unter Betrachtung des äußerst unvollständigen Yergleichsmaterials von Instinkten bei jetzt lebenden Tieren gezeigt, daß es nicht gerechtfertigt wäre, wollte man die Theorie einer gemeinsamen Abstammung verwandter Lebewesen von vornherein verwerfen und zwar deshalb, weil es schwierig ist, sich die Übergangsstufen zu den verschiedenartigen, jetzt so komplizierten und wunderbaren Instinkten vorzustellen. Wir gingen dann zu einer Betrachtung derselben Frage in Beziehung sowohl auf hoch entwickelte Organe wie auf das Aggregat dieser Organe, d. h. auf die individuellen Lebe- wesen über. Und hier wurde wieder gezeigt, und zwar auf Grund derselben Methode, nämlich einer Untersuchung des vorliegenden sehr unvollkommenen Vergleichsmaterials, daß es unrecht wäre, von vornherein die ganze Theorie zu verwerfen, weil wir die Übergangsstadien der betreffenden Organe nicht aufspüren oder die Übergangsgewohnheiten einer einzelnen Art nicht erraten können.

Im zweiten Teil1) wurden die tatsächlichen Beweise für die Abstammung verwandter Formen von einem gemeinsamen Stamm besprochen. Es wurde gezeigt, daß diese Theorie

i) Der II. Teil beginnt mit dem IV. Kapitel. Siehe die Einleitung, in der das Nichtvorhandensein zweier getrennter Teile in Ori&n besprochen

wird.

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[page] 3ö6                                Rückblick und Schluß.

eine lange Reihe von Zwischenformen zwischen den Arten und Gruppen derselben Klassen erfordert, und zwar Formen die nicht direkt zwischen den bestehenden Arten, sondern zwischen diesen und einem gemeinsamen Vorfahren ver- mitteln. Wir hatten zugegeben, daß, wenn auch alle er- haltenen Fossilien und existierenden Arten gesammelt würden wir noch weit von der Bildung einer solchen Serie entfernt sein würden. Wir erkannten weiter, daß wir kein vollgültiges Zeugnis dafür besitzen, daß die ältesten bekannten Fossilien- lager gleichzeitig mit dem ersten Auftreten der Lebewesen entstanden sind, oder daß die verschiedenen darauffolgenden Formationen sich annähernd aneinander anschließen, oder daß irgendeine Formation eine annähernd vollständige Fauna, sei es auch nur der harten marinen Organismen des betreffenden \\ eltteils, enthält. Infolgedessen haben wir keinen Grund, anzunehmen, daß mehr als ein kleiner Bruch- teil der Lebewesen, die zu irgendeiner bestimmten Periode gelebt haben, konserviert worden ist, woraus hervorgeht, daß wir nicht erwarten dürfen, die fossilen Untervarietäten zwischen zwei Arten zu entdecken. Anderseits sprechen die Zeugnisse, die uns die fossilen Reste liefern, so unvollständig sie sind, zugunsten der Tatsache, daß eine Reihe von Lebewesen, wie die, deren Existenz wir vermuten, wirklich gelebt hat.- Doch ist das Fehlen von Beweisen für das einst- malige Vorhandensein einer fast unendlichen Menge von Zwischenformen, wie ich wohl einsehe, bei weitem die ge- wichtigste Schwierigkeit1), die der Theorie einer gemein- samen Abstammung entgegensteht; indessen geht diese Schwierigkeit meiner Ansicht nach lediglich aus der l n-

i) In der im letzten Kapitel von Origin, Ed. I., S. 475 (Ed. VT., S. 651; enthaltenen Zusammenfassung spricht der Verfasser von diesem Punkt nicht in dem Sinne als von der „gewichtigsten Schwierigkeit", wohl aber tut er das auf S. 299. Es ist möglich, daß er im Laufe der Zeit von jener Schwierigkeit nicht mehr so viel hielt; jedenfalls war dies der Fall, als er die sechste Auflage seines Werkes schrieb, wo der Gegen- stand auf S. 438 besprochen wird.                          .

Tne CorriDlete WorR or Charles Darwin Online

[page] Zeugnisse aus der Geologie.                           -0?

kenntnis hervor, die sich mit Notwendigkeit aus der Unvoll- kommenheit der geologischen Urkunden ergibt.

Im fünften Kapitel wurde gezeigt, daß neue Arten allmäh- lich1) auf der Erde erscheinen, alte allmählich von ihr ver- schwinden, und diese Tatsache stimmt mit unserer Theorie aufs genaueste überein. Dem Auslöschen einer Art scheint ihr Seltenerwerden vorauszugehen; und wenn dies der Fall ist, so dürfte man nicht mehr Verwunderung über das Ver- schwinden einer Art als über ihre Seltenheit empfinden. Jede Art, deren Zahl nicht in Zunahme begriffen ist, muß einem Einfluß unterliegen, der ihre geometrische Verviel- fältigungstendenz durch irgendeinen von uns nicht deutlich wahrzunehmenden Faktor hemmt. Jede kleinste Zunahme in der Macht dieses ungesehenen hemmenden Einflusses wird eine entsprechende Abnahme in der Durchschnittsziffer der betreffenden Art zur Folge haben und die Art wird somit seltener werden. Wir empfinden nicht die geringste Ver- wunderung darüber, daß die eine Art irgendeiner Gattung selten und die andere häufig ist; warum sollten wir uns also über ihr Erlöschen wundern, wo wir doch alle Ursache haben, anzunehmen, daß eben jene Seltenheit der regelmäßige Vor- läufer und Grund des Erlöschens ist?

Im sechsten Kapitel wurden die führenden Tatsachen der geographischen Verbreitung der Lebewesen geprüft: nämlich die Verschiedenheit — bei sonst sehr ähnlichen Lebensbedingungen — zwischen den Organismen weit und streng voneinander geschiedener Weltteile, so z. B. zwischen den Bewohnern der tropischen Wälder von Afrika und Amerika oder zwischen denen der zu diesen Weltteilen gehörenden vulkanischen Inseln. Ferner die auffallende Ähnlichkeit and nahe Beziehung zwischen den Bewohnern ein und desselben großen Kontinents, mit der ein geringerer Grad von Unähnlichkeit zwischen denen einhergeht, die auf den entgegengesetzten Seiten gewisser, diesen Kon-

I) Hier sind die Worte „die Fauna ändert sich einzehveise" vom Ver- fasser, offenbar an Stelle eines ausradierten Passus, eingeschoben worden. The Comolete Work of Charles Darwin Online*

[page] 308                               Rückblick und Schluß.

tinent durchziehender geographischer Schranken leben und zwar gleichviel, ob die Lebensbedingungen auf den beiden Seiten dieser Schranken die gleichen sind oder nicht. Ferner die, wenn auch noch geringere Unähnlichkeit zwischen den Bewohnern der verschiedenen Inseln desselben Archipels und ihre verhältnismäßige Übereinstimmung mit den Bewohnern des benachbarten Kontinents, gleichviel wie dessen Charakter auch sein mag. Ferner die besonderen Beziehungen zwischen alpinen Floren; die Abwesenheit von Säugetieren auf den kleineren isolierten Inseln und die ver- hältnismäßige Seltenheit der Pflanzen und anderer Organis- men auf Inseln mit Standorten verschiedenen Charakters; ferner die Beziehungen zwischen den Transportmöglich- keiten zwischen zwei Ländern und der Ähnlichkeit, wenn auch nicht Identität zwischen den Lebewesen, welche jene beiden Länder bevölkern. Und endlich, die deutlichen und frappanten Beziehungen zwischen den lebenden und den ausgestorbenen Formen innerhalb derselben großen Regionen der Erde. Beziehungen, die. wenn wir sehr weit rückwärts schauen, sich zu verlieren scheinen. Alle diese Tatsachen gehen, wenn wir die stets fortwirkenden geologischen Ver- änderungen im Auge behalten, auf einfache Weise aus der hier vertretenen Anschauung hervor, daß verwandte Lebe- wesen tatsächlich aus denselben gemeinsamen Voreltern- stämmen hervorgegangen sind. Dagegen müßten sie. obwohl offenbar unter sich in Zusammenhang stehend, auf Grund der Theorie unabhängiger Schöpfungsakte, für uns doch unerklär- bar und unvereinbar bleiben.

Im siebenten Kapitel betrachteten wir die Verwandtschaft oder Gruppierung erloschener und gegenwärtiger Arten, das bisher nur unklar definierte Ziel einer natürlichen Klassi- fikation, welche nicht abhängt von der Ähnlichkeit physio- logisch wichtiger Organe, auch nicht von analogen oder Anpassungscharakteren, obwohl diese häufig die gesamte Ökonomie des Individuums beherrschen, sondern vielmehr von denjenigen Charakteren, die am wenigsten veränderlich The Complete Work of Charles Darwin Online

[page] Einheit des Typs.                                        0g

sind, besonders aber von den Formen, durch die der Embryo hindurchgeht und, wie wir später darlegten, von dem Vorhandensein rudimentärer und nutzloser Organe. Ferner sahen wir, daß die Verwandtschaft zwischen den sich nächst- stehenden Arten verschiedener Gruppen mehr allgemeinen als speziellen Charakters ist und erkannten die große Ähn- lichkeit der Kegeln und Gesichtspunkte bei der Klassifikation von domestizierten Rassen und echten Arten. Alle diese Tatsachen treten klar zutage, wenn man das natürliche System als ein genealogisches System auffaßt.

Im achten Kapitel wurde gezeigt, wie die Einheit des Körperbaus innerhalb großer Gruppen und bei Arten, die an ganz verschiedene Lebensweisen angepaßt sind, wie ferner die seltsamen Umwandlungen eines Korperteils oder Organs in ein anderes, also das, was die Naturforscher bisher mehr bildlich als Metamorphose bezeichnet haben, auf ganz natürliche Weise aus der Tatsache hervorgehen, daß neue Arten durch die Auslese und Vererbung fortgesetzter kleinster Veränderungen ihrer Organisation entstanden sind. Die Einheit des Typs tritt bei den Arten ein und der- selben Klasse auf wundervolle Weise durch Ähnlichkeit der Struktur während des embryonalen Lebens zutage. Um diesen Umstand zu erklären, wurde gezeigt, daß sich die verschiedenen Rassen unserer Haustiere in jugendlichem Alter weniger voneinander unterscheiden, als wenn sie aus- gewachsen sind. Infolgedessen läßt sich erwarten, daß für Arten, falls diese auf dieselbe Weise entstehen wie Rassen, die gleiche Tatsache wenn auch in größerem Maßstabe gelten würde. Dieses bemerkenswerte Naturgesetz suchten wir uns unter Heranziehung verschiedener Tatsachen durch die Feststellung zu erklären, daß leise angedeutete Variationen ur- sprünglich auf allen Lebensstadien auftreten, und daß sie dort, wo sie sich vererben, dazu neigen, auch während des ent- sprechenden Lebensstadiums wieder zu erscheinen. Nach diesem Prinzip würden nun bei verschiedenen von einem gemeinsamen Elternstamm ausgehenden Arten die Em- The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 3»0                                Rückblick und Schluß.

bryonen einander fast notwendigerweise viel mehr gleichen als die ausgewachsenen Tiere. Hierdurch tritt die Wichtig- keit der embryonalen Ähnlichkeiten bei der Aufstellung einer natürlichen oder genealogischen Klassifikation ohne weiteres zutage. Ebenso wurde uns klar, daß die Deutung gewisser Tatsachen von dem Gesichtspunkt der obigen Prinzipien gesehen keinerlei Schwierigkeit mehr bietet; solche Tatsachen sind: die gelegentliche größere Einfachheit der Struktur beim reifen Tier verglichen mit dem Embryo; die Abstufung in bezug auf Kompliziertheit der Organisation bei den Spezies der großen Klassen; die Anpassung gewisser Tierlarven an ein unabhängiges Dasein; schließlich der ungeheuere Abstand, der bei manchen Tieren zwischen ihrem Larvenzustand und ihrem reifen Zustand vorliegt. Im neunten Kapitel wurde das häufige, ja fast durchgehende Vorhandensein von Organen und Körperteilen erörtert, die von den Naturforschern als abortiv oder rudimentär be- zeichnet werden und die, obwohl mit auserlesener Fein- heit geformt, dennoch gewöhnlich vollständig nutzlos sind. Diese Bildungen, welche zuweilen Verwendung für Zwecke finden, die ihrer normalen Aufgabe fernliegen, die aber auch nicht als bloß repräsentative Teile aufgefaßt werden können, da sie zuweilen fähig sind, ihre ursprüngliche Funktion zu erfüllen, die fernerhin stets auf einer sehr frühen Lebens- stufe am vollkommensten, ja manchmal ausschließlich auf dieser Lebensstufe ausgebildet sind, und die anerkannter- maßen eine hohe Wichtigkeit für die Klassifikation besitzen, konnten von uns in einfacher W'eise auf Grund unserer Theorie einer gemeinsamen Abstammung erklärt werden.

WARUM IST MAN GENEIGT, DIE THEORIE EINER GEMEINSAMEN ABSTAMMUNG ZURÜCKZUWEISEN?

So haben wir denn zahlreiche allgemeine Tatsachen oder Gesetze unter eine Erklärung vereinigt. Die Schwierigkeiten,

denen wir dabei begegneten, sind nur solche, wie sie aus

[page] Argumente zugunsten der Deszendenztheorie.              3 , x

unserer eingestandenen Unkenntnis ganz natürlicherweise hervorgehen. Und weshalb sollten wir diese Deszendenz- theorie1) nicht gelten lassen? Kann etwa behauptet werden, daß organische Wesen im Naturzustande absolut keiner Abänderung unterliegen? Kann man behaupten, daß die Grenze der Variabilität oder die Zahl der Varie- täten, die befähigt sind, unter Domestikation geschaffen zu werden, bekannt ist? Kann eine scharfe Grenzlinie zwischen einer Rasse und einer Art gezogen werden? Auf diese drei Fragen können wir bestimmt mit „Nein" antworten. So- lange man annahm, daß die Arten durch eine unübersteig- liche Schranke von Unfruchtbarkeit voneinander getrennt und abgegrenzt seien, solange die Geologie uns ein unbe- kanntes Gebiet war und der Glaube, daß die Erde auf ein kurzes Dasein zurückblicke und nur eine kleine Anzahl früherer Bewohner aufzuweisen habe, in uns lebte, so lange waren wir berechtigt, einzelne Schöpfungsakte anzunehmen oder uns mit Whewell damit zu bescheiden, daß die Anfänge aller Dinge dem Menschen verborgen seien.

Weshalb fühlt man also eine so lebhafte Neigung, diese Theorie zurückzuweisen, besonders wenn man vor einen aktuellen Fall irgendwelcher zwei Spezies oder selbst zwei Rassen gestellt und gefragt wird: sind diese beiden als ursprünglich von demselben elterlichen Schöße abstammend zu betrachten? Ich glaube, den Grund darin zu er- kennen, daß man stets zögert, irgendeine große Verän- derung einzuräumen, bei der man die einzelnen Mittel- stufen nicht sieht. Der Geist vermag die volle Bedeutung des Ausdrucks von einer Million oder hundert Millionen von Jahren nicht zu fassen und daher nicht die ganze Größe der Wirkung, welche durch Häufung fortgesetzter kleiner Abänderungen während einer fast unendlichen Anzahl von Generationen entstanden ist, zusammenzurechnen und zu

l) Diese Frage bildet auch das Thema eines Abschnitts des.Schluß- kapitels vonJirigin (Ed I.. S. 480, Ed.,VI, S.657}.

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[page] 3 I 2                                Rückblick und Schluß.

erkennen. Die Schwierigkeit ist dieselbe wie die, welche die meisten Geologen, und zwar lange Jahre hindurch, empfunden haben, als Lyell zuerst behauptete1), daß durch die allmähliche Einwirkung der Meereswogen große Täler ausgehöhlt und lange Züge von binnenländischen Fels- rücken gebildet worden seien. Ein Mensch kann lange Zeit einen hohen Klippenabhang hinuntersehen, ohne fassen zu können — obwohl er es vielleicht nicht ab- leugnet —, daß solcher harter Fels sich in einer Stärke von Tausenden von Fuß vormals dort ausgedehnt habe, wo jetzt die offene See ihre Wogen wälzt, und ohne rückhalt- los daran zu glauben, daß dieselbe See, deren Anprall an die Klippen zu seinen Füßen er vor sich sieht, die einzige Kraft war, die diese Abtragung bewirkte.

Sollen wir denn wirklich annehmen, daß die drei voneinander verschiedenen Rhinozerosarten2), welche Java, Sumatra und das benachbarte Festland von Malakka bewohnen, von- einander unabhängig, als Männchen und Weibchen aus der unorganischen Materie dieser Länder geschaffen worden seien? Sollen wir wirklich, ohne daß unser Verstand uns irgendeinen zulänglichen Grund dafür anzugeben vermöchte, behaupten, daß diese Tiere einfach deswegen, weil sie so be- nachbarte Länder bewohnen, einander so ähnlich geschaffen wurden, so daß sie eine Abteilung der Gattung ausmachen, die von der afrikanischen Abteilung stark abweicht, deren einzelne Arten in einer der ihrigen teils sehr ähnlichen, teils sehr unähnlichen Umwelt leben? Sollen wir behaupten, daß sie ohne irgendwelche bemerkbare Ursache auf Grund desselben Gattungstyps geschaffen wurden, der das einst- malige wollhaarige Rhinozeros Sibiriens und die übrigen Rhinozerosarten, welche einstmals jene Hauptregion der Erde bewohnten, auszeichnet? Oder daß es Zufall sei, daß diese

1)  Origin, Ed. L, S. 481, Ed. VI., S. 659.

2)  Die Betrachtung über die drei Arten Rhinozeros, welche auch im Essay von 1842 (s. oben S. 83 vorkommt, wurde im XIV. Kapitel von

Ofigin, Ed. I.. fortgelassen.

[page] Rudimentare Organe.

Tiere eine zwar allmählich immer lockerer werdende, aber doch in ihrer Verzweigung deutlich erkennbare Verwandtschaft mit sämtlichen lebenden und erloschenen Säugetieren aufweisen? Oder daß ohne irgendeinen ersichtlichen Grund die kurzen Hälse dieser Tiere dieselbe Anzahl von Wirbelknochen dar- bieten, wie der lange Hals der Giraffe? Dali ihre dicken Beine nach demselben Plan gebaut sind, wie die der Antilope, der Maus, wie die Hand des Affen, der Flügel der Fledermaus und die Ruderflosse des Delphins? Daß bei jeder dieser Arten der zweite Beinknochen deutliche Spuren von zwei Knochen zeigt, die zu einem einzigen verlötet und vereinigt wurden, daß die komplizierten Schädelknochen verständlich werden, sobald wir annehmen, daß sie aus einer Ausbreitung dreier Rückenwirbel entstanden sind; und daß sich in den Kinn- laden dieser Tiere, wenn sie in unreifem Alter untersucht werden, kleine Zähne befinden, welche nie an die Oberfläche treten? Und daß diese drei Rhinozerosarten sich gerade durch den Besitz dieser nutzlosen, rudimentären Zähne und einiger anderer Charaktere im Embryonalzustand viel mehr den übrigen Säugetierarten nähern, als dies später im reifen Zustand der Fall ist? Und schließlich, daß auf einer noch früheren Lebensstufe die Arterien dieser Tiere nach der Art der Fischarterien verlaufen und sich verzweigen, so als ob sie das Blut nicht vorhandenen Kiemen zuzuführen hätten? Nun gleichen sich die erwähnten drei Rhinozeros- arten in hohem Maße, ja sie stehen sich näher als viele allgemein als Rassen bezeichnete Formen unserer 1 laustiere. Falls domestiziert, würden sie fast sicher variieren, so daß man durch Zuchtwahl verschiedenen Zwecken an- gepaßte Rassen aus solchen Variationen erzielen könnte. Sie würden unter diesen Verhältnissen wahrscheinlich mitein- ander Junge zeugen und ihre Nachkommen würden mög- licherweise ganz und wahrscheinlich bis zu gewissem Grade fruchtbar sein; in jedem Falle würde durch fortgesetzte Kreuzung eine dieser spezifischen Formen absorbiert werden und mit einer anderen verschmelzen.

[page] 314                                Rückblick und Schluß.

Und so möchte ich nochmals fragen: sollen wir be- haupten, daß von diesen drei Arten Rhinozeros, sei es je ein Paar, sei es je ein trächtiges Weibchen, unabhängig von den anderen, aber mit trügerischen Merkmalen echter Ver- wandtschaft, mit dem Stempel der Nutzlosigkeit an einigen und dem Stempel der Metamorphose an anderen Körper- organen aus den unorganischen Elementen von Java, Sumatra und Malakka heraus geschaffen worden ist? Oder sind diese Arten, ebenso wie unsere domestizierten Rassen, von einem gemeinsamen Elternstamm ausgegangen ? Was mich selbst betrifft, so könnte ich der ersten dieser beiden Anschauungen ebensowenig beipflichten, wie ich es gelten lassen würde, daß die Planeten sich in ihren Bahnen bewegen, oder daß ein Stein zur Erde fällt, nicht durch die Wirksamkeit des sekundären und vorausbestimmten Ge- setzes der Schwerkraft, sondern durch einen direkten Willens- akt des Schöpfers.

Obwohl schon gelegentlich davon die Rede gewesen ist, wird es doch gut sein, ehe ich schließe, zu präzisieren, wie weit die Lehre von einer gemeinsamen Abstammung verständigerweise ausgedehnt werden kann.1) Wenn wir erst einmal zugeben, daß zwei echte Arten derselben Gattung von denselben Eltern ausgehen kennen, wird es uns nicht gut möglich sein, zu leugnen, daß auch zwei Arten zweier verschiedener Gattungen Nachkommen eines gemeinsamen Stammes sein können. Denn in einzelnen Familien berühren sich die Gattungen beinahe so nahe wie die Arten ein und derselben Gattung; ja innerhalb mancher Ordnungen, z. B. bei den mcnocotylen Pflanzen, gehen sogar

I) Dies entspricht einer Stelle in Origin, Ed. I., S. 483, Ed. VI., S.662, wo angenommen wird, dall „die Tiere von höchstens vier oder fünf und die Pflanzen von ebenso vielen oder noch weniger Stammformen her- rühren". Doch fährt der Autor an jener Stelle folgendermaßen fort: „Die Analogie würde mich noch einen Schritt weiter fuhren, nämlich zu glauben, daß alle Pflanzen und Tiere nur von einer einzigen Urform

herrühren."

[page]

die Familien fast ineinander über. Zögern wir doch nicht, den verschiedenen Hunden oder den verschiedenen Kohl- formen einen gemeinsamen Ursprung zuzuschreiben, weil sie in Gruppen zerfallen, die viel Analogien mit den Gruppen im Naturzustand besitzen. Viele Systematiker geben zu, daß alle Bildungen von Gruppen Kunstprodukte sind und nur durch das Erlöschen von Zwischenformen ermöglicht werden. Andere behaupten indessen, daß, obwohl man davon ab- gekommen sei, Unfruchtbarkeit der Verbindungen als die Hauptcharakteristik getrennter Arten anzusehen, eine ab- solute Unfähigkeit, sich zusammen fortzupflanzen, das beste Zeugnis für das Vorliegen getrennter natürlicher Gat- tungen sei. Aber selbst wenn wir die unzweifelhafte Tatsache beiseite lassen, daß einige Arten ein und derselben Gattung sich nicht zusammen fortpflanzen, können wir die obige Regel absolut nicht gelten lassen; haben wir doch gesehen, daß Schneehuhn und Fasan, die von einigen kompetenten Ornithologen als zwei getrennte Familien betrachtet werden, sowie daß Stieglitz und Kanarienvogel sich zusammen fortpflanzen.

Sicherlich, je ferner zwei Arten einander stehen, desto schwächer werden die Argumente, die für ihre gemeinsame Abstammung geltend gemacht werden können. Bei Arten zweier getrennter Familien versagt die Analogie mit der Varia- tion domestizierter Organismen und der Art und Weise ihrer Kreuzung; und ebenso versagen in diesem Fall die Argu- mente auf Grund der geographischen Verbreitung ganz oder doch fast ganz. Sobald wir indessen das allgemeine Prinzip des vorliegenden Werkes gelten lassen, sind wir berechtigt, einen gemeinsamen Ursprung anzunehmen, sofern eine offen- bare Einheit des Typs bei Gruppen von Arten, die gänzlich verschiedenen Rollen im Naturhaushalt angepaßt sind, vor- liegt, ob nun diese Einheit sich im Bau des Embryo oder des reifen Lebewesens, besonders aber auch in bestimmten rudimentären Organen dokumentiert. Die Naturforscher sind

sich uneins darüber, wie weit sich diese Einheitstypen er-

[page] 3 16                               Rückblick und Schluß.

strecken, die meisten von ihnen geben indes zu, daß die Säugetiere nach einem Typ, die Artikulaten nach einem zweiten, die Mollusken nach einem dritten und die Radiaten wahrscheinlich nach mehr als einem einzigen gebaut sind. Die Pflanzen scheinen ebenfalls in drei bis vier große Typen zu zerfallen. Nach dieser unserer Theorie sind folglich sämtliche bis jetzt entdeckten Organismen die Nachkommen von wahrscheinlich weniger als zehn vorelterlichen Formen.

SCHLl'SS.

Damit habe ich die Gründe für meine Anschauung, daß Arten nicht als unveränderliche Schöpfungen zu betrachten sind, dargelegt1). Die von den Naturforschern häufig be- nützten Ausdrücke, wie Einheit des Typs, Anpassungs- charaktere, Metamorphose und Abortivwerden von Organen hören auf, rein bildliche Bedeutung zu haben, sie werden nun vielmehr zu verständlichen Tatsachen. Wir blicken nicht mehr auf ein Lebewesen wie ein Wilder auf ein Schiff2) oder irgendein anderes Kunstwerk, in dem er ein völlig über sein Verständnis hinausgehendes Ding erblickt, sondern als auf ein Produkt einer geschichtlichen Entwicklung, die wir zu erforschen vermögen. Wie interessant werden jetzt für uns alle Instinkte, sobald wir ihrem Ursprung aus erblich gewordenen Gewohnheiten oder auch aus leisen angeborenen Abänderungen früherer Instinkte, die durch das Überleben der so abgeänderten Individuen festgehalten wurden, nach- gehen. Oder sobald wir jeden komplizierten Instinkt und Mecha- nismus als die Summe einer langen historischen Entwicklungs- reihe betrachten, bestehend aus vielerlei Stufen von Yor-

i) Dieser Satz entspricht nicht so sehr dem letzten Abschnitt von Origin, Ed. I., S. 484, Ed. VI., S. 664, wie den einleitenden Worten des bereits erwähnten Abschnitts, Origin, Ed. I., S. 480, Ed VI., S. 6>7-

2) Dieser Vergleich kommt gleichfalls vor im Essay von 1842 (s. oben S. 86) und in Origin, Ed. I., S. 485. Ed. VT., S. 665, im letzten Abschnitt des XIV. bzw. XV. Kapitels. Im Originalmanuskript befindet sich an dieser Stelle etwas Ausgestrichenes, wovon ich nicht Notiz genommen habe. The ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] Schöpjungsglaube und Deszendenztheorie.                      t -

richtungen, von denen jede ihrem Besitzer nützlicher war als die vorhergehende, ähnlich wie wenn wir in einer großen technischen Erfindung das Gesamtresultat der Arbeit, der Er- fahrung, des Verstandes, ja selbst der Irrtümer zahlreicher Arbeiter sehen. Wie interessant wird jetzt die geographische Verbreitung aller Lebewesen in Vergangenheit und Gegenwart, indem sie auf die Erdkunde älterer Zeitalter Licht wirft. Die Geologie verliert an Nimbus1) durch die Unvollständigkeit ihrer Urkunden, doch gewinnt sie durch das Ungeheure des Gegenstands. Es liegt viel Größe in einer Anschauung, welche die jetzt existierenden Lebewesen entweder als die geradlinigen Nachkommen von Formen ansieht, die unter Tausenden von Fuß harten Felsbodens vergraben liegen, oder als die Nachkommen solcher ausgestorbener Formen, die noch älteren und gänzlich verloren gegangenen Be- wohnern dieser Erde angehört haben. Es harmoniert mit dem, was wir über die der Materie vom Schöpfer2) ein- geprägten Gesetze wissen, daß das Entstehen und Vergehen früherer und jetziger Organismenformen, ebenso wie Geburt und Tod der Individuen durch sekundäre Ursachen veranlaßt wird. Es ist entwürdigend, daß der Schöpfer endloser Weltensysteme einen jeden von den Myriaden kriechender Parasiten und Würmer geschaffen haben soll, von denen es seit dem ersten Aufdämmern organischen Lebens auf dem Land und in den Tiefen der Ozeane gewimmelt hat. Wir hören auf, uns zu wundern11, daß eine Gruppe von Tieren direkt dazu geschaffen wurde, ihre Eier in die Eingeweide und in das Fleisch anderer fühlender Ge- schöpfe zu legen, daß gewisse Tiere durch Grausamkeit

1)  Eine fasl gleichlautende Stelle befindet sich in Origin, Ed. I, S. 487, Ed. VI., S. 667. Die großartige Prophezeiung Origin, Ed. I., S. 486, Ed. VI., S. 666); „ein großes und fast noch unbetretenes Feld wird sich öffnen" usw. fehlt dagegen in dem vorliegenden Essay.

2)  Vgl. den letzten Absatz von S. 488 Origin, Ed. I. JA. VI, S. 668 .

3)  Eine entsprechende Stelle befindet sich in der Skizze von 1842

's. oben S. 87;, jedoch nicht im letzten Kapitel von Origin. "he ComDlete Work of Charles Darwin Online

[page] 318                                  Rückblick und Schluß.

ihr Leben fristen, ja sogar in Grausamkeit schwelgen; daß Tiere sich durch falsche Instinkte irreführen lassen, und daß alljährlich ein unberechenbarer Verlust an Eiern, Pollen und im Zustand der Unreife befindlichen Lebewesen statt- findet; denn in allem diesen sehen wir nun die unvermeid- lichen Folgen des großen Gesetzes der Vermehrung nicht unabänderlich geschaffener Organismen. So geht aus Tod, Hungersnot und dem Kampf ums Dasein der höchste Erfolg, den wir zu fassen vermögen, die Erzeugung der höheren Tiere1), unmittelbar hervor. Zweifellos ist unsere erste Empfindung gegenüber der Annahme, daß sekundäre Gesetze individuelle Organismen zu schaffen vermögen, von denen jeder durch meisterhafte Herstellung und weitestgehende Anpassung charakterisiert ist, die der Ungläubigkeit. Entspricht es doch mehr unserer Fassungskraft, anzunehmen, daß jeder Organis- mus des ,,Werde" eines Schöpfers bedürfe. Es liegt eine [einfache] Größe2, in der Anschauung, daß das Leben mit all seinen Kräften wie Wachstum, Fortpflanzung und Emp- findung ursprünglich nur in wenige Formen der Materie hineingehaucht worden ist, vielleicht nur eine einzige3), und daß, während unser Planet nach festen Gesetzen seine Kreisbahn durchlief und Land und Meere in fortdauerndem Wechsel ihre Stellungen vertauschten, aus einem so einfachen Ursprung durch den Prozeß der allmählichen Auslese infinitesimaler Veränderungen zahllose äußerst schöne und äußerst wunderbare Formen sich entwickelt haben.

i) Dieser Satz findet sich in fast identischer Form in Origin, Ed. I., S. 490, Ed. VI., S. 669. Man bemerke, daß der Mensch nicht genannt ist, obwohl deutlich auf ihn hingewiesen wird. An andrer Stelle 'Origin, Ed. I., S. 488) ist der Autor kühner, er schreibt dort: „Licht wird auf den Ursprung des Menschen und seiner Geschichte fallen". In Ed. VI., S. 668 schreibt er: „Viel Licht . , ."

2)  Bezüglich der Entstehungsgeschichte dieses Satzes (des Schluß-Satzes der Entstehung der Arten) vergl. oben den Essay von 1842, S. 88, Anm.:, ferner die letzten Seiten der Einleitung des vorliegenden Buchs.

3)  Diese vier Worte sind mit Bleistift zwischen die Zeilen eingefügt.

[page] Sachregister.

Abortive Organe 8o, 281 Aegilops 94 Ästivation 257 Alpine Flora 214 Alpine Pflanzen 39, 61 Alterskrankheiten 79 Amerika, Fossilien 230 Analogie, Ähnlichkeit durch 68, 122, 255, 260, 209 Ananas 69, 265 Anconschafe 96, 97, 104 Anhäufung v. Änderun- gen 117 Anpassung 30, 88, 241 Anpassungscharaktere

256

Antilope 198

Apportierhund 45

Aprikosen 116

Aquilegia 81

Apleryx 8o, 297

Arktische Flora 217

Armadill 227

Arterien 76, 84, 276

Artischocke, spanische 20

Auge 156, 176, 178

Ausrottung 52, 58. 197, 247; plötzliche, lokale 195; in Zusammenhang mit Seltenheit 197,

254 Australien 204 Azalee 40, 95, 139

Bär, Unfruchtbarkeit in der Gefangenschaft

143; walfischähnliche Gewohnheit 176

Banda-Oriental 203

Barrieren u Verbreitung 60, 204, 208, 210, 231

Bartnelke 95

Bastarde, Abstufung in der Unfruchtbarkeit 37, 101, 139, Unfruchtbar- keit nicht immer re- ziprok 140, Variabilität der Bastarde 118, Ver gleich der Rassen- bastarde mit den Art- bastarden 151, Bastar- dierung, von Haushuhn und Wildhuhn 37, von Haushuhn und Pfau 139, Fasan und Schnee- huhn 139, Azalee und Rhododendron 139

Baumfrosch, in bäum losen Gegenden 180

„Beau ide*al" 95

Berggipfel 61, 64

Beuteltiere 230

Bienen 47, 163; Waben derselben 168, 173

Bibel 104

Blüten 293

Brandung, Tätigkeit der

89 „Bratspießhund" 104

Brüder, ihr Tod durch dieselbe Alterskrank- heit 76, 79, 281

Brustwarzen des Bullen u. des Mannes 80, 291

ßulldogg 86. 2*4 Bulle, Brustwarzen des 80, 291

; Calceolaria 37, 142 Calendula, Griffel von 82, 292, 299 Canis antareticus 2:6 Caracas 215

| Charaktere, erworbene, ihre Vererbung 25, 96, 283; angeborene 96; durch Zucht fixiert 97; psychische und deren Variabilität 44, 157, 166; ganzen Gruppen gemeinsam 150; wert- los für Klassifikation

255 Cheetah 40, 143, 143

Chile 208, 211

Chiquitosgebirge 219

Chironectes 255, 262

Chrysanthemum 95

Oirripeclicn 157, 288

Crinum 37. 142

Crustaceen 73, 84, 257,

277, 286, 290 Ctenomys (Tuco - tueo)

297 Cucubalus.Kreuzung 292

Dahlie 32, 49» 95. I0~>

112, '55 Degeneration 94

Delphinflosse 71, 271

Denudation 55, 231

[page] .i20

Sachregister.

Deszendenztheorie 73,

75. 273 Devonisc lies System 57,

194 Dickhäuter 186, 187 Didelphys 227 Digitalis 121 Diözische Pflanzen 292 Divergenzprinzip 16, 17,

70, 195, 266 Domcstikation.Variation im Zustand der 93,

99; ihre akkumulative

Wirkung 93.

97. »14-

1*7. 123

 

Domestizierte

Kassen,

Abstammung

dersel-

ben 109

 

Echidna 121

 

Edentaten 227

, 230

Eichhörnchen,

fliegen*

des 180

 

Einheit des

ryps 71,

271, 309

 

Eisberge 216,

218

Elch 173

 

Zuchten einander sehr

ähnlich 78, 284 Ente 81, 176, 297 Entenmuschel 257, 288 Entomostraken 275,290 Entwicklungslehre 1 Ephemcra, Zuchtwahl

betrifft die Larven 128 Epiphyten 203 Epizoische Crustaccen

277 Erdspecht 44 Esel 118, 153, 225 Eskimos 172 Essay von 1842, Frage

Fledermaus 71, 176, 180,

22 2, 271

Flieder, chinesischer 39, 144, gewöhnlicher 40, persischer 40

Fliege, als Ursache des Aussterbens 199

Flora, alpine 214; von ozeanischen Inseln 215; alpine verwandt mit den umgebenden Tief- ländern 216; alpine übereinstimmend mit entfernten Bergen 216; alpine übereinstim-

nach seiner Datierung mendmitarktisrlicr2i" 8, 11; Vergleichung Fortpflanzungssystem

mit Origin 14 Essay von 1844, Nieder- schrift desselben 8; Vergleichung mit Es- say von 1842 u. Ori- gin 21

Falke, Unfruchtbarkeit 143; periodische Ge- wohnheiten 171

Elefant, Unfruchtbarkeit i Falklandsinseln 199,225, 189

39. »43

226

Embryo, Kiemenbogen : Fasan 139, 146 75, 276; Abwesenheit Fauna, alpine 6o, 223,

gewisser besonderer Anpassungen 76, 78, 276, 287; weniger va- riabel als das ausge- wachsene Tier, wichtig für Klassifikation 79, 288, gelegentlich kom- plizierter als das aus- gewachsene Tier 277. 286 Embryologie 75» 276; ihre Bedeutung für die Klassifikation 79. 288: Gesetz der Vererbung in korrespondierendem Alter 78, 283; Junge von sehr verschiedenen

243; von Galapagos 62, 122, 210; insular- alpine sehr eigentüm- lich 2}3; insulare 210, 211

Fauna u. Flora, v. In- seln, verwandt mit dem nächsten Festland 241

Fernando Po 225

Feuerland 219

Fingerhut 121

Fische, Farben 179; Transport ihrer Eier durch Wasserkäfer 221; fliegende 176;

149 Fossilien, sibirische nicht

die allerursprünglich- sten 56, 188; fallen in oder zwischen existie- rende Gruppen 53, 185; Bedingungen, die für die Erhaltung günstig, sind nicht immer gute Lebensbedingungen 55. 189, 191 Frettchen, Fruchtbarkeit

39- 40, 145

Frucht, Anziehungsmit- tel für Insekten 179

Fruchtbarkeit, zwischen verschiedenen Kassen

147 Fuchs 122. 226, 235 Fuchshund 160 Funktionswcchsel 73.

273-

Das Wort Funk

tionswechsel. „change of funetion". wird S. 273 gebraucht. Furcht vor ererbte, 44,

Menschen, 158

Galapagosarchipcl 2, 4

Transport durch Wir- 61, 66, 210—212, 224-

belwind 221

225, 241

[page] Sachregister,

32 1

(ialapagos, Vögel der 43- 48, 122

lialeopithccus 180

Gänse iio; \\ New* castle 171

Gastropoden p Embryo- logie 276

(»attungen, Kreuzungen zwischen 37, 139; Ver breitung 206, Ursprung 266

(ientiana 151

l Geographie, Beziehung | zurGeologie62,22/,230 |

Geographische Verbrei- tung, 59, 61, 201, 228, »30; in Raum und Zeit denselben Gesetzen un* terworfen 2o6;gelegent liehe Verbreitungsmit' tcl Samen, Eier usw. 221

Geologische Formation, Zeugnisse aus dem Tertiär, 193; geolo' gische Gruppen von Arten erscheinen plötz- lich im Sekundär 59, 193; falls paläozoische Periode zusammenfällt mit Beginn des Le* bens, Deszcndcmtheo rie falsch 188; Gründe für das Fehlen von Fossilien der alten Peri- ode 54, 189

Geologische V'rkunden, Unvollkommcnheit, 54, 87, 189, 193

Geranium, exotische* 145; pyrenaicum 81

Geschlechtsorgane 144

Gewohnheit, in Bezie- hung zum Instinkt 44, 157, 160, 161

Gicht, Vererbung der (»4

Giraffe (fossil 230; j Schwanz derselben 176!

Glazialperiode, Wirkung auf die Verbreitung al- piner und arktischer Pflanzen 216 Gladiolus, Kreuzung, 37 Gliedmaßen, der Wirbel tiere nach einem Typus

71,   271 Goldhähnchen, Nest des

167 Goldregen, eigentüm- liche Bastardierung

121, I52

Gras, abortive Blüten

Großfußhuhn 168, 160 Guanaco 228 Guyana Hundekreu- zungen in 104

Habicht, periodische Ge- wohnheiten 171

Hase 133; südamerikani* scher 209

Haushuhn 37, 96, 121,

139, 159, 274

Hebung, geologische, die Entstehung neuer Arten begünstigend 63, 65- 67, 238—243; ab- wechselnd mit Senkung 65, 244; ungünstig für Erhaltung von Fossilien 251

Heidekraut, Unfrucht- barkeit 139

Helianthus tuberosum 118, 119

Hermaphroditische Blü ten 10S

Himalava 216

Himmelschlüssel 29

Hirschhund 140

„Höheres Wesen" 126

Homologie der Glied- maßen 71, 271; seriale

72,   272 Hörner 113, 264, 295

Hund, 150,160; v.Kuba 45, 158; Mischlings- rasse auf ozeanischen Inseln 10S; Verschie- denheit der Größe hin dert Kreuzung 140; Haushund, Ursprung desselben 109 — 112; Hängeohren 297; Wir- kung der Zuchtwahl 103; langbeinige Rasse behufs Hasenjagd ge- züchtet 36, 133; wilder Völker 104; Rassen so verschieden wie Gat- tungen 150, 261; au- stralischer, Wechsel der Färbung 98; kuba- nischer Schweißhund 261; Bulldogg 86, 284; Fuchshund 160; Wind- hund 86, 262, 284; Vor- stehhund 161 — 164; Apportierhund         4 5;

Kreuzung von Schiifer- und Windhund In- stinkte) 165; schwanz- loser 96; Brat spiel l hund 104

Hyänt\ fossil 230

Hyazinthe. Farbe der

Igel 121

Indien 261

Insekten, Anpassung an Bluten zwecks Be- fruchtung 12Ü; Sich- Tot Stellen 47, 170; Metamorphose 177; Variabilität bei Larven 282

Inseln, Verhältnisse auf 62, 2io, 238, 250

Inseln, vulkanische 124

Inselgruppen 243

Instinkt, Variation 44» 157; durch Vernunft

F. Darwin. Fundamente *ur Entstehung der Arten.                                 21

[page] 3«

Sachregister.

unterstützt 45, 164; W;mderinstinkt 47; Verlust des Wander- Instinkts 166; Ent >tehung des Wander Instinkts 171; mehr auf

Kapverdische Inseln 06,

MI. 236

Kardendistel 178 Karotte 94

Kartoffel 3», 44, 107, 12, 155

Keimesvariation als auf Katastrophen, geolo- gische 195, 197 Katze 145-; verwilderte auf Aszension 225; schwanzlose 96 Katzentyp 76, 79, 278 Keimzelle 280 Kerguelcn 2IQ Kernbeißer 48 Kiefer 74

Kiemenspalten 75, 276 Klassifikation, natür- liches System 66, 255, 262, 265; auf Grund eines konstanten Cha- rakters 257; in Be- ziehung zur Geographie 258; Gesetz, daß Mit- glieder von zwei ver- schiedenen Gruppen sich nicht in ihren spezifischen, sondern ihren gencnschenMerk- malen gleichen 259, 270; der domestizierten Rassen :6o; ihre litr Ziehung zu Seltenheit und Aussterben 267 Klima, arktisches 62

Wirkung des 263 Knight-Darwinsches Ge- setz 108

Kohl 48, 103, 154, 262 Kohlweißling 17 s Kompensatii >n. Gesetz

Gewohnheit zurückzu- führen 162; bedarf zu seiner Vervollkomm- nung der Erziehung 163; unbewußt des Zwecks 45,164; Schmet- terling legt Eier auf bestimmte Pflanze 164, 175; abhängig von

Zuchtwahl 4». >6"; Orientierung 171; Zeit- gefühl 171; Wabenbau bei Bienen 173; Füt- terung junger Vögel 48, 175 i Nestbau, Ab- stufung desselben 46, 167, 168, 169; Kom- plizierte Instinkte und ihre Entstehung 48,167 Isolierung 63, 65, 100,

138. *37. 269, 301

Jagdhund 261 Jagdleopard 14.5 Jaguar 181 Johannisbeere 95 Juniperus         Bastardie-

rung) 139

Kalber 114, 287 Käfer, rudimentäre Flü- gel derselben 80 Kampf ums Dasein 35,

133. '99i 241 Kanarienvogel 110

Kanarische Inseln 236

Kaninchen II2, 133,

158, «97 Kap der Guten Hoff- nung 215, 224, 246

Krankheiten, erbliche

76, 79. 94. 281 Kreide 188

Kreuz- und Selbstbe- fruchtung, frühe Auf- stellung des Prinzips 27, 107, 146

Kreuzung, ihr ver- wischender Einfluß 26, i'>7, 139; bei getrennt- geschlechtlichen Tie- ren und hermaphrodi- tischen Pflanzen 20; analog dem Wechsel der Lebensbedingun- gen 42, 108, HO, 148; in Beziehung zu Kassen 1-17; besondere An- passungen hei Pflanzen 108

Krokodil 196

Krokus 139, 141

Kuba 158

Kuh, abortive Euter 292

I.abradorente 283

La Plata 130, 180, 190, 220

Larven 278

Lebensbedingungen, di- rekte Wirkung 25, 93, 99, 103; ihr Wechsel analog «1er Krruzungs- wirkung 42, 116, 148; angehäufte Wirkung derselben 96, 117; Ein fluß auf Fortpflanzung 15, z% 117, 144; Be- ziehung zur geogra- phischen Verbreitung, 204

Lemur, fliegender 180

der 150

Kontinente. Gestalt der   Lepas 257

J32. 244                           Lepidosiren 270

Kordilleren 208; als   Lias 57

Straße für Verbreitung   Linum flavum 81

67, 218, 246                     Litorale Ablagerungen

Korrelation 114

>5

[page] Sachregister.

323

Löwenzahn 121 Lorbeer 119

Macrauchenia 187 Marine Tiere 55; ihre Erhaltung als Fossilien 54, 189, 191; ihre Ver- breitung 206, 252 Marsupialier 82, 203, 227

228, 230, 292, 399

Mastodon 230

Maulesel, 38, 140, 145

Mauritius 22;

Maus 130, 204, 21)6, 225

Meercsliere 205

Meerschweinchen 107

Metamorphose 72, 272,

-75 Mink 176, 181

Mistel 30, 127, 132

Mohn, mexikanischer

204

Mollusken 196, 206, 255 Monocotyle Pflanzen 315

Monstrositäten 8o, 96, 283, 296

Moosrose 95

Moschushirscli, fossiler 230

Morphologie, 72, 272; verschiedene Auffas- sung derselben 75' 275

Mozart, sein kindliches Virtuosentum vergli- chen mit Instinkt 47

Mutationen (Sports) 22,

29, 9A 'oi, 137. i/S.

237, 241, 263 Mustela vison 176, 181 Mydaus 223

Nahrung, als Ursache der Variation 55. 94. 116

Natürliche Auslese, na- türliche Zuchtwahl siehe Selektion

Natürliches System, gleichbedeutend mit genealogischem 69,265

Nektarinen auf Pfirsich- bäumen 95

Nestbau 166—168

Neuguinea 204

Neuseeland 224,236,246

Niata-Rind 97

Nichtgebrauch, erbliche Wirkung 81, 93, 298

Notizbuch 2, 4

Nutria 222, 255, 262

Ohren, hängende 297 Opeliorhynchus 123 Opossum 180 Orchis 94, 121 Ornithorhynchus 54 Orpheus Vogel auf

Galapagos 7 Orthogencsis 303 Otter 180, iSi, 222, 255,

262 Otterfang 105 Ozean, Beziehung seiner

Tiefe zur Erhaltung

von Fossilien 55, 251 < >xalis. Farbe der Blüten

151

Pachydermen 54, 187 Palaeotherium 57, 254 Palacozoische Forma- tion 188 Pampas, Farmer der 63,

237 Pampasformation 2

Paßgehen 159 Patagonien 222 Perlhuhn 118, 146 Petise 7

Pfau 118. 139, 146 Pferd 105, 159,161,199; Hemmung der Ver- mehrung 199; Ver- mehrung in Amerika 131; Vererbung von

Mißbildung und Lahm heil 94; Abstammung 105; Streifung 151 Junge von Lastpferden und Kennpferden glei- chen sich 77

Pfirsiche 116

Pflanzen 's. auch Flora , Befruchtung 108; Wan- derung zu arktischen und antarktischen Ke- gionen 2T9; alpine 39, 61, 143. 214 — 219

Phascolomys 259. 270

Pinguin 176, 29 >

Plastizität 25, 100

Plesiosaurus 72, 274

Polarmarder Mink; 176, 181

Polypen 276

Primel 29, 121

Proportionen d. Korpers

285 Pteropoden 276 Puflinuria berardi 269 Purzeln, b. Tauben 139,

101

Quagga 153 Qualle 276 Quinärcs System 259

Kasse, gleichbedeutend mit Varietät 136; do- mestizierte 260

Ratte, norwegische 204

Raupen 175. 288

Rebhuhn, Unfruchtbar- keit 146

Kegionen, geographi- sche 59, 202, 227, 230

Rekapitulationstheorie

75, 2?6. 289 Rennpferd 262 Renntiere 173 Reptilien 57 JRhea Darwini 7. 209

arwin Online

[page] 3-'4

Sachregister.

Rhinozeros 108,226,314; ' wohnheit zum Gcburts- abortive Zähne 8o, 291; \ akt heimzukehren 100; drei orientalischeArten

Wanderinstinkt d. spa- nischen Transandantes Schafe 47, 160, 163,171

29-;; Vermehrung in Südamerika 130; indi-

83, 3" Rhododendron 139, 142 Rinder. Hörner 113, 264, Schaltiere 229, 231

Schildkröte 196 Schleiereule 122 sehe 261; Niata 97, Schlüsselblume 121 101; leiden beim Ge Schmetterlinge 175, 28Ö burtsakt durch über-: Schneehühner 139, 146 mäßige Große der Käl- ; Schneidervogel 45, 104

her 114

Rocky Mountain 208

Rotkehlchen. Vermeh- rung S8, 129

Rose, schottische 107

Rubiaceen 257

Rudimentäre Organe 80, 290 u.f.; verglichen mit Monstrositäten 80, 294; neuen Zwecken an- gepaßt 82, 298

Rübe 262

Säugetiere, arktische, Transport durch Eis- berge 222; Verbreitung 201, 248; Verbreitung durch Schranken be einrlußt 205; Einfüh- rung auf Inseln durch den Menschen 225; Abwesenheit auf oze- anischen Inseln 223; Gleichheit der Bezie- hung in Zeit und Raum 229; der Tertiärperiode 227 Samenbeständigkeit 138 Samen, gefiederte [34 Sandstein, roter 57 Sandwich-Inseln 213 Schädel, Morphologie

73, 272 Schafe 104, 113, ito, 261; Anconschafc 96, 102, 104; ererbte Ge-

Schöpfungsakte .einzelne

65 Schöpfungszentren 220,

247

Schranken 60, 20\, 210, 231

Schwäne 150

Schwanzstummel 295, 298

Schwein loi, 274; auf ozeanischen Inseln 108; verwildert auf St. He- lena 225

Schweißhund 261

Schwierigkeiten der Des- zendenztheorie 43, 167, 176, 183

Schwimmblase 43. 177

Schwimmorgan 274

Sedimente 250, 251

Seehund 135. '8<> Seekohl 119 Sehnerv 397 Seidenwürmer, Variation

im Larvenzustand 79,

282 Sekundärformation 191 Sekundärzeit. Fauna der

Selektion, mensch- liche 27, 100; einst- mals geübte 105; mäch- tige Wirkung 27, 133; erforderlich für die Bildung von Rassen 101; Wirkung metho

27.

/>

discher 102; unbewußte 105; natürliche 32. 128; Vergleich mit der menschlichen 126,136; von Instinkten 47. 167; Schwierig- keiten des Verständ- nisses 43,167,176; ge- schlechtliche, zwei Typen derselben 35, 134 U. f.

Senkung, geologische, Bedeutung fürFossilicn 54, 68, 251; führt zu Isolierung 244; un- günstig für Entstehung neuer Arten 252

Sexualcharaktere lai

Sich-Tot-Stellen 47, 170

Spargel 118, 119

Specht 30, 43, i8o, 198

Spezies, representative 6i, 206, 242; weit ver- breitete 66 u. f.; Ver- hältnis zu Varietäten 28, 120, 253; vermeint- liches Kriterium der Unfruchtbarkeit 37; all- mähliches Auftreten und Verschwinden 52, 193; Überleben einiger weniger 190; nur ein- mal erschaffen 220 u.f., 247; kleine Zahl in Neuseeland vergl. mit Kap der gut. Hoffnung 224, 240; unveränderte Erhaltung 248, 235

Spinnen 277

„Sports" 22, 29, 96, 101,

137- >7». *37. 24». 263 Spottdrosseln 212

Sprungvariationen

(„sports" 22,29,96,101,

137. '78- 237. 241,263 Staubfäden 80 Steindrossel von Guian1

'35

[page] Sachregister.

3-'5

224

Sl. Helena 213 Stiller Ozean 213.

240 St. Jafio 225 Strauß, Verbreitung 209 Sturmvogel 269 Sumpfpflanzen 40, 144 Sylvia 48

Tapir 185

Tauben 106. 135, 159, 161, 1O3, 169, 185

Telegonic 153

Teneriffa 215

Terrier 159

Tertiärsystem 193, 195

Thuja.Bastardicrung 139

Thymus 81

Tibia und Fibula 83,187

'Iransandantes - Schafe 47, 100, 163, 171

Transportmittel 223,235, 308 '

Traueresche, deren Sa- men 97

Trigonia 198, 254

Tristan d'Acunha 213

Tuco - tueo (Ctenomys), Blindheit 297 Tulpe 95

Typus, Einheit des 71, "7 t. 309; bei Plesio- saurus 274; Beständig- keit 209, 233

Tyrannus 62

Überleben des Kräf- tigsten 148

Unfruchtbarkeit, Folge von Gefangenschaft 38, 115, 143; bei ver- schiedenen Pflanzen 39, 144 i bei gekreuzten Spezies 37, 52, 139,

141. !47 l'tcrus, Anpassung an

Van Diemens Land 215 Variabilität, als spezi- fischer Charakter 123;

durch

Krim

auch unter

hervorgerufen Wechsel und zung 148

Variation (s.

Sprungvariation Domestikation 25, 9

99. 117 u. f.; germinale

6, 76, 98, 280; indi viduelle 93; Ursachen 25. 28, 93, 98; ver* ursacht durch Kreu zung 106; Begrenztheit 113, 122, 154; gering im Naturzustand 28, 95p >2o, 123; Ergeb- nisse ohne Zuchtwahl

Nestbau 166—168; auf Galapagos 45, 48, 122; rasche Vermehrung 129; Gesang 163. Vorstehhund 161, 163, 164

Wachekhund 160 Waldbaume 117 Waldschnepfen, Verlust

des Wanderinstinkts

166 Waldtaube 169 Walfisch, rudimentäre

Zähne So. 291 Wandertrieb 166

Wasseramsel, Wasser- staar 45, 167

Wassertiere 181 125; gcringfügige,deren Weidenzeisig 156, iq8 Wert 133; analog bei Weinpflanze, eigentüm-

Arten derselben Gat- tung 132; von geistigen Kigenschaften 44, 157; im ausgebildeten Zu- stand 95, 282 11. f. Varietäten, geringfügige bei Vögeln 122; Ahn lichkeit mit Arten 120, 121, 149 Vcrbreitungsmittel 221 Vererbung t erworbener Eigenschaften 25, 96, 283; verspätete oder latente, 78, 281; ger minalc 25, 283 Vermehrung 33, 130 Verwandtschaft        und

Klassifikation 66 Viscacha 220, 239, 270 Vögel , Verschleppung von Samen 221; Füt- terung der Jungen mit andrer Nahrung als der eignen 48, 175; Wandertrieb 48, 171;

lieber Bastard 153 Wiederkäuer 186, 187 Wilde Völker, ihre Haus- tiere 104, 139 Wildheit, angeborene

158, 166 Windhund 86. 262, 284 Wirbclknochen 72, 73 Wirbelstürme 221 Wolf ioi, 122

Yak 110

203

auf

Zahne 80, 150, 291 Zeisig 110 Ziege, verwildert

Tahiti 225 Zoophyten 272 Zuchtwahl s. Selektion Züchter 136, 147 Zwischenformen 53, 68,

185, i<>2, 249; in

Hebungsgebieten 251;

indirekt vermittelnd 53,

184

[page] Ackermann,

bride 37 Anderson 102

Autorenregister.

über Hy Falconcr 196, 218

Fletcher, Dr. n '216 Korbes 20, 60, 196, 214,

Bakewell .4, 102

liateson 22, 274

Bell, C 274

Hellinghausen 172

Boitard 151

Boott 2r6

Brougham, Lord 27, 45" Gra>"- Asa r7

Gadow 22 Gärtner 132

Gloger 37

Goebel, über das Knight- schc Gesetz 108 [163 ' Gould, über Verbreitung

[206

Brown, R. 293

o 11 j "\. «-. n* Henslow. G., über Enl- Buckland, über Fossilien ...            ', _ ,

53. 186

Buffon. über Spechte \o ,," "' *w_ . t» i_ . - »t n Henslow, I. S. Bunbury, Sir H-, Re-| r™__'/_

geln für Zuchtwahl 105

Butler 162

Coke 102 Corbi«? 151 Cuvier 57

20

D'Archiac 196 Darwin t C, Ursprung seiner Anschauung 1

Wicklung ohne Zucht- wahl 100

1 Herbert 37, 100, 141 Hering 162 Hilgendorrt" 192 Hogg 160 Holland, Dr. 2S1 Hooker 20, 203;

insulare Floren

215, 219 Huber, Puter 164 [181

über 213.

Rengger, über Sterilität Richardson 181 [143

Reyle 216

Rutherford 22

Hudson, über Spechte

r"°i I    Humboldt 109, 218

bis 6; über rorbes   .,

_, - ,         . n           Hunler   1 ;<t

Theorie 61; sein Reise-                  /

.                      .,            Hutton   ;6, iSS

werk, 105, 220; Kreuz-   ,, .      J                             "

j r « 1 e i_.          Huxley   1. 21, 22, 18*.

und Selbstbefruchtung   „ *                         * Sebriglu 102

106: Kreuzung von                                                Smilh jordan I9„

chines. und gewöhnl. jlldd , ,, 5?> -8( J9, Gänsen 101; Brief an

32, 33.

[129 über

Lyell i, 2, 20, 55, 56,

57. 58, 89, 183, 189,

192,19k, 210,223,225,

[231 Macculock 171

Macleay 259

Magendie 163

Malthus 6. 7,

Marr 22

Marshall 102 Schafe und Rinder 117; über Hörner bei Rin- dern 264

Mivart, seine Kritik 176

Morton 153

Müller 99

Newton, Alfred 181

Owen, R. 20, 277

Pallas 103, 109 Pennant 135 l'linius, über Zuchtwahl Poeppig 158             104

Prain 22

Frau Darwin 18 Darwin, F., über das Knight - Darwinsche Gesetz 108 Darwin, R. W., 76, 281 I )arwin u. Wallace, ver- einigte Abhandlungen

17, 128 De Candolle 33, 128,

260, 299 D'Orbigny 171, 232

Sprengel 293 Stapf 22

Knight, H., 27, 102, 159; | St Hilaire 39. H5, -43- über Domestikation 116 1 Strickland 20            15

Knight-Darwinsches Ge- uchetet 139 setz 10S

Koelreuter 38, 42, 141, 149, 292

Lamarck 36, 76, 121,

196, 253, 256 Lindley 39. 144

Thiselton Dyer 22, 219

\Yallace9, 17,22,60,128 Waterhouse 47, 259, 200 Western, Lord 34, ro2,

i33 Whewell 21, 52, 256

Linn<5 39i über Sterilität Woodwardi Hl B , 194 von Alpenpflanzen 144. ( \\rangel 165 über generisrhe Cha-

Ehrenbcrg 196

Ewart, über Tclegome

'53

Druck von B. G. Teubnpr in Dresden.

raktere 258 Lonsdale 194

Zacharias, Darwin- Brief an ihn 5, 6

[page] Verlag von B. G.Teubner, Leipzig und Berlin

Instinkt und Gewohnheit

von C. Lloyd Morgan, F. R.S,

Professorder Zoologie am Univcrsity College in Bristol

Autorisierte deutsche Übersetzung von Maria Semon.

Mit einem Titelbild. [VIII u, 3% S.] gr. 8 1909. Geh. M. 5,-(

in Leinwand geb. M. 6.—

Vorliegendes lierpsychologiache Werk zeichnet sich durch die Fülle des mir geteilten Tatsachenmaterials aus. Am eingehendsten hat sich Morgan darin mii den instinktiven und den auf individueller Erfahrung beruhenden Regungen neu- geborener Vögel der verschiedensten Gruppen beschäftig!, daneben auch mit denen junger Säugetiere. Unter den Beispielen aus der Insektenwell findet eine weit- gehende Berücksichtigung besonders der Käfer und Schmetterlinge statt. An der Hand des reichhaltigsten Beobachtuugsmaterials sowie durch eine Reihe von Ex- perimenten wird festgestellt, welche komplizierten Fähigkeiten ein Geschöpf als Instinkt mit auf die Welt bringt, und was erst durch häufig wiederholte Aus- übung auf dem Wege der Erfahrung zur Gewohnheit wird. Die Vergteichung der körperlichen Entwicklung mit der geistigen führt zu der Frage, ob erworbene Eigenschaften vererb! werden können , und ob beim Menschen individuell erworbene Gewohnheiten durch Vererbung instinktiv werden können.

Das Werk ist mit einer außerordentlichen Klarheil geschrieben für jeden, der nicht die Mühe scheut, dem Verfasser auf dem dornigen Pfade scharfsinniger Überlegungen zu folgen. Aber er macht es seinem Leser leicht, indem er möglichst wenig voraussetzend die schon erörterten Begriffe, Definitionen und Schlußfolge- rungen mit anderen Worten und in anderem Zusammenhange ihm immer wieder ms Gedächtnis ruft und durch solch vielfache Wiederholung zum Verständnis bring). Nicht unerwähnt soll bleiben , daß in Fußnoten der genaue Titel der Schriften und Werke angegeben ist, auf die der Verfasser Bezug nimmt. Der Preis des Werkes ist dem Inhalt durchaus angemessen. So möchte ich zum Schluß das Morgansche Werk Ober „Instinkt und Gewohnheit1* allen denen, die sich für derartige Fragen interessieren, aufs wärmste empfehlen.          (Zeitschrift für das Gymnasialweten.)

Experimentelle Zoologie

von Th. Hunt Morgan.

Professor an der Coltimbia-UniversiUU New York.

Deutsche, vom Verfasser autorisierte, vermehrte und verbesserte

Ausgabe, unter verantwortlicher Mitredaktion von Dr. Ludwig

R h u m b 1 e r, Professor der Zoologie an der Forstakademie Münden»

übersetzt von Helene Rhumbler.

Mit zahlreichen Abbildungen, (X u. 570 S.] gr. 8. 1909 In Leinwand geb. M. 12.-

W&hreud in Deutschland die experimentelleForschung der auf die QesUllungS* formen der Tierwelt einwirkenden äußeren Faktoren erst in den letzten Jahren mit Eifer in Angriff genommen wurde, hat dieser modernste und aussichtsreichste Zweig der biologischen Wissenschaft in den Vereinigten Staaten schon seit langem einen hohen Aufschwung genommen. Vor allem waren es die Arbeiten von Th, Hunt Morgan, die auf diesem Gebiete Amerika den unbestrittenen Vorrang sicherten. Der Hauptwert des Werkes beruht vor allem auf der kritischen Zusammenstellung wissenschaftlich feststehender Tatsachen. Das Theoretische beschrankt sich nur auf das notwendige Maß* Die reichhaltigen, gut disponierten Kapitel sind fflr den, der tiefer in die behandelten Probleme eindringen will, mit ausführlichen Literatur.m- gaben versehen.

Th. H. Morgan bringt in seiner experimentellen Zoologie eine vortreffliche Obersicht über die wichtigsten biologischen Probleme, soweit mc dem Experiment zugänglich sind*. . . Dies ist der wesentliche Inhalt des außerordentlich reichhaltigen anregenden Werkes, welches, wie schon hervorgehoben wurde, noch besonders wertroll wird durch das umfangreiche Literaturverzeichnis , das im allgemeinen die Literatur bis iWo fortfährt. Möge recht bald eine zweite Auflage das Werk auf der Hohe erhalten, indem es Schritt hält mit der gewaltigen Produktion neuer Arbeiten auf dem Gebiete der experimentellen Morphologie.

(Zellschrift für Morphologie und Anthropologie.]

[page] Verlag von B. G. Teubner, Leipzig und Berlin

H. S. JENNINGS

Professor an der I'niversity of Peuns>lvania

Das Verhalten der niederen Organismen

unter natürlichen und experimentellen Bedingungen

Autorisierte deutsche Übersetzung von

Dr. Ernst Mangold in Greifswald,

Mit 144 Fig. [XIII u, 578 8.] gr, 8. 1910. Geh. M. 9,-,

in Leinw, geb. Jl 11.—,

Boi dem wachsenden loteresaä am Studium <ler Lebensfunktionen der niederen Organismen wird eine Übersetzung dieses Werkes aus der Feder des bei Zoologen und Physiologen rühmlichst bekannten Autors willkommen sein. Dem Leser entrollt sich hier ein Tollstäodiges Bild vun täglichen Leben der Orga- nismen, und :m der Hund von zahlreichen klaren Abbildungen wird hier eine Beschreibung Ihrer Reaktionen auf die mannigfaltigsten Reite der Außenwelt ge- liefert, wie sie die deutsche naturwissenschaftliche Literatur in gleicher Aus- führlichkeit uud Klarheit bisher nicht besaß. Was di»s Buch aber noch besondere wertvoll und Interessant macht, ist der vergleichend psychologische Standpunkt, von dem *ub der Verfasser die Reaktionen der Organismen als die primitiven psychischen Funktionen analysiert. Und neues Licht fällt auch auf das Leben des Menschen und seine Seele, wenn wir der geistreichen und doch nur auf Tatsachen gestützten Verglelchung des Verhaltens des Menschen mit dem der Tiere folgen.

Kines der bedeutsamsten Werke das in neuerer Zeit die Frage der seelischen Fntwicklung gefordert hat, liegt soeben in deutscher Übersetzung \or. Es ist dies das Ruch über das Verhalten der niederen Organismen aus der Feder des amerikanischen Zoologen IL S. Jenniuge.                                                (Natur*)

Die neuere Tierpsychologie

von 0. zur Strasses,

lYüfeaior an der UniveniUit Leipzig.

[78 S-] 1908. Kart. Jt 2.—

El wird dargelegt, daß die zweckmäßigen Verrichtungen der Tiere zum Kroßeren Teil instinktive, d. fa. angeborene sind. Daneben aber gibt es ein „Lernen ans Erfahrung", beruhend auf Association, Abstraktion und Intelligenz. Die Sparsamkeit zwingt zu dem Versuche, alle diese Funktionen ohne Inanspruchnahme zwecktätiger („psychischer1*) Faktoren aufzuklaren. Die» gelingt leicht bei du Instinkten. Spontanbewegung, Reizbarkeit und Stimmbarkeit der Amöben sind chemisch-physikalisch deutbar, desgleichen die Instinkte der Metazoen, wobei besonders die Stimmbarkeit der Ganglienzellen eine Rille spielt. Auf Ähnlichen Prinzipien beruhen Association und Abstraktion, Durch Hinzutritt einer „phy- siologischen Phantasie" entsteht Intelligenz. Auch iu der menschlichen Intelligenz darf aus Mangel einer scharfen Gnnize kein zwecktätiger Faktor angenommen werden. Das Bewußtsein iat kein Faktor. Das Gesamtergebnis spricht gegen den Vitalismus.

„Die Starke der Schrift liegt in der zutretenden Ablehnung der \ - menschlichung des Tierlebens und der Forderung dos Prinziis der Sparsamkeit in der Erklärung. Der Verfasser stützt sich in aer Hauptsache auf die Theorie Jacques Lobs und bietet eine gute und geschickte Verarbeitung und Ver- folgung von dessen Ideeo. Psychologisch geschulte Leser werden die Schritt mit größtem Interesse verfolgen."                                                 (Katar und Kultur.)

,,Das Bachlein bebandelt In atiß*ret anregender Weise das so schwierige Gebiet der Tierpsychologie. Zur Ermoplichung des Verständnisses tfiM der Ver- fasser in einem Anhang die einschlägige Literatur an, so daß der Leser im- stande ist. sich Ober dit* im Vortrage berührten Probleme naher zu informieran"

(Bayerische Zeitschrift für Realschulwesenj

[page] Planktonkunde

von Dr. A. Steuer,

Privatdozenl an der Universität Innsbruck.

Mit 365 Abbildungen und einer farbigen Tafel.

[XV u. 723 S| gr.8. 1910. In Leinwand geb. M. 26,-

Das vorließende Werk bietet die erste wirklich umfassende Darstellung der Planktonkunde, dieses (ür Zoologen und Botaniker wie lür den Geographen, Pa* läonloloßcn und endlich auch den praktischen Fischer gleich wichtigen Gebietes. Fußend auf dem Boden eigener Forschung, unter Heranziehung zahlreicher in- struktiver Abbildungen, entwirft Verfasser hier ein allseitiges Bild des gesamten Gebietes. Wenn das Buch sich aber auch in erster Linie an die Lehrer und Studierenden der Naturwissenschaft wende), so wird es doch auch der gebildete Laie mit Interesse zur Hand nehmen ist doch die IForm der Darstellung" eine durchaus gemeinverständliche.

.....Dieses schöne Werk füllt eine Löckeaus. Die Literatur des Süß- wassers und mannen Planktons ist bereits derart angewachsen, daß eine Zu- sammenfassung der Hauptergebnisse der modernen Planklonforschung geradezu ein Bedürfnis wurde. , , . Knappe Darstellung und Obersichllichkeit in der Be* handlung des Stoffes, souveräne Beherrschung und vortreffliche Verwertung der sehr zerstreuten Literatur möchten wir dem Buche nachrühmen. Als ein be- sonderer Vorzug erscheint ferner das stelc Hervorheben des engen Zusammen- hangs zwischen der theoretischen Planktonforschung mit den Fragen der prak- tischen Fischerei. , . . Die Ausstattung des Werkes ist tadellos , . "

Zoolog. Zentralblalt.)

.....Klare Darstellung der Probleme, eleganter Schreibstil und eine sehr

umfassende Orientierung auf dem Gebiete der einschlägigen Literatur stempeln den irefflich ausgestatteten Band zu einer hervorragenden Erscheinung in der Reihe von gemeinverständlichen wissenschaftlichen Werken, welche die Doflein-Fischer- sche Sammlung darbietet. Dr. Steuer, der Jahre hindurch planktologischen Forschungen an der Adria sowie auch solchen an den Altwässern der Donau bei Wien obgelegen hat, war der geeignete Mann dazu, ein solches Buch, wie es hier vorliegt, zu verfassen. Es sei darum hiermit allen denen» die sich rasch und sicher über das weile Gebiet der modernen Ptanklonferschung informieren wollen, angelegentlichst empfohlen.-1                                               s (Archiv fürflHydrobiologieO

Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie

einschließlich Rassen- und Gesellschafts-Hygiene.

Eine deszendenz-theoretische Zeitschrift für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesellschaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses, för die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme

der Entwicklungslehre. Herausgegeben von A. P l o e 1 z in Verbindung mit A. N o r d e n h o 1z, L. PI a t e ,

E. Rüdin und R. Turnwald. Red. von A. Ploclz u. E. Rüdin.

Vlll. Jahrgang. 1910/U. Jährlich 6 Hefte im Umfange von etwa

je 8-10 Bogen. Jährlich M. 20.-.

Das Archiv für Rassen- und Gesellschafts - Biologie, will eine deszendenz- theoretische Zeitschrift sein „für die Erforschung des Wesens von Rasse und Gesell- schaft und ihres gegenseitigen Verhältnisses, für die biologischen Bedingungen ihrer Erhaltung und Entwicklung sowie für die grundlegenden Probleme der Entwicklungs- lehre" Speziell beim Menschen gehören in die Rassenbiologie alle Betrachtungen über Geburten- und Sterbeziffer, über die Ungleichheit der etwaigen verschiedenen Kassen in bezug auf Entwicklungshölle, über ihren Kampf ums üasein gegen- einander sowie über die aus allen diesen Faktoren sich ergebenden Konsequenzen für die Erhallung und Entwicklung einer Rasse. Beim Menschen sind Gesellschaft und Rasse zwei vielfach in- und durcheinander geschobene Gruppierungen die sich einseitig stark beeinflussen. Auch die Gesellschaft ha. eine bu,l0g.sche ürund- L.ge und baut ihre Funktionen >«l die Organtäi.gke.ten der sieb Wenden Indi- viduen auf. Ausführliche Lileraturberichte sowie Notizen über hervorragend wich- tige politische und kulturelle Ereignisse und Tendenzen sind jedem Archivheft beigefügt.                                                                                                        ___ ____

KDarwin. Fundamente zur BrtfytkAvHl <*"' Attem*                                21

"he Comolete Work of Charles Darwin Online

[page] Die erste moderne Tierbiologie

Tierbau und Tierleben

in ihrem Zusammenhang betrachtet

von

Dr. R. Hesse und Dr. F. Doflein

Professor an der Landwirtschaftlichen Professor a< d. Universilät u. IL Direktor Hochschule in Berlin                      der Zoolog. Slaalssammlung München

2 Bände. Lex.-8. Mit Abbildungen und Tafeln in Schwarz-, Bunl-

und Lichldruck nach Originalen von H. Genfer, M. Hoepfel.

E. L. Hoeß, E. Kißling, W. Kuhnert, C. Merculiano,

L. Müller-Mainz, O. Vollrath und den Verfassern.

Geschmackvoll gebunden in Original-Ganzleineo je M.20.—f in Original-Halbfranz je M. 22.—

L Band: Der Tierkörper als selbständiger Organismus. Von R. Hesse, Mit 480 Abbildungen und 15 Tafeln. [XVII u. 789 S-l 1910.

IL Band: Das Tier als Glied des Naturganzen. Von F. Doflein- (Erscheint im Sommer 1911.)

Aus der gewalligen Fülle naturwissenschaftlicher Schrillen und Bücher, hervor- gerufen durch das in immer weitere Kreise dringende Verlangen nach nalur- wissenschaftlicher und hauptsächlich biologischer Erkenntnis« ragt das Werk von Hesse und Doflein in mehr als einer Beziehung hervor. Sich nicht auf eine Be- schreibung der einzelnen Tiere beschrankend, sondern in meisterhafter Weise das Typische, allen Lebewesen Gemeinsame herausgreifend p schildert es auf Grund der modernsten Forschungsergebnisse die tierische Organisation und Lebensweise, die Entwicklungs-, Fortpflanzungs- und Vererbungsgesetze, die Abhängigkeit der einzelnen Teile vom Ccsamtorganismus und wiederum deren Einfluß auf das Ganze, kurz, alle die Fragen, die heute den Forscher wie den interessieren Laien bewegen. Dabei vereinigt das Werk mit unbedingler wissen- schaftlicher Zuverlässigkeit eine seltene Klarheil der Sprache, die eine Lektüre desselben für jeden Gebildeten zu einem Genuß gestaltet. Eine große Anzahl künsllcrischer Bilder und Tafeln, von ersten Künstlern besonders für das Werk hergestellt, unterstützt den Text, so daß die innere wie äußere Ausstattung als hervorragend bezeichnet werden muß.

„. . , Auf die Frage, für wen das Buch bestimmt ist, kann ich nur antworten: für jeden, der sich etwas eingehender mit Zoologie beschäftigt hat oder der sich in das interessante Gebiet ernstlich vertiefen will. Wegen der Bedeutung, die es als Quellenwerk für den Unterricht besitzt, dürfie es besonders den Lehrer- bibliotheken zur Anschaffung dringend empfohlen werden/1

(Prof. Dr. Schmeit in der „Deutschen Schule".}

„Ein Buch, welches ganz auf der Höhe slehtt und auf welches Autor und Verleger in gleichem Maße stolz sein können. Der großen Schar von Freunden der Biologie sei dieses Buch aufs wärmste empfohlen. Der Kundige siehl überall die enorme Arbeit, die in dem Buche steckt, und freut sich vor allem über das erfolgreiche Bemühen, dem Leser nur das wirklich zum sicheren Besitz der Wissenschaft Gewordene vorzutragen Mit Stauneu wird der Fernerstehende inne- werden, wieviel Positives bereits in diesem Teil der Biologie geleistet worden isl .                                      (Prof. Or. W. Kükenthal in der „SchleSischen Zeitung1.]

Verlag von B.G.Teubner, Leipzig und Berlin

[page] Verlag von ß. 6. Ceubner in Leipzig und Berlin

„Hus Natur und Geirteswelt,"

Sammlung roiifenidiafiIid).g(mrinD«|tä?iöli(t}cr Darjiellungert aus allen «(bitten öcs lüifiens. 3e6er Bano ijt in fidi. abge(d>Io[ien u«o einjeln läuflj<ti.

3cder Band geheftet M-I.—, in Leinwand gebunden M-1.25.

Bis je§t erfdjienen ca. 350 Bänöe aus öen oerfdjiebenften tüiffeusgebieten u. a.:

Die (Zntftefiung ber tDeli unb ber <2rbc naä> Sage unb n>if,cnjd)aft: Prof. D. ITt. B tDeinftein.

Der Bau bes Weltalls: Prof Dr. 3 Sdjeiner.

Das aftronom. tDcltbilb im tDanbel ber 3eit: profeffor

Ür. S. Oppenheim. ntenfd) unb (Erbe: Prof. Dr. fl. Kirdtfoff. flbftammungslcrire unb Darunntsmus: Prof. Dr. R tjeffe. Die <Er|d)ctnungen bes Ccbcns: prioatbo3ent Dr. \) üiieiy Die Cctpre oon ber Energie: ©berterirer fl. Stein. Die (Brunbbegriffe ber mooernen Haturlei,re: profeffor

Dr. S fluerbad). molefüle, Atome, U)cltätf»er: Prof. Dr, 65 Wie Das tOaffer: prioatboent Dr. 0). flnfelmino uft, IDaHer, Ctafjt unb lOärme: prof Dr. R. Blöd)mann Die metaile: Prof. Dr. K. Sdjeib. Korallen unb anbere gefteinsbilbenbe Sicrc: profeffor

Dr. ID. Itlan. meeresforfdjung unb Itleeresleben: Dr. <D. 3anfon Der Befruebtungsoorgang: Dr. <J. tteidjmann. Das Süfonjatfcrplantton: Direltor Dr. 0). öadjarias Die tDclt ber Organismen: Prof. Dr. K. Campert. Der Kampf 3U>ifd}cn ntenfä) unb JTier: prof. Dr. K. (Edftein. Dogclsug unb Oogel,d,ufc: Dr. TDilfj. R. (Edarbt. experimentelle Biologie: Dr. G. t[()efing.

ausfüftrlidier Katalog umSonft unb poftfret oom Derlag

[page] Verlag von B. <i. Tcubncr in Leipzig und Berlin

WISSENSCHAFT UND HYPOTHESE.

Sammlung von Einzeldarstellungen

aus dem Gesamtgebiet der Wissenschaften mit besonderer

Berücksichtigung ihrer Grundlagen und Methoden,

ihrer Endziele und Anwendungen.

8. In Leinwand geb.

Die Sammlung will die in den verschiedenen Wissensgebieten durch rastlose Arbeit ge- wonnenen Erkenntnisse von umfassenden Gesichtspunkten aus im Zusammenhang mitein- ander betrachten. Die Wissenschaften werden in dem Bewußtsein ihres festen Besitzes, in ihren Voraussetzungen dargestellt, ihr pulsierendes Leben.ihrHaben.Können und Wollen aufgedeckt. Andererseits aber wird in erster Linie auch auf die durch die Schranken der Sinneswahrnehmung und der Erfahrung überhaupt bedingten Hypothesen hingewiesen.

I.  Band: "Wissenschaft und Hypothese. Von H. Poincare* in Paris. Autori- sierte deutsche Ausgabe mit erläuternden Anmerkungen von F. und L. Lindemann in München. 2, verbesserte Aufl. 190b. Geb. Jf 4.80.

II.   Band: Der Wert der Wissenschaft. Von H. Poincare in Paris. Mit Ge- nehmigung des Verfassers ins Deutsche übertragen von K. Weber. Mit Anmerkungen und Zusätzen von H. Weber in Straßburg i. K. iqou. Geb. Jl 3.60.

III.   Band: Mythenbildung und Erkenntnis. Eine Abhandlung über die Grundlagen der Philosophie. Von G. F. Lipps in Leipzig. 1907. Geb. Jl 5.—

IV.   Band: Die nichteuklidische Geometrie. Historisch-kritische Darstellung ihrer Entwicklung. Von R. Bonola in Pavia. Autorisierte deutsche Ausgabe von H. Liebmann in Leipzig. Mit 76 Figuren. 1908. Geb. Jl 5.—

V.  Band: Ebbe und Flut sowie verwandte Erscheinungen im Sonnensystem. Von G. H. Darwin in Cambridge. Autorisierte deutsche Ausgabe von A. Pockels in Braunschweig. Mit einem Einführungswort von G. v. Neumayer in Hamburg. Mit 43 Illustrationen. 1902. Geb. Jl 6.80.

VI.  Band: Das Prinzip der Erhaltung der Energie. Von M. Planck in Berlin. 2. Aufl. 1908. Geb. Jl 6.—

VII. Band: Grundlagen der Geometrie. Von D. Hubert in Göttingen. 3., durch Zusätze und Literaturhinweise von neuem vermehrte und mit sieben Anhängen ver- sehene Auflage. 1909. Geb Jl 6.—

VIII.   Band: Geschichte der Psychologie. Von O. Klemm in Leipzig. [U. d. Presse ]

IX.  Band: Erkenntnistheoretische Grundzüge der Naturwissenschaften und ihre Beziehungen zum Geistesleben der Gegenwart. Von P. Volkmann in Königsberg i. P. 2. Aufl. 1910. Geb. .* 6.—

X.   Band: Wissenschaft und Religion in der Philosophie unserer Zeit. Von E. Boutroux in Paris. Deutsch von E. Weber in Straßburg i. E. Mit einem Einführungswort von H. Holtimann. 1910. Geb. Jl 6.—

XL Band: Probleme der Wissenschaft. Von F. Enriques in Bologna.

Deutsch von K. Grelling in Göttingen. 2 Teile. 1910. Geb.

I. Teil: Wirklichkeit und Logik..#4.~ Ii.TeihDieGrundbegriffeder Wissenschaft .#5

XII. Band: Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften. Von P. Natorp in Marburg. 1910. Geb. Jl 6.60

XIII Band: Das Wissen unserer Zeit in Mathematik und Natur- wissenschaft. Von E. Picard in Paris. Deutsch von F. u. L. Lindemann in München. [U.d. Presse]

Weitere Bände befinden sich in Vorbereitung.

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Citation: John van Wyhe, ed. 2002-. The Complete Work of Charles Darwin Online. (http://darwin-online.org.uk/)

File last updated 25 September, 2022